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Groß war das Erstaunen des jungen Ritters von Valence und des ehrwürdigen Vaters Hieronymus, als sie beim Aufbrechen der Zelle die Abwesenheit des jungen Pilgers entdeckten; aus den zurückgebliebenen Kleidern konnten sie schließen, daß die einäugige Novize, Schwester Ursula, denselben auf der Flucht aus der Haft begleitet hatte. Tausend Gedanken drangen auf Sir Aymer ein, weil er sich auf so schmachvolle Weise von der List eines Knaben und einer Novize hatte hintergehen lassen. Sein ehrwürdiger Gefährte in der beiderseitigen Täuschung empfand nicht weniger Zerknirschung, weil er dem Ritter eine milde Ausübung seiner Gewalt anempfohlen hatte. Vater Hieronymus hatte seine Beförderung als Abt durch den allgemeinen Glauben von seinem Eifer für die Sache des englischen Königs erhalten; mit dieser angeblichen Partei-Gesinnung konnte er nur schwer sein Verfahren während der vergangenen Nacht vereinigen. Eine eilige Untersuchung wurde gehalten, woraus man wenig Anderes erfuhr, als daß der junge Pilger sicherlich mit der Lady Margareth Hautlieu durchgegangen sei – ein Vorfall, über welchen die Frauen des Klosters ihr Erstaunen zugleich mit vielem Abscheu aussprachen, während dasjenige der Mönche, welche die Nachricht erreichte, mit einiger Verwunderung gemischt war, die auf der verschiedenen persönlichen Erscheinung der zwei Flüchtlinge beruhte.
»Heilige Jungfrau,« sagte eine Nonne, »wie konnte unsere hoffnungsvolle, andächtige Novize, Schwester Ursula, welche noch vor Kurzem sich wegen des frühzeitigen Todes ihres Vaters in Thränen badete, mit einem Knaben durchgehen, der kaum vierzehn Jahre alt ist?«
»Heilige St. Bride!« sagte Abt Hieronymus, »wie konnte ein so hübscher, junger Mann einer solchen Vogelscheuche, wie Schwester Ursula, seinen Arm in Begehung eines solchen Verbrechens leihen? Er kann sicherlich weder Versuchung oder Verführung zu seiner Vertheidigung anführen, sondern er muß, wie die weltliche Phrase lautet, mit einem Scheuerlappen zum Teufel gegangen sein.«
»Ich muß meine Kriegsleute zerstreuen, um die Flüchtlinge zu verfolgen,« sagte de Valence, »wenn nicht dieser Brief, den der Pilger zurückgelassen haben muß, einige Aufklärung über den geheimnißvollen Gefangenen ertheilt.«
Nachdem er den Inhalt mit einiger Ueberraschung angesehen hatte, las er mit lauter Stimme:
»Ich Unterzeichneter, welcher kürzlich im Hause St. Bride wohnte, thue Euch, Vater Hieronymus, dem Abte besagten Hauses, kund und zu wissen, daß ich mich entschlossen habe, als ich erkannte, Ihr seied geneigt, mich als Gefangenen und Spion im Heiligthum zu behandeln, worin Ihr mich als unglückliche Person aufnahmet, meine natürliche Freiheit zu gebrauchen, die zu beschränken Ihr kein Recht besitzt, deßhalb habe ich mich von Eurer Abtei entfernt. Da ich ferner finde, daß die Novize, welche in Eurem Kloster Schwester Ursula genannt, nach der Regel und Disciplin Eures Ordens ein begründetes Recht besitzt, zur Welt nach ihrem Belieben zurückzukehren, im Fall sie nicht nach dem Noviziat eines Jahres sich als Schwester in Euren Orden aufnehmen lassen will, und da besagte Novize von diesem ihrem Vorrechte Gebrauch zu machen entschlossen ist, so benutze ich mit Vergnügen die Gelegenheit ihrer Gesellschaft bei diesem ihrem gesetzlichen Beschlusse, weil derselbe mit dem Gesetze Gottes und den Vorschriften der St. Bride übereinstimmt, welche Euch keine Gewalt ertheilt hat, irgend Jemand durch Zwang im Kloster zurückzuhalten, von welchem nicht das unwiderrufliche Gelübde des Ordens abgelegt worden ist. Euch, Sir John de Walton und Sir Aymer de Valence, Rittern von England, die Ihr die Besatzung von Douglasdale befehligt, habe ich nur zu sagen, daß Ihr gegen mich gehandelt habt und handelt, indem Ihr Euch unter dem Bann eines Geheimnisses befindet, dessen Lösung nur durch meinen treuen Sänger Bertram geschehen kann, für dessen Sohn mich auszugeben ich für zweckmäßig hielt. Da ich nun jetzt es nicht über mich vermag, persönlich ein Geheimniß zu enthüllen, welches ohne Gefühl der Scham nicht entdeckt werden kann, so gebe ich nicht allein besagtem Sänger Bertram Erlaubniß, sondern ertheile ihm auch den Auftrag und Befehl, Euch den Zweck zu enthüllen, wegen dessen ich ursprünglich zum Schlosse Douglas gekommen bin. Ist diese Entdeckung geschehen, so bleibt mir weiter nichts übrig, als meine Gefühle gegen die beiden Ritter als Erwiederung auf den Kummer und den Seelenschmerz auszudrücken, welche mir ihre Gewaltthätigkeit und die Drohung eines weiteren harten Verfahrens erregte.«
»Was zuerst Sir Aymer de Valence betrifft, so vergebe ich ihm freiwillig und gern den Umstand, daß er in ein Versehen verwickelt wurde, wozu ich selbst die Veranlassung gab; ich werde gerne mit ihm zu jeder Zeit als einem Bekannten zusammentreffen, und seine Theilnahme an dieser Geschichte weniger Tage nicht anders als eine Sache des Scherzes und des Spottes betrachten. Was jedoch Sir John de Walton betrifft, so muß ich ihn ersuchen, zu bedenken, ob sein Benehmen gegen mich in der Weise, wie wir jetzt zu einander stehen, von solcher Art ist, daß er es vergessen müßte und sich selbst verzeihen muß. Ich hoffe, daß er mich verstehen wird, wenn ich ihm sage, daß alle früheren Verbindungen von jetzt an beendet sind zwischen ihm und dem angeblichen
Augustin.«
»Das ist Verrücktheit,« sagte der Abt, als er den Brief gelesen hatte, »eine solche Verrücktheit, als wäre dieselbe durch einen Sonnenstich bewirkt, ein Uebel, welches häufig diese pestartige Krankheit begleitet; ich möchte den Soldaten, welche diesen Jüngling zuerst ergreifen, die Warnung geben, daß sie seine Nahrung sogleich auf Brod und Wasser beschränken, und zugleich Sorge tragen, daß dieselbe nicht mehr beträgt, wie zum äußersten Bedürfniß der Natur erforderlich ist; auch würde ich durch den Ausspruch von gelehrten Aerzten gerechtfertigt sein, wenn ich einige genügende Beimischung von Hieben mit Sattelgurten, Steigbügelledern und Leibgürteln anempfehle, oder wenn diese fehlen sollten, mit Reitpeitschen, Ruthen u. dgl.«
»Still, ehrwürdiger Vater,« sagte de Valence, »es beginnt mir ein Licht aufzugehen; John de Walton würde eher, wenn mein Argwohn richtig ist, sich selbst das Fleisch von den Knochen reißen lassen, als daß er einen Finger von diesem Augustin durch eine Mücke stechen ließe. Anstatt diesen jungen Mann als Verrückten zu behandeln, will ich sehr gern meines Theils eingestehen, daß ich selbst behext und bethört wurde; bei meiner Ehre, wenn ich einen meiner Leute ausschicke, um diese Flüchtlinge aufzusuchen, so soll es nur mit dem strengen Befehle geschehen, daß man sie, im Fall sie eingeholt werden, mit aller Achtung behandelt, und daß man sie, wenn sie nach diesem Hause nicht zurückkehren wollen, zu jedem ehrenwerthen Zufluchtsort, den sie sich auswählen, mit gehörigem Schutze geleitet.«
»Ich hoffe,« sagte der Abt, welcher sonderbar verstört aussah, »daß man zuerst auf mich von Seiten der Kirche in der Angelegenheit dieser entführten Nonne hört. Ihr seht ja selbst, Herr Ritter, daß dieß Gekritzel eines Sängers weder Reue noch Zerknirschung über seinen Antheil an einer so verbrecherischen That bezeugt.«
»Ihr sollt vollkommene Gelegenheit haben, daß man Euch anhört,« erwiederte der Ritter, »wenn Ihr zuletzt finden werdet, daß Ihr wirklich eine solche wünschen könnt. Mittlerweile muß ich ohne Aufschub zurück, um ohne Verzug Sir John de Walton von der jetzigen Wendung der Angelegenheit in Kenntniß zu setzen. Lebt wohl, ehrwürdiger Vater; auf meine Ehre, wir können einander Glück wünschen, daß wir einem lästigen Auftrag entgangen sind, welcher so viel Schrecken wie die Phantome eines furchtbaren Traumes mit sich führte, und dennoch durch die höchst einfache Behandlung verscheucht werden kann, daß man den Schläfer erweckt. Allein bei St. Bride, sowohl Geistliche wie Laien sind verbunden, Mitgefühl mit dem unglücklichen Sir John de Walton zu hegen; ich sage dir, wenn dieser Brief (er berührte das Schreiben mit seinem Finger) wörtlich ausgelegt werden muß, so weit er auf ihn Bezug hat, so ist er der bemitleidenswertheste Mann zwischen dem Ufer des Solway und dem Orte, wo ich jetzt stehe. Verschiebe deine Neugier, höchst ehrwürdiger Geistlicher, damit du nicht mehr in der Sache siehst, wie ich selbst sehe, so daß ich erkennen müßte, dich wieder in Irrthum verleitet zu haben, während ich selbst glaube, daß die wahre Erklärung von mir entdeckt ist. Jetzt schnell zu Pferde! Holla! (er rief dieß aus dem Fenster seines Gemaches,) die von mir hieher geführte Abtheilung mag sich bereit halten, auf der Rückkehr die Wälder zu durchsuchen.«
»Meiner Treu,« dachte Vater Hieronymus, »es ist mir lieb, daß dieser junge Nußknacker fort geht, um mich meinen Gedanken zu überlassen; mir ist es verhaßt, wenn eine junge Person Ansprüche macht, alle Vorgänge zu verstehen, während deren Vorgesetzte gestehen müssen, daß ihnen Alles Geheimniß ist. Eine solche Anmaßung ist wie diejenige der eingebildeten Närrin, Schwester Ursula, welche vorgab, mit ihrem einzigen Auge ein Manuscript lesen zu können, welches ungeachtet des Beistandes meiner Brille mir unverständlich blieb.«
Diese Worte hätten dem jungen Ritter nicht ganz gefallen können, noch sprachen sie eine Wahrheit aus, welche der Abt in solcher Weise, daß er es hören konnte, gesagt haben würde. Der Ritter aber hatte ihm die Hand gedrückt, Lebewohl gesagt, und sich schon nach Hazelside begeben, wo er der kleinen Truppe von Armbrustschützen und andern Kriegsleuten besondere Befehle ertheilte, und den Thomas Dickson gelegentlich ausschalt, weil derselbe mit einer Neugier, welche der englische Ritter zu entschuldigen nicht sehr geneigt war, sich einen Bericht von den Vorgängen der Nacht zu verschaffen gesucht hatte.
»Still, Kerl,« sagte er, »bekümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten; sei überzeugt, daß die Stunde kommen wird, worin dieselben alle von dir zu leistende Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen werden; überlasse es Andern, ihre Angelegenheiten zu besorgen.«
»Hegt man gegen mich irgend einen Verdacht,« erwiederte Dickson in einer mürrischen und grollenden Stimme, »so wäre es nach meiner Meinung Recht, mir die Art der gegen mich vorgebrachten Anklage zu sagen. Ich brauche Euch nicht zu sagen, daß die Ritterehre einen Angriff auf einen nicht herausgeforderten Feind untersagt.«
»Wenn Ihr ein Ritter seid,« erwiederte Sir Aymer de Valence, »so ist es für mich noch Zeit genug, um mit Euch über die Förmlichkeiten abzurechnen, welche Euch nach den Gesetzen des Ritterthums gebühren. Mittlerweile wäre es besser, daß Ihr mir Euren Antheil sagtet, den Ihr an der Vorstellung des kriegerischen Gespenstes genommen habt, welches den rebellischen Schlachtruf Douglas in der Stadt jenes Namens erschallen ließ.«
»Ich weiß nicht, wovon Ihr redet,« erwiederte der Wirth von Hazelside.
»Gebt Acht,« erwiederte der Ritter, »daß Ihr Euch nicht in die Angelegenheiten anderer Leute einmischt, sogar wenn Euer Gewissen Euch die Bürgschaft gibt, daß Ihr wegen der Eurigen keine Gefahr zu besorgen habt.«
Mit den Worten ritt er fort, ohne eine Antwort zu erwarten. Die Vorstellungen, welche seinen Kopf füllten, waren folgender Art.
»Ich weiß nicht, wie es kömmt, daß ein neuer Nebel uns einhüllt, sobald der eine sich zerstreut zu haben scheint. Ich halte es für gewiß, daß die verkleidete Dame Niemand anders ist, als die Göttin von Walton's besonderer Verehrung, die seit den letzten Wochen mir und ihm so viele Unruhe gemacht und einen gewissen Grad Mißverständniß erregt hat. Bei meiner Ehre! die schöne Dame ist recht freigebig mit der Verzeihung, die sie mir so freimüthig ertheilt hat, und wenn sie weniger gefällig gegen Sir John de Walton sein will – nun, was denn? – Daraus ist sicherlich noch nicht zu schließen, daß sie mich in diejenige Stelle ihrer Neigungen aufnehmen würde, aus welcher sie so eben de Walton vertrieben hat. Selbst aber auch im Fall sie so handelte, so könnte ich eine solche Veränderung zu Gunsten meiner auf Kosten meines Freundes und Waffengefährten nicht benutzen. Es wäre eine Thorheit, an eine so unwahrscheinliche Sache auch nur zu denken. Was aber die übrigen Angelegenheiten betrifft, so sind dieselben der Beachtung werth. Jener Küster scheint mit Leichnamen in Gesellschaft gelebt zu haben, bis er sich für die Gesellschaft der Lebendigen nicht mehr eignet, und was den Dickson von Hazelside betrifft, so hat kein Versuch gegen die Engländer während dieser endlosen Kriege stattgefunden, wobei er nicht betheiligt gewesen wäre; wäre mein Leben davon abgehangen, so hätte ich es nicht unterlassen können, ihm meinen Verdacht zu sagen, er mag denselben aufnehmen wie er will.«
Mit den Worten spornte der Ritter sein Pferd und fragte, als er ohne weitere Vorfälle in Douglas-Castle angekommen war, in einem Tone größerer Herzlichkeit wie bisher seit Kurzem, ob er Sir John de Walton sprechen könne, weil er ihm etwas Wichtiges mitzutheilen habe; er wurde sogleich in ein Zimmer geführt, worin der Gouverneur bei seinem einsamen Frühstück saß. Derselbe war über die leichte Vertraulichkeit, womit de Valence ihm jetzt nahte, in Betracht des gegenseitigen Verhältnisses etwas überrascht, worin Beide seit Kurzem gestanden waren.
»Einige ungewöhnliche Nachrichten,« sagte Sir John in ziemlich ernstem Tone, »haben mir die Ehre der Gesellschaft des Sir Aymer de Valence verschafft.«
»Es ist,« erwiederte Sir Aymer, »eine Angelegenheit, die für Euch, Sir John de Walton, von hoher Wichtigkeit ist, und ich wäre deßhalb sehr zu tadeln, wenn ich einen Augenblick verlöre, dieselbe Euch mitzutheilen.«
»Ich werde stolz darauf sein, Eure Kundschaft zu benutzen,« sagte Sir John de Walton.
»Und auch ich,« sagte der junge Ritter, »verliere ungern die Ehre, ein Geheimniß durchdrungen zu haben, welches Sir John de Walton blendete. Zugleich aber möchte ich nicht, daß man mich für fähig hielte, mit Euch zu scherzen, wie es der Fall sein würde, wenn ich aus Mißverständniß einen falschen Schlüssel zu dieser Angelegenheit gäbe. Mit Eurer Erlaubniß wollen wir in folgender Weise verfahren; wir wollen zusammen an den Ort von Bertram des Sängers Gefängniß gehen; ich habe in meinem Besitz eine Pergamentrolle des jungen Mannes, welcher der Sorgfalt des Abt Hieronymus anvertraut war; sie ist mit zarter weiblicher Handschrift geschrieben und ertheilt dem Sänger Vollmacht, den Zweck zu eröffnen, der Beide in die Stadt Douglas führte.«
»Es muß geschehen, wie Ihr sagt,« erwiederte Sir John de Walton, »obgleich ich kaum eine Veranlassung sehe, weßhalb so viel Umstände mit einem Geheimnisse gemacht werden, das sich mit so wenig Worten ausdrücken läßt.«
Die zwei Ritter begaben sich somit in das Gefängniß, wohin der Sänger gebracht worden war, indem der Gefangenwärter voranging.