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Fünfzehnte Vorlesung.

Unter den Geistern, in denen die Wendungen der inneren Weltgeschichte begründet sind, ist vielleicht keiner, der sich gegen die Bezeichnung als Genie so energisch gewehrt hätte wie Kant. Seine bis zur Pedanterie exakte Wesensart, die ängstliche Strenge schulgerechten Denkens läßt ihm die rasche Kühnheit und Freiheit des Genies als völlig unverträglich mit dem Geiste der Wissenschaft erscheinen. Die eigentümliche Zusammengesetztheit seines Wesens, das den mutigsten Schwung eines völlig souveränen Denkens in eine philiströse Systematik verzopfte, gipfelt in der Tatsache, daß sein langatmigstes und verkünsteltstes Werk, das durch endlose Wiederholungen immer derselben Sätze und durch die Gewalttätigkeit seiner Konstruktionen den Leser fast zur Verzweiflung treiben kann, die Kritik der Urteilskraft, doch vielleicht die leuchtendsten Spuren seines Genies trägt. Denn es ist doch wohl das Wesen des Genies, zu wissen, was es nicht erfahren hat, und das auszusprechen, dessen Bedeutung es selbst nicht ermessen kann; und jenes Werk enthält Reflexionen über die letzten Fragen des ästhetischen Genusses, die das Beste des modernen ästhetischen Bewußtseins vorwegnehmen, und deren Erfahrungsgrundlage in seinem Leben fast nicht aufzufinden ist. Denn dieses Leben verfloß gänzlich in einer kleinen Stadt des 18. Jahrhunderts, in der aller anschauliche Schmuck des Daseins ein Minimum war, und die ihm niemals den Anblick eines großen Kunstwerks gewährt haben kann und in demselben Atem, in dem er die tiefsinnigsten Erleuchtungen über das Wesen des Schönen verkündet, preist er den Vers:

»Die Sonne quoll hervor, wie Ruh' aus Tugend quillt –« als ein Muster poetischer Vollendung! – wobei gar kein Zweifel ist, daß gerade hier das absolut unartistische Prinzip, das Sympathisieren mit dem Inhalt, seine Anerkennung verschuldet. In der Geschichte der Philosophie, in der doch mehr als irgendwo sonst in der Welt die Gesteigertheiten und die Unvollkommenheiten des Geistes sich verflechten, gibt es vielleicht keinen zweiten Punkt, an dem ein unbeirrbarer Instinkt des Genies sich durch ein gleiches Maß von Unkenntnis der Wirklichkeiten und von Verschnörkelungen einer eigensinnigen Konstruktionssucht hindurchgefunden hat. Um diese eigentümliche Bedeutung anschaulich zu machen, die gerade die Kritik der Urteilskraft durch ihre Beziehung zu den auf ganz andren Wegen gewonnenen ästhetischen Überzeugungen der Gegenwart besitzt – scheint es mir geraten, ihre Grundgedanken mit einem weiteren und von Kant unabhängigen Umfange diesen letzteren zu konfrontieren.

Die unvergleichliche Schärfe seines Denkens, die mit jener schwer erträglichen Breite der Ausführung ein in seiner Art einziges Ganzes ergibt, leuchtet sogleich aus der einführenden Bestimmung hervor: das Wohlgefallen an einem Gegenstande, das wir das ästhetische nennen, ist von der Existenz dieses Gegenstandes völlig unabhängig. Und dies mag folgendermaßen gedeutet werden. An jedem Dinge unterscheidet der zerlegende Verstand die Summe seiner Eigenschaften, durch die es eben dies bestimmte ist, von der Tatsache, daß dieser so qualifizierbare Gegenstand in der Wirklichkeit existiert; denn wir können von der letzteren Tatsache durchaus absehen und Unzähliges rein sachlich, rein seinem qualitativen Inhalt nach uns vorstellen, ohne im geringsten danach zu fragen, ob der Gegenstand dieser Vorstellungen denn außerdem auch wirklich ist. Wo diese Frage aber erhoben wird, wo Interesse und Genuß an einem Objekt von seiner Greifbarkeit und Erfahrbarkeit abhängt, sind wir außerhalb des ästhetischen Gebiets. Damit wir ein Haus bewohnen, einen Menschen umarmen, uns von einem Baume beschatten lassen und uns des einen wie des andren erfreuen können, muß das eine wie das andre fühlbar da sein. Wenn aber die bloße Anschauung dieses Hauses, dieses Menschen, dieses Baumes uns beglückt, gleichviel, ob jene realen Beziehungen uns seiner Existenz vergewissern; wenn dies Glück ungeändert weiter besteht, sollten die Erscheinungen sich auch als eine Fata morgana enthüllen, die nur das sinnliche Bild, nur jenen reinen Inhalt der Anschauung bewahrt – so hebt sich aus den vielerlei Möglichkeiten, die Welt zu genießen, erst damit die eigentlich ästhetische heraus. Denn erst damit ist die ganze Freiheit und Reinheit erklärt, die in dem Gebiet des Schönen leuchtet; erst so ist unsre genießende Beziehung zu den Dingen wirklich auf ihre Anschauung beschränkt und auf die Distanz, in der wir sie genießen, ohne sie zu berühren. Darum ist etwa die poetische Bedeutung eines Gedichts so ganz unabhängig davon, ob seinem Inhalt eine Wirklichkeit entspricht oder nicht, darum ist nach dieser Richtung hin die Musik das vollendetste ästhetische Gebilde, weil in ihr die Freiheit von jedem Interesse an der Existenz bis zur Unmöglichkeit auch nur der Frage nach einer solchen gesteigert ist. In der hiermit bezeichneten Tatsache erblickt Kant den grundlegenden Unterschied des Schönen gegen alles bloß sinnlich Angenehme; denn dieses letztere ist auf die Fühlbarkeit der Dinge angewiesen, sie müssen unmittelbar auf uns wirken, damit wir mit sinnlichen Lustgefühlen auf sie reagieren. Nur das, was wirklich und gegenwärtig ist, ist uns sinnlich genießbar; aber das längst Verschwundene, dessen Bild nur noch in unsrem Bewußtsein lebt, kann uns noch schön sein – denn auch solange es gegenwärtig war, bestand der ästhetische Genuß nicht in seinem unmittelbaren Eindruck auf unsre Empfindungsfähigkeit, sondern in der viel tiefer gelegenen – an späterer Stelle zu deutenden – Reaktion, die unsre Seele an ihr bloßes Bild des Dinges heftet. Das sinnlich Reizvolle ist uns wertvoll, weil wir es genießen; das Schöne umgekehrt genießen wir, weil es wertvoll ist. Aber diese letztere Stufenfolge ist nur möglich, wenn der Genuß eben nicht von der Existenz abhängt, sondern von den Eigenschaften oder Formen des Dinges, die wir als wertvoll beurteilen müssen, gleichviel, ob ihnen die Empfindbarkeit einer Existenz, die ihnen qualitativ nichts hinzufügte, zukommt oder nicht.

Fragt man diese Kantische Grundbestimmung des Schönheitsgefühls als eines Wohlgefallens ohne Realitätsinteresse nach ihrer psychologischen Begründung, so scheint sie mir bei ihm wie bei seinen Nachfolgern darauf zurückzugehen, daß die Schönheit traditionellerweise nur an Eindrücken von Auge und Ohr haftet und den Tastsinn ausschließt. Dieser nämlich ist psychologisch der eigentliche Realitätssinn; nur was wir greifen können oder könnten, scheint uns die volle Wirklichkeit zu besitzen. Gewiß sind die Leinwand und der Marmor greifbar; aber so wenig wie an der Buchseite, die das Gedicht trägt, ist an ihnen das, was getastet wird, das Kunstwerk – dieses vielmehr liegt ausschließlich in den Formen, die dem Gesicht und keinem andren Sinn zugänglich sind. Durch diese Ablösung der Sichtbarkeit und Hörbarkeit von der sonst mit ihr stets verbundenen Tastbarkeit, die uns allein die empirische Wirklichkeit zu garantieren pflegt, erhält das bloß ästhetisch Wirksame jene Distanz von der Wirklichkeit; nach der letzteren zu fragen, haben wir tatsächlich innerhalb des ästhetischen Gebietes kein Interesse, weil dieses Gebiet von vornherein den Sinn ausschließt, der uns als die einzige Brücke zur Realität gilt.

Die Gleichgültigkeit unsrer ästhetischen Urteile gegen das empirisch fühlbare Sein oder Nichtsein ihres Gegenstandes ist zunächst eine bloß negative Bestimmung. Kant wendet sie ins Positive, indem er aus ihr folgert, daß nur die Form der Dinge ihre Schönheit trage. Der Reiz etwa der Farben wie der der einzelnen Töne knüpfe sich an Inhalte des Empfindens, sei also von der realen Existenz der Gegenstände abhängig und könne deshalb wohl angenehm, sinnlich beglückend sein, aber in das Geschmacksurteil dürfe er sich nicht mischen, ohne dessen Reinheit zu trüben. Darum sei in allen bildenden Künsten die Zeichnung das Entscheidende, während die Farben den Gegenstand wohl für die Empfindung reizvoll, aber nicht ästhetisch schön machen könnten. Und wie den Reiz der Sinne, so wehrt diese Beschränkung auf die Form auch die Bedeutsamkeit der Gedanken von dem ästhetischen Urteil ab. Es möge sein, daß manches anschaulich Schöne seinen ästhetischen Wert für uns verliert, wenn es in Zweckverbindungen, die seiner Form widersprechen, eingefügt wird: gewisse an sich schöne Ornamente etwa sind doch an einem sakralen Gegenstande höchst unpassend, eine Gesichtsform, die an einem Narzissus schön ist, lehnen wir an einem Mars entschieden ab, architektonische Elemente können die schönsten Formen zeigen, aber sie sind höchst widrig, wenn sie innerhalb des Baues ihre statische Bestimmung nicht erfüllen. Allein diese Art Urteile beträfe eben nicht die reine Form der Dinge, sondern hinge von dem Sinn und den Zwecken ab, in welche diese letzteren ihrer realen Existenz nach verflochten werden; sie gehen nicht unsren Geschmack an, sondern unsre Kenntnisse vom Wesen gewisser Zusammenhänge, unsre sittlichen Interessen, unser Nachdenken. Deshalb lehnt ein reines Geschmacksurteil alle solche Kriterien ab, die außerhalb des unmittelbaren Eindrucks der Dinge liegen; es beurteilt die Dinge zwar im Gegensatz zur Sinnlichkeit, die sie nur genießt, aber es beurteilt auch nur sie und nicht ihre Bedeutungen für Zwecke und Werte, mögen es auch die höchsten sein, zu denen sie nur durch Heraustreten aus ihrem reinen, formalen Angeschautwerden eine Beziehung gewinnen.

Es ist höchst merkwürdig, hier festzustellen, wie ein wahres, tief und scharf erfaßtes Prinzip durch die Enge seiner Anwendung zu ganz mißverständlichen Folgen führt; man braucht ihm nur die von Kant selbst ihm vorenthaltene Weite zu geben, um es vollkommen zu legitimieren. Es ist zunächst ein völliger Irrtum, daß der eigentlich ästhetische Wert der Malerei nur in der Zeichnung als dem einzigen Träger der »Form« beruht; vielmehr haben in ihr die Farben, ganz abgesehen von der durch ihre Grenzen angegebenen Zeichnung und bloß als koloristische Flecke angesehen, formale Verhältnisse zueinander, die ein rein ästhetisches Urteil hervorrufen. Wie sich die Farben nach Verwandtschaft, Ergänzung, Gegensatz auf der Fläche verteilen, wie sich die Lokalfarben dem Ton des Ganzen einordnen, wie die verstreuten Flecken der gleichen Farbe in gegenseitige Beziehung treten und damit eine der das Ganze zusammenhaltenden Kräfte bilden; wie durch das Dominieren der einen und die abgestuften Unterordnungen der andren eine übersichtliche Organisierung des Bildraums erreicht wird – dies alles sind höchst wesentliche Bestandteile des Kunstwerks als solchen, ganz jenseits unsrer unmittelbaren sinnlichen Sympathie oder Antipathie für den einzelnen Farbeneindruck stehend und deshalb in demselben Sinn der Form des Bildes zugehörig, wie seine Zeichnung. Der durchaus richtige Sinn der Kantischen Behauptung ist, daß das Kunstwerk eine Einheit aus Mannigfaltigem ist und sein Wesen deshalb in der Wechselwirkung seiner Teile hat. Indem jeder einzelne auf jeden andren hinweist, jedes Element durch das Ganze und das Ganze durch jedes Element bestimmt und verständlich wird, entsteht jene innere Einheit und Selbstgenügsamkeit des Kunstwerks, die es zu einer Welt für sich macht. Das aber bedeutet allerdings, daß das Kunstwerk Form ist; denn Form ist die Art, auf die Elemente sich aufeinander beziehen und sich zu irgendeiner Einheit zusammenfassen; das schlechthin Einfache und Undifferenzierte ist formlos, ebenso wie das schlechthin Zusammenhangslose. Ein Kunstwerk entsteht, indem die fragmentarischen Inhalte des Daseins zu einer gegenseitigen Beziehung gebracht werden, in der sie ihren Sinn und ihre Notwendigkeit aneinander finden, so daß eine Einheit und innere Befriedigtheit an ihnen aufleuchtet, die die Wirklichkeit nie gewährt, weil in ihr jedes Dasein in eine nach Ursachen wie nach Folgen unabsehbare Verkettung gestellt ist. So ist allerdings die Kunst die äußerste und allein restlose Darstellung dessen, was man als die Formung der Dinge bezeichnet, und das nichts andres ist als die Einheit des Mannigfaltigen.

Noch leichter ist jene andre freiwillige Selbstbeschränkung zu heben, mit der Kant die fein empfundene Abgrenzung der Schönheit gegen alle Forderungen des Intellekts und der Moral in einer scheinbar konsequenten, in Wirklichkeit inkonsequenten Weise steigert. Die Schönheit dürfe nicht von dem Begriffe dessen abhängig sein, was von dem Gegenstand nach natürlichen, historischen oder moralischen Normen gefordert würde; sie sei ein freies Spiel unsrer Seele und als solches völlig souverän, ein Gegenstand gefalle uns oder gefalle uns nicht, ganz gleichgültig gegen alles, was er außerhalb dieses bloßen Gefallens sei oder sein solle. Die Folge davon ist, daß Kant, genau genommen, nur Blumen, Ornamente, Musik ohne Text, kurz nur Formen, die nichts Bestimmtes bedeuten, als eigentliche Schönheiten anerkennt. Denn sobald man von einem Gegenstand eine Leistung jenseits seines bloßen Anschauungsbildes verlange und davon das ästhetische Urteil über ihn abhängig mache, mische sich eben etwas dem bloß ästhetischen Fühlen Fremdes in dasselbe: das sei aber zum Beispiel meistens bei der Beurteilung der Menschengestalt der Fall, indem – analog den obigen Beispielen – was als Venus schön ist, es noch nicht als Athene ist, oder indem überhaupt gewisse Forderungen an Kraft, Charakter, Ausdruck sittlichen Wesens die Bedingungen bilden, unter denen wir eine menschliche Gestalt als schön anerkennen. Daran ist nun so viel richtig, daß alle Qualitäten des Menschen, die nicht unmittelbar anschaulich sind, an sich und ihrem eignen Werte nach nichts mit der ästhetischen Schätzung seiner Erscheinung zu tun haben. Das verhindert aber nicht im geringsten, daß sie, in das Gesamtbild der Person einbezogen, mit allen andren Elementen derselben zusammen die Formen rein ästhetischer Schönheit oder Nichtschönheit bedingen. Nur ihre selbständige, innere Bedeutung kommt hier nicht in Frage, so wenig, wie bei der Schönheit einer Nase ihre Atmungsfunktion in Betracht kommt. Daß uns ein Zug, der uns an einer Venus entzückt, an einer Athene abstößt, geschieht nicht, weil er dem Begriff der Athene widerspräche, sondern weil er mit all den andren tatsächlichen Zügen, die diese Athene darbietet, keine Harmonie oder Einheit der angeschauten Form ergibt. Stimmten etwa alle Züge zu diesem einen, so würde eben eine Gestalt entstehen, mit der wir ästhetisch völlig einverstanden sind; wir würden sie dann freilich Venus benennen, und die Behauptung, es solle eine Athene sein, würde etwa als eine Wunderlichkeit und ein historisches Mißverständnis erscheinen, aber ästhetischen Widerspruch würde sie nicht mehr wecken, sondern in dieser Hinsicht so gleichgültig sein, wie auch die richtige Bezeichnung als Venus es ist.

Am deutlichsten wird diese Erhebung inhaltlicher Bedeutsamkeiten und Zweckmäßigkeiten in die ästhetische Sphäre wohl im Drama. Hier finden unzählige Prozesse rein sachlicher und psychologischer Art statt, die nach den Erfahrungen der realen Welt, also nach Kriterien, die mit dem Kunstwerk als solchem nichts zu tun haben, als richtig und passend beurteilt werden müssen, wenn wir ästhetisch befriedigt sein sollen. Dies ist durchaus kein Herausfallen aus der ästhetischen Sphäre, sondern es sind nur Tatsachen und Zusammenhänge, die auf andren Daseinsgebieten erwachsen sind, als Material in sie aufgenommen worden; und nun muß das Kunstwerk, wenn es in sich völlige Formeinheit haben soll, mit den inneren Normen dieses Materials so harmonisch sein, wie das plastische Werk in seiner Formgebung dem Charakter seines Marmors oder seiner Bronze entsprechen muß, wobei jene Forderungen der Realität oder der Begriffe nicht um ihrer Eigenbedeutung, sondern um der Einheit des Kunstwerks willen, das sie verwertet, erfüllt werden müssen, gerade wie der Charakter des plastischen Stoffes nicht als mineralogische oder physikalische Tatsache, sondern ausschließlich um seiner ästhetischen Bedeutung willen Berücksichtigung fordert. Kant hat also auch hier den Begriff der Form zu eng gefaßt, indem er die Reinheit des Geschmacksurteils verloren glaubte, wenn es von nicht unmittelbar ästhetischen, von begrifflichen und sachlichen Voraussetzungen abhinge. Er hat nicht gesehen, daß eben diese zu ästhetischen Bedingungen erhoben werden, daß sie ihre Bedeutsamkeit in die ästhetische Tonart transponieren können, und daß sie dann die Formeinheit des Schönen und des Kunstwerks als ebenso berechtigte Elemente mitbilden helfen, wie die von vornherein nur ästhetischen.

So sehr Kant also mit jenen Beschränkungen seines Prinzips diesem selbst unrecht tut, so hat er mit ihm doch das Grundgefühl der modernen rein artistischen Auffassung vorweggenommen: daß das Kunstwerk als solches seine Bedeutung nie und zu keinem Teil von dem entlehnen darf, was nicht Kunst ist. Wie wichtig und ergreifend auch sein Inhalt nach seiner ethischen oder historischen, religiösen oder sinnlichen, patriotischen oder personalen Seite sei – der Kunst, soweit wir sie ästhetisch beurteilen sollen, darf dies nicht zugute kommen, unser Urteil bezieht sich ausschließlich auf die Formung dieses Stoffes, das Kunstwerk spielt sich ausschließlich auf dem Gebiet seiner jeweiligen optischen, akustischen, dramatischen Erscheinung ab, ohne von dem, was irgendwie jenseits dieser steht, Unterstützung oder Nuancierung zu empfangen. Diese Selbstherrlichkeit der Kunst – und, nach Kants Meinung, des Schönen – ordnet er nun, ohne ihr im geringsten Abbruch zu tun, einem allgemeineren Typus menschlicher Wertungen ein. Das Lustgefühl dem Schönen gegenüber stammt, wie hervorgehoben, nicht aus einer Zweckmäßigkeit des Gegenstands für unsere Willensziele, auch nicht aus einer solchen für irgendein objektives Geschehen. Dennoch muß eine Zweckmäßigkeit dabei im Spiele sein; denn durch den ästhetischen Genuß fühlen wir uns gestärkt, in unsrem Lebensprozeß gehoben, wir wünschen, ihn festzuhalten, bei seinem Gegenstande zu verweilen, indem wir uns doch zugleich als frei empfinden. Dieselbe Art der Befriedigung, die uns der Anblick des ganz Zweckmäßigen bietet, kommt angesichts des Schönen über uns: das Gefühl, daß die Zufälligkeiten der Erscheinung von einem Sinne beherrscht sind, daß die bloße Tatsächlichkeit des Einzelnen von der Bedeutsamkeit eines Ganzen durchdrungen ist, daß das Fragmentarische und Auseinanderfallende des Daseins wenigstens an diesem einen Punkte eine seelenhafte Einheit gewonnen hat. Da nun aber das Schöne alle Beziehung auf einen bestimmten Zweck ablehnt, die es sogleich aus der bloß ästhetischen Sphäre herabziehen würde, so bezeichnet Kant sein Wesen als »Zweckmäßigkeit ohne Zweck«: das heißt, es hat die Form des Zweckmäßigen, ohne doch von einem angebbaren Einzelzweck bestimmt zu sein; es setzt durch eine bloße Anschauung unsre mannigfaltigen seelischen Energien in dasjenige Verhältnis von Spannung und Lösung, von Harmonie und Organisiertheit, das sonst in uns nur dem Anblick und Genuß der zweckmäßigsten Dinge, des zweckerfüllten Lebens antwortet. Man hat mit einem freilich sehr beschränkten Recht als die spezifische Eigenschaft des Menschen gegenüber dem Tier hervorgehoben, er sei das zwecksetzende Wesen. Unser Leben gewinnt seinen Sinn und Zusammenhalt, seine Leistung und seine Befriedigung, indem seine Inhalte sich zu Zwecken und Mitteln gestalten und aneinanderschließen. Was wir schön nennen, ist dasjenige, was in uns den subjektiven Reflex der Zweckmäßigkeit erzeugt, ohne daß wir sagen könnten, wem oder wozu es diene. Es gewährt uns damit gleichsam die typische Genugtuung des menschlichen Daseins in ihrer völligen Reinheit und Gelöstheit.

Wenn wir gegenüber der Realität des Daseins, die sich an konkreten Einzelheiten erschöpft, an dem Schönen und der Kunst die Leichtigkeit und Freiheit des Spieles empfinden, so ist dies nun erklärt. Denn Spielen bedeutet doch, daß man die Funktionen, die sonst den Wirklichkeitsinhalt des Lebens tragen und an ihm gebildet sind, jetzt ohne diese Füllung, rein formal ausübt. Das Wetten und Jagen, das Ringen und Erlisten, das Bauen und Zerstören, das die realen Ziele des Lebens fordern, geschieht im Spiele an bloß ideellen Inhalten, um bloß ideeller Ziele willen – oder, genauer, nicht einmal um dieser willen, sondern nur aus Lust an der Funktion, an dem subjektiven Tun, das mit keinem über dieses Tun selbst hinausgreifenden Inhalt beschwert ist. Das ist der eigentliche Sinn des Satzes aus der Ästhetik Schillers: der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt. Nur im Spiel, das heißt, wenn unser Tun nur in sich selbst kreist, sich nur an sich selbst befriedigt, sind wir absolut wir selbst, sind wir ganz »Mensch«, das heißt seelische Funktion, die sich nicht erst eines in irgendeinem Sinne konkreten Inhalts bemächtigt. Und dies ist die Kantische Zweckmäßigkeit ohne Zweck. Denn die Schönheit ist nichts, was in dem objektiven Sein der Dinge läge, sondern sie ist eine subjektive Reaktion, die dieses in uns anregt, oder, wie Kant sich ausdrückt: »eine Gunst, womit wir die Natur aufnehmen, nicht eine solche, die sie uns erzeigt.« Sie ist die Aktivität, das »Spiel« unsrer seelischen Vermögen, sonst ausgeübt, um die Wirklichkeit praktisch und theoretisch zu bemeistern, jetzt aber nur um seiner selbst willen vorgehend, in sich selbst schwingend und darum in jener reinen Harmonie und Freiheit verlaufend, die die Belastung mit den konkreten Vorstellungen und Zwecken ihr nicht gestattet.

Was Kant so mit der Intuition des Genies als die Wirklichkeit des ästhetischen Gefühls beschreibt oder vielleicht richtiger: als dessen ideale Vollendung, die seine Wirklichkeit nur annähernd erreicht, – liegt zugleich in der Richtungslinie der modernen entwicklungsgeschichtlichen Deutung. Die Höhe, in der die ästhetischen Werte über den Nöten und Zwecken des äußeren Lebens stehen, verhindert durchaus nicht, daß sie sich geschichtlich aus diesen entwickelt haben, so wenig, wie der geistige Adel der Menschenseele darunter leidet, daß der Mensch einst aus einer niederen Tierart hervorgegangen ist: wenn er keine höhere Herkunft hat als das Tier, so hat er doch eine höhere Hinkunft. Man hat lange bemerkt, daß, was wir schön nennen, die Form der aus praktischen Gründen nützlichen Dinge ist. Schopenhauer führt aus, daß die Formen der weiblichen Gestalt uns in dem Maße ästhetisch vollendet erscheinen, in dem wir sie unbewußt als für die Zwecke der Gattungserhaltung geeignet beurteilen. Was wir an einem Gesicht schön nennen, sind vielleicht diejenigen Züge, die nach uralter Gattungserfahrung mit sittlichen, sozial zweckmäßigen Eigenschaften verbunden sind – so, oft auch zufällige Vererbungen das eine vom andren trennen mögen. Ja, der ästhetische Reiz jeder überhaupt sehr charakteristischen, das heißt ein Inneres unzweideutig verratenden Physiognomie mag daher stammen, daß die äußere Offenbarung der Wesensart eine zwar nicht immer für das Individuum, aber für seine soziale Umgebung höchst nützliche Qualität ist. Und ebenso mit außer menschlichen Formen: die architektonische Schönheit erscheint als die vollendete Proportion von Lasten und tragenden Kräften, von Druck und Spannung, kurz als die Struktur, die für den Bestand und die Zwecke des Werks die zweckmäßigste ist. Alle räumlichen Gestaltungen erscheinen uns schön, die den Raum übersichtlich gliedern, also für praktische Zwecke die geeignetsten sind, ebenso alle physischen und seelischen Wirklichkeiten, die mit einem Minimum von Kraftaufwand ein Maximum von Zweckerfolg erreichen. Aber alle diese praktischen Zwecke sind vergessen, wo der ästhetische Wert sich erhebt; die Länge der Vererbungen, die Vielheit und Selbstverständlichkeit der Erfahrungen haben sie längst unbewußt gemacht, diese haben ihrer Form nur die allgemeine Bedeutung hinterlassen, die sie einst durch ihre konkreteren Inhalte erworben hat und die jetzt eine nur gefühlsmäßige geworden ist. Es ist die Bedeutung der Zweckmäßigkeit, aus der der Zweck entschwunden ist, jenes bloß innerliche, von aller Materie gelöste Nachschwingen längst untergesunkener Freuden oder Nützlichkeiten – das Kant in die erschöpfende Formel der Zweckmäßigkeit ohne Zweck zusammenfaßt. Ich bin weit entfernt, die Selbstgenügsamkeit der ästhetischen Werte in diese Teleologie aufzulösen. Allein zu den Kantischen Prinzipien ist sie harmonisch, und jedenfalls gibt sie der ästhetischen Tatsächlichkeit keinen verächtlichen Ursprung; sie verwebt diese in die ganze Breite des Lebens, läßt sie aus dessen Unerläßlichkeiten und den Bedingungen seines Wachstums sich entwickeln. Und nur dann würde sie an seine Niederungen und Ungeistigkeiten gefesselt bleiben, wenn ihr Reiz noch durch die einzelnen greifbaren Zwecke bedingt wäre. So aber, wo die bloße Form dieser, nur ihr typischer Sinn und Geist geblieben ist, stellt sie den feinsten Extrakt des Lebens dar; die Zweckmäßigkeit, in der die Zwecke sich verzehrt haben, ist jener »farbige Abglanz«, an dem wir das Leben haben, weil er sich über das Leben – aber doch aus dem Leben – erhoben hat.

Es gehört zu den eigentümlichsten Erfahrungen in der Geistesgeschichte, daß die hiermit umschriebene ästhetische Grundüberzeugung Kants ersichtlich gar nicht aus seinem positiven Verhältnis zu den ästhetischen Objekten gewonnen ist, sondern nur indirekt, durch das wissenschaftlich verstandesmäßige Bedürfnis, den Begriff des Schönen mit völliger Genauigkeit gegen die des sinnlich Angenehmen, des Wahren, des sittlich Guten abzugrenzen. Die Tendenz seines ganzen Denkens war, die Gebiete des Daseins unter die seelischen Energien aufzuteilen, die sie aufnehmen oder hervorbringen; die Schärfe und Gerechtigkeit, mit der er so die innere Vielheit des Subjekts und damit die der objektiven Welt gliederte und jedem Teile das Seine gab, war die große Geste, mit der er in die philosophische Entwicklung eintrat. Das Schöne, das ihm gewiß zunächst nur ganz im allgemeinen als ein Gebiet eigner Gesetzgebung vorschwebte, mußte nach seinen Grenzen bestimmt werden. Sie ergaben sich dem Sinnlichen wie dem Sittlichen gegenüber durch die Gleichgültigkeit gegen alle Realität. Alles sinnliche Interesse knüpft sich an das Empfindbare, das wirklich ist oder dessen Wirklichkeit wir wünschen; alles sittliche Interesse an das, was wirklich sein soll, wenngleich es vielleicht sehr unvollkommen verwirklicht wird. Das ästhetische Urteil aber knüpft sich an das bloße Bild der Dinge, an ihre Erscheinung und Form, gleichviel ob sie von greifbarer Realität getragen wird oder nicht. Die Grenze gegen alle Erkenntnisurteile aber liegt im Gefühlscharakter alles Ästhetischen; der höchste Punkt, auf den hier die seelischen Bewegungen hingehen, ist nicht mit Begriffen zu bezeichnen, auf deren Funktion, das Anschaulich-Einzelne zusammenzufassen, alle Erkenntnis beruht. Das Äußerste, wozu das Denken sich erhebt, sind die metaphysischen Begriffe, denen keine Anschauung entspricht – das ästhetische Gefühl aber bezieht sich auf Anschauungen, denen kein Begriff entspricht. Damit ist aber nicht behauptet, daß das ästhetische Urteil willkürlich oder grundlos sei; nur liegt sein Grund nicht in bestimmten Begriffen, die unsre Seele bildet, sondern in jener ganz allgemeinen, innerlich harmonischen Stimmung, jener organischen, für alle ihre Zwecke günstigen Spannung und Rangierung ihrer Energien, die jenseits aller singulären Vorgänge lebt, weil sie nur deren reine, abgelöste Funktion ist. Aus dieser Konstellation erklärt Kant die Eigentümlichkeit des Geschmacksurteils: daß niemand einen andren von der Richtigkeit des seinigen überzeugen kann wie von der Richtigkeit einer theoretischen Behauptung, und daß doch jeder mit dem Urteil: dies und das ist schön – etwas Gültiges, eigentlich von allen andren Anzuerkennendes auszusprechen meint, im Unterschied gegen rein sinnliches Gefallen, bei dem sich jeder mit der bloßen Subjektivität seines Gefühls zufrieden gibt. In der Tat: niemand kann im Ernst darüber streiten, ob Austern gut schmecken, ob Moschus ein angenehmer oder widriger Geruch ist; ob aber ein Kunstwerk schön ist oder nicht, hat die leidenschaftlichsten Kontroversen erregt, als gäbe es dafür Beweis und verstandesmäßige Überzeugung, die doch tausendfache Erfahrung als illusorisch zeigt. Was den modernen Menschen von neuem so stark zu den ästhetischen Werten zieht, ist dieses einzigartige Spiel zwischen dem objektiven und dem subjektiven Standpunkt, zwischen der Individualität des Geschmacks und dem Gefühle, daß er doch in einem Überindividuellen, Allgemeinen wurzle. Diesen Widerstreit löst allerdings die Kantische Vorstellung: das ästhetische Urteil beruhe zwar sozusagen auf Begriffen und Zweckmäßigkeiten, aber nicht auf bestimmten, sondern nur auf dem allgemeinen Zustand, gleichsam auf der Form der Seele, die sie bei der Bildung von Erkenntnissen und Zwecken annimmt, die aber hier nicht zu solchen vorschreitet, sondern in sich selbst beschlossen bleibt und sich nur als Gefühl kundgibt. Und die individuell-innerliche Allgemeinheit, in die sie sich über alle unsre, durch besondere Inhalte singularisierten Eindrücke, Gefühle, Stimmungen erhebt, scheint sie aus der beschränkenden Differenziertheit der Einzelperson heraus dem zu nähern, was allen Einzelpersonen überhaupt gemeinsam ist.

Während Erkenntnisse und Zweckmäßigkeiten darauf beruhen, daß eine einzelne, einem niedren Seelenvermögen angehörige Vorstellung sich einer andren einzelnen unterordnet oder angliedert, die einen höheren Begriff oder Zweck darstellt, geraten hier, nach Kants Deutung, die ganzen Seelenvermögen selbst in diese Bewegungen und funktionellen Verhältnisse. Gewiß kann die moderne Psychologie dies nicht ohne weiteres akzeptieren. Sie rechnet nicht mehr mit »Seelenvermögen«, die konkrete Elemente im Menschen wären, die agierten und sich in gegenseitige Beziehungen setzten, wie ganze Menschen untereinander; sie hat diese Begriffe als bloße Abstraktionen erkannt, die in mythologischer Weise zu selbständigen Wesenheiten hypostasiert sind. Aber vielleicht umschließt dieser unvollkommene Ausdruck doch einen haltbaren Kern. Vielleicht regt der ästhetische Reiz außerordentlich weite Komplexe unsrer Vorstellungen an, die unter der Schwelle des Bewußtseins bleiben und in diese nur die allgemeine Form der Verhältnisse aufsteigen lassen, die sich allenthalben zwischen ihnen bilden. Das Gefühl, namentlich der Kunst gegenüber, von aller Einzelheit und Einseitigkeit des Daseins erlöst zu sein, entspringt vielleicht daraus, daß eine Unübersehbarkeit von Einzelnem, wie von einem Zentralpunkt her, an den das Kunstwerk rührt, in uns lebendig gemacht wird, und zwar nicht mit der Wirrnis zufälliger Assoziationen, sondern in jedem Fall in typischen und sinnvollen Formen von Verhältnissen, Attraktionen und Verknüpfungen der Vorstellungen. Statt dieser realen Beziehungen der psychischen Inhalte setzt Kant die »Seelenvermögen«, die gleichsam die Parteien dieser Aktion tragen und mit denen er, irreal vielleicht, aber jedenfalls so umfassend wie möglich ausdrückt, daß die einzelne Anschauung, insoweit sie ästhetisch ist, über ihre unmittelbaren Grenzen hinaus den ganzen Menschen aufruft; denn vollständiger kann das nicht geschehen, als wenn, statt irgendwelcher einzelnen Inhalte der Seele, gleich die ganzen Kräfte, die jeden denkbaren Inhalt mindestens potenziell umfassen, auf den Plan treten. Gerade die Leichtigkeit des Spieles, mit der ästhetische Elemente, in ihrer Indifferenz gegen alle Wirklichkeit, wirken, ermöglicht dieses Einsetzen der Seelenprovinzen als ganzer, das gehemmt wäre, wenn die inneren Vorgänge mit den schweren Akzenten der Wirklichkeit belastet wären. Und dieses dunkle Bewußtsein, daß hier die grundlegenden Funktionen des Geistes als ganze agieren, die doch allen Seelen gemeinsam sind, läßt uns glauben, daß wir in diesen Urteilen nicht allein stehen könnten, daß doch eigentlich jeder andre das gleiche fällen müßte, wenn es nur gelänge, ihn das Objekt in der gleichen Weise sehen zu lassen. Alle Differenzen der ästhetischen Urteile auf gleicher geistiger Ausbildungsstufe könnten dann nur daher stammen, daß jenes allgemein Menschliche in uns schon zu sprechen scheint, jenes reine Verhältnis und formale Spiel unsrer seelischen Kräfte schon als vollendet empfunden wird, wo dies tatsächlich noch nicht der Fall ist, daß es sich für den einen durch Eindrücke anregen läßt, die dem andren dazu ganz unzureichend sind. – Man mag diese Kantische Hypothese für befriedigend halten oder nicht: sie ist jedenfalls der erste und einer der tiefsten Versuche, die individuelle Subjektivität des modernen Menschen, auf die er nicht verzichten mag, mit der überindividuellen Gemeinsamkeit aller, deren er nicht weniger bedarf, innerhalb des ästhetischen Gebiets zu versöhnen. Die Anerkennung, daß es in so indiskutablen Tatsachen, wie die des ästhetischen Geschmacks sind, dennoch etwas Allgemeingültiges gibt, weil sie auf die ganz überindividuelle Harmonie unsrer seelischen Kräfte zurückgehen, die freilich auf individuelle oder irrige Veranlassung hin ihr Spiel beginnen können – ist der erste Eingriff des modernen Geistes in das ästhetische Gebiet. Denn die Probleme dieses Geistes dürften sich in der Hauptsache wohl um jenes eine gruppieren: wie die Freiheit und Mannigfaltigkeit der Individuen bestehen könne, ohne in Gesetzlosigkeit und Isolierung zu verfallen. Indem Kant die ästhetischen Urteile als eine der Formen erkennt, in denen dieses Problem lebt, indem seine Lösung der ästhetischen Grundfrage ebenso die Spannung zwischen dem Individuellen und dem Allgemeinen in uns, wie ihr Versöhnungsverlangen aufs schärfste fühlbar macht, hat er vielleicht mehr als durch den sachlichen Wert dieser Lösung dem erst nach beinahe hundert Jahren bewußt gewordenen Bedürfnis gedient, die ästhetischen Probleme in die letzten Fragen des Lebens zu verflechten, und hat die Überzeugung wachsen lassen, daß gerade in den neuen Schwierigkeiten dieser Verflechtung das Recht liegt, sie auch als Träger neuer Lösungen anzusehen.



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