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3. Kapitel

Zwei Reiter ritten ruhig und still durch die Waldschlucht, welche an das Herrenhaus von Roslogi stieß. Die Nacht war sehr finster, denn der Mond war längst untergegangen, und dichte Wolken bedeckten den Horizont. In der Waldschlucht konnte man kaum drei Schritte über die Pferde hinaussehen, die auch häufig über die Wurzeln und Bäume, welche den Pfad bedeckten, strauchelten. Sie ritten lange Zeit mit größter Vorsicht, erst als sie ans Ende der Waldschlucht kamen und die offene Steppe vor sich hatten, die durch den grauen Widerschein der Wolken ein wenig heller war, flüsterte einer von den Reitern:

»Trab!«

Wie zwei Pfeile, von tatarischen Bogen geschnellt, flogen sie dahin, und nur der Widerhall der Pferdehufe folgte ihnen. Die dunkle Steppe schien unter den Schritten der Pferde zurückzuweichen. Vereinzelte Eichen, die hier und da am Wege standen, schwirrten vorüber wie Gespenster, und sie jagten so lange, so lange ohne Ruhe und Erholung dahin, bis endlich die Pferde die Ohren sinken ließen und vor Mattigkeit zu fauchen begannen; ihr Lauf wurde schwerfälliger und langsamer.

»Es hilft nichts, wir müssen langsamer reiten,« sagte der dickere Reiter.

Gerade hatte auch die Dämmerung begonnen, die Nacht von der Steppe zu scheuchen. Immer größere Flächen tauchten aus dem Schatten, die Steppendisteln schimmerten blaß, die entfernten Bäume und Hügel wurden sichtbar; die Luft füllte sich immer mehr mit Licht. Der blasse Schimmer beleuchtete auch die Züge der Reiter.

Es waren Sagloba und Helene.

»Es hilft nichts, wir müssen langsamer reiten,« wiederholte Sagloba. »Gestern sind die Pferde von Tschechryn nach Roslogi gelaufen, ohne auszuruhen, das halten sie nicht länger aus, ich fürchte, sie stürzen. Wie fühlt Ihr Euch, Fräulein?«

Sagloba blickte seine Gefährtin an und rief, ohne eine Antwort abzuwarten:

»Erlaubt mir, Fräulein, Euch bei Tageslicht anzuschauen. Hoho, ist diese Kleidung von den Brüdern? Bei Gott, Fräulein, Ihr seid ein hübscher Kosak, solange ich lebe, habe ich solchen Reiterbuben nicht gehabt – aber ich denke auch so: Herr Skrzetuski wird ihn mir nehmen. Aber was soll das? Um Himmels willen, steckt doch diese Haare auf, sonst täuscht Ihr keinen über Euer Geschlecht.«

In der Tat war über Helenens Schultern eine Flut schwarzer Haare herabgeflossen, die der eilige Ritt und die nächtliche Feuchtigkeit aufgelöst hatten.

»Wohin reiten wir?« fragte sie, indem sie die Haare mit beiden Händen zusammenwand und sich bemühte, sie unter den Helm zu rücken.

»Wohin die Augen führen.«

»Nicht nach Lubnie?«

In Helenens Zügen prägte sich Unruhe aus, unter dem scharfen Blick, den sie Sagloba zuwarf, malte sich das neuerwachte Mißtrauen.

»Seht, Fräulein, ich habe meinen eigenen Verstand, und glaubt nur, ich habe alles vorher gut berechnet. Und meine Berechnung ist auf folgender weiser Maxime begründet: Fliehe nicht nach der Seite, nach der man dich verfolgen wird. Seht, wenn man uns jetzt verfolgt, so verfolgt man uns in der Richtung nach Lubnie. Denn ich habe mich gestern laut nach dem Weg erkundigt, und Bohun zum Abschied gesagt, daß wir dorthin fliehen werden. Ergo fliehen wir nach Tscherkassy. Beginnen sie uns dann zu verfolgen, so geschieht dies erst, wenn sie sich überzeugt haben, daß wir nicht auf dem Wege nach Lubnie sind, und das nimmt ihnen zwei Tage Zeit fort. Inzwischen sind wir in Tscherkassy, wo jetzt die polnischen Fähnlein Piwnizki und Rudomina stehen. Und in Korsun ist die ganze Heeresmacht des Hetmans, begreift Ihr, Fräulein?«

»Ich begreife und will Euch dankbar sein, solange ich lebe! Ich weiß nicht, wer Ihr seid, wie Ihr nach Roslogi gekommen, aber ich denke, Gott hat Euch zu meinem Schutz und zu meiner Rettung geschickt, denn eher hätte ich mir den Dolch durch die Brust gestoßen, als daß ich in die Macht dieses Banditen gekommen wäre.«

»Das ist ein Drache, der auf Eure Unschuld gelauert hat.«

»Was habe ich ihm getan, ich Unglückselige, daß er mich verfolgt? Ich kenne und hasse ihn von alters her; er hat stets nur Furcht in mir erweckt. Bin ich denn die einzige in der Welt, daß er mich liebt, daß er meinetwegen so viel Blut vergossen hat, daß er mir die Brüder hingemordet? ... Gott, wenn ich daran denke, erstarrt mir mein Blut. Was werde ich beginnen, wo vor ihm Schutz suchen?«

Helenens Wangen färbten sich mit flammendem Rot, zwei Tränen, die Zorn, Verachtung und Schmerz eingegeben, flossen von ihrem Antlitz herab.

»Ich will nicht widersprechen,« sagte Sagloba, »daß Euer Haus ein großes Unglück betroffen hat, aber laßt Euch sagen, Fräulein, daß Eure Verwandten zum größten Teil selbst schuld daran sind. Man hätte dem Kosaken Eure Hand nicht versprechen dürfen, und ihn dann verraten, denn als er das erfahren, geriet er so in Wut, daß alle meine Überredung nichts half. Auch mir tun Eure erschlagenen Vettern leid – besonders dieser jüngste; er war fast noch ein Kind, aber man sah ihm an, daß er sich zu einem tüchtigen Ritter entwickeln würde.«

Helene begann zu weinen.

»Die Tränen stehen den Gewändern nicht an, die Ihr tragt, trocknet sie, Fräulein, und denkt, daß es Gottes Wille gewesen ist. Gott wird auch den Mörder strafen, der ja schon bestraft ist, da er umsonst das Blut vergossen und Euch, Fräulein, das einzige und hauptsächlichste Ziel seiner Leidenschaft, verloren hat.«

Sagloba schwieg, aber nach einer Weile fuhr er fort:

»Ei, er würde mich in Stücke zerreißen – du lieber Gott – wenn er mich in seine Hände bekäme. Dieser Bohun ist eine Bestie, sage ich Euch, ich habe ihn so satt, daß ich lieber dem Teufel begegnen möchte als ihm.«

»Gott schütze uns vor seinen Händen.«

»Er hat sich selbst ins Verderben gebracht, Tschechryn hat er gegen den Willen des Hetmans verlassen, mit dem Wojewoden von Ruthenien hat er angebunden, ihm bleibt nichts übrig, als zu Chmielnizki zu fliehen. Aber sein Stolz wird sich legen, wenn Chmielnizki geschlagen wird, und das kann schon geschehen sein. Rzendzian hat hinter Krementschuk die Heere getroffen, welche unter Barabasch und Krschetschowski dem Chmielnizki entgegenziehen, und außerdem ist Stephan Potozki zu Lande mit den Husaren ausgerückt; aber Rzendzian hat in Krementschuk zehn Tage verbracht, um die Tschaiken auszubessern; ehe er also nach Tschechryn gekommen ist, kann die Schlacht schon geschlagen worden sein, jeden Augenblick waren wir der Nachricht gewärtig.«

»So hat Rzendzian also aus Kudak Briefe gebracht?« fragte Helene.

»Ja, Briefe von Herrn Skrzetuski an die Fürstin und an Euch, aber Bohun hat sie ihm abgenommen, aus ihnen alles erfahren, dem Rzendzian auf der Stelle den Kopf gespalten und dann ist er gegen die Kurzewitsch' auf Rache ausgezogen!«

»O, armer Bursche! Meinetwegen hat er sein Blut vergossen!«

»Grämt Euch nicht, Fräulein, er wird am Leben geblieben sein.«

»Wann ist das geschehen?«

»Gestern früh. Für Bohun ist der Mord eines Menschen gerade soviel, wie einem anderen das Trinken eines Bechers mit Wein, und gebrüllt hat er, als er die Briefe gelesen hatte, daß ganz Tschechryn zitterte.«

Das Gespräch wurde eine Zeitlang unterbrochen. Es war schon ganz hell geworden. Der rosige Morgenschimmer, von hellem Golde, Opalen und Purpur verbrämt, erglomm an der Ostseite des Himmels. Die Luft war klar und frisch. Die Pferde begannen fröhlich zu wiehern.

»Nun reiten wir weiter, mit Gott frisch auf! Die Pferde haben geruht, wir haben keine Zeit zu verlieren,« sagte Sagloba. Sie ritten wieder im Galopp dahin, eine halbe Meile, ohne auszuruhen – plötzlich erblickten sie einen dunklen Punkt, der sich mit ungeheurer Schnelligkeit näherte.

»Was kann das sein?« sagte Sagloba langsam. »Das ist ein Mann zu Pferde.«

Wirklich näherte sich ein Reiter in vollem Laufe, auf den Sattel gebeugt, das Antlitz in der Mähne verborgen, und hieb mit der Peitsche auf das Roß ein, das kaum die Erde zu berühren schien.

Inzwischen war der Reiter auf dreißig Schritte herangekommen.

»Halt!« donnerte Sagloba ihn an und zielte mit dem Pistol – »wer bist du?«

Der Reiter brachte das Pferd schnell zum Stillstand, erhob sich auf dem Sattel, blickte aber kaum auf bei dem Ausruf:

»Herr Sagloba!«

»Pleßniewski, der Diener des Starosten von Tschechryn, was machst du, wohin reitest du?«

»O, gnädiger Herr, kehrt auch Ihr mit mir um. O, Unglück! Zorn Gottes! Gottes Gericht!«

»Was ist geschehen? Sprich!«

»Tschechryn ist von den Saporogen genommen, die Bauern morden den Adel hin – Gottes Gericht ...«

»Im Namen des Vaters und des Sohnes, was sprichst du? Chmielnizki?«

»Potozki ist geschlagen, Tscharniezki in Gefangenschaft, die Tataren machen mit den Kosaken gemeinsame Sache, Tuhaj-Bey!«

»Und Barabasch und Krschetschowski?«

»Barabasch ist hin, Krschetschowski hat sich mit Chmielnizki verbunden, Krschywonos ist noch gestern in der Nacht gegen die Hetmane ausgerückt, Chmielnizki heute mit Tagesanbruch. Eine ungeheure Heeresmacht. Das Land steht in Flammen, die Bauern erheben sich überall, Blut fließt! Entflieht, Herr!«

Dies rufend, gab Pleßniewski seinem Pferde die Sporen und ritt davon.

»Da haben wir's,« sagte Sagloba. »Ich habe mich schon aus so mancher Fährlichkeit gezogen, aber in solchen Nöten war ich noch nicht. Vor uns Chmielnizki, hinter uns Bohun, und wenn es so ist, gebe ich nicht einen roten Heller für mein Vorn, noch für mein Hinten, noch für meine ganze Haut. Ich habe wohl gar eine Torheit gemacht, daß ich mit Euch nicht nach Lubnie floh, aber darüber können wir jetzt nicht nachdenken. Pfui, pfui, mein ganzer Witz ist jetzt nicht so viel wert, daß man mit ihm die Stiefel schmieren könnte. Was tun? Wohin? In dieser ganzen Republik gibt's keinen Winkel mehr, wo Menschen auf eine anständige Weise sich aus der Welt drücken könnten.«

»Werter Herr,« sagte Helene, »ich weiß, daß meine Brüder Georg und Fedor in Slotonosch sind, vielleicht gibt's bei ihnen Hilfe?«

»In Slotonosch? Geduld, Fräulein, auch ich habe in Tschechryn Herrn Unieschizki kennen gelernt, der bei Slotonosch einen Besitz hat, Kropiwna und Tschernoboj, aber das ist weit von hier, weiter, als bis nach Tscherkessien. Was tun? Da wir wo anders nicht hin können, wollen wir dorthin fliehen. Aber wir müssen von der Heerstraße; durch die Steppen und Wälder ist's weniger gefährlich.«

Sie bogen von der Landstraße ab und ritten in die Steppe. Das Gras wurde, je tiefer sie in die Steppe hineinkamen, immer höher, so daß sie endlich ganz darin versanken, aber die Pferde kamen nur mit Mühe in diesem Gewirr von schwächeren und stärkeren Halmen vorwärts, die bisweilen auch scharf waren und verwundeten.

Endlich gelangten sie an das hohe, trockene, mit Eichen bewachsene Ufer des Kahamlik. Aber schon war auch tiefe, dunkle Nacht eingebrochen, die Fortsetzung der Reise war eine Unmöglichkeit, denn in der Finsternis hätte man auf gefährliche Sümpfe stoßen und umkommen können. Sagloba beschloß also, bis zum Morgen zu warten.

Er zäumte die Pferde ab, band sie zusammen und ließ sie auf der Weide tummeln, dann begann er Blätter zu sammeln, machte aus ihnen ein Lager, bedeckte es mit Schabracken und einem Filzmantel und sagte zu Helene:

»Legt Euch nieder, Fräulein, und schlaft, denn wir haben nichts Besseres zu tun. Der Tau wird Euch die Äuglein netzen, aber das tut nichts, auch ich will meinen Kopf auf das Sattelholz legen, denn ich spüre kaum noch meine Knochen. Feuer wollen wir nicht anzünden, denn das Licht könnte uns die Tschabanen auf den Hals locken. Die Nacht ist kurz, mit Tagesgrauen reiten wir weiter. Schlaft ruhig, Fräulein, wie die Hasen sind wir die Kreuz und Quer gesprungen, ohne freilich einen weiten Weg zurückzulegen, aber wir haben auch die Spuren hinter uns so verwischt, daß uns keiner selbst mit dem Teufel im Bunde auffinden kann. Gute Nacht, Fräulein.«

»Gute Nacht.«

Der schlanke Kosakenjüngling kniete nieder und betete lange, die Augen zu den Sternen erhoben, Sagloba aber nahm das Sattelholz auf die Schultern und trug es ein wenig abseits, wo er sich einen Ort zum Schlafen ausersehen hatte. Das Ufer war gut gewählt zum Nachtlager, es war hoch und trocken, also auch frei von Mücken. Das dichte Laub der Eichen konnte guten Schutz gegen den Regen gewähren.

Helene konnte lange nicht einschlafen, die Ereignisse der vergangenen Nacht standen lebhaft vor ihrem Gedächtnis, aus der Dunkelheit traten die Gesichter der Ermordeten: der Tante und der Vettern. Es schien ihr, als wäre sie mit den Leichnamen in jenem Flur eingeschlossen, und als sollte Bohun sogleich in diesen Flur treten, sie sah sein blasses Antlitz, seine schwarzen Zobelbrauen, vom Schmerz zusammengezogen, und seine Augen auf sich gerichtet. Eine unaussprechliche Angst ergriff sie, und plötzlich in dieser Finsternis, die sie umgab, erblickte sie in Wirklichkeit zwei leuchtende Augen ...

Der Mond sah flüchtig aus den Wolken hervor, beleuchtete mit wenigen Strahlen den Eichenhain, und gab den Stämmen und Zweigen phantastische Gestalten. Die Rallen ließen sich auf den Wiesen vernehmen, Wachteln in den Steppen; von Zeit zu Zeit ertönten ferne, sonderbare Stimmen der Vögel oder der Nachttiere. In der Nähe wieherten die Pferde, welche im Grase weideten und gefesselt umhersprangen, sich immer mehr von den Schlafenden entfernend. Aber alle diese Stimmen beruhigten Helene, denn sie zerstreuten ihre phantastischen Gesichter und brachten sie zur Wirklichkeit zurück; sie sagten ihr, daß dieser Flur, der beständig vor ihren Augen stand, und diese Leichen der Verwandten und dieser Bohun, der blasse, mit der Rache im Blick, nur eine Täuschung der Sinne, ein Gebilde der Angst war, nichts weiter.

So sangen die Rallen und Wachteln sie in den Schlaf, die Sterne funkelten, wenn ein Wind die Zweige bewegte, die Käfer summten in dem Eichenlaube – und sie schlief endlich ein. Aber die Nächte der Wüste haben auch ihre Überraschungen. Es fing schon an zu dämmern, als aus der Ferne entsetzliche Stimmen an ihr Ohr schlugen, ein Pfauchen, Heulen, Schnarchen, dann ein Quieken, so schmerzlich und entsetzlich, daß das Blut in ihren Adern erstarrte. Sie sprang schnell auf die Füße, von kaltem Schweiß bedeckt, erschrocken und ohne zu wissen, was sie beginnen solle. Plötzlich erschien vor ihren Augen Sagloba, der ohne Mütze, Pistolen in den Händen, nach der Richtung lief, wo die Stimmen herankamen. Nach einer kurzen Pause erscholl seine Stimme:

»Uha! Uha! Siromacha!«

Ein Schuß ertönte, dann war alles still. Helene schien es, als währte es eine Ewigkeit, endlich hörte sie aber unten am Ufer wiederum Saglobas Stimme:

»Daß euch die Hunde zerfleischen, daß man euch das Fell abziehe, daß euch die Juden am Kragen hätten!«

In Saglobas Stimme zitterte wahrhafte Verzweiflung.

»Was ist geschehen, Herr?« fragte das Mädchen.

»Die Wölfe haben unsere Pferde abgeschlachtet.«

»Jesus, Maria! Beide?«

»Eins ist tot, das andere verwundet, so daß es kaum noch eine Waldstrecke wird gehen können. In der Nacht sind sie nicht dreihundert Schritt gegangen, und es ist schon vorbei mit ihnen.«

»Was werden wir jetzt beginnen?«

»Was wir beginnen werden? Wir werden uns Stöcke schneiden und uns darauf setzen. Weiß ich, was wir beginnen? Wahre Verzweiflung faßt mich! Ein Schelm will ich sein, wenn ich je in solcher Not war.«

»Wir werden zu Fuß gehen ...«

»Ihr habt gut reden, Fräulein, bei Euren zwanzig Jährchen, aber wie soll ich bei meinem Umfange nach Bauernmode reisen? Zwar, ich rede unvernünftig, denn hier hat ja jeder Bauernknecht sein Pferd, und nur die Hunde laufen zu Fuß. So wahr ich lebe, die reine Verzweiflung. Gewiß werden wir hier nicht sitzen bleiben, wir werden weiter gehen, aber wann wir nach Slotonosch kommen, weiß ich nicht. Wenn es schon kein Vergnügen ist, zu Pferde zu entfliehen, zu Fuß gehen ist geradezu niederträchtig.«

Da ihnen nichts anderes übrig blieb, machten sie sich zu Fuß auf den Weg. Gegen Mittag kamen sie an eine Furt, über welche offenbar von Zeit zu Zeit Menschen und Wagen fuhren, denn an beiden Ufern waren Spuren von Rädern und Pferdehufen.

»Vielleicht ist das der Weg nach Slotonosch,« sagte Helene.

»Bah, es ist niemand hier, den man fragen könnte.«

Kaum hatte Sagloba das gesagt, als aus der Ferne Menschenstimmen an ihr Ohr schlugen.

»Haltet, Fräulein, verbergen wir uns,« flüsterte Sagloba.

Die Stimmen kamen näher.

»Seht Ihr etwas?« fragte Helene.

»Ja, Fräulein.«

»Wer nähert sich?«

»Ein blinder Greis mit der Laute. Ein Bürschchen führt ihn. Jetzt ziehen sie die Stiefel aus. Sie kommen über den Fluß auf uns zu.«

Bald kündigte das Plätschern des Wassers an, daß jene wirklich hindurch gingen.

Sagloba und Helene kamen aus ihrem Versteck.

»Gelobt sei Gott,« sagte der Edelmann laut.

»In Ewigkeit, Amen,« antwortete der Greis. »Wer ist da?«

»Christen; fürchte dich nicht, Alter, guter Freund.«

»Gebe euch der heilige Nikolaus Gesundheit und Glück.«

»Und woher kommt Ihr, Alter?«

»Aus Browarki.«

»Und wohin führt dieser Weg?«

»Zu den Waldflecken, Herr, zum Dorfe ...«

»Kommt man auf diesem Wege nach Slotonosch?«

»Ja, Herr.«

»Seid Ihr schon lange von Browarki fort?«

»Seid gestern früh.«

»Seid Ihr auch in Roslogi gewesen?«

»Ja, Herr, man sagt, die Ritter seien dort angekommen, und es habe eine Schlacht gegeben.«

»Wer hat das gesagt?«

»In Browarki haben's die Leute gesagt, da ist einer von dem Gesinde des Fürsten gekommen, und was er erzählt hat, ist entsetzlich!«

»Habt Ihr ihn nicht gesehen?«

»Ich sah niemand, Herr, ich bin blind.«

»Und der Bursche da?«

»Er sieht, aber er ist stumm, ich allein verstehe ihn.«

»Ist's weit von hier nach Roslogi? Denn wir wollen gerade dorthin.«

»O ja, es ist weit!«

»Ihr sagt also, Ihr wäret in Roslogi?«

»Ja, Herr.«

»So,« sagte Sagloba und packte plötzlich den Burschen am Kragen. »Ha, ihr Schurken, Diebe, Schufte, spionieren geht ihr, die Bauern zur Empörung aufreizen, he, Fedor, Alex, Maxim, die da nehmen, nackt auskleiden und erhängen oder ersäufen! Haut zu, es sind Rebellen, Spione, haut, schlagt!«

Er begann den Burschen zu rütteln und tüchtig zu schütteln und immer lauter zu schreien. Der Greis warf sich auf die Kniee und bat um Gnade, der Bursche gab entsetzliche Töne von sich, wie sie den Stummen eigen sind, und Helene sah erstaunt dem Überfall zu.

»Was tut Ihr?« fragte sie, den eigenen Augen nicht trauend.

Aber Sagloba schrie, fluchte, setzte die ganze Hölle in Bewegung, rief alle Krankheiten, allen Erdenjammer auf sie herab – drohte mit allen Arten von Foltern und Tod.

Die junge Prinzessin glaubte, er habe seinen Verstand verloren.

»Gehe fort!« rief er ihr zu. »Es ziemt dir nicht, mit anzusehen, was hier geschehen wird. Fort, sage ich.«

Plötzlich wandte er sich zu dem Alten um:

»Zieh' den Mantel ab, Hammel, wo nicht, schneide ich dich in Stücke!«

Dann warf er den Burschen auf den Boden und begann mit eigenen Händen ihm die Kleider vom Leibe zu reißen; der Alte warf vor Schreck schnell seine Laute, seinen Sack und sein Wams ab.

»Alles herunter! Daß die Pest« – kreischte Sagloba.

Der Greis begann sein Hemd herunterzuziehen.

Da die junge Prinzessin sah, was kommen sollte, entfernte sie sich eilig, um ihre Keuschheit nicht durch den Anblick der entblößten Glieder zu beleidigen, und Saglobas Flüche tönten ihr noch nach.

Als sie sich ein Stück entfernt hatten, machte sie Halt, sie wußte selbst nicht, was sie beginnen sollte. In der Nähe lag der Stamm eines vom Sturm gestürzten Baumes, sie setzte sich auf diesen und wartete. An ihr Ohr schlugen die Rufe des Stummen, die Seufzer des Alten, und der wüste Lärm, den Sagloba machte.

Endlich wurde alles still, man hörte nur das Zwitschern der Vögel, und das Rauschen der Blätter. Nach kurzer Zeit hörte sie lautes Keuchen und einen schweren Männertritt.

Es war Sagloba.

Auf dem Arme trug er die Mäntel, die er dem Greise und dem Buben abgenommen hatte, in der Hand zwei Paar Stiefel und die Laute. Da er näher kam, begann er mit seinem gesunden Auge zu blinzeln, zu lächeln und schwer zu atmen.

Er war offenbar in trefflicher Laune.

»Kein Gerichtsdiener im Tribunal schreit so, wie ich geschrieen habe,« sagte er, »ich bin ganz heiser davon. Aber ich habe erreicht, was ich wollte, ich habe sie nackt laufen lassen, so wie sie die Mutter zur Welt gebracht hat. Wenn mich der Sultan nicht zum Pascha macht oder zum Hospodar der Walachei, so ist er undankbar, denn ich habe die Zahl der türkischen Heiligen um zwei vermehrt.«

»Aber zu welchem Zwecke habt Ihr das getan?« fragte Helene.

»Zu welchem Zwecke? Begreift Ihr das nicht, Fräulein. Wartet nur ein wenig, der Zweck wird sich bald offenkundig zeigen.«

Mit diesen Worten nahm er die Hälfte des zerrissenen Mantels und begab sich in das Strauchwerk am Ufer. Nach einiger Zeit ertönten in den Sträuchern die Saiten einer Laute, und dann erschien ... nicht mehr Sagloba, sondern ein leibhaftiger ukrainischer Sänger mit dem Flecken an dem einen Auge, und mit dem grauen Barte.

Die Prinzessin klatschte in die Hände, und zum ersten Male seit der Flucht aus Roslogi erheiterte ein Lächeln ihr liebliches Gesicht.

»Wenn ich nicht wüßte, daß Ihr es seid, ich hätte Euch kaum erkannt.«

»Was?« sagte Sagloba. »Ihr habt gewiß auch zu Fastnacht keine hübschere Maskerade gesehen. Ich habe mich auch im Kahamlik angesehen, und wenn ich je einen schöneren Sänger erblickt habe, so mag man mich an meinem eigenen Mantelsack aufhängen.«

»O, jetzt verstehe ich schon, darum habt Ihr diesen armen Menschen die Kleider ausgezogen, damit wir den Weg in der Verkleidung sicherer machen.«

»Versteht sich,« sagte Sagloba, »was denkt Ihr denn? Hier, im Dnieprland, ist das Volk schlimmer, als wo anders, und nur die Hand des Fürsten hält den Pöbel vor Freveln zurück, und jetzt, wenn sie von dem Krieg mit den Saporogen und von Chmielnizkis Siegen hören, kann sie keine Macht der Erde von der Rebellion zurückhalten. Ihr habt die Tschabanen gesehen, die uns schon das Fell über die Ohren ziehen wollten. Wenn die Hetmane nicht bald den Chmielnizki aufreiben, so wird in einem, in zwei Tagen das ganze Land in Flammen stehen, und wie soll ich Euch dann durch die Haufen der Empörer durchbringen? Sollten wir in ihre Hände fallen, so wäre es besser für Euch gewesen, in denjenigen Bohuns zu bleiben.«

»Nein, das darf nicht sein, lieber den Tod,« unterbrach ihn die Prinzessin.

»Ich ziehe das Leben vor, denn der Tod ist ein Übel, von dem man sich durch den größten Witz nicht befreit, aber ich denke so: Diesen Alten hat uns Gott geschickt, ich habe ihm damit einen solchen Schrecken eingejagt, daß der Fürst mit dem ganzen Heere in der Nähe sei, wie den Tschabanen dort. Sie werden vor Schreck drei Tage lang nackt im Röhricht sitzen, und wir werden uns indessen verkleidet nach Slotonosch durchschlagen, und finden wir dort Eure Vettern und Hilfe – gut. Wo nicht, so gehen wir weiter bis zu den Hetmanen, oder wir warten auf den Fürsten, und alles das in völliger Sicherheit, denn den herumziehenden Sängern droht weder von den Bauern noch von den Kosaken Gefahr. Wir können unsere Häupter heil durch Chmielnizkis Lager tragen, nur die Tataren müssen wir vermeiden, denn sie würden Euch als jungen Burschen in die Gefangenschaft nehmen.«

»So muß auch ich mich verkleiden?«

»Gewiß, werft also Euren Kosaken ab und steckt Euch in diesen Bauernburschen. Ihr seid für den Bauernburschen ein wenig zu hübsch, ich auch für den alten Sänger, aber das tut nichts, der Wind wird Eure Wänglein schon bräunen, und mir wird vom Laufen das Bäuchlein dünner werden.«

Sagloba entfernte sich, und Helene verwandelte sich in den Sängerknaben.

Nachdem sie sich in dem Fluß gespiegelt hatte, warf sie den Kosakenrock ab, dann zog sie das Bauernwams an, setzte den Strohhut auf und hing sich den Quersack um. Zum Glück war jener Bursche, den Sagloba geplündert hatte, schlank, es paßte ihr also alles gut.

Sagloba kam zurück, betrachtete sie aufmerksam und sagte:

»Du lieber Gott, so mancher Ritter würde auf seine schöne Taille verzichten, wenn ihn ein solcher Bursche führte, und ich kenne einen Husaren, der würde das gewiß tun. Aber mit diesen Haaren hier müssen wir unbedingt etwas vornehmen. Ich habe in Stambul manchen schönen Burschen gesehen, aber einen solchen habe ich nirgends gefunden. – Was aber denkt Ihr mit den Zöpfen zu tun, Fräulein?«

»Nun, wir müssen sie abschneiden.«

»Ja, das müssen wir, aber wie?«

»Wißt Ihr was, Herr, ich will mich an diesem Baumstamm niedersetzen und lege die Haare über den Stumpf, und Ihr schneidet so lange, bis Ihr sie abschneidet, aber schneidet mir den Kopf nicht ab.«

Helene ließ sich an dem Baumstamme nieder, warf ihre ungeheuren schwarzen Haare quer darüber hinweg und erhob die Augen zu Herrn Sagloba.

»Ich bin bereit,« sagte sie, »schneidet nur, Herr!«

Und sie lächelte ihn ein wenig betrübt an, denn es war ihr leid um die Haare, die man oben am Kopfe kaum mit zwei Fäusten umfassen konnte. Aber auch Herrn Sagloba war nicht wohl zumute, er umfaßte den Stamm, um besser schneiden zu können, und murmelte:

»Pfui, pfui, ich wollte lieber ein Feldscher werden und den Kosaken die Bärte scheren. Mir ist, als wäre ich der Henkermeister und ginge an die Henkersarbeit, denn Ihr wißt doch, Fräulein, daß man den Hexen die Haare um den Kopf herum beschneidet, damit sich der Teufel nicht darin verberge und durch seine Gewalt die Wirkung der Folter nicht zerstöre. Aber Ihr, Fräulein, seid keine Hexe, und darum scheint mir auch diese Tat häßlich, und wenn mir Herr Skrzetuski dafür nicht die Ohren abschneidet, dann werfe ich ihm imparitatem vor. Wahrhaftig, eine Gänsehaut überläuft mich, schließt doch wenigstens die Augen, Fräulein!«

»Schon geschehen,« sagte Helene.

Sagloba erhob sich gerade so, als ob er sich in dem Steigbügel zum Streiche aufrichtete. Das flache Eisen schwirrte durch die Luft, und die langen, schwarzen Strähnen glitten über die Rinde des Stammes auf die Erde nieder.

»Schon geschehen,« sagte jetzt Sagloba.

Helene stand schnell auf, und die kurzgeschnittenen Haare fielen in einem schwarzen Kreise über ihr Gesicht, auf das die Schamröte trat, denn in jener Zeit sah man es als eine große Schmach an, einem Mädchen die Zöpfe abzuschneiden, es war also ihrerseits ein großes Opfer, das sie nur von der Not gezwungen gebracht.

Sogar Tränen traten ihr in die Augen, und Sagloba, der mit sich unzufrieden war, tröstete sie nicht einmal.

»Ich glaube, ich habe etwas Häßliches getan,« sagte er, »und ich wiederhole Euch, Fräulein, daß Skrzetuski, wenn er ein echter Kavalier ist, mir dafür die Ohren abschneiden müßte, aber es kann nicht anders sein, denn man hätte sofort Euer Geschlecht erraten. Jetzt werden wir kühn weiter können. Ich habe den Alten auch nach dem Wege gefragt und ihm dabei das Messer an die Kehle gesetzt. Wie er mir gesagt hat, werden wir in der Steppe drei Eichen erblicken, in deren Nähe eine Wolfsschlucht sein wird, und in der Nähe der Schlucht soll der Weg über den Jarowka nach Slotonosch liegen.«

Während er so sprach, steckte Sagloba die Schwerter unter den Stamm, bedeckte sie mit Kräutern und Gras, dann warf er den Quersack und die Laute über die Schultern, nahm den mit Feuerstein ausgelegten Stock in die Hand, fuchtelte ein über das andere Mal durch die Luft und sagte:

»Nun, auch das ist nicht übel, so kann man manchem Hunde oder Wolfe ein Licht aufstecken und die Zähne einschlagen. Das schlimmste bei alledem ist, daß wir zu Fuß gehen müssen, aber da hilft nichts! Gehen wir!«

Sie gingen, der schwarzköpfige Bube voraus, der Alte hinterdrein. Der Alte brummte und fluchte, denn es wurde ihm heiß vom Gehen, obwohl ein Wind über die Steppe fuhr. Gegen Abend zeigten sich auf einige Ruten Entfernung die Feuer zahlreicher Hütten. Sie bemerkten auch die drei kleinen Kuppeln der griechischen Kirche, die mit frischem Blech beschlagen waren, das in den letzten Strahlen der Abendröte durch die Dämmerung glänzte. Das Bellen der Hunde wurde immer deutlicher.

»Das ist Demianowka, es kann nichts anderes sein,« sagte Sagloba. »Man nimmt die herumziehenden Sänger überall gern auf, vielleicht bekommen wir ein Nachtlager und Abendbrot, und vielleicht bringen uns gute Menschen weiter. Wartet nur, Fräulein, das ist ein fürstliches Dorf, und es wohnt gewiß auch ein Unterstarost darin. So können wir ausruhen und Nachrichten einholen. Der Fürst muß unterwegs sein, vielleicht kommt die Rettung schneller, als Ihr hofft, aber! – vergeßt nicht, daß Ihr stumm seid. Ich fange selbst schon an, mich zu verheddern, denn ich habe Euch befohlen, mich Onufry zu nennen, und da Ihr doch stumm seid, dürft Ihr mich überhaupt nicht nennen. Ich will für Euch und für mich sprechen, und, gottlob, ich spreche die Bauernsprache so gut wie Lateinisch. Nur weiter, weiter! Siehe da, da sind schon die ersten Hütten in der Nähe. Du lieber Gott! Wann wird unsere Wanderschaft ein Ende haben. Wenn wir wenigstens Warmbier bekommen könnten, würde ich Gott auch dafür danken.«

Sagloba verstummte, und sie gingen eine Zeitlang schweigend nebeneinander. Dann begann er wieder zu sprechen:

»Vergeßt nicht, Fräulein, daß Ihr stumm seid; wenn Euch jemand nach etwas fragt, so zeigt nur gleich auf Mich und sagt: hum, hum, hum ... Ihr seid, wie ich gesehen habe, sehr vernünftig, denn es handelt sich hier um unser Leben. Es sei denn, wir träfen zufällig ein Fähnlein der Hetmane oder des Fürsten, dann wollen wir gleich ankündigen, wer wir sind, besonders, wenn sich ein artiger Offizier finden sollte, der ein Bekannter Skrzetuskis wäre. Zwar seid Ihr unter dem Schutz des Fürsten und habt die Soldaten nicht zu fürchten. O, was für Feuer brennen denn dort in der Tiefe? Aha, man schmiedet – eine Schmiede! Aber ich sehe da auch eine große Anzahl Menschen, gehen wir dorthin!«

In dem verfallenen Mauerwerk, welches eine Art Vorhalle zu der Höhle bildete, stand eine Schmiede, aus deren Schornstein die goldenen Funken wie Ährenbündel und Rauchwolken stoben, und durch die offenen, zahlreichen Löcher, die durch die Wände gebohrt waren, drang ein grelles Licht, an dem von Zeit zu Zeit dunkle Gestalten im Innern vorbeihuschten. Draußen vor der Schmiede sah man ebenfalls im Dämmerschein der Nacht zahlreiche Gestalten, die in Haufen herumstanden. Die Hämmer in der Schmiede schlugen im Takte, so daß ihr Echo rings erdröhnte, und dieser Widerhall vermischte sich mit den Gesängen vor der Schmiede, mit dem Lärm der Unterhaltung, mit dem Gebell der Hunde. Da Herr Sagloba dies alles sah, bog er bald in jene Schlucht ein, schlug die Laute und begann zu singen:

Ei, dort am Berge
Schneiden die Schnitter,
Auf Berges Wegen
Und grünen Stegen
Kommen die Ritter.

So singend, näherte er sich der Menschenschar, welche vor der Schmiede stand. Nun sah er sich um: es waren Bauern, die zum größten Teil betrunken waren; fast alle hielten Stangen in der Hand, an einigen von diesen Stangen glänzten Sensen, die an der Kante befestigt waren, und scharfe Spieße. Die Schmiede in der Höhle arbeiteten gerade an der Herstellung dieser Spieße und an der Biegung der Sensen.

»Ei, ein Sänger, ein Sänger,« rief man in der Schar.

»Gelobt sei Gott,« sagte Sagloba.

»In Ewigkeit, Amen.«

»Sagt, liebe Leute, wo ist Demianowka?«

»Demianowka? Warum?«

»Man hat mir unterwegs gesagt,« sprach der Alte weiter, »daß hier gute Menschen wohnen, die den blinden Sänger aufnehmen, speisen und tränken werden, über Nacht beherbergen und ihm ein paar Pfennige geben. Ich Alter habe einen weiten Weg gemacht, und der Bursche hier kann nicht mehr weiter. Der Arme ist stumm und führt mich Alten, denn ich sehe nicht, ich bin ein unglücklicher Blinder.«

»Und woher seid Ihr, Alter?«

»O, von weit her, von weit her, aber erlaubt, daß ich ruhe, ich sehe, bei der Schmiede steht eine Bank. Setz' du dich auch her,« sprach er weiter und zeigte Helene die Bank. »Wir kommen weit von der Ladawa her, gute Leute, aber wir sind lange, lange schon von Hause weg, jetzt kommen wir vom Ablaß aus Browarki.«

»Und was habt Ihr dort Gutes gehört?« fragte ein alter Bauer, der eine Sense in der Hand hielt.

»Wir haben manches gehört, aber ob es gut ist, weiß ich nicht. Es sind viele Menschen dort zusammengekommen, sie haben von Chmielnizki gesprochen, daß er den Hetmanssohn und seine »Ritter« geschlagen habe, sie haben auch gehört, daß am ruthenischen Ufer die Bauern sich gegen die Herren erheben.«

Bald umringte die ganze Schar Sagloba, der, neben der jungen Fürstin sitzend, von Zeit zu Zeit in die Saiten seiner Laute griff.

»Und Ihr, Väterchen, habt Ihr gehört, daß sie sich erheben?«

»O, gewiß, denn unser Bauernschicksal ist Elend ... Aber, ich kann nicht mehr sprechen, mir armen Alten ist's trocken im Halse.«

»Da nehmt, Väterchen, ein Maß Branntwein und sagt, was Ihr in der Welt gehört habt. Auch wir wissen, daß die Sänger weit in der Welt herumkommen und alles erfahren. Es waren auch schon einige hier, und die haben uns gesagt, daß den Herren die schwarze Stunde schlägt von Chmielnizki. Und so haben wir unsere Sensen und Spieße machen lassen, um nicht die Letzten zu sein, und nun wissen wir nicht, ob wir anfangen, oder ob wir einen Brief von Chmielnizki erwarten sollen.«

Sagloba leerte das Glas, schnalzte mit der Zunge, dann dachte er eine Weile nach und sprach:

»Und wer sagt euch, daß die Zeit gekommen ist, anzufangen?«

»Wir selbst wollen es.«

»Los, los!« schrieen zahlreiche Stimmen, »wenn die Saporogen die Herren geschlagen haben, dann fangen wir an.«

Die Sensen und Spieße klirrten in ihren kräftigen Händen und gaben einen unheilverkündenden Ton von sich.

»Wessen Leute seid ihr?«

»Des Fürsten Jarema.«

»Und wen wollt ihr hinmorden?«

Die Bauern blickten hinter sich.

»Ihn?« fragte der Alte.

»Unmöglich ...«

»O, unmöglich, Kinder, unmöglich, auch ich war in Lubnie und habe den Fürsten mit eigenen Augen gesehen – er ist schrecklich. Wenn er schreit, erzittern die Bäume im Walde, und wo er mit dem Fuße aufstampft, entsteht eine Schlucht. Ihn fürchtet auch der König, ihm gehorchen die Hetmane, und ihn fürchten alle. Seine Heeresmacht ist größer als die des Khans und des Sultans. Das könnt ihr nicht, Kinder, das könnt ihr nicht.«

Düsteres Schweigen herrschte in der Schar, der Alte schlug wieder in die Saiten und sprach weiter, das Gesicht zur Mondscheibe erhoben:

»Der Fürst kommt, er kommt, und mit ihm so viele rote Standarten und Fahnen, wie Sterne am Himmel und Disteln in der Steppe; vor ihm geht der Wind und seufzt, und wißt ihr, Kinder, warum er seufzt? Über euer Elend seufzt er. Vor ihm schreitet der Gevatter Tod mit der Sense und läutet, und wißt ihr, warum er läutet? Um euren Kopf läutet er.«

»Herr, erbarme dich unser!« sagten erschrockene Stimmen leise.

Und wieder vernahm man nur das Dröhnen der Hämmer.

»Wem gehört das Land? Dem Fürsten; wem die Steppe? Dem Fürsten; wem der Wald, wem die Herden? Dem Fürsten, und vorzeiten war der Wald Gottes, die Steppe Gottes; wer zuerst kam, der nahm's und war niemandem Untertan. Jetzt gehört alles den Herren und den Fürsten,« riefen mehrere Bauern zugleich.

»Ihr habt recht, Kinder,« sagte der Alte, »aber ich will euch eins sagen: Ihr wißt selbst, daß ihr hier dem Fürsten nicht standhaltet, so will ich euch sagen: wer die Herren niedermetzeln will, der bleibe nicht hier, so lange Chmiel mit dem Fürsten sich nicht gemessen hat, sondern fliehe zu Chmiel – und das gleich morgen, denn der Fürst ist schon unterwegs. Je mehr ihr dort sein werdet, desto leichter wird Chmiel mit ihnen fertig werden. Eilt, so rettet ihr euch vor dem Fürsten und helft dem Chmiel.«

»Er hat recht,« ließen sich Stimmen in der Schar vernehmen.

»Er spricht wahr!«

»Ein kluger Greis!«

»So hast du den Fürsten unterwegs gesehen?«

»Gesehen? Gesehen habe ich ihn nicht, aber in Browarki habe ich gehört, daß er schon von Lubnie ausgerückt ist; er sengt und schlägt alles nieder, wo er nur einen Spieß findet; nur Erde und Himmel läßt er zurück.«

»Herr, erbarme dich unser.«

»Und wo sollen wir Chmiel suchen?«

»Dazu, Kinder, bin ich hergekommen, um euch zu sagen, wo ihr den Chmiel suchen sollt. Geht, Kinder, nach Slotonosch, und dann kommt ihr nach Trechtymirow, und dort wird Chmiel schon auf euch warten, dort versammeln sich auch von allen Dörfern, von allen Flecken und Kolonien die Menschen, dort kommen auch die Tataren hin, denn sonst ließe euch alle der Fürst nicht auf der Mutter Erde wandeln.«

»Und Ihr, Alter, werdet Ihr mit uns gehen?«

»Mitgehen werde ich nicht, denn die alten Füße tragen mich nicht mehr, aber spannt mir einen Wagen an, so fahre ich mit euch, und vor Slotonosch will ich vorausgehen, um zu sehen, ob dort nicht die Herrenheere sind. Wenn sie dort sind, so machen wir einen Umweg und ziehen stracks nach Trechtymirow, dort ist schon Kosakenland. Und jetzt gebt mir zu essen und zu trinken, denn ich bin hungrig, und mein Bursche ebenfalls. Morgen früh brechen wir auf, und unterwegs will ich euch von Herrn Potozki und vom Fürsten Jarema singen. O, das sind furchtbare Löwen! Ein großes Blutvergießen wird in der Ukraine stattfinden, der Himmel rötet sich furchtbar, und der Mond schwimmt wie im Blute. Bittet, Kinder, um Gottes Gnade, denn so mancher wird nicht mehr lange auf der Erde wandeln. Ich habe auch gehört, daß die Vampire aus den Gräbern steigen und heulen.«

Ein Schrecken ergriff die versammelten Bauern, unwillkürlich begannen sie sich anzusehen, bekreuzigten sich und flüsterten einander zu. Endlich rief einer:

»Auf nach Slotonosch!«

»Nach Slotonosch!« wiederholten alle, als wäre dort Zuflucht und Rettung.

»Nach Trechtymirow!« riefen andere.

»Tod den Lechen und Herren!«

»Kommt, Väterchen, zu mir, zu Brot und Salz und zu einem Maß Met, und wenn Ihr gegessen habt, so sollt Ihr in der Hütte auch Streu zum Schlafen haben,« sagte ein alter Bauer, sich an den Sänger wendend.

Sagloba stand auf und zog Helene am Ärmel des Wamses mit sich. Die junge Fürstin war eingeschlafen.

»Der Bursche hat sich müde gelaufen und ist trotz der Hammerschläge eingeschlafen,« sagte Sagloba, und in der Seele dachte er:

»O süße Unschuld, die du inmitten der Speere und der Messer schlafen kannst, die Engel des Himmels müssen dich schützen, und mit dir schützen sie auch mich.«

Er weckte sie und sie gingen ins Dorf, das nicht weit davon lag. Die Nacht war schön und ruhig. Der Schall der dröhnenden Hämmer folgte ihnen. Der alte Bauer ging voraus, um ihnen in der Finsternis den Weg zu zeigen, und Sagloba tat, als ob er ein Gebet spreche, und murmelte mit eintöniger Stimme:

»O Vater im Himmel, erbarme dich der Sündigen ... seht Ihr, Fräulein! ... heilige Jungfrau ... was hätten wir getan ohne die Bauernkleidung? ... Der du bist im Himmel und auf Erden ... nun bekommen wir zu essen, und morgen fahren wir nach Slotonosch, anstatt zu Fuß zu gehen ... Amen, Amen, Amen ... es ist möglich, daß Bohun unsere Spur findet, denn unsere Schliche werden ihn nicht irre führen ... Amen, Amen! ... Aber es wird schon zu spät sein, denn in Prohorowka ... Der Teufel ist den Frommen nicht fürchterlich ... hier wird das Land in einigen Tagen in Flammen stehen, wenn nur erst der Fürst gegen den Dniepr rückt ... Amen ... daß sie die Pest ... daß sie der Henker hole ... hört nur, Fräulein, wie sie dort an der Schmiede heulen ... Amen ... es ist eine schwere Not, aber ich will ein Schelm sein, wenn ich Euch nicht daraus befreie, und wenn wir bis nach Warschau fliehen sollten.«

»Was brummt Ihr da, Alter?« fragte der Bauer.

»Nichts, ich bete für Eure Gesundheit, Amen, Amen ...«

»Da ist auch schon meine Hütte ...«

»Gelobt sei Gott.«

»In alle Ewigkeit. Ich bitte zu Brot und Salz.«

»Lohn's Gott.«

Wenige Augenblicke später stärkte sich der Greis am Hammelfleisch, trank reichlich Met, und am anderen Tage früh fuhr er mit seinem Burschen auf einem bequemen Wagen nach Slotonosch, von etlichen Bauern, die mit Spießen und Sensen bewaffnet waren, zu Rosse begleitet.

Sie kamen über Kawrajetz, Tschernoboj und Kropiwna. Unterwegs sahen sie, daß das ganze Land in Aufruhr war. Überall bewaffneten sich die Bauern, die Schmiede in den Schluchten arbeiteten vom Morgen bis zum Abend, und nur die gefürchtete Macht, der gefürchtete Name des Fürsten Jeremias hielt noch den blutigen Ausbruch des Aufstandes nieder.

Inzwischen war jenseits des Dniepr der Sturm mit voller Wucht losgebrochen. Das Gerücht von der Niederlage bei Korsun war mit Blitzesschnelle über ganz Ruthenen geeilt, und alles, was Leben hatte, griff zu den Waffen.


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