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Fünfte Vorlesung.

Die Bedeutung, die die Einheit unsrer Vorstellungen zuletzt für deren Objektivität gewonnen hatte, kann insoweit noch als eine bloße Tatsächlichkeit gelten, für die der eigentliche innere Grund erst angedeutet ist. Daß sich aus den unendlichen und unendlich mannigfaltigen Einzelelementen seelischer bzw. kosmischer Art Einheiten zusammenschließen, Gegenstände aus Sinneseindrücken, Urteile aus Begriffen, ist nun nach Kants grundlegendster Überzeugung dem zu danken, daß unsere Seele ein Ich bildet. Die Gesamtheit des inneren Lebens bezieht sich, für das Gefühl eines jeden, auf einen tiefsten Punkt in ihm, der von nichts weiterem herzuleiten ist, aus dem vielmehr alles bewußt-persönliche Leben zu entspringen scheint. Wir nennen ihn das Ich und bezeichnen damit dasjenige, was als das einzig Dauernde und Identische die niemals dauernden und in unübersehbaren Gegensätzen sich bewegenden Inhalte des Lebens begleitet, und damit in der Seele selbst etwas zeigt, was mehr ist als das bloß Psychologische mit seinem ewigen Wechsel, seinem unruhigen Umspringen, seinen zufälligen Verkettungen und Spaltungen. Eine bloße Form freilich einerseits, ein bloßes Gefühl andrerseits, und gerade durch diese Armut und Inhaltlosigkeit fähig, den unzweideutig einheitlichen Punkt abzugeben, zu dem alle Einzelelemente des Bewußtseins in Beziehung stehen; denn alle meine Vorstellungen muß ein »Ich denke« begleiten können, weil sie sonst eben nicht die meinigen wären. Das Ich ist also die Einheit, in der alle meine Vorstellungen sich zusammenfinden, ja, die einzige absolute Einheit innerhalb unsres Wesens (gegenüber der Extensität und Vielfältigkeit des Stoffes unsres Seelenlebens) und als solche einzig geeignet, jene Vereinheitlichung von Elementen, in der das Objekt und seine Erkennbarkeit erwächst, in sich und durch sich zu vollziehen. Die Einheit unsres Selbstbewußtseins zeichnet die Form vor, oder, von der Binnenseite her gesehen: ist die wirksame Kraft, vermöge deren die gleichsam unlokalisierten Einzelvorstellungen sich zu Einheiten, d. h. zu Gegenständen und Urteilen zusammenfinden. Die Einheit des Objekts ist das Gegenbild der Einheit des Subjekts. Die unendliche Ausbreitung der atomisiert nebeneinander liegenden Elemente des Daseins findet ihre Organisierung in der Seele, in der alle jene mannigfaltigen Strahlen sich wie in einem Brennpunkt schneiden und ebendamit auch im Objekt, in dem, genauer: zu dem die Mannigfaltigkeit seiner Bestimmungen nicht weniger einheitlich zusammenwächst. Natürlich gibt das Ich zu dieser Genesis des Weltbildes, die ein unendlicher Prozeß ist, nur seine allgemeine Form her, es ermöglicht nur, daß das Dasein für uns überhaupt als Objekt und als Inhalt sachlicher Erkenntnisse bestehe; es kann nicht verhindern, daß die Vereinheitlichung unzählige Male Inhalte ergreift, die sich wieder lösen müssen, und ebenso oft an andren vorübergeht, ohne deren Einheit der Zusammenhang des Ganzen eigentlich nicht bestehen kann, – so wenig wie nach der subjektiven Seite hin die formale Einheit unsres Selbstbewußtseins dagegen schützt, daß zusammenhangslose Launen, Widersprüche und Zerrissenheiten sich unter seiner Ägide einfinden.

Die moderne Psychologie könnte – unter Festhaltung des vorhin bezeichneten Verhältnisses zwischen Psychologie und Wahrheitsgehalt – dies Grundmotiv von vielen Seiten her interpretieren; ich deute nur ein Beispiel an. Zwischen der Vereinheitlichung und dem Objektiv-Werden des Daseins vermittelt dasjenige Verhältnis, das man nur mit dem räumlichen Gleichnis der Distanz zwischen uns und den Dingen bezeichnen kann. Was für uns Objekt ist, steht uns in einer gewissen Entfernung gegenüber, das heißt, es ist selbständig, seine Qualitäten und Gesetzmäßigkeiten sind von den Zufälligkeiten unsrer Subjektivität und von unsrem Willen unabhängig. Wo wir die objektive Existenz eines Dinges oder die objektive Gültigkeit eines Zusammenhanges behaupten, meinen wir damit ein für sich seiendes Dasein, das zwar in jedem Augenblick von uns in der immer gleichen Weise vorgestellt werden kann, aber durch diese dauernde Möglichkeit gerade beweist, daß seine Wahrheit gegen unser Vorstellen oder Nicht-Vorstellen gleichgültig ist; wobei für jetzt nicht in Frage kommt, ob nicht das Ich in einem weiteren Sinne auch diese Selbständigkeiten und die Distanz einschließt, in der wir alles Objektive als solches erblicken. Gefühl und Vorstellung dieser Distanz aber gibt uns das Objekt durch seine Zusammengefaßtheit, dadurch, daß alle Teile seines Umfanges sich auf ein inneres Zentrum beziehen und von ihm zusammengehalten werden. In dem Maße, in dem die Elemente eines Vorstellungsganzen aneinanderrücken und sich in einem Sinn, einer Substanz, einer Gesetzlichkeit treffen – in eben dem rückt es von uns ab, wird es eine Existenz für sich; bis zu dem Extrem, daß seine Geschlossenheit und Selbstgenugsamkeit uns überhaupt den Zugang zu ihm verweigert und es uns wie Macht zu Macht gegenübersteht, ein in sich fertiges und nicht auseinanderzureißendes Ganzes, wie unsere Seele selbst. Am deutlichsten vielleicht wird dieser Zusammenhang am Kunstwerk. Daß dieses eine Welt für sich ist, ein lückenlos umfriedeter Bezirk innerhalb des allgemeinen Seins, ein Jenseits von allem unmittelbaren Leben – das ist der Ausdruck seiner inneren Einheit, ist der Erfolg davon, daß jedes Wort des Verses, jeder Strich des Gemäldes ausschließlich dem Sinn dieses einen Ganzen zugewendet ist und jede Beziehung zu Interessen oder Tatsachen außerhalb dieses ablehnt Daß das künstlerische Ganze nachher als solches wieder in übergreifende Zusammenhänge eingeordnet werden kann, wie am sichtbarsten in der Tendenzkunst oder der religiösen Kunst, läßt ersichtlich diese Grundfrage unberührt.. Sobald dem Kunstwerk diese Einheit fehlt, sobald seine Einzelheiten nicht notwendig auf den Gedanken, das Gefühl, die Anschauung, oder wie man seinen zentralen Sinn bezeichnen mag, gravitieren – in diesem Augenblick verliert es sein Fürsichsein, es bietet sich nicht mehr als ein sich selbst genügendes Dasein, um eben dadurch uns von uns selbst und der bloßen Tatsächlichkeit des Lebens zu erlösen. Wenn das vollendete Kunstwerk uns gegenübersteht als eine selige Insel, unberührbar, wie ein Gebilde aus andren als unsren Dimensionen und dennoch dem Tiefsten in uns innig verwandt, in seiner Bedeutung zugleich das Rätsel unsrer Existenz aussprechend – so ist dies scheinbar Unverträgliche der Erfolg jener Einheit, in der das Kunstwerk sich zusammenfaßt: denn diese gewinnt ihm die Form der Seele selbst. Dies ist der letzte Grund, weshalb im Kunstwerk alle Zufälligkeiten, Einseitigkeiten, bloßen Subjektivitäten von Leben und Schicksal in eine strenge Objektivität aufgehoben sind, als käme in ihm ausschließlich das Gesetz der Sache, die reinste, übersinguläre Form der Dinge zu Worte – und daß es doch zugleich das am tiefsten menschliche aller Gebilde ist, die unbedingteste Herrschaft der Seele über das bloß Gegebne des Daseins. Weil es ein Gipfelpunkt alles menschlichen Tuns ist, leuchtet in ihm auch am vollendetsten und am sichtbarsten Kants großer Gedanke auf: daß die Objektivität der Dinge unsrer Seele gegenüber in jener Einheit ihrer liegt, die unsre Seele selbst ihnen verleiht und mit der sie deren eigene Form wiederholen.

Mit diesem Gedanken hat die ganze Leistung Kants vielleicht ihr Äußerstes an Tiefsinn erreicht. Er spannt zuerst den Unterschied zwischen Subjektivität und Objektivität bis zu absolutem Gegensatz. Alles durch Assoziationen oder überhaupt psychologisch bestimmte Vorstellen, also, geradezu gesagt, alles Vorstellen in seiner empirischen Realität ist rein subjektiv. Die Objektivität, in der der ganze Erkenntniswert dieses Vorstellens beruht, ist ein Ideal, dem es sich bis ins Unendliche zuentwickelt und von dem ihm als fester Besitz nur jene apriorischen Formen gehören – leere Schemata, eigentlich ein nie ganz eingelöstes Versprechen. So streng ist Kants Vorstellung von der Objektivität, d. h. von dem für absolut alle Subjekte notwendig geltenden Rechte, gewisse Qualitäten zu einem Gegenstand, gewisse Vorstellungen zu einem Urteil zu vereinigen – daß er, um sie rein zu erhalten, das gesamte Erkennen der gegebnen Welt sie nicht erreichen läßt, sondern es auf die Erfahrung beschränkt, die den Zusatz der sinnlichen und also immer korrigierbaren Subjektivität nicht ausscheiden kann. Und nachdem ihm so Subjektivität und Objektivität zu den Polen der Erkenntniswelt geworden sind, biegt er sie wieder zusammen, indem er die eine in ihrer Vollendung als das Gegenbild des Quellpunktes der andren deutet; denn ohne das Ichbewußtsein würde auch kein subjektives Leben, wie wir es kennen, existieren. Grade die innerlichste Form des Ich ist das Motiv und die Macht, wodurch die Dinge zu Objekten, die Vorstellungen zu Wahrheiten außerhalb des Ich werden; jene Kategorien, deren Wirksamkeit das Sinnenmaterial zu Erkenntnissen macht, sind die einzelnen Arten, auf die die zentrale Einheit unsres Selbstbewußtseins die Aufgabe löst, das subjektive Gegebene zu einer objektiven Welt zu gestalten, sind die Kanäle, durch die hindurch die ganze Breite der Erscheinungen ihrer Zusammengefaßtheit zu Einheiten und Einheit entgegentreibt. Daß gerade die innerlichste Tiefe der Seele, die letzte Instanz in ihr, ihre Form hergibt, um das Objektivste, seinem Sinne nach von ihr Unabhängigste zu bilden – damit hat das Weltbild eine unvergleichliche Geschlossenheit erlangt, die hier einmal nicht mit einer Verengung der Aufgabe erkauft ist, sondern ihren ganzen Sinn gerade in der Weite der Spannung hat, die sie zwischen das Selbstbewußtsein und die Welt der objektiven Wahrheit setzt. All die Ahnungen und Andeutungen, die, bald unklar tastend, bald mystisch tiefsinnig, allenthalben zum Ausdruck bringen wollen, daß der Mensch sich der reinsten Wahrheit über die Dinge bemächtigt, indem er sich in sich selbst versenkt – haben hier ihre Erfüllung gefunden: denn sie sind einerseits zu ihrem radikalsten Sinne zugespitzt, sie ergreifen die allumfassende Form alles Inneren und alles Äußeren – und entgehen doch andrerseits der Verblendung und Beschränktheit, die den Inhalt der Welt meint ohne Hinsehen auf ihn erkennen zu können. Denn alle einzelnen Weltwirklichkeiten bleiben der Erfahrung vorbehalten, die nur als Ganzes jetzt des undurchbrechlichsten Zusammenhanges sicher ist: der Punkt, von dem sie ausgeht und der, in den sie mündet, das Absolute des Subjekts und das Absolute des Objekts sind ineinandergewachsen.

An diesem Punkte wird eine Richtigstellung der populären Auffassung Kants unvermeidlich. Daß die Welt unsre Vorstellung ist, erscheint in dieser als die grundlegende Errungenschaft, und von ihr ist die kulturelle Wirkung Kants im wesentlichen ausgegangen; die Breite dieser Wirkung ruht darauf, daß die so erreichte Struktur der Welt der gleichmäßig vollständige Stimmungsausdruck für die entgegengesetztesten Naturelle ist. Die Welt ist meine Vorstellung – also ist meine Vorstellung die Welt, ich bin ihr Herr, in mir ist Raum für sie, außerhalb meiner ist Nichts. Die Welt ist meine Vorstellung – ihre Wirklichkeit, die unverhüllte Wahrheit der Dinge ist mir ewig unerreichbar, ich bin in die Enge meines Vorstellens eingesperrt, vor dem Geiste, der sich nach dem Sein ausstreckt, weicht es zurück wie die Früchte vor der Hand des Tantalus. Daß so die expansiven und energischen Naturen ebenso wie die resignierten und pessimistischen an dieser Lehre ihr Weltbild entfalten konnten, ist sicher eine ihrer größten Attraktionen. Und doch ist dies auf ein Mißverständnis gegründet. Es gibt dem Kantischen Idealismus eine Bedeutung für das subjektiv-persönliche Leben und dessen Verhältnis zum Dasein überhaupt, die völlig über die Absichten Kants hinausgeht. Das Ich, das die Welt zusammenhält und sie dadurch als objektives Sein schafft – dieses Ich ist durchaus kein persönliches, ist durchaus nicht die »Seele«, der das Gewährtsein oder Versagtsein der Welt außer ihr eine Frage des Lebenswertes wäre. Und entsprechend ist dasjenige, was uns durch den bloßen Vorstellungscharakter der Welt versagt bleibt, absolut kein Gegenstand, nach dem zu verlangen einen Sinn hätte, sondern, wie Kant sich einmal ausdrückt, »eine bloße Grille«, viel mehr ein Geschöpf unsrer Phantasie und Willkür, als das empirisch vorgestellte Dasein, das dieser Provenienz beschuldigt wird. Allerdings verkündet die Kantische Lehre eine Souveränität des Geistes über die Welt, aber sie liegt an einem anderen Punkte: in der Herrschaft, die das Ich, als die formgebende Zentralmacht der Bewußtseinswelt, über das Material der Sinneneindrücke ausübt. Geist bedeutet: Zusammenfassung des Mannigfaltigen, ein Ineinander der Elemente des Daseins, zu dem das bloße Neben- und Nacheinander ihres Sinneneindrucks gar kein Gegenbild oder Annäherung bietet. Indem nun diese entscheidendste Energie unsrer Geistigkeit den gegebenen Inhalt des objektiven Weltbildes lenkt, damit dieser schließlich in ihre Form als in seine eigene Erfüllung eingehe, ist der Sinn des Geistes zugleich der Sinn der Dinge geworden; die Herrschaft, mit der die letzte Instanz des Denkens – die Apriorität des Verstandes oder des Ich – die ganze Breite unsrer sinnlichen Rezeptivitäten gestaltet, ist eine unendlich vertieftere und wertvollere als die eigentlich sterile Wahrheit, daß die vorgestellte Welt eben unsre Vorstellung ist, uns gewähren kann.

Aber doch scheint dem Gedanken noch eine letzte Enge anzuhaften. Indem Subjekt und Objekt sich in der Einheit des Selbstbewußtseins zusammenfinden, könnte man sozusagen den Raum, in den sie sich drängen, gar zu beschränkt finden, als ob ein intellektueller Egoismus des Subjekts die Dinge zwänge, seine subjektive und also immer einseitige Sprache zu sprechen. Erst die fortgesetzte Entwicklung dieser Kantischen Grundbegriffe erweitert sie so, daß die Größe des Objekts vielmehr das Subjekt ergreift, als daß sie unter der Beschränktheit dieses litte.

Das Material seiner Probleme ist für Kant die Welt, die uns als empirisches Erkenntnis gegeben ist. Wie das Vorstellen, das ihn allein interessiert, von ihr ausgeht, so muß es auch wieder in sie zurückkehren. Ihm wäre keine Erklärung zulässig, die dies allein wirkliche Sein von einer jenseits seiner verbleibenden Instanz abhängig machte. Soweit auch die prinzipielle Gültigkeit der apriorischen Begriffe und Normen über jeden momentanen Stand der Erfahrung hinausgreift, so haben sie doch ihre wirksame Existenz nur innerhalb des jeweiligen empirischen Weltbildes. Und nicht anders verhält es sich mit dem Ich, durch das wir eine objektive Welt haben und das ausschließlich in jenen Kategorien lebt und sich äußert. Die Elemente des Daseins werden doch nie in der Erfahrung (höchstens in der metaphysischen oder religiösen Spekulation) nur durch eine ganz allgemeine Einheit zusammengehalten. Sondern entweder gehören sie als verschiedene Eigenschaften zu einer Substanz und bilden so ein Ding, oder aus der Buntheit der zeitlich einander folgenden Vorgänge werden zwei zu einer Kausalfolge zusammengebunden, oder ein Subjekt und ein Prädikat formen ein Urteil, oder eine Vielheit von Ereignissen macht das Schicksal eines Wesens aus usw. Das Ich ist gleichsam die primäre Energie, die sich in all diesen Formen äußert – Kant nennt es »das Vehikel der Kategorien« –, das Einheitsmoment dieser verschiedenen Vereinheitlichungen, das so wenig eine von diesen gesonderte Existenz führt, wie die Seele im weiteren Sinn außerhalb der Gefühle, Gedanken, Bestrebungen des Menschen besteht. Damit ist – wenn auch jetzt die dynamische Seite des Ich hervortritt – angedeutet, daß dies noch immer nicht seine Psychologie beschreibt. Denn der Sinn aller Psychologie ist, daß das einzelne Phänomen der Seele aus dem Gesamtzusammenhange ihres Lebens heraus – Gutes und Böses, Wahres und Falsches, Intellekt und Gefühl, Energien und Apathien einbegriffen – verstanden werde; gleichviel, ob diese Aufgabe nur die bescheidensten Teillösungen findet. Die bloßen Erkenntnisinhalte aber, die hier in Frage stehen, dürfen sozusagen auf keine breitere Wurzel, als sie unmittelbar unter ihrem scharf umrissenen Umfang liegt, zurückgehen, und das Ich als Vehikel der Kategorien bleibt jene bloße Form, jene bloß logische Wurzel der Erkenntniswelt – nur daß es hier daraufhin angesehen oder damit ausgedrückt wird, daß es diese genau differenzierte, ausschließlich durch ihren logischen Inhalt bestimmte Funktion ausübt. So also ist, was wir das Ich nennen, nichts als die Einheit, zu der die einzelnen Inhalte der vorgestellten Welt sich zusammenfinden: es gibt keine Einheit ohne Elemente, die von ihr oder zu ihr geformt werden, zum mindesten nicht in den Grenzen der erkennbaren Welt. Eine etwaige substanzielle »Einfachheit« der Seelensubstanz, als des metaphysischen Trägers des Vorstellungslebens, hat mit der Einheit innerhalb dieses letzteren so wenig zu tun wie der Charakter einer Hülle mit dem ihres Inhaltes. Jenes Ich des Selbstbewußtseins lebt nur in der Welt, die seine Form annimmt, wie der Gott des Pantheisten in der Welt, durch die er sich als ihr Sinn und eigentliches Sein ergießt und außerhalb derer er so wenig noch etwas ist, wie sie außerhalb seiner. Wenn man das Ich gesondert ergreifen will, jenseits seiner Funktion am Stoff der Sinnenwelt, so ist es ein bloßes, allgemeines Gefühl des Daseins, als Vorstellung ein Schema, von dem wohl anderes seine Bestimmung entlehnen kann, das selbst aber etwas ganz Unbestimmtes und Leeres ist. Mit einem Wort: das Ich, als dessen Gegenbild und Produkt sich die Einheit, der Objektcharakter, die Erkennbarkeit der Dinge gezeigt hat, – dieses Ich ist nichts als die Funktion, alles dies zustande zu bringen. Die Funktion, die unsere erkennbare Welt trägt, hat nicht selbst wieder einen Träger, das Ich geht in seiner Leistung auf, es ist bloße Tätigkeit, es selbst und die Welt, an der es lebt, wie sie an ihm, hat kein Sein, im Sinne einer stabilen Substanz, sondern ein Werden, ein rastloses Bilden, Umbilden, Sichentwickeln. Wie die Welt unsres Erkennens sich als der Prozeß offenbart hat, in dem die sinnliche Gegebenheit in die Form als Objekt, als Zusammenhang, als Urteil eingeht, so geht das Ich, das ihr diese Form gewährt, nun in sie auf, es ist nicht Partei ihr gegenüber, sondern es ist ihr Geformtwerden; außerhalb ihrer kann es nur die ideelle Gültigkeit der reinen, absoluten, restlos harmonischen Einheit haben, der die Welt innerhalb unsres Erkennens sich zuentwickelt.

Hierin zeigt sich eine wohl der Erwähnung werte Evolution der philosophischen Grundmotive. Mit der Erklärung, daß die Tatsache des denkenden Ich die einzig ganz unbezweifelbare sei, hatte die Philosophie der Neuzeit eingesetzt. Das Cartesianische cogito ergo sum bedeutet nicht, daß aus dem Denken die Existenz eines gleichsam substanziellen, das Denken erst erzeugenden Ich erschlossen würde; sondern vielmehr, daß das Denken selbst als eine Tatsache, eine unmittelbare Wirklichkeit erhärtet wird. Gemäß der früheren und gewöhnlichen Vorstellungsweise steht gleichsam auf der einen Seite die Wirklichkeit, die geschlossene Selbstgenugsamkeit des Daseins, auf der andern das Denken, ein Zusammenhang ideeller Bilder, seinem Wesen und Sinn nach gerade das Gegenstück der Wirklichkeit als solcher. Diese Getrenntheit überbrückt das cogito ergo sum, indem sein Grundmotiv, in modernem Ausdruck, besagt: Das Denken ist nicht einfach ein Komplex von Denkinhalten, die im Bewußtsein, wie in einem gegenwirklichen Raume, nebeneinanderliegen, sondern es ist ein Vorgang, ein Leben, ein Sein, das selbst Wirklichkeit ist, und zwar die einzige Wirklichkeit, die sozusagen ihre Garantie, eine solche zu sein, in sich selbst hat. All seine einzelnen Inhalte legitimieren sich an ihrer immer problematischen Beziehung zu ihren realen Gegenbildern; das Denken selbst aber bedarf dessen nicht, es bezieht seinen Wirklichkeitswert nicht von wo anders her, sondern hat ihn unmittelbar, indem es sich vollzieht; während seine Inhalte, die freischwebenden Vorstellungsbilder, das Sein außer sich haben, hat es, als Prozeß, das Sein in sich. Indem es sich als bloßen Prozeß erfaßt, ist es Selbstbewußtsein, ist es Ich, und darum ist dieses die erste und einzig unmittelbare Realität. Wenn Kant dann die objektive Welt gleichsam in das Selbstbewußtsein aufnahm – da sie nur insoweit objektiv ist, als sie von ihm seine Form entlehnt – hat er jener die stärkste Wirklichkeit verliehen, über die das augenblickliche Denken verfügt. Daß nun aber das Ich sich in die Weltinhalte auflöst, die bloße Form und Funktion ist, in der diese zu einem erkennbaren, allein realen Kosmos zusammenhängen, – das will sagen, daß das Gerüst abgerissen wird, nachdem das Gebäude steht. Durch den entscheidenden Gedanken, daß die Objektivität in der Einheit besteht, die die Vorstellungen vermöge der Struktur ihres Schauplatzes, des Ich, gewinnen – ist die Descartessche Bezweifelbarkeit des Objektiv-Wirklichen gehoben; aber eben damit hat das Ich seine Sonderstellung, seine über die Welt der singulären Erkennbarkeiten hinausreichende Gültigkeit verloren, es ist nun – erkenntnistheoretisch gesprochen – nichts besseres als die Welt. So mußte in dieser geistesgeschichtlichen Entwicklung die Welt ihre ganze Realität erst an das Ich verlieren, damit dieses sich für sie opfere und ihr damit ihre Realität auf höherer Stufe zurückgebe. Dies Weltbild ist durch das Ich da, aber das Ich ist für das Weltbild da.

Damit wird von neuem die Torheit oder die Mißverständlichkeit des Ausdrucks klar, daß Kant die Welt subjektiviert habe. Viel haltbarer wäre das Umgekehrte: daß Kant das Ich objektiviert habe, indem er es vollkommen in die Welt, die, als eine erkennbare, seine Leistung ist, auflöst. Versteht man aber, der populären Auffassung folgend, unter dem Subjekt ein Seelenwesen, das eine Existenz und Bedeutung für sich, diesseits seiner Funktion am Stoff des Daseins hätte, und unter Objekt eine Wirklichkeit jenseits der Erkennbarkeit und ihrer Formen, in die jene erst nachträglich aufgenommen wird, – so hat sich Kant überhaupt über diesen ganzen Gegensatz erhoben. Für ihn gibt es, soweit es sich um Erkenntnis handelt, eben nur eine einzige Welt und weder ein Diesseits noch ein Jenseits ihrer. Für die Metaphysik, die die inneren Bewegungen der Erfahrungswelt zu besondren Wesen als den Trägern und Gründen jener Bewegungen kristallisiert, liegt die Einheit der Welt einerseits in dem absoluten Ich, andrerseits in einem absoluten Sein, das an und für sich nicht in die Vielheit und Besonderung der Erfahrungswelt eingeht. Aber die Metaphysik hat ihren Sinn in Bedürfnissen, die außerhalb der Erkenntnis liegen. Für diese, der alles Absolute versagt ist – nicht aus einem Manko und einer Resignation, sondern als der absolute Ausdruck ihres Wesens –, kann Einheit nichts andres bedeuten als: Wechselwirkung der Teile einer Existenz, die dynamische Beziehung, durch die die Elemente der Welt zu Urteilen, Gegenständen, Ursachen und Wirkungen, sinnvollen Zusammenhängen werden. So ist die Welt ein System sich gegenseitig tragender Faktoren, das Ich ist die Tätigkeit, die die sinnlichen Elemente in diese Gegenwirkungen, d. h. zu ihrer Einheit bringt, aber nicht aus ihnen heraustritt, es ist die Lebendigkeit des Weltprozesses, der in der verständlichen, Objekte bildenden, das Chaos der Sinnlichkeit formenden Verbindung jener Elemente besteht.

Wenn diese Gleichung zwischen Subjekt und Objekt den Kern des Kantischen Idealismus richtig deutet, so stellt sie eine der größten Synthesen der nach zwei Seiten auseinanderführenden Wege der neuzeitlichen Geistesentwicklung dar. Denn so verschieden für diese auch das Verhältnis zum Altertum und das zum Mittelalter ist, in einem Punkt ist es beiden gegenüber das gleiche: in der Herausarbeitung des Objektbegriffs und des Subjektbegriffs, die sich in den letzten vier Jahrhunderten gegenseitig und an ihrem Gegensatz zueinander zu einer bis dahin unerhörten Schärfe und Selbständigkeit entwickelt haben. Die objektive Welt als ein Mechanismus durchgehender Gesetzlichkeiten, in die keine subjektive Macht: Zweck, höhere Geister, Freiheit, eingreift; ihr gegenüber die menschliche Persönlichkeit, deren Seelenhaftigkeit jener ganzen Natur ein Paroli bietet, die mit ihren Wertsetzungen eine ganze eigne Welt schafft, deren geistiges Fürsichsein nirgends sonst eine Analogie findet, – dieses beides trat erst in der Neuzeit so auseinander, daß alle Mythologien und Teleologien mit ihrer dumpfen Vermischung beider Prinzipien abgetan waren. Zugleich aber entstand unvermeidlich das Bedürfnis, die verlorene Einheit wiederzufinden, auf höherer und bewußter Stufe zu versöhnen, was von der naiven aus auseinanderbrechen mußte. Soweit dies Problem auf dem Gebiet der bloßen Intellektualität spielt, ist die Kantische Lösung von unvergleichlicher Größe und Weite. Sie zeigt, daß das Gebiet möglicher Erfahrung die ganze Festigkeit, die Unabhängigkeit von allen Zufällen subjektiver Interessen, die Geschlossenheit gesetzlicher Zusammenhänge besitzt, die wir eben als Objektivität bezeichnen, daß diese aber die Leistung des tiefsten Punktes unsrer Subjektivität ist, des so tief gelegenen freilich, daß alle Subjektivität im populären Sinne, alle Besonderheit der Personen, alle Willkürlichkeiten der Gefühle – kurz: die Unterschiede zwischen den Menschen und die innerhalb des Menschen – ihn nicht mehr berühren. Das im Tiefsten Befriedigende dieser Lösung ist, daß gerade die Welt, die wir in unsrer Erkenntnis wirklich haben, sich jenseits dieses Gegensatzes als solchen stellt, weil sie aus der Synthese seiner Elemente erwachsen ist, in dieser Synthese besteht.



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