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Neunundvierzigstes Kapitel.

Wer zu beugen trachtet
Sein Geschick, muß mit Verstand
Und mit Mäßigung verfahren.

Calderon.

»Ich habe dir vieles zu sagen, San Jago!« hob der Oberst an, »das ist ein perro.« Er warf den Kopf rückwärts auf das Tor deutend, innerhalb dessen der Vizekönig verschwunden war.

Der Conde gab keine Antwort, nickte aber.

»Mich wundert es nicht, daß Mexiko müde ist, ihm nach seiner Pfeife zu tanzen. Ich bedauere dich, San Jago! Sag mir nur einmal, wie du es hier aushalten kannst? –«

Diese Worte waren leise, aber ungemein hastig gesprochen.

»Wir bewegen uns in einem Zirkel, teurer San Ildefonso! Als wir mit deinem Bruder in Paris waren, es sind nun zwölf Jahre – du warst damals zwölf – erinnere ich mich sehr genau, daß du dich wundertest, wie die Franzosen es in Paris aushalten konnten, bei ihrer Küche ohne spanischen Pfeffer. Sechs Wochen darauf fandest du ihre almuerzos und convites erträglich, und zuletzt wolltest du von der Rückkehr nichts mehr wissen, bis uns endlich der ausdrückliche Befehl unseres Hofes zwang, den Pariser Freuden adios zu sagen.«

»Ich liebe diese Franzosen, obwohl sie Gavachos – treulose Affen – sind, aber es ist wieder so viel Neckisches in ihnen, so viel Aberwitz, so viel Mut, so viel Quecksilber, Geistreiches, selbst in ihrem Despotismus; etwas so Großartiges, Pöbelverachtendes. Caramba! Bei uns ist der Despotismus abstumpfend, es ist der schmutzig kriechende, ekelhafte Klosterdespotismus. Spanien ist nur ein großes Kloster.«

»Und Mexiko?« fragte der Conde.

»Eine große Schlachtbank. Demonio! Der Hund entehrt die Grandezza, die er zwar nur quoad personam hat, aber sie doch hat. Vorgestern redete er mich »du« an, erwartend, ich würde es erwidern.«

»Und du?«

»Pah, schnitt eine sehr tiefe Verbeugung und gab ihm bei jedem anderen Worte die Exzellenz Und gab ihm bei jedem andern Worte die Exzellenz. Einer der charakteristischsten Züge der alten spanischen Grandezza ist wohl die Hartnäckigkeit, mit der sie, trotz ihrer Herabwürdigung und Entfernung von aller politischen Macht, seit Philipp II. auf die angenommene Sitte des gegenseitigen Duzens mit einer beinahe lächerlichen Wichtigkeit hält. So konnte der berüchtigte Príncipe de paz das ganze Reich ohne die mindeste Einsprache unter seine Gewalt bringen, die Grandezza unterwarf sich ihm in jeder Hinsicht; aber nie brachte er es dahin, von einem der Grandes geduzt zu werden, so sehr er sich auch Mühe gab. Er wurde stets, wie jeder Neuadlige, Exzellenz (später Durchlaucht und Hoheit) angeredet.

»Das hast du brav getan.«

»Seine Familie ist kaum vierhundert Jahre alt, und wenn die seiner Frau sechshundert Jahre hat, so ist es viel. Ich habe gar keine Vorurteile in diesem Punkte, bin anerkannt liberal, aber –«

»Nichts weniger als der Diderotschen Meinung«, meinte lächelnd der Conde.

»Welcher Diderot wahrscheinlich nicht gewesen wäre, wäre er etwas gewesen Welcher Diderot nicht gewesen wäre. Die witzige Äußerung des Enzyklopädisten ist bekannt. Etikette ist der Katechismus der Kindervölker und der alten Kinder.

»Bravo,« sprach der Conde, »das war wieder gut.«

»Hörst du,« hob der junge Grande wieder an, »wir hatten eine Stunde seither einen vermaledeit sonderbaren Zeitvertreib, und dabei taten wir einen Blick hinter die Kulissen dieses großen Theaterdirektors.« Er sah bei diesen Worten auf das vizekönigliche Schloß hinüber. »Einen Blick, sage ich dir, der uns die Adern hätte gefrieren machen können, hätten wir nicht glücklicherweise ein niederschlagendes Pulver genommen, Demonio! Wir haben Dinge gesehen! – Ein verdammter Gojo, dieser Vanegas!«

»Einige neue Lesearten des Buches el mal gobierno?« fragte der Conde.

»So etwas, hörst du, der Dròle nimmt sich mit Euch Mexikanern verdammte Freiheiten.«

»So wie seine fünfzig Vorfahren vor ihm getan.«

»Weißt du, dein Neffe? –«

»Weiß es, lieber San Ildefonso.«

»Du scheinst eben nicht sehr affiziert. Ein prächtiger Junge, aber verdammt rasch. Bei meiner Seele! Hätte er ein Stilete gehabt, hätte es in den schönsten Busen gerannt. Glaubt denn der Wildfang, solche Busen sind zum Durchstechen?«

»Wie?« fragte der Conde, »Don Manuel Isabel?«

»Ein andermal mehr davon. Jetzt ist er in Sicherheit. Aber du bist ja ganz intim, so was man intim nennt, mit diesem Virey? Ihr beide spielt Eure Rolle gar nicht übel. Demonio! Wir glauben, so ziemlich impassabel sein zu können, und es lernt sich an unserem Hofe, der da gewesen ist; denn Pepe Joseph Napoleon gewöhnlich Pepe, gleichbedeutend mit Joe (Sepperl). weiß keinen Hof zu halten. Und eben deshalb wird er nie populär in Spanien werden. Aber Ihr beide und Euer Spiel – man könnte etwas profitieren. Bin sonst eben nicht aufgelegt, von Eurer Provinzialdiplomatik viel zu halten; aber macht dir Ehre. Trau ihm jedoch nicht. Er war ein Liebling der Marie Luise, des Principe, des alten Carlos und obendrein des Stierkopfes und Tigerherzens Stierkopf und Tigerherz, so wurde Ferdinand VII. von seiner eigenen Mutter genannt.. Deklamierte schrecklich gegen dich in seiner Kamarilla; war wie rasend; dachte anfangs, es sei eine seiner gewöhnlichen Niaiserien, fand aber bald, daß es Ernst war. Wäre sie nicht gewesen, der prächtige Junge wäre jetzt im ewigen Paradiese.«

»Weiß es«, versetzte der Conde. »War deshalb bei ihm.«

»Wirklich?« fragte der Oberst einigermaßen verwundert.

Die beiden gingen eine Weile schweigend neben einander.

» A todos los demonios!« hob endlich der Oberst wieder an. »Mich langweilt dieses Leben in Mexiko. Abschlachten und wieder Abschlachten, und nichts als Abschlachten, wo man hinsieht, geht und steht. Ein ewiges Zusammentreiben, Schänden, Niederwerfenlassen, Abtun, Totschlagen, Stechen, Schießen, Stampfen, Treten. Man verliert die Lust zu allem. Wollte, es wäre vorüber.«

»Es wird noch lange nicht vorüber sein.«

»Pah, wollte dem Dinge in sechs Wochen ein Ende machen. Morellos gefangen, eine Amnestie, diese ehrlich gehalten, und Mexiko ist in einem halben Jahre ruhig.«

»Schon deshalb nicht, weil niemand mehr der Amnestie trauen würde. Wer das erstemal betrogen worden, läßt sich nicht das zweitemal betrügen, sagt unser Sprichwort. Mexiko will Euch los sein, auf alle Weise los sein.«

»Es ist wahr, es ist ein heilloses Gesindel, alle diese meine Landsleute, geistlich und weltlich, der Abschaum des ganzen Spaniens. Wenn man sie, wie der junge Dings sagt, – wie heißt er? Pinto – alle zusammennähme und in der See ersäufte, es wäre und es müßte Jubel im Himmel und in der Hölle geben. Wenn Spanien noch ein Jahr ohne König bleibt, dann ist Mexiko verloren.«

Der Conde schwieg.

»Weiß nicht, ob es nicht besser wäre«, fuhr der Oberst fort. »Seit wir Amerika haben, diese unglückliche Pandorabüchse, ist es mit Spanien rückwärts gegangen. Die Silberbarren Mexikos haben uns unser bißchen Libertad gekostet. Unsere Grandezza, Demonio! es ist eine Schande! Wir sind, im buchstäblichen Sinne des Wortes, Kammerdiener des Königs.«

»Wahr!« sprach der Conde.

»Was glaubst du, daß Mexiko tun wird?«

»Sich frei machen.«

»Pah, ums Wollen ist's nicht, aber ums Vollbringen.«

»Es wird wollen, und sobald es ernstlich will, kommt das Vollbringen von selbst.«

»Glaubst du?« fragte der Oberst.

»Ich glaube es nicht nur, ich bin überzeugt.«

»Du bist überzeugt!« wiederholte der Offizier sinnend. »Du mußt dies am besten wissen. Wäre eine verdammte Geschichte. Unsere ersten Häuser, und die jüngeren Söhne – alle würden Bettler. Zur Kirche will niemand mehr.«

»Begreiflich; wer wird heutzutage eine solche Albernheit begehen?«

»Ich selbst –« fuhr der Oberst fort.

»Dein Mayorasgo im Baxio ist ein herrliches Besitztum, das mir lieber wäre als das Mayorat deines Bruders.«

»Du sprichst als mexikanischer Grande«, versetzte der Oberst lächelnd.

»Und als spanischer.«

»Aufrichtig gesagt, die Grandeza wundert es nicht wenig, wie du es in Mexiko aushalten kannst. Die Welt will wissen, daß du Absichten habest auf eine Espece von Präsidentur, wie die der Estados Unidos.«

»Pah,« versetzte der Conde, »wenn man Grande von Spanien und Mexiko ist, und ein jährliches Einkommen von ein paarmal hunderttausend Duros besitzt, dann, meinte ich, sollte einem die Lust vergehen, sich für fünfundzwanzigtausend per annum zur Zielscheibe des Volkswitzes herzugeben. Man muß jedoch, was man besitzt, zu erhalten suchen, Ildefonso. Und aufrichtig gesagt, so sind unsere Besitzungen, ja unsere Existenz gefährdet, es mag die eine oder andere Partei obsiegen.«

»Das sagte ich auch«, bekräftigte der Oberst, der bloß auf den ersten Teil der Rede des Conde gehört hatte. »Du bist zu stolz, um dich mit diesem Pöbelhaufen einzulassen. Zudem mit dem Plane, der einmal auf dem Tapet war, da wird nichts daraus. Die Cortes sind dagegen.«

»Du meinst das Projekt, den Infanten Don Carlos oder Franzisko zum König von Mexiko zu haben?«

»Fernando würde es nimmer zugeben. Zudem sind sie so elende Kreaturen wie dieser Fernando. A todos los diablos! Weißt du, daß er alleruntertänigst bei Pepe angesucht hat, ihm gnädigst seinen Orden zu verleihen. Er, der König Spaniens, bittet fußfällig um die Orden des Usurpators! Caramba! Unterdessen scheinen die Angelegenheiten des armen Bekanntlich hatten die spanischen Mönche ausgestreut, Joseph Napoleon sei einäugig; ein Umstand, der nicht wenig zur Aufregung der Gemüter beitrug. einäugigen kleinen Pepe nicht sehr gut mehr zu stehen,« fuhr der Oberst fort, »denn die seines großen Bruders gehen den Krebsgang. Es sind Nachrichten von London bis zum ersten Januar hier – so höre doch, San Jago – Nachrichten von Moskau oder Berezina, wie die Örter dieser Barbaren heißen, wo er sich hingewagt. Doch –«

»Glück zu!« sprach der Conde. »Ich weiß es –«

»Kümmerst dich aber nicht darum. So seid ihr Mexikaner alle, ihr kümmert euch nichts um Europa.«

»Sehr viel,« erwiderte der Conde, »denn auch wir wünschen die Befreiung der königlichen Familie sehr, sehr. Wir brauchen einen König, geradeso wie die Wölbung einen Schlußstein braucht. Einen König, er sei noch so schlecht. Nur einen König will Mexiko. Es seufzt nach einem König. Gibt man ihm nicht den König, kann er sich nicht beizeiten festsetzen, Wurzel schlagen, so muß eine Republik kommen. Asanza Gesandter des spanischen Hofes bei den Vereinigten Staaten riet dringend, einen spanischen Prinzen nach Mexiko zu senden, weil nur so dieses Reich der Krone erhalten werden könnte. hat ganz recht, jeder Augenblick Zögerns untergräbt das monarchische System mehr und mehr.«

»Sehr wahr; aber was ist zu tun?«

»Für uns vorläufig nichts anderes, als zu trachten, daß wir, die die großen Interessen des Landes am meisten angehen, die Fäden der Gewalt in die Hände bekommen, die den Eurigen mehr und mehr entschlüpfen; denn gelangen sie in die der Demokraten, so sind wir verloren.«

»Sehr wahr; aber wir können doch nicht, dürfen uns nicht zu den Rebellen schlagen, nicht einmal in Verbindung mit ihnen treten?«

»Es ist etwas ganz anderes, in Verbindung mit ihnen zu treten und sie benützen, zu höheren Zwecken zu lenken.«

»Und tut ihr dies? Pardon meiner albernen Frage, obwohl sie nicht übel gemeint war.«

Der Conde schien ihn überhört zu haben. »Du irrst,« sprach er nach einer Weile, »wenn du glaubst, ich würde dir etwas verhehlen. Deine Interessen sind auch die unsrigen, und wir müssen ihren Stand genau kennen. Macht beruht auf Erkenntnis.«

»Ich bin angewiesen, mit dir in Übereinstimmung zu handeln.«

»Unsere Aufgabe muß sein, eine dritte Partei zu bilden,« bemerkte der Conde, »eine Partei, die unabhängig, gleich einer neutralen Macht, inmitten der beiden erbitterten Kämpfer, und doch über ihnen stehend, den Ausschlag zu geben imstande ist, die Zügel der Regierung selbst im Notfalle zu übernehmen fähig wäre, bis Don Carlos oder Francisco dies könnte; denn die Grundpfeiler eurer Gewalt sind so morsch, so erstorben und verwittert, daß sie wahrscheinlich, treffen nicht ganz besonders günstige Umstände zusammen, ineinander stürzen beim ersten Windstoße.«

»Ich dächte doch, dieser Windstoß wäre gekommen, entgegnete der Oberst. »Die Rebellion währt jetzt beinahe zwei Jahre, und die Rebellenheere erstehen wie die Pilze auf allen Seiten.«

»Indianer und Mestizen,« entgegnete der Conde, »aber keine Kreolen. Du vergißt, daß eine Million Kreolen nicht nur neutral ist, sondern wirklich gegen die Rebellen dient und ficht. Dies wird nicht ewig dauern. Und sobald diese wanken und sich von euch wenden, so ist Mexiko für Spanien verloren. Jetzt will es noch einen König. Erlangt es diesen nicht, so haben wir eine Republik zu gewärtigen.«

»Hol sie der Teufel mit ihrer Republik! War nur ein paar Wochen in der sogenannten großen Republik, bekam sie satt. Ist ein prosaisch gemeines Leben in einer solchen Republik, kein Licht, kein Schatten, alles flach. Nichts Großartiges, hörst du, San Jago! Eine Republik braucht starke Nerven.«

»Deine Bemerkungen sind ganz richtig; ich fürchte keine Republik für Mexiko, ausgenommen wir begehen Fehler, daß wir uns, wie gesagt, die Fäden entwinden lassen.«

»Und du glaubst, eine Republik sei für Mexiko nicht zu fürchten?«

»Für die Dauer nicht, für einige Jahre vielleicht, aber nicht für lange.«

»Und warum?«

»Weil eine Republik, ich meine eine wahre Republik, nicht ohne Selbstherrschaft jedes einzelnen Bürgers bestehen kann, und diese Selbstherrschaft wieder nicht ohne einen hohen Grad politischer Aufklärung, die über die ganze Nation verbreitet sein muß. Denn fehlt sie auch nur einer Kaste, einer Klasse, gibt sich auch nur eine als Mittel her, statt als Zweck aufzutreten, so ist das Gleichgewicht schon gestört, und diese Kaste wird früher oder später das Mittel zur Unterdrückung der Freiheit der übrigen. Wir, die wir unter unseren sieben Millionen Seelen sechs Millionen Material haben, ermangeln wie du siehst, der Hauptbedingung einer Republik, ich meine einer Republik, wie sie sein soll, nämlich die der Estados Unidos, der einzig wahren, die je bestand.«

Der Oberst hatte aufmerksam zugehört; denn die Worte waren in einem gefällig leichten, eindringlichen, aber nichts weniger als belehrenden oder pedantischen Tone gesprochen, so wie die ganze Unterhaltung ungemein leicht war und mehr den Anstrich des Zufälligen hatte.

Der Conde fuhr auf dieselbe Weise fort.

»Aber das Glück, die Größe einer Nation, besteht so wenig in ihrer Regierungsform, als das Glück des Bürgers in der Fassade des Hauses beruht, das er bewohnt; wenn dieses nur seinen Umständen angemessen und bequem ist. Wir sind für eine Monarchie geschaffen.«

» Donc!« sprach der Oberst.

»Wir haben eine Grandezza, eine reiche Grandeza, vielleicht die reichste der Welt. Wir haben eine wohlhabende Nobilitad. Wir haben Gremios, unsere Paisanos, unsere Cabezillas und endlich unsere Leperos. Wir haben eine Hierarchie aller Stände, und so Materialien zu einem tausendjährigen Reiche.«

»Bei meiner Seele!« lachte der Oberst. »Verdammt schlechte Materialien.«

»Vielleicht nicht so schlecht; wenn du die Sache genauer betrachtest, so wirst du finden, daß gerade mit solchen Materialien, wie wir sie haben, unsere Madre Patria und Francia so Großes leisteten. Analysiere einmal die große Nation in ihre Bestandteile, und du wirst sie nichts weniger als grandios finden. Wo alle aufgeklärt sind, wie in den Estados Unidos, da ist die Regierung immer schwach. Wo ganze Massen in Unwissenheit vergraben sind, da kann durch Aufgeklärtere Großes bewirkt werden. Als Reich haben wir daher vor unseren Nachbarn einen Vorteil voraus.«

Der Oberst schüttelte den Kopf.

»Als Reich gehen wir einer großartigeren Bestimmung entgegen, als die stolzeste Phantasie zu träumen vermag. Unser Land ist der Ring, der die zwei Hälften des schönsten Weltteiles verbindet. Es steht in unserer Macht, die Pforte zu werden, durch die der Handel der Welt geht. San Ildefonso! Nur diese Landenge von Panama durchstochen, und alle Völker der Erde bezahlen Mexiko Tribut.«

»Wahr«, sprach der Oberst.

»Es sind Materialien zu der prachtvollsten Monarchie der Welt; aber wenn wir den Zeitpunkt versäumen, die Krisis vorübergehen lassen – –«

»Was zu tun? Ich bin ein geborener Spanier, mein Eid, meine Pflicht – –«

»Binden dich an König und Vaterland. Bleibe du beiden getreu. Unsere Wege gehen zum Teil gemeinschaftlich, unser Interesse ist ganz dasselbe, und dies kannst du auch in deiner gegenwärtigen Lage fördern; Mittel und Wege wollen wir dir bei Zeit und Gelegenheit offenbaren.«

»Aufrichtig gesagt, ich liebe diese neuen Throne nicht.«

»Auch ich nicht,« versetzte der Conde; »aber etwas ganz anderes ist es um eure neugebackenen Miniaturthrone, etwas anderes um den tausendjährigen Thron der Montezumas, den die Natur selbst errichtet und der einen Fuß im Stillen Ozean und den andern im Weltmeere stehen hat.«

»Du siehst die Lage der Dinge großartig an,« sprach der Oberst, »sehr großartig. Ich bewundere dich. – Wohl sehe ich, daß dieses Land einem neuen Geschicke entgegengeht, daß es geleitet wird durch eine gewaltige, aber unsichtbare Hand. Du wirst dich nicht mit der Canaille einlassen. – Also eine Mittelpartei willst du bilden, aus Kreolen und Spaniern. – Wohl, ich bin einverstanden und stehe dir zu Diensten mit meinem Regimente, wann und wo du mich brauchst. Du unternimmst doch nichts gegen das Königtum?«

»Nein!« war die Antwort.

Jetzt standen sie am Ausgange der Plaza; herüber schaute der Itztaccihuatl in seinem schneeweißen Gewände, so hehr, so keusch, so rosig, die Schneefelder erglänzten so prachtvoll! Beide standen im Anschauen der hehren Nachtszene verloren.

»Die Werke der Natur bleiben ewig, die der Menschen zerstören sich selbst im Radlaufe der Zeit. Vor weniger denn dreihundert Jahren stand hier der Teocalli Mexicotls, der Palast Montezumas.« Er deutete bei diesen Worten auf die Kathedralkirche und den Palast des Vizekönigs. – »In zehn Jahren wird auf den Trümmern beider eine neue Gestaltung erstanden sein.«

Sie waren am Eingange der Tacubastraße angekommen, wohin ihnen der Wagen des Conde nachgefolgt war. Starke Infanterie- und Kavallerie-Piketts hatten diesen Ausgang besetzt und öffneten sich auf den Wink des Obersten. Der Conde war im Begriff, in den Wagen zu steigen, als aus der Tiefe der Straße herauf Glockengetön und das Kreischen von Stimmen, die Litaneien absangen, heraufschallte. Als die Reiter diese Töne hörten, sprangen sie von ihren Pferden, die Infanterie warf sich auf die Knie und die Tausende in der Straße und auf der Plaza folgten ihrem Beispiele. Eine lange Todesstille unter den vielen Tausenden, während welcher der Wagen im Fackelscheine näher kam. Es war ein seltsam gebauter, offener Wagen, in dem ein Priester im Ornate saß, vor sich auf der Brust mit beiden Händen eine Art Skapulier haltend, mit dem er das Volk links und rechts segnete. Der Wagen war mit Maultieren bespannt und umringt von dreißig jungen Geistlichen und Kirchendienern, in weißen und roten Gewändern, die Litaneien sangen und ein betäubendes Glockengetöne erschallen ließen. Er zog langsam der Kathedrale zu. Während der ganzen Zeit waren Volk, Fußgänger und Reiter auf der Erde gelegen. Erst als der Priester innerhalb der Pforten der Kathedrale verschwunden, erhoben sie sich wieder.

»Es ist Poesie in diesem Spektakelaufzuge«, sprach der Oberst, indem er aufstand.

»Eine gräßliche Poesie; aber wir verdanken ihr eine schöne Wirklichkeit.«

»Du bist ein wahrer Aristokrat, ein geborener Aristokrat«, lächelte der Oberst.

»Das bin ich, Gott sei Dank!« sprach der Conde. »Adios!«


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