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2. Kapitel

Als Herr Skrzetuski den nächsten Tag früh in Tschechryn eintraf, nahm er Quartier im Hause des Fürsten Jeremias, wo er sich eine Zeitlang aufhalten wollte, um die Leute und Pferde nach der langen Reise aus der Krim, welche infolge des hohen Wasserstandes und der starken Strömung des Dniepr, die eine Fahrt mit Flußkähnen stromaufwärts durchaus unmöglich machten, also zu Lande gemacht werden mußte, verschnaufen zu lassen. Skrzetuski selbst pflegte sich eine Weile, dann erst ging er zu Herrn Sazwilichowski, dem früheren Kommissarius des Freistaates, welcher ein guter Soldat, wenn auch nicht in Diensten des Fürsten Jeremias, doch ein vertrauter Freund Skrzetuskis war. Der Statthalter war begierig zu hören, ob für ihn keine Dispositionen aus Lubnie gekommen waren. Der Fürst hatte nichts Besonderes hinterlassen. Er hatte dem Statthalter sagen lassen, daß für den Fall, daß die Antwort des Khans eine günstige wäre, er langsam heimkehren solle, damit Pferde und Menschen möglichst geschont würden. Die Angelegenheit mit dem Khan war aber folgende: Es handelte sich um die Bestrafung einiger schwarzer Tataren, welche sich widerrechtlich in seine Hinter-Dnieprschen Besitzungen eingedrängt, und welche er selbst schon tüchtig zusammengehauen hatte. Der Khan hatte auf seine diesbezüglichen Klagen wirklich eine günstige Antwort gegeben. Er hatte versprochen, die Ungehorsamen zu strafen, im April einen besonderen Gesandten zu schicken, und da ihm daran lag, sich die Geneigtheit eines so berühmten Kriegers, wie der Fürst war, zu erwerben, so sandte er demselben durch Herrn Skrzetuski ein Pferd edelster Rasse. Skrzetuski war froh, längere Zeit in Tschechryn verweilen zu können, nachdem er seine Botschaft so ehrenvoll durchgeführt hatte, eine Botschaft, deren Zweck allein schon eine ehrenvolle Auszeichnung für ihn war. Dafür war Herr Sazwilichowski sehr bekümmert um das, was seit einiger Zeit in Tschechryn vorging. Sie gingen also zusammen zu dem Walachen Dopula, welcher in der Stadt eine Ausspannung und Weinstube hielt, und dort trafen sie trotz der frühen Stunde eine Menge Adlige, denn es war Markttag. Außerdem hielten an diesem Tage in Tschechryn zahlreiche Viehherden Rast, welche in das Lager des Kronenmilitärs getrieben wurden, was wieder eine Ansammlung von vielen Fremdlingen mit sich brachte. Die Adligen nun versammelten sich am Markte in dem sogenannten Glockenviertel bei Dopula. Es waren dort Pächter der Koniezpolski, Tschechryner Beamte, und Besitzer privilegierter polnischer Ländereien, unabhängiger seßhafter Adel, ferner landwirtschaftliche Beamte, einige Kosakenhauptleute und polnischer Kleinadel, teils in Stellungen, teils auf eigenen Höfen lebend.

Die einen wie die anderen nahmen die Bänke längs der langen eichenen Tische ein, sich laut unterhaltend von der Flucht Chmielnizkis, welche in der Stadt große Bewegung hervorgerufen hatte. Skrzetuski und Sazwilichowski setzten sich abseits in einen Winkel, und der Statthalter fing an zu fragen, wer denn dieser Chmielnizki sei, daß alle von ihm sprächen.

»So wißt Ihr das nicht?« antwortete der alte Soldat. »Es ist der Schreiber der Saporogen-Regimenter, der Besitzer von Subotowo und – setzte er leiser hinzu – mein Gevatter. Wir kennen uns schon lange. Manche Not haben wir gemeinschaftlich durchgemacht, immer erreichte er sein Ziel, was er besonders bei Cecora bewies. Einen in Militärsachen erfahreneren Menschen gibt es kaum noch in der Republik. Man darf nicht laut davon sprechen, aber das ist ein echter Führer, ein kluger, willensstarker Mensch; ihm gehorcht das gesamte Kosakenvolk mehr als allen Hauptleuten und Feldherren. Er ist ein Mensch, welchem auch Tugenden nicht fehlen, aber stolz, unruhig, und wenn Haß ihn befällt, so kann er erschreckend grausam sein.«

»Was ist ihm denn geschehen, daß er aus Tschechryn floh?«

»Er hatte fortwährend Streit mit dem Starosten Tschaplinski, aber das ist Nebensache. Wie das so ist, aus Feindschaft flickte ein Edelmann dem anderen was am Zeuge; bald er diesem, bald dieser ihm. Man sagt noch, daß er der Frau des Starosten den Kopf verdreht hat; der hatte ihm in früheren Jahren die Liebste weggeheiratet, dafür machte er sie jetzt in sich verliebt, und das ist kein unmöglich Ding, denn – das Weib ist leichtfertig. Seht, Herr Statthalter, die Sache ist die: In Tscherkessien wohnt der alte Barabasch, ein Kosakenhauptmann, unser Freund. Er besaß einige Privilegien und königliche Urkunden, von denen man sagt, daß sie dazu dienten, die Kosaken zum Widerstand gegen den Adel zu reizen. Aber da er ein Menschenfreund ist, behielt er sie bei sich und veröffentlichte sie nicht. Nun schickte Chmielnizki, während er den Barabasch hierher nach Tschechryn in sein Haus zu einem Festessen geladen hatte, Leute auf seinen Hof, welche der Frau desselben diese Urkunden gewaltsam abnehmen mußten – und mit ihnen entfloh er. Wir sind in Angst, daß er sie benutzt, einen Kosakenaufstand anzuzetteln, denn wie gesagt: er ist ein schrecklicher Mensch, und niemandem ist bekannt, wohin er ging.«

»So hat dieser Fuchs mich ins Feld geführt,« sagte Herr Skrzetuski. »Er stellte sich mir als Kosakenhauptmann des Fürsten Saslawski vor. Ich habe ihn ja in der letzten Nacht in der Steppe getroffen und vom Lasso befreit.«

»Um Gottes willen, was sprecht Ihr? Das ist unmöglich!«

»Was ist unmöglich! Es ist wahr. Er sagte mir, der Fürst Saslawski sende ihn nach Kudak mit Briefen an den Herrn Grodschitzki, aber ich glaubte ihm das nicht, da er nicht zu Wasser reiste, sondern sich durch die Steppe schlich.«

»Der Mann ist listig wie Ulysses! Und wo traft Ihr ihn?«

»Am Omelnitschko, an der rechten Seite des Dniepr. Augenscheinlich zog er nach der Sitsch.« Sitsch = verschanztes Lager der Kosaken.

»Und wollte Kudak vermeiden. Jetzt verstehe ich. Waren viel Leute bei ihm?«

»Etwa vierzig Mann. Aber sie kamen zu spät. Wären nicht die Meinigen zur Stelle gewesen, so hätten die Diener des Starosten ihn erwürgt.«

»Wartet, gnädiger Herr, das ist ein wichtig Ding. Die Diener des Starosten sagt Ihr?«

»Er selbst nannte sie.«

»Woher sollte der Starost wissen, wo er ihn zu suchen hatte, da hier in der Stadt sich alle die Köpfe zerbrechen, wohin er sein könnte.«

»Das kann ich auch nicht wissen. Vielleicht log Chmielnizki und machte gewöhnliche Raubmörder zu Dienern des Starosten, um das ihm getane Unrecht zu betonen.«

»Das kann nicht sein! Aber es ist doch eine wunderliche Sache. Wißt Ihr, daß der Großhetman Briefe erlassen hat mit dem Befehl, den Chmielnizki zu fangen, tot oder lebendig?«

Der Statthalter vermochte nicht mehr zu antworten, denn in diesem Augenblick betrat die Stube ein Edelmann in lärmender Weise. Er schlug ein und das andere Mal heftig die Tür zu, sah sich herausfordernd in dem Raume um und rief: »Ich grüße die Herren!«

Er schien ein Mann von nahezu vierzig Jahren, niedrigen Wuchses mit dem Ausdruck des Jähzornes im Gesicht, der noch erhöht wurde durch zwei pflaumenartig vorstehende, bewegliche Augen – ein lebhafter, stürmischer und leicht zu Zorn geneigter Mensch.

»Ich grüße die Herren!« wiederholte er lauter und schärfer, als ihm nicht sofort gedankt wurde.

»Wir grüßen! Wir grüßen!« ließen sich einzelne Stimmen vernehmen.

Der Angekommene war Herr Tschaplinski, Unterstarost in Tschechryn, der vertraute Diener des jungen Fähnrichs Koniezpolski. In Tschechryn war er nicht beliebt, denn er war ein Streithahn und Prahler. Aber er hatte sozusagen einen breiten Buckel, deshalb politisierten manche mit ihm, sie gingen ihm um den Bart. Herr Sazwilichowski war der einzige, welchen er respektierte, seiner Würde, Tugend und Tapferkeit wegen. Sobald er ihn erblickte, schritt er auf ihn zu, und nachdem er sich stolz vor Skrzetuski verneigt hatte, setzte er sich mit seiner Kanne Met zu ihnen.

»Ehrwürdiger Starost,« fragte Herr Sazwilichowski, »wißt Ihr, was mit Chmielnizki vorgeht?«

»Er hängt, gnädigster Herr, so wahr ich Tschaplinski bin, er hängt, und wenn er bis jetzt dem Strick nicht entlaufen ist, so wird er hängen. Jetzt, wo die Fehdebriefe des Fürsten im Umlauf sind, soll er nur in meine Hände fallen.«

Indem er dies sagte, schlug er mit der Faust auf den Tisch, daß die Kannen schwankten und einen Teil ihres Inhalts vergossen.

»Vergießt den edlen Met nicht, Herr!« sagte Skrzetuski.

Sazwilichowski unterbrach ihn:

»Und glaubt Ihr ihn denn zu fangen? Er ist ja entflohen, und niemand weiß wohin.«

»Niemand weiß? Ich weiß – so wahr ich Tscharlinski bin. Ein verfluchter Teufelssohn!«

Er schlug wieder heftig auf den Tisch.

»Vergießt den Wein nicht!« wiederholte Skrzetuski mit Nachdruck. Ein sonderbarer, unbezwinglicher Widerwillen hatte sich seiner vom ersten Augenblick an gegen den Unterstarosten bemächtigt.

Der Edelmann wurde rot, blitzte ingrimmig mit seinen vorstehenden Augen Skrzetuski an, in der Meinung, dieser wolle ihn reizen. Aber sobald er die Farben der Wischniowiezki erkannte, bezwang er sich.

»Chmielnizki« – fuhr Sazwilichowski fort, – »ist dem Hinterhalt entgangen und nach der Sitsch entkommen, wovon Herr Krakowski heute noch benachrichtigt werden muß. Mit Chmielnizki ist nicht zu spaßen, kurz gesagt – er hat mehr Verstand, eine mächtigere Hand und ein größeres Glück als Ihr, Herr, der Ihr zu heißspornig seid. Ich wiederhole es, Chmielnizki reitet sicher seinem Ziele zu, und wenn Ihr es nicht glauben wollt, so kann dieser Kavalier, der ihn gestern in der Steppe traf und ihn gesund verabschiedete, es Euch wiederholen.«

»Es kann nicht sein! Es kann nicht sein!« schrie Tschaplinski, sich das Haar raufend.

»Und noch mehr,« setzte der Starost hinzu, »dieser Kavalier hier war sein Retter; er hat Eure Diener totgeschlagen, wofür er nichts kann, da er, auf der Rückkehr aus der Krim begriffen, nichts von den Fehdebriefen wußte und den Menschen für einen harmlosen Wanderer hielt, den eine Räuberbande überfallen. Ich sehe mich veranlaßt, Euch rechtzeitig von dieser Errettung zu benachrichtigen, denn Chmielnizki ist imstande, Euch mit seinen Saporogern auf Eurem Hofe aufzusuchen, und mir scheint, Ihr würdet Euch darüber nicht besonders freuen. Ihr habt zu viel mit ihm herumgehändelt. Pfui, zum Henker!«

Sazwilichowski mochte den Tschaplinski auch nicht leiden.

Tschaplinski sprang auf. Der Zorn hatte ihm die Sprache benommen. Das Gesicht wurde blutrot, und die Augen traten immer mehr aus ihren Höhlen. So stand er vor Skrzetuski. Allmählich stieß er abgerissene Worte hervor:

»Also! Ihr habt trotz der Briefe des Großhetmans! ... Ich werde Euch ... ich werde Euch ...«

Herr Skrzetuski erhob sich nicht einmal von der Bank. Er stemmte den Kopf auf beide Ellbogen und heftete den Blick auf den umherspringenden Tschaplinski, wie der Falke auf einen am Faden zappelnden Sperling.

»Ich werde Euch aufs Schloß mitführen ... Ihr ... trotz der Fehdebriefe ... Mit den Kosaken werde ich Euch ...!«

Er schrie so, daß in der Stube alles still ward.

»Schweigt Ihr nur still,« sagte der alte Starost. »Dieser Kavalier ist bei mir.«

»Ich werde Euch ... ins Schloß ... in den Stock ...« schrie Tschaplinski, auf nichts mehr achtend, weiter.

Jetzt erhob sich Herr Skrzetuski zu seiner ganzen Höhe, aber er zog den Säbel nicht, sondern faßte ihn, welcher niedrig im Gehänge hing, in der Mitte, hob ihn gerade hoch genug, daß sein Griff mit dem darauf befindlichen Kreuz dicht unter die Nase Tschaplinskis kam.

»Riecht einmal hieran,« sagte er kalt.

»Schlage, wer an Gott glaubt ... Diener!« schrie Tschaplinski, indem er den Griff faßte. Allein er kam nicht dazu, den Säbel herauszuziehen. Der junge Statthalter drehte ihn in den Fingern um, faßte ihn mit einer Hand im Genick, mit der anderen an den Pluderhosen unterhalb des Rückens, hob den wie einen Bock Strampelnden in die Höhe, und, der Tür zuschreitend, rief er:

»Platz, macht Platz für den Bock, meine Herren Brüder, sonst stößt er euch.«

Er stieß, an der Tür angekommen, dieselbe mit dem vorwärtsgehaltenen Tschaplinski auf und warf den Unterstarosten hinaus auf die Straße. Nachher setzte er sich ruhig auf seinen früheren Platz neben Sazwilichowski.

In der Stube herrschte eine Weile tiefe Stille. Der Beweis von Stärke, welchen Herr Skrzetuski eben gegeben, imponierte dem versammelten Adel. Bald aber erdröhnte dieselbe von lautem Gelächter.

»Vivat! Es leben die Wischniowiezkis!« riefen die einen.

»Er ist ohnmächtig und blutet!« schrieen andere, die neugierig durch die Tür blickten, was wohl Tschaplinski tun würde. »Die Diener heben ihn auf!«

Nur eine kleine Gruppe Anhänger des Starosten schwieg; sie hatten nicht den Mut, für ihn einzutreten, und blickten nur finster auf den Statthalter.

»Wahrhaftig, dieser Jagdhund gibt Fersengeld,« sagte Sazwilichowski.

»Der Köter, nicht der Jagdhund,« erwiderte näher tretend ein dicker Edelmann, welcher in dem einen Auge den grauen Star und auf der Stirn ein Loch von der Größe eines Talers hatte, durch das der blanke Stirnknochen glänzte. »Ein Köter und kein Jagdhund! Erlaubt,« wendete er sich an Herrn Skrzetuski, »daß ich Euch meine Dienste weihe. Johann Sagloba mit dem Wappen in der Stirn.«

Es kamen noch andere hinzu, um mit Herrn Skrzetuski Bekanntschaft zu schließen und ihm ihre Sympathien kundzutun; niemand hatte den Tschaplinski gern, und jeder gönnte ihm die erhaltene Schlappe.

Sie kamen mit ihren Kannen in den Händen zu Herrn Skrzetuski und sprachen: »Trinkt, Herr Bruder! Trinkt auch mit mir! Es leben die Wischniowiezkis! So jung und schon Statthalter beim Fürsten. Vivat, Fürst Jeremias, der Hetman der Hetmane! – Mit Fürst Jeremias gehen wir an der Welt Ende! Gegen Türken und Tataren! – Nach Stambul! – Es lebe unser geliebter Monarch, Ladislaus IV.!« Am lautesten aber schrie Herr Sagloba, welcher imstande war, ganz allein ein Regiment zu überschreien und totzutrinken.

Zum Glück wurde sein Diskurs von einem anderen Edelmanne unterbrochen, der, sich ihm nähernd, ihn am Ärmel zupfte und in singender litauischer Mundart sprach:

»Macht mich bekannt, Herr Sagloba, macht mich bekannt mit dem Herrn Statthalter Skrzetuski, wollt Ihr?«

»Natürlich, natürlich! Herr Statthalter, hier ist Herr Powschinoga (Gleitfuß).«

»Podbipienta (Hackenschlag)« – verbesserte der Edelmann.

»Ist ganz egal! Vom Wappen der zerrissenen Pluderhosen, also Pluderreiß.«

»Hutabschläger« – verbesserte der Edelmann.

»Ist ganz egal! – Aus Pschikischki (Hundedarm).«

»Aus Myschykischki (Mäusedarm)« – verbesserte der Edelmann.

»Ist ja ganz egal. Ich weiß nicht, was ich lieber wollte, den Hundedarm oder den Mäusedarm. Das steht fest, daß ich weder in dem einen noch in dem anderen wohnen möchte, denn erstens würde es mir sehr schwer fallen, mich dort anzusiedeln, noch viel schwerer aber, wieder hinauszukommen. Gnädiger Herr,« sprach er weiter zu Skrzetuski, auf den Litauer weisend, »seht, schon eine ganze Woche trinke ich Wein für das Geld dieses Edelmannes, dessen Schwert an der Seite ebenso schwer ist als seine Geldkatze, und diese ist wiederum so schwer als sein Witz. Aber wenn ich jemals für das Geld eines wunderbareren Menschen, als dieser hier, Wein trank, so erlaube ich, mich den größten Narren zu schimpfen; einen ebenso großen, wie der ist, der mir den Wein kauft.«

»Der versteht es, jemandem um den Bart zu gehen!« riefen lachend die Edelleute.

Aber der Litauer war nicht beleidigt, winkte nur mit der Hand, lächelte sanft und wiederholte:

»Laßt das lieber sein – es hört sich schlecht an!«

Herr Skrzetuski sah diese neue Figur neugierig an. Jedenfalls verdiente er das Prädikat: wunderbarer Mensch. Vor allem war er ein so großer Mann, daß sein Kopf die Deckbalken erreichte; seine außergewöhnliche Magerkeit trug dazu bei, ihn noch viel größer erscheinen zu lassen, als er wirklich war. Seine breiten Schultern und der muskulöse Hals verrieten eine ungewöhnliche Kraft, sie waren aber nur Haut und Knochen. Der Bauch war unter den Rippen so eingefallen, daß man ihn für einen Hungerleider halten konnte, obwohl er sehr gut bekleidet war mit einem enganliegenden Wams aus Schwiebuser Tuch mit engen Ärmeln und hohen schwedischen Stiefeln, welche in Litauen eben anfingen in Brauch zu kommen. Der breite, wohlgefütterte Gurt fiel ihm bis auf die Hüften, da er keinen Halt fand, und das an ihm befestigte Schwert aus der Zeit der Kreuzfahrer war so lang, daß es diesem Riesen bis fast unter den Arm reichte.

Aber wer vor diesem Schwert erschrak, der faßte bald neuen Mut, wenn er in das Antlitz seines Eigentümers blickte. Dieses Antlitz, ebenso mager wie die ganze Figur, war geschmückt mit einem Paar lang herunterhängenden Augenwimpern, einem ebenso lang herabhängenden flachsblonden Schnurrbart und trug einen grundehrlichen, fast kindlichen Ausdruck. Die außergewöhnliche Länge und Farbe der Wimpern und des Bartes gaben dem Gesicht etwas zugleich Schwermütiges und Lächerliches. Der Mann sah aus wie einer, der von allen herumgestoßen wird, aber Herrn Skrzetuski gefiel er eben des ehrlichen Gesichtsausdrucks und seiner gut militärischen Haltung wegen.

»Herr Statthalter,« sagte er, »seid Ihr beim Fürsten Wischniowiezki?«

»So ist es!«

Der Litauer faltete die Hände wie zum Gebet und blickte nach oben.

»Ach, was ist das für ein großer Krieger, für ein Ritter und Führer.«

»Gäbe Gott, daß die Republik vieler solcher aufzuweisen hätte.«

»Das ist gewiß. Das ist gewiß. Und könnte man vielleicht bei ihm unterkommen?«

»Er wird Euch gern nehmen.«

Hier mischte sich Sagloba in das Gespräch:

»Der Fürst wird zwei Bratspieße für seine Küche gewinnen, indem er Euch in Dienst nimmt. Der eine ist Euer Schwert, der andere seid Ihr selbst, oder er wird Euch als Meister mieten und an Euch Schelme aufhängen, oder nach Eurer Länge Tuch zu seinen Livreen messen! Pfui! Daß Ihr Euch doch nicht schämt, als Mensch und Katholik so lang zu sein wie eine heidnische Lanze.«

»Das hört sich schlecht an,« erwiderte Podbipienta geduldig.

»Wie ist Euer Name?« fragte Skrzetuski, »denn als Ihr sprachet, unterbrach Herr Sagloba Euch so oft, daß ich – entschuldigt – nichts verstand.«

»Podbipienta.«

»Powschinoga,« unterbrach Sagloba.

»Vom Wappen der Hutabschläger,« sagte Podbipienta weiter.

»Da liegt der Hund begraben. – Trinke ich nun immerfort seinen Wein, und jetzt entpuppt sich der Mensch als ein Heide; ich bin ein Schelm, wenn das nicht lauter heidnische Namen sind,« fiel Sagloba wieder dazwischen.

»Seid Ihr lange fort aus Litauen?« fragte der Statthalter.

»Seit zwei Wochen bin ich in Tschechryn! Ich erfuhr von Herrn Sazwilichowski, daß Ihr hier durchziehen würdet, gnädiger Herr, und wartete auf Euch, damit ich unter Eurer Protektion dem Fürsten meine Bitte vortragen kann.«

»Aber sagt mir, gnädiger Herr, ich bitte, zu was tragt Ihr dieses Henkerschwert dort unter dem Arm?«

»Das ist kein Henkerschwert, gnädiger Statthalter, sondern ein Kreuzfahrerschwert. Ich trage es, weil es erbeutet wurde und sich schon lange in unserer Familie befindet. Schon bei Choyniza diente es in litauischen Händen – so trage auch ich es.«

»Aber das ist ja eine greuliche Maschine, die fürchterlich schwer sein muß. Es läßt sich höchstens mit beiden Händen regieren.«

»Vielleicht mit beiden, vielleicht mit einer, wie man will.«

»Zeigt her.«

Der Litauer zog es aus der Scheide und reichte es hin, aber Herr Skrzetuski ließ sofort den Arm sinken. »Man kann damit nicht auslegen, noch bequem einen Hieb ausführen,« sagte er. Mit beiden Händen ging es schon besser, aber es war auch noch zu schwer. Etwas beschämt wendete sich Herr Skrzetuski an die Anwesenden:

»Nun, meine Herren – wer versucht es?«

»Wir haben es schon versucht,« antworteten einige Stimmen. »Der einzige, welcher es in die Höhe hebt, ist Herr Sazwilichowski, aber bewegen kann er es auch nicht.«

»Und Ihr, gnädiger Herr? – Wie steht es mit Euch?« fragte, sich ihm zuwendend, Herr Skrzetuski den Litauer.

Der Edelmann hob das Schwert in die Höhe wie einen Rohrstengel, focht mit größter Leichtigkeit etliche Male damit umher, so daß die Luft in der Stube sauste und die Gesichter kühl anwehte.

»Daß Euch Gott helfe!« rief Skrzetuski. »Euer Dienst beim Fürsten ist so gut wie ausgemacht.«

»Gott ist mein Zeuge, wie ich danach verlange. In des Fürsten Dienst wird mir das Schwert nicht rosten.«

Sazwilichowski stand auf, um mit dem Statthalter das Gasthaus zu verlassen, als eben ein Mann, weiß wie eine Taube, in die Stube trat und gerade auf den Starosten zuging.

»Ich komme expreß zu Euch, gnädigster Herr Kommissarius,« rief er ihm entgegen.

Der Mann war Barabasch, Hauptmann von Tscherkassy. –

»So kommt mit in mein Quartier,« sagte Sazwilichowski. »Hier rauchen die Schöpfe schon derartig, daß fast nichts von der Welt zu sehen ist.«

Sie gingen zusammen hinaus, Skrzetuski mit ihnen. Gleich hinter der Tür fragte Barabasch:

»Gibt es Nachrichten von Chmielnizki?«

»Ja! Er ist nach der Sitsch entflohen. Hier dieser Offizier traf ihn gestern in der Steppe.«

»So hat er also nicht den Weg zu Wasser genommen? Ich schickte einen Eilboten nach Kudak, daß man ihn dort festhalten sollte, aber wenn es so ist, da geschah es umsonst.«

Indem er dies sagte, bedeckte Barabasch die Augen mit beiden Händen und stöhnte:

»O Herr Christe, o Herr Christe!«

»Weshalb seid Ihr so bekümmert?«

»Wißt Ihr denn nicht, was er mir verräterisch entrissen hat? Wißt Ihr, was es heißt, solche Dokumente dort unter den Kosaken zu publizieren? Herr Gott! Wenn der König nicht sofort den Bissurmanen eine Kriegserklärung schickt, so sind die Papiere ein Funke in ein Pulverfaß.«

»Was, Ihr prophezeit eine Rebellion?«

»Ich prophezeie nicht, ich sehe sie bereits, und Chmielnizki ist ein besserer Rebellenführer, als Nalewajko und Lobeda es waren.«

»Wer sollte wohl mit ihm gehen?«

»Ihr fragt noch? Die ganzen Völker am Dniepr und Dniestr, die Linienkosaken, die Städte, die Tataren vom Schwarzen Meer, die Hofbesitzer und seht dort – diese.«

Hier zeigte Herr Barabasch nach dem Markte auf die dort kreisenden Menschen. Der ganze Markt war besetzt mit großen, grauweißen Ochsen, welche für die Soldaten nach Korsun getrieben wurden; neben ihnen lagerte eine Menge Treiber, Menschen, die das ganze Leben in der wüsten Steppe verbrachten, ohne jegliches Religionsbekenntnis, von grauenerregender Wildheit. Hier sah man Gestalten, ähnlicher den schlimmsten Räubern als Viehtreibern, fürchterlich anzusehen, roh, häßlich und bedeckt mit Lumpen. Der größte Teil von ihnen war bekleidet mit einem Oberrock aus Schaffellen oder ungegerbten Ochsenfellen, mit der haarigen und wolligen Seite nach außen, vorn auseinandergerissen, so daß trotz des Winters die blanke, von dem scharfen Steppenwind gebräunte Brust zu sehen war. Alle waren bewaffnet, jedoch mit den verschiedensten Waffen. Zwischen ihnen bewegten sich weniger wild aussehende, aber besser bewaffnete Leute aus den Niederungen, welche getrocknete Fische, Wildbret, Hammelfett zum Verkauf nach dem Lager schafften, weiter Salzhändler mit Salz, Imker aus der Steppe und den Wäldern mit Wachs und Honig, Ansiedler aus den Wäldern mit Teer und Pech, ferner Bauern mit Vorspann, Linienkosaken, Tataren aus Bialogrod und Gott weiß, wer noch! Herumtreiber von der Welt Ende. Die ganze Stadt war angefüllt mit Betrunkenen. Von allen Seiten tönte Lärmen und Geschrei. Der durchdringende Ton tatarischer Pfeifen und Trommelwirbel mischte sich mit dem Gebrüll des Viehs und den milderen Tönen der Zithern. Das alles war wild bis zum Wahnsinn.

Es genügte ein Blick, um Herrn Sazwilichowski zu überzeugen, daß Barabasch recht hatte, wenn er sagte: »Ein leiser Hauch genügt, um diese wilden Elemente zu entfesseln, die ohnehin so zu Mord und Raub aufgelegt, und die die ganze Ukraine überschwemmten. Und hinter diesen standen die Leute aus den Wojewodschaften Sitsch und Saporogien, welche erst unlängst in Fesseln geschlagen und bei Maslow ganz überwältigt waren, die aber ungeduldig an dem angelegten Zaum bissen, stets eingedenk der früheren Privilegien. Diese verachteten das Regiment der Kommissarien und bildeten eine wohlorganisierte Kraft. Und diese Kraft besaß vollständig die Sympathien der ungeheuren Massen Bauern, welche gerade hier weit unduldsamer waren als in anderen Teilen der Republik. Es war kein Wunder, daß der Starost, obgleich er ein geborener Ruthene und eifriger Anhänger der Gebräuche des Ostens war, sehr bekümmert dreinschaute. Dem alten Manne standen noch lebendig die Zeiten des Nalewajko, Loboda und Kremski vor Augen; er kannte die ukrainischen Räubereien besser als irgend jemand in Ruthenen, und da er gleichzeitig auch den Chmielnizki kannte, so wußte er genau, daß erst zwanzig Nalewajkos und Lobodas auf einen Chmielnizki kamen. Ihm leuchtete die ganze Größe der Gefahr ein, welche mit der Flucht Chmielnizkis nach der Sitsch verbunden war, besonders mit den Briefen des Königs, von denen Herr Barabasch erzählte, daß sie voller Versprechungen und Aufstachelungen zum Widerstande der Kosaken waren.


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