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Um deutlicher zu schildern, was in Roslogi vorging, müssen wir ein wenig zurückgehen bis zu jener Nacht, in welcher Skrzetuski Rzendzian aus Kudak mit Briefen an die alte Fürstin schickte. Rzendzian bestieg das Boot, welches Grodschizki von Kudak aus sandte, um Pulver zu holen, und machte sich auf den Weg; die Reise ging langsam, denn man fuhr gegen den Strom. Bei Krementschuk stießen sie auf die Heere, welche unter der Führung Krschetschowskis und Barabasch' standen und von dem Hetman dem Chmielnizki entgegengeschickt worden waren. Rzendzian sprach mit Barabasch und erzählte ihm gleich, welche Gefahren seinem Herrn Skrzetuski von der Reise nach der Sitsch drohten. Er bat daher den alten Hauptmann, er möchte, wenn er mit Chmielnizki zusammenträfe, nicht versäumen, dringend die Herausgabe des Gesandten zu fordern. Dann reiste er weiter.
Nach Tschechryn kamen sie beim Morgengrauen. Hier wurden sie bald von den Wachtposten umringt, welche fragten, wer sie wären; sie antworteten, sie kämen aus Kudak und hätten Briefe von Herrn Grodschizki an die Hetmane. Trotzdem rief man den Ältesten und Rzendzian aus dem Boote heran, damit sie sich vor dem Hauptmann verantworteten.
»Vor welchem Hauptmann?« fragte der Älteste.
»Vor Herrn Loboda,« antworteten die Esauls von den Posten, »welchem der Großhetman befohlen hat, alle von der Sitsch nach Tschechryn Kommenden anzuhalten und auszuforschen.«
Sie gingen. Rzendzian schritt kühn einher, denn er erwartete nichts Böses, da er sah, daß die Macht des Hetmans schon bis hierher reiche. Man führte sie unweit des Glockengäßchens in das Haus des Herrn Selenski, wo das Quartier des Hauptmanns Loboda war. Aber hier wurde ihnen gesagt, daß der Hauptmann in aller Frühe nach Tscherkessien geritten sei, und daß der Oberstleutnant ihn vertrete. Sie warteten also ziemlich lange, bis sich die Tür öffnete und der erwartete Oberstleutnant im Zimmer erschien.
Bei seinem Anblick fuhr Rzendzian zusammen.
Es war Bohun.
Die Macht des Hetmans erstreckte sich zwar noch über Tschechryn, aber weil Loboda und Bohun bisher noch nicht zu Chmielnizki übergegangen waren, vielmehr offenkundig der Republik anhingen, hatte der Großhetman gerade sie in Tschechryn stationiert und ihnen die Wache anbefohlen.
Bohun nahm an dem Tische Platz und begann die Ankömmlinge auszuforschen.
Der Älteste, welcher die Briefe Grodschizkis mit sich führte, sprach für sich und Rzendzian. Nachdem der junge Oberstleutnant die Briefe betrachtet hatte, begann er sorgfältig auszufragen, was in Kudak vorgehe. Er hatte offenbar große Lust, zu erfahren, wozu Grodschizki an den Großhetman Menschen und Boote sende. Aber der Älteste konnte ihm darauf keine Antwort geben, und die Briefe waren mit dem Siegel des Herrn Grodschizki geschlossen. Bohun hatte sie ausgeforscht und wollte sie eben fortschicken und in die Tasche greifen, um ihnen ein Trinkgeld zu geben, als sich die Tür öffnete und Herr Sagloba stürmisch ins Zimmer stürzte.
»Höre, Bohun,« rief er, »der Verräter Dopula hat den besten Doppelten verheimlicht; ich gehe mit ihm in den Keller – und sehe: Heu über Heu in dem Winkel. Was ist das? frage ich trocken. Heu, sagte er. Ich schaue näher zu; ei, sieh, da blickt ein Flaschenhals heraus, wie der Tatar aus dem Steppengrase. O, so bist du, mein Söhnchen, sage ich, teilen wir uns die Arbeit, du frißt das Heu, denn du bist ein Ochs, und ich werde den Met trinken, denn ich bin ein Mensch. Da habe ich ein Fläschchen mitgebracht zur Probe, gib nur die Becher her.«
Plötzlich hielt Sagloba inne – er hatte Rzendzian erblickt –, stellte die Flasche auf den Tisch und sagte:
»Ei, bei Gott, das ist ja der Bursche des Herrn Skrzetuski.«
»Wessen?« fragte Bohun hastig.
»Des Herrn Skrzetuski, des Statthalters, der nach Kudak gereist ist und mich hier vor seiner Abreise mit so vortrefflichem Met aus Lubnie bewirtet hat, daß sich die anderen alle verstecken können. Was geht denn mit deinem Herrn vor, was macht er, ist er wohl?«
»Er ist wohl und läßt Euch grüßen,« sagte Rzendzian verwirrt.
»O, das ist ein prächtiger Kavalier. Und du, wie bist du nach Tschechryn gekommen? Warum hat dich der Herr aus Kudak fortgeschickt?«
»Der Herr hat seine Geschäfte in Lubnie, derentwegen er mir zurückzukehren befahl. Ich hatte in Kudak nichts zu tun.«
Die ganze Zeit hindurch beobachtete Bohun Rzendzian scharf, plötzlich sagte er:
»Warte, hast du Briefe von deinem Herrn?«
»Des Herrn Sache ist, sie zu schreiben, und meine, als des Dieners, sie abzugeben, aber nur dem, an den sie gerichtet sind; darum sei mir gestattet, den Herren Lebewohl zu sagen.«
Bohun zog seine dichten Augenbrauen zusammen und klatschte in die Hände. Sofort stürzten zwei Leute ins Zimmer.
»Durchsucht ihn,« schrie er, auf Rzendzian hinweisend.
»Beim lebendigen Gott, Gewalt!« schrie Rzendzian. – Auch ich bin ein Edelmann, wenn ich auch diene, und Ihr werdet diese Tat vor Gericht verantworten.«
»Bohun, laß ihn,« warf Herr Sagloba ein.
Aber inzwischen hatte schon einer der Leute in Rzendzians Brustlatz zwei Briefe gefunden und reichte sie dem Oberstleutnant. Bohun befahl den Leuten sogleich, sich zu entfernen, denn er konnte nicht lesen, und wollte ihnen das nicht verraten, dann wandte er sich an Sagloba und sagte:
»Lies, ich werde auf den Burschen aufpassen.«
Sagloba kniff das linke Auge, auf dem er ein Fleckchen hatte, zu, und las die Adresse:
»Meiner werten Frau und Gebieterin, Ihrer Durchlaucht der Fürstin Kurzewitsch in Roslogi.«
»Soll ich öffnen? Ein adliges Siegel ist heilig,« bemerkte Sagloba.
»Der Großhetman hat mir das Recht gegeben, alle Briefe hier zu revidieren. Öffne und lies.«
Sagloba öffnete und las:
»Meine gnädigste Frau usw. Ich teile Euch mit, daß ich schon in Kudak bin, von wo ich mit Gottes Hilfe glücklich heute morgen nach der Sitsch reisen werde, und jetzt in der Nacht schreibe ich, schlaflos vor Sorgen, daß Euch nicht irgend ein Unheil treffe von dem Schurken Bohun und seinen Kumpanen. Da mir hier auch Herr Grodschizki gesagt hat, daß wohl bald ein großer Krieg ausbrechen werde, bei dem sich auch das ganze Landvolk erheben wird, so beschwöre ich Euch und flehe Euch an, sofort, wenn auch die Steppe noch nicht trocken ist, und wenn es auch zu Pferde geschehen müßte, mit der jungen Prinzessin nach Lubnie zu reisen, und dies ja nicht zu verzögern, da ich zu rechter Zeit nicht zurückkehren kann. Diese Bitte wollen Durchlaucht erfüllen, damit ich sicher auf die mir zugesagte Glückseligkeit rechnen und nach meiner Rückkehr glücklich sein kann. Und wozu sollten Euer Gnaden mit Bohun zögern und ihm, da Ihr mir das Mädchen versprochen habt, aus Angst Sand in die Augen streuen; besser, sie sub tutelam des Fürsten, meines Herrn, bringen, welcher nicht zögern wird, das Präsidium nach Roslogi zu senden, und so werdet Ihr auch Euren Besitz retten. Womit ich die Ehre habe usw.«
»Hm, Herr Bohun,« sagte Sagloba, »der Ritter will Euch Hörner aufsetzen. So habt Ihr bei demselben Mädchen Süßholz geraspelt? Warum hast du mir davon gar nichts gesagt? Aber tröste dich, auch mir ist es vorgekommen ...«
Sagloba brachte seine Anekdote nicht zu Ende; das Wort erstarb plötzlich auf seinen Lippen. Bohun saß unbeweglich am Tische, aber sein Gesicht war wie von einem Krampf zusammengezogen, blaß, die Augen geschlossen, die Brauen gerunzelt: es ging etwas Entsetzliches in ihm vor.
»Was ist dir?« fragte Sagloba.
Der Kosak fuchtelte fieberhaft mit der Hand umher, und aus seinem Munde kam ein leiser, heiserer Ton:
»Lies! Lies den anderen Brief.«
»Der andere ist an das Fräulein Helene.«
Sagloba begann:
»Süßeste, geliebteste Helenka, Helenka = Kosename für Helene. meines Herzens Gebieterin und Königin! Da ich im Dienste des Fürsten noch eine geraume Zeit hier bleiben muß, schreibe ich an Deine Muhme, daß Ihr bald nach Lubnie fahren möget, wo Deiner Unschuld von Bohun keine Gefahr drohen und unserer Liebe nichts widerfahren kann ...«
»Genug,« schrie Bohun. Plötzlich sprang er wie ein Wahnsinniger vom Tische auf und stürzte sich auf Rzendzian: die Axt in seiner Hand schwirrte durch die Luft, der unglückselige Bursche stöhnte, von ihrem Schlage in die Brust getroffen, und stürzte zu Boden. Bohun war von Raserei ergriffen. Er stürzte sich auf Sagloba und entriß ihm die Briefe.
Sagloba ergriff die Metflasche, zog sich an den Ofen zurück und rief:
»Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes! Mensch, bist du wahnsinnig, bist du rasend? Beruhige dich, mäßige dich doch, stecke doch den Kopf in einen Eimer, zu tausend Teufeln – hörst du mich nicht?!«
»Blut, Blut,« heulte Bohun.
»Hast du den Verstand verloren? Stecke doch den Kopf in den Eimer, sage ich dir; du hast ja schon Blut, du hast es vergossen, unschuldig vergossen, dieser unglückselige Knabe atmet ja nicht mehr.«
So schrie Sagloba und schlich von dem anderen Ende des Tisches auf Rzendzian zu, neigte sich über ihn, betastete ihn an der Brust und legte ihm die Hand an den Mund, aus dem das Blut reichlich strömte.
Bohun hatte sich inzwischen an seinen Kopf gefaßt und winselte wie ein verwundeter Wolf, dann fiel er auf die Bank hin und hörte nicht auf zu winseln, denn ihm war das Herz vor Wut und Schmerz zerrissen. Plötzlich sprang er auf, eilte zur Tür, stieß sie mit dem Fuße auf und stürzte in den Flur.
»So gehe ins Verderben,« murmelte Sagloba vor sich hin. »Gehe hin und zerschelle deinen Kopf an einem Stall oder an einer Scheune, wenn du auch wie ein Rindvieh mit den Hörnern stoßen kannst. Das nenne ich rasende Wut! So etwas habe ich im Leben noch nicht gesehen. Er klapperte mit den Zähnen wie ein verliebter Hund. Aber der arme Bursche lebt noch. Wahrhaftig, wenn ihm dieser Met nicht hilft, so muß er wohl gelogen haben, daß er von Adel sei.«
Sagloba lehnte Rzendzians Kopf an seine Kniee und träufelte ihm langsam den Doppelten in die blau angelaufenen Lippen.
»Wir wollen sehen, ob du edles Blut in dir hast,« sprach er weiter zu dem Ohnmächtigen: »Denn jüdisches Blut kocht, wenn man Met oder Wein darauf gießt; Bauernblut, das träge, schwere, sinkt auf den Boden; nur adliges wird vom Weine angeregt und gibt dann eine vortreffliche Flüssigkeit, die dem Körper Mut und Schwung verleiht. Jesus Christus hat den verschiedenen Rassen verschiedene Getränke gegeben, damit eine jede ihren Trost habe ...«
Rzendzian stöhnte schwach.
»Aha, du willst mehr! Nein, Brüderchen, gestatte auch mir einen Schluck ... ah, so. Und jetzt, da du schon Lebenszeichen von dir gegeben hast, werde ich dich in den Stall bringen und in einen Winkel legen, damit dich dieser Kosakendrache nicht ganz zerreiße, wenn er zurückkommt.«
Sagloba hob Rzendzian vom Boden mit einer Leichtigkeit auf, die seine ungeheure Kraft kennzeichnete, und ging in den Flur hinaus, dann auf den Hof, wo zahlreiche Soldaten auf einem auf den Boden gebreiteten Tuche Würfel spielten. Da sie ihn sahen, begrüßten sie ihn, er aber sagte:
»Jungen, nehmt mir diesen Burschen und legt ihn aufs Heu. Einer renne mir nach dem Feldscher.«
Der Befehl wurde sofort vollzogen, denn Sagloba genoß als Bohuns Freund große Achtung bei den Kosaken.
»Und wo ist der Hauptmann?« fragte er.
»Er hat sich ein Pferd geben lassen und ist ins Regimentsquartier geritten; er hat uns auch befohlen, uns bereit zu halten und die Pferde zu satteln.«
»Ist meines auch bereit?«
»Ja.«
»Gib's her. Ich finde also den Hauptmann bei dem Regiment?«
»Da kommt er schon.«
In dem gewölbten, dunklen Tor des Hauses sah man auch schon Bohun. Er kam vom Markte heraufgeritten, hinter ihm erblickte man in der Ferne die Speere von hundert und mehr Kosaken, die offenbar marschbereit waren.
»Aufs Pferd!« schrie Bohun über den Hof den zurückgebliebenen Mannschaften zu.
Alles setzte sich schleunig in Bewegung. Sagloba trat aus dem Tore heraus und folgte dem jungen Bandenführer aufmerksam mit den Blicken.
»Du reistest fort?« fragte er ihn.
»So ist's.«
»Und wohin führt dich der Teufel?«
»Zur Hochzeit.«
Sagloba trat näher an ihn heran.
»Um Gottes willen, mein Sohn! Der Hetman hat dir befohlen, die Stadt zu bewachen, und du reitest fort, du selbst, und nimmst noch die Mannschaften mit. Du brichst seinen Befehl. Hier wartet die Menge nur auf den geeigneten Augenblick, um den Adel zu überfallen, – du richtest die Stadt zugrunde und setzest dich dem Zorne des Hetmans aus.«
»Mögen sie zugrunde gehen, Stadt und Hetman.«
»Es handelt sich um deinen Kopf.«
»Mag er zugrunde gehen, mein Kopf.«
Sagloba sah ein, daß alles Reden vergeblich war; er hatte sich's in den Kopf gesetzt, und ob er sich und andere zugrunde richtete, er blieb bei seinem Entschlusse. Sagloba vermutete wohl auch, wohin er gehen wollte, aber er wußte selbst nicht, was er beginnen sollte: mit Bohun reiten oder hierbleiben. Mitreiten war gefährlich; es bedeutete Abenteuer und Lebensgefahr in kriegerischen, rauhen Zeiten. Aber hierbleiben? Das Volk wartete in der Tat nur auf eine Nachricht aus der Sitsch, auf den Augenblick, wo die Losung zur Metzelei gegeben werden sollte, ja vielleicht hätte es gar nicht mehr gewartet, wären nicht die tausend Mann Bohuns und sein großer Einfluß in der Ukraine gewesen. Zwar konnte Sagloba auch in dem Lager des Hetmans Schutz suchen, aber er hatte seine Gründe, dies nicht zu tun. Ob es eine Verurteilung für irgend einen Mord oder auch ein Fehlerchen in seinen Büchern war, das wußte nur er, genug, er wollte ihnen nicht vor die Augen kommen. Es tat ihm leid, Tschechryn zu verlassen, hier fühlte er sich wohl, hier fragte man ihn um nichts, hier hatte er sich schon so mit allen eingelebt, mit dem Adel, mit den Ökonomen, den Starosten, mit den Kosakenältesten. Sagloba und Bohun hatten sich beim Glase kennen gelernt und gleich Brüderschaft geschlossen. Von da ab sah man nie einen ohne den anderen. Der Kosak warf für Zwei mit Goldstücken um sich, der Edelmann log, und beide befanden sich als unruhige Geister wohl miteinander.
Als er sich aber jetzt zu entscheiden hatte, ob er in Tschechryn bleiben und sich der Menge ans Messer liefern, oder ob er mit Bohun ausrücken sollte, entschloß sich Sagloba zu letzterem.
»Wenn du so verzweifelt bist,« sagte er, »so will ich mit dir reiten; vielleicht kann ich dir nützen, oder dir in die Hände fallen, wenn's nötig sein wird. Wir passen schon so zueinander, wie der Strick zur Schlinge, aber das hätte ich nicht erwartet.«
Bohun antwortete nichts. Eine halbe Stunde später standen zwölfhundert Mann in Marschordnung. Bohun ritt an ihrer Spitze und mit ihm Sagloba. Sie rückten aus.
Bohun ritt schweigsam, verschlossen, geheimnisvoll, düster wie die Nacht. Die Mannschaften fragten nicht, wohin er sie führe; mit ihm waren sie bereit bis ans Ende der Welt zu gehen.
Nachdem sie den Dniepr überschritten hatten, kamen sie auf die Heerstraße von Lubnie. Die Pferde gingen im Trabe und warfen Staubwolken auf, aber da der Tag schwül und trocken war, so standen sie bald in Schweiß. Sie verlangsamten ihren Lauf und zogen sich wie ein langes, ununterbrochenes Band über die Heerstraße hin. Bohun ritt an der Spitze, Sagloba neben ihm, um ein Gespräch zu beginnen.
»Was also denkst du zu tun, unglückseliger Held, wie willst du handeln?« fragte nach einiger Zeit Sagloba.
»Wie ein Kosak, auf Kosakenart!«
»Hm, ich sehe schon, was kommen wird, aber mag es denn kommen; eins nur will ich dir sagen, daß wir in Wischniowiezkis Reiche sind, und Lubnie nicht weit ist. Skrzetuski hat der Fürstin geschrieben, mit dem Mädchen dort Schutz zu suchen, das heißt, sie sind unter der Obhut des Fürsten, und der Fürst ist ein furchtbarer Leu ...«
»Auch der Khan ist ein Leu, und ich bin ihm in den Rachen gerannt und habe ihm mit Fackeln in die Augen geleuchtet.«
»Was, Wahnsinniger, willst du dem Fürsten den Krieg erklären?«
»Chmiel Chmiel = Chmielnitzki. hat sich auch an die Hetmane gewagt. Was ist mir Euer Fürst?«
Sagloba wurde immer unruhiger.
»Pfui, zum Teufel! Das ist ja die reine Rebellion. Kommst du nicht weit damit, so kommst du hoch. Die Kurzewitsch' werden sich auch verteidigen.«
»Nun? Mein Tod oder ihrer. Sieh, meine Seele hätte ich für sie hingegeben, für diese Kurzewitsch'. Sie waren mir Brüder, und die alte Fürstin war mir wie eine Mutter, der ich in die Augen sah wie ein Hündchen! Und als der Tatar den Wassili fing, wer ging in die Krim, ihn zu befreien? – Ich. Geliebt habe ich sie, gedient habe ich ihnen wie ein Knecht, weil ich glaubte, mir dieses Mädchen zu erdienen. Und sie haben mich dafür verraten, wie einen Knecht verraten in Jammer und Elend ... fortgejagt haben sie mich – nun, ich will gehen, aber vorher will ich Abschied nehmen; für das Salz und Brot, das ich bei ihnen aß, will ich auf Kosakenart heimzahlen – und dann gehen, denn ich kenne meinen Weg.«
»Wohin wirst du gehen, wenn du mit dem Fürsten anfängst? In Chmiels Lager?«
»Wenn sie mir dieses Mädchen gäben, wäre ich Euer lechischer Bruder, Euer Freund, Euer Degen, Eure geschworene Seele, Euer Hund. Und ich nähme meine Mannschaft, riefe die anderen aus der Ukraine zusammen, und dann zöge ich gegen Chmiel und gegen die leiblichen Brüder aus Saporogien. Und wollte ich eine Belohnung dafür? – Nein! Das Mädchen nähme ich und zöge jenseits des Dniepr in Gottes freie Steppe hinaus, in die wilden Lugen und die stillen Gewässer – und ich hätte genug – und jetzt ...«
»Und jetzt bist du rasend.«
Bohun erwiderte nichts, schlug das Pferd mit der Peitsche und ritt voraus; Sagloba begann darüber nachzudenken, in welche Nöte er gekommen sei. Kein Zweifel, Bohun hatte die Absicht, die Kurzewitsch' zu überfallen, das ihm angetane Unrecht zu rächen, das Mädchen mit Gewalt fortzuführen, und bei diesem Unternehmen hätte ihm Sagloba noch Gesellschaft geleistet. In der Ukraine waren solche Dinge nicht selten und gingen häufig straflos vorüber; zwar, wenn der Gewalttäter kein Edelmann war, war die Sache verwickelter und wurde gefährlicher, aber andererseits war die Vollstreckung der Gerechtigkeit an einem Kosaken schwer, denn wo sollte man ihn suchen und einfangen? Nach der Tat floh er in die wilden Steppen, wo keines Menschen Hand hinreichte – und er war verschwunden – nur wenn ein Krieg ausbrach, wenn die Tataren das Land durchzogen, dann kam der Verbrecher wieder ans Licht, dann aber feierten die Gerichte. So konnte sich auch Bohun der Verantwortung entziehen, und Sagloba brauchte ihm ja nicht mit der Tat zu helfen und die Hälfte der Schuld auf sich zu nehmen. Er hätte das ja auch in keinem Falle getan, denn war auch Bohun sein Freund, so ziemte es doch Sagloba als einem Edelmanne nicht, mit einem Kosaken gemeinsame Sache zu machen gegen einen Edelmann, besonders, da er Skrzetuski kannte und mit ihm getrunken hatte. Sagloba war wohl ein händelsüchtiger Mensch, aber seine Händelsucht hatte gewisse Grenzen. In den Schenken von Tschechryn mit Bohun und den anderen Kosakenältesten herumzulungern, besonders, wenn es ihr Geld kostete – ei, das tat er schon; angesichts der Kosakendrohungen war es sogar gut, solche Menschen zu Freunden zu haben. Sagloba hütete sein eigenes Fell wohl, wenn es auch hier und da ein wenig schadhaft war – aber plötzlich bemerkte er, daß ihn diese Freundschaft aufs Glatteis geführt hatte. Es war klar, wenn Bohun das Mädchen, die Verlobte eines Leutnants und des Lieblings des Fürsten, entführte, so würde er es mit dem Fürsten zu tun haben, und dann würde ihm nichts übrigbleiben, als zu Chmielnizki zu entfliehen und sich der Empörung anzuschließen. Dagegen legte Sagloba in seinen Gedanken, was seine Person betraf, ein entschiedenes Veto ein, denn sich für die schönen Augen Bohuns der Empörung anzuschließen, fiel ihm gar nicht ein, und überdies fürchtete er den Fürsten wie das Feuer.
»Pfui, pfui,« brummte er jetzt vor sich hin, »ich habe den Teufel am Schwanze erfaßt, und er wird mich jetzt beim Schopfe kriegen und mir den Hals umdrehen. Hol' ein Donnerwetter diesen Kosaken mit dem Weibsgesicht und der Tatarenhand! Da bin ich schön in den Dreck gerannt, wahrhaftig! Hol' ein Donnerwetter alle Kurzewitsch' und alles Weibsvolk!«
Diese Erwägungen brachten Sagloba in Schweiß und stimmten seine Laune noch trüber. Die Hitze war groß, das Pferd hatte schwer zu tragen, denn es war lange nicht gegangen, und Sagloba war ein wohlbeleibter Mann.
Obgleich Bohun drängte, wurde der Tritt doch langsamer, denn die Hitze war fürchterlich. Die Pferde wurden ein wenig gefüttert, und in der Zeit sprach Bohun mit den Esauls; er gab ihnen offenbar Befehle, was sie tun sollten, denn bisher wußten sie gar nicht einmal, wohin sie ritten. An Saglobas Ohr schlugen die letzten Worte des Befehls:
»Den Schuß abwarten!«
»Gut, Herr!«
Bohun wandte sich plötzlich zu ihm um:
»Du reitest mir voraus!«
»Ich?« sagte Sagloba in sichtlich schlechter Laune. »Ich liebe dich so, daß ich mir schon die halbe Seele aus dem Leibe geschwitzt habe, warum sollte ich nicht auch die zweite Hälfte drein geben?«
»Vorwärts!«
»Die Pest!«
Sie ritten voraus, und ihnen folgten die Kosaken, aber sie ritten langsamer, so daß sie bald ein bedeutendes Stück zurückblieben – und schließlich aus dem Gesicht schwanden.
Bohun und Sagloba ritten schweigend nebeneinander, beide in tiefe Gedanken versunken. Sagloba zerrte an seinem Schnurrbart und arbeitete sichtbar schwer mit dem Kopfe. Von Zeit zu Zeit murmelte er etwas leise vor sich hin, bald sah er wieder Bohun an, in dessen Zügen sich abwechselnd ungezügelter Zorn und Trübsal ausprägten.
Die Stunden vergingen. Die Sonne war weit nach Westen gewandert gen Tschechryn; vom Osten wehte ein kühler Wind.
In einer Stunde wurde es finster, aber sie ritten auch schon in die Waldschlucht ein, und endlich, an der Grenze der Waldschlucht, schimmerte ein Lichtchen.
»Das ist Roslogi,« sagte Bohun plötzlich.
»So? Brr, es ist kühl in dieser Schlucht.«
»Warte,« sagte er.
Sagloba sah ihn an. Bohuns Augen, welche die Eigentümlichkeit hatten, in der Dunkelheit zu leuchten, glühten jetzt wie zwei Fackeln.
Beide standen lange unbeweglich am Ende der Schlucht, endlich hörte man das Schnauben der Pferde.
Die Kosaken kamen aus der Tiefe des Waldes langsam heran.
Der Esaul näherte sich, um die Befehle in Empfang zu nehmen, die ihm Bohun ins Ohr flüsterte, dann machten die Kosaken wieder Halt.
»Vorwärts!« sagte Bohun zu Sagloba.
Nach kurzer Zeit standen die dunklen Massen der Hofgebäude, die Magazine, die Brunnen vor ihren Augen. Im Hofe war es still, die Hunde bellten nicht, der große, goldige Mond stand leuchtend über dem Gehöft. Vom Garten her dufteten die Kirschen- und Apfelblüten, überall war es so ruhig, die Nacht so wunderbar, es fehlte nur, daß irgend ein Sänger unter den Fenstern der schönen Prinzessin ein Lied hätte hören lassen.
In einigen Fenstern war noch Licht.
Die beiden Reiter näherten sich dem Tore.
»Wer da?« ließ sich die Stimme des Nachtwächters vernehmen.
»Erkennst du mich nicht, Maxim?«
»Euer Liebden sind es, gelobt sei Gott.«
»In alle Ewigkeit! Öffne! Wie steht es bei Euch?«
»Alles wohl! Euer Liebden sind lange nicht in Roslogi gewesen.«
Die Torangeln knarrten entsetzlich, die Brücke wurde niedergelassen, und die beiden Reiter ritten auf den Maidan ein.
»Höre, Maxim, schließe das Tor nicht, und ziehe die Brücke nicht auf, denn ich reise bald wieder ab.«
»Euer Liebden kommen in aller Eile?«
»So ist's. Die Pferde binde an den Pfahl.«