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10. Kapitel

Die flinken Tschaiken flogen eilig wie Schwalben auf dem Wasser dahin, den Ritter und sein Geschick in die Ferne tragend. Das Wasser ging hoch und machte den überall felsigen Untergrund weniger gefährlich. Sie hatten die Riffe von Surski und Lohanna bereits hinter sich, eine große Welle hatte sie glücklich über die Riffe bei Woronow und Strschelze hinweggeworfen, das Boot hatte nur ein wenig geknirscht; da erblickten sie endlich von ferne die schäumenden Strudel von Nienaßyt. Hier mußten sie aussteigen und die Boote zu Lande weiterziehen. Das war eine schwere, langwierige Arbeit, welche gewöhnlich einen ganzen Tag in Anspruch nahm. Glücklicherweise lagen von früheren solchen Fahrten her eine Menge Hölzer am Ufer, welche zum leichteren Transport der Boote benutzt wurden. Weit und breit war keine lebende Seele zu sehen, kein Boot auf dem Flusse, denn nach der Sitsch zu konnten andere Fahrzeuge nicht fahren, außer denen, welche Herr Grodschizki bei Kudak passieren ließ, und dieser schnitt jetzt absichtlich den Verkehr von Saporogien mit der übrigen Welt ab. Die Stille wurde also nur von dem Tosen der an den Felsen brandenden Wellen unterbrochen. Während die Leute bemüht waren die Boote zu transportieren, sah Herr Skrzetuski sich dies Wunder der Natur an. Ein schrecklicher Anblick bot sich seinen Augen. Quer über die ganze Breite des Flußbettes zogen sich nach einander sieben mächtige Felsenwälle, hoch über das Wasser hinausragend, schwarz und zerrissen durch die Sturzwellen, welche Durchgängen und Toren ähnliche Lücken dort ausgewühlt hatten. Der Fluß prallte mit der ganzen Wucht seiner Wassermassen gegen die Felsen und, auf Widerstand stoßend, hoben sich die tobenden Wellen zu einem mächtigen weißen Schaumberge, sich bemühend, das Hindernis zu übersteigen, sich bäumend wie ein tolles Roß. Aber noch einmal zurückgedrängt, ehe sie den Weg durch die Öffnungen finden konnten, drehten sie sich in schwindelnden Kreisen ohnmächtig zu gräßlichen Strudeln, schienen knirschend den Fels zerreißen zu wollen, stiegen zu riesigen Säulen empor, kochten wie siedend auf, und stöhnten erschöpft, wie ein gehetztes Tier. Jetzt plötzlich wieder ein Donnerschall wie aus hundert Geschützen, ein Heulen, wie von ganzen Rudeln Wölfen, ein Röcheln und Ächzen, und bei jedem der sieben Wälle derselbe Kampf, dasselbe Wirbeln. Über dem Abgrund das Geschrei der schreckerfüllten Vogelscharen, zwischen den Riffen die dunklen Schatten derselben, zitternd, hin und her gaukelnd wie böse Geister. Die Leute, obwohl an diesen Anblick gewöhnt, bekreuzten sich fromm und warnten den Statthalter, sich nicht zu nahe an den Rand zu wagen. Es existierten Überlieferungen, daß, wer lange in diese Wirbel blicke, zuletzt etwas sehe, wovon sich sein Verstand verwirre. Man sagte auch, daß zuweilen aus den Strudeln lange, schwarze Arme herauslangten, den Unvorsichtigen fassend und hinabziehend, der sich zu nahe an das Ufer gewagt; dann erscholl aus den Abgründen ein fürchterliches Lachen. Zur Nachtzeit war es den Saporoger Leuten nicht gestattet, Kähne zu transportieren. Zur Bruderschaft wurde in den Niederungen keiner zugelassen, der nicht einmal allein die Porogen passiert hatte, aber bei Nienaßyt geschah eine Ausnahme, da die Riffe hier niemals vom Wasser bedeckt waren. Nur von Bohun, dem Einzigen, sangen die Blinden, daß er zu Kahn allein sich hier hindurchgestohlen, aber es glaubte dies niemand.

Das Schleifen der Boote brauchte wirklich eine ganze Tagzeit; die Sonne begann zu sinken, als der Statthalter wieder den Kahn bestieg. Noch hatten sie einige kleine Strudel zu passieren, dann schwammen sie auf den stillen Wassern der Niederungen. Unterwegs sah Herr Skrzetuski auf der Grenze Kutschkassiens das Riesendenkmal aus weißen Steinen, welches der Fürst zum Andenken an seinen Aufenthalt hier hatte aufstellen lassen, und von dem Boguslaw Maskiewitsch in Lubnie ihm schon erzählt hatte. Von hier aus war es nicht mehr weit nach der Sitsch, aber da der Statthalter nicht zur Nachtzeit in das Labyrinth von Tschertomelik einfahren wollte, so beschloß er, auf Chortyza zu übernachten. Gern hätte er auch eine lebende Seele aufgefunden, welche er mit der Nachricht vorausschicken wollte, daß er als Abgesandter und nicht als ein anderer komme. Chortyza schien jedoch ganz verödet zu sein, was den Statthalter nicht wenig wunderte. Herr Grodschizki hatte ihm doch gesagt, daß dort immer eine Abteilung Kosaken stand zum Schutz gegen die Übergriffe der Tataren. Er untersuchte sogar mit einigen seiner Leute die Umgegend, aber die ganze Insel konnte er nicht durchsuchen, sie hatte fast eine Meile Länge, und die Nacht sank trübe und finster herab. So kehrte er denn zu den Booten zurück und ließ dieselben neben die schon angezündeten Feuer auf den Sand ziehen.

Der größere Teil der Nacht verlief ruhig. Die Führer und Mannschaften waren schon bei den Feuern eingeschlafen, nur die Posten wachten und mit ihnen der Statthalter, welchen seit seiner Abreise aus Kudak eine fürchterliche Schlaflosigkeit quälte. Er fühlte auch Fieberschauer. Mitunter schien es ihm, als näherten sich von der Insel her Schritte, dann wieder hörte er seltsame Töne, ähnlich dem leisen Meckern der Ziegen. Aber er glaubte, sein Ohr täusche ihn.

Plötzlich, schon in der Dämmerung, stand eine schwarze Gestalt vor ihm. Es war der wachthabende Soldat.

»Herr, sie kommen!« sagte er hastig.

»Wer kommt?«

»Gewiß die aus den Niederungen; es sind an vierzig.«

»Gut, das sind nicht viele. Wecke die Leute! Zündet Feuer an!«

Die Mannschaften sprangen schnell auf die Füße. Die angezündete Flamme schlug in die Höhe und beleuchtete die Boote und die Handvoll Leute des Statthalters. Die übrigen Wachen kamen auch herbei.

Unterdes konnte man schon deutlich unregelmäßige Tritte unterscheiden. Diese Tritte hielten in gewisser Entfernung an, eine fremde Stimme fragte in drohendem Ton:

»Wer ist am Ufer?«

»Wer seid Ihr?« entgegnete der Wachtmeister.

»Antworte, verfluchter Hund, wenn nicht, dann soll mein Gewehr dich fragen!«

»Seine Hoheit, der Herr Gesandte des allerdurchlauchtigsten Fürsten Jeremias Wischniowiezki an den Feldhauptmann,« rief der Wachtmeister laut und vernehmlich.

Die Stimme dort verstummte. Augenscheinlich fand eine Beratung statt.

»Kommt doch einmal her,« rief der Wachtmeister hinüber, »fürchtet euch nicht. Man tötet keinen Gesandten, aber auch die Gesandten töten niemanden.«

Wieder wurden Schritte laut, nach einer kleinen Weile traten aus dem Schatten mehrere Gestalten hervor. An der dunklen Gesichtsfarbe, dem niedrigen Wuchs und den mit der Wolle nach außen gekehrten Pelzen erkannte der Statthalter sofort, daß es Tataren seien. Nur ein paar Kosaken fanden sich unter ihnen. Wie ein Blitz durchzuckte der Gedanke den Statthalter, daß, wenn Tataren sich auf Chortyza befanden, auch Chmielnizki aus der Krim zurück sein müsse.

An der Spitze der Versammlung stand ein Saporoge von riesenhaftem Wuchs, mit wildem, fanatischem Gesichtsausdruck. Dieser trat näher an das Feuer und fragte:

»Wo ist der Gesandte?«

Ein starker Branntweingeruch verbreitete sich ringsum; der Mann war betrunken, das sah man.

»Wer ist der Gesandte?« wiederholte er.

»Ich bin es,« sagte Herr Skrzetuski stolz.

»Du?«

»Was habe ich mit dir gemein, daß du mich mit ›du‹ anredest?«

»Verstehst du Grobian keine Höflichkeit?« unterbrach der Wachtmeister. »Man sagt: Erlauchter Herr Gesandter.«

»Zum Teufel mit euch, Satanssöhne. Euer wartet der Sensentod! erlauchte Höllenbrut. Nach was geht ihr zum Attaman?«

»Das schert dich nichts. Doch wisse, daß du mit deinem Hals dafür aufkommst, mich sobald als möglich zum Attaman zu schaffen.«

In diesem Augenblick schob sich ein zweiter Saporoge vor.

»Wir wachen hier auf Befehl des Attaman, damit niemand von den Lechen (Polen) uns zu nahe kommt, und wer sich nähert, den sollen wir binden und abliefern. Das werden wir jetzt auch tun.«

»Wer freiwillig geht, den brauchst du nicht zu binden!«

»Ich werde aber, der Befehl lautet so!«

»Weißt du Bauer denn, was die Person eines Gesandten bedeutet? Weißt du, wen ich hier vorstelle?«

Der alte Riese unterbrach ihn:

»Ich führe den Gesandten, aber am Bart – seht so!«

Indem er das sagte, langte er mit der Hand nach dem Barte des Statthalters. Aber in demselben Augenblick stöhnte er, und wie vom Blitz getroffen sank er nieder. Der Statthalter hatte ihm den Kopf mit dem Streitkolben gespalten.

»Stecht ihn! Stecht ihn!« heulten wilde Stimmen aus der Versammlung. Die Mannschaften des Statthalters sammelten sich um ihren Herrn; die Musketen knallten, der Ruf: »Stecht ihn! Stecht ihn!« mischte sich mit dem Klirren des Eisens. Ein regelloser Kampf begann. Im Getümmel wurde das Feuer ausgetreten, Finsternis umgab die Kämpfenden. In kurzem waren sie so dicht aneinander geraten, daß der Raum zum Hieb mangelte, und Messer, Fäuste und Zähne an Stelle der Säbel traten.

Plötzlich kamen aus der Tiefe der Insel neue, zahlreiche Zurufe; die Angreifer bekamen Zuzug.

Noch eine Weile, und sie wären zu spät gekommen, da die fürstlichen Mannschaften schon die Oberhand über die Angreifer gewannen.

»Zu den Booten!« rief der Statthalter mit donnernder Stimme.

Im Augenblick wurde der Befehl erfüllt. Unglücklicherweise waren die Boote zu weit auf den Sand gezogen, sie ließen sich nicht schnell ins Wasser ziehen. Unterdessen sprang der Feind wütend dem Ufer zu.

»Feuer!« kommandierte Skrzetuski.

Eine Musketensalve hielt die Angreifer bald zurück; sie wurden verwirrt und zogen sich ordnungslos zurück, indem sie mehrere Verwundete zurückließen. Einige dieser Leiber zuckten konvulsivisch. Gleichzeitig bemühten sich die Schiffer mit Hilfe einiger Soldaten, die Boote flott zu machen. Trotz aller Anstrengung gelang das nicht.

Der Feind erneuerte seine Attacke von weitem. Kugeln klatschten in das Wasser, Schüsse fielen wieder, und Verwundete ächzten.

Die Tataren ermutigten sich gegenseitig durch fortwährende »Allah!«-Rufe, die Kosaken antworteten »Stecht zu!«, und die ruhige Stimme des Herrn Skrzetuski kommandierte öfter: »Feuer!«

Das erste Morgengrauen beschien mit bleichem Licht den Kampf. Von der Landseite her gewahrte man eine Menge Kosaken und Tataren, teils die Gesichter an den Kolben der Musketen, teils den Oberkörper hintenüber gebeugt, die Sehnen der Bogen spannend – auf dem Wasser zwei in Rauch gehüllte Boote, fortwährend beleuchtet von den Salven der Musketen, mitten drinnen lagen auf den Sand ausgestreckt die Leiber der Toten. In einem der Boote stand Herr Skrzetuski, stolz die anderen überragend, ruhig mit dem hauptmännischen Streitkolben in der Hand, entblößten Hauptes. Ein Tatarenpfeil hatte ihm die Mütze herabgerissen.

Der Wachtmeister näherte sich ihm und flüsterte:

»Herr! Wir halten es nicht aus, es sind ihrer zu viele.«

Aber dem Statthalter war es nur noch darum zu tun, seine Gesandtschaft mit dem eigenen Blute zu besiegeln, die Entehrung seiner Würde nicht zu dulden, und ruhmvoll zu sterben. Deshalb verschmähte er auch, gleich seinen Soldaten, aus den Mundvorratssäcken sich einen fraglichen Schutz herzustellen; er stand frank und frei den Angriffen ausgesetzt.

»Gut!« sagte er. »Wir sterben bis auf den letzten Mann.«

»Wir sterben, Brüderchen!« riefen die Mannschaften.

»Feuer!«

Wieder hüllte dichter Rauch die Boote ein. Aus der Tiefe der Insel erschienen immer mehr Bewaffnete mit Spießen und Sensen. Die Angreifer teilten sich in zwei Hälften. Die eine unterhielt das Feuer, die andere, bestehend aus etwa zweihundert jungen Tataren, war bereit zur Attacke mit den Fäusten. Gleichzeitig schwammen aus dem die Insel umgebenden Dickicht vier Boote hervor, welche den Statthalter von hinten und von beiden Seiten angreifen sollten.

Es war inzwischen ganz hell geworden. Nur der Rauch, welcher in langen Streifen durch die stille Luft zog, verhüllte noch den Kampfplatz.

Der Statthalter befahl, daß zwanzig seiner Leute sich den angreifenden Fahrzeugen zuwenden sollten, welche, von Rudern getrieben, mit der Eile und Schnelle von Raubvögeln auf dem stillen Wasser daherkamen. Das Feuer gegen den Feind auf der Insel wurde dadurch bedeutend abgeschwächt.

Darauf schien dieser nur zu warten.

Der Wachtmeister näherte sich wieder dem Statthalter.

»Herr! Die Tataren nehmen die Krummsäbel in den Mund – sie werden uns gleich attackieren.«

Fast dreihundert Mann, das Messer zwischen den Zähnen, den langen Säbel in der Hand, schickten sich zur Attacke an. Mehrere Saporoger, mit Sensen bewaffnet, hatten sich ihnen angeschlossen. Die Attacke sollte von allen Seiten zugleich beginnen. Die angreifenden Boote hatten sich ihnen schon auf Schußweite genähert. Die Kugeln flogen wie Hagel auf die Leute des Statthalters. Beide Boote waren mit Ächzenden und Stöhnenden gefüllt. Nach Ablauf einiger Minuten war die Hälfte von ihnen gefallen, der Rest verteidigte sich verzweifelt. Ihre Gesichter waren vom Rauch geschwärzt, die Hände sanken ermüdet herab, der Blick wurde trübe, die Augen blutunterlaufen, die Röhren der Musketen fingen an, die Handteller zu versengen. Die meisten waren verwundet.

In diesem Augenblick zerriß ein gräßliches Geheul die Luft. Die Tataren stürmten heran. Der Rauch wurde durch die herbeistürzenden Menschen zerteilt, und dem Blick enthüllten sich die beiden Boote des Statthalters, bedeckt mit der schwärzlichen Masse der Tataren, gleich zwei Pferdekadavern, welche Wölfe zerreißen. Die Menge stockte, stemmte sich, heulte, schien mit sich selbst zu kämpfen und unterzugehen. Noch einige der Soldaten boten Widerstand, an den Mast gelehnt stand Herr Skrzetuski mit blutüberströmtem Gesicht, in der linken Schulter steckte ihm ein Pfeil bis zum Heft, aber er kämpfte wütend. Seine Gestalt schien riesengroß in der ihn umgebenden Menge, der Säbel flog wie der Blitz in seiner Hand hin und her. Seinen Hieben folgte Geheul und Stöhnen. Der Wachtmeister und noch ein Soldat schützten ihm die Seiten, die Meute schien mit wahrem Entsetzen vor diesem Dreiblatt zurückzuweichen, aber von hinten gestoßen, fielen immer neue Opfer den Säbeln dieser Mutigen.

»Nehmt sie lebendig! Zum Feldhauptmann!« schrien Stimmen aus der Menge. »Ergebt euch!«

Aber Herr Skrzetuski wollte sich nur Gott ergeben – doch plötzlich wurde er totenbleich, schwankte und fiel auf den Boden des Bootes.

»Lebe wohl, Brüderchen!« brüllte verzweifelt der Wachtmeister. Nach einer Weile fiel er auch. Die bewegliche Masse der Angreifer bedeckte die Boote vollständig.


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