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Dreiunddreißigstes Kapitel.

Ha! Sah man je so seltsam ein Ding!

Shakespeare.

»Ein ganz eigenes Leben, dieses Leben in Mexiko! Also diese Romerias Wallfahrten. sind noch immer in Mode?«

»Gerade, als ob kein Morelos in Cuautla Amilpas wäre«, erwiderte Señor Pinto. »Du siehst, das spanische Phlegma bleibt sich getreu; drei rendez-vous in einer Calle Drei Aufforderungen in einer Straße.. Freilich kostet jede zehn Doblones. Welche hat dir ein Stelldichein gegeben?«

»Das Stumpfnäschen«, bemerkte der Kreole.

»Das geht nicht; sie wohnt zu weit die Adlergasse hinab auf unserem Wege. Nimm die meinige; es ist Isidra, ein allerliebstes Dingelchen.«

»Meinethalben,« erwiderte der Gefährte gleichmütig, »wenn ich kann.«

»Wollen sehen, Buen provecho Mahlzeit!! Müssen uns nochmals an die maestros der cinco gremios halten; der Spitzbube, der Alguazil Coro, ist uns auf den Fersen; Vigilancia!«

Unter diesen Worten waren die beiden vor der Pforte des Hauses angekommen, vor welchem die Schar, mit der sie gekommen, unterdessen gewartet hatte, bis die Kavaliere den Forderungen mexikanischer Stutzersitten entsprochen, und ihre letzten Doblonen für Liebesblicke und die reelleren Folgen derselben eingetauscht. Es waren großenteils noch dieselben Personen, die wir bereits vor der Villa des Conde gesehen, und an die sich unser Abenteurer in einer seiner vielen Launen angeschlossen hatte.

»Caramba!« lachte der Mann aus der Plateria. »Schade, daß die Valenciana nicht Señor Pinto gehört; er wäre ein Príncipe, der das Geld unter die Leute brächte.«

»Aber wir sprechen ja von der Anleihe«, bemerkte hinwieder der Escribano zu seinem Gefährten, einem Kupferschmiede, »und zwar der Anleihe des hochpreislichen Consulado und der Nobilitad, die nämlich das Consulado und die Nobilitad dem Gobierno versagt haben. Nun aber sagen wir, eine Anleihe ist ein pactum, ein contractus, das da kommt a. contrayendo, laut leyes de las Indias libro VIII, Cap. 28. Laut denselben leyes de las Indias darf kein gente irracional eine Anleihe über fünfzehn Duros kontrahieren, welche Anleihe über fünfzehn Duros bloß das Privilegium von Caballeros ist Nach den spanischen Gesetzen durfte keinem Indianer mehr denn fünfzehn Piaster geliehen werden., so wie Anleihen von über hunderttausend bloß das Fuero von der hohen Nobilitad, und hinwiederum von Millionen bloß das von höchsten Herrschaften.«

» Tiquis, miquisRotwälsch, Kauderwälsch. fiel ihm der Mann aus dem Parian ein: » Agua sobre agua ni cura ni lava Wasser auf Wasser hilft und wäscht nicht.. Auf den Conde zu kommen.«

»Pah, auf den Conde zu kommen!« schrie der Escribano. »Wir gehen ja von ihm. Demonio! Was wollen Sie nur immer von einem Caballero reden, gerade als ob dieser Caballero der einzige in der Welt wäre, wo doch unsere Vorfahren aus so gutem spanischen Geblüt –«

»So mögen alle siebzehn Höllen Ihr spanisches Blut – –« fiel ihm der sogenannte Adelantado aus dem Parian ein; aber er endigte seinen Satz nicht, sondern wurde bleich und verschluckte die letzten Worte, blieb sprachlos und mit ihm der ganze Haufe.

Mit allen war auf einmal eine seltsame Veränderung vorgegangen. Sie waren schlendernd in der besten Laune die Tacubastraße hinaufgezogen, und der Xerez und Sangaree des Conde hatten offenbar vieles zu dieser guten Laune beigetragen. Von dem Schmerze, den bittern Täuschungen, die auf den Gesichtern der meisten früher zu lesen gewesen, war auch keine Spur übrig geblieben; dafür war etwas einer Schadenfreude Ähnliches in ihren Zügen hervorgetreten; man sah es ihnen an, daß sie etwas wußten. Jetzt hatte sich auf einmal dieser Zug von Schadenfreude auf allen Gesichtern in Schrecken und Angst umgewandelt, und dieses so auffallend, daß der Begleiter unseres jungen Stutzers verwundert um sich sah. Eine Totenstille war eingetreten unter den hundert Züglern; sie sahen sich eine Weile erschrocken an, wie Leute, die auf bösen Wegen ertappt werden, und schlichen sich dann auseinander, ohne Adios zu sagen, ohne ein Wort mehr zu sprechen.

»Was ist das?« fragte der Begleiter unseres Señor Pinto.

»Siehst du nicht, wir sind auf der Plazza-Mayor.«

»Und was weiter?«

»Wir sind vor dem Palaste.«

»Welchem Palaste?«

»Mein Gott, welche Frage! Des großen Zauberers, der Mexiko umstrickt hält, so wie die Spinne den armen Kolibri; vor dem Palaste des Virey. Meiner Seele! In seinem Kabinette regt es sich. Bleibe ruhig!« flüsterte er seinem Begleiter zu, »so ruhig als möglich. Lege deinen Arm recht breit in den meinigen; weniger militärische Haltung; bewege den Mund, als ob du mit mir sprächest.«

Der junge Kreole tat, wie ihm vorgeschrieben. Vor ihnen her lief der Adelantado aus dem Parian in geschäftiger Hast; zwei andere rannten in der Angst auf die Kathedrale zu.

Der junge Pinto brummte ein » Malditos gavachos! Wenn jetzt ein einziger Familiar da ist, so sitzen wir fest!«

Es war jedoch keiner vorhanden; die beiden erreichten den Parian und eilten dem Adelantado nach, der ihnen die Türe seines Ladens vor der Nase zuschlug, sie aber nach einer Weile wieder öffnete und auf eine Falltüre wies, die in ein oberes Gemach führte.

»Hier sind wir einstweilen sicher«, sprach Señor Pinto, dem alle gute Laune vergangen zu sein schien; denn das Herz klopfte ihm hörbar und seine Stimme klang hohl.

»Bist du und Mexiko zu Narren geworden?« fragte sein Begleiter, der sich auf einem Sessel des mit Mangas, Röcken, Beinkleidern angefüllten Gemaches niederließ. »Was Teufel soll alles dies?«

»Bei meiner Seele, er war es selbst!«

»Wer?« fragte der Kreole.

»Der Virey«, flüsterte er leise und schaudernd.

»Pah«, erwiderte der junge Mann, den Kopf schüttelnd. »Ist aber bei alledem merkwürdig; diese Leute kommen den Paseo herauf, lustig und fröhlicher Dinge. Kaum sehen sie die Höhle dieses Tigers, so sind sie, als wenn das vómito sie berührt hätte.«

»Hast du bemerkt?« fragte Señor Pinto, tiefer Atem holend, »wie sie die ganze Stunde ihre Sinne zusammennahmen, um recht betrunken zu scheinen und ja die eigentliche Ursache ihrer Lustigkeit den Spürhunden nicht zu verraten. Man hätte schwören sollen, sie seien alle tot besoffen. Ein einziger Blick auf den Palast hat sie alle nüchtern gemacht.«

»Möchte doch wirklich den Mann sehen; ist er denn so gar furchtbar?«

»Im Gegenteil, das angenehmste Gesicht, das du sehen kannst, der beste Sprecher, San Chrysostomo ist ein Pinsel gegen ihn, der beste Ehemann, der beste Vater. Du wirst ihn nie ausfahren sehen, ohne daß ihm eines seiner jüngsten Kinder zwischen oder auf den Knien säße – –«

Der Fremde schüttelte den Kopf stärker.

»Siehe,« fuhr Señor Pinto fort, »wäre er die blutige Hyäne, Calleja, Mexiko wäre schon frei; aber er ist die Katze, und solange er Virey ist, bleibt Mexiko gefangen. Alle Mühe ist vergebens. Es traut einer dem andern nicht. Wir hatten es schon dreimal darauf angelegt. Jedesmal verdorben.«

»Pah, ein Feigling, der ein ganzes Regiment in den herrlichen botanischen Garten einquartiert.«

»Er ist klug, er fürchtet, seine lieben Landsleute möchten ihm dasselbe Schicksal, wie Iturrigaray, bereiten.«

Beide schwiegen einen Augenblick.

»Also der Unglückliche ist verschwunden?« fragte Señor Pinto.

»Er muß in Mexiko sein«, erwiderte der andere. »Einige unserer Indianer sahen ihn auf dem Weg von Ajotla. Der General sandte mich mit dem Auftrage, du mögest alles aufbieten.«

»Danke schönstens für das Zutrauen. Bei meiner Seele! Dieser Mestize weiß schon recht artig zu befehlen. Sag' ihm, er möge derlei Kommissionen nicht oft wiederholen.« Der junge Mann stützte sein Haupt gedankenvoll in die Hand.

»Er ist schrecklich mitgenommen«, bemerkte der Fremde.

»Verdammte Raserei, unsinnige Raserei! Hat tausend, kann zehntausend Mädchen haben, hat wirklich das schönste Mädchen Mexikos, und wirft sich einer solchen Blutsaugerin an den Hals.«

»Sie soll schön sein, diese Isa –«

»Husch«, sprach Señor Pinto; »bleibe du hier bis zur einbrechenden Dämmerung; dann gehst du zur Matanzas; aber besser noch, du wartest hier, bis ich zurückkomme. Du nennst dich Santa Ana, verstehst du mich. Es haben dich drei unserer verschmitztesten Polizeispione ins Auge gefaßt; diese müssen zuerst beschwichtigt werden, sonst bist du verloren! Adios! In einer, höchstens zwei Stunden bin ich zurück.«

Er drückte dem Fremden, der niemand anderer als unser Major Horatio Galeana war, die Hand, verließ das Gemach und verschwand in den Windungen des Basar.

Bald darauf flogen die Hauptpforten des Palasttores auf, zum Zeichen, daß der vizekönigliche Hof von seinem Nachmittagsschlafe erwacht sei.


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