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11. Kapitel

In der Hütte des Militärkanzlisten in der Vorstadt Hassan Bascha in der Sitsch saßen am Tische zwei Männer bei einer Labung von Branntwein, welchen sie unaufhörlich aus einem auf dem Tische stehenden hölzernen Gefäß schöpften. Der eine, alt und zusammengeschrumpft, war Fylyp Sachar, der Kanzlist selbst, der andere Anton Tatartschuck, der Hauptmann des Tschechryner Kosakenlagers, ein Mann von etwa vierzig Jahren, groß, stark, mit wilden Gesichtszügen und schiefgeschlitzten Tatarenaugen. Beide sprachen leise miteinander, als fürchteten sie, belauscht zu werden.

»Also heute?« fragte der Kanzlist.

»Vielleicht sogleich,« antwortete Tatartschuck. »Sie warten nur auf den Feldhauptmann und Tuhaj-Bey, welcher mit Chmielnizki nach Basawluck gefahren ist, wo eine Horde Tataren steht. Die Versammlung ist schon auf dem Schloßhof zusammen, und die Lagerhauptleute kommen noch vor Abend zu einer Beratung hierher. Ehe die Nacht einbricht, wissen wir alles.«

»Hm! Es kann schlimm werden!« brummte der alte Sachar.

»Höre, Kanzlist, wußtest du, daß ein Schreiben auch an mich war?«

»Freilich wußte ich es, denn ich habe die Briefe selbst zum Feldhauptmann getragen, und ich bin ein Schriftgelehrter. Sie fanden bei dem Lechen drei Schreiben: eins an den Feldhauptmann selbst, das zweite an dich, und das dritte an den jungen Barabasch. In der ganzen Sitsch weiß man davon.«

»Weißt du, wer die Briefe schrieb?«

»Dem Feldhauptmann schrieb der Fürst, denn sein Siegel war auf dem Schreiben; wer dir schrieb, ist mir unbekannt.«

»Das Wetter schlage drein!«

»Wenn du in dem Schreiben nicht genau als Freund der Lechen genannt bist, geschieht dir nichts.«

»Das Wetter schlage drein!« wiederholte Tatartschuck.

Vom Schloßplatz her ertönte jetzt der dumpfe Ton der Kessel. Als Tatartschuck diesen Ton hörte, fuhr er erschrocken auf. Eine außergewöhnliche Unruhe war ihm anzumerken.

»Sie trommeln zur Ratsversammlung,« sagte er, nach Atem ringend. »Das Wetter schlage drein! Du, Fylyp, erzähle niemandem, was ich dir hier sagte.«

Er ergriff mit beiden Händen das ganze Branntweinschaff, setzte es an die Lippen und trank, und trank, als ob er sich zu Tode trinken wollte.

»Gehen wir,« sprach der Kanzlist.

Der Lärm der Kessel wurde immer lauter. Sie traten hinaus. Die Vorstadt Hassan Bascha war vom Schloßplatz nur durch einen denselben begrenzenden Wall getrennt, durch welchen ein Tor mit hohem Bollwerk, das mit Kanonen besetzt war, auf den Schloßplatz führte. Mitten in der Vorstadt stand die Hütte des Kanzlisten, dann einige Krambuden; rings um den geräumigen Platz waren Schuppen ausgebaut, welche alle Vorräte bargen. Es waren elende Bauten, aus unbehauenen Hölzern, mit Ästen und Rohr eingedeckt. Die Hütten, diejenige des Kanzlisten nicht ausgenommen, guckten nur mit den Dächern aus dem Boden hervor. Diese Dächer waren schwarz und verräuchert, da der Rauch nicht nur oben zum Dache herauskam, sondern sich über den ganzen Dachraum verbreitete, so daß man glauben konnte, sie seien ein Haufen Rohr, in welchem Teer gebrannt wurde. Das Feuer in den Hütten erlosch nie, da sonst ewige Finsternis darin herrschte. Die Schuppen, etwa fünfzig bis sechzig an der Zahl, unterschied man in solche, welche den Kosakenhauptleuten gehörten, und in solche, in welchen die Tataren und Wallachen in friedlichen Augenblicken mit Fellen, morgenländischen Webstoffen, Waffen, Beute und hauptsächlich mit Wein handelten. Doch waren die Weinschenken selten besucht, da in diesem wilden Nest alles auf Raub ausging. Zwischen den Schuppen standen auch noch dreißig Lagerschenken, vor denen immer mitten zwischen Eichenklötzen, Kehricht, Spänen und Pferdedung halb zu Tode betrunkene Saporogen lagen, Schaum vor dem Munde, in konvulsivischen Zuckungen, im Delirium. Erst mit dem Augenblick, in welchem eine Expedition ins Werk gesetzt wurde, kam Ordnung in diese bestialischen Massen, dann wurde jeder Betrunkene mit dem Tode bestraft. Der saure Geruch des ungeschäumten Branntweins in Verbindung mit dem Gestank, welchen Pech, verkommene Fische, Rauch und Pferdeleber verbreiteten, erfüllte fortwährend die Luft der ganzen Vorstadt, welche überhaupt in ihrem bunten Allerlei einem türkischen oder Tatarenbazar glich. Hier wurde allerlei untereinander verhandelt: bunte, morgenländische Stoffe, Sammete, Goldbrokate, Tuche, Zitz, Drillich und Leinwand, zertrümmerte Geschütze, Felle, Pelze, gedörrte Fische, Kirschen und türkische Delikatessen, Kirchengeräte, kupferne Halbmonde (von Minarets geraubt) und vergoldete Kreuze, die von Zerkwien heruntergerissen waren, nebst Pulver, Hiebwaffen und Sätteln.

In diesem Augenblick war die ganze Vorstadt noch mehr von Menschen belagert als gewöhnlich; man schloß eben die Schuppen und Schenken, alle eilten zum Schloßplatz, wo der Rat der Hauptleute stattfinden sollte. Fylyp Sachar und Anton Tatartschuck gingen mit den anderen; der letztere aber zögerte, ging langsam und blieb zurück. Eine immer größere Unruhe hatte sich seiner bemächtigt. Endlich gingen sie über die Brücke des Wallgrabens, dann durch das Tor auf den Schloßplatz, der von achtunddreißig großen Holzgebäuden umgeben war. Das waren die Kosakenlagerhäuser, in denen die Kosaken wohnten. In einem Winkel des Platzes erhob sich das Ratsgebäude, wo die Hauptleute unter dem Vorsitz des Feldhauptmanns sich zu Beratungen versammelten. Die große Menge hielt ihren Rat unter freiem Himmel, sandte alle Augenblicke Deputationen zu den Ältesten, und drang oft mit Gewalt in das Ratsgebäude, um Entschlüsse zu erzwingen.

Der Andrang hier war schon gewaltig, da der Feldhauptmann alles Volk aus den Sümpfen und von den Inseln einberufen hatte. Die Versammlung der sogenannten »Gesellschaft« war also heute bedeutend zahlreicher. Die Sonne war im Untergehen, man hatte bereits einige Tonnen Pech angezündet, hier und da standen auch Tonnen mit Branntwein, welche den Beratungen erst die notwendige Energie geben sollten. Die Ordnung wurde durch Aufseher aufrecht erhalten, welche mit großen Stöcken bewaffnet waren, um die Ratschlagenden im Zaum zu halten, und zu ihrer eigenen Sicherheit Pistolen trugen. Fylyp Sachar und Tatartschuck hatten das Recht, mit unter den Hauptleuten zu sitzen, der eine als Kanzlist, der andere in seiner Eigenschaft als Hauptmann der Lagerkosaken; sie schritten also sogleich in das Ratsgebäude. In der Ratsstube stand nur ein kleiner Tisch, an welchem der Militärschreiber saß. Die Hauptleute hatten ihre Plätze auf Fellen an den Wänden lang. Jetzt waren die Plätze noch unbesetzt. Die Hauptleute standen in kleinen Gruppen beisammen, während der Feldhauptmann mit langen Schritten auf und ab ging.

Unterdes verkündete lautes Geschrei da draußen, daß etwas Besonderes vorging. Eben wurde die Tür der Ratsstube geöffnet, und Chmielnizki trat mit Tuhaj-Bey herein. Das Geschrei hatte ihnen gegolten; man bewillkommnete sie freudig. Noch vor wenigen Monaten war Tuhaj-Bey, als der tapferste der Tataren, ein Schrecken für die Niederungen, ein Gegenstand des Abscheues und Entsetzens. Heute warf die »Gesellschaft« die Mützen in die Luft, bei seinem Anblick stimmten sie Jubelrufe an und grüßten ihn als guten Freund Chmielnizkis und der Saporogen.

Voran schritt Tuhaj-Bey, hinter ihm Chmielnizki, den Feldherrnstab in der Hand, das Abzeichen der Saporogenhäuptlinge. Er waltete dieses Amtes seit seiner Rückkehr aus der Krim. Damals hatten ihn die Kosaken auf ihre Schultern gehoben, den Militärschatz erbrochen und ihm den Feldherrnstab, die Fahne und das Siegel dargereicht, zum Zeichen, daß sie ihn zu ihrem Großhetman erhoben. Er hatte sich auch sehr verändert. Man sah ihm an, daß er in seiner Person die ganze schreckliche Macht der Niederungen vereinte. Es war nicht mehr der Chmielnizki auf der Flucht, von Verfolgern gehetzt; der heutige Chmielnizki war der blutdürstige Hetman, der riesenhafte Rächer des ihm zugefügten Unrechtes.

Dennoch hatte er die Ketten nicht abgeschüttelt; er hatte sich sogar noch schwerere auferlegt. Man sah das aus seinem Verhältnis zu Tuhaj-Bey. Der Hetman der Saporogen nahm mitten im Herzen dieses Saporogien erst die zweite Stelle nach Tuhaj-Bey ein, und ertrug demütig dessen Stolz und verächtliches Benehmen. Es war das Verhältnis eines Lehndieners zu seinem Lehnsherrn. Das mußte so kommen. Chmielnizki verdankte seinen ganzen Einfluß auf die Kosaken den Tataren und der Gnade des Khan – dessen Vertreter hier der bestialische Tuhaj-Bey war. Aber Chmielnizki verstand beides zu vereinen, den die Brust schwellenden Stolz mit der Demut, wie den Mut mit der List. Er war ein Löwe und ein Fuchs, ein Adler und eine Schlange. Heute, zum ersten Male seit den Uranfängen der Kosakenansiedelungen, kehrte der Tatar seine Herrschermiene heraus. Er trat als der Herr der Niederungen auf, so hatten die Zeiten sich geändert. Die Kosaken warfen die Mützen in die Luft beim Anblick dieses Menschenschinders. So war es auch heute.

Die Ratssitzung begann. Tuhaj-Bey setzte sich mitten hin auf ein größeres Bund Felle, zog die Beine ein und fing an, Kerne der Sonnenrose zu kauen, deren Schalen er vor sich hinspuckte. Rechts von ihm nahm Chmielnizki seinen Platz, links der Feldhauptmann, die Attamane, und die Deputation der erregten Menge weiter an den Wänden entlang. Die Unterhaltungen verstummten, nur von außen drang ein dumpfer Lärm, das Gemurmel der unter freiem Himmel Rathaltenden durch die Mauern. Chmielnizki ergriff das Wort:

»Gnädige Herren! Aus Gnade, Zuneigung und Freundschaft des allerdurchlauchtigsten Zaren der Krim, des Herren vieler Völker, verwandt mit den Himmelsmächten, mit Zustimmung des huldvollen Königs Wladislaus, und dem guten Willen unserer tapferen Saporogen, gehen wir, das uns angetane Unrecht zu rächen, welches wir mit christlicher Geduld trugen, solange es ging, das Unrecht, welches uns die falschen Lechen, die Kommissarien, Starosten und Ökonomen samt dem ganzen Adel zugefügt haben. Ich ging, den allerdurchlauchtigsten Zaren um Hilfe zu bitten, die er uns auch gnädigst gewährte. Das gesamte Saporogien gab mir den Feldherrnstab, damit wir uns um so leichter und nachdrücklicher für das unschuldig erlittene Unrecht rächen können. Aber wie betrübt es mich jetzt, wo wir bereit dazu sind, die Erfahrung zu machen, daß unter uns Verräter sind, die mit den Lechen in Verbindung stehen und ihnen Nachricht von unseren Vorbereitungen geben. Wenn das wahr ist, so sollen sie bestraft werden nach eurem Willen. Wir bitten, daß ihr die Briefe anhört, welche der Gesandte von unserem Erzfeinde, dem Fürsten Wischniowiezki, gebracht hat, der aber zugleich als Spion unsere Vorbereitungen und den guten Willen unseres Freundes Tuhaj-Bey auskundschaften und den Lechen verraten sollte. Auch dieser soll, wenn ihr es für recht haltet, bestraft werden, wie diejenigen, zu denen er die Schreiben brachte, die der Feldhauptmann, als treuer Freund und Genosse Tuhaj-Beys und der ganzen Kosakenschaft, mir sogleich ausgehändigt hat.

Chmielnizki schwieg; der Lärm draußen wurde lauter. Der Schreiber stand auf und begann den Brief des Fürsten an den Feldhauptmann zu lesen, welcher so anfing: »Wir von Gottes Gnaden, Fürst und Hospodar auf Lubnie, Chorol, Prschyluk, Hadsiatsch usw., Wojewode von Ruthenien usw., Starost usw.« Das Schreiben war streng amtlich. Der Fürst hatte gehört, daß die Leute auf den »Sümpfen« einberufen worden seien. Er fragte den Attaman, ob das wahr sei, und bat ihn, um der Ruhe der christlichen Länder willen, es zu unterlassen, den Chmielnizki aber, sobald er versuche, die Niederungen aufzuwiegeln, den Kommissarien auszuliefern, die ihn selbst von ihm fordern würden.

Der zweite Brief war von Herrn Grodschizki ebenfalls an den Attaman, der dritte und vierte, diejenigen Sazwilichowskis und des alten Tscherkessierhauptmanns an Tatartschuck und Barabasch. In keinem der Schreiben fand sich etwas vor, was eine der empfangenen Personen verdächtigen konnte. Sazwilichowski richtete an Tatartschuck nur die Bitte, sich des Überbringers anzunehmen und dem Gesandten zu allem zu verhelfen, was dieser wünsche.

Tatartschuck atmete auf.

»Was sagt ihr zu den Schreiben, ihr Herren?« fragte Chmielnizki.

Die Kosaken schwiegen. Alle Beratungen fingen stets damit an, daß keiner der Teilnehmer zuerst sprechen wollte, ehe nicht der Branntwein die Köpfe erhitzte. Sie taten das listigerweise nur aus Furcht, nicht mit einer Dummheit zutage zu treten, die ihnen das Gelächter aller, möglicherweise sogar einen Spitznamen für die Zeit ihres Lebens eintragen konnte. Bei diesen ungebildeten Menschen war der Spottsinn und die Freude daran ebenso entwickelt, als die Furcht, der Gegenstand eines Spottes zu werden.

Die Kosaken schwiegen also. Chmielnizki ergriff wieder das Wort.

»Der Feldhauptmann ist unser lieber Bruder und Freund. Ich glaube an ihn wie an die eigene Seele, und wer es anders täte, der müßte selbst ein Verräter sein.«

Indem er das sagte, stand er auf und küßte den Feldhauptmann.

»Gnädige Herren!« entgegnete darauf derselbe. »Ich berufe die Soldaten ein, und der Hetman mag sie führen. Was den Gesandten betrifft, so ist er zu mir geschickt; deshalb gehört er mir, und da er mir gehört, so schenke ich ihn euch.«

»Ihr Herren von der Deputation, verneigt euch vor dem Attaman,« sprach Chmielnizki, »denn er ist ein gerechter Mann; geht zur Volksmenge und sagt ihr, daß er kein Verräter ist. Er hat zuerst Wachen ausgestellt, ließ die Verräter fangen, die zu den Lechen wollten oder von ihnen kamen. Sagt, er ist kein Verräter, er ist der beste von uns.«

Die Herren Deputierten verneigten sich, beide Hände in die Hüften stemmend, erst dem Tuhaj-Bey, welcher die ganze Zeit über ruhig an seinen Sonnenrosenkörnern kaute, darauf dem Chmielnizki, dem Attaman, und entfernten sich dann.

Nach einer Weile wurden draußen Freudenschreie laut, sie verkündeten, daß die Deputation ihren Auftrag ausgerichtet hatte.

»Es lebe unser Feldhauptmann! Er lebe!« schrien heisere Stimmen so laut, daß die Wände der Stube zitterten.

Gleichzeitig knallten Musketenschüsse.

Die Deputation kehrte zurück und setzte sich im Winkel der Stube nieder. Als die Ruhe wieder hergestellt war, begann Chmielnizki aufs neue:

»Meine Herren! Ihr habt sehr klug geurteilt, daß der Attaman ein gerechter Mann ist. Aber – wenn der Attaman kein Verräter ist, wer ist da ein Verräter? Wer hat Freunde unter den Lechen, mit wem haben sie Kundschaft, wem schreiben sie Briefe, wem empfehlen sie den Gesandten? Wer ist der Verräter?«

Chmielnizki hatte, während er sprach, die Stimme immer mehr erhoben, und den Blick unheilverkündend auf den Tatartschuck gerichtet und den jungen Barabasch ebenfalls bedeutungsvoll angeblickt, als ob er sie beide direkt unter Anklage stellen wollte. In der Stube entstand ein Gemurmel, mehrere Stimmen riefen: »Barabasch und Tatartschuck!« Einige der Hauptleute standen auf, unter der Deputation wurden Rufe laut: »In den Tod mit ihnen!«

Tatartschuck erbleichte; der junge Barabasch blickte verwundert von einem zum anderen. Seine trägen Gedanken bemühten sich eine Zeitlang, zu erraten, wessen man ihn anklagte, endlich sagte er: »Ich werde kein Hundefleisch fressen!«

Indem er das sagte, brach er in ein schallendes Gelächter aus, das klang wie dasjenige eines Idioten, ihm folgten andere, und plötzlich lachte die ganze Versammlung wild, ohne selbst zu wissen, warum. Draußen wurde das Geschrei immer größer, der Branntwein begann zu wirken. Anton Tatartschuck stand auf, trat vor Chmielnizki und sagte:

»Was habe ich Euch getan, Großhetman von Saporogien, daß Ihr meinem Leben nachstellt? Was habe ich verbrochen? Der Kommissarius Sazwilichowski schrieb mir – was ist dabei? Der Fürst schrieb ja auch an den Attaman. Habe ich denn einen Brief bekommen? Nein! Und hätte ich ihn bekommen, was war ich schuld daran? Ich wäre damit zum Schreiber gegangen, hätte mir ihn vorlesen lassen, Weil ich nicht schreiben, nicht lesen kann. Und dann hättet Ihr immer gewußt, was in dem Briefe steht. Ich habe den Lechen mit keinem Auge gesehen. Bin ich ein Verräter? Hej! Brüder Saporogen, Tatartschuck ging mit euch in die Krim, und als ihr gegen die Walachen zoget, zog ich mit, als es nach Smolensk ging, war ich dabei, schlug mich mit euch – tapfere Jungens – schlug mich mit euch, vergoß mein Blut mit euch, hungerte mit euch. Ich bin kein Verräter, kein Leche, sondern ein Kosak, euer Bruder, und wenn der Hetman mein Leben verlangt, so frage ich – was habe ich getan? Womit ihn beleidigt? Er soll es sagen, und ihr, meine Brüder, sollt mich gerecht richten.«

»Tatartschuck ist ein guter Soldat! Ein gerechter Mensch!« riefen mehrere Stimmen.

»Du, Tatartschuck, bist ein guter Soldat,« sagte Chmielnizki, »und ich verfolge dich nicht, denn du bist mein Busenfreund, kein Leche, ein Kosak, unser Bruder. Denn wenn der Leche ein Verräter wäre, möchte ich mich nicht betrüben, aber wenn ein guter Soldat, mein Bruder, ein Verräter ist, so fällt mir das schwer auf das Herz. Und wenn du in der Krim warst und bei Smolensk, so ist deine Sünde noch größer, wenn du jetzt falscherweise die Saporogen den Lechen verraten wolltest. Sie schrieben dir, du sollst ihm alles erleichtern, was er verlangt, nun sagt mir, Attamane, was kann ein Leche verlangen? Doch nur mein und meines Freundes Tuhaj-Bey Leben, doch nur den Untergang der Saporogen. Du bist schuldig, Tatartschuck, und kannst nichts ausrichten dagegen. Und an den Barabasch schrieb sein Oheim, der Tscherkessenhauptmann, der Freund des Tschaplinski und der Lechen. Ihr seid beide schuldig; bittet die Attamane um Barmherzigkeit, und ich werde mit euch bitten, obgleich eure Schuld schwer und erwiesen ist.«

Unterdes war der Lärm draußen zum tosenden Gebrüll eines Sturmes angewachsen. Die erregte Menge wollte wissen, was drinnen in der Ratsstube geschah, und schickte eine neue Deputation.

Tatartschuck fühlte, daß er verloren sei. Jetzt erinnerte er sich, daß er vor einer Woche gegen die Übergabe des Feldherrnstabes an Chmielnizki und das Bündnis mit den Tataren gesprochen hatte. Kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn; er wußte, er war verloren. Was den jungen Barabasch betraf, so war es klar, daß der Hetman durch dessen Tod sich an den alten Tscherkessier rächen wollte, welcher seinen Bruderssohn sehr liebte. Aber Tatartschuck wollte nicht so sterben. Er wäre vor dem Säbel, vor der Kugel nicht erbleicht, selbst vor dem Pfahl nicht, – aber der Tod, der ihn hier treffen sollte, jagte ihm das fürchterlichste Entsetzen ein. Er benutzte einen Augenblick eingetretener Stille und schrie verzweifelt:

»Im Namen Christi! Brüder, Attamane! Tötet mich nicht. Ich habe nichts getan, habe den Lechen nicht gesehen. Erbarmt euch! Ich weiß nicht, was er von mir wollte, fragt ihn selbst. Ich schwöre bei Christo, dem Erlöser, der heiligen Reinsten, dem heiligen Nikolaus und Michael, ihr verderbt eine unschuldige Seele.«

»Bringt den Lechen herein!« rief der alte Kanzlist.

»Den Lechen her! Den Lechen!« riefen die Hauptleute.

Ein Wirrwarr entstand. Die einen drängten in die nächste Stube, wo der Gefangene lag, um ihn herbeizuschleppen, andere näherten sich drohend dem Tatartschuck und Barabasch. Der erste, welcher »Tod und Verderben« schrie, war der Lagerhauptmann des Mirgorodzlagers. Die Deputation wiederholte den Ruf, Tscharnota stürzte zur Tür und, sie weit öffnend, rief er der Menge draußen zu:

»Meine Herren! Tatartschuck und Barabasch sind Verräter! Tod und Verderben ihnen!«

Ein entsetzliches Geheul antwortete. Die Unordnung wurde immer großer. Alle Attamane standen auf. Die einen riefen: »Den Lechen! Den Lechen!«, andere bemühten sich, Ruhe herzustellen. Jetzt wurde die Tür eingedrückt, sie sprang weit auf, und die draußen befindliche Menge stürzte herein. Schreckliche Gestalten, toll vor Trunkenheit und Wut, füllten die Stube an. »Tod dem Tatartschuck, dem Barabasch! Tod und Verderben! Her, die Verräter! Auf den Schloßplatz mit ihnen!« schrien die trunkenen Stimmen. »Schlagt zu!« und hundert Arme langten nach den unglücklichen Opfern. Tatartschuck leistete keinen Widerstand; er stöhnte nur verzweifelt, aber Barabasch fing an sich fürchterlich zu wehren. Endlich verstand er, daß sie ihn morden wollten. Angst, Verzweiflung malten sich in seinem Gesicht, Schaum trat ihm auf die Lippen, ein tierisches Gebrüll entrang sich seiner Brust. Zweimal entriß er sich ihnen, zweimal faßten ihre Hände ihn bei den Armen, der Brust, dem Bart. Er rang, biß um sich, fiel zur Erde, brüllte und erhob sich wieder. Man zerriß ihm die Kleider, schlug ihm ein Auge aus und preßte ihn an die Wand, zerbrach ihm die Arme. Jetzt fiel er hin. Die Henker faßten ihn samt dem Tatartschuck an den Beinen und schleppten beide auf den Schloßplatz. Hier, beim Lichte der Pechtonnen, erfolgte erst die eigentliche Exekution. Einige tausend Menschen warfen sich auf die Verurteilten und rissen sie in Stücke, heulend und einander schlagend, um den Zutritt zu den Opfern zu erlangen. Man trat sie mit Füßen, riß ihnen Stücke Fleisches aus. Von Zeit zu Zeit hoben blutige Hände zwei formlose Klumpen in die Höhe, dann warf man sie wieder an die Erde. Die Weiterstehenden schrien wie toll, die einen, man solle die leblosen Körper ins Wasser werfen, die anderen rieten, sie in die brennenden Pechtonnen einzutauchen. Die Betrunkenen fingen eine Schlägerei unter sich an. Im wahnsinnigen Übermut zündeten sie zwei Tonnen Branntwein an, welche diese teuflischen Szenen flackernd beleuchteten. Vom Himmel blickte der Mond still, ruhig und freundlich hernieder.

So bestrafte das Volk seine Verräter.

In der Ratsstube trat in dem Augenblick, wo die brüllende Menge ihre Opfer hinausgeschleppt hatte, wieder Ordnung und Ruhe ein. Die Attamane nahmen ihre vorigen Plätze ein, man brachte den Gefangenen. Ein Schatten fiel auf sein Gesicht, da die Feuer im Erlöschen waren; im Halbdunkel sah man nur eine hohe, stolze Gestalt, hochaufgerichtet, trotz der gebundenen Hände. Hladko warf frischen Kien auf, die Flamme flackerte hell in die Höhe und beleuchtete mit grellem Licht das Antlitz des Gefesselten, welcher sich an Chmielnizki wendete.

Als Chmielnizki ihn erblickte, zuckte er zusammen. Der Gefangene war Herr Skrzetuski.

Tuhaj-Bey spuckte eine Anzahl Schalen aus und sagte:

»Dieser Leche ist mir bekannt – er war in der Krim.«

»Tod ihm!« rief Hladko.

»Verderben ihm!« wiederholte Tscharnota.

Chmielnizki beherrschte schon die Situation. Er streifte mit einem einzigen Blick die beiden, und diese schwiegen sofort unter dem Einfluß des Blickes. Darauf wandte er sich an den Feldhauptmann:

»Auch mir ist er bekannt.«

»Du, woher?« fragte der Feldhauptmann Herrn Skrzetuski.

Als Gesandter kam ich zu Euch, Feldhauptmann. Da überfielen mich Mörder auf Chortyza ganz gegen alles Gesetz, welches selbst den wildesten Völkern gebietet, die Person eines Gesandten heilig zu halten. Sie erschlugen mir die Leute und mich schleppten sie gefangen hierher, meiner Würde als Gesandter nicht achtend, verwundet und krank. Der allerdurchlauchtigste Fürst Wischniowiezki wird dafür Rechenschaft von Euch fordern.«

»Weshalb hast du dich so falsch gezeigt? Warum hast du den Kosaken mit dem Kolben erschlagen? Warum hast du so viel Menschen erschlagen, viermal so viel, als ihr alle waret? Und hierher kamst du, den Brief zum Vorwande, um uns auszuspionieren. Wir wissen auch, daß du an Verräter hier Briefe hattest, um mit ihnen unseren Leuten Verderben zu sinnen. Also, du kamst nicht als Gesandter, sondern als Spion, und als solcher wirst du bestraft werden.«

»Ihr irrt, Feldhauptmann! und auch Ihr, Hetman von eigenen Gnaden,« sprach der Statthalter zu Chmielnizki gewendet. Wenn ich Briefe bei mir hatte, so hat die jeder Gesandte, welcher in fremde Länder reist, von Bekannten zu Bekannten. Ich kam hierher mit einem Schreiben des Fürsten, nicht, um euch Verderben zu sinnen, sondern euch von schlimmen Handlungen abzuhalten, die auf euch und den ganzen Freistaat die fürchterlichsten Folgen bringen müssen. Denn gegen wen erhebt ihr die gottlose Hand? Gegen wen? Ihr, die ihr euch Schützer des Christentums nennt? Mit den Heiden schließt ihr Bündnisse gegen den König, den Adel, den Freistaat. Ihr seid Verräter, nicht ich! Und das sage ich euch! Wehe euch, wenn ihr nicht demütig und gehorsam eure Sünden bekennt und gut macht. Wie lange liegen die Zeiten Nalewajkos und Pawluks hinter uns? Ist eurem Gedächtnis ihr Schicksal schon entschwunden? Merkt euch, die Langmut des Freistaates ist erschöpft, das Schwert hängt über euren Häuptern.«

»Du lügst, verfluchter Hund, um dich herauszudrehen und dem Tode zu entgehen,« rief der Feldhauptmann. »Aber dir hilft kein Drohen!«

Die anderen Hauptleute knirschten mit den Zähnen, klirrten mit den Säbeln. Herr Skrzetuski hob das Haupt und sagte:

»Glaube nicht, Feldhauptmann, daß ich den Tod fürchte, mein Leben verteidigen oder meine Unschuld beweisen will. Ich bin ein Edelmann und kann nur von Edelleuten gerichtet werden. Ich stehe hier nicht vor Richtern, sondern vor Mördern, nicht vor Adligen, sondern vor Bauern, nicht vor Rittern, sondern vor Barbaren, und weiß wohl, daß der Tod mein Teil ist, mein Tod, mit welchem ihr das Maß eurer Ungerechtigkeiten voll macht. Vor mir ist Tod und Qual, aber hinter mir die Macht und Rache des ganzen Freistaates, vor der ihr zittert.«

Die Erhabenheit der Gestalt und Rede des Statthalters, sowie die Namhaftmachung des Freistaates machten auf die Hörer einen gewaltigen Eindruck. Die Hauptleute blickten einander an. Einen Augenblick lang schien es ihnen, als stünde vor ihnen nicht ein Gefangener, sondern der Gesandte eines mächtigen Volkes.

»Ein beherzter Leche!« murmelte Tuhaj-Bey.

»Ein beherzter Leche!« wiederholte Chmielnizki.

Gewaltiges Klopfen an der Tür störte die weitere Rede. Die Exekution der beiden Verurteilten draußen war eben beendet, man sandte eine neue Deputation:

Mehrere blutbeschmutzte, keuchende Kosaken, trunken, schweißbedeckt, drängten in die Stube. Sie blieben an der Tür stehen; die rauchenden Hände hoch erhoben, sagten sie:

»Das versammelte Volk neigt sich vor den Herren »Ältesten« (hier verneigten sie sich nach Kosakenart) – und bittet, ihm diesen Lechen dort auszuliefern, damit es mit ihm nach Herzenslust spielen kann, wie mit Barabasch und Tatartschuck.«

»Gebt ihnen den Lechen!« schrie Tscharnota.

»Gebt ihn nicht!« rief ein anderer. »Mögen sie warten! Er ist ein Gesandter!«

»Tod und Verderben ihm!« ertönten mehrere Stimmen.

Darauf schwiegen alle und warteten, was Chmielnizki und der Feldhauptmann sagen würden.

»Die Menge bittet! Gebt ihr ihn ihr nicht, so nimmt sie ihn selbst,« wiederholte die Deputation.

Wie es schien, war Skrzetuski verloren. Doch plötzlich bückte sich Chmielnizki zum Ohre Tuhaj-Beys.

»Der Gefangene gehört dir,« flüsterte er. »Die Tataren haben ihn gefangen genommen. Lassest du dir ihn nehmen? Er ist ein reicher Edelmann, und auch ohnedies wird Fürst Jeremi Jeremi = Jeremias Wischniowiezki. ihn mit Gold aufwiegen.«

»Gebt den Lechen!« scholl es immer drohender.

Tuhaj-Bey dehnte sich auf seinem Sitz und stand auf. Sein Gesicht war im Augenblick wie verwandelt, die Augen öffneten sich weit, die Zähne blitzten. Plötzlich sprang er wie ein Panther vor die Kosaken hin.

»Fort, ihr Zapfen, ungläubige Hunde, Sklaven, Schweinefresser,« brüllte er, indem er zweie von ihnen am Bart faßte und sie wütend schüttelte. »Fort, Saufbolde, unreines Vieh, gräßliches Ungeziefer! Ihr seid gekommen, mir den Sklaven zu nehmen? Ich werde euch bringen!« Immer einem nach dem anderen zauste er den Bart, endlich warf er einen der Zunächststehenden zu Boden und trat ihn mit den Füßen. – »Auf das Gesicht, Sklaven,« schrie er. »In die Sklaverei führe ich euch, die ganze Sitsch trete ich unter meine Füße wie euch, in Rauch soll sie aufgehen, mit euren Kadavern will ich sie bedecken.«

Die Deputierten wichen erschreckt zurück. – Der furchtbare Freund hatte gezeigt, was er konnte.

Und wunderbar! Auf Basawluck standen nur sechstausend Tataren. Zwar stand im Rückhalt noch der Khan mit der ganzen Krim, aber in der Sitsch selbst waren zehntausend Kosaken ohne die, welche Chmielnizki schon nach Tamakow geschickt hatte – und dennoch erhob sich nicht eine protestierende Stimme gegen Tuhaj-Bey. Der schwarze Bey hatte ganz genau die Art getroffen, diesen Saporogen zu imponieren, denen die Hilfe der Tataren jetzt unerläßlich war. Die Deputierten stürzten hinaus, der Menge zuschreiend, daß sie mit dem Lechen nicht spielen sollten, da er der Gefangene des Tuhaj-Bey sei und er ihn selbst strafen werde. »Die Bärte hat er uns ausgerissen,« riefen sie. Auf dem Schloßplatz wiederholten mehrere Stimmen gleich: »Er straft ihn!« »Tuhaj-Bey straft ihn!« riefen wehmütig die Massen, und kurze Zeit darauf fing eine durch Mark und Bein dringende Stimme an zu singen:

Hej! Hej!
Tuhaj-Bey,
Er ist großherzoglich.
Hej! Hej!
Tuhaj-Bey
Wühlt im Herzen schmerzlich.

Tausend Stimmen fielen ein und siehe! – es entstand hier eines jener Lieder, welche später der Wind über die ganze Ukraine forttrug und damit die Saiten der Lauten klingen machte. Aber plötzlich verstummte man, auch das Lied verstummte bald, denn von der Seite der Vorstadt her kamen eilig mehrere Leute durch das Tor, sich hastig durch die Menge Bahn brechend, mit dem Rufe: »Aus dem Wege, aus dem Wege!« Die Hauptleute wollten eben aufbrechen, als die neuen Gäste in die Stube drangen.

»Ein Schreiben an den Hetman!« rief ein alter Kosak.

»Woher kommt ihr?«

»Aus Tschechryn. Wir ritten Tag und Nacht mit dem Schreiben. Hier ist es.«

Chmielnizki nahm das Schreiben und las. Plötzlich veränderte sich der Ausdruck seines Gesichts; er unterbrach das Lesen und rief mit vernehmlicher Stimme:

»Ihr Herren Hauptleute! Der Großhetman schickt seinen Sohn Stephan gegen uns. Krieg! – Der Krieg geht los!«

Ein eigentümliches Gemurmel durchlief die Versammlung; war es Freude, war es Schrecken? Chmielnizki trat mit untergestemmten Armen mitten unter sie, seine Augen sprühten Blitze, die Stimme klang drohend und befehlend:

»Die Lagerhauptleute gehen zu ihren Lagern. Löst die Kanonen auf dem Turm! Schlagt die Branntweintonnen entzwei! Morgen mit Tagesanbruch ziehen wir aus.«

Die Beratungen in der Sitsch hatten ein plötzliches Ende erreicht. Die Hauptleute hatten nichts mehr zu sagen, Chmielnizki riß mit starker Hand die unumschränkte Macht an sich. Eben noch hatte er mit List den Gefangenen vor der Mordlust der Barbaren retten müssen, jetzt war er Herr über Leben und Tod. Bis jetzt hatten noch immer die Hauptleute ihre Stimme gehabt, die Menge forderte das; sobald aber die Kriegserklärung erfolgt war, hörte ihr Einfluß auf. Die Volksmasse wurde zum Kriegsheer, der Kriegsdisziplin unterstellt, die Hauptleute Offiziere, der Hetman – Diktator.

Sobald der Befehl erteilt war, eilte jeder Hauptmann in sein Lager. Nach wenigen Augenblicken donnerten die Geschütze, das Echo kündigte weithin, die Ufer des Tschertomelik entlang, die – Kriegserklärung.

Der Donner der Geschütze verkündete den Anfang einer neuen Epoche im Leben zweier Völker. Davon ahnten jedoch weder die betrunkenen Kosaken noch der Hetman selbst jetzt etwas.


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