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Als Leicester in seinen Palast zurückkehrte nach einem so wichtigen und sorgenvollen Tage, fühlte er sich, trotzdem sich seine Flagge zuletzt siegreich behauptet hatte, auf den Tod erschöpft, ganz wie ein Seemann nach gefährlichem Orkan. Als ihm sein Kämmrer den Mantel abnahm und ihm dafür den mit Zobel verbrämten Schlafrock reichte, sprach er kein Wort, und als ihm der gleiche Bedienstete meldete, daß Junker Varney mit Seiner Lordschaft zu sprechen begehre, erwiderte er bloß durch ein schwerfälliges Nicken.
Varney sah dieses Nicken als Erlaubnis an und trat ein, worauf der Kämmerer sich zurückzog.
Der Earl verhielt sich schweigend und rührte sich fast nicht in seinem Sessel. Sein Kopf ruhte in seiner Hand, und mit dem Ellbogen stützte er sich auf den Tisch, der vor ihm stand. Er schien den Eintritt seines Vertrauten kaum zu bemerken.
Varney wartete ein paar Minuten, ob der Earl das Wort nehmen werde. Als dies nicht der Fall war, sah er sich , erpicht darauf, zu erfahren, welche Stimmung das Gemüt des Grafen jetzt beherrsche, endlich genötigt, selbst das Wort zu nehmen.
»Darf ich Eurer Herrlichkeit gratulieren zu dem gestern errungnen Siege,« fragte er, »über den höchst gefährlichen Nebenbuhler?«
Leicester hob das Haupt und antwortete finster, aber ohne Groll:
»Du, Varney, weißt doch am besten, wie wenig Ursache im vorliegenden Falle ist zu Gratulationen, ist es doch lediglich Deine Kombinationsgabe, die mich in dieses Spinngewebe von Falschheit und Niedertracht verheddert hat!«
»Tadelt Ihr mich, Mylord,« sagte Varney, »weil ich nicht auf den ersten Anlauf ein Geheimnis preisgab, von dem Euer Glück abhängig und das Ihr so oft und mit so viel Ernst mir als heilig zu hüten ans Herz gelegt habt? Eure Lordschaft war persönlich anwesend und hätte mir widersprechen können, hätte sich durch ein Bekenntnis der Wahrheit selbst zu gründe richten können; ganz ohne Zweifel war es aber nicht Sache eines getreuen Wieners, so zu handeln ohne unmittelbaren Befehl von Eurer Lordschaft.«
»Was kann ich nicht in Abrede stellen, Varney,« erwiderte der Graf, indem er aufstand und quer durch das Gemach schritt; »mein eigner Ehrgeiz ist zum Verräter meiner Liebe geworden.«
»Sagt lieber, Mylord, daß Eure Liebe zum Verräter geworden ist an Eurer Größe und Euch eine Aussicht sperrt auf Ehre und Macht, wie sie die ganze große Welt keinem zweiten ihrer Söhne wieder bieten kann. Dadurch, daß Ihr meine werte Frau zur Gräfin erhobet, habt Ihr dem Glück entsagt, daß Euch persönlich ...«
Er machte eine Pause und schien keine Lust zu haben zur Vollendung des Satzes.
»Welches persönlichen Glücks?« fragte Leicester; »sprich es aus, Varney, was Du meinst!«
»Des Glückes, selbst ein König zu werden,« ergänzte, Varney seine Rede, »des Glückes, König von England zu werden! ... So zu sprechen ist kein Verrat an unsrer Königin. Indem sie Euch erwählte, hätte sie den Wunsch all ihrer Untertanen erfüllt und ihrem Lande einen lustigen, edlen und ritterlichen König gegeben!«
»Du rasest, Varney,« antwortete Leicester. »Uebrigens haben doch gerade wir in unsern Tagen genug davon gesehen, was Männern für Heil wird durch Kronen, die ihnen zufallen aus Weibergunst! Nimm bloß in Schottland Darnley!«
»Der!« sagte Varney, »ein Trottel, ein Narr, ein dreifach gesottner Esel, der sich wie eine Rakete beim ersten Freudenfeuerwerk in die Luft abschießen ließ! ... Hätte Maria das Glück gehabt, den edlen Earl zum Gemahl zu besitzen, der einst ersehen war, den Thron mit ihr zu teilen, so hätte sie einen Ehemann aus ganz anderm Holze kennen gelernt, und ihr Mann hätte in ihr eine Frau gefunden, so dienstwillig und liebevoll, wie das Gespons des niedrigsten Squire im Lande, die den Hunden zu Pferde folgt und ihm den Zaum beim Aufsteigen hält.«
»Möglich, daß Du recht hast, Varney,« sagte Leicester, über dessen sorgenvolles Gesicht ein kurzes Lächeln der Genugtuung huschte. »Henry Darnleys Weiberkenntnis war gleich Null ... mit Maria hätte ein Mann, der mit Frauen umzuspringen wußte, mancherlei Chancen gehabt, das eigne Geschlecht zur Geltung zu bringen. Nicht aber mit Elisabeth, Varney – denn ich denke, Gott, der ihr das Herz eines Weibes schenkte, gab ihr dazu den Kopf eines Mannes, um des Herzens Torheiten im Zaume zu halten. – Nein, ich kenne sie. – Sie wird ein Liebesunterpfand hinnehmen und in gleicher Form und Güte erwidern, wird gezuckerte Sonette in ihren Busen schieben, ja, und mit gleicher Ware dafür zahlen, wird die Galanterie bis auf jene Spitze treiben, wo Neigungsaustausch aus ihr wird – dann aber schreibt sie zu allem folgenden nil ultra und würde kein Jota von ihrer eignen höchsten Gewalt für das gesamte Alphabet Cupidos und Hymens zum Tausche geben.«
»Um desto besser für Euch, Mylord,« sagte Varney, »das heißt, wenn sie wirklich solchen Charakters ist ... und wenn Ihr eben meint, auf die Eigenschaft eines Ehegemahls keine Anwartschaft zu haben. Ihr Günstling seid Ihr und dürftet es bleiben, sofern die Dame in Cumnor-Place in ihrer dermaligen Dunkelheit verbleibt.«
»Arme Amy,« sagte Lord Leicester mit tiefem Seufzer; »ach, und sie ersehnt es so innig, vor Gott und den Menschen als meine angetraute Gattin sich zu zeigen.«
»Ei ja doch, Mylord,« sagte Varney, »hat aber ihr Wunsch Sinn und Verstand? Das ist die Frage. Die religiösen Zweifel der guten Dame sind gelöst ... sie ist ein Weib in Ehren und ein geliebtes Weib ... sie erfreut sich der Gesellschaft ihres Herrn Gemahls, so oft ihm seine höhern Pflichten vergönnen, in ihre Nähe zu eilen. ... Was möchte sie noch weiter wünschen? Meiner Ueberzeugung nach verbringt solch innig liebendes Weib, solch artiges, verständiges Weib ihr Leben lieber weiter in Abgeschlossenheit, – die übrigens auch nicht schlimmer oder härter ist, als sie es von ihrem Leben in Lidcote-Hall gewohnt ist – als daß sie ihrem Herrn Gemahl Eintrag, und sei er noch so gering, täte an Ehre und Größe durch vorzeitigen Versuch, beides zu teilen.«
»Eine gewisse Wahrheit liegt in Deinen Worten,« sagte Leicester, »und verhängnisvoll würde es ja sein, wenn sie hier erschiene ... doch muß sie sich in Kenilworth zeigen, denn Elisabeth wird nicht vergessen, daß sie das bestimmt hat.«
»Gönnt mir Zeit und Weile, diesen Punkt zu beschlafen,« erwiderte Varney; »sonst kann der Plan, den ich im Sinne habe, nicht reifen, der aber, ausgereift, sowohl der Königin als auch meiner geschätzten Gemahlin zur Befriedigung gereichen dürfte und dabei doch dieses verhängnisvolle Geheimnis in seinem Grabe lassen würde.... Hat Eure Herrlichkeit für die Nacht noch Befehle?«
»Ich wünsche allein zu sein,« versetzte Leicester. »Verlaß mich, Varney, und stell meine Kassette auf den Tisch ... doch halte Dich in Rufweite!«
Varney zog sich zurück und der Earl öffnete das Fenster, um lange und voll Unruhe auf das funkelnde Sternenmeer am Firmament zu blicken. Unwillkürlich entschlüpften ihm die Worte:
»Nie war mir ein freundliches Bild der Himmelskörper so nötig, wie zur gegenwärtigen Zeit und Stunde, denn mein Erdenpfad liegt dunkel vor mir und verworren.«
Daß zu der Zeit, in welcher diese Geschichte spielt, die eitlen Weissagungen der Astrologen in hohem Ansehen standen, ist bekannt, und Leicester, wenn auch im großen und ganzen nicht abergläubisch, stand doch in dieser Hinsicht nicht höher als seine Zeitgenossen, sondern lieh vielmehr den Doktoren dieser vermeintlichen Wissenschaft in einer Weise Förderung, die viel bemerkt wurde.
Der Graf trat jetzt an die Kassette, sah nach, ob sie noch unversehrt und nicht etwa geöffnet worden sei; dann schloß er sie mit einem Schlüssel, den er aus einem andern Behälter nahm, auf und langte zuerst einige Goldstücke heraus, die er in eine seidne Börse schob, sodann ein Pergament, auf dem planetarische Zeichen standen, wie auch jene Linien und Exempel, die zur Stellung eines Horoskops gebraucht wurden. Eine Weile hielt er den Blick hierauf geheftet, dann griff er nach einem andern größern Schlüssel, der an der Wand hing, schob die Tapete beiseite und schloß eine geheime Tür auf, die im Winkel des Gemachs zu einer in der Mauerdicke befindlichen Wendelstiege führte.
»Alasko,« rief der Earl mit gehobner Stimme, doch nur so laut als es notwendig war, um von dem Insassen des kleinen Turmes gehört zu werden, zu welchem hinauf die Stiege führte. »Alasco, erscheine!«
»Ich komme, Mylord,« antwortete von oben hernieder eine Stimme.
Ner Tritt eines alten Mannes wurde laut, der langsam die schmale Stiege herabkam; und Alasco trat in das Gemach.
Es war ein kleiner Mann, dieser Astrologe, und schien bereits sehr alt zu sein, wenigstens war sein langer Bart, der über sein schwarzes Wams bis zu dem seidnen Gürtel herniederhing, schneeweiß. Sein Haar zeigte die gleiche ehrwürdige Farbe, dagegen waren seine Brauen so kohlschwarz wie die scharfen, durchdringenden Augen, die von ihnen beschattet wurden; und diese Merkwürdigkeit gab dem Gesichte des Greises ein seltsames, schreckliches Gepräge. Seine Wangen waren noch frisch und hatten einen rötlichen Anstrich, und die Augen, von denen wir eben gesprochen, wiesen Ähnlichkeit auf mit denen einer Ratte, sowohl in der Scharfe wie auch in der Wildheit des Ausdrucks. Seinem Wesen gebrach es nicht an einer gewissen Würde, und der Sterndeuter schien sich, wenn er auch die Formen des Respekts wahrte, doch keineswegs beklommen zu fühlen, im Gegenteil schlug er in der Unterhaltung mit dem erklärten Günstling Elisabeths einen Ton an, der etwas Schulmeisterliches, ja nicht selten etwas von soldatischer Strenge an sich hatte.
»Eure Weissagungen haben sich nicht erfüllt, Alasco,« sagte der Graf, als sie einander begrüßt hatten, – »er ist genesen.«
»Mein Sohn,« erwiderte der Astrologe, »laßt mich Euch daran erinnern, daß ich seinen Tod nicht verbürgte – auch laßt sich aus den Himmelskörpern, ihren Aspekten und Konjunktionen, kein Prognostikum stellen, das nicht der Richtigstellung durch den Willen des Himmels unterworfen wurde. Astra regunt homines, sed regit astra Deus.«
»Welchen Wert besitzen dann Deine Mysterien?« fragte der Earl.
»Hohen Wert, mein Sohn,« versetzte der Greis, »weil sich durch sie der natürliche und wahrscheinliche Verlauf der Dinge erkennen läßt, wenn er auch einer höhern Macht untertan bleibt. So werden Eure Herrlichkeit, wenn Ihr das Horoskop betrachtet, das Ihr meiner Geschicklichkeit anvertraut, wahrnehmen, daß Saturn, der im sechsten Hause in Opposition zum Mars steht und zurück in das Haus des Lebens schreitet, nichts andres bedeuten kann, als lange und gefahrvolle Krankheit, deren Haus in der Macht des Himmels steht, wenn sie auch wahrscheinlich zum Tode führen dürfte ... doch wenn ich den Namen des Betreffenden oder Betroffnen wüßte, so würde ich ein andres Schema aufstellen.«
»Sein Name ist ein Geheimnis,« versetzte der Graf, »doch muß ich Dir bekennen, daß Dein Prognostikon, der Wahrheit nicht zuwider lief. Er ist krank gewesen, gefährlich krank, wenn auch nicht auf den Tod. Aber hast Du mein Horoskop gestellt, wie Dich Varney beauftragte, und bist Du im stande, mir zu sagen, welche Kunde die Sterne geben vom Stande meines gegenwärtigen Glücks?«
»Meine Kunst steht zu Eurem Befehl,« erwiderte der alte Mann, »und hier, mein Sohn, liegt die Karte Deiner Schicksale, funkelnd im Aspekt, wie je unter dem strahlenden Glanze jener gepriesenen Zeichen, durch die unser Leben beeinflußt wird, jedoch nicht gänzlich frei von Gefahren, Hindernissen und Befürchtungen.«
»Mein Los stände über dem der Sterblichen, wenn es sich anders verhielte,« sprach der Earl; »fahret fort, Vater, und seid überzeugt, daß Ihr mit einem Manne sprecht, der bereit ist, sich dem zu fügen, im Handeln wie im Leiden, was ihm vom Schicksal bestimmt ist ... ganz wie es sich ziemt für einen Edelmann des stolzen England.«
»Dein Mut im Tun und Tragen muß doch um eine Saite höher gespannt werden,« sagte der Greis. »Die Gestirne künden noch einen stolzern Titel, noch einen höhern Rang. Es ist Deine Sache zu erraten, zu raten, was sie künde, nicht meine, es zu verkünden.«
»Kündet mir es,« sprach Leicester, dessen Augen blitzten, während er auf den Greis zuschritt, »kündet es mir; ich beschwöre Euch.«
»Ich kann nicht und ich will nicht,« erwiderte der Greis. »Fürstenzorn ist wie Löwengrimm. Aber höre und dann urteile selbst. Hier die Venus im Aufstieg nach dem Hause des Lebens und in Konjunktion zur Sonne, schüttet jene Flut silbernen Lichts, mit Gold gesättigt, hernieder, Und das bedeutet Macht, Reichtum, Ehren und Würden; alles, was ein Mannesherz begehrt, verheißt es in solchem Uebermaß, daß selbst Augustus, der Herrscher über jenes alte, übermächtige Rom, nimmer aus dem Munde seiner Haruspices solch eine Kunde von Glanz und Herrlichkeit vernahm, wie Du, das Lieblingskind Fortunens.«
»Nu spaßest doch bloß mit mir, Vater,« sprach der Earl, erstaunt über den Schwall von Begeisterung, in welchem der Sterndeuter seine Weissagung gekündet hatte.
»Stände Scherz und Spaß wohl einem Manne an, der schon mit einem Fuß im Grabe steht?« erwiderte der Greis feierlich.
Der Earl schritt ein paarmal durch das Gemach, mit ausgestreckter Hand, wie jemand, der dem Wink eines Phantoms nacheilt, das ihn zu großen Taten ruft. Doch als er sich umdrehte, begegnete er dem Auge des Astrologen, das auf ihn geheftet war, während ein Blick schärfster Beobachtung unter dem Schirmdach seiner buschigen, dichten Brauen hervorzuckte. Leicesters stolze, argwöhnische Seele fing im Nu Feuer; und vom andern Ende des hohen Gemachs her schoß er auf den Greis zu und blieb erst stehen, als seine ausgestreckte Hand knapp einen Fuß vom Körper des Sterndeuters entfernt war.
»Schurke!« schrie er, »wenn Du Dich erfrechst, mich zu betrügen, dann laß ich Dich lebendig schinden! ... Bekenne, daß Du erkauft bist, mich zu hintergehen und zu betrügen! ... daß Du ein Gauner bist und mich behandelst als Deine blöde Beute!«
»Was soll diese Heftigkeit bedeuten, Mylord,« erwiderte der Greis, »oder in welcher Hinsicht kann ich sie verdient haben um Euch?«
»Gib mir Beweise,« rief der Earl heftig, »daß Du mit meinen Feinden nicht unter einer Decke steckst.«
»Mylord,« nahm da der Greis das Wort mit Würde, »Ihr könnt keinen bessern Beweis haben als den, den Ihr selbst Euch wähltet. In diesem Turme habe ich die letzten vierundzwanzig Stunden zugebracht, unter Eurem persönlichen Verschluß, in Eurer Haft. Sogar den Schlüssel trugt Ihr bei Euch! Diese Stunden in Dunkel und Finsternis habe ich darauf verwandt, die Himmelskörper mit diesen vom Alter getrübten Augen zu betrachten, und die Stunden der Helle dazu, dieses altersschwache Gehirn zur Vervollständigung der Kombinationen zu zwingen, die mir diese Steinbilder darboten. Irdische Speise habe ich nicht genossen ... keine irdische Stimme vernommen ... Ihr wißt selbst, daß dergleichen nicht mein Wille war ... und doch sage ich Euch ... trotzdem ich in solcher Einsamkeit und über solchem Studium hier eingesperrt gewesen ... daß Euer Stern innerhalb dieser vierundzwanzig Stunden am Horizont zur Herrschaft aufgestiegen ist, und daß mithin entweder das helle Himmelbuch trügt oder daß sich in Euren irdischen Schicksalen eine Umwälzung vollzogen haben muß, die sich mit dem Stande der Gestirne deckt. Hat sich in dieser Zeitspanne nichts ereignet, was zur Sicherung Eurer Macht oder zur Mehrung von Gunst, die Ihr genießt, beigetragen hat, dann allerdings bin ich ein Betrüger und Gauner, und die himmlische Kunst, die zuerst geübt ward in den Gefilden des uralten Chaldäa, ist ein elender Tand, eine alberne Komödie.«
»Freilich warest Du,« sprach Leicester nach kurzer Ueberlegung, »im Turme eng eingeschlossen, und ferner trifft es zu, daß solche Wandlung in meiner Lage sich vollzogen hat, wie sie das Horoskop nach Deiner Rede kündete.«
»Weshalb also dieses Mißtrauen gegen mich, mein Sohn?« sagte der Astrologe, indem er den Ton eines Ermahners anschlug, »die Himmelsgeister ertragen kein Mißtrauen, auch nicht bei denen, die ihre Gunst genießen.«
»Frieden, Vater,« antwortete Leicester, »ich habe mich im Irrtum befunden, im Zweifel. Nicht zu sterblichen Wesen, geschweige zu himmlischen Geistern werden Dudleys Lippen auch nur ein einziges Wort weiter sagen ihnen zur Huldigung, ihm selber zur Entschuldigung! Reden wir vielmehr von dem gegenwärtigen Stande der Sterne ... Sterne! Inmitten der leuchtenden Verheißungen fand sich, sagtest Du, auch ein drohender Aspekt ... kann Deine Kunst künden, woher und von welcher Seite solche Gefahr droht?«
»Nur insoweit,« lautete die Antwort des Sterndeuters, »gibt meine Wissenschaft mir die Möglichkeit zu einer Antwort auf Eure Frage: Das Unglück droht durch den bösen und feindlichen Aspekt ... von seiten eines Jünglings ... und, wie ich meine, eines Nebenbuhlers ... aber ob er wider Euch ist auf dem Felde der Liebe oder der fürstlichen Gunst ... das zu sagen bin ich außer stande; auch kann ich weiteres über ihn nicht sagen, außer daß er aus dem westlichen Viertel herzieht.«
»Von Westen her? ... Ha!« erwiderte Leicester, »genug, genug! ... Freilich zieht das Gewitter herauf aus Westen! Cornwall und Devon ... Raleigh und Tressilian ... auf einen dieser beiden deutet das Gestirn ... vor ihnen beiden muß ich mich hüten ... Vater, ich habe Deiner Kunst unrecht getan ... ich will Dir eine fürstliche Belohnung geben!«
Er nahm aus der Kassette, die vor ihm stand, eine Börse voll Gold.
»Hier nimm den doppelten Lohn, den Varney Dir versprach ... sei getreu ... sei verschwiegen ... gehorche den Weisungen, die Du von meinem Stallmeister erhalten wirst, und grolle nicht über die kurze Haft, die Du erlitten, oder den Zwang, der Dir in meiner Sache auferlegt worden. Du sollst für alles reich entschädigt werden! ... Hier, Varney, geleite diesen ehrwürdigen Mann nach Deinem eignen Gemach ... sieh zu, daß er an nichts notleide ... aber achte darauf, daß er mit niemand in Verkehr trete.«
Varney verneigte sich, der Sterndeuter küßte dem Earl die Hand zum Zeichen des Abschieds und folgte dem Stallmeister in ein andres Gemach, wo Wein und Erfrischungen für ihn bereit standen.
Der Sterndeuter setzte sich zum Essen nieder, während Varney übervorsichtig zwei Türen abschloß, hinter die Tapete guckte, ob nicht etwa ein Fremder sich versteckt habe, und dann gegenüber dem Weisen Platz nahm.
»Habt Ihr mein Zeichen drüben vom Hofe gesehen?« begann er zu fragen.
»Jawohl,« antwortete Alasco, denn mit diesem Namen wurde er jetzt gerufen ... »und ich habe das Horoskop demgemäß gestellt.«
»Und der Graf ließ es gelten ohne Widerspruch,« fragte Varney weiter.
»Nicht ganz,« versetzte der Greis, »aber er ließ es gelten, und ich setzte hinzu, daß die Gefahr aus Westen drohe, von seiten eines Jünglings.«
»Mylords Furcht wird bei der einen und sein Gewissen bei der andern Prophezeihung Gevatter stehen,« bemerkte Varney. »Sicherlich hat es in der Welt nie einen Menschen gegeben, der solches Rennen wagte und dabei sich herumschlug mit solchen Zweifeln ... mir bleibt nichts anderes übrig, als ihn zu seinem eignen Vorteil zu betrügen ... Was aber nun Eure Angelegenheit angeht, kluger Dolmetsch der Gestirne, so kann ich Euch von Eurem Geschick besser Kunde geben als Euer ganzes Firmament.... Ihr müßt den Stab von hinnen setzen!«
»Das will ich nicht,« entgegnete Alasco., »Ich bin in der letzten Zeit meines Lebens zu viel herumgejagt worden ... hab Tag und Nacht in einsamem Turme gesessen ... ich muß meine Freiheit genießen muß meine Studien fortsetzen, die von größrer Wichtigkeit sind als das Schicksal von fünfzig Staatsmännern und Günstlingen, die emporsteigen und bersten wie Schaumblasen in solcher Hofatmosphäre.«
»Ganz wie es Euch gefallt,« antwortete Varney, mit jenem boshaften Lächeln, das seinen Zügen zur Gewohnheit geworden war, und das bei den Malern als das Hauptcharakteristikum des Satans zu gelten pflegt ... »ganz wie es Euch gefällt,« sagte er, »Ihr dürft Euch Eurer Freiheit freuen und Euren Studien hingeben, bis die Dolche der Parteigänger des Earl of Sussex den Weg zwischen Euer Wams und Eure Rippen finden werden.«
Der alte Mann erbleichte, und Varney fuhr fort:
»Wißt Ihr nicht, daß er eine Belohnung ausgesetzt hat für die Auffindung des Quacksalbers und Giftmischers mit Namen Demetrius, der dem Koche Seiner Herrlichkeit gewisse köstliche Gewürze verkauft hat? ... He, alter Freund? Ihr werdet bleich? ... Erblickt Hali ein Unglück im Hause des Lebens!? ... Na, hört mal zu, wir wollen Euch in ein altes Haus auf dem Lande schaffen, das mir gehört, wo Ihr leben könnt mit einem alten, griesgrämigen Sklaven, den Eure Alchimie in Dukaten verwandeln mag, denn zu solcher Umwandlung allein ist Eure Kunst ja dienstbar.«
»Lüge, eitel Lüge ist es, was Deine Lippen reden,« rief Alasco, vor ohnmächtigem Zorn bebend, »Du böser Spötter! Es ist wohl bekannt, weit über dieses Land hinaus, daß ich dem Endgeheimnis näher gerückt bin als jeder andre Sterbliche! Von keinem halben Dutzend meiner Rivalen auf dem Boden der alchimistischen Wissenschaft läßt sich sagen, daß sie dem großen Arkanum, nach dessen Erkenntnis die Geister ringen, so nahe gekommen seien wie ich.«
»Na na, na na,« fiel ihm Varney ins Wort, »was ins Himmels Namen soll das heißen? Sind wir denn nicht Bekannte? Ich glaub Dir gern, daß Du es weit gebracht hast in der Kunst oder dem Geheimnis zu betrügen, daß Du Dich, nachdem Du alle Welt betrogen, nun selbst betrügst und, ohne deshalb aufzuhören, andre an der Nase zu führen, Dich selber an der Nase führst! Werde nicht rot deshalb, Mensch! ... ein gelehrtes Haus bleibst Du trotzdem ... kein andrer als Du selbst vermöchte Dich betrügen! ... Aber eins laß Dir ins Ohr sagen, alter Knabe! War das Gewürz, das Sussex die Suppe versalzen sollte, schärfer gewesen, so dächte ich besser von Deiner Kunst, mit der Du Dich so dick tust,«
»Du bist ein hartgesottner Schuft, Varney,« erwiderte Alasko, »gar manche tuns und reden nicht davon.«
»Und manche wieder reden davon und tuns nicht,« entgegnete Varney, »aber grolle mir deshalb nicht, ich suche keinen Zwist mit Dir ... tät ichs, so riskierte ich ja, vier Wochen lang aus Furcht vor Gift von Eiern leben zu müssen ... doch sage mir, wie ging es zu, daß Deine Kunst in diesem Falle Dich so schmählich im Stich gelassen hat?«
»Das Horoskop des Earl of Sussex verkündet,« entgegnete der Astrologe, »daß das Zeichen des aufsteigenden Wesens in Aufruhr ...«
»Verschone mich doch endlich mit Deinem Quatsch!« rief Varney grob; »meinst Du etwa mit dem Grafen zu schauspielern?«
»Ich bitte Euch um Verzeihung und schwöre Euch,« erwiderte der Greis, »daß bloß ich eine Medizin kenne, die im stande war, des Grafen Leben zu retten, und daß niemand in England lebt, der das Gegengift kennt als ich selbst ... und seine Bestandteile, einer insbesondre, sind fast nirgendswo erhältlich. ...«
»Es ging die Rede von einem Quacksalber,« bemerkte Varney nach kurzem Besinnen, »der ihn gepflegt und geheilt habe;« dann fragte er den Greis: »Seid Ihr Eurer Sache sicher, daß außer Euch niemand im Besitze dieses Gegengiftes ist?«
»Einer hat gelebt, der ehedem Diener bei mir war,« erwiderte der Doktor, »der könnte es mir mit einigen andern Geheimnissen gestohlen haben! Aber, Junker Varney, es verträgt sich nicht mit meiner Art, solchen Pfuschern Einmischung in mein Handwerk zu gestatten. ... Der spürt meinen Geheimnissen nicht mehr nach, verlaßt Euch drauf ... denn ich glaube, er ist auf feurigem Drachen gen Himmel gefahren ... Friede seiner Asche! ... Aber darf ich rechnen, in jener Einsamkeit, von der Ihr sprecht, mein Laboratorium zu finden?«
»Eine ganze Werkstatt, Mann!« rief Varney, »denn ein ehrwürdiger Abt, der vor mehr als zwanzig Jahren den flotten König Heinz dort mit manchem seiner Höflinge bewirtet hat, besaß einen vollständigen Alchimistenschuppen, der von einem seiner Nachfolger auf den andern überkommen ist. Dort sollst Du Wich niederlassen, dort sollst Du mischen und mehren und quacksalbern und doktern nach Herzenslust, bis der grüne Drache sich zu Gold gewandelt hat, oder wie die Rede bei Euch gelahrten Zunftbrüdern sonst wohl heißt.«
»Nu hast recht, Junker Varney,« sprach, der Alchimist, die Zähne aufeinander pressend, daß sie knirschten, »recht in Deiner hohen, bodenlosen Verachtung alles Rechts und aller Vernunft, denn was Du sprichst im Hohn, kann lautre Wahrheit sein, ehe wir uns zum andern Male sehen. Und ist es darum nicht klug von mir und weise, daß ich mein künftiges Leben, so lange es noch währen wird, in Ruhe meiner Wissenschaft weihe, die mich frei macht von niedriger Abhängigkeit von Günstlingen, und Günstlingen von Günstlingen, in deren Klauen ich jetzt stecke?«
»Recht so, bravo! Bravo! Mein guter Vater!« rief Varney mit seinem gewohnten sardonischen Lächeln, »aber alle Versuche, Dich dem Steine der Weisen zu nähern, lockten Mylord Leicester keine Krone aus der Tasche, und Richard Varney noch weniger. Was wir von Dir verlangen, sind irdische Dinge, sind Dienste, die wir fassen, die wir schätzen können, Mann! Mit all Deiner philosophierenden Sternhimmelkomödie locken wir keinen Hund hinterm Ofen vor.«
»Mein Sohn Varney,« erwiderte der Alchimist, »Dich umgibt Unglaube gleich einem frostigen Nebel und hat Deinen Geist derartig getrübt, daß er dem Weisen zum Stein des Anstoßes wird, und dem, der in Demut Erkenntnis sucht, eine so deutliche Lehre gibt, daß jeder sie verstehen muß. Du meinst, Kunst besitze die Macht nicht, die unvollkommnen Versuche der Natur in der Erzeugung von Metallen zu vervollkommnen, und doch vermag sie es!« ...
»Papperlappapp,« fiel ihm Varney ins Wort, »das ist mir alles schon so oft vorgeschwatzt worden, daß ich genug davon habe, besonders seit ich ein solcher Esel war, als Grünling im Leben zwanzig Goldfüchse an die Gewinnung des feinen chemischen Pulvers zu setzen, die aber, leider! in Qualm aufgingen. Seitdem soll mit jeder fern bleiben mit allem, was nach Chemie duftet, oder sich als Astrologie, Chiromantie oder sonstwie aufspielt. Aus mir lockt all dies Zeug keinen roten Heller mehr heraus. Drum sage ich Dir, Freund, was Du in Deiner neuen Behausung zu verrichten Dir angelegen sein läßt, wird am besten darin bestehen, einen Vorrat von jenem Sussex-Manna zu bereiten, das ich nicht entbehren und darum auch nicht verspotten will ... Du weißt ja, das Manna des heiligen Nikolaus ...«
»Ich will kein Manna mehr bereiten,« erwiderte der Greis, fest entschlossen.
»Dann sollst Du hängen,« rief der Stallmeister, »für Deine bisherigen Sünden, in welchem Falle die Menschheit auch um Dein großes Geheimnis wäre, und wohl kaum zu ihrem Schaden ... Aber sei nicht so grausam gegen sie, Vater, tue der Menschheit diese Ungerechtigkeit nicht an! sondern unterwirf Dich Deinem Schicksal und mach uns ein paar Unzen aus jenem selben Stoff, so daß es ungefähr ausreicht für ein paar Personen. Das schafft Dir Mittel, Deine Universalarznei zu bereiten, die ja doch alle Krankheit auf einmal aus der Welt schaffen soll. Aber sei lustig und guter Dinge, alter Brummsack! Hast Du mir nicht gesagt, daß eine bescheidne Portion Deines Tränkchens milde Wirkung tue, dem menschlichen Leibe in keiner Weise zu Schaden sei, sondern bloß Niedergeschlagenheit, Kopfweh, Schwindel und Unlust, sich vom Flecke zu bewegen, verursache? daß es dem Menschen zu Mute werde, wie einem Vögelchen im Käfig, das keine Lust habe, aus seinem Käfig zu fliegen, auch wenn ihm die Tür geöffnet wird?«
»Allerdings habe ich so gesagt,« erwiderte der Alchimist, »und so verhält es sich auch. Solche Wirkung wird es hervorbringen, und das Vöglein, das sich mit solch mäßiger Portion bescheidet, wird eine Zeitlang matt und müde auf seiner Stange sitzen, ohne des freien, blauen Himmels oder des frischen, grünen Waldes zu gedenken, auch wenn der Himmel beschienen würde von den Strahlen der aufgehenden Sonne und in dem Walde das schönste Konzert seiner lustigen Sänger erschallte.«
»Und solcher Zustand würde ohne Gefahr des Lebens sein?« fragte Varney, nicht frei von Unruhe.
»Ja, das heißt, sofern das richtige Maß nicht überschritten wird und jemand, der die Beschaffenheit des Manna kennt, die Symptome überwacht und im Notfälle zu Hilfe kommen kann.«
»Du sollst das Ganze regeln,« sagte Varney, »Deine Belohnung soll fürstlich sein, wenn Du die richtige Zeit hältst und das richtige Verhältnis triffst, so daß ihre Gesundheit nicht leidet ... andernfalls rechne mit schwerer Strafe!«
»Daß Ihre Gesundheit nicht leidet?« erwiderte Alasko; »also ist es ein Weib, an dem ich meine Kunst versuchen soll?«
»Nein, Du Tropf!« versetzte Varney; »habe ich Dir denn nicht gesagt, ein Vögelchen, eine zahme Meise, deren süßer Schlag selbst einen Habicht weich stimmen möchte? ... ha! Wie Dein Auge glänzt! O, ich weiß, ich weiß, Dein Bart ist keineswegs so weiß, wie Kunst ihn gefärbt hat.... Das wenigstens hast Du zu Silber wandeln können! Aber, Freund! Das ist nichts für Dich! Nichts für Dich! Das Vögelchen im Käfig gehört jemand, der sich niemand ins Gehege kommen läßt, am wenigsten solchen Vogel wie Dich und . . das merke Dir! Das Vögelchen muß gesund bleiben, das ist Hauptsache bei der ganzen Sache.... Aber die Dinge liegen nun einmal so, daß sie bei den Festen drüben in Kenilworth erscheinen soll; und es muß alles daran gesetzt werden, daß unser Vögelchen nicht dorthin fliegen kann ... es darf nicht sein ... darf unter keinen Umständen sein ...doch braucht sie davon, daß dies notwendig ist, und weshalb es notwendig ist, nichts zu erfahren; es muß vielmehr alles aufgeboten werden, daß sie von den Festlichkeiten aus freiem Willen wegbleibt, daß sie sich dem Ansinnen, den Fuß aus ihrem Hause zu setzen, von selbst widersetzt,«
»Das ist nur natürlich,« sagte der Alchimist mit seltsamem Lächeln, das aber größere Vertrautheit mit dem menschlichen Charakter zeigte, als die teilnahmlose, nüchterne Miene, die sein Gesicht bisher gezeigt hatte.
»So stehts,« sagte Varney; »ich sehe, Ihr versteht Euch auf Weiber, wenn es auch lange her sein mag, daß Ihr mit ihnen verkehrt habt ... Nun also, Du hörst, es darf ihr nicht widersprochen werden ... und darf ihr auch nicht gewillfahrt werden. ... Ein leichtes Unwohlsein, wohl verstanden, das ihr die Lust benimmt, sich vom Flecke zu rühren, das ihr nahe legt, sich an Euch zu wenden, mit Euch sich zu begnügen, den Aufenthalt bei sich zu Hause allem andern vorzuziehen, das wäre, mit einem Worte, dasjenige, was als ein guter Dienst anzuerkennen und als solcher auch zu belohnen wäre.«
»Das Haus des Lebens zu gefährden, wird also nicht von mir gefordert werden?« fragte der Alchimist.
»Im Gegenteil,« versetzte Varney, »an den Galgen sollst Du, sofern Du Dir solches beikommen läßt!«
»Und mir sollen,« setzte Alasco hinzu, »die Hände frei bleiben, es soll mir unbenommen sein, zu fliehen oder mich zu verbergen, falls die Sache entdeckt werden sollte?«
»Ganz wie Du willst, ganz wie Du willst, Du Ungläubiger, Du Heide in allen Dingen, die nicht zu Deinem unmöglichen, alchimistischen Unsinn gehören ... He, Mann, wofür hältst Du mich denn?«
Der Greis stand auf, nahm ein Licht und begab sich zu der Tür, die zu dem kleinen Schlafstübchen führte, wo er die Nacht zubringen sollte ... an der Tür drehte er sich uni und wiederholte langsam Varneys Frage, ehe er Antwort gab:
»Wofür ich Euch halte, Varney? ... hm, für einen schlimmern Teufel, als ich selbst gewesen bin. Aber ich bin in Euren Netzen und muß Euch dienstbar sein, bis meine Zeit um ist.«
»Gut, gut,« antwortete Varney eilig; »sei auf den Beinen, wenn der Tag graut. Wer weiß, vielleicht brauchen wir Deine Arznei nicht ... unternimm nichts eher, als bis ich selbst da bin ... hörst Du? ... Michael Lambourne wird Dich an den Ort Deiner Bestimmung schaffen.«
Als Varney hörte, daß der Adept die Tür abschloß und sich vorsichtig einriegelte, machte er einen Schritt vorwärts und schloß mit gleicher Vorsicht die Tür von außen ab, zog den Schlüssel ab und brummte vor sich hin:
»Schlimmer als Du, Du giftmischerischer Quacksalber und Hexenkoch, den der Teufel sich bloß deshalb nicht zum Sklaven genommen, weil ihm solcher Lehrjunge ein Greuel ist? Ich bin ein Sterblicher, und suche durch Mittel, wie sie Sterblichen zugänglich, Befriedigung für meine Leidenschaften und Förderung der Aussichten, die mir das Leben eröffnet ... Du aber, Du bist ein Vasall der Hölle, der richtigen Hölle! ... Heda, Michel Lambourne!« rief er zu einer andern Tür hinaus ... und Michel Lambourne trat herein mit geröteter Wange und unsichern Schrittes,
»Du bist betrunken, Schuft!« herrschte Varney ihn an.
»Ganz ohne Frage, edler Herr,« versetzte der schamlose Michel; »haben wir doch alle auf die rühmlichen Erfolge dieses Tages und auf Mylord Leicester und seinen tapfern und männlichen Stallmeister ein paar Pullen geleert.... Betrunken! Gott versorge mich! Betrunken! Wer an solchem Abend nicht ein paar Dutzend Gesundheiten hinunterschüttet, der muß ein madiger Philister, ein Dreckfilz von Gesinnung sein, dem jagte ich auf der Stelle meinen Dolch sechs Zoll tief in den Wanst!«
»Laß Dir raten, Hallunke! Werde im Nu nüchtern ... ich befehle Dirs! Ich weiß, Du kannst im Nu nüchtern sein, so betrunken Du auch bist, wenn Du bloß willst. Willst Du es heute nicht, dann mach Dich auf Schlimmes gefaßt.«
Lambourne ließ den Kopf sinken, ging aus dem Gemache und kam nach Verlauf einiger Minuten zurück, durchaus ein andrer. Sein Gesicht war ruhig und gesetzt, sein Haar war ordentlich gekämmt, sein Anzug saß richtig und sah sauber und manierlich aus.
»So? Bist Du jetzt nüchtern? Und verstehst Du mich jetzt?« sagte Lambourne mit strenger Stimme.
Lambourne verneigte sich zustimmend.
»Du mußt auf der Stelle nach Cumnor-Place mit dem ehrwürdigen Meister, der drüben in dem kleinen Gewölbe schläft. Hier ist der Schlüssel, damit Du ihn beizeiten wecken kannst. Nimm noch einen verläßlichen Burschen mit! Behandle ihn gut auf der Fahrt, aber laß ihn nicht entwischen! Schieß ihn nieder, wenn ihm die Lust hierzu ankommen sollte; ich wills verantworten. Du sollst von mir Briefe an Foster mitbekommen. Der Doktor soll die untern Zimmer vom östlichen Viereck bewohnen, und es soll ihm freistehen, das alte Laboratorium mit seinem Zubehör zu benutzen. ... Zu der Dame soll er keinen Zutritt haben, bis ich weiter darüber bestimme ... es müßte gerade sein, sie fände Freude an seinem gelehrten Krimskrams. Du selbst wartest in Cumnor-Place meine weitern Befehle ab; und wenn Dir Dein Leben lieb ist, dann meide die Bierbank und den Schnapstisch. Jeder Atemzug in Cumnor-Place muß frei bleiben von gemeinem Dunste!«
»Genug, Mylord ... wollte sagen mein verehrter Herr und Gebieter ... bald, hoffentlich recht bald, mein verehrter Herr und Ritter! ... Ihr habt mir meine Lektion gesagt und meine Lizenz erteilt ... ich werde die eine ausführen und die andre nicht mißbrauchen. Ich werde bei Tagesanbruch im Sattel sitzen.«
»Recht so, und erwirb Dir Gunst! ... Noch eins! Bevor Du gehst, füll mir noch einen Becher Wein – nicht aus der Flasche, Lümmel!« rief er, als Lambourne aus der Flasche eingießen wollte, aus der Alasco getrunken hatte ... »stich eine frische an!«
Lambourne gehorchte; und Varney trank, nachdem er sich den Mund mit einem Schluck ausgespült hatte, den Becher leer, dann nahm er eine Lampe und zog sich in seine Schlafkammer zurück.
»Seltsam!« sprach er unterwegs ... »ich bin so wenig wie nur irgendwer Sklave der Phantasie, und doch brauche ich bloß ein paar Worte mit diesem Kerl Alasco zu reden, so ist es mir zu Mute, als seien mir Mund und Lungen mit arseniksaurem Kalk verkleistert ... Pah!«
Mit diesen Worten verließ er das Zimmer. Lambourne blieb noch stehen, weil er noch einen Schluck aus der aufgekorkten Flasche nehmen wollte.
»Es ist Johannisberger,« sagte er, »welcher vom Berge,« und er roch an der köstlichen Blume.... »Ha! Fürwahr, was Feines! ... Aber ich muß es nun lassen, damit ich eines Tages nach Lust und Laune davon trinken kann.«
Dann trank er ein volles Glas Wasser aus, um die Kraft des Rheinweins zu dämpfen, zog sich langsam nach der Tür zurück, blieb noch einmal stehen und ... konnte der Versuchung nicht widerstehen, sondern trat wieder zu der Flasche, setzte sie an den Mund, – auf die Form, den Wein in einen Becher zu gießen, verzichtend – und trank die Flasche leer bis auf die Neige.
»Wär bloß diese vertrackte Gewohnheit nicht,« sagte er, »so kletterte ich genau so hoch, wie Varney selbst. Aber wer kann klettern, wenn der Raum, in dem er sich befindet, um ihn im Kreise tanzt wie ein Quirl? ... Ach, ich wollte, die Entfernung wäre größer und die Straße holpriger zwischen Mund und Becherrand! ... Aber morgen trink ich keinen Tropfen Wein ... bloß Wasser ... Wasser ... nichts als klares Wasser!«