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Elftes Kapitel.

Wo ist er? Nahm der Erde Schlund ihn auf?
Ist er entschwunden wie ein Luftgebild,
Das vor des Morgens erstem Strahl sich scheut?
Hat er in Dunkelheit sich eingehüllt,
Und ist er mit den Wesen nächt'ger Schatten
Aus dem Bereiche des Gesichts entwichen?

Altes Schauspiel.

Das Verschwinden des jungen Mannes, dessen Verkleidung und Schicksal, wie wir hoffen, bei unsern Lesern einige Theilnahme erweckt hat, erfordert eine weitere Erklärung, bevor wir auf die übrigen Personen der Geschichte zurückkommen, und wir werden dieselbe somit hier mittheilen.

Als Augustin am vorhergehenden Abend zum zweitenmal in seine Zelle verschlossen wurde, hatten der Mönch und der junge Ritter von Valence gesehen, daß der Schlüssel seiner Thüre umgedreht wurde; sie hatten alsdann gehört, daß von Innen der Riegel vorgeschoben ward, welchen man dort auf das Gesuch der Schwester Ursula angebracht hatte. Die Jugend, die ungemeine Schönheit und vor Allem die Leibeskrankheit, sowie die Bekümmerniß des jungen Augustin hatten nämlich die Zuneigung jener Nonne in hohem Grade gewonnen.

Als Augustin wieder in sein Zimmer trat, wurde er von dem Geflüster der Klosterschwester begrüßt, welcher es gelungen war, in die Zelle zu schlüpfen, und welche hinter dem kleinen Bette versteckt, jetzt hervorkam und mit großer Freude die Rückkehr des Jünglings begrüßte. Die große Zahl kleiner Aufmerksamkeiten, die Anbringung von Stechpalmen und andern immergrünen Zweigen, welche die Jahreszeit gestattete, erwiesen den Eifer der heiligen Schwestern, die Kammer ihres Gastes auszuschmücken; die Begrüßungen der Schwester Ursula sprachen dasselbe freundschaftliche Interesse aus, und gaben zugleich zu verstehen, daß sie schon einigermaßen im Besitze des Geheimnisses der Fremden sich befinde.

Als Augustin und die heilige Schwester sich mit dem Austausch ihres Vertrauens beschäftigten, hätte der außerordentliche Unterschied ihrer Gesichtszüge und Personen einem Jeden auffallend sein müssen, welcher durch Zufall ein Zeuge ihrer Unterredung gewesen wäre. Das dunkle Pilgerkleid der verkleideten Dame bot keinen stärkeren Gegensatz gegen das weiße wollene Gewand der Klosterschwester von St. Bride als das Antlitz der Nonne, welches mit mancher furchtbaren Narbe durchzogen war, und das für immer erloschene Licht eines ihrer Augen, wodurch das gesichtslose Lichtorgan in ihrem Kopfe umherrollte, gegen das reizende Antlitz Augustin's darbot, der sich mit vertrauensvollem und sogar liebendem Blicke zu den außerordentlichen Gesichtszügen der Gefährtin hinneigte.

»Ihr kennet,« sagte der angebliche Augustin, »den hauptsächlichsten Theil meiner Geschichte; könnt Ihr, oder wollt Ihr mir Euren Beistand leihen? wo nicht, theuerste Schwester, müßt Ihr einwilligen, eher ein Zeuge meines Todes, als meiner Schande zu sein. Ja, Schwester Ursula, ich will nicht, daß man höhnisch auf mich mit Fingern weise, als auf ein gedankenloses Mädchen, welches so viel für einen jungen Mann opferte, von dessen Liebe sie nicht so überzeugt war, wie sie es hätte sein sollen; ich will mich nicht vor de Walton schleppen lassen, um durch Drohungen der Tortur zu der Erklärung gezwungen zu werden, ich sei dieselbe Dame, welcher zu Ehren er dieses Schloß Douglas hält. Ohne Zweifel gäbe er gerne seine Hand einer Dame zur Vermählung, deren Mitgift so groß ist; wer aber kann sagen, ob er jemals mich mit derjenigen Achtung betrachten wird, worauf jede Frau Anspruch zu erheben wünscht, oder ob er mir die Kühnheit, deren ich mich schuldig machte, verzeiht, obgleich die Folgen derselben zu seinem eigenen Vortheil hätten ausfallen müssen?«

»Meine theure Tochter,« sagte die Nonne, »tröstet Euch, denn ich werde Euch sicherlich in Allem unterstützen, worin ich Euch Hülfe leisten kann. Meine Mittel reichen vielleicht etwas weiter, als meine gegenwärtige Lage anzudeuten scheint; seid versichert, daß ich dieselben bis zum Aeußersten anzuwenden versuchen werde. Mich däucht, ich höre noch jenes Lied, welches Ihr den andern Schwestern und mir selbst vorsanget, obgleich ich allein, durch ein dem Euern verwandtes Gefühl gerührt, die Gewandtheit besaß, zu begreifen, daß dasselbe Eure eigene Geschichte verkündete.«

»Ich muß noch immer erstaunen,« sagte Augustin in einem kaum hörbaren Tone, »daß ich die Kühnheit hatte, vor Euren Ohren das Lied zu singen, welches die Geschichte meiner Schande enthielt.«

»Es ist beklagenswerth, daß Ihr solches sagt,« erwiederte die Nonne, »es fand sich darin kein Wort, welches nicht den Liebesgeschichten und den Erzählungen muthiger Kriegsthaten glich, welche die Sänger gern zu feiern pflegen, und wobei Ritter und Mädchen, wenn sie zuhören, zugleich weinen und lächeln. Die Lady Augusta Berkeley, eine reiche Erbin, wird nach den Gesetzen der Welt, an Land und beweglichem Gute, des Königs Mündel durch den Tod ihrer Eltern, und geräth somit in die drohende Gefahr, einem Günstling des Königs von England als Gemahlin überliefert zu werden, – jenes Fürsten, den wir in unsern schottischen Thälern ohne Bedenken einen gewaltsamen Tyrannen nennen.«

»Ich darf das nicht sagen, Schwester,« erwiederte der Pilger; »dennoch ist es wahr, daß der Vetter des elenden Schmarotzers Gaviston, welchem der König meine arme Hand übertragen wollte, weder durch Geburt, Verdienst, noch äußere Umstände einer solchen Vermählung würdig war. Mittlerweile hörte ich von dem Ruhme Sir John de Waltons; ich hörte davon mit nicht geringerer Theilnahme, weil es hieß, die Thaten des Ritterthums schmückten einen Herrn, welcher, mit allen andern Dingen sonst reich begabt, arm an weltlichem Gute und an dem Lächeln des Glückes war. Ich traf mit diesem Sir John de Walton zusammen, und ich bekenne, daß ein Gedanke, welcher sich schon meiner Einbildungskraft aufgedrängt hatte, nach dieser Unterredung mir gewöhnlicher und willkommener wurde. Ich glaubte, daß die Tochter einer mächtigen englischen Familie, welche mit ihrer Hand den Reichthum hinweggeben könne, von welchem alle Welt sprach, denselben mit größerem Recht und größerer Ehre verwenden würde, um den Mißgriff des Schicksals bei einem so tapfern Ritter wie de Walton wieder auszugleichen, als um die Einkünfte eines bettelhaften Franzosen zu vermehren, dessen einziges Verdienst darin besteht, daß er der Vetter desselben Mannes ist, welchen ganz England verflucht, mit Ausnahme des in Thorheit befangenen Monarchen.«

»Das war ein edler Plan, meine Tochter,« sagte die Nonne; »welche Handlung kann eines edlen Herzens im Besitz von Schönheit, Geburt und Rang würdiger sein, als alle diese Gaben einem dürftigen, aber verdienstvollen Ritter zu übertragen.«

»Dieß war meine Absicht, theuerste Schwester,« erwiederte Augustin, »ich habe jedoch vielleicht noch nicht genügend die Weise erklärt, in welcher ich zu verfahren gedachte. Auf den Rath eines Sängers unserer Familie, desselben, welcher jetzt in Douglas ein Gefangener ist, ließ ich am Weihnacht-Abend ein großes Fest geben, und schickte Einladungen an junge Ritter edlen Stammes umher, von welchen man wußte, daß sie ihre Muße in Waffenthaten und Abenteuern vollbrachten. Als das Mahl geendet und das Fest geschlossen war, wurde Bertram, der vorhergegangenen Verabredung gemäß, aufgefordert, die Harfe zu ergreifen. Er sang, und erhielt von allen Anwesenden die Aufmerksamkeit, welche einem Sänger solchen Ruhmes gebührte. Der von ihm gewählte Stoff war die häufige Einnahme dieses Douglas Castle, oder wie der Dichter es nannte, des gefährlichen Schlosses. ›Wo sind die Ritter des berühmten Edwards I.,‹ sagte der Sänger, ›wenn das Reich England keinen genug tapferen oder im Kriege genug erfahrenen Mann aufstellen kann, um eine elende Hütte im Norden gegen die schottischen Rebellen zu vertheidigen, welche gelobt haben, dasselbe, ungeachtet unserer Kriegsleute, einzunehmen, bevor noch das Jahr zu Ende geht? Wo sind die edlen Damen, deren Lächeln die Ritter vom Kreuze des St. Georg Ermuthigung zu ertheilen pflegten? Ach, der Geist der Liebe und der Ritterschaft erstirbt unter uns – unsere Ritter beschränken ihre Thaten auf kleinliche Unternehmungen; unsere edlen Erbinnen werden als eine Beute Fremden verschenkt, als gäbe es im eigenen Land keinen Mann, der sie verdient.‹ – Hier schwieg die Harfe, und ich schäme mich zu sagen, daß ich selbst, als sei ich von dem Lied des Sängers begeistert, mich erhob, von meinem Halse eine goldene Kette nahm, welche ein Kruzifix von besonderer Heiligkeit trug, und ein Gelübde mit Vorbehalt der Einwilligung des Königs ablegte, daß ich meine Hand und das Erbe meiner Väter dem guten Ritter von edler Geburt und Abstammung geben wolle, welcher das Schloß Douglas im Namen des Königs von England auf Jahr und Tag behaupten würde. Ich setzte mich nieder, theuerste Schwester, von dem Jubel betäubt, wodurch meine Gäste ihren Beifall meiner vermuthlichen Vaterlandsliebe aussprachen. Es entstand eine Pause unter den jungen Rittern, von denen man voraussetzen konnte, daß sie dieß Anerbieten anzunehmen bereit seien, obgleich dasselbe mit dem Wagniß belastet war, daß Augusta von Berkeley mit in den Kauf genommen werden müsse.«

»Schande über den Mann, welcher einen solchen Gedanken hegen sollte,« sagte Schwester Ursula; »bringt Eure Schönheit allein, meine theure, in Anschlag, um zu erkennen, daß ein wahrer Ritter sich den Gefahren von zwanzig Schlössern Douglas eher hätte aussetzen müssen, als daß ihm die unschätzbare Gelegenheit, Eure Gunst zu gewinnen, verloren gehe.«

»Einige dachten vielleicht wirklich so,« erwiederte der Pilger, »man glaubte jedoch, daß die Gunst des Königs von Denen verscherzt würde, welche mit zu großem Eifer seiner königlichen Absicht über die Hand seines Mündels entgegentreten möchten. Jedenfalls war zu meiner großen Freude die einzige Person, welche mein Anerbieten benutzte, jener Sir John de Walton, und da seine Annahme durch eine Klausel hinsichtlich der Beistimmung des Königs gewahrt war, so hoffe ich, daß er in der Gunst Edwards nicht gesunken ist.«

»Seid versichert, edle und großmüthige Dame,« erwiederte die Nonne, »daß keine Ursache zur Besorgniß vorhanden ist, Eure großmüthige Hingebung werde Euren Liebhaber beim König von England in Ungunst bringen. Wir hören etwas über weltliche Vorgänge sogar in diesem entlegenen Winkel von St. Bride's Kloster, und es geht ein Gerücht unter den englischen Kriegsleuten, daß ihr König allerdings zornig wurde, weil Ihr Euren Willen seinem eigenen entgegengesetzt habt; andererseits aber sei Euer begünstigter Bewerber Sir John de Walton ein Mann von so ausgedehntem Rufe, und Euer Anerbieten stimme so sehr mit dem Charakter besserer, aber nicht vergessener Zeiten überein, daß sogar ein König beim Beginne eines langen und hartnäckigen Krieges einen irrenden Ritter seiner Braut nicht berauben durfte, wenn dieselbe durch Schwert und Lanze nach altem, pflichtgemäßem Brauch erworben würde.«

»Ach, theuerste Schwester Ursula,« seufzte der verkleidete Pilger, »wie viel Zeit muß aber bei der Belagerung vorüber gehen, durch deren Aufhebung seine Bewerbung nothwendig befördert wird? Als ich in meinem einsamen Schlosse saß, kam Botschaft über Botschaft, um mich durch die zahlreichen oder vielmehr immerwährenden Gefahren zu erschrecken, die meinen Liebhaber umringen, bis ich zuletzt in einem Augenblick der Tollheit, wie ich jetzt glauben muß, den Entschluß faßte, in dieser männlichen Kleidung aufzubrechen; ich beabsichtigte, nach eigener Anschauung der Lage, in welche ich meinen Ritter versetzt habe, Maßregeln über die Abkürzung der Prüfungszeit oder auf andere Weise zu treffen, wie mir dieselben der Anblick von Douglas Castle und – weßhalb sollte ich es läugnen? – auch von Sir John de Walton eingeben könnten. Vielleicht, theuerste Schwester, könnt Ihr nicht ganz begreifen, weßhalb ich in Versuchung kam, von dem Entschluß abzuweichen, den ich wegen meiner eigenen Ehre und derjenigen meines Liebhabers gefaßt hatte; bedenkt jedoch, daß mein Entschluß die Folge eines Augenblickes der Erregung war, und daß jenes Verfahren nach einem langen, aufreibenden und krankmachenden Zustande der Ungewißheit von mir beschlossen wurde, deren Wirkung darin bestand, die Nerven zu schwächen, welche nicht nach meinem Glauben durch Vaterlandsliebe, aber in Wirklichkeit durch zärtliche und besorgte Gefühle selbstsüchtiger Art angespannt waren.«

»Ach,« sagte Schwester Ursula, indem sie die stärksten Anzeichen ihrer Theilnahme und ihres Mitleids äußerte, »bin ich, theuerstes Kind, ein Weib, bei dem Ihr Unempfindlichkeit gegen Unglück vermuthet, welches die Folge der Liebe ist? Glaubt Ihr, daß die in diesen Mauern geathmete Luft auf das weibliche Herz die Eigenschaft jener wunderbaren Quellen übt, welche die in ihr Wasser gesenkten Stoffe in Stein verwandeln sollen? Hört meine Geschichte und urtheilt, ob dieß der Fall bei einem Weibe sein kann, welches Ursachen wie ich zum Grame hat. Ich fürchte nicht den Zeitverlust; unsere Nachbarn in Hazelside müssen sich für den Abend ruhig eingerichtet haben, bevor ich Euch die Mittel zur Flucht verschaffe; Ihr müßt auch einen treuen Führer erhalten, für dessen Zuverlässigkeit ich verantwortlich bin, damit er Euch durch diese Wälder führt, und im Fall irgend einer Gefahr beschützt, welche in diesen unruhigen Zeiten nur zu leicht eintreten kann; vor einer Stunde könnt Ihr deßhalb nicht aufbrechen, und sicherlich könnt Ihr die Zwischenzeit nicht besser verbringen, als wenn Ihr der Erzählung eines Unglücks zuhört, welches dem Eurigen nur zu ähnlich ist, und aus der Quelle vereitelter Liebe entspringt, mit welcher Ihr sicherlich Mitgefühl hegen werdet.«

Der Kummer der Lady Augusta verhinderte nicht, daß sie beinahe den Eindruck des Lächerlichen bei dem sonderbaren Gegensatz zwischen dem scheußlichen Gesicht dieses Opfers der zärtlichen Leidenschaft und der Ursache empfand, welcher sie ihre Leiden zuschrieb. Sie überließ sich jedoch nur einen Augenblick dem Gefühl des Lächerlichen, welches der Klosterschwester von St. Bride im höchsten Grade hätte anstößig sein müssen, während sie jeden Grund hatte, sich das Wohlwollen derselben zu erwerben. Es gelang ihr deßhalb alsbald, sich in Bereitschaft zu setzen, um mit einem Schein des Mitgefühls auf die Erzählung der Unglücklichen zu hören, so daß sie dadurch die Theilnahme belohnen konnte, die ihr von Seiten der Schwester Ursula erwiesen war; die unglückliche Nonne erzählte alsdann folgende Umstände beinahe in einem flüsternden Tone und in einer Aufregung, wodurch ihre Häßlichkeit um so mehr in die Augen fiel.

»Mein Unglück begann, lange bevor ich Schwester Ursula genannt, oder als Nonne in diesem Kloster eingeschlossen wurde. Mein Vater war ein normännischer Edelmann, welcher, wie viele seiner Landsleute, das Glück am Hofe des Königs von Schottland suchte und fand. Er erhielt die Sherifwürde dieser Grafschaft, und Moriz von Hattely, oder Hautlieu, galt als einer der reichsten und mächtigsten Barone Schottlands. Weßhalb sollte ich läugnen, daß die Tochter dieses Barons, damals Margareth de Hautlieu genannt, unter den hohen und mächtigen Damen des Landes ausgezeichnet wurde? Es kann keine tadelnswerthe Eitelkeit sein, welche mich reizt, die Wahrheit zu sagen, und wenn ich es nicht selbst sage, so könnt ihr kaum vermuthen, welch' eine Aehnlichkeit ich sogar mit der schönen Augusta de Berkely darbot. Um diese Zeit brachen jene unglücklichen Fehden zwischen Bruce und Baliol aus, welche so lange Zeit der Fluch dieses Landes gewesen sind. Mein Vater wurde in der Wahl seiner Partei durch seine mächtigen Verwandten am Hofe Edwards bestimmt und ergriff deßhalb mit Leidenschaft diejenige der Engländer; er wurde einer der eifrigsten Anhänger zuerst von John Baliol, und nachher vom englischen König. Niemand von den anglisirten Schotten, wie man die Partei nannte, war so eifrig wie er für das rothe Kreuz, und Niemand bei seinen Landsleuten verhaßter, welche dem Nationalbanner von St. Andrews und dem Patrioten Wallace folgten. Unter den Kriegsleuten seines Gutes befand sich Malcolm Fleming von Biggar als einer der Ausgezeichnetsten durch edle Geburt, hohe Thaten und Ruhm in der Ritterschaft. Ich sah ihn, und das grauenhafte Gespenst, welches jetzt an Euch seine Worte richtet, darf sich nicht schämen, zu sagen, daß es einen der schönsten Ritter in Schottland liebte, und von demselben geliebt wurde. Unsere Neigung ward meinem Vater entdeckt, bevor wir sie einander gestanden hatten, und derselbe wurde wüthend, sowohl gegen meinen Liebhaber als gegen mich; er gab mich unter die Aufsicht einer Nonne dieses Ordens, und ich wurde im Kloster St. Bride eingemauert, während mein Vater sich nicht schämte, der Welt zu sagen, er werde mich mit Gewalt zwingen, den Schleier zu nehmen, wenn ich nicht einwillige, einen am englischen Hofe erzogenen jungen Mann, seinen Neffen, zu heirathen, welchen er zum Erben des Hauses Hautlieu bestimmte, da ihm der Himmel keinen Sohn gewährt hatte. Ich schwur, der Tod werde eher meine Wahl sein, als daß ich einen anderen Gemahl wie Malcolm Fleming annehmen würde. Auch war mein Geliebter nicht weniger treu; er fand Mittel, mit mir eine bestimmte Nacht zu verabreden, in welcher er den Angriff des Klosters von St. Bride versuchen, und mich von dort zur Freiheit nach dem grünen Walde bringen wolle, als dessen König Wallace allgemein bezeichnet wurde. In einer bösen Stunde – einer Stunde, worin ich durch Zauberkunst und Hexerei, wie ich glaube, bethört war, ließ ich mir das Geheimniß durch die Schmeicheleien der Aebtissin entreißen, ob ich gleich hätte bedenken müssen, daß der Entwurf ihr verbrecherischer erscheinen mußte, als irgend einem lebendigen Weibe; ich hatte jedoch noch nicht mein Gelübde abgelegt, und ich glaubte, daß Wallace und Fleming für Jedermann dieselben Reize besäßen, wie für mich. Auch gab mir das schlaue Weib Ursache zum Glauben, daß ihre Anhänglichkeit an Bruce ohne den Hauch eines Verdachtes sei, und ließ sich in die Verschwörung ein, welche meine Befreiung zum Zweck hatte. Die Aebtissin gab das Versprechen, daß sie die englischen Wachen auf einige Entfernung fortschaffen werde; und die Truppen wurden auch scheinbar weggezogen. Somit wurde das Fenster meiner Zelle, welches zwei Stockwerke hoch vom Boden entfernt war, um die Mitte der festgesetzten Nacht geräuschlos geöffnet; und nie waren meine Augen erfreuter, als jetzt, wo ich, angethan und verkleidet zur Flucht, wie Ihr, schöne Lady Augusta, im Anzug eines Reiters, den Malcolm Fleming in mein Gemach springen sah. Er stürzte auf mich zu, aber zu gleicher Zeit erfüllte auch mein Vater mit zehn seiner stärksten Leute das Gemach unter dem Schlachtruf Baliol. Schwerterhiebe wurden sogleich von jeder Seite gewechselt. Eine riesenhafte Gestalt jedoch erschien in der Mitte des Aufruhrs und zeichnete sich sogar vor meinem halb schwindelnden Auge durch die Leichtigkeit aus, womit sie diejenigen niederwarf und zerstreute, welche gegen unsere Freiheit fochten. Mein Vater allein leistete Widerstand, welcher tödtlich für ihn zu werden drohte, denn Wallace, hieß es, könnte stets zwei Kämpfer auf Einmal überwältigen, mochten dieselben auch so kriegerisch sein, wie irgend Ritter, die jemals das Schwert zogen. Indem er die Bewaffneten ebenso vor sich herscheuchte, wie eine Dame einen Schwarm lästiger Fliegen vertreiben würde, hielt er mich in einem Arm und brauchte den andern zu unserem gegenseitigen Schutze. So stand ich im Begriff, die Leiter mit aller Sicherheit hinabgetragen zu werden, auf welcher meine Befreier von außen hereingestiegen waren; allein ein böses Schicksal war diesem Fluchtversuche beschieden. Mein Vater, welchen der Kämpfer Schottlands um meinetwillen, oder vielmehr wegen des Fleming, verschont hatte, erlangte einen furchtbaren Vortheil durch das Mitleid und die Milde seines Siegers, und machte einen gewissenlosen Gebrauch davon. Da Wallace nur mit einer Hand sich den rasenden Versuchen meines Vaters widersetzen konnte, so konnte seine Kraft Jenen nicht daran verhindern, daß derselbe mit aller Gewalt der Verzweiflung die Leiter niederriß, auf welcher sich seine Tochter gleichsam wie eine Taube im Griffe eines Adlers schwebend befand. Wallace sah unsere Gefahr, machte sich und mich mit beispielloser Kraft und Behendigkeit von der Leiter frei und sprang in den Klostergraben, in welchen wir sonst hätten gestürzt werden müssen. Der Vorkämpfer Schottlands rettete sich bei dem verzweifelten Versuche, allein ich, die ich auf einen Haufen von Steinen und Schutt fiel, ich, die ungehorsame Tochter, beinahe die abtrünnige Nonne, erwachte nur von einem langen Krankenbett, um mich als die entstellte Unglückliche zu finden, die Ihr jetzt vor Euch seht. Ich erfuhr alsdann, daß Malcolm sich aus dem Tumult gerettet hatte, und bald darauf vernahm ich, vielleicht mit weniger herbem Gefühl, als mir geziemt haben würde, daß mein Vater in einer der endlosen Schlachten gefallen sei, welche zwischen den kämpfenden Parteien statt fanden; wenn er am Leben geblieben, so hätte ich mich vielleicht der Erfüllung meines Schicksals unterworfen, da er aber todt war, so empfand ich, das Loos eines Bettlers in den Straßen eines schottischen Dorfes sei demjenigen einer Aebtissin in diesem elenden Hause von St. Bride vorzuziehen; auch war dieser ärmliche Gegenstand des Ehrgeizes, den mir mein Vater vorzuhalten pflegte, wenn er mich durch mildere Mittel, wie durch einen Sturz von den Zinnen seines Schlosses, zum Eintritt in das Klosterleben überreden wollte, mir nicht länger mehr eröffnet. Die alte Aebtissin starb an einer Erkältung, von welcher sie am Abend des Ueberfalls ergriffen wurde, und jenes Amt, welches unbesetzt hätte bleiben können, bis ich fähig sein würde, dasselbe einzunehmen, wurde eingezogen, als die Engländer nach ihrem Ausdruck die Disciplin des Hauses zu reformiren für gut fanden; anstatt eine neue Aebtissin wählen zu lassen, schickten sie hieher einige ihnen ergebene Mönche, welche jetzt die unumschränkte Regierung des Klosters in Händen haben und dieselbe gänzlich nach dem Belieben der Engländer führen. Ich aber, die ich die Ehre hatte, in den Armen des Kämpfers von Schottland gehalten zu werden, will nicht hier bleiben, um Befehle vom Abte Hieronymus zu empfangen; ich will fort, und besorge auch nicht, Verwandte und Freunde anzutreffen, die mir, der Margareth de Hautlieu, einen passenderen Zufluchtsort wie das Kloster von St. Bride verschaffen werden; auch Ihr, theuerste Dame, werdet Eure Freiheit erhalten; es ist jedoch geeignet, daß Ihr einige Bemerkungen hier zurücklaßt, wodurch Sir John de Walton die Hingebung erkennen kann, die sein glückliches Schicksal Euch eingeflößt hat.«

»Es ist also nicht Eure Absicht,« fragte Lady Augusta, »in die Welt wieder zurückzukehren, und Ihr wollt auf Euren Geliebten verzichten, obgleich Ihr in der Vermählung mit demselben einstens Euer Glück zu finden hofftet?«

»Das ist eine Frage, theures Kind,« sagte Schwester Ursula, »die ich mir nicht vorzulegen wage, und hinsichtlich deren ich auch durchaus nicht weiß, welche Antwort ich ertheilen müßte. Ich habe nicht das letzte und unwiderrufliche Gelübde abgelegt; ich habe nichts gethan, um meine Lage in Bezug auf Malcolm Fleming zu verändern. Durch unser gegenseitiges Gelübde, welches wir in Gegenwart des Himmels ablegten, ist er mein verlobter Bräutigam; auch bin ich mir bewußt, daß ich in jeder Hinsicht seine Treue nicht weniger jetzt verdiene, wie zur Zeit, als er mir sie verpfändete; ich gestehe jedoch, theuerste Dame, daß Gerüchte mich erreicht haben, die mein Herz mit Schmerz erfüllten; der Bericht von meinen Wunden und Narben soll den Ritter meiner Wahl mir entfremdet haben. Jetzt bin ich arm,« fügte sie mit einem Seufzer hinzu; »ich besitze nicht länger jene persönlichen Reize, von denen man sagt, daß sie die Liebe des andern Geschlechts erregen und dessen Treue befestigen. Ich suche mich deßhalb in Augenblicken festen Entschlusses an den Gedanken zu gewöhnen, daß Alles zwischen Malcolm Fleming und mir beendigt ist, mit Ausnahme des Umstandes, daß wir uns beiderseitig alles Gute wünschen. Dennoch herrscht noch ein Gefühl in meinem Busen, welches mir meiner Vernunft zum Trotze zuflüstert, daß kein Gegenstand auf Erden Werth genug besitzt, damit ich das Leben bewahre, um einen solchen zu erlangen, wenn ich an dasjenige, was ich so eben sagte, unbedingt glauben müßte. Diese mir schmeichelnden Vorurtheile geben, meiner Vernunft und meinem Verstande entgegen, mir den Gedanken ein, daß Malcolm Fleming, welcher sein Alles auf den Dienst seines Vaterlandes setzen konnte, unfähig ist, die wandelbare Neigung eines gewöhnlichen rohen und feigen Charakters zu hegen. Für den Fall, daß das Mißgeschick ihn und nicht mich betroffen hätte, so glaube ich, daß er in meinen Augen nichts verloren haben würde, wäre sein Antlitz von ehrenvollen Narben durchfurcht, die er für die Freiheit seiner Geliebten erlangt hätte; solche Wunden würden im Gegentheil nach meiner Ansicht seine Verdienste steigern, wie sehr auch seine persönliche Anmuth darunter hätte leiden müssen. Vorstellungen erheben sich in meiner Seele, als können Malcolm und Margareth einander noch Alles sein, was ihre Neigungen einst mit so viel Sicherheit bei einander voraussetzten, als müsse ein Wechsel, welcher die Ehre und Tugend der geliebten Person nicht beeinträchtige, die Reize der Vereinigung eher steigern wie vermindern. Blickt mich an, theuerste Lady Augusta! blickt mich an, wenn Ihr den Muth habt, seht mir voll in's Gesicht und sagt mir, ob ich nicht in Raserei verfalle, wenn meine Phantasie die bloßen Möglichkeiten in dasjenige, was natürlich und wahrscheinlich ist, verwandelt.«

Die Lady Berkeley erhob ihre Augen zur unglücklichen Nonne, indem sie der Nothwendigkeit sich bewußt und besorgt war, ihre eigene Aussicht auf Befreiung durch ihr Benehmen in dieser Entdeckung zu verlieren; sie wollte jedoch nicht der unglücklichen Ursula durch Erregung von Gedanken schmeicheln, hinsichtlich deren ihr Verstand ihr sagte, daß sie kaum vernünftige Gründe vorfinden könne. Ihre Einbildungskraft jedoch, mit den Gesängen jener Zeit reichlich versehen, brachte ihr die häßliche Dame des Gedichtes, »die Ehe des Sir Gawain,« in's Gedächtniß, und veranlaßte sie zu folgender Antwort.

»Ihr legt mir, theure Lady Margareth, eine Frage mit schwerer Prüfung vor; es wäre nicht freundschaftlich, dieselbe in anderer Weise, als mit Aufrichtigkeit zu beantworten, und es wäre höchst grausam, eine Erwiederung mit unbedachter Hastigkeit zu geben. Allerdings ist Schönheit die erste Eigenschaft, worauf wir, das schwächere Geschlecht, einen Werth setzen müssen; wir finden uns geschmeichelt, wenn man uns persönliche Reize zuschreibt, mögen wir dieselben wirklich besitzen oder nicht; ohne Zweifel aber auch legen wir denselben größere Wichtigkeit bei, als sie in Wirklichkeit haben. Man weiß jedoch auch, daß Weiber, welche, nach der Meinung ihres eigenen Geschlechtes, und vielleicht auch nach ihrer eigenen geheimen Ansicht, aller Ansprüche auf Schönheit entbehrten, durch Verstand, Talent und ausgezeichnetes Benehmen der unzweifelhafte Gegenstand der wärmsten Anhänglichkeit wurden. Weßhalb solltet Ihr in den heftigen Empfindungen Eurer bloßen Furcht es für unmöglich halten, daß Euer Malcolm Fleming aus demjenigen feineren Thon der Erde gebildet ist, welcher die vorübergehenden Reize der äußeren Form in Vergleich mit denjenigen verachtet, die durch wahre Liebe und durch die Vorzüglichkeit der Talente und der Tugend gewährt werden?«

Die Nonne drückte die Hand ihrer Gefährtin an den Busen und erwiederte mit tiefem Seufzer:

»Ich besorge, daß Ihr mir schmeichelt; in solcher Entscheidung, wie dieser, empfindet man bei Schmeicheleien eine Tröstung, ebenso wie hitzige Getränke, welche sonst der Gesundheit schädlich sind, dem Kranken mit Recht bei heftigen und schmerzvollen Anfällen gegeben werden, damit er wenigstens ertragen kann, was sich nicht heilen läßt. Antwortet mir nur auf eine Frage, alsdann wird es Zeit sein, das Gespräch abzubrechen. Könntet Ihr, süße Dame, die Ihr vom Schicksal so manche Reize zum Geschenk erhalten habt, könntet Ihr den nicht wieder herzustellenden Verlust Eurer persönlichen Reize zugleich nebst dem damit wahrscheinlich verbundenen Verlust Eures Geliebten, für den Ihr schon so viel gethan habt, geduldig ertragen?«

Die englische Dame richtete wieder ihre Blicke auf ihre Freundin und konnte sich eines leichten Schauders bei dem Gedanken nicht erwehren, daß ihr eigenes schönes Antlitz mit den durchfurchten und vernarbten Zügen der Lady von Hautlieu vertauscht werden könnte, welche jetzt durch die Strahlen eines einzigen Auges unregelmäßig beleuchtet wurden. »Glaubt mir,« sagte sie, feierlich aufwärts blickend, »daß ich sogar in diesem von Euch vorausgesetzten Falle nicht so viel Kummer wegen meiner selbst, als wegen der ärmlich gesinnten Gedanken des Geliebten empfinden könnte, welcher mich verlassen würde, weil diese vorübergehenden Reize, von denen wir uns doch einmal trennen müssen, vor dem Hochzeitstage entschwunden wären. Es ist jedoch durch die Beschlüsse der Vorsehung uns verborgen, in welcher Weise oder bis zu welcher Ausdehnung andere Personen, mit denen wir nicht zur Genüge bekannt sind, den Einfluß solcher Veränderungen erleiden. Ich kann Euch allein die Versicherung geben, daß meine Hoffnungen mit den Eurigen zusammenfallen und daß keine Schwierigkeit auf Eurem Pfade in Zukunft sich darbieten wird, wenn es in meiner Macht steht, dieselbe zu entfernen. – Horcht! –«

»Das ist das Zeichen unserer Freiheit,« erwiederte Ursula, indem sie auf einen Ton achtete, welcher dem Geschrei der Nachteule glich; »wir müssen uns vorbereiten, das Kloster in wenigen Minuten zu verlassen; habt Ihr Etwas mitzunehmen?«

»Nichts,« erwiederte die Lady Berkeley, »mit Ausnahme der wenigen Kostbarkeiten, die ich mit mir nahm, ich weiß nicht zu welchem Zwecke. Diese kleine Pergamentrolle, die ich zurücklassen werde, ertheilt meinem treuen Sänger die Vollmacht, sich dadurch zu retten, daß er dem Sir John de Walton gesteht, wer die Person wirklich ist, die er in seiner Gewalt hatte.«

»Es ist sonderbar,« sagte die Novize von St. Bride, »durch welche Irrgänge die Liebe gleich einem Irrlicht ihre Anhänger führt. – Habt Acht bei Eurem Absteigen; diese sorgfältig versteckte Fallthür mit merkwürdig gebildeten und eingeschmierten Angeln führt zu einer geheimen Hinterthür; vor derselben warten schon die Pferde, die uns in Stand setzen werden, St. Bride's Haus eiligst zu verlassen. Der Himmel segne sie und ihr Kloster! Wir dürfen kein Licht benutzen, bis wir in der freien Luft sind.«

Während dem wechselte Schwester Ursula, welcher wir jetzt den Klosternamen zuletzt ertheilen, ihre Stola, oder ihr weites oberes Klosterkleid mit dem fester anschließenden Rock und dem Gürtel eines Reiters; sie ging durch verschiedene, absichtlich verwickelt gebaute Gänge voran, bis die Lady Berkeley mit klopfendem Herzen in dem blassen und ungewissen Mondlicht stand, welches grau und unbestimmt auf die Mauern des alten Gebäudes fiel. Die Nachahmung eines Eulenschreis führte sie an eine nahe und große Ulme; als sie derselben nahe kamen, bemerkten sie drei Pferde, welche Jemand hielt, den sie nur als groß, stark, und der Kleidung nach als Kriegsmann erkennen konnten.



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