Tobias Smollett
Die Abenteuer des Roderick Random
Tobias Smollett

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Zweiundfünfzigstes Kapitel

Ich gerate in den äußersten Geldmangel und komme durch einen Glücksfall wieder empor. Eine alte Feindin nimmt ihre Zuflucht zu mir

 

Ich war so bestürzt, daß ich Banter kein Wort erwidern konnte. Dieser machte mir mit großer Entrüstung Vorwürfe, daß ich an Schurken Schmuckstücke weggeworfen hätte, wovon ich, wenn sie in bares Geld wären verwandelt worden, noch einige Monate hindurch hätte die Rolle eines Gentleman spielen können und wodurch ich sogleich imstande gewesen wäre, meinen Freunden zu dienen.

So verdutzt ich auch war, so konnte ich doch leicht die Quelle seiner Teilnahme erraten. Allein ohne mich auf sein Levitenlesen im geringsten einzulassen, schlich ich mich in aller Stille weg und nach Hause. Dort begann ich zu Rate zu gehen, auf welche Art ich die Sachen wiederbekommen sollte, die ich so törichterweise eingebüßt hatte. Hätte ich sie, ohne Gefahr entdeckt zu werden, mit Gewalt wegnehmen können, so würde ich dies eben nicht für einen Diebstahl angesehen haben. Da ich aber wußte, daß mir eine solche Gelegenheit nicht werden würde, so beschloß ich, List zu gebrauchen, und begab mich unmittelbar nach Straddles Logis.

Ich hatte das Glück, diesen Kavalier zu Hause zu treffen. »Mylord«, sagte ich, »mir ist eingefallen, daß der Diamant, den ich die Ehre gehabt habe, Ihnen zuzustellen, zu locker gefaßt ist. Nun habe ich eben einen jungen Mann gesehen, der aus Paris kommt und für den besten Juwelier in ganz Europa gehalten wird. Ich kenne ihn noch aus Frankreich, und wenn Ihre Lordschaft erlauben, so will ich ihm den Ring zustellen, damit er ihn besser faßt.«

Straddle ließ sich durch diese List nicht fangen. Er bedankte sich für mein Anerbieten und sagte, er habe diesen Fehler schon bemerkt und den Ring seinem eigenen Juwelier geschickt, um dem abzuhelfen. Daß er sich jetzt in Juwelierhänden befand, glaubte ich gar gern; doch gewiß nicht, um repariert zu werden, denn das war nicht im geringsten nötig.

Da mir dieser Kunstgriff fehlschlug, verwünschte ich meine Einfalt. Allein ich beschloß, bei dem Grafen sicherer zu gehen, und machte folgenden Entwurf. Ich zweifelte gar nicht, wieder eine so vertrauliche Audienz zu haben wie zuvor. Alsdann hoffte ich, auf eine oder die andere Art die Uhr in meine Hände zu bekommen, sie darauf unter dem Vorwande, dieselbe aufzuziehen oder damit zu spielen, auf die Erde fallen zu lassen. Dadurch würde sie wahrscheinlich stehenbleiben und ich einen guten Anlaß bekommen, sie mir von meinem hohen Gönner auszubitten, um sie zum Uhrmacher zu tragen und sie reparieren zu lassen. Mit dem Wiederbringen wollte ich mich dann eben nicht übereilen.

Sehr schade, daß ich diesen allerliebsten Plan auszuführen keine Gelegenheit fand. Als ich meinen Besuch beim Lord erneuerte, stand mir zwar wie sonst der Zutritt ins Vorgemach offen, allein wie ich daselbst eine Zeitlang gewartet hatte, kam der Kammerdiener mit einem Kompliment seines Herrn und dem Ersuchen, mich morgen früh bei seinem Lever einzufinden, indem er jetzt so unpaß wäre, daß er niemanden sprechen könnte. Ich nahm diesen Bescheid für ein übles Omen auf und ging, mit halblauten Verwünschungen gegen den ränkevollen Grafen und nicht wenig böse auf mich selbst, fort, daß ich mich so weidlich hatte anführen lassen.

Um mir aber für die erlittene Einbuße einigen Ersatz zu verschaffen, belagerte ich ihn unaufhörlich bei seinem Lever und verfolgte ihn mit Bittgängen, und zwar nicht ohne ein Fünkchen Hoffnung, durch meine Unverdrossenheit etwas mehr zu erlangen als das Vergnügen, ihn ärgerlich zu machen. Doch konnte ich trotz meinem fleißigen Höfeln nicht wieder eine Privataudienz bei ihm erlangen. Strap aus seinem Irrtum zu ziehen, konnte ich mich nicht entschließen. Ungeduldige Erwartung hatte die Blicke des armen Geschöpfes so scharf gemacht, daß er mich immer durch und durch sehen zu wollen schien, wenn ich nach Hause kam.

Endlich fand ich meine Barschaft bis auf eine Guinee geschmolzen und sah mich gedrungen, meinem lieben Getreuen die Not zu entdecken, worin ich mich befand. Jedoch suchte ich die Pille dadurch zu versüßen, daß ich ihm die Versicherungen aufzählte, die ich täglich von meinem Gönner erhielt. Allein diese waren nicht hinreichend, den Mut meines Freundes aufrechtzuerhalten. Kaum hörte er, wie schlecht es mit meinen Finanzen aussah, so stieß er einen kläglichen Seufzer aus und rief: »Um Gottes willen, was wollen wir nun anfangen?«

Um ihn zu trösten, sagte ich, viele von meinen Bekannten, die sich in noch übleren Umständen befänden, lebten noch immer auf anständigem Fuß. Zugleich riet ich ihm, Gott zu danken, daß wir noch keine Schulden gemacht hätten. Schließlich tat ich ihm den Vorschlag, meinen stählernen, mit Gold eingelegten Degen zu versetzen und sich wegen des übrigen auf meine Klugheit zu verlassen.

Dies Auskunftsmittel war für den armen Strap ein Kelch mit Wermut und Galle. Denn ungeachtet seiner unüberwindlichen Zuneigung für mich hatte er noch immer Begriffe von Ökonomie und Aufwand beibehalten, die seiner kargen Erziehung angemessen waren. Nichtsdestoweniger erfüllte er mein Verlangen und brachte mir in einem Augenblick für den Degen sieben Guineen.

So wenig beträchtlich dieser Zuschuß auch war, so machte er mich doch für jetzt so glücklich, als wenn ich fünfhundert Pfund in die Bank gelegt hätte; denn damals war ich in der Kunst, jede unangenehme Betrachtung auf den folgenden Tag hinauszuschieben, so geübt, daß die Aussicht des mir hart bevorstehenden Mangels selten starken Eindruck auf mich machte. Und in der Tat war ich ihm näher, als ich dachte. Mein Wirt, der eben Geld brauchte, erinnerte mich, daß ich ihm noch fünf Guineen für Mietzins schuldig wäre, und bat mich, ihm diese Schuld abzutragen. Er würde, fügte er hinzu, nicht so grob sein und mich deshalb mahnen, aber er habe just einen beträchtlichen Posten auszuzahlen.

So hart es mir auch fiel, eine solche Summe zu entbehren, so trieb mich doch mein Stolz an, ihn auf der Stelle zu befriedigen. Ich tat dies mit einem herrischen Wesen und sagte, nachdem er mir darüber eine Quittung ausgestellt hatte, mit einer Miene voller Verachtung und Unwillen, ich sähe wohl, daß er mich nicht gern lange in seinem Kontobuch haben wollte.

Strap, der bei mir stand und meine Umstände nur zu gut kannte, rang insgeheim die Hände, biß sich in die Unterlippe und ward vor Verzweiflung quittengelb. Wiewohl meine Eitelkeit es mir leicht machte, eine gleichgültige Miene anzunehmen, so war ich dessenungeachtet von dieser Forderung so niedergeschlagen, daß ich gleich darauf, wie ich derselben genügt hatte, in Gesellschaft eilte, um meinen Kummer durch Gespräche zu zerstreuen oder in Wein zu ertränken.

Nach dem Essen wurde mithin eine Partie im Kaffeehause gemacht, von wo wir uns nach einem Wirtshaus begaben. Statt aber an der Lustigkeit meiner Tischgenossen teilzunehmen, empfand ich über ihre gute Laune so viel Verdruß, als die Seele eines Verdammten in der Hölle befallen muß, wenn sie einen Blick ins himmlische Freudenreich getan hat. Vergebens stürzte ich Humpen auf Humpen hinunter. Der Wein hatte seine Wirkung auf mich völlig verloren. Weit entfernt, meine niedergeschlagenen Lebensgeister aufzurichten, vermochte er nicht einmal, mir Schlaf zu verschaffen. Banter, mein einziger vertrauter Freund außer Strap, bemerkte meinen Mißmut und warf mir, als wir zusammen fortgingen, meinen Kleinmut vor. »Wie«, sagte er, »Sie besitzen nicht mehr Standhaftigkeit und werden ganz niedergeschlagen, weil ein solcher Schurke wie Strutwell Sie in Ihren Erwartungen getäuscht hat?« Ich antwortete ihm, ich sähe nicht ein, wie mein Unglück dadurch erträglicher werden könne, daß der Lord ein Schurke sei, und eröffnete ihm sodann, mein gegenwärtiger Kummer rühre nicht sowohl von dieser fehlgeschlagenen Hoffnung als von der starken Ebbe meiner Finanzen her, die jetzt aus etwas weniger noch als zwei Guineen beständen.

»Pah!« rief er aus, »weiter nichts als das! Es gibt tausenderlei Mittel und Wege, ohne Vermögen in der Stadt sich fortzuhelfen. Ich selbst habe manches Jahr bloß von meinem erfinderischen Witz gelebt.«

Ich äußerte ein lebhaftes Verlangen, einige von diesen Methoden kennenzulernen; und er hieß mich ihm folgen, ohne sich darüber weiter auszulassen.

Banter führte mich in ein Haus unter einer Kolonnade auf dem Covent-Garden-Markt. Wir mußten unsere Degen einem griesgrämigen Kerl einhändigen, der sie unten an der Treppe von uns verlangte. Dann stiegen wir ins zweite Geschoß und traten in einen Saal. Dort standen viele Personen um zwei Spieltische herum, die mit Gold und Silber gleichsam beladen waren.

Mein Führer gab mir zu verstehen, wir befänden uns in dem Hause eines würdigen schottischen Lords, der das Vorrecht seiner Peerschaft nutze, öffentliche Spieltische zu halten, und davon ganz anständig lebe. Sodann machte er mich mit dem Unterschied zwischen den Bankiers, Croupiers und Pointeurs bekannt. Jene charakterisierte er als alte ausgelernte Betrüger, diese aber als einfältige Tröpfe, die leicht zu betrügen wären. Zugleich riet er mir, mein Glück am Silbertische zu versuchen und vorderhand nur eine Krone zu setzen.

Bevor ich das Geringste wagen wollte, nahm ich die Gesellschaft näher in Augenschein; und da erblickte ich eine solche Gruppe von Schurkenphysiognomien, daß ich vor Schreck und Erstaunen ganz außer mir geriet. Ich bezeigte mein Befremden hierüber gegen Banter. Dieser wisperte mir zu, der größte Teil dieser Versammlung bestände aus Gaunern, Straßenräubern und Lehrburschen, welche in die Kassen ihrer Herren gegriffen hätten und nun aus Verzweiflung alles wagten, um das Manko wieder zu ersetzen.

Dies machte mir nicht eben Lust, mein bißchen Armut in die Schanze zu schlagen; doch durch das Bestürmen meines Freundes ließ ich mich endlich überreden. Er versicherte mir, ich hätte gar nichts zu befürchten, weil der Peer Leute bestellt hätte, die darauf achtgeben müßten, daß niemandem Unrecht geschähe. Ich setzte daher einen Schilling und hatte in weniger denn einer Stunde dreißig gewonnen.

Von der Redlichkeit bei diesem Spiel überzeugt und durch mein gutes Glück angefrischt, bedurfte es keines weiteren Zuredens, darin fortzufahren. Ich lieh Banter, der selten Geld bei sich hatte, eine Guinee, die er nach dem Goldtische trug und im Augenblicke verlor. Er wollte noch eine von mir borgen; da er mich aber gegen alle seine Bewegungsgründe taub fand, ging er voller Unwillen fort.

Mein Gewinn belief sich indes auf sechs Pfund, und das Verlangen wuchs, je mehr ich gewann. Daher begab ich mich an den Tisch, wo höher gespielt wurde, und setzte eine halbe Guinee. Das Glück blieb mir immer günstig, ich wurde endlich Bankier und blieb es bis zum lichten Morgen. Jetzt war ich, nach manchem Glückswechsel, hundertfünfzig Guineen reich.

Nun hielt ich es für hohe Zeit, mit meiner Beute fortzugehen. Ich fragte daher, ob niemand meinen Platz nehmen wolle, und machte eine Bewegung, um aufzustehen. Ein alter Gascogner, der mir gegenübersaß und dem ich etwas Geld abgenommen hatte, sprang auf und rief mit wütenden Blicken: »Restez, foutre, restez, il faut donner moi mon revanchio.« Zugleich äußerte ein neben mir stehender Alter, ich hätte meinen Gewinn mehr meiner Geschicklichkeit als dem Glück zu danken. Er habe mich einige Male über den Tisch wegwischen sehen, und einige Stellen schienen mit Fett beschmiert zu sein. Diese Beschuldigung erregte, zumal unter denen, die verloren hatten, viel Aufsehen. Sie drohten mir mit manchen Flüchen und Schwüren, mich als einen Betrüger festnehmen zu lassen, wenn ich mich nicht zu einem gütlichen Vergleich verstände und den größten Teil meines Gewinstes herausgäbe.

So wenig wohl mir auch bei dieser Anklage zumute war, so berief ich mich doch auf meine Unschuld, drohte meinerseits, den Alten als einen Ehrenschänder zu belangen, und erbot mich kühnlich, meine Sache vor irgendeinem Friedensrichter in Westminster untersuchen zu lassen. Allein diese Ehrenmänner kannten sich zu gut, um sich einer solchen Prüfung zu unterwerfen. Da sie nun sahen, daß sie mich nicht einschüchtern und mir nichts abschrecken konnten, so bestanden sie nicht weiter auf ihrer Forderung und machten mir Platz zu gehen. Allein ich wollte den Tisch nicht eher verlassen, als bis der Alte förmlichen Widerruf getan und mich vor der ganzen Versammlung um Verzeihung gebeten hatte.

Wie ich mit meiner Beute fortging, trat ich von ungefähr einem langen, starkknochigen Gesellen auf die Zehen, der unter der Menge stand. Er hatte eine Hakennase, funkelnde Augen, buschige schwarze Augenbrauen, eine Perücke von ebender Farbe mit einem Mäuseschwänzlein und einen ungeheuren, tief in die Stirn gerückten Hut. Kaum hatte er den Druck meines Absatzes empfunden, so fing er an, mit fürchterlicher Stimme zu brüllen: »Donner und Wetter! Ihr Hurensohn, was soll das heißen?« Ich bat ihn sehr demütig um Verzeihung und beteuerte, daß ich nicht willens gewesen wäre, ihn zu beleidigen. Allein je geschmeidiger ich war, desto ungestümer ward er und verlangte von mir eine Genugtuung, wie unter rechtlichen Leuten Sitte ist. Zugleich belegte er mich mit den schmachvollsten Namen, die ich unmöglich gelassen hinnehmen konnte. Ich ließ meinem Unwillen den Zügel schießen, antwortete ihm in seinem Fischmarktston und forderte ihn auf, mir sogleich unter die Kolonnade zu folgen.

Je wärmer ich ward, um so kühler ward sein Affekt. Schließlich schlug er meine Einladung mit den Worten aus, er würde schon seine Zeit selbst wählen. Darauf ging er an den Spieltisch zurück und murmelte Drohungen, die ich teils nicht achtete, teils nicht recht verstehen konnte. Nunmehr ging ich ganz gemächlich fort, ließ mir vom Portier meinen Degen wiedergeben, steckte ihm eine Guinee in die Hand, wie es in diesem Hause Brauch war, und kam in der frohesten Stimmung nach Hause.

Mein treuer Bedienter hatte die ganze Nacht aufgesessen und sich meinetwegen nicht wenig geängstigt. Mit ganz verweinten Augen öffnete er mir die Tür und folgte mir in meine Stube. Hier blieb er sprachlos, wie ein verurteilter Missetäter, stehen und erwartete die Nachricht zu hören, daß ich alles bis auf den letzten Schilling verspielt habe.

Ich erriet seine Gedanken, nahm eine traurige Miene an und hieß ihn, mir etwas Wasser bringen, um mich waschen zu können. Ohne die Augen vom Boden wegzubringen, sagte Strap: »Nach meiner Einfalt dächte ich so, Sie brauchten eher Ruhe als was anderes. In vierundzwanzig Stunden haben Sie ja meines Erachtens kein Auge zugetan.« – »Wasser will ich!« erwiderte ich in entschiedenem Ton. Er zuckte die Achseln und schlich sich fort.

Ehe er wiederkam, hatte ich mein erobertes Geld auf das prahlerischste über den Tisch verbreitet. Sowie er hereintrat, blitzte es ihm ins Auge. Er stand da wie ein Verzückter, rieb sich einigemal die Augen, um sich zu überzeugen, daß er wirklich wache, und brach dann in die Worte aus: »Gott erbarme sich! Was für einen ungeheueren Schatz haben Sie da!« – »Das ist alles unser, Strap«, sagte ich. »Nimm nun so viel, als du brauchst, meinen Degen einzulösen, den ich gleich wiederhaben muß.« Mein Getreuer näherte sich dem Tisch, stand plötzlich still, sah wechselseitig das Geld und mich an und rief mit einer Wildheit in seinen Blicken, woraus halb Freude, halb Mißtrauen blitzte: »Sind Sie auch auf eine ehrliche Art dazu gekommen?«

Um ihm seine Bedenklichkeiten zu benehmen, machte ich ihn mit der Geschichte meines Glückes völlig bekannt. Wie er dies gehört hatte, tanzte er in voller Ekstase im Zimmer herum und rief: »Gott sei gelobt und gedankt! – Ein weißer Stein! – Gott Lob und Dank! – Ein weißer Stein!« Ich war daher bange, der plötzliche Glückswechsel möchte seinen Verstand zerrüttet haben und er vor Freude verrückt geworden sein.

Durch diesen Vorfall außerordentlich betreten gemacht, suchte ich ihm seinen Wahnwitz wegzuräsonieren. Dies war aber umsonst. Ohne auf das achtzugeben, was ich sagte, hüpfte er in einem fort herum und wiederholte sein: »Gott Lob und Dank! Ein weißer Stein!« Endlich stand ich in der äußersten Bestürzung auf, legte Hand an ihn und tat seinen Überspanntheiten dadurch Einhalt, daß ich ihn auf ein im Zimmer befindliches Ruhebett warf und ihn darauf festhielt.

Diese Behandlung vertrieb seinen Wahnwitz. Er fuhr wie aus dem Schlaf auf und fragte mich, erschrocken über mein Betragen: »Was gibt's denn?« Als er die Ursache meiner Besorgnis erfahren hatte, schämte er sich der wilden Ausbrüche seiner Freude und sagte mir, durch Erwähnung des weißen Steins habe er auf die Dies fasti der Römer, albo lapide notati, angespielt.

Da ich keine Lust zu schlafen hatte, so schloß ich mein Geld weg, zog mich an und war eben im Begriff auszugehen, als mir der Hausknecht sagte, es wäre eine Frau unten, die mich zu sprechen wünschte. Ich stutzte über diese Botschaft und hieß Strap, sie heraufzuführen. In weniger denn einer Minute sah ich ein junges Frauenzimmer in die Stube treten, das ganz verblüht, elend und äußerst armselig aussah.

Sie machte ein halbes Dutzend Verbeugungen, begann zu seufzen und sagte mir, sie hieße Gawky. Jetzt erkannte ich sogleich die Züge der ehemaligen Miß Lavement, welche die erste Ursache meiner Unglücksfälle gewesen war. Wiewohl ich allen Grund der Welt hatte, über ihr verräterisches Benehmen aufgebracht zu sein, so rührte mich doch ihre Not. Ich bezeigte ihr mein Mitleid, sie so tief heruntergekommen zu sehen, und bat sie, sich zu setzen und mich mit allen ihren Schicksalen bekannt zu machen. Sie fiel auf ihre Knie nieder, flehte um Verzeihung wegen des angetanen Unrechts und beteuerte vor Gott, sie wäre zu der höllischen Verschwörung, die mir fast das Leben gekostet hätte, gegen ihre Neigung durch das dringende Verlangen ihres Mannes gezwungen worden.

»Sein Vater«, fuhr sie fort, nachdem ich sie wieder aufgehoben, »enterbte ihn nachher, weil er mich geheiratet hatte. Er konnte mit seinem Sold das Hauswesen nicht bestreiten; darum ließ er mich bei meinem Vater und ging mit der Armee nach Deutschland. In der Schlacht bei Dettingen verhielt er sich so übel, daß er seinen Abschied bekam. Seit der Zeit habe ich weiter keine Nachrichten von ihm.«

Hierauf gab mir die Gawky unter vielen Merkmalen der Reue zu verstehen, sie wäre so unglücklich gewesen, vier Monate nach der Hochzeit niederzukommen. Darüber wären ihre Eltern aufgebracht worden und hätten sie samt dem Kinde, das bald nachher gestorben wäre, aus dem Hause gestoßen.

»Seitdem«, schloß sie die Erzählung, »habe ich höchst elend und dürftig von den Almosen gelebt, die ich dem Mitleid einiger weniger Freunde abpreßte. Nunmehr sind sie es ganz überdrüssig, mir etwas zukommen zu lassen. Ich weiß nicht, wo oder wie ich noch einen Tag länger meinen Unterhalt finden soll. Darum habe ich meine Zuflucht zu Ihnen genommen, wiewohl Sie unter allen Menschen am allerwenigsten Ursache haben, mir beizustehen. Allein ich verlasse mich auf Ihre großmütige Denkungsart, vermöge deren, wie ich hoffe, es Ihnen lieb sein wird, eine gute Gelegenheit zu finden, sich auf die edelste Art an einer Elenden zu rächen, die Sie so schwer beleidigt hat.«

Ihre Rede rührte mich recht sehr, und da ich keine Ursache hatte, an der Aufrichtigkeit ihrer Reue zu zweifeln, so vergab ich ihr von Herzen alles gegen mich verübte Böse und versprach, ihr so viel beizustehen, als ich nur vermöchte.

Seit meiner letzten Ankunft in London hatte ich keinen Schritt zum Apotheker, ihrem Vater, getan, weil ich es doch für unmöglich hielt, meine Unschuld zu erweisen, indem meine Anklage von zu vielen für mich nachteiligen Umständen begleitet war. Strap hatte sich freilich bemüht, mich bei dem Schulmeister zu rechtfertigen, aber dieser Versuch war ihm nicht gelungen, und Concordance hatte allen Umgang mit ihm abgebrochen, weil er sich geweigert, seine Verbindung mit mir aufzugeben.

Bei so bewandten Umständen hielt ich die Gelegenheit, die sich mir jetzt darbot, für die schicklichste, meinen guten Leumund wiederherzustellen. Daher machte ich mit der Mistreß Gawky aus, ehe sie den geringsten Beistand von mir erhielte, mir die Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und mir meinen ehrlichen Namen dadurch wiederzugeben, daß sie an Eides Statt vor einer obrigkeitlichen Person über das ganze Komplott aussagte, das man gegen mich gesponnen hatte. Nachdem sie mir diese Genugtuung verschafft hatte, gab ich ihr fünf Guineen, die ihre Erwartung so weit übertrafen, daß sie kaum dem Zeugnis ihrer Sinne trauen und mich für diese Wohltat fußfällig verehren wollte. Ich schickte jene von ihr selbst unterschriebene Erklärung ihrem Vater.

Der Apotheker verglich die mir ehemals gemachten Beschuldigungen mit dieser gerichtlichen Aussage und wurde von meiner Rechtschaffenheit überzeugt. Deshalb machte er mir des folgenden Tages seine Aufwartung in Gesellschaft seines Freundes, des Schulmeisters, dem er meine Rechtfertigung mitgeteilt hatte.

Nach den gegenseitigen Begrüßungen begann Monsieur Lavement eine lange Entschuldigungsrede wegen der unbilligen Behandlung, die mir von ihm widerfahren sei; allein ich sparte ihm eine Portion Atem dadurch, daß ich ihn unterbrach. Ich versicherte ihm, ich wäre weit entfernt, gegen ihn entrüstet zu sein, vielmehr müßte ich mich ihm für seine Güte verpflichtet bekennen, da er mir bei so starkem Verdacht wider mich die Erlaubnis erteilt hätte, zu gehen, wohin ich wollte.

Concordance hielt es nun an der Zeit, das Wort zu nehmen. Er bemerkte, daß Mister Random zuviel Rechtschaffenheit und Verstand besäße, um über ihr Betragen gekränkt zu sein, welches in Anbetracht der Sachlage bei einiger Rechtschaffenheit ihrerseits gar nicht anders habe sein können. »Ja«, sagte er, »wäre uns das Komplott durch übernatürliche Erleuchtung enthüllt worden, wäre es uns durch einen Geist ins Ohr geflüstert worden, durch einen Traum offenbart, durch einen Engel vom Himmel verkündet worden, dann wären wir zu tadeln gewesen, weil wir nur das geglaubt haben, was wir mit unseren Augen sahen; da wir aber im Nebel blieben, in dem alle Sterblichen herumtappen, so konnte man schwerlich von uns erwarten, daß wir gegen Betrügerei gefeit sein sollten. Ich versichere Ihnen, Mister Random, kein Mensch auf der ganzen Welt ist mehr erfreut, daß Ihre Unschuld erwiesen ist; und so, wie mich die Kunde von Ihrem Unglück bis ins Innerste erschüttert hat, so läßt die Offenbarung Ihrer Rechtschaffenheit mein Herz vor Freude zittern.«

Ich dankte ihm für den Anteil, den er an meinem guten Leumund nähme, und ersuchte beide, ihren Bekannten, sofern sie noch eine üble Meinung von mir hätten, durch Entdeckung des wahren Verlaufs eine bessere beizubringen. Sodann setzte ich meinen Gästen ein Glas Wein vor und schilderte Monsieur Lavement den kläglichen Zustand seiner Tochter. Ich verteidigte ihre Sache mit solchem Nachdruck, daß er endlich darein willigte, ihr auf Lebenszeit ein kleines Jahresgehalt auszusetzen. Doch sie ins Haus zu nehmen, dahin konnte ich ihn nicht bewegen, weil, wie er sagte, ihre Mutter so aufgebracht gegen sie sei, daß sie die Tochter niemals wieder vor Augen sehen wollte.


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