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Achtzehntes Kapitel.

Es traf sich an diesem denkwürdigen Morgen, daß eine der ersten, die in aller Frühe im vollen Jagdschmuck aus ihrem Zimmer trat, die Fürstin selber war, der all diese Lustbarkeiten galten, Englands jungfräuliche Königin. Sie hatte kaum einen Schritt über die Schwelle ihres Gemaches getan, als Leicester auch schon an ihrer Seite war und ihr den Vorschlag machte, bis zur Beendung der Jagdrüstungen den Lustgarten zu besichtigen.

Sie gingen selbander zu dieser neuen Stätte der Augenweide – gelegentlich stützte Leicesters Arm die Königin, wo lange Reihen von Stufen – damals eine beliebte Zierde in Gärten – sie von Terrasse zu Terrasse führten. Die begleitenden Hofdamen waren klug genug, nicht in der Nähe der Königin zu bleiben, obwohl sie sie nicht aus den Augen ließen, und so wurde das Gespräch zwischen der Königin und dem Grafen weder gestört noch belauscht.

Was sie miteinander sprachen, ist im einzelnen nicht überliefert worden. Noch die, die sie aus einiger Entfernung beobachteten – und die Augen von Höflingen und Hofdamen sind sehr scharf – , waren der Meinung, daß noch nie die hohe Würde, die Elisabeth sonst in Gebärde und Gang bewahrte, so offenkundig sich habe gehen lassen und Unentschlossenheit und zärtliche Vergessenheit verraten habe. Ihr Schritt war nicht nur langsam, sondern auch unsicher – etwas ganz ungewohntes in ihrer Haltung. Ihre Augen waren auf den Boden geheftet – ja, einige wollten sogar eine Träne in ihrem Auge und eine Röte auf ihren Wangen gesehen haben. Zu welchen Schlüssen diese Beobachtungen führten, ist klar, und wahrscheinlich waren diese Schlüsse auch nicht völlig grundlos. Edelmänner so gut wie Schäferburschen sagen in solchem kritischen Augenblick mehr, als sie eigentlich wollten, und Königinnen so gut wie Dorfschönen hören länger zu, als sie sollten. So hatte Elisabeth mit mehr Gunst als sonst den romantischen Galanterien gelauscht, mit denen sie immer angeredet zu sein liebte, und der Graf ging aus Eitelkeit oder aus Ehrgeiz oder aus beidem immer mehr aus sich heraus, bis die Sprache der Liebe selber von seinen Lippen kam.

»Nein, Dudley,« sagte Elisabeth, doch in gebrochnem Tone, »nein, ich muß die Mutter meines Volkes sein. Andre Bande, die die niedrige Maid glücklich machen, sind der Landesherrin versagt. Nein, Leicester – drängt nicht weiter in mich. Wäre ich wie andre und stünde es mir frei, mir mein eignes Glück auszusuchen – dann, ja dann! – aber es kann nicht, kann nicht sein. Schiebt die Jagd auf – schiebt sie auf eine halbe Stunde auf und verlaßt mich, Mylord.«

»Wie, Euch verlassen, Majestät?« sagte Leicester. »Hat mein Wahnwitz Euch beleidigt?«

»Mit nichten, Leicester!« antwortete die Königin rasch. Wahnwitz ist es wirklich und darf nicht wieder aufgebracht werden. Geht – aber geht nicht weit von hier – und bis dahin laßt niemand mich stören.«

Während sie so sprach, verneigte Dudley sich tief und zog sich leise und wie tief betrübt zurück. Die Königin sah ihm nach und murmelte vor sich hin: »Wäre es möglich – wäre es doch nur möglich! Doch nein – nein – Elisabeth muß allein Englands Frau und Mutter sein!«

Das Gemüt dieser Elisabeth Englands mochte wohl durch diese Unterredung ein wenig aus seinem Gleichgewicht gebracht worden sein – aber dank ihrer Festigkeit und Entschlossenheit hatte sie bald ihre natürliche Stimmung wieder erlangt. Als sie mit langsamem Schritt sich dem Innern der Grotte näherte, hatte ihr Gesicht wieder seinen würdevollen Blick und ihre Miene wieder ihren herrischen Ausdruck erlangt.

Da sah die Königin, daß eine weibliche Gestalt neben und zum Teil hinter einer Alabastersäule stand, an deren Fuß der helle Springbrunnen emporstieg, der in der innersten Tiefe der von Halbdunkel erfüllten Grotte sprudelte. Im Nähertreten blieb sie im Zweifel, ob sie eine Statue oder eine Gestalt von Fleisch und Blut vor sich hätte. Die unglückliche Amy stand regungslos – sie verlangte danach, ihre Hilflosigkeit einer ihres Geschlechts mitzuteilen, und empfand doch auch Furcht vor der erhabnen Gestalt, die sich ihr näherte, und in der ihre Furcht, obwohl ihr Auge sie noch nie erschaut hatte, sie doch sofort die Person erkennen ließ, die sie wirklich war. Amy war von ihrem Sitze aufgestanden in der Absicht, die Dame anzureden, die allein und – wie sie zuerst dachte – zu so gelegner Stunde die Grotte betrat. Aber als sie daran dachte, daß Leicester immer mit größter Unruhe davon gesprochen hatte, die Königin könne einmal von ihrer heimlichen Ehe etwas erfahren, und als sie immer mehr die Ueberzeugung gewann, daß die Person, die sie vor sich sah, Elisabeth selber sei – da blieb sie stehen – einen Fuß vor und einen zurückgesetzt, Arme, Haupt und Hände völlig regungslos und die Wange so bleich wie die Alabastersäule, an der sie lehnte.

Auch als Elisabeth bis auf ein paar Schritte herangekommen war, blieb sie noch im Zweifel, ob sie sich nicht getäuscht habe. Sie blieb daher stehen und heftete auf die interessante Erscheinung ihr fürstliches Auge so fest und scharf, daß das Erstaunen, das Amy in Regungslosigkeit hatte verharren lassen, der Furcht wich und sie unter dem gebietenden Blick der Fürstin allmählich den Blick niederschlug und das Haupt senkte. Bei dieser tiefen und langsamen Neigung des Hauptes blieb aber doch ihre Gestalt sonst ohne Bewegung und ihr Mund ohne Laut.

Die Kleidung und das Kästchen, das sie instinktiv in der Hand hielt, brachten Elisabeth natürlich auf die Vermutung, die Person, die sie erblickte, sei eine Darstellerin in einem Maskenspiele, wie deren schon verschiedne zu ihrer Huldigung veranstaltet worden waren, und das arme Mädchen hätte, aus Furcht vor ihrer Nähe, entweder ihre Rolle vergessen oder den Mut verloren, sie zu spielen. Sie sagte daher im Tone herablassender Güte:

»Wie, Du schöne Nymphe dieser Grotte, hat Dich ein Zauber im Bann oder bist Du von dem bösen Hexenmeister, den die Menschen Furcht nennen, mit Taubheit geschlagen?«

Anstatt zu antworten, fiel die unglückliche Gräfin vor der Königin auf die Knie, ließ ihr Kästchen aus der Hand fallen, schlug die Hände ineinander und sah zu der Königin empor, mit einem Ausdruck der Angst und der flehentlichen Bitte, der Elisabeth sichtlich rührte.

»Was soll das bedeuten,?« sagte sie. »Du bist in größrer Erregung, als dem Anlaß entspräche. Steh auf, Mädchen – was willst Du von Uns?«

»Schutz, hohe Frau,« stammelte die unglückliche Bittstellerin.

»Den genießt jede Tochter Englands, solange sie seiner würdig ist,« versetzte die Königin; »aber Dein Unglück scheint eine tiefere Wurzel zu haben als die vergessne Rolle. Warum und in welcher Sache begehrst Du Unsern Schutz?«

Amy bemühte sich, schnell darüber klar zu werden, was sie am besten sagen würde, um sich vor den drohenden Gefahren zu schützen, die sie umgaben, ohne ihren Gemahl, zu gefährden, aber in dem Chaos, das ihr Gemüt bedrückte, fand sie keinen klaren Gedanken und konnte, auf die wiederholte Frage der Königin nur antworten:

»Ach! ich weiß es nicht!«

»Das ist Torheit, Mädchen,« sagte Elisabeth ungeduldig. »Wir find nicht gewöhnt, so oft Fragen zu stellen, ohne eine Antwort zu erhalten.«

»Ich bitte – ich flehe um Schutz –« stammelte die unglückliche Gräfin, »um Euern huldvollen Schutz gegen – gegen einen gewissen Varney.«

Sie würgte an dem verhängnisvollen Wort, das die Königin sofort aufgriff.

»Was Varney? – Ritter Richard Varney – der Diener Lord Leicesters? – was, Mädchen, seid Ihr ihm? was ist er Euch?«

»Ich – ich – war seine Gefangne – und er trachtet mir nach dem Leben – und ich bin geflüchtet...«

»Um Euch unter meinen Schutz zu begeben, ohne Frage,« sagte Elisabeth. »Du sollst ihn haben, – das heißt, wenn Du dessen würdig bist, denn wir wollen dieser Sache auf den Grund gehen. – Du bist,« fügte sie und heftete auf die Gräfin einen Blick, der ihr bis ins Tiefste der Seele dringen zu sollen schien, »Du bist Amy, die Tochter des Ritters Sir Hugh Robsart von Lidcotehall?«

»Vergebt mir, vergebt mir, meine huldvolle Fürstin!« sagte Amy und fiel abermals auf die Knie.

»Was sollte ich Dir vergeben, törichtes Mädchen?« fragte Elisabeth, »daß Du die Tochter Deines Vaters bist? Du bist nicht recht klar im Kopfe, wie mir scheint. Na, ich sehe, ich muß die Geschichte stückweis aus Dir herausholen. Du hast Deinen alten, ehrenwerten Vater betrogen ... Dein Blick gesteht es ... Du hast Junker Tressilian hintergangen ... Dein Erröten bekennt es ... und hast eben diesen Varney geheiratet.«

Amy sprang auf und unterbrach die Königin rasch:

»Nein, hohe Frau, nein – so wahr ein Gott über uns ist, ich bin nicht die Frau dieses verächtlichen Sklaven – dieses ausgemachten Schurken! Ich bin nicht die Frau Varneys! Eher möchte ich die Braut des Todes selber sein.«

Ihrerseits bestürzt durch Amys Heftigkeit, stand die Königin einen Augenblick still und sagte dann:

»Nun, Gott erbarme sich, Weib! – ich sehe, Dein Mundwerk ist flott genug, wenn das Thema Dir zusagt! Sage mir, Weib – denn bei Gottes Tage, ich will es wissen – wessen Weib oder Maitresse bist Du? – Sprichs aus und sei geschwind – Du möchtest eher mit einer Löwin spielen können als mit Elisabeth.«

Durch diesen harten Befehl getrieben, wie durch unwiderstehliche Gewalt zu dem Abgrund gezogen, den sie sah, aber nicht vermeiden konnte, – stammelte Amy schließlich in größter Verzweiflung:

»Der Graf von Leicester weiß alles.«

»Der Graf von Leicester!« rief Elisabeth in höchstem Erstaunen, – »der Graf von Leicester!« wiederholte sie, und ihr Zorn entfachte sich. »Weib, Du bist dazu gedungen worden – Du verleumdest ihn – er gibt sich nicht mit solchen Frauenzimmern ab, wie Du eins bist. Du bist erkauft worden, den edelsten Lord und den wahrherzigsten Edelmann Englands zu verunglimpfen. Aber wenn er auch Unsre rechte Hand oder Uns noch teurer wäre, Du sollst Gehör finden, und zwar in seinem Beisein. Komm mit mir – komm augenblicklich mit mir!«

Entsetzt wich Amy zurück – eine Bewegung, die die in Zorn entflammte Königin als Schuldbewußtsein auslegte. Elisabeth trat rasch zu ihr, faßte sie am Arme und eilte mit fliegenden, langen Schritten aus der Grotte heraus und die Hauptallee des Lustgartens entlang, die entsetzte Gräfin hinter sich herziehend, die sie noch immer am Arme hielt und die bei der größten Anstrengung nur knapp mit der empörten Königin Schritt halten konnte.

Leicester stand in diesem Augenblick inmitten einer glänzenden Gruppe von Lords und Ladys, die unter einem Säulengange am Ende der Allee sich versammelt hatte. Die Gesellschaft war hier zusammen gekommen, um die Befehle der Königin vor Beginn der Jagd entgegenzunehmen, und man kann sich ihr Erstaunen denken, als sie Elisabeth statt in ihrem gewohnten, gemessen würdevollen Schritte in solcher Hast unter sie treten sahen, daß sie in ihrer Mitte stand, ehe sie sie noch gewahr geworden waren. Sie sahen mit Furcht und Ueberraschung, daß ihr Gesicht von Zorn und Aufregung gerötet war, daß ihr Haar bei dem raschen Gange sich aufgelöst hatte und daß ihre Augen wild flammten. Nicht weniger erstaunt waren sie über die Erscheinung der blassen, erschöpften, halb toten und doch liebreizenden Frauensperson, die die Königin mit starkem Griff bei der Hand hielt, während sie mit der andern Hand die Lords und Ladys zur Seite winkte, die auf sie zudrängten in dem Glauben, sie sei plötzlich irre geworden.

»Wo ist Mylord von Leicester?« fragte sie in einem Tone, der die umstehenden Lords mit Schauder erfüllte. »Tretet vor, Mylord von Leicester.«

Wenn mitten am heitersten Sommertage, wenn alles in der Runde hell und lachend dreinschaut, ein Donnerkeil vom blauen Himmelsgewölbe herunterfiele und die Erde zu den Füßen eines sorglosen Spaziergängers zerrisse, so könnte der die rauchende Kluft, die unerwartet vor ihm gähnte, nicht mit halb so jähem Erstaunen und Grausen betrachten, wie Leicester bei dem Anblick empfand, der sich ihm so plötzlich darbot. Er hatte eben die halb ausgesprochnen, halb angedeuteten Glückwünsche der Höflinge zu der großen Gunst, die die Königin ihm erwiese, entgegengenommen, und er hatte in politischer Ziererei so getan, als streite er ab, was sie zu verstehen gaben, oder als verstünde er es nicht, und während noch ein gedämpftes, doch stolzes Lächeln um seine Lippen spielte, schoß die Königin in wildestem Ingrimm in den Kreis hinein; mit der einen Hand stützte und hielt sie, anscheinend ohne geringste Anstrengung, die bleiche, sinkende Gestalt seines halbtoten Weibes, und mit dem Finger der andern Hand deutete sie auf das verzerrte Gesicht und fragte mit einer Stimme, die in den Ohren der bestürzten Staatsmänner wie die Trompete des jüngsten Gerichts erklang:

»Kennst Du dieses Weib?«

Wie beim Trompetenstoß des jüngsten Gerichts die Schuldigen zu den Bergen rufen werden, daß sie über ihnen zusammenstürzen sollen, so flehte in seinen innersten Gedanken Lord Leicester zu dem prächtigen Bogen empor, den er in seinem Stolze erbaut hatte, er möge sein festes Gefüge sprengen und sie alle unter seinen Trümmern begraben. Aber das Bauwerk stand fest, und der stolze Herr selber ließ sich vor Elisabeth, wie von unsichtbarer Hand niedergedrückt, auf ein Knie nieder und senkte den Blick tief auf die Marmorsteine, auf denen sie stand.

»Leicester,« sagte Elisabeth mit vor Leidenschaft zitternder Stimme, »könnte ich glauben, daß Du mich hintergangen hast – mich, Deine Königin, – mich, Deine vertrauensvolle, Dir nur zu sehr geneigte Herrin – könnte ich glauben, Du hättest mir den gemeinen und undankbaren Betrug angetan, den Deine Verwirrung vermuten läßt, – bei allem, was heilig ist, Dein Haupt sollte fallen!«

Leicester hatte zwar kein Bewußtsein der Unschuld, das ihn stützen konnte, aber er hatte doch Stolz, er erhob langsam Stirn und Gesicht und antwortete:

»Mein Haupt kann nur fallen durch Urteil meiner Peers – und an sie will ich mich wenden, nicht an eine Fürstin, die mir meine treuen Dienste so vergilt.«

»Was! Mylords!« sagte Elisabeth und sah sich um. »Man bietet uns wohl gar Trotz – Trotz in demselben Schlosse, das Wir diesem stolzen Manne verliehen haben? – Mylord von Shrewsbury, Ihr seid Marschall von England, verhaftet ihn wegen Hochverrats.«

»Wen meint Eure Majestät?« fragte Shrewsbury höchst erstaunt, denn er war eben erst hinzugekommen.

»Wen sollt ich meinen, als den Verräter Dudley, Grafen von Leicester! Vetter von Hunsdon, laßt sofort Eure Wache ins Gewehr treten und nehmt ihn auf der Stelle in Gewahrsam. – Hört Ihr, Schurke, beeilt Euch!«

Hunsdon, ein rauher, alter Soldat, der mit den Boleyns verwandt war und sich daher mehr erlauben konnte, als mancher andre, erwiderte:

»Und vielleicht wirft Eure Majestät mich morgen in den Tower, wenn ich mich gar zu sehr beeilte. Ich ersuche Euch, habt Geduld!«

»Geduld?« rief die Königin. »Gottes Leben! Nennt mir das Wort nicht! Du weißt nicht, wessen er schuldig ist!«

Amy, die jetzt ein wenig zu sich gekommen war und erkannte, daß ihr Gatte von dem Zorne der gekränkten Herrscherin auf das schwerste bedroht war, vergaß augenblicklich das erlittne Unrecht und die eigne Gefahr, warf sich der Königin zu Füßen, umarmte ihre Knie und rief:

»Er ist schuldlos, hohe Frau – er ist schuldlos – niemand kann dem Grafen von Leicester etwas zur Last legen.«

»Ei, Du Affe,« antwortete die Königin, »hast Du nicht selber gesagt, der Earl of Leicester wisse um Deine ganze Geschichte?«

»Sagt ich so?« wiederholte die unglückliche Amy, »wenn ich es tat, so hab ich ihn schändlich verleumdet. So Gott mein Richter ist, er hat nie daran gedacht, mir ein Leid zuzufügen.«

»Weib!« sagte Elisabeth, »ich will wissen, wer Dich hierzu gebracht hat, oder mein Zorn – und der Zorn von Königen ist ein loderndes Feuer – soll Dich verzehren wie Reisig im Ofen!«

Als die Königin diese Drohung aussprach, rief der gute Engel in Leicester seinen Stolz zu Hilfe und hielt ihm die gänzliche Verworfenheit vor, die er in alle Ewigkeit auf sich lüde, wenn er sich so weit erniedrigte, unter der edelsinnigen Fürsprache seiner Frau Schutz zu suchen und sie an seiner Statt der Rache der Königin zu überliefern. Er hatte schon das Haupt erhoben, um mit der Würde eines Ehrenmannes seine Ehe zu bekennen und selber als Beschützer der Gräfin aufzutreten – da stürzte Varney – der, wie es schien, dazu geboren war, der böse Genius seines Herrn zu sein, – in die Versammlung hinein, mit allen Zeichen der Verwirrung und Bestürzung in Antlitz und Gebärde.

»Was drängt Ihr Euch so unanständig hervor?« fragte Elisabeth.

Mit der Miene eines von Schmerz und Verwirrung völlig niedergeschmetterten Mannes warf sich Varney ihr zu Füßen und rief:

»Vergebung, meine Königin, Vergebung! – oder laßt wenigstens Eure gerechte Strafe auf mich fallen, der sie verdient hat, aber verschont meinen edeln, meinen großmütigen, meinen unschuldigen Gönner und Herrn!«

Amy, die noch immer kniete, sprang auf, als sie den Mann, den sie am tiefsten haßte, so dicht neben sich erblickte, und wollte zu Leicester flüchten, aber die Unsicherheit und Furchtsamkeit, die seine Miene wieder angenommen hatte, als das Erscheinen seines Vertrauten eine neue Wendung herbeizuführen schien, scheuchte sie zurück und sie stieß einen schwachen Schrei aus und bat Ihre Majestät, sie im tiefsten Verließ des Schlosses einzukerkern, sie wie den schlimmsten Verbrecher zu behandeln, – »nur erspart mir, was mich noch vollends um den Verstand bringen wird, den Anblick dieses unsagbar schlechten, schamlosen Schurken!«

»Und warum, Püppchen?« fragte die Königin, »was hat dieser falsche Ritter, wie Du ihn nennst, Du getan?«

»O, Schlimmres, als Leid, hohe Frau, und Schlimmres als Beleidigung – er hat Zwietracht gesät, wo Friede sein sollte. Ich werde wahnsinnig, wenn ich ihn noch länger sehe.«

»Mich dünkt, Du bist, schon geistesgestört,« antwortete die Königin. »Mylord von Hunsdon, nehmt Euch des armen Weibes an und haltet sie in sicherm, aber ehrenvollem Gewahrsam, bis wir sie zu sehen begehren.«

Der Ritter führte die Unglückliche fort, die keinen Widerstand leistete, halb ohnmächtig, wie sie war. Die Königin sah ihr nach – mit der ihr eignen, Selbstbeherrschung, unter den Vorzügen eines Monarchen einer der ersten, hatte sie schon jeden äußern Schein von Gemütserregung verwischt und schien alle Erinnerung an ihren leidenschaftlichen Ausbruch tilgen zu wollen. Sie lächelte huldvoll und ließ die Blicke umherschweifen, um denen des Grafen von Leicester zu begegnen. Doch fand sie ihn noch nicht in der Stimmung, das nahegelegte Anerbieten einer Versöhnung anzunehmen. Sein Blick war auch mit verspäteter Reue der hingesunknen Gestalt gefolgt, die Hunsdon eben weggebracht hatte; jetzt haftete sein Auge finster auf dem Boden, aber mehr – so wenigstens kam es Elisabeth vor – mit dem Ausdruck eines, der eine ungerechte Kränkung erfahren hat, als voller Schuldbewußtsein. Sie wandte ärgerlich das Gesicht von ihm ab und sagte zu Varney:

»Sprecht, Ritter Richard, und erklärt diese Rätsel – Ihr seid bei Vernunft und habt auch noch den Gebrauch Eurer Zunge – was wir sonst hier vergebens zu suchen scheinen.«

Bei diesen Worten warf sie Leicester einen verdrießlichen Blick zu, wahrend der verschlagne Varney sich beeilte, sein Märchen vorzubringen.

»Eurer Majestät scharfes Auge,« sagte er, »hat bereits die grausame Krankheit meiner geliebten Frau entdeckt. Unglücklich, wie ich bin, wollte ich nicht ein ärztliches Attest darüber ausgestellt sehen, da ich zu verbergen strebte, was nun in um so fatalerer Weise doch offenbar geworden ist.«

»So ist sie geisteskrank?« fragte die Königin, »in der Tat, wir haben das selber vermutet – Ihr ganzes Benehmen verriet es. Aber wie ist sie hierher gekommen? Warum habt Ihr sie nicht in sicherm Gewahrsam gehalten?«

»Meine huldvolle Königin,« sagte Varney, »der würdige Herr, unter dessen Obhut ich sie gelassen habe, Anton Foster, ist soeben erst hier angekommen, so schnell Mann und Pferd reisen können, um mich von ihrer Flucht in Kenntnis zu setzen, die sie mit der, vielen solchen Kranken eignen Schlauheit ins Werk gesetzt hat. Er ist hier, wenn er gehört werden soll.«

»Laßt das auf ein andermal,« sagte die Königin. »Aber Ritter Richard, wir beneiden Euch nicht um Euer häusliches Glück, Eure Lady schalt garstig auf Euch und schien bei Euerm Anblick in Ohnmacht fallen zu wollen.«

»Es liegt in der Natur dieser geisteskranken Personen,« erwiderte Varney, »daß sie in ihrem Wahn sich am erbittertsten gegen die kehren, die sie in ihren lichtern Momenten am meisten lieben.«

»Wir haben das allerdings auch schon gehört,« sagte Elisabeth, »und glauben, was Ihr sagt.«

»Möge es denn Eurer Majestät gefallen,« sagte Varney, »zu befehlen, daß meine unglückliche Frau unter die Obhut ihrer Freunde zurückgebracht werde.«

Leicester fuhr jetzt auf, aber er zwang sich, ruhig zu bleiben, wahrend Elisabeth scharf antwortete:

»Ihr seid etwas zu eilig, Varney. Wir wollen uns erst einen Bericht über den Gesundheits- und Geisteszustand der Dame von unserm Leibarzt Masters abstatten lassen und dann bestimmen, was zu geschehen hat. Ihr sollt jedoch Erlaubnis haben, sie zu sehen, so daß – wenn ein ehelicher Zwist zwischen Euch bestehen sollte, – das soll ja auch bei einem Liebespaar mal vorkommen, soviel Wir gehört haben – Euch versöhnen könnt, ohne weitern Skandal für unsern Hof und ohne weitre Schererei für uns.«

Varney verneigte sich tief und antwortete nichts weiter.

Elisabeth sah wieder auf Leicester und sagte in einem Tone der Herablassung, der nur aus herzinnigster Anteilnahme kommen konnte:

»Zwietracht findet ihren Weg sogar in friedliche Klöster wie in enge Familien, und Wir fürchten, unsre Wachen und Türhüter können sie schwerlich von unserm Hofe fernhalten. Mylord von Leicester, Ihr zürnt uns, und Wir haben ein Recht, auch Euch zu zürnen. Wir wollen die Rolle eines Löwen übernehmen und der erste sein, der vergibt.«

Es kostete Leicester einige Mühe, eine glatte Stirn zu zeigen, aber er sagte, er habe nicht das Glück zu vergeben, denn die, die ihn dazu auffordre, stünde zu hoch, als daß er sich je von ihr beleidigt fühlen könne.

Elisabeth schien mit dieser Antwort zufrieden und gab Befehl zum Beginn der Jagd.


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