Tobias Smollett
Die Abenteuer des Roderick Random
Tobias Smollett

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierunddreißigstes Kapitel

Wir verlassen der epidemischen Fieber wegen unsere Eroberungen. Kapitän Oakum begibt sich nebst seinem geliebten Doktor auf ein anderes Schiff. Beschreibung unseres neuen Kommandeurs

 

Die Veränderung der Atmosphäre, welche durch diese Witterung bewirkt wurde, vereinigte sich mit den Verwesungsdünsten, die uns umgaben, mit der in dieser Gegend herrschenden Hitze und unserer durch die schlechten Nahrungsmittel verdorbenen Konstitution, wozu noch unsere Verzweiflung kam. Dies alles erzeugte dann Gallenfieber, die mit solcher Heftigkeit wüteten, daß drei Viertel von denen, die davon befallen wurden, gar elendiglich umkamen. Wegen der außerordentlichen Fäulnis der Säfte wurde ihre Haut gleich nach dem Tode kohlschwarz.

Unsere Anführer sahen unter diesen Umständen, daß es höchste Zeit sei, unsere Eroberungen zu verlassen. Dies taten wir denn auch, nachdem wir zuvor das Geschütz der Feinde unbrauchbar gemacht und ihre Festungswerke gesprengt hatten.

Just als wir von Boca Chica nach Jamaika zurücksegelten, meldeten sich bei mir die Vorboten der obengedachten schrecklichen Krankheit. Ich wußte wohl, daß an mein Aufkommen nicht zu denken sein würde, wenn ich in unserem Gemach liegenbleiben müßte, wo wegen der Hitze und wegen des schädlichen Geruchs von den verdorbenen Lebensmitteln selbst gesunden Personen der Aufenthalt unerträglich fiel. Ich setzte daher ein demütiges Gesuch an den Kapitän auf, stellte ihm darin meine Lage vor und flehte um die Erlaubnis, bei den Soldaten im Mitteldeck liegen zu dürfen, um frischere Luft zu genießen. Allein ich hätte mir die Mühe sparen dürfen. Der menschlich denkende Kommandeur schlug mein Ansuchen ab und befahl mir, an dem Ort zu bleiben, der für die Unterchirurgen bestimmt wäre, wenn ich nicht auf ein Hospitalschiff wollte gebracht werden, wo es noch dreimal schlimmer und die Hitze weit stickiger war als in unserem Verschlage unten im Schiff.

Ein anderer in meiner Verfassung würde sich vielleicht in sein Schicksal gefügt und in vollem Ärger gestorben sein. Allein ich konnte den Gedanken nicht ertragen, auf eine so jämmerliche Art umzukommen, nachdem ich so manchen Sturm des widrigen Glücks überstanden hatte. Ohne mich an Oakums Gebot zu kehren, brachte ich es daher bei den Soldaten, deren Gewogenheit ich mir erworben hatte, dahin, daß sie meine Hängematte neben den ihrigen duldeten; und ich freute mich über diese tröstliche Aussicht nicht wenig. Kaum aber hatte Crampley dies wahrgenommen, als er dem Kapitän meldete, daß ich seine Befehle verachtete. Sofort erhielt er von ihm die Vollmacht, mich wieder nach meinem gewöhnlichen Aufenthalt hinunterzuweisen.

Über diese barbarische Rache ward ich gegen deren Urheber so aufgebracht, daß ich unter bitteren Verwünschungen das Gelübde tat, ihn, wenn es jemals in meiner Macht stünde, dafür zu strenger Rechenschaft zu ziehen. Diese Wallung meiner Lebensgeister trieb mein Fieber auf den höchsten Grad.

Indes ich in diesem höllischen Nest lag und nach Luft schnappte, besuchte mich ein Sergeant, dessen Nasenbein in dem letzten Gefecht durch einen Splitter stark beschädigt worden war und den ich glücklich kuriert hatte. Wie dieser Mann meinen Zustand erfuhr, bot er mir seine Schlafstelle auf dem Mitteldeck an, die mit Segeltuch behangen war und durch ein darin angebrachtes Bullauge Luft genug hatte. Voller Freude ergriff ich diesen Vorschlag und ließ mich sogleich nach diesem Ort hinbringen. Auch ward ich während meiner Krankheit äußerst sorgsam und zärtlich von diesem dankbaren Hellebardier behandelt, der während unserer Fahrt kein anderes Nachtlager hatte als einen Hühnerstall.

Ungeachtet ich mich jetzt an einem frischen, kühlen Lüftchen erquicken konnte, nahm mein Fieber dennoch immer mehr überhand, und man gab mich endlich verloren. Allein ich selbst hegte noch immer die Hoffnung, wieder aufzukommen, wiewohl ich zu meiner bitteren Kränkung aus dem Fenster meines Schlafzeltes Tag für Tag ein halbes Dutzend und mehr Leichname mußte über Bord werfen sehen, die an meiner Krankheit gestorben waren.

Diese Zuversicht trug, wie ich fest überzeugt bin, viel dazu bei, mein Leben zu erhalten, zumal ich noch einen anderen Entschluß ausführte, den ich beim Anfange meiner Krankheit gefaßt hatte, den nämlich, keine Arzneien zu gebrauchen. Denn ich war völlig der Meinung, sie wirkten in gleicher Richtung mit der Krankheit und beförderten nur die gänzliche Verderbnis der Lebenssäfte, statt ihr zu widerstehen. Wenn mir nun Freund Morgan schweißtreibende Mittel brachte, so nahm ich sie zwar in den Mund, schluckte sie aber nicht nieder und gab sie von mir, sowie er den Rücken gewandt hatte; überdies spülte ich meinen Mund mit Hafergrützbrühe aus. Um den Abkömmling des Caractacus nicht zu entrüsten, mußte ich mich so stellen, als ob ich sie einnähme, weil eine Weigerung dagegen Mißtrauen in seine Kenntnisse würde verraten haben. Es war mein einziger Arzt, denn Doktor Mackshane fragte gar nicht nach mir, ja wußte nicht einmal, wo ich lag.

Als meine Krankheit ihren Höhepunkt erreicht hatte, gab Morgan alle Hoffnung auf meine Genesung auf. Er legte mir als letzten Versuch ein blasenziehendes Pflaster in den Nacken, drückte mir die Hand und riet mir mit einem Jammergesicht, mich Gott und meinem Heiland zu empfehlen. Dann nahm er von mir Abschied und sagte, er würde mir den Prediger schicken, um mich mit Seelenarznei zu versorgen.

Ehe dieser kam, hatte ich mir die lästigen spanischen Fliegen vom Halse geschafft, die mir der Waliser aufgeheftet hatte. Der Geistliche fühlte an meinen Puls, erkundigte sich nach meinen Umständen, räusperte sich ein wenig und fing dann folgendergestalt mit salbungsvollster Stimme an:

»Es hat Gott nach seiner unendlichen Barmherzigkeit gefallen, Sie mit einer schweren Krankheit heimzusuchen, deren Ausgang niemand weiß. Vielleicht kommen Sie durch die Gnade des Höchsten wieder auf und wallen noch eine Zeitlang in diesem Jammertal; was aber weit wahrscheinlicher ist, so nimmt Gott Sie in der Blüte Ihrer Jahre in sein himmlisches Freudenreich. Daher ist es Ihre Schuldigkeit, sich zu diesem ernsten Schritt durch aufrichtige Reue über Ihre Sünden vorzubereiten. Diese können Sie nicht besser offenbaren als durch ein offenherziges Bekenntnis. Ich beschwöre Sie deshalb, dies ohne Zaudern und ohne Reservatio mentalis abzulegen. Sobald ich von Ihrer Aufrichtigkeit überzeugt bin, will ich Ihnen solchen Trost geben, wie Ihr Seelenzustand ihn zuläßt. Unstreitig haben Sie sich gegen Gottes Gebote unzählig oft auf die Art vergangen, wie die Jugend es zu tun pflegt, als durch Fluchen und Schwören, Trunkenheit, Hurerei und Ehebruch. Sagen Sie mir ohne Rückhalt, was Sie in den Stücken auf Ihrem Herzen haben, besonders in den beiden letzteren, damit ich ganz genau den Zustand Ihres Gewissens kennenlerne. Denn der Arzt kann seinem Patienten nicht eher etwas verschreiben, als bis er von dessen Krankheit genau unterrichtet ist.«

Da ich den Tod noch gar nicht fürchtete, so konnte ich nicht umhin, bei des Doktors inquisitormäßiger Ermahnung zu lächeln. Ich sagte ihm, sie schmecke mehr nach der römisch-katholischen als nach der protestantischen Kirche, indem sie die Ohrenbeichte empfehle, die nach meinem Dafürhalten zum Seelenheil nicht notwendig sei und wozu ich mich sonach nicht bequemen würde.

Diese Antwort setzte ihn auf einen Augenblick außer Fassung. Allein er nahm sich gleich wieder zusammen und erklärte seine Meinung, indem er gelehrte Unterscheidungen zwischen dem machte, was absolut notwendig, und dem, was bloß zuträglich sei. Dann fragte er mich, zu welcher Religion ich mich bekenne. Ich antwortete ihm, ich hätte bis jetzt noch keine ernsten Betrachtungen über den Unterschied der Religionen angestellt, mithin mich noch für keine entschieden, allein erzogen sei ich als Presbyterianer. Darüber bezeigte der Schiffsprediger großes Erstaunen und sagte, er begriffe gar nicht, wie ein Mensch von dieser Sekte unter der englischen Regierung einen Posten bekommen könnte. Hierauf fragte er mich, ob ich getauft oder gefirmelt worden sei.

Auf beide Fragen antwortete ich: »Nein.« Er hob nun die Hände gen Himmel, versicherte, er könne bei so bewandten Umständen mir nicht dienen; wünschte, ich möchte nicht vor Gottes Angesicht verworfen werden, und kehrte wieder zu seiner Tischgesellschaft zurück, die sich im Wachtzimmer bei einem Tisch recht lustig machte, der mit Bumbo und Wein wohl versehen war.

So fürchterlich seine Voraussagung auch klang, so machte sie doch keinen solchen Eindruck auf mich wie das Fieber, das, als der Geistliche fort war, ganz gewaltig überhandnahm. Ich bildete mir lauter seltsame Wahnbilder ein und schloß endlich selbst, daß ich auf dem Punkt stände, wahnwitzig zu werden. Mir war, als wenn ich ersticken sollte, und ich sprang in einem Anfall von Raserei auf, um mich ins Meer zu stürzen. Dies hätte ich auch gewiß getan, da mein Freund, der Sergeant, nicht da war, hätte ich nicht, wie ich aus meiner Hängematte herauswollte, einige Feuchtigkeit an meinen Schenkeln bemerkt. Dadurch lebte meine Hoffnung wieder auf. Ich hatte Besonnenheit genug, dieses günstige Symptom zu nutzen, Hemd und Bettücher von mir zu werfen und mich in eine dicke Decke zu wickeln, die mir zur Hand lag. Ungefähr eine Viertelstunde litt ich in dieser Umhüllung Höllenschmerzen. Darauf wurde ich für meine Leiden durch einen reichlichen Schweiß belohnt, der aus meinem ganzen Körper hervorbrach. In weniger als zwei Stunden fand ich mich von meinen Beschwerden bis auf eine ungemeine Mattigkeit völlig hergestellt. Ich war sogar schon hungrig wie ein Wolf. Alsdann fiel ich in einen Schlummer, der mich sehr stärkte. Als ich erwachte, labte ich mich an anmutigen Träumen künftiger Glückseligkeit.

Jetzt hörte ich Morgan an der Außenseite der Gardine. Er fragte den Sergeanten, ob ich noch lebe. »Er nicht leben?« versetzte der andere. »Davor behüt uns Gott! Hat Ihnen ganze fünf Stunden ruhig auf einem Fleck gelegen. Hab ihn nicht stören wollen, denn der Schlaf wird ihm ausgezeichnet bekommen.«

»Ach«, sagte mein Kollege, »er schläft so fest, seht Ihr, daß er nicht eher erwachen wird, als bis die große Posaune geblasen wird. Gott sei seiner armen Seele gnädig! Er hat der Natur seine Schuld gezahlt wie ein ehrlicher Kerl. Überdies hat er nun Ruhe vor allen Verfolgungen, Mühsalen und Quälereien, wovon er, weiß Gott, sein gut Teil gehabt hat. Schade, schade um ihn. Er war ein vielversprechender junger Mann.«

Bei diesen Worten seufzte er fürchterlich und weinte dermaßen, daß ich überzeugt wurde, er hege wahre Freundschaft für mich. Der Sergeant ward durch diese Worte beunruhigt und kam in meinen Verschlag. Ich lächelte, wie er mich ansah, und gab ihm einen Wink. Er verstand sogleich meine Meinung und war still. Morgan wurde in seinem Wahn, daß ich tot sei, bestärkt. Daher nahte er sich mir mit Tränen in den Augen, um seiner Betrübnis beim Anblick des Gegenstandes derselben nachzuhängen.

Ich spielte den Toten gar gut, indem ich die Augen recht starr machte und den unteren Kinnbacken hängen ließ. »Da liegt er«, rief er aus, »und ist nicht besser als ein Klumpen Erde. Gott steh mir bei!« Aus meinen verzerrten Mienen schloß er, ich müsse einen harten Todeskampf gehabt haben. Als er mir den letzten Freundschaftsdienst erweisen und mir Augen und Mund zudrücken wollte, war ich nicht imstande, länger an mich zu halten, und schnappte plötzlich nach seinen Fingern. Dadurch geriet er so außer Fassung, daß er zurücksprang und, aschbleich und völlig erstarrt, ein Bild des Schreckens bot. Anfänglich konnte ich zwar nicht umhin, über diesen Anblick zu lachen, allein gleich darauf jammerte mich sein Zustand. Ich streckte meine Hand nach ihm aus und sagte, ich hoffte, noch länger zu leben und in England Salmagundi von seiner Hand zu essen.

Es dauerte noch einige Zeit, ehe der Waliser sich so weit erholt hatte, daß er mir den Puls fühlen und sich nach meinem Zustand erkundigen konnte. Als er aber fand, daß ich eine günstige Krise überstanden habe, wünschte er mir dazu von Herzen Glück. Er ermangelte nicht, diese Revolution nächst Gott dem Pflaster zuzuschreiben, das er mir beim letzten Besuch auf den Rücken gelegt habe. »Es muß«, setzte er hinzu, »nun abgenommen und die Wunde verbunden werden.«

Eben war er im Begriff, fortzugehen und Verbandzeug zu holen, als ich den Erstaunten spielte und sagte: »Je der Daus! Sie haben mir kein Pflaster aufgelegt. Es ist fürwahr keins auf meinem Rücken.« Davon ließ er sich nicht eher überreden, als bis er den Ort besichtigt hatte. Es wurde ihm schwer, seine Bestürzung zu verbergen, als er die Haut unverletzt und kein Pflaster darauf fand. Um mich nun bei ihm zu entschuldigen, daß ich mich an seine Verordnungen so wenig kehrte, gab ich vor, ich hätte von dem Auflegen seines Pflasters nichts empfunden und müsse es in einem Anfall von Raserei heruntergerissen haben. Diese Rechtfertigung genügte meinem Freund, und dies war das erstemal, wo ich ihn von seiner Empfindlichkeit in bezug auf seine Mittel, auf die er so steif und fest hielt, abgehen sah.

Sowie wir wohlbehalten in Jamaika angekommen waren, wo ich frischen Mundvorrat und andere Erfrischungen bekommen konnte, nahmen meine Kräfte täglich zu. In kurzem waren sie samt meiner Gesundheit gänzlich wiederhergestellt.

Als ich zuerst mich aufmachte und mit dem Stock in der Hand auf dem Deck herumkroch, begegnete ich dem Doktor Mackshane, der mit einem verächtlichen Blick bei mir vorüberging und mich nicht der Ehre würdigte, mir ein einziges Wort zu sagen. Nach ihm stieß ich auf Crampley, der mit wildem Blick auf mich losging und sagte: »Mein' Seel, 'ne saubre Mannszucht hier an Bord, wenn solche faulen Hundesöhne wir Ihr, unter dem Vorwand einer Krankheit, nach Herzenslust herumlungern dürfen, indes brave Leute sich placken und quälen müssen.«

Der Anblick und das Benehmen dieses boshaften Buben machten mich so wild, daß ich mich kaum enthalten konnte, mit meinem Stock seine Hirnschale zu begrüßen. Da ich aber bedachte, wie schwach ich noch war und wie viele Feinde ich noch an Bord hatte, die nur auf einen Vorwand lauerten, um mich ins Verderben zu stürzen, so unterdrückte ich meinen Zorn und begnügte mich, ihm zu sagen, ich hätte seinen Übermut und seine Bosheit noch nicht vergessen und hoffte, wir würden uns wohl noch einmal auf dem Lande treffen. Zu dieser Erklärung grinste er, ballte seine Hände und schwor, ihn verlange nach nichts mehr als nach einer solchen Gelegenheit.

Inzwischen kam der Befehl, unser Schiff solle mit Lebensmitteln und Wasser versehen werden, um seinen Rückweg nach England anzutreten. Unser Kapitän, der diese oder jene Ursache haben mochte, weshalb er es nicht für ratsam hielt, sein Vaterland um diese Zeit wiederzusehen, traf mit einem anderen Herrn einen Tausch. Dieser wünschte seinerseits nichts mehr, als wohlbehalten aus diesen heißen Gegenden zu kommen. Denn trotz aller zärtlichen Sorgfalt für seine Person war er doch nicht imstande, seine Farbe gegen die Angriffe der Sonne und des Wetters zu schützen.

Nachdem unser Tyrann das Schiff verlassen und seinen Liebling, Mackshane, zu meiner unaussprechlichen Zufriedenheit mit sich genommen hatte, kam unser neuer Kommandeur, von einem großen Sonnenschirm überschattet, in einem zehnrudrigen Boot an Bord.

Dieser Herr bildete den vollkommensten Gegensatz zu Oakum. Er war lang, mager, jung und angezogen wie folgt: Ein weißer Hut mit einer roten Feder schmückte sein Haupt; das Haar floß, in Locken geringelt, auf seine Schultern herab und war hinten mit einem Bande gebunden. Sein Rock von rosenfarbenem Seidenzeug, mit weißem Taft gefüttert, hatte einen so zierlichen Ausschnitt, daß eine weißatlassene, mit Gold gestickte Weste sich in ihrem vollen Glanze zeigte. Diese war oberwärts aufgeknöpft, um eine Busennadel zu entdecken, die mit Granaten besetzt war. Sie schimmerte an einem feinsten Batisthemd, das von echten belgischen Spitzen prangte. Seine karmesinsamtnen Beinkleider gingen kaum so tief herunter, daß sie seine weißseidnen Strümpfe berührten, die auf seinen dürren Beinen weder Falte noch Runzel warfen. Auf seinen Schuhen von blauem Saffianleder glänzten diamantene Schnallen, welche fast die Sonne überstrahlten. Ein Degen mit einem stählernen, goldausgelegten Griff, den ein Band umschlang, das mit einem reichen Quast endigte, zierte seine Seite. Ein spanisches Rohr mit einem bernsteinenen Knopf baumelte am Handgelenk.

Die merkwürdigsten Stücke seines Anzuges waren unstreitig die Maske, die er vor dem Gesicht, und die weißen Handschuhe, die er anhatte. Diese schien er bei gar keiner Gelegenheit abziehen zu wollen, indem sie durch einen merkwürdigen Ring an dem kleinen Finger jeder Hand befestigt waren.

In diesem Aufzuge nahm Kapitän Whiffle (so hieß er) von dem Schiff Besitz. Er war von Begleitern in Menge umgeben, die alle in verschiedenen Abstufungen gleichen Geschmack mit ihrem hohen Gönner verrieten. Sie erfüllten insgesamt die Luft mit solchen Wohlgerüchen, daß man mit Fug behaupten konnte, die Luft im glücklichen Arabien sei nicht halb so süß.

Mein Amtsgehilfe bemerkte, daß unter diesem Gefolge kein Oberwundarzt sei. Diese günstige Gelegenheit glaubte er nicht vorbeischlüpfen lassen zu dürfen. Ihm fiel das alte Sprichwort ein: Wer nicht wagt, gewinnt nicht; und daher beschloß er, sich sogleich an unseren neuen Befehlshaber zu wenden, ehe ein anderer Oberchirurgus für dies Schiff bestellt würde.

In der Absicht begab er sich nach der Kajüte, und zwar in seinem gewöhnlichen Staat, der aus einem karierten Hemd, Pumphosen, einer braunleinenen Weste und einer Nachtmütze von ebendem Zeuge bestand. Dies alles war eben nicht allzu rein und roch, zu seinem noch größeren Unglück, stark nach Tabak.

Da er ohne alle Zeremonie in diesen heiligen Ort eingetreten war, so fand er den Kapitän Whiffle auf dem Ruhebett. Er hatte eine feinzitzne Decke um seinen Leib geschlagen und eine musselinene, mit Spitzen besetzte Nachtmütze auf dem Kopf. Nach vielen tiefen Verbeugungen begann der Waliser auf folgende Art: »Sir, ich hoffe, Sie werden die Dreistigkeit entschuldigen, verzeihen und vergeben, mit der sich Ihnen ein Mann aufdrängt, der nicht die Ehre hat, Ihnen bekannt zu sein. Dessenungeachtet ist dieser als Gentleman geboren und erzogen und hat – Gott sei ihm gnädig – viel Unglück auf der Welt gehabt.«

Hier unterbrach ihn Whiffle, der bei seinem Anblick voller Erstaunen über eine so neue Erscheinung aufgesprungen war. Er hatte sich jetzt von seinem Schreck erholt und fragte mit einem Ton und Blick, der Ekel, Neugier und Befremden zugleich ausdrückte: »Potz alle Welt! wer seid Ihr?«

»Ich bin erster Unterchirurgus an Bord dieses Schiffes«, erwiderte Morgan, »und erlaube mir, Sie auf das untertänigste zu bitten, die Güte zu haben, sich nach meinem Charakter, Betragen und meinen Verdiensten auf diesem Schiff zu erkundigen. Sie werden mir, so hoffe ich zu Gott, Anspruch auf die erledigte Oberchirurgenstelle geben.«

Mit diesen Worten rückte er immer näher auf den Kapitän zu. Kaum waren dessen Nasenlöcher von dem kräftigen Geruch begrüßt worden, der von jenem ausging, als er mit vielem Affekt zu rufen begann: »Ach, behüte mich der Himmel! Ich muß noch ersticken. – Pack dich fort, Kerl! Pack dich! – Daß du verdammt würdest! – Ich werde vor Gestank noch sterben.«

Über dieses Geschrei kamen seine Bedienten hereingestürzt, die er folgendermaßen empfing: »Ihr Schurken! Ihr Mordgehilfen! Ihr Verräter ihr! Ich bin durch euch höchst unglücklich aufgeopfert worden! – Wollt ihr nicht das Ungeheuer fortschaffen? Oder soll ich durch seinen Gestank ersticken?«

Mit diesen Ausrufen sank er ohnmächtig auf sein Ruhebett hin. Sein Kammerdiener hielt ihm ein Riechfläschchen vor, der eine Bediente rieb ihm die Schläfen mit Ungarischem Wasser, ein anderer sprengte den Boden mit Lavendelgeist, und ein dritter stieß meinen Kollegen zur Kajüte hinaus.

Dieser kam zu mir, setzte sich sehr mürrisch nieder und begann, seinem Brauch gemäß, wenn ihn jemand schnöde behandelt hatte, an dem er sich nicht rächen durfte, ein walisisches Liedchen zu singen. Ich mutmaßte, daß seine Lebensgeister in Wallung geraten wären, und bat ihn, mir die Veranlassung davon zu sagen. Statt mir aber darauf gerade zu antworten, fragte er: »Halten Sie mich für ein Ungeheuer und einen Stinktopf?« – »Ungeheuer? Stinktopf?« fragte ich verwundert, »hat Sie denn jemand so genannt?« – »Gott ist mein Zeuge«, versetzte er, »daß Kapitän Whiffle mich beides genannt hat; alles Wasser aus der Themse ist nicht imstande, das aus meinem Gedächtnis fortzuspülen. Ich versichere, behaupte und bleibe dabei mit meiner Seele, mit meinem Körper und meinem Blut, seht Ihr, daß ich keine anderen Gerüche an mir habe, als die jeder Christenmensch haben muß, ausgenommen den Dunst von Tabak, der ein stärkendes, wohlriechendes, aromatisches Kraut ist. Und wer darüber etwas sagt, der ist ein Ziegenbock. Was nun das Ungeheuer anbelangt, so sei dem, wie ihm wolle. Ich bin so, wie es Gott gefallen hat, mich zu schaffen. Und vielleicht bin ich noch etwas besser als der, der mir diesen Titel gab; denn ich will vor aller Welt behaupten, daß er verkleidet, verstellt und verwandelt ist durch affektiertes und affiges Benehmen und daß er mehr einem Pavian als einem Menschenkind ähnlich sieht.«


 << zurück weiter >>