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Neunzehntes Kapitel.

Die Rückkehr der Königin nach Kenilworth erfolgte erst nach einer langen und höchst erfolgreichen Frühjagd, an die sich ein Festmahl schloß, das nicht minder lange dauerte; und erst nach Schluß desselben konnte sich Leicester unter vier Augen mit Varney treffen. Aus seinem Munde erfuhr er die sämtlichen Einzelheiten der Flucht der Gräfin, wie sie nach Kenilworth durch Foster berichtet worden waren, der sich, in seiner Angst vor den Folgen selbst nach dem Schlosse auf den Weg gemacht hatte. Da Varney sich in seiner Darstellung weislich hütete, von jenen Praktiken ein Wort zu sagen, die gegen die Gesundheit der Gräfin unternommen worden waren, und deren Kenntnis sie zu dem verzweifelten Schritte getrieben hatte, war Leicester, der infolgedessen nur annehmen konnte, sie habe so gehandelt bloß aus maßloser Ungeduld, sich die ihrem Range gebührenden Ehren zu verschaffen, nicht wenig erregt über den Leichtsinn, mit dem sich seine Gemahlin über die von ihm gegebnen Anordnungen hinweg- und sich selbst dem Zorne der Königin ausgesetzt hatte.

»Wir werden,« suchte Varney ihn zu beruhigen, »über das alles noch leidlich hinwegkommen, wenn Mylady sich bestimmen läßt, die Rolle anzunehmen, die die Zeit befiehlt.«

»Das trifft allerdings nur zu sehr zu, Sir Richard,« erwiderte Leicester. »Es gibt hier tatsächlich kein andres Heilmittel. Ich habe sie in meiner Gegenwart als Deine Frau anreden hören, ohne zu widersprechen. Sie muß den Namen tragen, bis sie von Kenilworth weg ist.«

»Und hernach auch noch lange, meine ich,« erwiderte Varney, und sogleich setzte er hinzu: »denn ich kann nur hoffen, daß es noch lange dauern möge, bis sie den Titel einer Lady Leicester fühlen wird ... ich fürchte, vielleicht so lange, wie die Königin leben wird. ... Aber Eure Herrlichkeit ist am besten Richter, denn Ihr allein wißt doch, wie Ihr mit der Königin daran seid.«

Leicester seufzte und schwieg eine Weile, ehe er Antwort gab.

»Varney, Du bist, wie ich denke, mir treu, und ich will Dir alles sagen. So fest, wie ich stand, stehe ich nicht mehr. Ich habe bei Elisabeth ... unter welch wahnsinnigem Impulse, weiß ich nicht ... über ein Thema gesprochen, das sich nicht aufgeben läßt, wenn nicht jedes weibliche Gefühl auf das empfindlichste getroffen werden soll, und das ich doch weder weiter verfolgen kann, noch verfolgen will. Die Königin kann mir niemals, niemals verzeihen, daß ich sie bestimmt habe zu solcher Nachsicht gegen menschliche Schwächen, und daß ich Zeuge dieser Nachsicht gewesen.«

»Wir müssen etwas tun, Mylord, und zwar rasch,« sagte Varney.

»Es läßt sich nichts tun unsrerseits,« antwortete Leicester in großer Verlegenheit, »ich gleiche jemand, der lange gestrebt hat, einen gefährlichen Abhang zu erklimmen, und der knapp vor dem Gipfel, wenn er bloß noch den letzten schlimmen Schritt zu machen hat und nicht mehr zurück kann, sich jäh im Lauf gehemmt sieht. Ueber mir sehe ich den Gipfel und unter mir den Abgrund, in den ich stürzen muß, sobald mich Schwindel packt und es mir nicht mehr möglich ist, auf meinem gefahrvollen Standpunkte mich zu halten.«

»Denkt besser von Eurer Lage, Mylord,« erwiderte Varney, »probieren wir das Mittel, mit dem Ihr Euch eben einverstanden erklärtet. Halten wir Eure Heirat geheim vor Elisabeth, und es kann sich alles ganz gut machen. Ich will sogleich selbst zu unsrer Dame gehen. Ich bin ihr verhaßt, weil sie richtig argwöhnt, daß ich Eurer Herrlichkeit im Punkte jener Rechte, die sie für sich beanspruchen zu dürfen meint, zum Widerspruch geraten habe. Aber ich schere mich nicht darum, ob sie mich haßt oder nicht; bloß hören soll sie mich und zeigen will ich ihr, aus welchen Gründen sie sich dem Drucke der Zeit fügen muß! und es ist mir nicht im geringsten zweifelhaft, daß ich Euch ihr Einverständnis mit allen Maßregeln, die ergriffen werden müssen, bringen werde.«

»Nein, Varney,« sagte Leicester, »darüber, was zu geschehen hat, habe ich selbst schon nachgedacht, und ich werde persönlich mit Amy sprechen.«

Jetzt kam die Reihe, Furcht für die eigne Person zu empfinden, an Varney. Bisher hatte er seine Rolle, nur um seines Gönners willen Furcht zu empfinden, äußerst geschickt gespielt.

»Eure Herrlichkeit wird doch nicht selbst mit der Dame reden?«

»Es ist mein fester Vorsatz,« erwiderte Leicester; »hol mir einen von den Dienerschaftsmänteln; die Schildwache soll mich für einen Eurer Diener halten. Du hast ja das Recht, zwanglos bei ihr zu verkehren.«

»Aber, Mylord!« ...

»Ich mag kein Aber hören,« versetzte Leicester, »so soll es sein und nicht anders. Hunsdon schläft meines Wissens im Sankt Lowes-Turm. Von diesen Räumen aus können wir zu ihr gelangen, ohne Gefahr, von jemand getroffen zu werden. Zudem ist Hunsdon wohl eher auf meiner als auf andrer Seite und schwerfällig genug, um alles für richtig zu nehmen, was ich ihm sage. ... Hol mir auf der Stelle den Mantel!«

Varney blieb nichts andres übrig, als zu gehorchen. Binnen wenigen Minuten stand Leicester in den Dienermantel gehüllt da, zog die Mütze über die Stirn und folgte Varney durch den geheimen Gang, der das Schloß mit Hunsdons Gemächern verband, wo kaum Gefahr bestand, jemand zu begegnen, und der auch düster genug war, um alle Neugierde illusorisch zu machen. Sie gelangten zu einer Pforte, durch die sie schritten, und die sie hinter sich abschlossen.

»Nun steh uns bei, ehrlicher Teufel, wenn es solch einen gibt,« sagte Varney vor sich hin, »und hilf Deinem Sohne aus der Patsche, denn mein Boot fährt in der Brandung.«

Gräfin Amy saß mit aufgelöstem Haar und losem Gewande auf einem Ruhebett. Tiefer Kummer stand auf ihrem Gesicht, und jäh schreckte sie empor, als die Tür aufging. Jäh wandte sie sich um, und als sie Varney sah, rief sie: »Elender, kommst Du, eine neue Bosheit zu vollführen?«

Leicester fiel ihr in die Rede.

»Mit mir, Madame, habt Ihr zu sprechen,« rief er in einem Tone, der mehr zürnend als liebevoll klang, indem er den Mantel abwarf und einen Schritt vortrat.

»Wie auf einen Zauberschlag wandte sich Amys Blick und Wesen, als sie diese Stimme hörte.

»Dudley!« schrie sie, »Dudley! kommst Du endlich?«

Wie ein flinkes Reh war sie an seiner Seite, umschlang seinen Hals mit den Armen und überhäufte ihn, Varneys Anwesenheit nicht achtend, mit den innigsten Liebkosungen. Leicester meinte ihr zürnen zu müssen, aber sein Zorn verflog, als er das herrliche Weib ansah, wie Spreu vor dem Winde.

Als der erste Freudenrausch vorüber war, sah sie ihn schärfer an, und nun sah sie die Wolken, die auf seiner Stirn lagerten. »Dudley,« rief sie voller Angst, »Dudley, bist Du krank?«

»Nicht körperlich ... aber, Amy, ach, Amy!« sprach er, »Du hast mich ins Verderben gestürzt!«

»Dudley,« rief sie erschreckt, »ich Dich ins Verderben? wie sollte ich Dir Leid antun können, da ich Dich doch mehr liebe als mich selbst.«

»Ich möchte Dich nicht schelten, Amy,« erwiderte der Graf, »aber hast Du nicht all meine Befehle mißachtet? ... und setzt Deine Anwesenheit in diesem Orte nicht Dich und mich in ernste Gefahr?«

»Wirklich? ist dies der Fall, Mylord?« rief sie ängstlich; »o, warum bin ich dann noch hier? Ach, wüßtet Ihr, Dudley, welche Angst und Pein mich von Cumnor-Place weggetrieben! doch ich will nichts sagen von mir ... bloß eins, daß ich nicht gern wieder dorthin möchte, wenn es sich irgendwie vermeiden ließe ... nein, nicht wieder dorthin! nicht wieder dorthin – doch wenn es Eure Sicherheit notwendig machen sollte ...«

»Wir wollen uns auf einen andern Aufenthalt für Euch besinnen,« erwiderte Leicester, »Ihr sollt Euch auf eins meiner Schlösser im Norden begeben, Amy ... als – – nun, Amy, es wird notwendig sein, doch nur auf wenige, sehr wenige Tage – – als Varneys Frau.«

»Wie, Mylord of Leicester!« rief die Lady, sich aus seiner Umarmung frei machend ... »Ihr stellt Eurer Gattin, Eurem Eheweib vor Gott, das Ansinnen, das entehrende Ansinnen, sich als die Frau eines andern Mannes auszugeben? und gar eines Menschen, wie dieses Varney?«

»Madame, ich spreche im Ernst – Varney ist mein getreuer Diener, mein erprobter und ehrlicher Diener, der in meine tiefsten Geheimnisse eingeweiht ist ... Besser, ich verlöre meine rechte Hand, als seine Dienste in solcher Zeit wie dieser! Ihr habt keine Ursache, ihn so zu schelten, wie Ihr jetzt tut.«

»Ich könnte jemand anschuldigen, Mylord,« versetzte die Gräfin, »und ich sehe ihn erbeben, diesen jemand, so fest und sicher er sich stellt. Aber jemand, der Euch so nötig ist, wie die rechte Hand, ist frei jedweder Anschuldigung durch mich. Möge er Euch treu sein, möge er wahr gegen Euch sein! und damit er sich so erweise, vertraut ihm nicht allzu viel! Doch genug! verlaßt Euch, Mylord, daß ich mit ihm nicht gehe, außer Ihr treibt mich mit Gewalt ... und daß ich ihn nie, nie als meinen Gemahl weder erkenne noch nenne, und wenn alles, alles sich gegen mich ...«

»Es ist ja nur ein zeitweiliger Behelf ...« sagte Leicester, verdrießlich über ihre Weigerung, »aber notwendig zu unser beider Sicherheit, die gefährdet worden ist durch Euch, durch Eure Launen, durch Euren vorzeitigen Wunsch, eine Stellung zu bekleiden, zu der ich Euch erhoben, doch nur unter der Bedingung, daß unsre eheliche Verbindung eine Zeitlang verborgen bleiben sollte. Mißfällt Euch mein Vorschlag, dann ruft Euch ins Gedächtnis, daß Ihr selbst die Veranlassung dazu geschaffen habt. Es gibt kein andres Mittel ... Ihr müßt tun, was Eure ungeduldige Torheit selbst notwendig gemacht hat ... ich befehle es Euch.«

»Ich vermag Euren Befehl, Mylord,« erwiderte die Gräfin, »mit denen der Ehre und des Gewissens nicht in Einklang zu bringen, und werde Euch in diesem Falle nicht gehorchen! Ihr mögt die eigne Ehre weiter aufs Spiel setzen, bis zur Ehrlosigkeit, dem Ende, zu welchem solche krumme Wege immer führen ... ich aber will und werde nichts tun, was meine eigne Ehre im geringsten gefährden könnte! Wie möchtet Ihr mich je als Eure Gattin anerkennen wollen, wenn ich im Lande herumziehen wollte als das Weib eines ... Subjektes wie dieses Varney?«

»Mylord,« mischte hier sich Varney ein, »Mylady ist leider von zu feindseliger Gesinnung gegen mich erfüllt, als daß sie Vorschlägen zustimmen könnte, die aus meinem Munde kommen; immerhin finden sie doch vielleicht eher ihren Beifall als die, die sie jetzt vernommen hat. Mylady hat viel Vertrauen zu Herrn Tressilian; ich glaube, sie könnte ihn leicht dazu bestimmen, sie zurück nach ihrem väterlichen Herrensitze zu führen; in Libcote-Hall könnte sie doch ganz gut die Zeit verweilen, die verstreichen muß, bis das Geheimnis verlautbart werden darf.«

Leicester schwieg, stand aber da und schaute gespannten Blickes auf Amy ... Argwohn und Unwillen erglühten zugleich in seinem Blicke.

Die Gräfin sprach nichts weiter als:

»O, wollte Gott, ich wäre in meines Vaters Hause! ... als ich den Fuß hinaussetzte, da dachte ich kaum, daß ich die Ruhe meines Gemüts und meine Ehre hinter mir lassen würde!«

Varney fuhr in einem Tone, der verriet, daß er sich seiner Sache sicher fühlte, fort:

»Zweifelsohne wird solcher Schritt es notwendig machen, daß gewisse fremde Personen Einblick in die Angelegenheiten Mylords gewinnen – – doch dürfte die Frau Gräfin ohne Frage für Junker Tressilians Schweigen ebenso einstehen, wie für dasjenige ihres Vaters und ihrer andern Angehörigen ...«

»Still, Varney!« rief Leicester, »mein Dolch soll Dir in die Geweide fahren, wenn Du noch einmal Tressilian als Träger meiner Angelegenheiten nennst!«

»Und weshalb nicht?« fragte die Gräfin ... »sie müßten denn in seiner Hand nicht anders ruhen denn in den Händen dieses Menschen! ... doch kenne ich Junker Tressilian als einen Mann von unbefleckter Ehre ... Mylord, Mylord, blickt mich nicht so finster an ... es ist die Wahrheit, und mein Mund ists, aus dem sie Euch klingt ... Um Euretwillen tat ich Tressilian einst weh ... ich mag nicht weiter unrecht an ihm tun dadurch, daß ich schweige, wenn seine Ehre in Betracht steht. ... Ich kann es unterlassen,« setzte sie hinzu mit einem Blick auf Varney, »der Heuchelei die Maske wegzureißen, aber ich werde nicht zugeben, daß Tugend in meiner Gegenwart geschmäht werde.«

Eine Totenstille trat jetzt ein. Leicester stand verdrießlich, aber unschlüssig da, der schwachen Füße, auf denen seine Sache stand, sich mehr als bewußt, während Varney mit erheucheltem Schmerze und erheuchelter Demut die Blicke zum Erdboden niederschlug.

Ruhigen Schrittes, mit edler Würde im Blick und im Wesen, trat Amy auf den Grafen zu. ... Umsonst rang ihre starke Liebe mit ihrer Festigkeit, die ihr Wahrhaftigkeit und Rechtsbewußtsein liehen, zu gunsten des geliebten Mannes.

»Ihr habt Eure Meinung ausgesprochen, Mylord,« sagte sie, »in einem Falle von solcher heiklen Art, daß ich mich leider außer stande sehe, Euch zu Willen zu sein. Dieser Edel ... Mensch, will ich sagen ... hat einen andern Ausweg angedeutet, gegen den ich nichts zu sagen wüßte, außer daß er Euch mißfällt. Gefällt es Eurer Lordschaft, anzuhören, was ein junges, schüchternes Weib, doch Euer Euch in innigster Liebe zugetanes Weib in diesem Falle schlimmer Bedrängnis rät?«

Leicester schwieg, aber er neigte vor der Gräfin das Haupt, wie zum Zeichen, daß sie nicht behindert werde, fortzufahren.

»Zu all diesem Herzeleid hat bloß eines geholfen, das ist die Unwahrhaftigkeit, die geheimnisvolle Doppelzüngigkeit, in die Euch zu hüllen, Ihr verleitet worden seid. Befreit Euch mit einem einzigen Ruck aus diesen unwürdigen Netzen, Mylord! Seid ein echter englischer Edelmann, Ritter und Graf, der Wahrheit als das Fundament aller Ehre ansieht und aufrecht hält und dem diese Ehre so teuer ist wie der Atem seiner Lungen. Nehmt Euer von Unglück geschlagnes Weib an der Hand, tretet mit ihr vor den Thron Eurer Königin ... bekennet, daß Ihr in einem Augenblick des Rausches, bewogen durch ihre vermeintliche Schönheit, von der jetzt wohl niemand mehr auch nur die Trümmer zu erkennen vermöchte ... Amy Robsart Eure Hand zum Bunde fürs Leben gegeben habt! ... Damit werdet Ihr mir Gerechtigkeit verschaffen, Mylord, und Eurer Ehre desgleichen; und sollte alsdann Gesetz oder Gewalt von Euch fordern, daß Ihr Euch von mir lossagt, so werde ich mich dem nicht widersetzen ... weil ich mich dann, wenn auch gebrochnen Herzens, mit Ehren in jenen Schatten zurückbegeben kann, wohin Ihr mich weiset. ... Dann, Mylord, habt bloß ein Weilchen noch Geduld .... und Amy wird Euch nicht lange mehr im Wege stehen ... weder Euch noch Eurer strahlenden Zukunft!«

Dem Grafen schienen die Schuppen von den Augen zu fallen ... wie erschüttert stand er da ob dieses Uebermaßes von Würde, das aus diesen Worten der edlen Frau zu ihm sprach ...

»Ich bin Deiner, Amy, nicht würdig,« sprach er; »wie konnte ich alles, was Ehrgeiz zu bieten vermag, einsetzen gegen ein Herz wie Deines? Eine schwere Buße harrt meiner, da ich vor meinen höhnischen Feinden und meinen verblüfften Freunden alle Maschen meiner trügerischen Gelbsucht aufdecken muß. ... Und die Königin? ... Doch mag sie mir das Haupt vom Rumpfe schlagen lassen, wie sie gedroht hat!«

»Euer Haupt, Mylord?« sagte die Gräfin; »weil Ihr Euch jene Freiheit nahmt, die jedem britischen Untertan gehört, ein Weib Euch zu nehmen, wie es Eurem Herzen gefiel? ... Pfui! eben dieses Mißtrauen gegen die Gerechtigkeit der Königin, diese Furcht vor einer eingebildeten Gefahr ist es, was Euch abgelenkt hat von dem Pfade der Wahrheit, der immer sowohl der beste wie auch der sicherste ist.«

»Ach, Amy, Du weißt wenig!« sagte Dudley, aber sogleich tat er sich Einhalt und fügte hinzu: »Doch sie soll in mir kein wehrloses, bequemes Opfer ihrer Rache finden gleich Norfolk ... nein! ich habe Freunde, habe Verbündete ... Amy! sei ohne Furcht! Du sollst Dudley würdig sehen des Namens, den er trägt! ... Laß mich gehen; ich muß mich auf der Stelle in Verkehr setzen mit jenen Freunden, auf die ich mich am festesten verlassen kann; denn wie die Dinge zurzeit stehen, könnte ich leicht Gefangner werden in meinem eignen Schlosse!«

»O, mein lieber Lord,« flehte Amy. »Erhebt nicht die Fahne des Aufruhrs in friedlichem Staate! Es gibt keinen Freund, der Euch bessern Dienst leisten könnte, als Eure eigne Wahrheitsliebe und Gerechtigkeit, als Eure eigne Ehre! Nehmt bloß sie zu Hilfe, und Ihr seid sicher vor Neid und Bosheit! Verzichtet auf sie, und alle Verteidigung wird Euch nichts nützen. ... Wahrheit, mein edler Lord, kennt in der Malerei keine Waffen!«

»Aber Weisheit, Amy, trägt schwere Rüstung!« erwiderte Leicester. »Rechte nicht mit mir über die Mittel, die ich gebrauchen werde, meine Beichte abzulegen ... denn so muß ich sagen. ... Bei aller Vorsicht, die ich walten lassen werde, wird es mir an Gefahr nicht fehlen ... Varney, wir müssen fort! Amy, lebe wohl! ich will Dich mein nennen um einen Preis und eine Gefahr, deren einzig und allein Du wert und würdig bist! ... Du sollst bald weiter von mir hören!«

Er umschlang sie innig, wickelte sich in seinen Mantel wie vorhin und begleitete Varney aus dem Gemache. Der letztere, als er den Fuß hinaussetzte, verbeugte sich tief und blickte, als er sich aufrichtete, die Gräfin mit merkwürdigem Ausdruck an, wie wenn er sehen wollte, bis zu welchem Grade er selbst in die Versöhnung einbezogen sei, die zwischen seinem Gönner und der Gräfin eben stattgefunden hatte. Die Gräfin aber sah auf die Stelle, wo er stand, nicht als ob er dort stünde, sondern als ob statt seiner die Luft dort wäre. ...

»Sie hat mich aufs Aeußerste gebracht,« zischte er, ... »sie oder ich! Noch immer hat mich was ... obs Furcht war oder Mitleid ... bestimmt, das Aeußerste zu meiden ... jetzt ists entschieden ... sie oder ich muß fallen!«

Dieweil er so sprach, ward er zu seinem Staunen eines Jungen ansichtig, den die Schildwache zu Leicester geführt hatte, und mit dem jetzt Leicester sprach. Varney war einer von jenen Politikern, die auch die geringfügigste Ursache nicht ohne Erwägung lassen. Er fragte die Wache, was der Junge gewollt habe, und bekam zur Antwort, daß ihr der Junge ein Kästchen habe geben, das sie aber nicht habe annehmen wollen, weil es der Gräfin habe gebracht werden sollen. Seine Neugierde wurde vollauf befriedigt, denn als er jetzt zu dem Grafen trat, hörte er ihn zu dem Jungen sagen:

»Gut, Junge, das Paket wird besorgt werden.«

Darauf erreichten Leicester und Varney raschen Schrittes das Gemach des Grafen, auf demselben Wege, der sie nach dem Sankt Lowes-Turme geführt hatte.


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