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Chi va piano, va sano,
Chi va sano, va lontano.
Ital. Sprichwort.
Ein mäßig großes Kabinett mit rosenholzgetäfelten Wänden, Bücherschränken von derselben kostbaren Holzart, Fauteuils und Ottomane mit rotem und grünem chinesischen Atlas überzogen, der Marmorfußboden mit türkischen Tapeten belegt. Durch eine offenstehende Tür sah man in das Ankleidezimmer, das Schlafkabinett, das marmorne Badegewölbe. Durchaus herrschte königlicher Reichtum im ganzen Appartement, und nicht bloß die zum täglichen Gebrauch, zur Reinigung und Abwaschung bestimmten Gefäße, selbst die Riegel und Schlösser an den Türen und Fenstern waren von edlem Metalle.
Die Grafen von R–a und Almagro und die Marquis Grijalva und Ch–l saßen in Fauteuils, der Conde hatte auf einer Ottomane Platz genommen. Der Mayordomo stellte mit einem in schwarze Seide gekleideten Pagen einen kleinen Tisch mit Wein und Erfrischungen zwischen die Kavaliere, dann verließen beide das Kabinett.
»Sie ziehen prächtig, unsere Caballeros«, hob der Conde R–a an, als die Diener sich entfernt hatten.
» Manos al carro Alle Hände an den Wagen. (Ans Werk.) ist das Losungswort des alten Moncada, habt Ihr ihn gehört?« fragte der Marquis de Grijalva, indem er einen der Goldbecher ergriff und ihn zur Hälfte leerte.
»Weißt du,« entgegnete der Conde R–a, »was dem alten wunderlichen Kauz am meisten bei der Affäre gefällt? Daß er so auf einmal zum Politiker geworden. Madre de Dios! sagte er mir, während du beim Virey warst, ich hätte gar nicht gedacht, daß das Politisieren und Regieren so leicht sei.«
»Ich glaube, die allerseligste Feldmarschallin Die Jungfrau Maria. selbst würde ihn nicht dazu vermocht haben, gegen die Exzellenz in Opposition zu treten; aber eine Intrige hat für ihn des Zuckerstoffes zu viel, als daß sie nicht jeden Widerstand bezwingen sollte. Er ist nun voran.«
»Es ist eine Waffe, welcher er im hohen Grade Meister ist, bei all seiner sonstigen Imbecillité«, bemerkte der Conde R–a. »Ich verbiß mir beinahe die Lippen, als ich Euren Diskurs über Inglaterra hörte. Ich bewunderte dich, Almagro.«
»Warum sollte ich ihn auch aus seiner süßen Unwissenheit reißen. Zudem ist er wunderbar eifersüchtig auf sein Wissen und Nichtwissen. Er hat drei Bücher in seiner Bibliothek, aus denen er sich, seit er großjährig geworden, täglich drei Blätter vor dem Schlafengehen vorlesen läßt. An dem einen steht, daß Mexiko an Rußland grenzt; deshalb seine Furcht, daß Apolyon, wie er Napoleon nennt, in Mexiko eindringe, da er schon in Moskau ist. Frankreich, glaubt er fest und heilig, liege in Panama.«
»Auf seiner Hacienda solltet Ihr ihn sehen. Alle Donnerstage und Samstage reitet er in großer Corte Hofstaat. Solche Aufzüge sieht man auch noch heutzutage. aus, wo ihm seine Dependientes Blumen streuen müssen. Denkt Euch ein paar hundert nackte Indianer und Indianerinnen, wie sie dem alten Caballero, der bloß eine Krone braucht, um den Señor David zu repräsentieren, Blumen streuen, und er, auf seinem Maultiere gravitätisch einhertrabend, umgeben von seiner Familie und seinen Beamten. Das ist aber so die Weise unserer Nobilitad.«
Die Kavaliere lachten und verhalfen sich zu den guten Dingen auf dem Tische.
»Bei alledem will mir aber doch nicht einleuchten,« hob der Marquis Grijalva in einem etwas ernsteren Tone an, »wie du, San Jago, die Exzellenz so leichten Kaufes durchschlüpfen lassen konntest, da wir sie doch so ganz in unserer Gewalt hatten.«
»Ich dachte,« erwiderte der Conde, »daß wenn wir unsere Forderungen zu hoch spannen, wir Gefahr laufen, gar nichts zu erlangen. Um unsern Grundstein recht fest zu legen, durften wir, glaubte ich, die Eifersucht der Geistlichkeit, des Consulado und der Audiencia nicht gleich anfangs zu sehr aufreizen; denn sonst schließen sie sich an ihn an und werden uns wieder zu mächtig.«
»Wie hat er sich benommen?« fragte der Marquis Ch–l.
»Erst die dritte Dosis wirkte, aber sie wirkte stark; er krümmte sich wie ein Wurm.«
»Also hat die Exzellenz ihre Impassibilität verloren. Sie soll sich geäußert haben, daß der geborne Herrscher ganz impassible sein müsse.«
»Was ihn frappierte, ja ihn affizierte und vielleicht versöhnte,« fuhr der Conde fort, »war der Umstand, daß er uns noch bei seiner Familie fand, als er mit seiner Schwägerin in das Sitzzimmer zurückkehrte. Auch diese schien frappiert. Die guten Leute sind, man merkt es, von neuem Adel. Es war da, daß wir eine Art Frieden schlossen.«
»Wie lange wird er dauern?«
»Ob lange oder kurz, ist gleichviel; daß wir Frieden gemacht haben, ist schon von Bedeutung; denn wir sind dadurch gewissermaßen als eine unabhängige Macht anerkannt, der es freisteht, die errungenen Vorteile und Bedingungen zu benützen.«
»Aber diese Dankadresse,« bemerkte der Marquis de Grijalva, »ich fürchte, sie wird ganz Mexiko gegen uns empören.«
»Das ist leicht möglich; aber je mehr, desto besser«, erwiderte der Conde.
»Ich verstehe dich nicht, San Jago«, entgegnete der Marquis.
»Die politische Bedeutsamkeit, die uns diese Adresse gibt, ist so groß, daß die schiefen Urteile unserer Landsleute einigermaßen nötig sind, um die Gachupins zu blenden.«
»Ich verstehe«, fiel ihm der Conde R–a ein.
»Wir waren bisher, was unser Sprichwort sagt, verdammt zu leben, para vestir santos Die Heiligen aufzuputzen – ein träg vegetierendes Leben führen – nichts tun., eine politische Null, die sich ihres Daseins kaum bewußt war. Durch diese Adresse sind wir eine Hauptzahl geworden, auf einmal in das bürgerlich politische Leben eingetreten. Wir gehen zu Gericht über den Landeschef von Mexiko; wir geben der Welt unser Urteil über ihn.«
»Das ist richtig«, bekräftigten alle.
»Ich glaube aber denn doch,« nahm der Marquis de Grijalva das Wort, »daß, wenn wir auf einmal vorgetreten wären, wir mehr gewonnen, vielleicht die Revolution entschieden hätten.«
»Perdon«, bemerkte der Conde R–a. »Du vergißt, daß sie seit sechs Monaten mit dem Plane umgehen, Calleja an seine Stelle zu bringen. Wir könnten zwar Vanegas von der Regierung entfernen und ihn, wie Iturrigaray, nach Hause senden, würden aber unsere Interessen kaum gefördert haben; im Gegenteil, Señor Arispe, als ältester Oidor, käme an das Ruder, und Ihr wißt, er und Calleja sind Pylades und Orestes.«
»Und käme Calleja,« bemerkte der Conde Almagro, »so würde er mit brutaler Gewalt niederdrücken, was nichts weniger als niedergedrückt werden soll. Ihr wißt, daß er sich anheischig gemacht hat, achtzigtausend revolutionäre Köpfe binnen Monatsfrist zu liefern.«
»Ohne Zweifel«, bekräftigte der Marquis Ch–l. »Wir müssen darauf hinarbeiten, den Kampf nach Möglichkeit zu verlängern, weil wir nur dann unsere Absichten erreichen können.«
»Weder verlängern noch verkürzen; gehen lassen, aber jeden günstigen Umstand benützen«, schaltete der Conde ein.
»Es ist aber doch ein herzloses Spiel, dieses Spiel, das wir treiben«, bemerkte der Marquis Grijalva.
Die Kavaliere sahen den Conde an, als erwarteten sie von ihm die Beantwortung des Vorwurfes. – Er schwieg.
»Herzlos,« nahm endlich der Marquis de Ch–l mit dem feinen Takt eines Aristokraten das Wort, »das könnte ich eben nicht sagen, wenn wir vor dem blutig rasenden Kampfe zwischen dem Tiger und der Hyäne zurücktreten und uns auf einen erhabeneren Standpunkt versetzen.«
»Warum nicht durch unser Gewicht den Kampf entscheiden?«
»Wohl hauptsächlich deswegen nicht, weil wir bisher noch kein Gewicht hatten,« fiel der Conde ein, »weil wir uns dieses erst verschaffen müssen; denn der Spanier hat weislich dafür gesorgt, daß wir keines haben. Das Gewicht, das wir nun zu erlangen angefangen, ist vorzüglich negativer Art, durch unsere Mäßigung erlangt. Wir haben den Volksgeist richtig aufgefaßt, und diese Auffassung hat uns einiges Gewicht verliehen. Es teilt eine Million Kreolen unsere Ansichten, daran ist kein Zweifel. Die Hauptkunst des Regierenden besteht wohl hauptsächlich nur darin, daß er, ohne es merken zu lassen, den Volksgeist auffasse, ausspreche, das heißt in seinem Sinne handle. Selbst der Despotismus muß dies tun. Der Spanier hat in seinem bigotten Hochmut diesem Lebensprinzip jeder Regierung Hohn gesprochen, und daher kommt die Revolution. An uns ist es, seine Fehler zu benützen, an seiner Statt uns dieses Volksgeistes zu bemeistern. Von gegenwärtiger Teilnahme am Kampf ist jedoch auf keine Weise die Rede. Die große Masse der Kreolen will es nicht, und wir haben auch keine Ursache, aufzutreten, denn wir haben den Kampf nicht angefangen.«
»Conde,« bemerkte der Graf R–a, »was das Anfangen betrifft, so dürften wir denn doch nicht so ganz unschuldig sein.«
Auch der feinste Aristokrat sagt zuweilen eine Sottise.
Die Blicke, die alle dem Sprecher zuwarfen, ließen ihn auch in keinem Zweifel, daß seine Bemerkung nichts weniger als zur Sache gehörig war.
»Daß wir einiges getan haben, um uns aus der tiefen Erniedrigung, in welcher wir von dem Spanier gehalten wurden, herauszureißen, das ist ein Punkt, dessen Erörterung wir um so weniger auf uns nehmen wollen, als sie gar nicht nötig ist,« erwiderte der Conde, »aber wer hat dem Priester das Recht gegeben, loszubrechen, wo die Ersten des Landes sich zurückzogen?«
»Die Gefahr, seinen Kopf zu verlieren.«
»Perdon«, entgegnete der Conde. »Wir glauben, es war vielmehr der Kitzel des Ehrgeizes, die verlockende Syrene Herrschergewalt, die unter dem Hermelinmantel sowohl als unter dem Priesterkäppchen wohnt. Es war unfehlbar der gekränkte Ehrgeiz unserer Priesterschaft an dem Ausbruche und der Fortführung der Revolution eine der Hauptursachen, die fetten Pfründen der Domkapitel, der Bistümer und der reichen Pfarreien immer von Gachupines besetzt sehen zu müssen, das war eigentlich die nächste Veranlassung, warum Hidalgo losbrach. Mit Morellos ist es derselbe Fall. Wir nehmen ihnen diesen Ehrgeiz nicht übel; aber sie dürfen es auch uns nicht mißdeuten, wenn wir es unter unserer Würde halten, unter Priestern und mit Priestern zu fechten. Wir lieben und achten die Diener der Religion; aber, wohl verstanden, immer nur als unsere Werkzeuge, die uns mithelfen, den Pöbel zu zähmen; aber sie wollten selbst Meister werden, und wir kündigten ihnen den Krieg an, oder vielmehr wir verhielten uns passiv – und sie sanken – was ganz natürlich war.«
Diese inhaltschweren Worte waren wieder ganz mit der ruhigen Gelassenheit des klar beschauenden Weltmannes gesprochen, und die Kavaliere versanken in tiefes Nachdenken; denn was sie soeben gehört, mochte als der Schlüssel zur großen Tragödie, die durch den Priester Hidalgo aufgeführt worden, ganz füglich angesehen werden.
Der Conde R–a unterbrach endlich die lange Pause.
»Die Massen waren zu allen Zeiten und in allen wohlgeordneten Staaten dazu bestimmt, von der Aristokratie der Geburt oder des Vermögens geleitet und benützt zu werden, und ich finde es ganz natürlich, daß, wenn ein armseliger Plebejer sich erkühnt, die natürliche Ordnung der Dinge umzustoßen und herauszutreten aus dem Kreise, der ihm angewiesen ist, er auch dafür büße. Er hätte warten sollen, bis die Reihe an ihn kam.«
»So wie dieser Vicente Guerrero«, bemerkte der Marquis Ch–l.
»Hat uns jedoch heute einen herrlichen Dienst geleistet«, versicherte der von Grijalva.
»Hätte er aber gewußt,« bemerkte der Conde de R–a, »daß Se. Exzellenz in dem Schreiben ihrer Schwägerin zugleich die Unterwerfung an den einäugigen Pepe, wie ihn diese Gachupines nennen, eingesandt haben, sympathetisch geschrieben eingesandt haben, er würde sich besonnen – –«
»War doch schön von ihm«, sprach der Marquis.
»Weniger schön als politisch«, fiel der Conde ein. »Dieser Zambo-Mestize hat viel von jener ultra arte y prudencia, die Se. Exzellenz zu ihrem Lieblingsspruche gemacht haben, und ist, bei aller anscheinenden Roheit und beflissenem Herabsehen auf die Nobilitad, wieder sehr beflissen, sich mit dieser in gutes Einvernehmen zu setzen. Sie wissen, wir hatten ihn längere Zeit in unsern Diensten, und er hat uns wirklich deren große geleistet; aber ungeachtet wir ausdrücklich allen Verkehr abgebrochen, fand er doch Mittel, diesen auf eine Art zu erneuern, die dem vollendetsten Diplomaten Ehre gemacht haben würde und uns einige Male in die größte Verlegenheit setzte. Und diesen Verkehr weiß er mit ebenso vieler Schlauheit vor seinen Mitgeneralen geltend zu machen. So bin ich auch vollkommen überzeugt, daß die heutigen Sympathien seiner blutsverwandten Leperos ihn tiefer verletzt haben, als es zwei verlorene Treffen getan haben würden.«
»Hat uns aber doch sehr viel Vorschub geleistet«, bemerkte wieder der Marquis.
»Einigen, ohne Zweifel; wir würden aber auch ohne ihn zum Ziele gelangt sein. Der heutige Vormittag hat Mexikos Schicksal eigentlich entschieden; die Ausbeute, die wir gewonnen, hat uns mehr genützt als zwei gewonnene Schlachten. Bisher wußten wir nur dunkel, was uns fehlte, wo uns das Übel drückte, Señores! Es war ein edles, aber undeutliches Prinzip, das uns vorschwebte, für das wir kämpften und nicht kämpften. Für Prinzipe entglüht man, kämpft aber nicht leicht, und nie lange. Es müssen materielle Interessen dazu kommen, grob materielle Interessen. Diese, und zwar die stärksten, die es geben kann, kamen heute, die Interessen der Selbstsucht, des Eigentumes. Sklaven haben keinen Begriff vom Eigentumsrechte; wir waren Sklaven bis heute, wo uns die Consulado-Männer lehrten, was Eigentum vermag. – Derselbe Dämon des Egoismus, der Selbstsucht, der uns blutig, vampyrartig aussog, muß uns auch endlich befreien.«
»Das wird aber lange dauern«, warf der Marquis ein.
»Und wir sollen zuschauen?«
»Unsere Segel den feindlichen und freundlichen Winden öffnen, die ersteren seitwärts, die letzteren voll einfallen lassen, während eines Sturmes sie reffen, und so zum Ziele gelangen.«
»Das ist ein verdammt kaltes Spiel, ein furchtbar herzloses Spiel, ein Aristokratenspiel.«
»Du sagst recht, Grijalva, ein Aristokratenspiel,« erwiderte der Conde, »aber nicht herzlos. Ich glaube, dem rasenden Roland selbst dürfte das Herz einigermaßen geschlagen haben, hätte er mit dem Prinzip des Bösen so gerungen, wie wir zu ringen hatten.«
Er hielt inne.
»Wir spielen ein hohes Spiel; gewinnen wir, so hat Mexiko gewonnen.«
Die Kavaliere sahen ihn erwartungsvoll an.
»Ah,« hob er nach einer Weile wieder an, »es war ein furchtbarer Kampf, den wir heute gekämpft haben. Zuweilen kamen wir uns vor wie das Verhängnis, das aus den untersten Tiefen heraufsteigt, um gegen ein feindliches Urprinzip zu kämpfen; dann wieder wie ein Rasender, der seinem Todfeinde in der Hitze des Sturmes entgegenrennt, ihn ergreift und mit sich fortreißt in den Wirbelwind des Verderbens. In dem Augenblicke, als er am härtesten auf der Folter lag, stand mir jener Mexikaner vor Augen, wie er den verzweifelnden Spanier mit sich an den Rand des Teocalli schleift, um ihn hinabzuschleudern. Er war der leibhafte Spanier, wie er sich aufraffte und mit der letzten Kraft der Verzweiflung ankämpfte gegen mich, den Mexikaner. Ich hatte ihn erfaßt, den mir in diesem Augenblicke entsetzlichen Virey, mit der Kraft der Verzweiflung erfaßt; aber ich besann mich, daß nicht er es war, gegen den ich kämpfte, daß er bloß das Werkzeug des Prinzips war, gegen das ich stritt, das Ungeheuer, das mit seinen Polypenarmen Mexiko umschlungen hat, und das durch seine Vertilgung uns nur riesiger, grausiger in Calleja umfassen würde. – Ich schonte den Menschen und erfaßte das Prinzip.«
»Und stieß ihm den Dolch –«
»Nein,« sprach der Conde, »Prinzipe lassen sich nicht durch Stahl bekämpfen; sie müssen durch Gegenprinzipe, so wie Feuer in unserm Wäldern durch Gegenfeuer bekämpft werden. Ich erkämpfte das Prinzip der Assoziation. – Dieses, Señorias, soll Mexiko retten.«
Diese Worte waren in einem ruhigen, aber bestimmten Tone ausgesprochen.
Es erfolgte wieder eine lange Pause.
»Siehst du, Grijalva!« – er wandte sich an den Marquis – »hier liegt der Unterschied zwischen dem Plebejer und dem Aristokraten. Der erstere erfaßt das Körperliche, das Sinnliche am Menschen, das Materielle, weil er selbst sinnlich und materiell ist; wir erfassen das Geistige und kämpfen mit Prinzipien.«
»Und schonen den Menschen«, fügte Conde Almagro hinzu.
»Lassen das Materielle statt unser den Kampf ausfechten.« –
Wieder entstand eine lange Pause.
»Unter anderem habe ich dir gesagt, Almagro, daß du zum Major und Kommandeur des ersten Bataillons der Compañias Esbeltas Leichte Milizen. von Mexiko ernannt bist, zugleich mit Carlos, der das zweite erhält, sobald er aus seiner Gefangenschaft befreit ist?«
»Wirklich?« rief der überraschte Conde Almagro.
»Beide sind sehr tüchtige Bataillone, und das Angenehmste ist, daß sie unmittelbar unter Euren Befehlen stehen und Ihr bloß dem Virey und der Junta de Guerra verantwortlich seid. Wir haben sonach drei Bataillone, auf die wir vollkommen zählen können.«
»Welches ist das dritte?«
»Iturbides.«
Dieser Name erregte bei allen Staunen.
»Wir haben ihn auf unserem Wege zum Virey gesprochen«, fügte der Conde nachlässig hinzu.
»Und willst du ihm trauen, dem Escudero Knappe, Bannerträger, Esquire. des Virey, jedes Gachupin?«
»Warum nicht? Tun wir etwas, das nicht auch er wissen könnte, das verborgen werden müßte? – Ich glaube nein.«
Alle sahen den Grafen mit dem Ausdrucke des höchsten Staunens an.
»Nein, bei meiner Seele!« nahm endlich Marquis Grijalva das Wort. »Dieses Rätselhafte? Ich glaube, hier ist es doch nicht an der Zeit und am Orte.«
»Was ist nicht an der Zeit und am Orte?« fragte der Conde, allem Anschein nach nicht minder erstaunt.
»Den Geheimnisvollen zu spielen,« sprach der Marquis, »wir müssen doch wissen, welchen Zweck wir uns vor Augen gesetzt haben; woran wir sind.«
»Ja, wirklich, Conde,« fielen die übrigen ein, »was wollen wir denn eigentlich? Wir müssen uns verstehen; du bist so rätselhaft; was wollen wir?«
»Was wir wollen, Señorias?« entgegnete der Conde mit dem heitersten Lächeln, »ja, was wir wollen – wissen Sie, was wir wollen? – Schlafen gehen wollen wir.« Alle brachen in ein lautes, aber etwas verstimmtes Gelächter aus.
Der Conde hatte sich ganz gelassen an einen der Bücherschränke hingebogen, aus dem er einen Band herausnahm und, wie in sich selbst verloren, zu blättern begann. Er murmelte:
Lady Percy. But hear you my Lord!
Hotspur. What sayst thou my Lady?
Lady Percy. What is this, carries you away?
Hotspur. My love, my horse. –
«
Lady Percy. Aber hören Sie, Mylord!
Hotspur. Was steht zu Diensten, Mylady?
Lady Percy. Was zieht Sie so unwiderstehlich fort?
Hotspur. Mein Roß, Teure. –
Heinrich IV.
»Du bist sonderbar genial«, bemerkte der Marquis.
»Und Ihr radikal. Wißt Ihr, was wir wollen? Keine Hotspurs sein. Wir spielen ein hohes Spiel. Wir müssen den Kopf nicht verlieren. Nicht zu viel wollen müssen wir. Wißt Ihr, wer heute das Prämium verdiente?«
»Und?« fragten die Kavaliere.
»Der alte Moncada, als er, wie Ihr mir sagtet, mit zuckersüßem Lächeln meinte, wir brächten der hohen Regierung ein großes Opfer, indem wir den Kreolen erlauben, sich an unsere Sociedad anzuschließen. Der alte Moncada ist ein prächtiger Mann.«
Der etwas starke Sarkasmus hatte seine Wirkung auf die Aristokraten nicht verfehlt. Der merkbare Zug von Ungeduld, der sich auf ihren Gesichtern gelagert, hatte sich in ein ironisches Lächeln verwandelt.
»Wißt Ihr, wie die Antwort Hotspurs in wenigen Worten gegeben werden könnte? – In unserm Sprichworte: ›Bewahre mich, o Gott, vor meinen Freunden, vor meinen Feinden will ich mich selbst bewahren‹«
»Du bist aber wirklich sonderbar!« rief der Marquis de Grijalva wieder ein wenig ungeduldig.
»Oder auch wie Louis XI. zu sagen pflegte: ›Wüßte ich, daß mein Hut die Geheimnisse meines Kopfes auch nur ahnte, auf der Stelle wollte ich ihn vernichten‹. Ja, Freunde!« fuhr der vorsichtige Aristokrat fort, »wir wollen tun wie jener italienische Singlehrer mit seiner Schülerin, der berühmten X tat, die immer nur eine Kadenze studieren, jahrelang studieren mußte, und endlich mit den Worten entlassen wurde: ›Nun bist du eine vollendete Sängerin.‹ Sie traute ihren Ohren nicht, aber es war wie der Mann sagte. Sie war, ohne es selbst zu wissen, eine Meisterin des Gesanges geworden. Unser Studium muß das Volk sein, der Volksgeist; jahrelang muß er es sein. Haben wir den uns ganz zu eigen gemacht, dann sind wir Meister. – Dieser Iturbide ist ein kluger Kopf.«
Diese Worte, so rätselhaft rhapsodisch sie scheinen, waren von den Aristokraten wohl verstanden worden. Sie drückten dem Sprecher alle herzlich und rasch die Hände.
Wieder erfolgte eine lange Pause.
Während dieser schallten die Stimmen der Serenos herüber aus den Straßen Mexikos. Es gingen die Flügeltüren auf, und mehrere Damen traten ein mit der jungen Condessa.
»Wir haben Mexiko und Gachupin gespielt,« sprach lächelnd die Gräfin R–a, »während Ihr abscheulichen Männer Euch hier verschließt. Es ist hohe Zeit zum Nachhausegehen.«
»Und wer hat gewonnen?« fragten die Kavaliere.
Die Condesa lächelte. »Mexiko, das heißt, unsere Nina.«
»Weißt du, teure Niña,« sprach der Conde, indem er sie auf die Stirn küßte, »daß wir der Doña Isabel einen Gegenbesuch schuldig sind. Auch die Vireyna trägt sehr großes Verlangen, dich näher kennen zu lernen. Ihre Inés und Emanuele sind recht artige Mädchen.«
»Siehst du,« sprach der Marquis, »einen solchen Antrag könnte ich meiner Tochter nach dem, was vorgefallen, schon nicht tun. Dafür bin ich aber auch nur ein halber Aristokrat, maßen mein Großvater noch ein simpler Gallego war.«
»Du bist heute wunderbar bescheiden geworden«, versetzte der Conde lächelnd.
»Und voll des Teufels des Widerspruches«, lachte Conde R–a.
»Ja, ja, Grijalva, mache du dich nur nicht gar so unschuldig«, meinten die übrigen.
»Also, du hast dich gar gut unterhalten im Konzerte, teure Niña?«
»Die Cavatine in A-dur war wirklich recht allerliebst«, versicherte die holde, von ihrem Liebesschmerze so ziemlich geheilte Niña.
»Also morgen, teure Elvira, wollen wir unseren Gegenbesuch im Palaste abstatten und den Tee daselbst nehmen. Eine recht artige Familie, diese Vireynaische Familie.«
»Sehr artig«, versicherten alle.
*
Noten zum zweiten Band: als Fußnoten eingearbeitet. joe_ebc für Gutenberg-DE