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Fünfunddreißigstes Kapitel.

Voilà de l'erudition,
L'enveloppe est jolie et vaut un million.

Molière.

Die beiden älteren Töchter, die sich von ihren Zeichnungstafeln erhoben und halb tot gekichert hatten, waren nun an den Papa herangeschwebt und hatten ihn mit sich auf die Ottomane mitten zwischen die Vizekönigin und die Donna gezogen.

»Väterchen!« rief die ältere Emanuele.

»Papachen!« die jüngere Inez.

»Kinderchen!« erwiderte der zärtliche Papa.

»Wissen Sie schon, Papachen?« begann die erstere. »Tante Isabella hat den süblimsten Einfall.«

»Der je ihrem sentimentalen Köpfchen entglitt«, lächelte der Vater.

»Und der, hoffen wir, von Seiner Exzellenz, dem regierenden Virey von Neuspanien, mit der Aufmerksamkeit vernommen werden wird –«

»… die der Abglanz der Majestät, und die Krone alles dessen, was edel in Mexiko ist, der sehr edeln Doña Isabel schuldig ist«, fiel lachend der Virey ein.

»Nein, diese Zärtlichkeiten!« schmollte die Gattin.

»Sind seine gewöhnlichen Hofformeln, die er nur wiederholt, um sie geläufig auf der Zunge zu behalten«, spottete die Doña. »Sieh nur einmal, Schwesterchen, diese Runzel, die gleich einer Gewitterwolke sich zwischen die Brauen hingelagert.«

»Ihr Scharfsinn, Schwägerin –« versetzte der Virey schon mit einem weniger heitern Gesichte.

»Schon wieder Verdruß, Lieber?« jammerte die Vizekönigin.

»Es ist nun schon einmal nicht anders«, tröstete sie der zärtliche Gatte; »auf unserer Höhe müssen wir es uns gefallen lassen, unsern Anteil an den rauhen Winden, die in den Tiefen kaum gefühlt werden, doppelt und dreifach zu erhalten.«

»Aber warum denn auf diesen Höhen leben?« fragte die Doña, nicht ohne sanften Vorwurf.

Beide, der Vizekönig und ihre Schwester, warfen auf die Sprecherin einen jener Blicke, die eine glückliche Mitte zwischen Mitleid und Geringschätzung ausdrücken sollen.

»Ach, warum?« versetzte der erstere. » Pour avoir le plaisir de dire; Tel est notre plaisir. Dieser Verdruß, diese Sorgen, Liebe! Sie sind die Würze des Lebens, sie sind die frischen Brisen, die unsere ermattenden Segel wieder voll spannen, die uns rascher dem Ziele entgegenführen, dem hohen, dem großen, die uns über die feindlichen Kräfte zu triumphieren Gelegenheit geben.«

»Oh, diese feindlichen Kräfte!« seufzte die Dame.

»Sind wie verzuckerte Maikäfer, die unsere in der Hofluft erstorbenen Geister wieder aufregen«, erwiderte lächelnd der Gatte. »Glücklich wir«, fuhr er mit lispelnder Stimme und blinzelnden Augen fort; »überglücklich, daß wir im neunzehnten Säkulo leben, dem es aufbehalten war, diese Quintessenz von politischer und sozialer Raffinerie ans Tageslicht zu fördern, die, gleich dem Spiritus aus den Hefen der Trauben, mit unendlicher Sorgfalt von unsern ehrlichen Talmudisten für unsern höchsten Nutzgenuß gezogen wird. Ah, diese Quintessenz, Legitimität genannt! Sieh, Liebe, es ist ein bloßes Wort; aber dieses Wort hat zehntausend Schilde, die sein inneres Heiligtum bergen und beschützen. – So sanft gleiten wir hinter diesen Schilden dahin, so lieblich! Alles um uns herum ist Süße und Milde, alles Lächeln und Huld und Beglückung und Herablassung. Selbst das Grobe wird erst raffiniert, ehe es zu uns gelangt, das Bittere überzuckert. Siehe die tausende, die pour notre bon plaisir sich totschießen lassen, selbst sie gelangen vor unsere Augen raffiniert, in Quintessenz, in abstrakten Begriffen, in denen besonders die sogenannten Gavachos Meister sind, und die sich recht schön und großartig anhören lassen. Es heißt: sie sind auf dem Felde der Ehre geblieben, ewigen Ruhm erkämpfend, die Nachwelt wird ihren Ruhm verkünden. – Die Nachwelt, wenn sie klug ist, wird eigentlich über die Tröpfe lachen, so wie wir es in unserem Herzen tun. Aber sollen wir nicht, Teure?« fuhr der Mann mit einer seltsam zu schauenden Wollust im Blicke fort. »Sollen wir nicht benutzen, was der Haufe für uns getan, für uns geblutet? Wir benutzen es großartig und belohnen großartig. Wir lächeln, huldreich unsere Zufriedenheit zu erkennen gebend, und weinen selbst gerührt eine Träne, obwohl diese uns schwer ankommt. Wir schrecken zurück vor jedem Schmerze, ganz natürlich! Wie vor jeder unangenehmen Berührung mit dem großen Haufen, und wenn er sich uns nähert, oder gar roh an uns herantritt, können wir dafür, wenn der Blitz unsern Händen entfährt und ihn niederschmettert, oder die Hufe unserer Pferde ihn zertreten? Gewiß nicht. Wir selbst sind nur Milde und Gnade; wir sprechen nur hoch und edel: Nous le désirons, nous l'ordonnons. Tel est notre bon plaisir. – Kann etwas milder sein? Ist es unsere Schuld, wenn die unzarten Handlanger unserer Gewalt unsere milden Befehle rauh und gemein in Ausführung bringen, und auf die Massen mit Feuer und Schwert einstürmen? Ah, Calleja!« Die Damen schauderten bei diesem Namen, und er hielt inne.

Der Mann sprach gerne, sprach, was bei einem Spanier eben nicht sehr gewöhnlich ist, viel und gut; in den blinzelnden Augen lag eine gewisse Wollust im Genusse des Sprechens, und ein Etwas, das weniger harmlose Seelen, als es seine Umgebungen waren, mit Schauder erfüllt haben würde; aber wieder war der Ton seiner Stimme so einschmeichelnd, seine Sprache so schön! – Unsere Leser dürfen nicht vergessen, daß er spanisch sprach; – seine Zuhörerinnen waren ganz bezaubert, obwohl aus ihrer etwas flachen Miene wieder zu erhellen schien, daß sie wenig oder gar nichts von den sublimen Herzensergießungen des regierungslustigen Papa verstanden. Nur Doña Isabels Lippen verbissen sich zuweilen und warfen sich dann wieder wie verachtend und im bittern Hohne auf, den jedoch der Sprecher, dessen Augen auf die Arabesken des Plafonds wie in Verzückung gerichtet waren, nicht bemerken konnte. Ihm schien es Bedürfnis zu sein, sich hier mitzuteilen, wo er weder mißverstanden noch ausgehorcht zu werden befürchten durfte. Er fuhr fort:

»Ah, wir sind doch so ganz Güte und Gnade und Affektion gegen dieses Mexiko. Aber Ordnung, ja Ordnung, die muß sein, diese ist uns Lebensprinzip. Dürfte jedoch noch einige Opfer kosten. Aber ist es denn auch ein so großes Unglück, wenn ein paar Tausende von Plebejern aus dem Wege geräumt werden, den sie uns beschwerlich und rauh zu machen sich erkühnen? Une nuit de Paris, sagt der große Condé recht artig. Nein, Liebe! Nichts herrlicher als Gewalt, sie bringt uns den Göttern nahe. Oh, die Donnerkeule Dios so ganz in sicherer Hand zu halten, zu zerschmettern mit seinen Blitzen, und doch in diesen Blitzen gesegnet, ja angebetet zu werden! Doch leise, leise, langsam, leise«, flüsterte er, wie in Verzückung; »sie träumen – wir sehen es, sie träumen von einer Republik, von Unabhängigkeit mit einer Espece Oberdiener, der sich für fünfundzwanzigtausend Duros zehnmal des Tages mit Kot bewerfen läßt. Sie träumen, sie träumen, sie kommen sprudelheiß heraus; aber sie werden kühler werden, stiller, es billiger geben. Ei, so stille, wie der Rekrut, wenn er die erste Kanonenkugel vor seinen Ohren vorbeipfeifen hört. Der Wahn wird wieder vorübergehen. Und dann? Und dann?« Er rieb sich die Hände. – »Ei, aber dann wollen wir es nicht vorübergehen lassen, nicht ganz so en passant nehmen. Wir wollen dann Sorge tragen für diese heißen Köpfe, freundliche Sorge; – Wohnung, Kost und Kleidung; recht schöne Wohnungen, sehen sich an wie Paläste, nur daß sie Portcullis und Eisentüren und Gitter vor den Fenstern haben, mit einigen hundert Zimmerchen, sechs Fuß lang, sechs Fuß breit, fünf Fuß hoch. – Wohl dem, der nur vier und dreiviertel mißt. – Ei, man muß sie gewöhnen, sie niedriger zu tragen.«

Indem der Mann so sprach, begannen seine Augen so sonderbar zu funkeln, es war, als ob tausend kleine Schlangen sich in denselben herumtrieben und ihre giftig leckenden Stacheln heraus blitzten.

»Und Vorhänge,« fuhr er fort, »recht solide Vorhänge, haben diese Kabinettchen; sie sind von Eisen, und der Fußboden von Stein, recht kühl im Sommer. – Ei, die Acordada und Cordelada, und unsere allerliebsten Infiernellos. Kostbare Erfindung! Die machen Ordnung. Wir haben Köpfe gesehen, die von Norden herabkamen, und von Süden heraufkamen, so kalt, so sprudelheiß, so ungestüm, daß sie uns mit einem einzigen Fußtritte nach dem lieben Spanien zurückzustoßen meinten; aber nach zweimal vierundzwanzig Stunden waren sie so stille, so mäuschenstille! Und wir taten ihnen doch nichts, polterten sie nicht an, sprachen sie nicht einmal. Wir lächelten bloß huldreich, und – sonderbar! – Unser Lächeln, und die Ordnung und Stille, die um uns herum herrschen, hatte den magischen Einfluß auf sie. Ah, Ordnung und Ruhe inmitten des Gedränges und Getriebes, das ist der Probestein des politischen Genies. Wir haben einiges in diesem Fache geleistet. Ordnung und Ruhe, und doch wieder lärmendes Getöse und rauschende Musik. Wollt ihr Gehorsam – gebt ihnen Musik, und wieder Musik, und ihre Gemüter werden weich und ergießen sich und überfließen – dann werden sie so durchsichtig, daß eure blödesten Familiars sie durch und durch schauen und greifen können in der Nacht. Und ein solches Greifen, das wirkt; ei, das wirkt wunderbar! Das Volk sieht nichts und merkt es doch, es wird verblüfft und verstummt. – Dieses Verschwinden der lärmenden Sujets, ei, das macht Ruhe. So in Musik, mitten in fröhlicher Musik, schreitet unsere Gewalt einher im Aufschwunge der Töne, und in den Pausen, da überkriecht ein wohltätiger Schauer die lustigen Gemüter, und erfaßt sie, und siehe da! sie werden stille – todesstille. Seht sie an, sie fühlen und fühlen doch nicht; sie lachen euch in das Gesicht, und es ist ihnen so weinerlich, daß ihr wieder über sie lachen müßt, ihr Herz möchte ihnen zerspringen. Es überkriecht sie ein Schauder, die tobenden Freiheitsmänner, ein Fieberchen, wenn sie die Ordnung sehen und im Hintergrunde die Acordada und den Verdugo. Das Fieberchen kriecht ihnen den Rücken hinab, und ihre Knie schlottern zusammen, und es erfaßt sie ein Grauen, ein ganz possierliches Grauen. Ihre Zunge klebt ihnen am Gaumen. Es ist ein unbeschreibliches Etwas, das über sie kommt und ihnen alle Stärke nimmt, diesen liberalen Helden. Und warum? Weil sie eine so schwache legitime Lunge haben. Sehe ich einen solchen Fieberkranken, dann weiß ich, woran ich bin! Und glücklicherweise kann sich keiner der Engbrüstigkeit in unserer Nähe erwehren. Er ist ergriffen, wie der Nordländer vom Vómito. Es ist das Ordnungs- und Legitimitätsfieber. Ei, wir wollen Mexiko zur Ruhe verhelfen.«

Der Mann hielt nach dieser langen Ergießung auf einmal inne, sah sich scheu um, und schaute die Gesichter seiner Familie einen Augenblick mißtrauisch an; erst als er den unbekümmert harmlosen Ausdruck derselben gelesen, wurde er wieder heiter. Er wandte sich zu seiner Gattin.

»Ah, Laura, nicht wahr, Liebe! Sind ja auch wir miteinander d'accord geworden, obwohl die Holde anfangs ungestüm war.« Er küßte ihre Hand. »Ah, die Doña Laura! Sie war nicht ganz die Doña Isabel, nicht ganz so mutwillig, launig, so ganz Stolz, Liebe und Rache; doch hatte sie etwas vom lieben Schwesterchen. Ah, das liebe Menagieren!«

Er küßte die Hand der Gattin, die wieder die seinige erfaßte und den Kuß erwiderte; aber mit diesem Kusse fiel eine Träne auf die Hand, die den Mann boshaft lächeln machte.

Doña Isabel hatte diese Träne bemerkt. Seine Hand erfassend, deutete sie schweigend auf die Träne, und warf dann die Hand mit Verachtung hinweg.

Sie war zornglühend aufgestanden.

»Tantchen!« rief der zärtliche Familienvater mit süßer Stimme, obgleich die Farbe wechselnd: »Tantchen! Was fällt Ihnen ein? Was ficht Sie an?«

Die Doña wandte ihm den Rücken und trat zum Fenster.

»Geduld, Arbeit und Zeit«, hob der Mann wieder an, »machen aus dem Maulbeerblatt ein Seidenkleid. C'est avec les empires comme avec les enfans. Ils ont leurs périodes. Il faut les gouverner selon des principes. Unser Prinzip ist Ordnung, und wir schmeicheln uns, dieses Prinzip etablieren zu können. Aber meine Lieben, Teuren, Holden!« wandte er sich auf einmal zu den Damen: »Vergebung, tausendmal Vergebung! In unserer Zerstreuung haben wir, teures Tantchen,« er wandte sich an die Doña, die sich wieder gesetzt, und deren Hand er ergriff und küßte, »ganz vergessen. Ja, Tantchen, Ihr heutiges Impromptu war wirklich sublim, so ganz à la reine, ou du moins à la princesse. Sie haben alles scharmiert; recht, à propos! Es hat Sensation gemacht. Auch sind wir Ihnen sehr obligiert für die Mühe Ihres Besuches bei diesem fatalen Conde, den wir jedoch gegenwärtig zu schonen Ursache haben. Aber die Resultate Ihres Besuches, ma belle-soeur? Der Graf, war er éperdu?

Die Dame, obwohl ihre Lippen noch immer in Verachtung zusammengedrückt waren, schien für die Anerkennung ihrer im Paseo gespielten Rolle nicht unempfindlich zu sein.

»Nur«, bemerkte sie etwas spröde, »würden wir wünschen, daß Sie Ihre Corregidores, Alcalden, Alguaziles und Familiares ein wenig mehr in Bewegung setzten. Wir waren wirklich ganz chokiert über die Anmaßung des Volkes; man fuhr uns vor; viele schienen uns sogar nicht zu bemerken.«

»Ist es möglich?« rief der Vizekönig.

»Abscheulich!« die Vizekönigin.

»Sehr unartig!« die Töchter.

»Auf Ehre!« versicherte die Doña.

»Es ist erstaunlich,« fiel der Vizekönig ein, »wie weit die undankbare Vermessenheit dieses Volkes geht. Je humaner, leutseliger wir mit ihm sind, desto unverschämter benimmt es sich; aber es ist eben – Volk. Wir wollen jedoch Sorge tragen, daß dieser Incovenance abgeholfen werde. Die Verordnungen, kraft deren nicht nur jeder Wagen vor unserer Livree stille halten, sondern – –« er hielt inne.

»Ja, ja,« fuhr er nach einer kleinen Pause fort, »es ist wichtig im gegenwärtigen Augenblicke, und gibt ein Air von Zuversicht, von Stärke.«

Der Mann begann wieder, mit sich selbst zu reden.

»Ah, Papa! Wissen Sie,« unterbrach ihn Doña Inez, »daß es sehr chokant ist. Unsere letzten Moden von Cadix, als wir sie erhielten, stellen Sie sich nur vor, wir trafen sie bereits im Paseo an.«

»Das kommt daher, weil einige der jüngern Glieder des Consulado ihren Dulzineen mit den Preiskurrenten und Korrespondenzen auch diese Herzensangelegenheiten mitkommen zu lassen sich befleißen. Wir wollen unserer lieben Inez Abhilfe treffen, obwohl der Handelsstand dadurch einigermaßen beeinträchtigt sein dürfte.«

»Und dann die abscheulichen Leperos«, hob nun Emanuele ihrerseits an. »Ah, Papa, wissen Sie?« sprach sie mit einer Flötenstimme, »daß es uns sehr ennuyiert, jedesmal, so oft wir wünschen, aus dem Theater nach Hause zu promenieren, statt zu fahren – –«

»Und was könnte es sein, das meine liebe Emanuele ennuyiert?« fragte der zärtliche Papa.

»Ach, Papa, diese abscheulichen Leperos, die auf den Straßen herumliegen!« Sie hielt sich den Fächer vor die Augen.

»Das ist ein schwerer Punkt, ma chére fille! Entre nous – – ganz Mexiko steht zu euren Diensten: aber die Leperos – seht, Kinderchen, es sind diese seit undenklichen Zeiten eine Espece Allierte, die wir recht gut gegen die Kreolenkanaille gebrauchen können, und die uns zum Beispiel heute vortreffliche Dienste geleistet haben würden, wenn –«

»Diese Leperos?« fragte die Tochter verwundert.

»Ah, dieses furchtbare Grito!« seufzte die Vizekönigin.

»Ist gar nicht so furchtbar«, antwortete er der letztern; »sind gar nicht so abscheulich, Kinderchen, um nicht zu etwas zu dienen«, den erstern: »Heute wenigstens würden sie uns ein prächtiges Soutien geworden sein; aber dieses Consulado und dieser Conde! – – Nein, nein, Kinderchen, eine gute Regierung muß aus allem Vorteil zu ziehen wissen, und wir gedachten diesem Grito eine Tournure zu geben, obwohl dieses Consulado und dieser Conde de San Jago – –« Der Mann runzelte die Stirn.

»Ist übrigens kein uninteressanter Mann,« fiel ihm die Doña ein, »obwohl er unserem beaufrère zu mißfallen das Unglück hat; uns hat er nicht mißfallen.«

»Der glückliche Conde!« bemerkte der Schwager lächelnd und lauernd.

»So wenig,« versetzte die Doña, »daß wir beschlossen haben, ihn in unsern Zirkel zu ziehen.«

»Wirklich!« rief der Virey nun gespannt.

»Uns will bedünken,« sprach die Doña im hingeworfenen Tone, »daß Señor Vanegas sehr viel überflüssige Diplomatie da anwende, wo sie gar nicht vonnöten, und wieder zu wenig, wo sie ersprießlich gewesen sein dürfte. Mir scheint so,« warf sie in demselben nachlässig spitzigen Tone hin, »sonst dürfte sich Señor Vanegas nicht heute über seinen Guignon zu beklagen Ursache haben. Mein Gott, wer hat je gehört, daß man eine Anleihe – –«

Der Vizekönig war in einige Verlegenheit geraten und rückte unruhig auf der Ottomane hin und her.

»Überlassen Sie uns den Conde und die Nobilitad,« fuhr sie mit einem scharfen Blicke auf ihn fort, »und wir wollen versuchen, ob wir nicht beide menagieren können.«

Er schüttelte den Kopf. »Doña Isabel vermag viel, sehr viel; aber – –« er schüttelte wieder das Haupt. »Zudem, dieser Conde«, flüsterte er ihr leise zu, »ist feuerfest und wasserdicht; aber wirklich, gedenken Sie?« fuhr er, sie aufmerksam betrachtend, fort. »Apropos, ich habe Sie unterbrochen. Was war es doch mit dem sublimen Einfalle, der – –«

»Ein Einfall, den Sie eigentlich zur Strafe noch nicht hören sollten, den wir Ihnen jedoch nicht länger vorzuenthalten gesonnen sind, da die Vorbereitungen schleunig getroffen werden müssen, und das Ganze mit Ihren Plänen selbst in Zusammenhang gebracht werden kann.«

» Ma charmante belle-sœur machen mich im höchsten Grade neugierig.«

»Unsere Wünsche werden insofern übereinstimmen, daß wir dem Conde, wenigstens für einige Zeit, näher um uns zu sein Gelegenheit geben wollen, und mit ihm so vielen Gliedern seiner Familie, als möglich. Ist's nicht so?« fragte sie, ihre Augen auf ihn geheftet.

Der Schwager gab keine Antwort; aber sein Blick war wieder seltsam schlangenartig geworden; es zuckte in den pechschwarzen Augen und rollte und fuhr herum, wie Blitze, die sich im schwarzen Himmelsgewölbe kreuzen.

»Aber wie dies anfangen?« fragte er endlich; »wir, der unumschränkte Gebieter Mexikos, haben einige Ursache, mit diesem Conde vorsichtig zu Werke zu gehen.«

»Der in den Cortes von Cádiz, dem englischen Ministerium, und selbst zu Valençay mehr Anklang findet – –« sie hielt inne.

Der Virey sah sie finster an.

»Er soll nicht bloß geschont, oder, wie Sie sagen, vorsichtig behandelt, er soll sogar flattiert werden, wie es kein Grande Mexikos noch je war«, sprach sie.

»Und die Mittel und Wege?« fiel der Schwager schnell und im höchsten Grade gespannt ein.

»Ein Ball«, versetzte die Doña.

»Ein Ball, Papa! Ein Ball!« riefen die Töchter, während ihn die Gattin zweifelnd ängstlich ansah.

»Ein Ball?« fragte der Virey erstaunt: »Jetzt? Doña Isabel!«

»Jetzt, Señor Vanegas, oder vielmehr sobald die Nachricht von der Niederlage der Rebellen eintrifft, an demselben Tage, an dem das Tedeum gefeiert wird.«

»Ja, das ginge«, erwiderte der Virey.

»Mit dieser Siegesfeier würde eine Art Versöhnungsfest verbunden, ein allegorisches Versöhnungsfest«, flüsterte lächelnd die Doña.

»Noch immer sehe ich aber nicht ein – –« bemerkte der Virey.

»Das wundert uns von der superfeinen Exzellenz«, spottete die Doña; »doch werden Dieselben begreiflich finden, daß die Partien eines Balles so arrangiert werden können, daß vorbereitende Entrevues notwendig werden?«

»Ah, nun begreifen wir! Sehr gut, herrlich.«

»Es gibt interessante Verwicklungen, deren Denouement uns sodann überlassen bleibt; diese Verwicklungen bringen den Conde in unmittelbare Berührung – –«

»Sublim!« brach nun der Virey aus: »Ja, ja, das wäre eine ganz charmante Entreprise, ma belle-soeur! Immerhin muß jedoch der Sieg abgewartet werden; denn wir haben kein Beispiel in der Hofgeschichte Mexikos und der Madre Patria, kein Präzedens, daß, während der Feind die Hauptstadt blockierte – –«

»Und nennt Señor Vanegas diese Rebellen einen Feind?« fragte die Doña stolz.

»Freunde sind sie wahrlich nicht«, versetzte der Virey kopfschüttelnd; »auch fängt unsere Lage an, bedenklich zu werden. Señor Calleja besorgt – sie kämpfen wie Verzweifelte –« Er stützte sein Haupt in seine Hand und versank in Nachdenken. »Pah!« tröstete er sich. »Müssen viele eher fallen, ehe die Reihe an uns kommt.«

»Diese abscheulichen Rebellen!« jammerten die Töchter.

»Mein Gott!« wehklagte die Mutter. »Lieber! Wie Sie auf einmal alteriert werden; sind Sie leidend. Teurer?«

»Es ist nichts, gar nichts«, erwiderte der Virey schwach.

»Nichts, sagen Sie? Nichts? Sehe ich denn nicht mit eigenen Augen? Juan! Pablo! Ximénez! Antonio!«

»Stille!« sprach der Gatte. »Eine kleine Spazierfahrt in den Paseo nuevo wird uns wieder aufheitern bis zur Kamarillastunde. Zuvor müssen wir jedoch noch einen Augenblick in die Staatskanzlei.«

»Und wieder in die Staatskanzlei, und wieder Geschäfte, und nichts als Geschäfte; Sie werden sich doch gewiß noch töten!« seufzte die Gattin, indem sie zugleich den Gatten mit so bekümmerten Blicken ansah, daß dieser, um die Liebenden zu beruhigen, notwendig wieder ganz heiter werden mußte, was ihm denn auch zum Erstaunen wohl gelang.

»Adios, meine Holden!« versetzte er zärtlich, sich erhebend und der Türe zutanzend; »und Ihnen, Schwägerin, einstweilen unsern Dank für den ganz divinen Einfall. Ja, Großes kann bewirkt werden; wir selbst wollen uns mit der Angelegenheit sehr ernst beschäftigen. Adios!« wiederholte er nochmals, den Lieben, Teuren Handküsse aus der Türe zuwerfend, hinter welcher er nun verschwand, um sich den schweren Regierungsgeschäften zu unterziehen und sich mit der Angelegenheit zu beschäftigen, durch die so Großes bewirkt werden sollte, und dieses mitten in einem Revolutionsbrande, der das ganze Reich ergriffen und dessen verzehrende Flammen bereits an die Tore der Hauptstadt heranleckten; eine Verkehrtheit, die, so absurd frivol sie erscheinen mag, doch in der Geschichte dieses Landes zu sehr bewährt ist, als daß wir sie in Zweifel ziehen könnten, selbst wenn nicht die Hofchronik anderer Länder uns gleichermaßen belehrte, mit welchem Leichtsinne die Schicksale so mancher Völker gelenkt und bestimmt werden.

Nach zehn Minuten erschien die vizekönigliche Personnage wieder zum Troste der lieben Familie, die unterdessen ihren Schmerz an der Toilette besiegt hatte. Während dieser Zwischenzeit waren die Equipagen vorgefahren, die Leibgarde aufgezogen und die quasi-königliche Familie bestieg die ersteren, und rollte in Begleitung der letztern über die Plazza der Tacubastraße zu, mit all dem Pompe und in dem schnellen Galoppe, in dem der König der beiden Indien selbst seinen halböden Palast verläßt, und der alljährlich einigen Dutzenden seiner getreuen Leibwachen und Untertanen ihr elendes Leben kostet.


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