Tobias Smollett
Die Abenteuer des Roderick Random
Tobias Smollett

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Neunundzwanzigstes Kapitel

Mackshane läßt an mir und Morgan seine Tücke aus. Ich verfalle vor Furcht in Wahnsinn, Thompson aber in Verzweiflung und stürzt sich über Bord

 

In der Zeit hatte der Sturm sich gelegt und in einen frischen Wind verwandelt, der uns unter den warmen Himmelsstrich führte, wo die Witterung ganz unerträglich ward und der Mannschaft viele Krankheiten zuzog.

Der Oberwundarzt machte alle nur möglichen Versuche, sich an dem Waliser und mir vollständig zu rächen. Er ging zu den Kranken unter dem Vorwande, sich nach ihrem Zustande zu erkundigen, eigentlich aber in der Absicht, Klagen gegen uns einzusammeln. Allein er wurde in seiner Erwartung getäuscht. Unser Berufseifer und unsere Leutseligkeit hatten uns ganz die Gewogenheit der Patienten verschafft. Er beschloß daher, uns bei unseren Unterredungen zu belauschen, und verbarg sich zu dem Zweck hinter der sackleinenen Wand unseres Zimmers. Dort entdeckte ihn unser Aufwärter bei Tisch und teilte uns mit, was er wahrgenommen hatte.

Eines Abends, wie wir im Begriff waren, einen Rest Pökelfleisch von einem starken Knochen abzuessen, merkte Morgan, daß sich hinter unseren Vorhängen etwas rührte. Er mutmaßte sogleich den Doktor, gab mir einen Wink und zeigte nach dem Ort hin. Ich ward ganz deutlich inne, daß dort jemand stand. Und so ergriff ich den Knochen und warf ihn aus vollen Kräften nach der Gegend hin. »Das nehmt für Eure Neugier, wer Ihr auch sein möget«, setzte ich hinzu.

Mein Wurf brachte die erwünschte Wirkung hervor. Der Lauscher an der Wand stürzte nieder und kroch darauf nach seiner Kajüte zurück. Ich frohlockte sehr über diese Tat, die aber einen höchst unglücklichen Ausgang für mich hatte. Denn Mackshane nahm sich seit der Zeit vor, meinen völligen Untergang zu bewirken. Ungefähr eine Woche danach wurde ich, als ich meine Krankenrunde machte, gefangengenommen und von dem Schiffsrüstmeister nach dem Achterdeck der ›Donner‹ geführt, wo ich mit Ketten und Banden belegt und an dem Deck festgeschlossen wurde. Man gab nämlich vor, ich sei ein Spion und gegen den Kapitän in eine Verschwörung getreten.

So lächerlich diese Beschuldigung auch war, so wurde ich dennoch wie der ärgste Verbrecher behandelt. Ich blieb zwölf volle Tage hindurch in diesem elenden Zustande, bei Tage der sengenden Sonnenhitze und bei Nacht den ungesunden Niederschlägen ausgesetzt. In dieser ganzen Zeit wurde ich weder zum Verhör gebracht noch über die Wahrscheinlichkeit der gegen mich vorgebrachten Beschuldigungen die geringste Untersuchung angestellt.

Sowie ich den Gebrauch meiner Sinne wieder hatte, der durch diesen Zufall völlig zerstört worden war, ließ ich Thompson zu mir bitten. Er bezeigte mir sein Beileid über meine Lage und gab mir einen Wink, daß ich dies Unglück lediglich dem Haß des Doktors zuzuschreiben habe. Dieser hätte beim Kapitän eine Klage gegen mich eingereicht, derzufolge ich in Verhaft gebracht und mir alle meine Papiere weggenommen worden wären.

Noch stieß ich Verwünschungen über mein hartes Schicksal aus, als ich Morgan, von zwei Korporalen begleitet, nach dem Achterdeck des Schiffes bringen sah. Er wurde neben mir niedergesetzt, damit man ihn geradeso festpflöcken könnte wie mich. Ungeachtet meiner üblen Lage konnte ich mich doch des Lächelns über die Mienen meines Mitgefangenen nicht enthalten. Ohne ein Wort zu sprechen, ließ er seine Füße in den Ringen befestigen, die zu dem Zweck an diesem Ort befindlich waren. Als man ihm aber die Hände auf den Rücken schließen wollte, wurde er ganz wild, zog ein großes Messer aus einer Seitentasche und drohte dem ersten besten, der ihn so unwürdig behandeln würde, den Leib aufzuschlitzen. Die beiden Korporale waren schon im Begriff, sehr rauh mit ihm umzugehen, als der Leutnant auf das Deck kam und ihnen zurief, sie sollten ihn so lassen, wie er wäre.

Nun kroch Morgan zu mir hin, reichte mir die Hand und riet mir, »mein Vertrauen auf Gott zu setzen«. Dann sah er Thompson an, der zitternd und totenblaß neben uns stand, und sagte zu ihm, hier wären noch zwei Ringe für seine Füße übrig; es solle ihm lieb sein, ihn bald in so guter Gesellschaft zu sehen. Allein es war gar nicht die Absicht unseres Gegners, den zweiten Unterchirurgus in unser Schicksal mit zu verwickeln. Er wollte ihn zu seinem Packpferd bei der Behandlung der Kranken und, wo irgend möglich, zum Zeugen gegen uns gebrauchen. In der Absicht holte er ihn von weitem aus; da er aber seine Redlichkeit unbestechlich fand, so quälte er ihn aus Verdruß so sehr, daß dieses sanfte Geschöpf in kurzem seines Lebens satt wurde.

Indes mein Mitgefangener und ich einander in unseren Trübsalen Trost zusprachen, entdeckte der Admiral vier Segel unter dem Winde und gab unserem Schiff nebst vier anderen das Signal, auf sie Jagd zu machen. Hierauf wurde alles zum Gefecht in Bereitschaft gesetzt. Mackshane, der voraussah, daß er mehr als einen Gehilfen würde nötig haben, wirkte Morgans Befreiung aus; ich hingegen wurde in meiner erbarmenswürdigen Lage allen Zufällen des Treffens preisgegeben.

Es war fast finster, als wir das hinterste von diesen Schiffen einholten. Wir riefen ihm zu und fragten, wer sie wären. »Französische Kriegsschiffe«, lautete die Antwort. Kapitän Oakum ließ ihnen darauf befehlen, sie sollten ihr Boot an Bord schicken. Sie weigerten sich dessen und sagten, wenn er etwas anzubringen habe, so möchte er zu ihnen an Bord kommen. Er drohte nun, ihnen die volle Lage zu geben. Dies versprachen sie zu erwidern, und beide hielten genau Wort. Das Gefecht begann mit der wildesten Hitze.

Der Leser kann sich leicht vorstellen, wie mir zumute war, da ich ganz hilflos mitten unter den Schrecknissen eines Seegefechts jeden Augenblick gewärtig sein mußte, voneinandergehauen oder von dem feindlichen Geschütz in Stücke geschossen zu werden. Ich suchte mich, soviel nur immer möglich, durch die Vorstellung zu beruhigen, daß ich der Gefahr nicht ein Haarbreit mehr ausgesetzt wäre als die, welche rings um mich her ihre Posten hatten. Wenn ich aber erwog, daß sie dem Feinde ohne Unterlaß Schaden zufügten und sich untereinander durch ihre Gesellschaft und ihr Verhalten Mut machten, so sah ich leicht den himmelweiten Unterschied zwischen ihrem und meinem Zustande ein.

Gleichwohl suchte ich meine Angst, so gut es sich nur immer tun ließ, zu verbergen, bis endlich der neben mir stehende Chef der Seeoffiziere von einer Kugel getroffen ward, vom Deck mir quer über das Gesicht wegrollte und mich mit seinem aus dem Kopf spritzenden Gehirn beinahe blind machte. Nun konnte ich mich nicht länger halten und begann mit aller Stärke meiner Lungen zu brüllen.

Ein Trommelschläger kam darüber herzu und fragte, ob ich verwundet worden wäre. Ehe ich ihm antworten konnte, traf ihn eine Kanonenkugel in den Unterleib, die ihm alle Eingeweide herausriß, und sein Leichnam stürzte der Länge nach hin, mir über die Brust. Dieser Vorfall trieb mich über die mir selbst gesetzten Schranken der Mäßigung; ich verdoppelte mein Geschrei, das sich aber in dem Getümmel des Gefechts ganz verlor.

Da ich endlich fand, daß niemand auf mich achtete, verlor ich alle Geduld und wurde wahnwitzig. Ich machte meiner Wut durch Verwünschungen und Flüche Luft, so lange, bis meine Lebensgeister völlig erschöpft waren. Nun wurde ich ruhig und gegen die Last gefühllos, die auf mir lag.

Das Gefecht dauerte bis zum lichten Tage. Unser Kapitän sah ein, daß er weder Ehre noch Vorteil aus diesem Treffen ernten würde, daher gab er vor, nun er die Flagge sähe, würde er aus dem Irrtum gerissen. Demnach rief er dem Schiff, mit dem wir uns die ganze Nacht hindurch geschlagen hatten, die Versicherung zu, er habe sie für Spanier gehalten.

Jetzt schwieg das Feuer von beiden Seiten; Oakum ließ das große Boot herauswinden und begab sich an Bord des französischen Kommandeurs. Unser Verlust belief sich auf zehn Getötete und achtzehn Verwundete, von denen der größte Teil noch nachher starb.

Kaum waren meine Kollegen mit ihren Amtsgeschäften fertig, als sie sich voll freundschaftlicher Teilnahme an Deck begaben, um mich zu besuchen. Morgan stieg zuerst herauf, und da er mein Gesicht mit Blut und Gehirn fast ganz bedeckt sah, schloß er, daß es für diese Welt mit mir getan sei. Deshalb rief er mit vieler Rührung Thompson zu, heraufzukommen und von seinem Freund und Landsmann den letzten Abschied zu nehmen, der mit Extrapost nach einem besseren Ort abgegangen sei, wo es keine Mackshanes und Oakums gäbe, die ihn verleumden und quälen könnten. »Nein«, fuhr er fort und nahm mich bei der Hand, »du bist auf dem Wege nach einem Land, wo man unglücklichen Gentlemen mehr Achtung entgegenbringt und wo du die Genugtuung haben wirst, zu beobachten, wie deine Gegner auf Wellen von brennendem Schwefel auf und nieder geschleudert werden.«

Thompson ward über diese Rede unruhig. Er eilte nach dem Ort hin, wo ich lag, setzte sich neben mich und erkundigte sich mit Tränen in den Augen, was mir widerfahren sei. Ich hatte um die Zeit schon so viel Besonnenheit wieder, daß ich mit meinen Freunden vernünftig sprechen konnte. Mithin benahm ich ihnen sogleich zu ihrem großen Vergnügen die Besorgnis, in der sie geschwebt hatten, daß ich tödlich verwundet sei.

Nachdem ich mich von dem Blutbade befreit, worin ich mich herumwälzte, und die von meinen Amtsgenossen mitgebrachte Erfrischung zu mir genommen hatte, ließen wir uns in ein Gespräch über die Bedrückungen ein, die wir ausstehen mußten. Wir äußerten uns sehr freimütig in betreff der Urheber unseres Ungemachs.

Die Schildwache, die man mir zur Hut gegeben hatte, war kaum abgelöst worden, als sie zum Kapitän eilte und ihm, der erhaltenen Order gemäß, jede Silbe unserer belauschten Unterredung hinterbrachte.

Die Wirkung davon zeigte sich bald. Der Schiffsrüstmeister erschien und brachte Morgan auf seinen vorigen Posten, den zweiten Unterchirurgus aber warnte er, er solle seine Zunge künftig besser im Zaum halten, sonst würde er uns in der gefänglichen Haft Gesellschaft leisten müssen.

Thompson, der voraussah, daß nun die saure Arbeit, alle Kranken und Verwundeten zu pflegen, ihm allein auf den Hals fallen und daß er lediglich der Gegenstand von Mackshanes Grausamkeit sein würde, geriet über diese Aussicht in Verzweiflung. Er, von dem ich sonst nie einen Fluch gehört hatte, stieß die fürchterlichsten Verwünschungen gegen seine Peiniger aus und erklärte, er wolle lieber sterben als unter der Botmäßigkeit eines solchen Barbaren stehen.

Ich erstaunte über seine Heftigkeit nicht wenig und bemühte mich, seine Beschwerden dadurch zu mildern, daß ich die meinigen auf das übertriebenste darstellte, damit er sehe, daß mein Elend das seinige weit überwöge, und sich an meiner Standhaftigkeit und Unterwürfigkeit ein Beispiel nehme. Die Zeit, wo wir uns Genugtuung verschaffen könnten, setzte ich hinzu, wäre meines Dafürhaltens nicht mehr weit. In wenig Tagen müßten wir in einem Hafen sein, wo wir eine bequeme Gelegenheit finden würden, dem Admiral unsre Beschwerden vorzutragen.

Der Waliser vereinigte seine Vorstellungen mit den meinigen und gab sich große Mühe, ihm zu beweisen, es sei sowohl die Schuldigkeit als der Nutzen eines jeden Menschen, sich dem göttlichen Willen zu unterwerfen und sich als eine Schildwache anzusehen, die ihren Posten nicht eher verlassen dürfe, als bis sie abgelöst werde.

Thompson hörte alles, was wir sagten, mit vieler Aufmerksamkeit an, vergoß zuletzt eine Flut von Tränen, schüttelte den Kopf und verließ uns, ohne eine Silbe zu erwidern. Um elf Uhr in der Nacht kam er wieder. Seine Miene war ausnehmend finster. Er hätte, sagte er, seit er uns verlassen, überaus viel Arbeit gehabt und sei zur Belohnung dafür vom Doktor gröblich beleidigt worden. Dieser habe ihn nämlich beschuldigt, sich mit uns in eine Verschwörung gegen sein und des Kapitäns Leben eingelassen zu haben.

Nachdem wir einige Zeit in wechselseitigen Ermahnungen zugebracht hatten, stand er auf, drückte uns mit ungewöhnlicher Innigkeit die Hände und sagte: »Gott erhalt euch beide.« Diese sonderbare Art, Abschied zu nehmen, mußte notwendig tiefen Eindruck auf uns machen und uns keine kleine Verwunderung verursachen.

Den folgenden Morgen, als die Stunde kam, wo visitiert wurde, vermißte man den unglücklichen jungen Mann. Nach genauem Nachforschen kam man auf die Vermutung, er müsse sich in der Nacht über Bord gestürzt haben; und so war es auch wirklich.


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