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Zweiunddreißigstes Kapitel.

Höchst ehrenwertes Waidwerk fürwahr; und betrieben
Unter dem Zeugnis eines guten Gewissens.

Shakespeare.

Es war ein herrlicher Tag zu einer solchen Fußwanderung, einer jener entzückenden Februartage, in denen die Frische eines mexikanischen Winters gleichsam kosend in die tropische Sommerglut verschmilzt, um nach einigen Stunden lieblicher Vereinigung sich wieder zu trennen. Ein wunderbarer Wechsel in diesen wenigen Stunden! Das Tal und die grandiosen Berge und Felsenmassen, die es in eirunder Form umschließen, von der schräg herübersteigenden Sonne bald schattiert, bald wieder hell erleuchtet, werden in diesen Stunden glänzend licht, was man in der südwestlichen Zone licht nennt, mit einem Himmel, so rein und durchsichtig und tief! Das Auge dringt unwillkürlich tiefer und tiefer in dieses goldschattierte Blau, als wollte es eindringen in die fernen Himmel. Und die sinkende Sonne erglänzt so golden, so strahlend in diesem blauen Firmamente! Und die Lüftchen wehen so leicht, so kosend! Alles ladet zum Lebensgenusse in diesen Stunden ein. Die großartigen Basalt- und Porphyrgebirge des Tales glänzen am hellsten, die weiße Frau Itztaccihuatl oder die weiße Frau. erscheint verjüngt zur Feier des neuen Jahres, und jugendlich prachtvoll zieht die ganze Natur herauf vom üppigen Süden. Es sind wonnevolle Stunden, diese erste, zweite und dritte Nachmittagsstunde, für jeden, der nicht Mexikaner ist; denn dieser schläft seine Siesta.

An diesem Tage jedoch war keine Siesta in Mexiko, und die Volksschar, mit der unser junger Stutzer die Tacubastraße herauf kam, war nicht die einzige, die in den sonst öden Straßen von Mexiko schwärmte.

Es ist etwas Seltsames um das Schwärmen in Mexiko; – etwas sehr Seltsames! –

Im Mirador der Casa Haus. – Die Häuser in Mexiko werden häufig nach den auf ihrer Fronte gemalten Heiligen genannt. zum San Simon Stilitta, so genannt, weil die Vorderseite des Hauses einen Heiligen darstellte, der volle sieben Jahre auf einem Beine gestanden, war die Siesta auch nicht eingekehrt; denn drei Paare feurige Augen glühten durch den vergoldeten Mirador, von dem man die Ansicht der Kathedrale, mehrerer Regierungspaläste und eine weite Fernsicht in die meilenlange Straße hinab hatte. – Es war ein stattlich katholisch aussehendes Gebäude, diese Casa de San Simon Stilitta, mit ihrem Mirador und zwei Schutzheiligen; denn nebst obengenanntem Patrone der Gymnastiker hatte noch ein San Francisco seinen Schauplatz an der Fronte aufgeschlagen, und zwischen diesen beiden Schutzpatronen die drei Mädchen, eine ungleich anziehendere Erscheinung.

Sie waren den Jahren nach, was wir Teens Nennt man scherzhafterweise in der englischen Sprache Mädchen zwischen zehn und sechzehn Jahren. nennen würden, die aber in Mexiko Blüte und Reife sind. Die fünfzehnjährige Señorita Fräulein. Cölestine, das Töchterchen des Intendanten Präfekt einer Intendanz, der obersten exekutiven Behörde. von Valladolid, ein rundes Geschöpfchen mit einiger Anlage zum Embonpoint, einigermaßen dicken Lippen, schwarzen feurigen Augen, obwohl nicht hinlänglich tiefliegend, und einer recht artigen Taille, obwohl der Busen mehr Fläche als Rundung hatte, einem gesunden spanischen, das heißt, einigermaßen ins Gelbe schimmernden Teint, und Zähnen von gleichem Kolorit, eine Wirkung der fatalen Zigarren, die das schöne Kind in Rauchwolken aufgehen ließ.

Señorita Ximene, die Tochter Señor Vivars, Oidors der hochmächtigen Audiencia, war von schlankerer Taille und gewölbterem Busen. Auch sie hatte etwas dickere Lippen, als nach unsern Schönheitsbegriffen nötig; aber diese Lippen öffneten sich so lieblich, und die Oberlippe zog sich so anmutig zurück, um eine Reihe von Perlenzähnen zu zeigen, das Auge, obwohl gleichfalls nicht tief genug liegend, funkelte so feurig, sie rauchte ihre Paquita Eine Papier-Zigarre. allerliebst. – Laura, die Jüngste der Töchter des Vizepräsidenten der Hacienda Real, hatte ein lieblich rundes Kinn und derlei Wangen. Alle drei aber erfreuten sich der kleinsten Füße, der niedlichsten Hände, der schwärzesten Augen und herrlicher Woodville-Zigarren, nebst einer erschrecklichen Langweile. Dieser zu entgehen, waren die armen Mädchen, die in der Adlergasse, der fashionablen spanischen Straße, wohnten, und durch den Grito und die nach Hause kehrenden Volkshaufen um ihre Siesta gebracht worden waren, mit ihren Negermädchen gekommen, um ihrer Freundin Isidra einen Besuch abzustatten.

Diese Freundin Isidra überließ sich soeben dem mexikanischen far niente.

Der Mirador, auf dem die Mädchen lauschend und rauchend lagen, stand mittelst zwei hoher Flügeltüren mit der Sala in Verbindung. Das obere Ende dieser Sala bildete die sogenannte Estrada, der erhabene Platz, auf dem sich eine Ottomane befand, und auf dieser hingegossen eine Doppelgestalt, von welcher die eine Hälfte bloß die Umrisse des Leibes erkennen ließ, die andere aufrecht saß. Diese Umrisse verrieten wieder einen starken Bequemlichkeitshang; denn der Gürtel war gelöset, und der Oberleib einzig nur mit dem glänzend schwarzen Rabenhaar bedeckt, das über diesen ausgebreitet schien, mehr um die Weiße desselben hervorzuheben, als den Zwecken der Bekleidung zu entsprechen. Die Enthüllte, die ihr Hausrecht so ungeniert gebrauchte, war, nach allem zu schließen, noch sehr jung; von ihrem im Schoße der zweiten Gestalt eingewühlten Gesicht war wenig oder nichts zu sehen. Diese zweite Gestalt war nußbrauner Farbe, und ihre Finger wühlten und ihre Augen bohrten so emsig in den Haaren der ihr im Schoße Ruhenden, daß sie in gewisser Hinsicht einer Jägerin glich, die in der Hast des Verfolgens alles um sich her vergessen.

Der Saal, in dem die beiden Mädchen sich befanden, war im spanischen Geschmacke der höhern Klassen ausmöbliert, das heißt, mit Esteras belegt, einem Mitte- und zwei Seitentischen, auf welchen letztern die Bildnisse der Jungfrau de los remedios und des San Jago de Compostela standen, und einigen Dutzend Sesseln mit ungeheuer hohen Lehnen, die wohl die Zeiten Philipps des Vierten gesehen haben mochten. Die Wände waren mit blauem Porzellan bekleidet, die Vorhänge von grünem Corduan, und statt des Lüstre, der in einem Winkel des geräumigen Saales stand, hingen von den vergoldeten Haken sechs seidene Schnüre herab. Auf dem Tische in der Mitte lagen einige musikalische Instrumente, unter diesen eine spanische und eine mexikanische Laute. Es war die letztere ein hohler, hölzerner Zylinder von der Größe einer spanischen Laute, mit zwei in der Mitte parallel laufenden Öffnungen; zwei mit elastischem Gummi umwundene Stöcke lagen daneben. Das Instrument, von dem hier die Rede ist, heißt in der indianischen Sprache Teponatzli.

Im Saale sowohl als auf dem Mirador herrschte eine wahrhaft klösterliche Stille, und keine Silbe wurde gehört, obwohl eine Viertelstunde seit der Ankunft der Señoritas und ihrer Doncellas verflossen war. Auch die Bewegungen der Mädchen waren nicht lebendiger. Zuweilen regte sich eine Mantilla, und ein Feuerblick strahlte hinab auf die Straße; aber wegen Mangels an Erwiderung verglühte die schöne Flamme wieder in mattes Dahinstarren.

» A ellos, a ellos!« Frisch auf sie los. ließ es sich endlich aus dem Schoße des Mulato-Mädchens vernehmen.

» Qué quiere?« Was beliebt? versetzte das Mulato-Mädchen, das mit Argusaugen in den Haaren herumgespäht, nun aber ungeduldig das rabenlockige Köpfchen aus ihrem Schoße hob und einem der lieblichsten Gesichter in die feurigen Augen sah. »Basta«, bedeutete sie ihr im grollenden Tone.

Das Mädchen warf einen zornfunkelnden Blick auf die Sprecherin.

» Por qué?« fragte sie; » Por qué cesar?« Warum – warum aufhören?

» Qué quiere?« versetzte die Kammerzofe. » Matrá todos? Ninguna señorita de sociedad los ha matado todos.« Was beliebt? Alle wollen Sie getötet haben? Kein Fräulein von Stande hat sie alle getötet.

» Mentira!« Eine Lüge. schrie die liebliche Spanierin giftig.

» Es verdad!« bekräftigte Señorita Ximénez, Cölestine und Laura, die zugleich in die Haare fuhren, und nach einem kurzen Umherwühlen den augenscheinlichsten Beweis der Wahrheitsliebe der Doncella und ihrer eigenen Duldsamkeit lieferten. Das Köpfchen neigte sich wieder in den Schoß und die Doncella schickte sich nun an, das Gewirre der Haare in Locken zu vereinen.

Wieder war es stille. Die Mädchen sahen die Straße hinab, und rauchten und gähnten; die Doncella kräuselte und türmte die rabenschwarzen Haare in Locken und Knoten; alles ward wieder Apathie, bleierne mexikanische Apathie.

Aus einem Nebengemache, dessen Türe halbgeöffnet war, stöhnte und gellte eine Stimme, »oh! ah! ih!« in so seltsamer Weise, daß unsere vier Mädchen in ein lautes Gelächter ausbrachen.

Das Gemach war zur Hälfte kleiner, als der Saal, aber weit größer und höher als eines unserer Schlafzimmer, und gleichfalls mit blauen Porzellan-Vierecken belegt. In der Mitte desselben hing eine Hängematte, in der ein Schlafender oder eine Schlafende sich befand, den Tönen nach zu schließen, die verlautbar wurden. Auf der rechten Seite stand ein Mittelding zwischen einer Ottomane und einem Bette, das reinlicher gewesen sein könnte, als es wirklich war, und auf das, nebst andern Kleidungsstücken, auch ein reich mit Gold verbrämter blauer Mantel zu liegen kam. Formlose Hüte, bestaubte Beinkleider, schmutzige Wäsche und Werkzeuge der Reinigung lagen neben Kleidungsstücken, von denen ein einziges hingereicht haben würde, das ganze Haus zu säubern, und sechs Monate hindurch rein zu erhalten.

Unter der Hängematte saß ein Indianermädchen, einen Federschirm auf dem Schoß; der Kopf war ihr auf die Brust gesunken, der Schlaf hatte das Mädchen überfallen, während sie der in der Hängematte Schlafenden Kühlung zugefächelt. Zur Seite des Bettes stand ein Mulatte mit einem Kästchen von Zigarren, und einem brennenden Lichte.

»Oh! ah! ih!« stöhnte es wieder aus dem Bette, und eine Schlafhaube erhob sich, und eine Hand, die sie vom Kopfe zog, und so ein klapperdürres kastanienbraunes Gesicht sehen ließ, dessen Schläfe, Stirne und Augenhöhlen dunkel olivengrüne Umrisse hatten.

Auf diese letzten Jammertöne, die etwas laut gewesen, regte es sich in der Hängematte. Zuerst erhob sich ein gleichermaßen kastanienbraunes Gesicht, mit einigen erbsengroßen Warzen und einem Barte geschmückt, der einem Grenadier nicht übel gestanden wäre; dann folgte der etwas schwere Leib, der aber Folgsamkeit versagte und den Kopf wieder nach sich zog. Ein zweites Mal erhob sich der Kopf, und durch einen plötzlichen Aufschwung wurde ein Hals sichtbar, Schultern, Busen und alle die Appertinenzien eines weiblichen Oberteiles, mit dessen Beschreibung wir jedoch unsere Leser verschonen, da sie nichts weniger als lieblich zu schauen waren. Die Dame des Hauses, sie war es selbst, schien sich nicht im mindesten durch die Gegenwart des Mulatten geniert zu fühlen, und richtete sich ganz in der Hängematte auf.

»Manca!« schrie sie mit einer Trompeterstimme, indem sie umherschaute. »Manca!« schrie sie noch stärker, und zugleich erhob sie einen ihrer Füße nebst Schenkel, und beide aus der Hängematte werfend, stieß sie die schlafende Manca über den Schemel hinab.

Durch diesen Stoß wurde die Hängematte in eine schaukelnde Bewegung gebracht, die der Spanierin recht wohlgefällig zu sein schien; denn sie ließ nun dem linken Fuß den rechten folgen, der, so wie jener, weder Strumpf noch eine andere Bedeckung hatte. Sich mit beiden Händen an den Seilen der Hängematte haltend, wiegte sie sich mit vielem Behagen. Die Dame saß im bloßen Hemde.

Ein drittes Mal stöhnte der Spanier: »Ah, oh, ih!«

»Señor Matanzas!« gellte nun die Señora. »Mit Ihrem Gestöhne kann man auch kein Auge zubehalten. Keine Ruhe; nicht einmal während der Siesta! Caramba!«

Und wieder schwang sich die Spanierin in ihrer Hängematte, die nun, durch die erwähnte Manca in schaukelnder Bewegung erhalten, einen starken kühlenden Luftzug im Zimmer verursachte, aber auch zugleich Wolken von Staub auftrieb.

Wohl zwei Minuten waren verflossen, seit die Worte gesprochen worden; der Spanier hatte sich eine Zigarre angebrannt, und blies Rauchwolken von sich. Auf einmal nahm er die Zigarre aus dem Munde, und begann mit funkelnden Augen:

» Muerte e infierno!« Tod und Hölle.

Hier unterbrach sich der gute Mann wieder durch die drei Jammertöne: »Oh, ah, ih«; und sein kastanienbraunes Gesicht verzog sich jämmerlich.

» Muerte e infierno! Keine Ruhe! Keine Ruhe, Señora, sagen Sie! Und wer ist schuld daran? Wer hat uns von Acapulco heraufgeschleppt?«

»Wären Sie unten geblieben, die Rebellen würden Sie so eingepökelt haben wie Tasajo; ist aber nichts mehr einzupökeln.«

» Maldito país!« Verfluchtes, elendes Land. brummte der Spanier. »Wäre ich in der Madre Patria geblieben!«

Die Dame warf, ohne ein Wort zu erwidern, einen Blick der wegwerfendsten Verachtung auf den Schatten von Ehemann hinüber, denn so mochte er füglich genannt werden; nahm von dem Mädchen eine Zigarre und winkte dem Mulatten mit dem Lichte heran. Als sie die Zigarre angebrannt und gehörig in Rauch versetzt, hob sie an:

»In der Madre Patria geblieben bei Ihrer ewigen Mahlzeit, Eine Mahlzeit, die keinen Anfang und kein Ende hat; keine Suppe und kein Dessert; trockenes Brot. Ihrer San Antonio-Mahlzeit, Brot und Wasser. bei Ihren sechsunddreißig Kichererbsen, die neben zwanzig Augen in Ihrer olla de sopa de ajo Knoblauchsuppe; die gewöhnliche Nahrung der unteren Volksklassen. herumschwammen? Si no habla como cristiano.« Fi! er redet nicht wie ein Christ – er redet Unsinn.

» No habla como cristiano« wiederholte der Spanier mit einer Art komischen Schauders. » Jesús, Maria y José! Nosotros – wir, die wir von dreihundert Ahnen abstammen, unter die ältesten Christen gehören, deren sich Altkastilien rühmen kann, deren Vorfahren unter dem großen Guy die Schlacht bei Ronceval« – –

»Fi, der Mann redet sin razón. Kommen da den ganzen Weg von Acapulco herauf, um von seiner Lendendarre geheilt zu werden. Wo haben Sie diese Lendendarre her? Sie miserabler Ehemann! von Ihrem Salamanca-Studentenleben? Fi, Maco ist mir lieber.«

Maco, der Zambo, wandte sich, und brummte ein Brr!

»Komm her, Maco!« rief die Spanierin dem Mulatten zu, der mit weggewandten Augen vor sie hintrat, und als er endlich mit der gräulichen Schönheit in Berührung kam, sie gänzlich schloß. Dafür erhielt er eine so derbe Maulschelle, daß ihm Licht und Zigarren entfielen.

» Gerro negro!« schrie die beleidigte Spanierin; »will dich lehren die Augen zudrücken, wo Du sie offen haben sollst.«

Der arme Ehemann hatte während der einigermaßen peinlichen Szene keinen Laut von sich gegeben, nur ein leises Ah! Oh! Ih! entschlüpfte ihm. Seine Ehehälfte hatte einige Rauchwolken gezogen und fuhr fort:

»Kommen von Acapulco herauf, um Hilfe zu suchen für seinen miserablen, mit der Lenden- und Rückendarre behafteten Leib, und der alte Narr stößt die Hilfe zurück, weil er den Zambo Don oder Señor nennen müßte. Verdammte Narrheit!«

Und wieder schwang sich die Virago behaglich in ihrer Hängematte.

»Narrheit«, fiel ihr der Mann mit funkelnden Augen ein, »Narrheit nennen Sie es? Narrheit!« rief er halb schaudernd: »So mögen Sie, die nicht einen Tropfen vom Blute der Matanzas hat – – Narrheit nennt sie es«, seufzte der Mann, »Narrheit nennt sie den Heroismus eines Matanzas, über den sich die dreihundert Ahnen seines Geschlechtes im Himmel freuen müssen, und absonderlich der große Matanzas, der in der Schlacht von Ronceval – –«

»Ronceval und nichts als Ronceval!« brummte die Ehehälfte. »Unsere Vorfahren waren Glieder des Consulado von Sevilla, Señor! verstehen Sie, und durch meinen Vater erhielten Sie die Stelle, und sind, was Sie sind, mehr als alle Ihre dreihundert Vorfahren zusammen genommen, die alle dreihundert nur drei Mäntel besaßen und vier Suppenschalen, in denen sie sich ihre olla de sopa zusammenbettelten.«

Der Spanier warf nun seinerseits einen verächtlichen Blick auf die Sprecherin.

»Wir haben,« sprach er im höchsten Grimme, »Oh, Ah, Ih!« stöhnte der Ärmste wieder. »Wir haben«, hob er mit von Schmerz verzerrtem Gesicht an, »einen Stammbaum, der so lange wie die Tacubastraße ist, Donna, merken Sie sich dies, und der Ihrige – Pah! es ließe sich keine Estera zu diesem Schlafzimmer daraus machen.«

Der Mann hatte sich aufgerichtet und die Worte mit starker, gellender Stimme geschrien; aber der Schmerz erstickte die letzten Silben.

»Narrheit,« fuhr er nach einer Weile fort, »Narrheit nennen Sie es, wenn wir uns weigern, einem übermütigen Zambo zu willfahren, dessen Insolencia so weit geht, Señor von einem Nachkommen des großen Matanzas tituliert werden zu wollen, einem viejo cristiano, dessen Adel älter ist als der des Königs.« Bei diesen Worten setzte der Mann einen ungeheuern, dreieckigen Hut mit roter Kokarde und Federbusche auf.

»Narrheit nennen Sie es?« fragte er wieder.

»Narrheit!« lachte sie; »ich würde ihn Majestad titulieren!« schrie sie, hüllte sich wieder in eine Rauchwolke und fuhr fort, sich schaukeln zu lassen.

Der Mann hatte soeben eine frische Zigarre aus dem Kästchen, das ihm der Mulatto hinhielt, genommen. Er warf diese mit einem » Muerte é infierno!« auf die Erde und schwenkte halb wütend den Hut.

» Muerte é infierno!« Ah! oh! ih!« stöhnte er, wieder: »Doña, Sie sind bei meiner Seele eine Verräterin!«

Und wieder setzte er den dreieckigen Hut auf und nahm eine andere Zigarre, die er anbrannte, und sich in eine Rauchwolke hüllte.

Der Waffenstillstand zwischen den beiden kriegführenden Mächten dauerte mehrere Minuten. Der Spanier saß im Flanellhemde, sonst aber ganz ohne Kleidung im Bette aufgerichtet, einen spanischen Oberstenhut auf dem Kopfe; seine Señora auf oben beschriebene Weise in der Hängematte.

Endlich schrie sie herüber: »Señor Matanzas, Sie sind ein alter Narr, und wäre ich Señor Toro – –«

»Nennen Sie ihn nicht Señor!« fiel ihr der Gemahl ein: »Ah! Oh! Ih!« stöhnte der Arme wieder: »Nein, wir wollen nicht! Nimmer! Wir einem elenden Zambo den Titel Señor geben? Wir, deren Vorfahren bei der Schlacht von Ronceval – –? Und der Hund verlangte, daß wir aufstehen bei seinem Eintritte, wie vor einem viejo cristiano und ihn Señor titulieren.«

»Das Aufstehen ersparen Sie nun,« grollte die Señora, »maßen Sie nicht mehr aufstehen können.«

»Wir den Zambo Señor titulieren?« brummte der alte Spanier, »und aufstehen bei seinem Eintritte? Madre de Dios, quel insolencia! Nein, Señora, da wird nichts daraus«, er sprach dies im feierlichen Tone: »Bei der Virgen de los remedios und dem vortrefflichsten aller Heiligen San Jago! Und hätten wir tausend Beine und zehntausend Lenden und Rücken, und alle wären mit der Darre behaftet und allen könnte dieser Zambo helfen, durch bloßes Berühren mit seinem Stabe helfen, wie Señor Don Moisés dem israelitischen Volke half – Doña Ana!« sprach der Mann feierlich und stolz: »Wir würden lieber tausend Rücken verlieren, als den Zambo Señor titulieren oder vor ihm aufstehen, wir, ein viejo cristiano! ein viejo cristiano! ein viejo cristiano! Dije y basta!«

Dem Manne war während dieser Erklärung die Zigarre ausgegangen; er zündete eine frische an, hüllte sich abermals in eine Rauchwolke, drückte den ungeheuern Hut tief in die Stirne und nahm einen langen Stoßdegen von der Wand, den er küßte und mit den Worten: Ven, mi querida virgen!« Komm, meine teure Jungfrau. vor sich hinlegte.

Die beiden Eheleute hatten sich müde gezankt und es trat nun Stille ein.

In der Sala schien die Unterhaltung nicht den mindesten Anklang gefunden zu haben. Die Mädchen saßen, rauchten und lagen auf die Sofas hingestreckt, selbst ihre Gesichtszüge hatten den widerlichen, schlaffen Ausdruck angenommen, den wir an den Schönen des herrlichen Mexiko häufig bemerken.

Aber auf einmal änderte sich die Szene.

Señorita Ximene hatte anfangs mit hängender Unterlippe einem Zuge zugesehen, der die Tacubastraße heraufkam und bereits einige Male angehalten hatte. Den Kleidungen der Mehrzahl nach zu schließen bestand er aus Mitgliedern der cinco gremios Fünf Zünfte, Handwerker..

» Pah, cinco gremios!« gähnte Señorita Cölestine.

»Ah!« rief Ximene, und das matt schwimmende Auge wurde fixierend, die Unterlippe preßte sich an die obere, als formte sie sich zum Kusse, ihre Hand streckte sich durch den Mirador, die Mantilla fiel wie von selbst in malerischen Umrissen über den Scheitel herab – das Mädchen war verändert. Die beiden andern hatten kaum die Bewegung bemerkt, als auch an ihnen dieselbe Metamorphose vorging; ihre Gesichter wurden lachend, die Züge sprechend, alle waren auf einmal reizend, ganz andere Wesen geworden.

» Señor Pinto es un soberbio hombre«, flüsterte Ximene.

» Quién es éste?« fragte Cölestine.

Ximénez schüttelte das Köpfchen.

Die leise geflüsterten Worte hatten aber die Señorita Isidra auf einmal aus ihrer trägen Atitudes aufgerüttelt. Die Haare waren gelockt und in einen Knoten geschlungen; sie warf die Roba über, sprang durch die Flügeltüren auf den Mirador, schoß einen Blick auf die Straße, klatschte in die Hände, rief ein lautes: » Ven, ven querido! Kommen Sie, kommen Sie, Teurer!« und hüpfte dann mit den übrigen Mädchen zurück in den Saal, wo alle vier lachend die bunten, seidenen Schnüre ergriffen, die, wie bemerkt, von der fünfzehn Fuß hohen Decke des Saales herabhingen.

Die Doncella hatte gerade noch Zeit gehabt, ihrer Gebieterin die Basquina zu überwerfen und die Mantilla am Scheitel zu befestigen, als Señor Pinto, in Begleitung eines zweiten Kavaliers, eintrat.

Die Mädchen waren nun malerisch schön. Von der trägen, bleiernen Apathie, die sie noch zwei Minuten vorher mit ihrer Vampyrlast niedergedrückt, war auch keine Spur mehr zu sehen. Die gelbe Gesichtsfarbe war einem feurigen Rot gewichen; der halb gähnende Mund mit den breiten Lippen war schlau und spitzig und begehrlich geschlossen; die Augen sprühten Feuer und Flammen; alles war Beweglichkeit und Anmut. Die reizende Basquina, an den vollen, runden Gestalten bis zu den Knieen hinabreichend, darunter die leichten blauen Seidenröckchen, der zierliche Faltenwurf der beiden Gewänder mit der unerreichbaren Anmut des Mantillaspieles, und hinter diesen die feurig verlangenden Flammenaugen! – Es war eine herrliche Gruppe, die durch die rasch und keck unter sie getretenen Kavaliere noch sehr gehoben wurde. Señor Pinto hatte die grüne Manga des Goldschmiedes aus der Plateria leicht und mutwillig über die kostbare Pelzjacke geworfen; dafür hatte sein Begleiter, ein junger Kreole, seine eigene Manga. Beide waren hüpfend angekommen, hüpfend waren ihnen die Mädchen entgegengetanzt, » vengan, vengan Señores!« flüsternd, und den beiden Kavalieren die zwei noch übrigen Seidenschnüre reichend. Ein rascher Händedruck, ein ausdrucksvoller Blick, und die Paare standen geordnet zum Tanze.

Das gelispelte venid! venid! ausgenommen, war noch kein Wort gesprochen worden; aber jeder Blick, jede Bewegung sprachen; die Mädchen waren Feuer und Flammen, und zitternd vor Begierde.

»Den Chica Ein äußerst wollüstiger Tanz. von Yucatan!« wisperte Don Pinto.

Die Mädchen erglühten.

Die Gitarre schlug an, begleitet von dem Instrumente, das wir oben beschrieben haben, und auf welches eines der Indianermädchen mit den beiden Stäben schlug oder vielmehr strich. Die Töne waren hohl, zitternd, melodisch und denen einer Harmonika nicht unähnlich. Die Tanzenden setzten sich in eine langsam schwebende Bewegung Der Tanz, von dem hier die Rede ist, ist in den südlichen Provinzen, Yucatan, Oaxaca usw., sehr beliebt, wird aber auch in Mexiko getanzt, und zwar auf folgende Weise: Ein Baum oder Pfahl, fünfzehn bis zwanzig Fuß hoch, wird in die Erde getrieben. Von der Spitze hängen so viele buntfarbige Schnüre oder Stricke herunter, als Tanzende vorhanden sind; jeder derselben ergreift einen, und darauf fängt der Tanz um den Baum herum an, der so lange dauert, bis ein künstliches Netz gebildet und die Schnüre so kurz werden, daß die Tanzenden sich nicht ferner bewegen können, ohne die Schnüre fahren zu lassen; dann fängt man auf dieselbe Weise wieder an, das Netz zu entwirren.. Man konnte nichts Schöneres sehen, als diese feurigen, vor Wollust erzitternden Gestalten und ihre graziösen Wendungen. Sie hatten in der einen Hand die Schnüre, die andere trieb mit der Mantilla ihr Spiel. Der Tanz war anfangs mehr ein verschlungener Gang, wurde aber allmählich schneller, leichter, feuriger. Tänzer und Tänzerinnen eilten schnell aneinander vorüber, durchkreuzten sich, verwoben sich. Wie die Schnüre, die sie in den Händen hielten, sich allmählich verkürzten, wurden ihre Bewegungen üppiger; je näher sie die verkürzten Schnüre aneinander brachten, desto fiebrischer, glühender wurden sie, desto zärtlicher ihre Blicke; die Mantillas fielen herab, die Tänzer kamen in unmittelbare Berührung mit den Tänzerinnen, ihre Arme umschlangen sich, die Lippen drückten sich aneinander. Es war kein Tanz mehr, es war ein beweglicher Knäuel fieberischer, von Wollust zitternder Wesen, die sich endlich eng aneinander gepreßt anhielten. Einen Moment blieb die Gruppe in dieser Stellung; die Musik hatte inne gehalten; dann begannen die Instrumente wieder, die Tanzenden entwirrten sich, der Knoten löste sich, die schwimmenden Augen verhüllte wieder die Mantilla, die laszive Szene wurde wieder erträglich auch für nicht-mexikanische Augen.

» Qué compañía tan hermosa! qué brillante! No puede haber compañía mas brillante!« Welch eine schöne Gesellschaft! Wie glänzend! Es kann nichts Glänzenderes geben. gellte die Stimme der Señora, die mit vieler Behaglichkeit dem seltsamen Tanze zugesehen hatte, eine Espéce von Capuchon auf dem Haupte, einen Nachtmantel um die Schultern, und Pantoffeln mit hohen Absätzen an den strumpflosen Füßen, in der einen Hand ein Pack Karten, in der andern die Requisite des Montespieles haltend.

» Vengan, Señores!« murmelte sie den Kaballeros zu, indem sie einem der Tische zutrippelte, vor welchem sie sich niederließ.

Die beiden Abenteurer folgten dem Wink und setzten sich gleichfalls, so ungeniert, als wenn sie zur Familie gehörten.

Die Señora schlug die Karten auf.

» Rey de oros!« sprach sie mit einem spitzigen Lächeln, das der Leichtigkeit der zwei Goldbörsen, die die beiden Kavaliere vor sich hingelegt hatten, gelten mochte.

» Perdido!« fiel ihr der Fremde ein, der ihr einen Dublon hinschob.

» Reina!« sprach sie wieder.

» Perdida!« antwortete Señor Pinto, ihr gleichfalls seinen Tribut hinschiebend.

So ging es ein zweites, ein drittes, ein viertesmal. Die zwei hatten allemal verloren; die Dame packte ihre Beute zusammen, warf den beiden einen verliebten, bedeutsamen Blick zu, brannte wieder ihre Zigarre an, und entfernte sich mit den Worten: » Dios os guarde caballeros!«

Wieder flogen die Mädchen heran, wieder flammten die Augen, wieder schossen sie ihre feurigen Blicke ab; einige bedeutsame Winke mit den Fächern gegeben, eine leichte Verbeugung: die zwei Kavaliere zogen sich zurück, und unsere liebenswürdigen Señoritas versanken wieder in die Arme der bleiernen Apathie, um durch die nächst herbeigelockten Schwärmer vielleicht auf dieselbe Weise aufgerüttelt zu werden.


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