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Sechsundvierzigstes Kapitel.

Der Wahrheit Wort beschämt des Teufels Knechte,
So wie den Meister.

Foscaris.

»Ah, unser Conde de San Jago, der edle Conde de San Jago, unser treuester Freund, mehr als Freund, Bruder!« rief der Virey entzückt, dem Grafen entgegeneilend, der neben der Gattin des Virey Platz genommen hatte und sich nun erhob, um dem Satrapen seine Ehrfurcht zu bezeugen.

»Bleiben Sie doch sitzen, teurer Conde, keine Komplimente; tun Sie, als ob Sie ganz zu Hause wären. Ah, Sie sind doch nie gewohnt, etwas schuldig zu bleiben. Kaum, daß wir Sie durch eines unserer Familienglieder überraschen, so sind Sie auch bereits auf dem Wege, unsere Aufmerksamkeit auf das schmeichelhafteste zu erwidern.«

»Und wie befindet sich unsere teuerste Condesa Elvira? Noch immer leidend?« fragte die Vizekönigin.

»So jugendliche Gemüter sind zart wie die ersten Sprößlinge des Frühlings«, fiel ihr wieder der Virey ein. »Der mindeste Frosthauch. – Es wird sich jedoch geben, teuerster Graf! Ganz gewiß geben, liebe Laura!« wandte er sich zu seiner Gattin. »Sie müssen mir den Conde ja recht bitten helfen, daß er uns seine Gesellschaft künftighin etwas mehr schenke und sich nicht so ganz seinen Indianern und Mestizen ergebe.«

»Wir haben gehört, Conde, wie Sie so ganz Vater Ihrer Dependientes Die Indianer, die auf den Landgütern der mexikanischen Großen teils für Lohn dienen, teils ihre Freiheit zeitweilig veräußert haben. sind«, sprach die Dame im angelegentlichen Tone.

»Ach, Inez und Emanuele! Ihr freut Euch bereits auf die Gesellschaft der herrlichen, der lieben, der edlen Elvira! Ja, Conde, die beiden, mit Doña Isabel, haben bereits eine allerliebste kleine Verschwörung gegen Sie angezettelt, in die Sie und Ihre liebe Mündel gezogen werden sollen. Sie sehen, wir beschäftigen uns in Ihrer Abwesenheit viel mit Ihnen.«

Der Virey sprach so feurig, schien so ganz scharmiert von dem überraschenden Besuche, daß die Familie, die anfangs etwas lauernd den Papa beobachtet, nun gleichfalls in hohem Grade entzückt geworden war, und Töchter und Mutter dem Conde auf ihre eigene Weise zu verstehen gaben, wie sie sich nach der holden Condesa gesehnt, dem Muster mexikanischer Condesas.

»Gerade diesen Abend«, fiel ihm der Virey wieder ein, »hatten wir eine kleine Kamarilla von wenigen guten Freunden, die uns oder vielmehr unserer lieben Schwägerin das Vergnügen verschafften, sie auf ein Stündchen abends zu besuchen; und wir haben ihr ausdrücklich aufgetragen, unsern lieben Conde für die nächste Soirée zu laden, dessen Einsichten zu benutzen wir uns bisher so sehr, obgleich vergeblich, bemüht haben. Ah, Conde! Nur zehn, nur fünf solche Männer wie Sie, und Mexiko würde bald wieder in seiner vorigen Ordnung sein.«

Dagegen äußerte der Conde, mit einer entsprechend tiefen Verbeugung, daß ein so erleuchteter Staatsmann, der bereits in zwei Weltteilen auf eine so ausgezeichnete Weise in das Rad der Weltereignisse eingegriffen, schwerlich viel durch die Aufklärung eines auf seine Besitzungen und den Umgang seiner Dependientes beschränkten Edelmannes gewinnen dürfte.

»Da hört man wieder einmal die liebe Bescheidenheit«, entgegnete lächelnd und mit dem Finger drohend der Vizekönig. »Der Conde San Jago auf den Umgang seiner Dependientes beschränkt, er, der mit den Herzogen von J–o, von L–a, den Grafen von R–ys, den ersten Cortes und Inglesen in so genauer Verbindung steht. Ah, Conde! Es war ganz überflüssig von seiten Ihrer Magestad der Cortes Die Cortes führen in der Regel das Prädikat Durchlauchtig; während der Gefangenschaft Fernandos VII. wurden sie Magestad angeredet., Ihnen diesen Beweis von Achtung dadurch zu geben, daß sie Ihnen die Erlaubnis erteilten, mit auswärtigen Großen zu korrespondieren, oder Bücher und Zeitungen ohne unser Vista zu erhalten. Wir würden uns gewiß das größte Vergnügen gemacht haben, einem so ausgezeichneten Edelmanne, an dessen Freundschaft uns so sehr gelegen – nein, Conde! Sie verkennen uns wirklich, wenn Sie nicht tüchtig auf unsere Freundschaft lossündigen, da wir unsererseits ganz überzeugt sind. Ja, lieber, teurer Freund!«

Der Mann, indem er so seinen Gast mit Versicherungen seiner unbegrenzten Freundschaft wie betäubte, war immer wieder in der Mitte dieser Versicherungen auf eine ominöse Weise stecken geblieben.

»Uns tut es wirklich sehr leid um Sie, teurer Freund, daß der skandalöse Auftritt wegen der elenden drei Millionen Piaster in Ihrem Hause vorgefallen. Wie muß Ihr patriotisches Herz geblutet haben bei solcher Gemeinheit! Aber es sind gemeine, gemeine Menschen diese Consuladoleute; keine Ehre, keine edle Empfindung, keine Erziehung, kein loyaler, großartiger Gedanke! Sie benehmen sich im Hause des ersten Edelmannes gerade wie in der Tienda eines ihrer Genossen, oder im Parian.«

Der Conde bedauerte das Fehlschlagen dieser Negoziation, verhehlte jedoch nicht, daß, im Falle Se. Exzellenz zuverlässigere Hypotheken angeboten hätte, der Skandal vermieden und die Anleihe zustande gekommen wäre.

»Zuverlässigere Hypotheken?« erwiderte der Virey, wie erstaunt. »Heilige Jungfrau! Zuverlässigere Hypotheken! Dieses Monopol des Quecksilbers wirft reine – –«

»Hat bis zum Jahre 1810 siebenmal hunderttausend Duros abgeworfen,« bemerkte der Conde, »aber beim gegenwärtigen Stocken der Bergwerksgeschäfte, behauptet das Consulado, werfe es keine hunderttausend ab. Und wirklich,« setzte der Graf hinzu, »wir wissen aus eigener Erfahrung, daß unser Bedarf für die acht Anteile, die wir an unserer Mine haben, jährlich auf die zehntausend Duros stieg, wogegen wir gegenwärtig nicht für tausend brauchen.«

»Ah, Conde! Sie waren so weise, sich noch beizeiten zurückzuziehen. Aber sei dem wie ihm wolle, ist der Dienst Sr. Majestät – sollen Untertanen Sr. Majestät wegen elender drei Millionen –?«

Der Conde schüttelte das Haupt. »Kaufleute, Exzellenza, sind nur halbe Untertanen; ihr Vaterland ist wo ihr Geld ist, und dieses, wissen Euer Exzellenz, haben nun die meisten bereits außer Landes in Sicherheit gebracht.«

Diese Worte waren ernst und nachdrücklich gesprochen. Überhaupt hatte der Conde etwas Düsteres, das selbst die freundlichen Blicke der Damen, die unverwandt an ihm hingen, nicht aufheben konnten. Es lag etwas Seltsames, Unerklärliches in diesen aristokratischen und wieder antiken, edlen Zügen, etwas, das unwillkürlich Teilnahme erregte. Man sah, daß ein unheilbringender Stern Wolken über Stirne und Gesicht hingelagert hatte, die schwer auf die ursprüngliche Elastizität dieses Geistes drückten. Aber wieder war das Auge so fest, der Blick so ruhig, so zuversichtlich, als ob sie recht deutlich zu sagen schienen, daß wenn das Schicksal ihm diese unheilschwangern Wolken auf die Stirn lagern konnte, er Kraft habe, sie zu ertragen und selbst zu brechen.

Indem der Virey in dieses Auge blickte, schien ein solcher Gedanke in ihm aufzusteigen, denn er war auf einmal nachdenkend geworden, und während die Damen mit wachsender Teilnahme in dieses Gesicht schauten und mit jenen seelenvollen Blicken auf ihm ruhten, die große und ruhige Gemüter schönen Augen zu entlocken pflegen, hatte des Vireys Miene einen Ausdruck von Verlegenheit und Unsicherheit angenommen, die er vergeblich zu bemeistern strebte.

»Wir müßten uns sehr irren, wenn der Besuch des sehr edlen Conde de San Jago nicht mit irgendeinem Geschäfte verbunden sein sollte?« sprach er auf einmal in strengerem Tone und mit einer stolzeren Haltung, die vielleicht die inneren Regungen zu verschleiern, vielleicht seinen Gast in etwas aus seiner Fassung zu bringen berechnet waren.

»Wenn Euer Exzellenz Muße haben?« erwiderte der Conde.

»Für den Conde de San Jago stets«, erwiderte der Virey mit gespannter Artigkeit, zugleich auf die Flügeltüren deutend.

Die Damen sahen etwas betroffen den beiden nach, wie sie in den anstoßenden Gemächern verschwanden.

»Wir können nicht umhin, Ihnen zu gestehen, lieber Conde,« hob der Virey plötzlich in einem strengen und beinahe verweisenden Tone an, und einer Wendung, die grell mit der soeben beteuerten, unbegrenzten Freundschaft kontrastierte, »wir können wirklich nicht umhin, Ihnen unser Mißfallen über den Vorfall zu erkennen zu geben, der in Ihrem Hause und unter Ihren Augen und im Beisein der Nobilitad stattgefunden hat, von der wir ein ganz anderes Benehmen erwartet hätten.«

»Die hohe Nobilitad ist noch immer in unserem Hause versammelt«, erwiderte der Conde. »Übrigens werden sich Euer Exzellenz erinnern, daß nicht wir das Consulado zum Negozieren einluden, sondern daß im Gegenteil Euer Exzellenz selbst sowohl als der Handelsstand uns hierüber ihre Wünsche eröffneten. Wie wir bereits bemerkt, so mußten Euer Exzellenz in Ihren Verhandlungen mit dem Consulado ganz auf kaufmännische Weise verfahren, da dieses sich natürlich weniger durch Rücksichten als durch das Äquivalent bestimmt, das ihm für sein Kapital wird. Euer Exzellenz Mißfallen kann weder das Consulado noch die Nobilitad treffen.«

Diese unter den damaligen Verhältnissen sehr kühne Äußerung schien den Virey in Erstaunen zu setzen.

»Dann werden wir uns wohl selbst die Schuld beimessen müssen«, versetzte er lauernd.

»Allerdings«, bemerkte der Conde ruhig. »Das Resultat dieser Negoziationen konnte Euer Exzellenz tiefer Einsicht um so weniger entgangen sein, als die Stimmung des Consulado infolge erlittener Verluste und anderseitiger Schädigungen nichts weniger als günstig war.«

Der Virey öffnete die Augen weit, sein Erstaunen, wahr oder erkünstelt, wurde immer größer. »Und,« fragte er wieder in demselben lauernden Tone, »und ist das Wort eines Virey von Mexiko –?«

»Vergebung, Señor!« erwiderte nach einer Pause der Conde. »So gewichtig das Wort eines Virey in Mexiko ist, so souverän, so ist doch sehr zu bezweifeln, ob die Cortes Magestad –«

Der Virey schüttelte wie getäuscht das Haupt.

»Haben Euer Herrlichkeit Nachrichten aus der Madre Patria erhalten?« fragte er gleichgültig.

Der Conde hielt einen Augenblick inne. »Wir haben Nachrichten erhalten. Sie sind wichtig für Ihro Exzellenz, und wir glauben Ihnen einen Gefallen zu tun, wenn wir Ihnen eröffnen, daß wirklich der Gedanke rege ist, Ihnen einen Nachfolger zu geben.«

»Uns einen Nachfolger zu geben?« lächelte der Satrap so ungläubig, daß man hätte schwören sollen, es sei das erste Wort, das er soeben von der seiner Herrschaft drohenden Gefahr vernommen. Ganz war er jedoch nicht imstande, seine Verlegenheit zu verbergen. Er sah den Grafen lauernd an.

»Es ist wirklich so«, sprach der Conde gelassen. »Es gehört jedoch dies nicht zum Geschäfte, mit dem wir untertänig Euer Exzellenz zu behelligen uns notgedrungen sehen. Euer Exzellenz werden zweifelsohne über diesen Punkt bereits richtigere und zuverlässigere Nachrichten haben. Was eigentlich die Veranlassung war, die uns bewog, Euer Exzellenz in dieser späten Stunde mit unserem Besuche zu belästigen, werden selbe wissen. Es ist der unglückliche verblendete Jüngling, den wir noch vor vier Tagen unsern Neffen nannten, von dem wir uns jedoch innerhalb dieser vier Tage loszusagen bemüßigt worden.«

Der Conde konnte nicht endigen, denn der Satrap war mit allen Symptomen des heftigsten Unwillens auf ihn zugeschritten. Einen durchbohrenden Blick warf er auf den Edelmann, dann überflog sein Gesicht eine höhnisch lächelnde Schadenfreude, die zu sagen schien: also deshalb die lange Einleitung! Dann wurde sein Auge finster und seine Stimme erhob sich drohend.

»Nein, Conde!« sprach er heftig. »Ich bitte Sie, kein Wort mehr von diesem Elenden, bei unserer Ungnade! Ah, dieser Ihr Neffe! Wie wir ihn geliebt! Wie wir für seine Karriere bedacht, ungeachtet seines gräßlichen Leichtsinnes, für seine Karriere bedacht gewesen. Conde, kein Wort weiter. Ich bitte, ich befehle.«

»Wir würden einen größeren Beweis von Wohlwollen darin gesehen haben,« erwiderte der Conde sehr ruhig, »wenn Euer Exzellenz den Leichtsinn des Jünglings bestraft, aber zugleich seine künftige Laufbahn denjenigen überlassen hätten, denen die Sorge für diese obliegt.«

»Und wem obliegt diese Fürsorge, wenn nicht dem Repräsentanten geheiligter Majestät? Fürwahr, Conde! Ihre Grundsätze – beinahe sollten wir –. Aber wie gesagt, fürder bei unserer Ungnade –«

»Vergebung, Excelencia!« fuhr der unerschütterliche Conde fort, »wenn wir diesmal Ihren hohen Befehlen weniger Gehorsam leisten, selbst auf die Gefahr hin, uns Ihrer Ungnade auszusetzen. Ihr eigenes Interesse, Exzellenz, erheischt noch weit mehr als unser persönliches Interesse, daß Sie mich anhören. Die unglückliche Verblendung des jungen Menschen hat zu Resultaten geführt, die um so trauriger sind, um so gefahrbringender Ihren Interessen werden müssen, als ein Glied Ihrer Familie, in sein unheilbringendes Geschick verflochten, an diesem eigentlich schuld ist.«

»Conde! Was sagen Sie?« schrie der Virey, der stolz und rasch zur Klingel trat und mit der Hand eine Bewegung danach machte.

»Wir bemerken Euer Exzellenz bloß,« fuhr der Conde fort, »daß Mexiko über diese sonderbare Huld oder Strafe, wir wissen eigentlich nicht, welches die passendere Benennung ist, sehr befremdet ist, und daß diese Befremdung in einem Zeitpunkte, wo die allerhöchsten Interessen so ganz auf der kreolischen Bevölkerung beruhen, allerdings um so mehr beachtenswert sein dürfte, als sie in dem Schicksal des jungen Menschen ihr eigenes erblickt. Es ist wirklich eine sonderbare Strafe für ein sehr problematisches Vergehen.«

»Problematisches Vergehen!« fuhr der Virey erstaunt auf, »und sonderbare Strafe! So nennen Sie unsere Gnade, wenn wir aus huldreicher Rücksicht für Ihre Familie da geschont haben, wo wir verdammen sollten. Wir sind Virey, Señor Conde!« sprach er, sich emporrichtend mit einer stolzen Betonung, »und als solcher der Stellvertreter geheiligter Majestät, die da ist unumschränkter Gebieter. Wir werden unsere Handlungen zu verantworten wissen. Aber was wollen Sie?« fuhr der Gewaltige wieder in sanfterem Tone fort. »Wir haben, aus besondern Rücksichten, wie gesagt, für Ihr hohes Haus und Ihre Freunde in der Madre Patria, uns bewogen gefunden, Ihren Neffen, statt ihn zur Armee abzusenden, wie er es verdient hätte, in die Madre Patria abgehen zu lassen; und dieser Neffe, statt sich der erwiesenen Gnade würdig zu bezeigen, überfällt mit dem Banditen, den sie Vicente Guerrero getauft haben, den braven Major Ulloa, so Hochverrat an König und Vaterland begehend.«

»Im Falle er sich dieses Verbrechens schuldig gemacht hat, und allerdings ist er des Hochverrats schuldig, obgleich nicht auf die Weise, die Euer Exzellenz anzugeben geruhten, so ist es unser Wunsch, daß er vor die Schranken eines kompetenten Gerichtes, ja selbst einer Militärkommission, gestellt werde. Auf alle Fälle müssen wir für ihn, als einen kastilianischen Edelmann, die Fueros seines Standes in Anspruch nehmen, und zwar um so mehr, als er in seiner Verzweiflung sich freiwillig gestellt hat.«

»Wie, was?« rief der Virey erstaunt. »Er hat sich gestellt, freiwillig gestellt? Wo? Wie? Wann?« rief er überrascht. »Doch nicht im Heere von Cuautla Amilpas? Ich hoffe, er wird nicht! Der Unglückliche! Sie kennen Señor Calleja? Selbst als Verbrecher liegt er uns noch Ihretwegen, Conde, sehr am Herzen.«

»Euer Exzellenz werden wissen, daß er bei seinem Eintritte, Schlag halb sieben Uhr, an der Hinterpforte des Palastes vom Alguazil Antonio Ruffo verhaftet und in das Staatsgefängnis geschleppt ward.«

Diese Worte waren so bestimmt gesprochen, das Auge des Sprechenden hatte so ruhig und durchdringend am Virey gehangen, daß dieser den Blick nicht auszuhalten vermochte.

»Beinahe sollten wir glauben,« versetzte er höhnisch, »der Conde San Jago«, er betonte das San Jago, »sei Herr geworden in diesem Palaste und in Neuspanien. So genau weiß er alles, was vorgeht, daß wir beinahe Lust hätten –« er trat wieder zur Klingel.

»Euer Exzellenz«, fuhr der Conde in demselben unbewegten Tone fort, »sind ohne Zweifel Herr der Schicksale dieses Jünglings; aber obwohl wir innig überzeugt sind, daß er Strafe, und zwar Todesstrafe verdient, so sind wir doch wieder ebenso gewiß, daß Mexiko nicht nur, sondern auch die Cortes Euer Exzellenz der Verfolgung von Privatabsichten anklagen werden, wo Sie nur höhere im Auge haben sollten, daß wir nicht umhin können, Euer Exzellenz freundlich zu warnen. Wir verbergen Euer Exzellenz nicht, daß die Sendung Don Manuels bereits sehr viel Aufsehen erregt, welches Aufsehen kaum vermindert werden dürfte, wenn die Originale von dieser Kopie bekannt würden.«

Er überreichte unter diesen Worten dem Virey einige beschriebene Blätter. Dieser verlor die Farbe, als er sie flüchtig übersah, faßte sich jedoch schnell wieder.

»Und wenn uns höhere Rücksichten für das Staatswohl, der Dienst unseres allergnädigsten Herrn veranlaßten?« sprach er stotternd.

»Das können Sie nicht; keine Rücksichten können Euer Exzellenz ermächtigen, den Neffen unter dem Vorwande von Strafe und Gnade zu töten, oder um getötet zu werden, in die Madre Patria abzusenden und so das Hindernis aus dem Wege zu räumen, das Ihnen zum Besitze des Vermögens seines Onkels im Wege steht.«

In dem Gesichte des Virey war während dieser letzten Minute wieder eine außerordentliche Veränderung vorgegangen. Des Mannes Wangen, bisher gerundet und, wenn wir uns so ausdrücken dürfen, in einer Sonntagshaltung, waren ganz aus ihren Verhältnissen gewichen, höhlten sich und fielen schwer grob herab, das Auge, scharf und geistreich, war gläsern und stier geworden. Die Lippen, die bisher zusammengepreßt oder vornehm sich öffnend, dem Gesichte einen eigenen Reiz verliehen, preßten sich trotzig zusammen. Das ganze Gesicht hatte ein Gepräge erhalten, das der Spiegel der Seele häufig dann anzunehmen pflegt, wenn sein Besitzer, die innersten Tiefen enthüllt sehend, die Maske abgeworfen hat. Es war ein ekelhaft gräßlich lasterhaftes Gesicht geworden.

»Wenn wir es aber doch zu tun Lust hätten, den Versuch doch wagen wollten? Schätzchen Conde!« lachte er mit heiserer, grober Stimme. »Ja, Sie selbst, Lieber, Guter, hier behalten wollten, auf die Gefahr hin hier behalten wollten?« lachte er wieder. »Liebes Schätzchen! Was sagen Sie dazu?«

Und wieder entfuhr ihm ein Lachen, das aber mehr Roßgewieher als Lachen war, und dann trat er wieder zur Klingel.

»Sie sind eine Art Staatsmann,« fuhr er fort, »und wissen nicht, daß in der Politik die Mittel, die am schnellsten, am sichersten zum Zwecke führen, immer die besten sind. Schätzchen! Sie haben drei Millionen im Auslande?« Er legte die Hand an die Schnur und lachte wieder.

»So wollen wir Euer Exzellenz vorläufig noch einige Papiere zur Unterhaltung geben«, sprach der Conde mit demselben Marmorgesichte.

»Wie, was ist das?« rief der erbleichende Satrape. »Woher haben Sie diese Quittungen?«

»Die beglaubigten Originale sind in unseren Händen,« erwiderte der Conde ruhig, »und wieder nicht in unsern Händen, das heißt, sie sind außer Mexiko in der Verwahrung von Personen, die angewiesen sind, für einen gewissen Fall sogleich davon Gebrauch zu machen. Wie Sie sehen, so sind es Quittungen über zwei Millionen Duros, von dem Hause G–th ausbezahlt, und zwar ausbezahlt als Pachtgeld für das Vireynato von Mexiko, das Euer Exzellenz für diesen Vorschuß in die Hände Englands, was nämlich den Handel betrifft, für ein Jahr zu liefern sich anheischig gemacht haben.«

Der Virey hatte während dieser kalt, aber eindringlich gesprochenen Worte seine Fassung wieder erkünstelt; denn so hochverräterisch und verdammend diese Papiere für jeden Staatsbeamten in einer wohlgeordneten Verfassung gewesen wären, unter den damaligen Verhältnissen Mexikos und Spaniens, welches letztere ausschließlich in der Gewalt Englands war, lieferten sie nur einen traurigen Beleg mehr von der tiefen Verworfenheit der Staatsbeamten und jener Cortes, die, während sie mit hochtönenden Phrasen die Rechte ihres Souveräns verfochten, ihr Vaterland und ihre Mitbürger dem natürlichen Feinde ihres Landes zu verkaufen, niederträchtig genug waren.

Indem der Virey flüchtig zu überdenken schien, was wir hier angedeutet, hatte er sich allmählich wieder gesammelt.

»Ihr Neffe«, sprach er hohnlächelnd, »muß doch sterben, und der Conde San Jago vielleicht –«

» Auch, wollen Euer Exzellenz sagen«, fügte der Conde ruhig hinzu. »Wollen Sie gefällig noch etwas ansehen?«

Er überreichte ihm abermals zwei Papiere, die er aus seiner Rocktasche gezogen hatte.

»Noch etwas?« meinte die Exzellenz mit demselben gräßlichen Hohnlächeln. »Wird aber doch nichts helfen; denn bei dieser Zeit – ist Ihr Neffe – wahrscheinlich schon – en el paraiso.«

»Würden es bedauern«, sprach der Conde kalt; »denn wenn er es ist, so werden Euer Exzellenz ihm sehr bald folgen.«

Diese dritte und letzte Dosis war zu stark für den bisher so impassablen Virey; denn er hatte kaum einen Blick in die Papiere geworfen, als er entsetzt »Teufel!« und wieder »Teufel!« schrie und dann halb ohnmächtig dem Conde in die Arme taumelte.

»Die Originale sind gleichfalls außer Landes, aber zur stündlichen Verfügung bereit«, sprach dieser unbewegt, indem er den Virey zu einem Sofa führte. »Euer Exzellenz dürften es vielleicht nicht gern sehen, daß die Cortes oder Fernandos geheiligte Majestät oder die Audienzia erführen, daß Sie wirklich mit Josef Bonaparte in Unterhandlung stehen und sich bereitwillig erklären, ihm dieses Reich zu überliefern, sobald Cádiz sich ihm unterworfen.«

»Still, still, um Gottes willen still!« stöhnte der Virey, der schwach die Hand emporstreckte und ihm den Mund zuhielt.

Plötzlich schien er sich zu besinnen; er sprang auf, haschte nach der Klingel, die er so heftig riß, daß mehrere Pagen und Kämmerer zugleich ins Kabinett gerannt kamen. Er flüsterte einem etwas ins Ohr und stieß ihn dann zur Tür hinaus.

»Lauft, eilt, bei unserer Ungnade, fort mit Euch!« schrie er ihm und den übrigen zu; dann sank er wieder wie erschöpft in das Sofa.

Es trat nun eine Pause ein, während welcher die beiden gewaltigen Repräsentanten des bureaukratisch-despotischen und aristokratisch-monarchischen Interesses – denn dies konnten sie im vollen Sinne des Wortes genannt werden – auch keine Silbe sprachen.

Nach zehn furchtbar langen Minuten waren rasche Fußtritte zu hören, und Señor Ruy Gómez trat ein; sein Gesicht war totenbleich und gräßlich verzerrt.

Der Virey warf einen Blick auf den Mandatar seines Willens, dann sank er ächzend und stöhnend ins Sofa zurück.

»Euer Exzellenz haben mir die Antwort gegeben«, sprach der Conde mit tödlicher Kälte; »ich empfehle mich zu Gnaden.«

»Und warum«, flüsterte Señor Ruy Gómez, »ihn nicht gleichfalls festhalten? Señor Calleja würde es tun; in einer Stunde wäre alles abgetan.«

Die Exzellenz hob die Hand zur Klingel, ließ sie aber wieder sinken.

»Geht nicht!« stöhnte sie, »geht nicht! Er ist der Teufel.«

Es entstand wieder eine Pause; der Conde warf einen Blick auf den halb Ohnmächtigen, der, die Papiere krampfhaft zusammenpressend, sich auf dem Sofa krümmte, und verbeugte sich dann, im Begriffe, das Kabinett zu verlassen.


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