Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Ein besonderer Vorfall, der für mich glückliche Folgen hat. Crampley sucht mir zu schaden; es gelingt ihm nicht. Wir segeln wieder nach Port Royal und von da nach England
Als meine Patienten sich auf dem Wege der Besserung befanden, nahm mich mein Reisegefährte und Kommandeur, der Brayl hieß, mit auf das Land hinaus zu einem reichen Pflanzer, mit dem er bekannt war. Wir wurden dort prächtig bewirtet und machten uns den Abend wieder auf den Weg, um nach unserem Schiff zurückzukehren.
Als wir ungefähr eine halbe Meile bei Mondlicht zurückgelegt hatten, bemerkten wir hinter uns einen Mann zu Pferde. Er holte uns bald ein, wünschte uns einen guten Abend und fragte, wo wir herkämen. Kaum hatte seine Stimme, die mir ganz bekannt war, meine Ohren berührt, als trotz aller meiner Entschlossenheit und Besinnung sich mein Haar emporsträubte und mich ein heftiges Zittern aller Glieder befiel. Brayl, der dies falsch auslegte, bat mich, ich möchte nur ganz ohne Sorge sein.
Ich belehrte meinen Gefährten, er irre sich in Rücksicht der Veranlassung meines Schrecks; sodann wandte ich mich an den Reiter und sagte: »Ich hätte nach Ihrer Stimme, Sir, schwören mögen, Sie wären einer meiner teuersten Freunde, wenn ich von dessen Tod nicht völlig überzeugt wäre.« Darauf versetzte jener nach einer Pause: »Es gibt manchmal Stimmen und Gesichter, die Ähnlichkeit miteinander haben. Doch um Verzeihung, wie hieß Ihr Freund?«
Ich gab dem Fremden hierüber Auskunft und erzählte ihm mit kurzen Worten, nicht ohne manchen Seufzer und Tränen, Thompsons trauriges Schicksal. Nach einem Stillschweigen von einigen Minuten wandte sich das Gespräch auf verschiedene Gegenstände. Der Reiter hielt nun bei einem Hause still, das an der Landstraße lag. Er bat uns so inständig, hereinzukommen und eine Schale Punsch mit ihm zu trinken, daß wir es ihm nicht abschlagen konnten.
Hatte mich seine Stimme beunruhigt, so mußte meine Verwunderung um so größer werden, als ich beim Licht unseren Wirt an Gesicht und Wuchs meinem innig bedauerten Freunde auf ein Haar gleich fand. Da er meine ganz außerordentliche Betroffenheit wahrnahm, so schloß er mich in seine Arme und netzte mein Gesicht mit Tränen.
Es dauerte einige Zeit, ehe ich den Gebrauch meiner Sinne wiederbekam, der durch diese Begebenheit ganz gehemmt worden war, und noch länger, ehe ich sprechen konnte. Ich war daher bloß imstande, seine Umarmungen zu erwidern und meine überströmende Freude in die seinige zu mischen.
Der biedere Brayl, auf den dieser Auftritt starken Eindruck machte, weinte so heftig wie wir. Um seine Teilnahme an unserer Glückseligkeit an den Tag zu legen, umfaßte er uns beide und tanzte wie ein Wahnsinniger im Zimmer herum.
Endlich bekam ich den Gebrauch meiner Zunge wieder und rief: »Ist es möglich? Sind Sie mein Thompson? Nein, leider! Zuverlässig nicht! Der ist ertrunken! Und mich täuscht jetzt ein Traum.«
Es kostete ihn viel Mühe, mich zu überzeugen, daß er dieselbe Person sei, deren Verlust ich bisher bedauert hatte. Zugleich bat er, daß ich mich beruhigen und niedersetzen möchte, wobei er mir sein plötzliches Verschwinden von der ›Donner‹ zu erklären und mich zu überzeugen versprach, daß er sich wirklich im Lande der Lebendigen befinde.
Nachdem ich ein Glas Punsch getrunken und meine Lebensgeister wieder gesammelt hatte, stattete er mir folgenden Bericht ab:
»Ich war wirklich willens, meinem elenden Dasein ein Ende zu machen. In der Absicht begab ich mich in der Nacht nach dem Vorderteile des Schiffs, eben, wie es im Segeln begriffen war, und schlüpfte vom Bug sachte in das Meer. Ich hatte gar stark untergetaucht, und jetzt begann meine Übereilung mich zu reuen. Da ich nun sehr gut schwimmen konnte, so hielt ich mich über Wasser, in der Hoffnung, von einem der vorderen Schiffe aufgenommen zu werden.
Ich rief in diesem Zustande ein großes Fahrzeug an und bat es, mich aufzunehmen. Allein man gab mir zur Antwort, sie segelten sehr schwer und könnten sich nicht durch Beilegen aufhalten. Inzwischen warfen sie mir einen alten Kasten zu, um mir damit fortzuhelfen. Zugleich sagten sie, eines der nachkommenden Schiffe würde mich zuverlässig retten. Aber binnen drei Stunden kam mir kein Schiff weder zu Gesicht noch so nahe, daß ich es hätte errufen können. Während der Zeit sah ich mich zu meinem bittern Schmerz mitten auf dem Ozean ganz allein, ohne ein anderes Rettungsmittel und einen anderen Ruheplatz, als mir ein paar morsche Bretter zu geben vermochten. Endlich erblickte ich eine kleine Schaluppe, die auf mich zusteuerte. Nunmehr schrie ich aus voller Kehle und hatte das Glück, gehört zu werden. Sie ließen ein Boot ins Wasser, um mich aus der grauenvollen Öde zu retten.
Kaum war ich an Bord gebracht worden, so fiel ich in Ohnmacht. Als ich meine Sinne wiederbekommen hatte, fand ich mich in einem Bett und verspürte den widerlichen Geruch von Zwiebeln und Käse. Dies brachte mich anfänglich auf die Vermutung, ich läge noch in meiner Hängematte neben dem ehrlichen Morgan und alles, was mir begegnet war, sei nichts weiter als ein Traum.
Als ich darüber Erkundigung einzog, erfuhr ich, ich befände mich auf einem Schoner, der nach Rhode Island gehöre und mit einer Ladung Gänse, Ferkel, Zwiebeln und Käse nach Jamaika bestimmt sei. Der Schiffer hieße Robertson und wäre ein Nordbrite.
Sobald ich diesen Mann nur sah, erkannte ich in ihm einen ehemaligen Schulkameraden. Er war außer sich vor Freude und Entzücken, als ich mich ihm entdeckte, und verlangte die Ursache meines Unglücks zu wissen. Ich hielt es nicht für ratsam, mich ihm ganz zu entdecken, weil ich wußte, wie streng und begrenzt seine Begriffe von der Religion waren. Deshalb begnügte ich mich, ihm zu erzählen, ich sei von ungefähr über Bord gefallen. Doch trug ich kein Bedenken, ihm zu eröffnen, daß ich einen sehr unangenehmen Posten gehabt habe und fest gesonnen sei, nicht wieder an Bord der ›Donner‹ zurückzukehren.
In dem Stück war er nun nicht meiner Meinung, da er wußte, daß meine Kleidungsstücke sowie die Besoldung, die ich noch stehen hatte, verlorengingen, wenn ich nicht wieder nach meinem Schiff zurückkehrte. Doch da ich ihm die Höllenqualen beschrieb, die ich unter Oakums und Mackshanes tyrannischer Regierung ausgestanden hatte, und da ich ihn unter andern Beschwerden meine Unzufriedenheit über das irreligiöse Betragen meiner Schiffskameraden und über den Mangel an echt presbyterianisch-evangelischer Lehre merken ließ, so änderte er gänzlich seine Meinung. Er beschwor mich mit vieler Heftigkeit, alle Gedanken auf Beförderung im Seedienst fahrenzulassen; und um zu zeigen, daß mein Bestes ihm am Herzen läge, machte er sich anheischig, mich auf eine oder die andere Art zu versorgen, bevor er Jamaika verließe.
Dies Versprechen erfüllte er ganz nach meines Herzens Wunsch. Er empfahl mich einem begüterten Mann, bei dem ich die Zeit her als Wundarzt und Aufseher seiner Plantagen gewesen bin. Er und seine Frau befinden sich jetzt in Kingston, und ich kann daher über dies Haus frei schalten und walten. Seien Sie mir nun nochmals hier herzlich willkommen, und gönnen Sie mir den Überrest der Nacht hindurch Ihre Gesellschaft.«
Bei mir bedurfte es keiner zweiten Einladung; allein Brayl, der in seinem Dienst äußerst pünktlich war, konnte nicht überredet werden, eine Nacht außerhalb des Schiffes zuzubringen. Jedoch aß er mit uns, trank auch in aller Fröhlichkeit ein Glas Wein. Dann machte er sich auf den Weg nach seinem Schiff, das ungefähr drei Meilen von dieser Pflanzung lag. Thompson befahl ein paar starken Negern, ihn dahin zu begleiten.
Nie hatten zwei Freunde sich glücklicher gefühlt als wir in der kurzen Zeit, die wir miteinander zubringen konnten. Ich erzählte ihm ausführlich unsere Unternehmung auf Cartagena, die er nur unvollständig erfahren hatte. Dafür tischte er mir alle die kleinen Vorfälle auf, die ihm begegnet waren, seit wir uns nicht gesehen hatten.
Er versicherte mir, es wäre ihm recht sauer angekommen, nicht nach Port Royal zu gehen und dort mich und Morgan zu sprechen, von dem er seit dem Tage unserer Trennung nichts gehört hatte. Allein die Furcht, als Deserteur behandelt zu werden, hätte ihn davon abgehalten. Sodann sagte er mir, als er im Finstern meine Stimme gehört hätte, wäre er fast ebenso in Erstaunen geraten als ich, da ich ihn nachher zu Gesicht bekommen. Zuletzt entdeckte er mir in freundschaftlicher Offenherzigkeit die Leidenschaft, die er für die einzige Tochter des Herrn hegte, bei dem er sich in Diensten befand. Sie wäre ein sehr liebenswürdiges junges Frauenzimmer, setzte er hinzu, und verschmähte seine Bewerbungen nicht. Er stände überdies bei den Eltern sehr in Gunst und gäbe die Hoffnung nicht auf, ihre Einwilligung zur Heirat mit seiner Geliebten zu erlangen, wodurch er in die unabhängigste Verfassung von der Welt käme.
Ich wünschte ihm Glück zu so günstigen Aussichten, und er versicherte mir, diese Lage würde ihm nie seine Freunde aus dem Gedächtnis bringen. Über diesem Gespräch war es fast Morgen geworden, und wir begaben uns nun zur Ruhe.
Den folgenden Tag begleitete er mich nach dem Schiff; Brayl behielt ihn zum Mittagessen. Wir brachten den Nachmittag beieinander zu, und gegen Abend nahm er von uns Abschied, nachdem er mir zehn Pistolen als ein schwaches Merkmal seiner Gewogenheit aufgezwungen hatte. Kurz, solange wir dort waren, sahen wir uns täglich und aßen gemeiniglich an einem Tisch, der von ihm mit allen Arten von Federvieh und anderem Fleisch, desgleichen mit Pomeranzen, Zitronen, Limonen, Ananas, Madeirawein und vortrefflichem Rum reichlich versorgt ward, so daß die kurze Periode von zehn Tagen fast der angenehmste Zeitraum in meinem ganzen Leben war.
Endlich kam die ›Eidechse‹ an, und da alle meine Patienten wieder soweit waren, daß sie an ihre Arbeit gehen konnten, so wurden sie und ich beordert, an Bord zu kommen. Hier erfuhr ich vom Oberchirurgus Tomlins, daß er mit dem Leutnant meinetwegen zerfallen sei. Dieser rachsüchtige Bube hatte meine Abwesenheit genutzt und dem Kapitän tausenderlei nachteilige Geschichtchen von mir vorgeschwatzt. Unter anderen, man hätte mich einmal Diebstahls wegen transportiert und wegen ebendieses Verbrechens auf der ›Donner‹ ausgepeitscht.
»Ich meinerseits«, fuhr der gutherzige Oberwundarzt fort, »der ich Ihre ganze Geschichte aus Ihrem eigenen Munde gehört hatte, verteidigte Sie dagegen nachdrücklich und belegte meine Behauptung mit allen den boshaften Stückchen, die Crampley gegen Sie ausgeübt hat, solange Sie auf dem Kriegsschiff waren. Diese Erklärung, die den Kapitän völlig von Ihrer Unschuld überzeugte, hat den Leutnant zu meinem geschwornen Feinde gemacht.«
Dies höllische Benehmen meines Widersachers gegen mich entflammte meinen alten Zorn gegen ihn dermaßen, daß ich bisweilen vor Rachbegier ganz außer mir war. Ich wollte ihn alsdann auf dem Achterdeck vor den Kopf schießen, wiewohl ich wußte, daß ein schimpflicher Tod mich dafür unfehlbar erwartete.
Der Oberwundarzt, der mein Vertrauter war, sprach inzwischen gegen diese verzweiflungsvolle Tat so nachdrücklich, daß ich die mich verzehrende Flamme für jetzt unterdrückte und eine bequemere Gelegenheit abzuwarten beschloß. Um jedoch Tomlins noch mehr zu überzeugen, daß der nichtswürdige Leutnant mir durch seine Nachreden viel zuviel getan hätte, bat ich ihn, Thompson zu besuchen, dessen wunderbare Errettung ich ihm erzählt hatte, und sich bei ihm, der damals mein Amtsgenosse gewesen sei, nach meiner Aufführung zu erkundigen.
Dies Verlangen erfüllte Tomlins mehr aus Neugier, einen Mann zu sehen, der ein so sonderbares Schicksal gehabt, als um in der guten Meinung von mir bestätigt zu werden, die, wie er mir versicherte, schon zu fest gegründet sei. Mithin machte er sich nach dem Logis meines Freundes mit einem Empfehlungsschreiben von mir auf. Er wurde mit all der Höflichkeit und Artigkeit empfangen, die ich erwartete.
Dieser Mann kam nicht nur mit so völliger Überzeugung von meiner Unbescholtenheit zurück, daß kein Zweifel und keine Anschwärzung mir mehr bei ihm schaden konnten, sondern auch höchst zufrieden mit Thompsons Unterhaltung und Leutseligkeit, der ihn, so wie mich, mit Geschenken an frischen Lebensmitteln, Spirituosen und Früchten beladen hatte. An Bord wollte sich unser liebreicher Freund nicht wagen, weil er besorgte, Crampley möchte ihn erkennen und festnehmen lassen.
Als die Zeit unserer Abfahrt nahte, erhielt ich die Erlaubnis, an Land zu gehen und von ihm Abschied zu nehmen. Nachdem wir uns ewige Freundschaft zugeschworen hatten, drang er mir eine Börse mit vier Dublonen auf, die ich so lange ausschlug, als ich konnte, ohne ihn zu beleidigen. Hierauf umarmten wir uns nochmals ganz herzlich, und ich kehrte wieder an Bord zurück. Dort fand ich in Tomlins' Verwahrung eine kleine Kiste und einen Brief an mich.
Als ich an der Aufschrift Thompsons Hand erkannte, öffnete ich ihn mit einiger Bestürzung. Ich ersah daraus, daß dieser großmütige Freund, nicht zufrieden, mich mit den obengedachten Geschenken überschüttet zu haben, mir ein halbes Dutzend feine Hemden, ebenso viele leinene Westen und Mützen und zwölf Paar neue Zwirnstrümpfe geschickt hatte. Solchergestalt mit Geld und allen Notwendigkeiten und Bequemlichkeiten des Lebens versehen, begann ich mich als einen Mann von Bedeutung zu betrachten, und mein Stolz fing, wie ich selbst fühlte, an zu wachsen.
Den folgenden Tag segelten wir nach Port Royal, wo wir mit unseren Prisen wohlbehalten ankamen. Da ich an Bord nichts zu tun hatte, so ging ich an Land und kaufte dort auf einer öffentlichen Versteigerung eine Tressenweste samt einigen anderen Kleidungsstücken. In diesem Staat stolzierte ich einige Tage in den Wirtshäusern herum, wagte es, mich in einige kleine Hasardspiele einzulassen, und trug fünfzig Pistolen als Gewinn davon.
Mittlerweile war unser Kapitän auf ein Schiff von zwanzig Kanonen befördert und das Kommando der ›Eidechse‹ einem Mann übergeben worden, der die Sechzig schon passiert hatte. Er war seit der Regierung des Königs Wilhelm Leutnant gewesen und würde, ungeachtet seiner langen Dienste, wahrscheinlich auf diesem Posten gestorben sein, wofern er die neulich erhaltenen Prisengelder nicht dazu verwandt hätte, seine Obern zu gewinnen.
Um ebendie Zeit wurde mein Freund Brayl zum Offizier ernannt, nachdem er als Seekadett und Steuermann fünfundzwanzig Jahre gedient hatte. Bald nach diesen Veränderungen wählte der Admiral unser Schiff, der Regierung Depeschen zu überbringen. Wir reinigten es, nahmen Wasser nebst frischem Proviant ein und segelten nach unserem Bestimmungsort ab.