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1895
»Um sie kein Ort, noch wen'ger eine Zeit.«
Der Reiz der Sommermittagstunde liegt darin, daß das Schlafen und Unbewegtsein um uns herum auch uns selbst einwiegt und ruht; es ist die Natur in uns, die das Schicksal alles Natürlichen zu dieser Stunde miterlebt, miterruht. Und nun zugleich doch die Empfindung des eigenen Lebendigseins, des schlagenden, fühlenden, auf und ab schwingenden Herzens über all dieser Ruhe der Natur. Der große Pan schläft, und so schlafen auch wir, mit und in ihm, – und doch sind wir ein Genießendes, ein Subjekt gegenüber all diesem Objektiven. Das ist die Stimmung, die wir aus Böcklins Landschaften schöpfen. Indem sie die Seele in innigste Verwandtschaft mit diesem natürlichen Sein, mit Pflanzen und Tieren, mit Erde und Licht einweben, entfesseln sie sie doch ihm gegenüber zum Gefühl der Persönlichkeit mit all ihrer Seele und ihrer Freiheit, von der jene bloß angeschaute Welt nichts weiß, zu dem lebendigen, pochenden Ich, das in seiner Einheit alles das einschlürft, was die Natur im bloßen Nebeneinander ausbreitet, und so seinen geheimen Gegensatz an der Natur findet, mit der es noch soeben zu verschmelzen schien. Nicht soeben; zugleich ist Beides, und in dieser Spannung, in dieser Oszillierung, in diesem Ineinander von Bindung und Befreiung gegenüber der Natur im Raume erzeugt sich der Gefühlston seiner Landschaften. Es ist, als hätte sich mit ihnen ein Stück jener ursprünglichen Einheit der Dinge in die Erscheinung hineingerettet, aus der sich der bewußte Geist und die unbewußte Natur erst, nach entgegengesetzten Seiten hin, entwickelt haben, und als bemühte sich die Seele, zwischen beiden Polen hin- und herbewegt, sie wieder zu der verlorenen Einheit zusammenzuknüpfen.
Spinoza verlangt von dem Philosophen, daß er die Dinge sub spezie aeternitatis betrachte, das heißt: rein nach ihrer inneren Notwendigkeit und Bedeutsamkeit, losgebunden von der Zufälligkeit ihres Hier und Jetzt. Wenn man eine Leistung des Gefühles mit denselben Worten deuten darf, wie die des Verstandes, so wirken Böcklins Bilder, als ob wir ihren Inhalt, in die Sphäre solcher Zeitlosigkeit versetzt, anschauten; als ob der reine ideelle Gehalt der Dinge, gelöst von jeder historischen Augenblicklichkeit, jeder Beziehung auf ein Vorher und Nachher, vor uns stände. Alles ist wie in den Augenblicken des Sommermittags, wo die Natur den Atem anhält, wo der Zeitverlauf gerinnt. Es ist nicht die Ewigkeit im Sinne einer unermeßlichen Dauer, also nicht Ewigkeit im religiösen Sinne, in deren Sphäre wir uns hier fühlen; sondern einfach das Aufhören der zeitlichen Beziehungen, wie wir ein Naturgesetz ewig nennen, nicht weil es schon so lange besteht, sondern weil seine Geltung mit der Frage des Früher oder Später überhaupt nichts zu tun hat; eine Unberührtheit durch Vergangenheit und Zukunft ist die Zeitlosigkeit, in die uns Böcklin trägt, – dieselbe, mit der wir den Eindruck süditalienischer Landschaften manchmal deuten können und die dort wohl aus der Geringfügigkeit der Temperatur und Vegetationsunterschiede des Jahres entsteht. Mit der deutschen Landschaft schwebt, als Reiz, Verlangen, Erinnerung, ihr Gegenbild mit, der Sommer mit dem Winter, der Herbst mit dem Frühling, sie wird als ein Moment einer Reihe unabänderlicher Veränderungen empfunden. Böcklins Bäume machen nicht den Eindruck von solchen, die zu anderer Jahreszeit weniger oder mehr Laub haben, die ergrünen oder abblättern; der Moment, in dem er sie darstellt, mag es ihr erstes Knospen, ihre Mittagshöhe oder ihr herbstliches Vergehen sein, ist ihre Ewigkeit. Die Ruinen, die er malt, erinnern nie an das, was sie vor ihrem Zusammenbruch und ihrer Verwitterung waren. Sint ut sunt aut non sint. In der Unwirklichkeit seiner Fabelwesen kommt diese Überzeitlichkeit seiner Anschauungen, dieser Gegensatz zu Allem, was man im weitesten Sinne historisch nennen könnte, nur zum schnellsten Ausdruck.
Wenn es dennoch irgend eine zeitartige Bestimmung für ihn geben soll, so ist es: Jugend. Denn unter allen Lebensaltern nähert sich die Jugend in ihrem Empfinden am meisten der Zeitlosigkeit, weil sie die Bedeutung der Zeit noch nicht kennt, weil sie mit dieser als mit einer Macht und einer Grenze noch nicht rechnet. Darum ist die Jugend so eminent unhistorisch, sie mißt die Dinge am Unendlichen, gelöst von den einschränkenden Bedingungen zeitlicher Wirklichkeit; sie allein kennt jene schwellenden, übergreifenden Tage, in denen man alle Vergangenheit noch zu erhoffen, alles Zukunftsglückes sich schon zu erinnern glaubt: Das ist die Stimmung Böcklinischer Landschaft.
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Man könnte neben der Unzeitlichkeit sogar von einer Unräumlichkeit seiner Landschaft sprechen. Sonst erscheint in Landschaften der Raum als die zusammenhaltende Form des Ganzen, als das Schema, das allen Inhalt in sich zwingt und nach sich bestimmt; der entschieden gegliederte Raum, die Raumgestalt würde bleiben, auch wenn der ganze stoffliche, farbige Inhalt verschwände; und große Landschafter haben gerade diesen logischen Zwang des Raumes, diese Selbständigkeit seiner Gestaltung zu betontem Ausdruck gebracht und von ihm als festgehaltenem Interessenzentrum aus das Ganze der Landschaft aufgebaut. Diese Gewalt der räumlichen Form über den Inhalt des Landschaftsbildes ist bei Böcklin völlig verschwunden. In dem Empfindungskomplex, den seine Landschaften auslösen, spielt das räumliche Schema keine dynamische Rolle. Kant sagt einmal, der Raum wäre nichts, als die Möglichkeit des Nebeneinanderseins der Dinge. So erscheint er bei Böcklin im Gegensatz zu den »klassischen« Landschaften: die bloß äußerliche Art, wie die Dinge neben einander stehen, das an sich nichtige Medium und die bloße »Möglichkeit«, innerhalb deren sie ihre inneren wesentlichen Beziehungen zu anschaulichem Ausdruck bringen können. Wie unsere Gefühle, Liebe und Haß, Freude und Schmerz, zwar innerhalb des Raumes sich abspielen, als seelische, intensive Vorgänge aber nichts vom Raume wissen, auf den sie erst sozusagen nachträglich bezogen werden, so stehen Böcklins Landschaften in ihrem Stimmungseffekt, ihrem wirkenden Wesen, jenseits der drei Dimensionen des Raumes, wie sie jenseits der einen Dimension der Zeit stehen.
Diese Entrücktheit aus allen bloßen Relationen, allem Bedingten, aller Bindung und Begrenzung durch ein Außerhalb, trägt das Gefühl von Freiheit, das wir seinen Bildern gegenüber genießen, das Auftauchen, Aufathmen, Abschütteln alles Druckes, mit dem die Bedingtheiten und Rücksichten, die Nah- und Fernwirkungen des Lebens uns niederhalten. Gewiß ist diese lösende, erlösende Wirkung nicht ihm allein, sondern jeder höheren Kunst überhaupt eigen. Allein ich glaube nicht, daß man sie einem anderen Landschafter gegenüber in dieser Stärke und Reinheit empfindet. Wer ein Kunstwerk aus Menschen bildet, entfernt sich, mehr oder weniger bewußt, von der Unmittelbarkeit, dem Wechsel, der Zufälligkeit des einzelnen gegebenen Momentes; auch dem sogenannten Realisten gegenüber empfinden wir, daß er uns von der gemeinen Realität des Menschen entfernt, – man wüßte sonst nicht, welches Interesse diese Noch-einmal-Wirklichkeit auf der Leinwand hätte, da wir doch an der einen schon reichlich genug haben. Der Prozess der Erhebung, der Katharsis, der Abstraktion, wirkt beim Menschenbildnis mit großer Sicherheit und Deutlichkeit, weil wir hier dasjenige gut kennen, über das es sich eben erhebt, von dem es uns erlöst. Wir wissen zu genau die Äußerlichkeit, Vergänglichkeit, Unentwickeltheit der menschlichen Wirklichkeit, um nicht ihre Idealisierung – wenn ich der Kürze halber das fragwürdige Wort brauchen darf – als Befreiung und erlösenden Aufschwung zu empfinden. Dieses Bedürfnis, das zur künstlerischen Darstellung des Menschlichen treibt, ist der untermenschlichen Natur gegenüber im allgemeinen nicht vorhanden. Sie, von der wir nicht eben so viel verlangen, wie vom Menschen, bleibt auch nicht so weit dahinter zurück; weil wir nicht ihre Sprache sprechen und sie nicht zu deuten wissen, wie den Menschen, erscheint sie uns auch nicht so der Idealisierung fähig, nicht so bedürftig der Erlösung durch die Kunst, wie jener. Die Landschaft enthält vielmehr schon in ihrer unmittelbaren Wirklichkeit ein der Kunst verwandtes Element von Selbstgenugsamkeit und Unberührtheit, durch das sie uns innerlich befreit, unsere Spannungen löst, uns über die Befangenheit im momentanen Schicksal hinaus erweitert, – wie denn das Naturwesen in viel höherem Maße als der Mensch schon an und für sich ein Typus seiner Art ist. So verlangt es uns der Landschaft gegenüber weniger nach künstlerischer Darstellung, und wo diese geleistet wird, hebt und befreit sie uns nicht in dem Maaße, wie es die Darstellung des Menschen vermöge der ungeheuren Distanz tut, die zwischen ihrer Höhe und der Wirklichkeit des Lebens liegt. Weil das Böcklin dennoch gelingt – wir treten mit ihm in eine freie, erlösende Luft, eine reinlichste Zelle, fühlen uns mit sicherem Schwunge über die dumpfe Wirklichkeit der Dinge hochgetragen, – hat er mit der Landschaft jene psychologische Wirkung erreicht, die sonst nur dem Bildnis menschlichen Seins zukam. Freilich auch Poussin und Claude Lorrain haben an der Landschaft den Abstraktions- und Idealisierungsprozeß vorgenommen, der gleichsam ihren Ideengehalt rein zum Ausdruck bringt und von der Einzelnheit und Greifbarkeit des Wirklichen sich bewußt abwendet. Allein sie haben diesen Gewinn mit dem Verlust jeglicher Intimität ihrer Landschaften bezahlt. Sie heben uns allerdings über die Wirklichkeit hinaus, aber in den luftleeren Raum, während Böcklin uns in die Tiefen unseres innersten Herzens erhebt. Die Erlösung und Befreiung von der Enge und Dumpfheit der Wirklichkeit hat erst in seinen Landschaften eigentlichen Gefühlswert erworben.
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Hätte das Prisma Sehkraft, so würde ihm das weiße Licht versagt sein, das es vielmehr nur in seinen gesonderten Bestandteilen aufnehmen könnte; die innere Einheit, in der diese für eine andere Anschauungsweise existieren, könnte es nur ahnen, aber für die Erkenntnis wäre es ewig auf die nachträgliche Kombination der Elemente angewiesen, in die es, seiner Konstitution folgend, jene Einheit erst zerlegt hat. Das ist das Loos unseres geistigen Auges, und nicht einmal dem menschlichen Tun und dem eigenen Gemüte, den Eindrücken und Empfindungen gegenüber ist ihm ein Verständnis anders gewährt, als daß es sie als gemischt aus mehreren Gefühlselementen begriffe, während wir doch von ihrer Einheitlichkeit innerlichst durchdrungen sind. Mit widerspruchsvollen, eigentlich einander ausschließenden Eigenschaften beschreiben wir, was wir doch als unmittelbar Eines, als gegenseitiges Durchdringen jener Elemente fühlen, und wenn der tiefsinnige mittelalterliche Philosoph die höchste göttliche Einheit als die coincidentia oppositorum ansprach, als das, worin alle Gegensätze der Dinge sich treffen und einen, so wird man auch die Einheit des Menschenwerkes und seiner Wirkung oft nicht anders ausdrücken können, als daß man sich widersprechende Elemente in ihr begegnen läßt. Ich wüßte die in sich völlig einheitliche Stimmung der meisten Böcklinischen Landschaften nicht anders zu bezeichnen, denn als lebensfreudige Melancholie, wie man umgekehrt die Stimmung Chopins als melancholische Lebensfreude charakterisieren könnte.
Uns modernen Menschen, deren Leben, Empfinden, Wertschätzen, Wollen in unzählige Gegensätze auseinander gegangen ist, die beständig zwischen einem Ja oder Nein, einem Ja und Nein stehen und ihr Innenleben ebenso wie die Welt außer sich in scharf differenzierte Kategorien fassen: uns erscheint es als ein Wesentliches jeder großen Kunst, daß sie Gegensätze vereine, unberührt von der Notwendigkeit eines Entweder-Oder. So sehen wir in der Praxis der Gegenwart in der Regel jeden Menschen darauf an, ob er klug oder dumm ist. Der Intellekt ist eine Kategorie, auf die hin wir jeden prüfen, ob sie ihn ein- oder ausschließt, und auch in dem Eindruck, den die künstlerische Darstellung eines modernen Menschen auf uns macht, wirkt die Erscheinung seiner Intellektualität bestimmend mit. Dagegen stehen etwa die Gestalten der griechischen Plastik jenseits dieses Gegensatzes; wir machen uns nicht klar, ob sie klug oder dumm sind, wir finden sie hierin dem Ja und dem Nein gleichmäßig, ich möchte sagen gleichgültig gegenüber. So entziehen sich viele weibliche Aktfiguren der Antike der Kategorie Mädchen oder Frau, – sie sind unberührt durch diesen Gegensatz, in den das moderne Empfinden jede weibliche Gestalt zuvörderst stellt. So stehen die weiblichen Figuren Michelangelos gewissermaßen jenseits von Männlich und Weiblich, sie stellen eine bloße Menschlichkeit dar, die in die Differenzierung der Geschlechter noch nicht eingetaucht ist oder sich über sie hinausgerungen hat. Böcklins Kunst zeigt ein neues jenseits: von Wahr und Unwahr. Die Frage, mit der wir sonst an jede Darstellung von Objektivem herantreten: deckt sie sich mit der Wirklichkeit oder nicht? verstummt ihm gegenüber. Nicht eine bewußte Abkehr von der Wahrheit wirkt in ihm, keine Flucht vor der gemeinen Wirklichkeit der Dinge; der Reiz solchen Verhaltens, der Opposition gegen das Reale, sei nicht geleugnet, und Schiller hat mit seiner Verherrlichung dessen, was sich nie und nimmer hat begeben, diesem scheuen Idealismus, der nur von der Wirklichkeit wegsehen, der wissend nicht wissen will, sein Denkmal gesetzt. Allein diese Verneinung des Wirklichen ist immerhin ein positives Verhältnis zu ihm, ebenso wie es der Realismus hat, nur mit umgekehrtem Vorzeichen. Böcklin gegenüber aber ist die Alternative: realistisch oder nicht realistisch? überhaupt falsch gestellt. Auf die Frage, ob sie nur in einem Geiste leben oder ein Gegenbild in der Wirklichkeit haben, antworten seine Werke so wenig, wie wenn man den Ton fragen wollte, ob er schwarz oder weiß ist. Unzählige von den Farben, Formen, Wesen, die Böcklin uns zeigt, hat es sicher niemals gegeben und keine innere Wiedergeburt anschaulicher Erfahrungen trägt ihre Bedeutung für unser Empfinden.
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Es gehört zu der inneren Geschlossenheit, dem völligen Verzicht auf ein Hinausweisen des Gefühles über sich hinweg, daß seine Landschaften, mehr als alle anderen, von denen ich weiß, Einsamkeiten sind. Auch hier nicht das bewußte, als Absicht hervortretende Abweisen des Draußenliegenden, das doch immer eine Rücksicht darauf, wenn auch eine verneinende, ist. Daß diese Wiesen und Schluchten, diese Wälder und Gestade von anderen Menschen belebt wären, als er etwa selbst hineinsetzt, kommt gar nicht in Frage; jede liegt in einer Dimension für sich, in die man also überhaupt aus anderen Dimensionen nicht gelangen kann, wie weit man auch in diesen wandere. Ihre Einsamkeit ist nicht, wie bei anderen Landschaften, ein zufälliges So-sein, das zufällig auch einmal anders sein könnte, sondern eine innere, wesentliche, unlösbar mit ihnen verknüpfte Eigenschaft. Sie sind wie jene Menschen, deren unwandelbares, ihrer Natur eingeprägtes Schicksal es ist, »einsam« zu sein. Die Einsamkeit verliert hier ihren bloß negativen, ausschließenden Charakter; sie ist eine aus sich selbst erkennbare Tönung dieser Landschaften, auf die wir nur, weil uns ein unmittelbar verständlicher Ausdruck dafür fehlt, mit dem Verneinungsworte Einsamkeit hinweisen können.
In dieser Selbstgenugsamkeit seiner Kunst liegt vielleicht der Grund, weshalb wir die Wunderlichkeiten und zeichnerischen Unvollkommenheiten seiner Figuren weniger peinlich empfinden, als wir es irgend einem anderen gegenüber täten. Sie sind eben »sich selbst ein Gesetz«. Seine Welt hält alles, was außerhalb ihres Rahmens liegt, in solcher Distanz, daß man sie und dieses Andere gleichsam nicht in einen Blick einfassen kann und so die Kontrolle des Einen am Andern weniger selbstverständlich als sonst vollzieht. In dieser – wenigstens für das unmittelbare Gefühl – völligen Aufhebung aller Bezugnahme auf alles Draußen berührt sich die Böcklinische Kunst mit der Musik. Auch sie hat zwar sicher, wie jene, die Wurzeln ihrer Kraft in greifbaren Wirklichkeiten und den unmittelbaren Empfindungen, die sich an diese knüpfen; aber wie jene hat auch sie die Bezugnahme darauf völlig gelöst und schwebt nun in einer Gefühlshöhe, die durch keine begreifbare Vermittlung mehr mit den Wahrnehmungs- und Empfindungstatsachen verbunden ist, deren feinste Sublimirung sie schließlich doch nur darstellt. Niemand kann die Wege mehr nachzeichnen, auf denen unser Gefühlsvermögen von der primitiven Sinnlichkeit und Niedrigkeit seiner Erregungsgründe zu dem Genuß der höchstentwickelten Musik aufgestiegen ist, der scheinbar jeden Verbindungsfaden mit der sinnlichen Wirklichkeit des Lebens abgeschnitten hat. Als ein so ungeheures Geheimnis steht dieses abgelöste Für-sich-sein der Musik da, daß man es begreift, wie Schopenhauer sie völlig aus der Reihe des Erklärbaren, ja der Künste überhaupt herausnehmen und sie zum unmittelbaren Spiegel und Ausdruck des metaphysischen Wesens der Welt machen konnte. Vielleicht hat niemals eine andere Kunst vor Böcklin so nahe an dieses rätselhafte Wesen der Musik herangereicht, das sie, wie Schopenhauer sagt, als ein so ganz vertrautes und doch ewig fremdes Paradies an uns vorüberziehen läßt. Niemals vielleicht außer in der Musik hat die Stimmung so sehr ihre Materie verzehrt. Wo sonst ein Gefühl von anschaulichen Gebilden getragen wird, da sind diese doch noch Etwas für sich, sie haben noch eine greifbare Existenz und Sinn jenseits der Stimmung, die uns aus ihnen entgegenkommt. Nur für die Musik ist diese Selbständigkeit des Stoffes verschwunden; hier drückt er nichts mehr aus, was noch von ihm trennbar wäre, neben dem er eine Existenz, wenn auch nur als Erdenrest, führte. Diese Zweiheit hat die Musik überwunden, sie ist nicht mehr ein Ausdrückendes und ein Ausgedrücktes, sondern sie ist ganz und gar nur Ausdruck, nur Sinn, nur Stimmung. Und so wenig man sie deshalb, in dem Sinn anderer Künste, nach ihrer Wahrheit fragen kann, so wenig kann an Böcklins Landschaften diese Frage gestellt werden. Denn diese Quellen und Felsen, diese Haine und Wiesen, ja diese Tiere und Halbtiere und Menschen haben kein Sein, keine Wirklichkeit weiter, außer als Träger einer Stimmung, sie sind völlig in diese eingegangen, wie der Brennstoff in die Flamme, und neben ihr haben sie nichts, was an einer Wirklichkeit außer ihr meßbar wäre. So leben sie, wie in uns das Bild eines geliebten, lange dahingegangenen Menschen, das längst jeden Schatten einer Wirklichkeit abgestreift hat und restlos in dem Gefühl aufgeht, mit dem es uns erfüllt.