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Es war am Morgen des 28. Juni, als der Wächter von dem Rathausturm den Schreckensruf erschallen ließ: »Sie kommen!« Im Nu waren die Gassen von Rothenburg wie ausgestorben, alle Krambuden, Läden und Haustüren geschlossen. Denn derjenige, welcher kam, war der Markgraf Kasimir von Brandenburg. Der Truchseß war mit seiner Macht zum Rhein abberufen, wo die Revolution frisch aufloderte, nachdem er im Bistum Würzburg schrecklich mit Schwert und Feuer gehaust hatte. Der Markgraf und der Erbmarschall Joachim von Pappenheim waren von ihm beauftragt worden, an seiner Statt das Strafgericht an Rothenburg zu vollziehen. Da hatte selbst den Herren vom Inneren Rate das Herz gebebt und sie hatten eiligst Konrad Eberhard, Hieronymus Hassel und noch einige von den Geschlechtern dem Markgrafen entgegengeschickt, der von Bamberg heranzog, wo er wie auch in den eigenen Landen gleich dem Truchseß gewütet hatte. Dem Bischof von Bamberg war damit nicht genügt und der Kirchenfürst fuhr noch fort, auf eigene Faust mit dem Henker Umzug im Bistum zu halten. Der Markgraf hatte die Abgesandten nicht empfangen, sondern seinen Marsch auf Rothenburg fortgesetzt und sie erst nach mehreren Tagen in Burg-Bernheim beschieden, daß er mit seinem gesamten Kriegsvolk sein 638 Lager in Rothenburg nehmen und den Einzug sich erzwingen werde, wenn man ihm denselben verweigere. Sein Geheimschreiber Anton Graber hatte sie geflissentlich die Vollmacht des Truchseß lesen lassen, welche den Markgrafen und Joachim von Pappenheim beauftragte, das Gebiet Rothenburgs »mit der Tat zu beschädigen, mit Totschlag, namentlich Brand und Plünderschatzung, dazu in all andre Weg sie nach Gelegenheit der Sachen und eines jeden Verschuldung zu strafen«. Dennoch fehlte es in Rothenburg nicht ganz an solchen, die dem Markgrafen als Retter entgegenharrten.
Frau Margarethe von Menzingen und die Ihrigen erhofften von ihm die Befreiung des Gatten und Vaters. Max Eberhard war, sobald er dessen Gefangennahme erfahren, zu den Angehörigen des Ritters geeilt, um sie mit Rat und Tat zu unterstützen. Else sank ihm von Tränen erschöpft an die Brust, die Mutter war wunderbar gefaßt. Die Wetterwolke, die drohend über ihrem Haupt gehangen, seitdem sie mit ihrem Gatten wieder vereinigt war, hatte den Blitz entbunden, furchtbar war er niedergefahren, aber er hatte allem ungewissen Bangen ein Ende gemacht. Ihr blondes Haar war unter der Folterqual durch unbestimmte Schreckensbilder völlig ergraut. Jetzt kannte sie das Schrecklichste, das ihrem Gatten bevorstand, und sie raffte sich zur Tat auf. »Seine Feinde wollen ihn töten, und sie sind seine Ankläger und Richter zugleich, da kann nur ein Mächtigerer helfen!« So sprach sie in tränenlos bitterem Schmerz zu Max und er mußte ihr beipflichten. Denn hätte er es nicht bereits aus der Geschichte gewußt, so lehrte es ihn die Gegenwart, daß es im Bürgerkriege keine Gerechtigkeit gibt, sondern nur der Wahrspruch gilt: »Wehe dem Besiegten!«
Sie wollte den Beistand des Markgrafen anflehen, und Max begleitete sie nach Bamberg, der weinfröhlichen Fünfhügelstadt, wo der Markgraf im Rathause 639 an der Steinbrücke über die Regnitz eben sein Hauptquartier hatte. Sein Geheimschreiber führte die tief gebeugte, ganz in Schwarz gekleidete Frau und Max ein. Markgraf Kasimir war keine Heldengestalt, er war für eine solche nicht groß genug und zu beleibt, und seinen Zügen waren die Spuren seines ausschweifenden Lebens aufgedrückt. Der Graf von Pappenheim war der stattlichere von beiden, auch der freiere und rückhaltlosere in seinem Wesen, während der Markgraf unbedenklich in der Wahl seiner Mittel war und eine Beleidigung niemals vergab.
Er empfing Frau von Menzingen sehr gnädig, litt nicht, daß sie vor ihm niederkniete und versprach ihr, daß sie sich nicht vergebens an ihn gewendet haben sollte. »Wie dünket Euch das, Ihr Herren«, so wandte er sich an den von Pappenheim und den Feldmarschall von Wiesenthau, die bei ihm waren, »daß diese Reichsstädter meinem getreuen Diener an Leib und Leben wollen? Gott's Marter, sie sollen wohl die Hände von ihm lassen!« Zu Max Eberhard, der eine Bittschrift ausgearbeitet hatte, sagte er, dieselbe in Empfang nehmend: »Ihr stehet bei mir in einem guten Gedächtnis von wegen der Geschicklichkeit, mit der Ihr den Ritter vor dem Reichskammergericht verteidigt habt.«
Frau von Menzingen kehrte voller Hoffnung zurück. Es gelangte auch ein Schreiben von dem Markgrafen an den Innern Rat, worin er »die gütliche Bitt« stellte, seinen Diener und Lehnsmann, dem er in Gnaden geneigt sei, seinem Gefängnis ohne Entgeld ledig zu geben, oder zum wenigsten bis in Ausführung seiner Unschuld zu betagen. Der Rat antwortete damit, daß er den Bürger, der es gewagt hatte, die Ehefrau eines Ratsfeindes nach Bamberg zu fahren, in den Turm werfen ließ, und daß Frau Margarethe auf dem Rathause einen Eid schwören mußte, Leib und Gut nicht zu verrücken.
Aber nun kam der Markgraf selbst nach Rothenburg. Der Feldmarschall Christoph von Wiesenthau besetzte 640 mit der Vorhut das Galgentor, und etwas später erfolgte der Einzug des Heeres. Eine Abteilung gepanzerter Reisiger ritt durch die Würzburger- und Georgengasse voraus auf den Markt. Ihr folgten in guter Ordnung die Geschütze und ein Teil der Fußknechte. Hierauf erschienen der Markgraf und Joachim von Pappenheim in funkelnder Rüstung auf ihren Streitrossen an der Spitze eines großen Reitergeschwaders. Die Fähnlein der Lanzknechte bildeten den Beschluß. Die Geschütze wurden so auf dem Hauptmarkt aufgestellt, daß sie sämtliche auf denselben mündenden Gassen bestrichen. Reiter und Fußvolk lagerte auf allen Plätzen und Gassen. Es war ein wildes, malerisches Bild. Geplündert wurde nicht, so daß die Bürgerschaft mit dem Schrecken davonkam; nur die städtischen Scheunen wurden erbrochen und Hafer, Heu und Stroh aus ihnen entnommen.
Der Markgraf mit seinem Stabe erhielt Quartier in dem Jagtsheimerschen Hause, das auch den Kaiser Max bei seinem letzten Besuche aufgenommen hatte. Es ist das erste Haus auf der Herrengasse, dem Rathause gegenüber und lehnt sich an das Geschlechter-Tanzhaus. Ein Erker mit pyramidenförmiger Bedachung, darunter ein Steinbild der Jungfrau Maria mit dem Kinde, ziert die gegen den Markt vorspringende Ecke des geschmackvollen Hauses.
Hier begrüßte Erasmus von Muslor an der Spitze des Innern Rates den Markgrafen und überreichte ihm nach altem Brauche ein ansehnlich Geschenk an Wein, Fischen und Hafer. Die Stirn des Markgrafen war gerunzelt und blieb es. Mit scharfen Worten rückte er dem Rat vor, daß er seine gütliche Bitte wegen des Ritters von Menzingen unbeachtet gelassen habe, schnitt Erasmus von Muslor die Entgegnung ab und forderte, daß ihm die Urgicht des Ritters, das heißt dessen Aussage auf der Folter, ohne Verzug eingesandt würde. Auch die Urgichten des Dr. Deutschlin und des blinden 641 Mönches verlangte er. Ferner heischte er ein Verzeichnis der Rädelsführer in Stadt und Land. »Vergesset nicht, Ihr Herren, daß das Blut, das ich itzo zu vergießen gezwungen bin, über Euer Haupt kommt. Hättet Ihr meine Hand, die ich Euch wiederholt bot, angenommen, als es noch Zeit war, so wäre dieser ganze Aufruhr im Keim erstickt worden.« Mit diesen Worten entließ er sie in Ungnade.
Er verfiel dem gewöhnlichen Irrtum der Machthaber. Ebenso gut hätte er durch Gewalt einen Vulkan am Ausbruche verhindern können wie das Jahrhunderte lang mißhandelte Volk an der Empörung. Und er vergaß, daß die Reaktion ihren augenblicklichen Sieg nicht ihrer Stärke, sondern hauptsächlich den Fehlern ihrer Gegner verdankte. Sein ungnädiger Empfang machte die Ratsherren eher halsstarrig als geschmeidig.
Konrad Eberhard gelobte bei seinem Eide, daß der Markgraf ihnen ihre Beute nicht entreißen sollte. Seine Erbitterung überbot diejenige seiner Kollegen, weil er seinen Sohn wie mit unzerreißbaren Ketten an die Familie des Verfehmten gebunden sah. Es kostete ihn einen schweren Kampf, daß er nicht auch den eigenen Sohn auf die Proskriptionsliste setzte, welche die Herren nun auf der Ratsstube entwarfen, wie Max es nur der Rücksicht auf seinen Vater zu danken hatte, daß sein Name auf den Zetteln wegblieb, von denen der Stadtschreiber das Verzeichnis der Rädelsführer für den Markgrafen zusammentrug.
Was aber den Herren die Namen in die Feder diktierte, waren keineswegs nur politische Beweggründe, sondern vorwiegend persönliche Feindschaften, nicht selten aus den allergeringfügigsten Ursachen, ja selbst nur nach Hörensagen und Klatsch. Kein Wunder, daß auf der Liste, die Thomas Zweifel am nächsten Morgen dem Markgrafen überreichte, nicht weniger als 100 Todeskandidaten standen; Dr. Deutschlin, der Komentur Kaspar Christian, der blinde Mönch, und Dr. Karlstadt 642 eröffneten die lange Reihe. Es folgten Stephan von Menzingen, das Ratsmitglied Christ Heinz und Ehrenfried Kumpf und zum Schlusse dreiundsechzig Bürger, denen man nichts anderes Schuld zu geben wußte, als daß sie über Kaiser, Fürsten und Rat übel geredet und geäußert hätten, bei den Bauern stehen und bleiben zu wollen. Von den Landgemeinden waren dreißig Namen aufgezeichnet, die gerade den Herren eingefallen waren.
Nun war es den eifrigen Angebern widerfahren, daß sie manchen ihrer Mitbürger nicht mit seinem Tauf- und Familiennamen aufgeschrieben hatten, sondern mit der Bezeichnung, dem Bei- oder Spitznamen, unter dem nicht selten schon sein Vater in der Stadt allgemein bekannt war, so daß man darüber seinen eigentlichen Namen vergessen hatte. Thomas Zweifel hatte die Zettel der Ratsherren getreu abgeschrieben, und der Markgraf las daher mit hochgezogenen Brauen u. a. in dem Verzeichnis: »Der Weber bei unserer Frauen Kapellen, der die Greußerin hat. – Des blinden Mönchs Schwager, ein Wagner. – Jörg Hörners Schwager, ein Seiler. – Ein Weber im Bart, Wittling genannt. – Der lange Huter, der seine Weiber so übel hält und schlägt.«
Der Markgraf warf dem Stadtschreiber die Liste unwillig hin und verlangte, daß er überall den Geschlechts- und Taufnamen beifüge. Thomas Zweifel jedoch, der dem Truchseß gegenüber sich mannhaft behauptet hatte, beugte sich auch vor dem Markgrafen nicht. »Ew. fürstliche Gnaden«, so wies er das Ansinnen zurück, »ich habe die Namen getreu meiner Pflicht zusammengeschrieben, als wie sie von den Herren des Rats sind aufgezeichnet worden. Des näheren mich zu erkundigen, stehet nit in meiner Amtsbefugnis.« Dabei blieb er und rettete dadurch manchen Kopf.
Während der Nacht auf Samstag den 30. Juni wuchs 643 auf dem Marktplatze vor der Herren-Trinkstube ein unheimliches Gerüst empor. In der Frühe blies ein Trompeter in allen Gassen und ein Herold rief aus, daß um sieben Uhr die ganze Bürgerschaft bei Strafe an Leib und Leben sich einzufinden habe. Max Eberhard erschien wie alle anderen. Er war auf das Schlimmste gefaßt, denn es erschien ihm höchst unwahrscheinlich, daß die Rache den Verteidiger von Menzingen und das Mitglied des Verfassungsausschusses verschonen sollte. Nur das schmerzte ihn, daß er von der Geliebten nicht hatte Abschied nehmen können, und seine Augen suchten die Fenster ihres Hauses. Sie waren verhängt. Aber aus den anderen Häusern und von den Dächern schauten ängstlich neugierige Weiber genug auf die bleichen Gesichter im Ring, der von den langen Spießen des Fußvolkes eingehegt war. Jetzt kamen die Herren und Ritter, Hans von Seckingen hielt im Namen des Markgrafen der Bürgerschaft eine donnernde Strafrede, worauf sie dem Schwäbischen Bunde aufs neue Gehorsam geloben mußte.
Schon atmete sie erleichtert auf, denn sie glaubte, das Ärgste überstanden zu haben. Da zog der von Seckingen die Liste der dem Tode Geweihten hervor und befahl jedem, den er aufrufen würde, beiseite zu treten. Weil aber keiner auf einen anderen, als seinen wirklichen Namen vorzutreten sich verpflichtet hielt, etliche auch bei Zeiten entwichen waren, so blieben nur 19 im Netze hängen. Unter diesen die Freunde Fritz Dalk, Jos Schad, Melchior Mader, Lorenz Diem und Hans Mack, die, wie im Leben, so auch in dieser letzten Stunde zusammenhielten. Vier andere Meister, die ebenfalls dem Henker verfallen waren, zeigten sich weniger mannhaft. Sie fielen mit Jammergeschrei vor dem Markgrafen auf die Knie und flehten, daß sie sich wenigstens verantworten dürften.
Während die Aufmerksamkeit auf sie gerichtet war, 644 drängte der Metzger Fritz Dalk mit seinen herkulischen Armen die ihm zunächst stehenden Fußknechte auseinander und schuf dadurch eine Lücke, durch welche seine Freunde und er rasch hindurchschlüpften. Ehe die Söldner sich besannen, oder richtiger wohl, sich besinnen wollten, stürmten sie schon die obere Schmiedgasse hinunter und gewannen durch das Kobolzeller Tor das Freie. Jene vier anderen Meister ließ der Markgraf einstweilen in den Turm legen. Somit waren von den Todesopfern nur zehn übrig geblieben, darunter der greise Schulrektor Wilhelm Bessenmayer und ein Priester namens Hans Kumpf, den man krank aus seinem Hause in den Ring getragen hatte. Er war ein Vetter des Altbürgermeisters. Diese wurden auf der Stelle mit dem Schwerte gerichtet. Ihre Leichen blieben bis zum Abend auf dem Marktplatze liegen, worauf sie in eine gemeinsame Grube auf dem ehemaligen Judenkirchhof geworfen wurden.
Nach diesem ersten, bluttriefenden Akt des Trauerspiels begab sich der Markgraf in die Burg. Dorthin hatte der Rat schon vor dem Einzuge Kasimirs die Dorfgemeinden auf diesen Tag befohlen, um ihre Waffen abzuliefern und der Stadt neu zu huldigen. Die Bauern waren bei der Kapelle auf der Vorderburg aufgestellt. Ihre Haltung war zwar äußerlich demütig, allein es versteckte sich darunter weniger Furcht als Erbitterung. Mancher Blick auf das Fußvolk und die Reiter, die aus den Haufen abgelegter Waffen sich gierig das Beste auslasen, verriet es. Es war eine erstaunliche Menge vorzüglicher Stücke vorhanden. Der Herren aber harrte hier eine große Enttäuschung. Denn als Hans von Seckingen die Namen der Hauptursächer und Anführer verlas, siehe, da waren diese bis auf einen so gescheidt gewesen, von der Schlachtbank fernzubleiben. Diesen Einfältigen, Hans Holmpach hieß er, allein köpfen zu lassen, lohnte der Mühe nicht. Er wurde in den Turm geworfen und die 645 anderen nach erneuter Huldigung in die Heimat entlassen. Der hinkende Bote kam jedoch in Gestalt einer Brandschatzung von 20 000 Gulden nach, die unbarmherzig eingetrieben wurde.
Am Nachmittage suchte Fräulein von Badell ihre unglückliche Freundin auf, welcher der Rat selbst den leidigen Trost verweigerte, ihren Gatten im Gefängnis sehen zu dürfen. Es braucht wohl kaum gesagt zu werden, daß das alte Fräulein fast täglich zu ihr kam, um sie wenigstens von ihren steten Gedanken abzulenken, da sie nicht helfen konnte. Freilich hatte ihr derber frischer Humor durch die Ereignisse der letzten Zeit einen gar ätzenden Beigeschmack erhalten. Heute kam sie in einer besonderen Angelegenheit. Dr. Max hatte vorgeschlagen, den Beistand des Markgrafen nochmals anzurufen und zwar in Begleitung einiger ehrenhafter und angesehener Bürger der Stadt. Fräulein von Badell war damit einverstanden gewesen, hatte aber geraten, ihr die Ansprache der Bürger darum zu überlassen. Sie sagte: »Gehet Ihr zu Ihnen, so werden sie es Euch abschlagen und Ihr werdet ihnen nicht in das Gesicht sagen können, daß der eigentliche Grund ihrer Weigerung die Feigheit sei. Lasset mich machen, ich werde mit meiner Meinung nicht zurückhalten und ihnen das Mauseloch verstopfen, so daß sie nicht entschlüpfen können.« Jetzt kam sie mit der Nachricht, daß ihre Bemühungen von Erfolg gewesen wären und die Bürger Frau von Menzingen morgen früh zu dem Markgrafen abholen würden.
»Und es kann nit schaden, wenn Ihr die Else mitnehmet, liebe Frau«, fügte sie noch hinzu.
So geschah es denn auch. Markgraf Kasimir empfing sie und ihre Begleiter noch huldvoller als in Bamberg. Denn Frau Margarethe hatte ihm unter der Hand durch seinen Geheimschreiber 2000 Gulden Lösegeld anbieten lassen, und Elses Schönheit, deren Adel durch die 646 schwarze Tracht in einer rührenden Weise hervorgehoben wurde, verfehlte auf den Frauenkenner ihre Wirkung nicht. Er entließ Frau von Menzingen mit der tröstlichen Versicherung, daß die Feinde ihres Gatten vor seiner Gerechtigkeit zu Schanden werden sollten.
»Und Ihr, werte Herren,« wandte er sich an die Bürger, die sie begleiteten, »saget der Bürgerschaft, daß ich zwar unnachsichtig streng gegen die Rotte der Bösewichter bin, und nicht ruhen werde, bis ich sie mit Stumpf und Stiel ausgenichtet habe; daß aber die Gutgesinnten auf mich bauen können, als wie auf einen Felsen.«
Sein Trost war keine eitle Vertröstung. Er hatte sich von seinem Geheimschreiber über die Urgichten Stephans von Menzingen und der beiden Geistlichen eingehenden Vortrag halten lassen und war überzeugt, die Angelegenheit zu seiner Zufriedenheit leicht erledigen zu können. Zu diesem Zwecke hatte er den Inneren Rat nach Beendigung des Gottesdienstes – denn es war Sonntag – zu sich beschieden.
»Ich bin des Wesens erstaunt, ehrbare Herren«, so sprach er, die Akten zur Hand, die pünktlich Erschienenen an. »Was stehet denn Großes in den Urgichten? Daß der Menzingen den Karlstadt gespeist und wider Verbot in die Stadt gelassen, daß er den Bürgern geraten, einen Ausschuß zu machen und als Steuerer seine eigene Steuer in der Rolle ausgelöscht hat. Das ist sicher straffällig, aber doch keines ein todeswürdiges Verbrechen. Und was Deutschlin und der blinde Mönch auf der Folter bekannt haben, das ist vollends der Schärfe nit wert. Fast übereinstimmend räumen sie ein, daß sie mit Karlstadt verkehrt, seine Lehre vom Sakrament gebilligt, gegen die Messe gepredigt und die Obrigkeit gescholten haben, weil sie die Verkündung des lauteren Evangeliums verhinderten. Das ist alles. Gott's Marter, wer behielte seinen Kopf noch auf den Schultern, wenn ich nach Eurem Maße messen wollte? 647 Leget ihnen eine Geldbuße auf, aber gebet sie frei, und ich will Eurer Stadt in Gnaden gewogen bleiben.«
Der Haß aber machte die Ratsherren blind, so daß ihnen mehr daran gelegen war, ihre Feinde zu vernichten, als die Gunst des Markgrafen sich zu sichern. Sie weigerten sich hartnäckig, dessen Verlangen zu erfüllen, drohten ihm selbst mit einer Klage beim Bunde und Konrad Eberhard erklärte ihm in ihrem Namen: »Der Rat kann in Ew. fürstlich Gnaden Begehr nicht willigen. Denn wenn Ihr den Menzingen und die beiden Geistlichen ungestraft lasset, so ist den Zehn, die gestern gerichtet worden, von fürstlicher Hoheit ein höchstes Unrecht geschehen. Denn just die drei, das sind die rechten Ursächer und Häupter der ganzen Empörung.« Hieronymus Hassel fügte hinzu: »Auch haben der Deutschlin und der blinde Mönch öffentlich gepredigt, daß hinfüro keine Zehnten, nicht Tranksteuer noch Klauengeld mehr entrichtet werden sollen. Wenn das nit Aufruhr ist, was ist's?«
Dem Markgrafen schwoll die Zornader auf der Stirn und er verabschiedete den Rat mit den Worten: »Überleget's noch einmal! Denn eher soll mir die Zunge verdorren, ehe daß ich in Euer Begehren willige.« Der Graf von Pappenheim äußerte, als beide allein waren: »Wozu mit den Holzköpfen noch länger sich placken? Auf diese Weise kommt Ew. Liebden mit ihnen nit zu Rand. Schicket eine Rotte Fußknechte, um die Gefangenen aus dem Turm zu holen, und basta.«
Markgraf Kasimir machte in das Kerbholz der Stadt einen neuen und sehr tiefen Einschnitt. Erklärlich, daß seine Laune dem mit kleinen goldenen Sternen besäten silbergrauen Damast glich, in den er von Kopf bis Fuß bekleidet war, als er sich einige Stunden später zu dem Bankett begab, das ihm der Rat aus der Stadt gemeinem Säckel in dem großen Saal des Rathauses gab. Er hielt es auch nicht der Mühe wert, das Grau seiner Mißstimmung zu verbergen, und die Ehrbaren, 648 die er einiger Worte würdigte, konnten sie bezeugen. Erasmus von Muslor begleitete ihn und nannte ihm die Namen der so wenig schmeichelhaft Ausgezeichneten. Die goldenen Sterne gewannen jedoch an Kraft, als sein Feldherrnauge die Schar der Frauen und Jungfrauen musterte und unter ihnen die schöne Gabriele entdeckte. Sie trug ein blaues Gewand von knisterndem Atlas mit gelbbunt erlegten Schlitzen über einem gelbseidenen Unterkleide. Ein kurzes Krägelchen von dem Stoffe und der Farbe des Oberkleides und ebenfalls gelb gefüttert, schwebte auf ihren nackten Schultern, ohne den reizend gewölbten Busen neidisch zu verhüllen. Das schwarze Haar war in zwei dicken Flechten, die von Perlen durchschlungen waren, über die Stirn gelegt, so daß sie einem Diadem glichen, und Gabriele trug den feinen Kopf so stolz, als ob ihn wirklich ein Krönlein zierte. Es war aber ein anderer Dämon als der des Hochmutes, der aus ihren großen schwarzen Augen schaute.
Sobald der Markgraf ihrer gewahr wurde, schritt er gerade auf sie zu und sagte zu Herrn Erasmus, während sie vollendet höfisch in die Erde sank, wie sie es von der Schwester Lamperta gelernt hatte: »Ihr seid ein neidenswerter Mann, Bürgermeister, daß Ihr ein solches Kleinod in Eurem Hause heget.« Gabriele senkte die langbewimperten Augen, um sie desto strahlender wieder aufzuschlagen, und er fuhr fort, ihr kernige Schmeicheleien über ihre Reize zu sagen. Erasmus von Muslor mußte den Spielleuten auf den Bänken, die sonst Richter und Schöffen einnahmen, verstohlen ein Zeichen geben, damit ihre Musik endlich die Gäste zu Tisch brachte. Sie waren längst hungrig und die Speisen drohten zu verderben.
Frau von Muslor war die Dame des Markgrafen und er begnadigte sie mit dem bleichen Abglanz des Wohlgefallens, das Gabriele ihm einflößte. Sabine hatte ein Unwohlsein vorgeschützt, um an dem Bankett nicht 649 erscheinen zu dürfen. Die Freundschaft zwischen ihr und Gabriele hatte völlig Schiffbruch gelitten. Ihre von Florian Geyer zurückgewiesene Leidenschaft hatte Gabriele grenzenlos er- und verbittert und sie verbarg es kaum notdürftig, wie verhaßt ihr die alten Verhältnisse waren. Lieber den Tod, als in ihnen weiter leben! Ihre Vergangenheit fortwährend durchwühlend und durchgrübelnd, machte sie Max dafür verantwortlich, daß sie geworden war, wie sie war, erschien ihr dessen Liebe zu Else als der Urquell aller ihrer Leiden. Und sie erinnerte sich, was sie dem Paare geschworen hatte. Der Augenblick war gekommen, den Schwur zu erfüllen. Das Blut, welches nun auch in Rothenburg geflossen war, berauschte sie, belebte sie. Und es war, als ob dieser Rausch sich in ihrem ganzen Wesen verriet, so daß sie die Blicke des Markgrafen immer wieder zu sich zwang. Nach dem ersten Gange schickte er ihr seinen Pagen mit dem Ersuchen, ihr einen Zutrunk widmen zu dürfen. Verbindlich neigte er seinen Becher gegen sie und sie dankte ihm mit einem Lächeln, das ihn veranlaßte, seinen gekräuselten Schnurrbart zu liebkosen. Nach dem zweiten Gange kam er, um mit ihr zu plaudern. Ihr alter, stets schnöde von ihr behandelter Verehrer, der Junker von Hornburg, der sie zu Tisch geführt hatte, wollte dem Markgrafen seinen Platz einräumen. Er zog es aber vor, hinter ihrem Stuhle stehen zu bleiben, den Duft ihres Haares einzuatmen und die Blicke in ihren Busen zu tauchen, wenn sie denselben nicht mit ihrem Fächer schützte. Später sandte er ihr einen Teller mit Konfekt und dann nahm er ohne Umstände den Platz an ihrer Seite ein und verließ ihn erst gegen Ende der Tafel.
Von dem, was beide bald scherzend, bald lachend, bald ernst und angelegentlich mit einander sprachen, vermochte ihre Nachbarschaft kaum ein Wort aufzufangen, und dann war es eine Beteuerung von seiner Seite, die bestätigte, was alle sahen, daß es ihm nämlich 650 Gabrieles Reize angetan hatten. Konrad Eberhard beobachtete sein Mündel unausgesetzt, begegneten sich aber ihre Blicke, so vermochte er in den ihrigen nichts von dem zu lesen, wonach er so begierig spähte. Sie spielte ein hohes Spiel, aber sie spielte es für sich allein und unbekümmert um ihn, der sie unter seinem Einflusse glaubte. Endlich erhob sich der Markgraf. »Es bleibt also bei unserer Verabredung, schöne Gabriele, und ich hole Euch zu dem Spazierritt ab«, sprach er laut zum Abschiede. Sie neigte stumm den Kopf und schlug ihren Fächer auseinander, um ihre erhitzten Wangen zu kühlen. Bevor der Markgraf bald darauf den Saal verließ, zog er noch Erasmus von Muslor bei Seite und sprach vertraulich eine kurze Zeit mit ihm.
Am nächsten Morgen erschien der Markgraf zu Pferde vor dem Hause des ersten Bürgermeisters, und dann sah man die schöne Gabriele auf ihrem Rappen an seiner Seite durch die Stadt nach dem Röder Tor reiten, wo sechs Reisige zu ihrem Geleit harrten.
Es war noch vor dem Morgenessen. Von den festen Versicherungen des Markgrafen beruhigt, lagen Frau Margarethe und ihre Tochter nach den vielen in Kummer und Tränen durchwachten Nächten in ihrem nach dem Hofe hinausgehenden Schlafgemach noch im Morgenschlummer. Sie vernahmen nicht den dumpfen Trommelschlag, der die Einwohner zu einem neuen blutigen Schauspiel auf den Markt rief. Stephan von Menzingen, Dr. Deutschlin und der blinde Mönch bestiegen nach einander das Schafott. Geistlichen Zuspruch verschmähten sie. Nur der blinde Mönch ergriff noch das Wort und sprach mit seiner weithinschallenden Stimme, der die Rothenburger so oft auf den Gassen und Plätzen gelauscht hatten: »Brüder, seid getrost, wir sterben für die Freiheit, aber die Freiheit stirbt nicht mit uns!« Stehend empfing er den Todesstreich.
Nach ihnen fielen die Köpfe der vier Bürger und Hans Holmpachs, die vorläufig in den Turm geschickt worden, 651 sowie die dreier Bauern-Hauptleute, welche den Fußknechten zufällig in die Hände geraten waren. Sie alle starben, wie die Blutzeugen versicherten, mit der größten Standhaftigkeit. Und weil man eben bei der Henkersarbeit war, so ließ der Rat gleich noch einen Schmied wegen Totschlages, der Markgraf einen widerspenstigen Lanzknecht und ein Edelmann zwei seiner abtrünnig gewordenen Hintersassen köpfen. Das Blut floß wie ein roter Bach über den Markt und die abschüssige Schmiedgasse hinab. Auch diese Leichen blieben sämtlich bis zum Abendgeläut auf dem Marktplatze liegen, worauf sie von dem Totengräber zu den bereits früher Gerichteten in die Grube auf dem Judenkirchhof geworfen wurden.
Als der Markgraf Kasimir von Brandenburg von seinem Spazierritte zurückkehrte, war das blutige Werk getan. Die Betäubung und den Jammer der Frau von Menzingen und der Ihrigen zu schildern, als sie das Entsetzliche erfuhren, wer vermöchte es? Der Markgraf kam allein nach Rothenburg zurück. Die schöne Herodias setzte ihren Ritt im Geleit der Reisigen nach Schloß Onolzbach fort, um nimmer wiederzukehren. Sie hatte alle Bande zerrissen, die sie an ihre Vaterstadt knüpften. Der Markgraf aber zog noch selbigen Tages mit seinem Kriegsvolke ab, um anderwärts seines Henkeramtes zu walten.
Bereits am Tage nach seinem Einzuge in Rothenburg hatte er je ein Fähnlein Fußvolk und 150 Reiter nach Brettheim und Ohrenbach geschickt, um diese beiden Hauptherde der Revolution zu zerstören. Die Brettheimer stellten sich tapfer zur Wehr und es wurden ihrer viele erschlagen, auch Jörg Metzler fiel – eine traurige Sühne des Kleinmutes, mit dem sie vor Königshofen sich zerstreut hatten, anstatt in die Schlacht einzugreifen. Das Kriegsvolk zog mit 600 Häuptern Vieh und 30 Wagen voll Beute aus dem in Flammen aufgehenden Dorfe ab. 652
Ohrenbach war das einzige Dorf des Rothenburger Gebietes, das auf die Aufforderung des Rates an die Landschaft, sich auf Gnade und Ungnade zu ergeben, stumm geblieben war, trotzdem es durch den unseligen nächtlichen Sturm auf den Marienberg und die Schlacht bei Ingolstadt den größten Teil seiner waffenfähigen Männer eingebüßt hatte. Durch Flüchtlinge der Schwarzen Schar, die sich mit Florian Geyer durchgeschlagen hatten, kam die Kunde von diesen Geschehnissen so wie von dem feurigen Heldentode Simon Neuffers nach Reichardtsrode und Ohrenbach.
Und als ob des Schrecklichen noch nicht genug wäre, erschien an demselben Tage, an dem der Truchseß von Waldburg in Würzburg eingezogen war, die schwarze Hofmännin in Ohrenbach. Es war nach dem Abendgeläute und die Dörfler standen und saßen vor den Häusern wie bei der Linde, als die schwarze Hofmännin daherkam. Ihre Kleider waren zerfetzt und das graue Haar hing ihr in wirrer Auflösung um das dunkelbraune runzelige Gesicht. Sie war barhäuptig, hatte den Kopf gesenkt und sprach unaufhörlich mit sich selbst, der Neugierigen nicht achtend, die sich ihr auf der Dorfstraße anschlossen. Vor der Linde blieb sie stehen, hob den Kopf und blickte um sich, als ob sie aus einem Traum erwachte. Der Bann ihrer unheimlich glühenden Augen hielt die Leute stumm. Sie strich sich das greise Haar aus der Stirn, stützte sich schwer auf den weißen Stecken, den sie in der Hand hielt und fragte, indem sie sich nochmals langsam umschaute: »Feiert die Freude der Pauken? Ist das Jauchzen der Fröhlichen aus? Jubeln sollt Ihr und springen; denn die Welt geht unter. Loset, wenn Ihr Ohren habt zu hören! Den Tod sah ich reiten auf einem fahlen Pferde und er trug den Ornat eines Bischofs. Der Bischof von Würzburg war es, und die Hölle folgte ihm nach. Und ihm war Macht gegeben zu töten – zu töten mit dem Schwerte, mit dem Hunger und mit reißenden 653 Wölfen. Und ich sah, wie sie töteten, erbarmungslos, dort, zu Würzburg in des Bischofs Stadt!« Sich hoch aufreckend und mit gesteigerter Stimme schilderte sie wild phantastisch die Gräuel des Blutgerichts, deren Augenzeugin sie am Morgen in Würzburg gewesen war, so daß den Hörern das Blut in den Adern gerann. »Ihr ächzet und stöhnt?« fuhr sie fort. »Aber also beschaffen ist die Gerechtigkeit Gottes und seine Barmherzigkeit mit uns armen Leuten.« Sie lachte schrill auf.
»Und wer bist Du?« fragte der alte Neuffer, der unter der Linde saß, sein Grausen niederdrückend. Die schwarze Hofmännin wandte ihm ihre Augen zu und fragte: »Weißt Du es noch, wer Du bist, alter Mann? Feuer, Tränen und Blut haben meinen Namen ausgelöscht.«
»Aber es ist die schwarze Hofmännin«, rief einer, der bei dem Fähnlein des langen Lienhart gestanden hatte. Da nannte Martin Neuffer ihr seinen Namen und lud sie ein, auf seinem Gehöft zu übernachten. Der Name machte sie aufmerksam, wahrscheinlich war es die Erinnerung an Simon gewesen, die sie unbewußt nach Ohrenbach geführt hatte. Sie sah ihn nachdenkend eine Weile an, schüttelte dann aber den Kopf und seufzte: »Ich kann halt gar nix mehr behalten.«
»Was tut's?« ermutigte der Alte sie. »Komm jetzt schon mit. Ich hab' Dich allbereits gekannt, wie Du noch jung warst, zu Niklashausen, und auch den Hans Böheim und Deinen Enkel.«
Da schrie sie auf: »Verbrannt, gemordet, und der Bischof lebt!«
Der alte Neuffer faßte ihre Hand und wollte sie mit sich ziehen. »Du mußt etwas essen und schlafen«, sagte er mitleidig. Sie aber riß sich los und rief: »Wer kann schlafen bei dem Jammergeschrei des zertretenen Volks? Es läßt mich nit ruhen. Ich höre es immer, es erfüllt die Welt. Horch! Horch! Der jüngste Tag 654 bricht an. Ich muß Gericht halten. Wehe! Wehe! Wehe!« Mit großen Schritten enteilte sie in die sinkende Nacht.
Die Täuschung ihrer felsenfesten Überzeugung, dort, wo Hans Böheim einst verbrannt worden, hatte sie irrsinnig gemacht. Noch länger als ein Jahr sah man die Unglückliche im Lande umschweifen, dann war sie verschollen. –
Als der alte Neuffer zu Hause von ihr erzählte, bemerkte seine Schwiegertochter, sie wundere sich, daß sie nicht auch den Verstand verloren habe. Sie vermochte sich über den Tod Simons nicht zu fassen und wies jeden Trost ab. Der Vater und Käthe hätten leicht ihr zusprechen, grämelte sie; denn deren Verluste wögen den ihrigen nicht auf. Sie hätte nicht nur den Mann, sondern auch den Vater ihrer Kinder verloren. Was nun aus diesen und ihr werden sollte? Sie hätte es ja von Anfang an gesagt, daß der Aufstand schlecht ausgehen würde, der Bauer sich aber nicht bedeuten lassen. Bei ihrem Hange, das Schwere sich noch schwerer zu machen, wühlte ihr Schmerz sich in eine an Feindseligkeit grenzende Bitterkeit gegen den Verstorbenen ein, daß er solches über sie und die Kinder gebracht hatte. Ihre Tätigkeit erlahmte darunter, so daß Käte zu der äußeren Wirtschaft auch die Sorge für die innere so gut wie ganz übernehmen mußte. Warum sollte sie noch schaffen, sie mußten ja doch alle zu grunde gehen, jammerte Ursel. Der alte Neuffer trug den Verlust des Sohnes ohne zu klagen, aber er verfiel sichtlich und sein stilles Leid schnitt Käte am wehesten ins Herz. Dazu lag oben auf der Kammer noch einer, der zwar ihres Trostes nicht bedurfte, denn er lag im Wundfieber, um so mehr aber ihrer Wartung und Pflege. Das war ihr Vetter Kaspar Etschlich.
Von Blut und Staub bedeckt, fiebernd, schwankend, so war er plötzlich auf dem Gehöft erschienen, hatte den Namen Kätes gelallt und war ihr ohnmächtig vor die 655 Füße gefallen. Glücklicherweise verstand sich der Dorfschmied Wieland etwas auf Wunden. Käte ließ ihn rufen, sobald Kaspar zu Bett gebracht war. Eine leichte Hand hatte er nicht und der Schmerz rief den Kranken auf einige Minuten in das Bewußtsein zurück, während er die Wunde untersuchte. Es war eine bedenklich ausschauende Kopfwunde, über der das von Blut und Staub verfilzte Haar eine starke hartgewordene Decke bildete, die erst erweicht und weggeschnitten werden mußte.
Käte vergalt ihrem Vetter jetzt reichlich die Pflege, die er einst Hans Lautner hatte angedeihen lassen und sie war um so sorgsamer, als sie sich bewußt war, daß ihre Liebe zu dem letzteren die Ursache war, aus der Kaspar den Scheergaden mit dem Feldlager vertauscht hatte. Dank ihrer Pflege besserte sich der Zustand Kaspars allmählich. Es dauerte aber noch lange, bevor er ihr sein Geschick seit dem mörderischen Kampfe bei Ingolstadt erzählen konnte. Er war trotz des Hiebes über den Kopf, den er bei dem erfolgreichen Vorstoß aus dem Gehölz erhalten hatte, mit den anderen noch eine Strecke gelaufen und dann niedergestürzt, mitten in einem blühenden Flachsfelde. Die Fußknechte hatten die Fliehenden nicht verfolgt, die Reisigen hätten sie schwerlich entrinnen lassen, denn sie waren wie Bluthunde auf die Bauern abgerichtet. Die kalte Morgenluft brachte Kaspar zu sich. Vorsichtig aber hob er nur den Kopf ein wenig, um sich zurecht zu finden, und dann kroch er auf Händen und Füßen von der Stelle, wo er gelegen hatte, eine gute Strecke seitwärts weg. Denn die Flüchtlinge hatten ihre Spur in dem Flachsfelde nur allzu deutlich hinterlassen. Eine Zeit blieb alles still, nur die Lerchen sangen über dem blühenden Felde. Dann vernahm Kaspar den dumpfen Schritt vieler Marschierenden und das Klirren von Waffen. Das Herz pochte ihm in heftigen Schlägen, aber er regte sich nicht. Das Geräusch zog sich am Rande des Feldes 656 hin und jetzt erhob sich ein wildes Geschrei, Schüsse fielen häufig und häufiger. Mühsam richtete er sich auf den Knieen auf und sein Haar sträubte sich empor. Das Wäldchen war von Fußknechten umstellt und er sah sie in dasselbe eindringen, sah an ihren Armbewegungen, daß sie niederstachen, was sie trafen, hörte die Schüsse, mit denen sie die Bauern von den Bäumen, auf die sie sich geflüchtet hatten, herunterschossen, als ob sie Vögel wären, hörte das entmenschte Lachen der Jäger, das Jammern und Schreien des erbarmungslos zur Strecke gebrachten Wildes. Trotz seines Entsetzens behielt er noch so viel Besinnung, daß er nicht aufsprang und davonlief. Aber er kroch in der abgekehrten Richtung weiter, bis ihn die Kraft verließ. Ein fürchterlicher Durst peinigte ihn, die Kopfwunde schmerzte, und die höher und höher heraufkommende Sonne versengte ihn. Grabesstille breitete sich über den Wald. Erst als es zu dunkeln begann, wagte er das Feld zu verlassen. Er kam auf eine Landstraße und sah hinter sich die rauchenden Trümmer eines Dorfes. Es war Giebelstadt. Wie er sich allmählich bis Ohrenbach weiter geschleppt, daran vermochte er sich nur ganz dunkel zu erinnern.
Mittlerweile traf der Befehl des Rats ein, daß die männliche Einwohnerschaft Ohrenbachs ohne Ausnahme bei Strafe Leibes und Lebens am Morgen des 30. Juni auf der Burg zu Rothenburg sich einzufinden habe, um den Untertaneneid zu erneuern und die Waffen abzuliefern. Wendel Haim berief die Gemeinde auf den Dorfplatz, es kamen aber auch die Weiber und Käte mit ihnen, und als er das Ratsschreiben verlesen hatte, rief die Frau des Schmieds in die darauffolgende Stille: »Dorfmeister, die Sach' geht uns Weibervolk just so nah an wie Euch Mannsleuten, und darum verlangen wir auch mitzuratschlagen.«
»Ja, aber die Weiber dürfen halt nit mitreden in der Gemein«, wehrte Wendel Haim die Zumutung ab, und 657 der Stellmacher Rubin rief grob: »Die Weiber haben das Maul zu halten.«
Die Frauen gaben ihm mit scharfer Zunge die Beleidigung heim. Die Wielandin stemmte die Fäuste auf die Hüften und rief: »Nu, es könnt' schon mancher von uns recht sein, wenn sie ihrem dummen Mann den Kopf abschnitten.«
Lachen und Schelten antwortete ihr. Da näherte Käte sich Haim und bat: »Dorfmeister, vergönn' mir nur ein Wörtlein! Mitstimmen wollen wir nit.«
»Ruhe«, rief die Frau des Schmieds, »die Käte soll reden!«
Wendel Haim gewährte es. Und wie sie nun auf der Bank stand, des Mädchens kräftige, schlanke Gestalt, die sich seit dem Tode Lautners höher gestreckt, während ihre Stirn über den leicht zusammenfließenden Brauen bedeutender sich gewölbt hatte, da wurde es wirklich still. Wie eine junge Tanne unter den Stürmen des Himmels sich biegt und fester einwurzelt, so war Käte an Leib und Seele erstarkt unter den Leiden und all' den schweren Anforderungen, die ihr das Schicksal aufgebürdet hatte. Die Leute aber gedachten bei ihrem Anblick wohl, daß sie die Schwester Simons war, vollends als ihre nußbraunen Augen mit einem ernsten und tiefen Blick auf sie herabschauten, und sie hielten sich still. Sie war freilich ein wenig verlegen und rot, als sie jetzt alle Augen auf sich gerichtet sah; dennoch begann sie mutig: »Mir dünkt, daß die Gnade der Herren just so ausschaut, wie ihre Ungnade. Wie aber die beschaffen ist, das wissen wir alle.« Sie erinnerte an das Blutgericht des Truchseß in Würzburg, der seinen Henker Berthold Aichelin stets mit sich führte und ihn seinen lieben Gevatter nannte; sie erinnerte an die Grausamkeit des Markgrafen Kasimir, der in Kitzingen 57 Bürgern die Augen hatte ausstechen lassen, weil sie geäußert haben sollten, daß sie ihn nicht 658 mehr sehen wollten, und der jeden Bauer, den er fing, am Weg an die Bäume hing.
»Nu, so dumm sind wir nit, daß wir uns in Rothenburg stellen«, riefen verschiedene Männer ihr zu.
»Nein, Ihr lassets darauf ankommen, daß sie Euch holen«, warf die Wielandin ihnen entgegen.
»Da müssen wir doch auch dabei sein! Haben wir nit unsere Wehren?« hieß es wieder.
»Freilich habet Ihr die«, fiel Käte mit ihrer hellen Stimme ein, stellte ihnen aber vor, daß ihre Zahl zu gering sei, um der Übermacht der Herren mit Erfolg widerstehen zu können. Und als dem keiner zu widersprechen vermochte, fuhr sie fort: »Ich wüßte wohl was! Wenn Ihr nit nach Rothenburg kommt, werden sie nach Ohrenbach kommen. Aber sie sollen das leere Nachsehen haben. Wir ziehen mit unserem Vieh, mit allem Hab und Gut in die Wälder. Dahin wagen sie sich nit. Der Konz Hart kennt die Wälder wie seine flache Hand und wird uns an einen sicheren Ort weisen. Das Dorf wird das Kriegsvolk freilich mit Feuer anstoßen, und verderben, was zu verderben ist. Ein Haus kann man wieder aufbauen, das Leben aber nit, wenn es einmal hin ist. Hab und Gut ist gerettet und das Dorf bauen wir wieder auf, so wie Ruh' im Land wird. Das kann itzt nimmer lang mehr dauern. Gott im hohen Himmel sei's geklagt, daß wir armen Leut' allerwärts unterlegen sind. Das wär aber halt zu dumm, daß wir uns totschlagen lassen, wo es keinem mehr was nützt. Wärs anders, lieber sterben wollt' ich, als Euch vom Kampf abmahnen. Zeit haben wir aber keine zu verlieren. Es muß halt jeder gleich Hand anlegen, wenn wir uns das Unserige bergen und retten wollen.«
Es war, als ob sie allen das Leben wieder gegeben hätte, und als nach ihr der Dorfmeister Haim auf die Bank stieg und fragte, ob man den Rat Kätes annehmen wolle, da antworteten Männer und Frauen, jung wie alt einhellig mit Ja. Käte wurde von den Frauen 659 geherzt und geküßt und die Männer schüttelten ihr die Hand. Zu Kaspar äußerte sie nachher: »Mir tuts Herz weh, daß ich ihnen nit anders hab raten können.«
Leicht war das Herz wohl niemand bei den in allen Häusern und Gehöften ungesäumt vorgenommenen Rüstungen zur Flucht. Im nächsten Morgengrauen begann der Auszug. Voran wurden die Rinder, Schweine und Ziegen getrieben; dann kamen in langer Reihe die mit Acker- und Hausgerät, mit Frucht, Lebensmitteln und Wein beladenen Wagen. Auch die uneingespannten Pferde mußten als Lasttiere dienen und von den Männern und Frauen, die zu Fuß neben der Karawane hergingen, trug jedes Bündel und Packen. Es wollte niemand selbst das Wertloseste zurücklassen. Das Vieh brüllte, grunzte und meckerte, als wüßte es, daß es seine alten Ställe nicht wiedersehen würde, die plumpen Räder ächzten und knarrten, die Frauen weinten und klagten und nur die Kinder waren der Abwechselung wegen vergnügt, während die Männer meistens stumm und finster dahinschritten. Die Kranken, welche Käte unter ihre besondere Obhut genommen hatte, waren so gut wie möglich auf den Wagen gebettet. Kaspar hatte sich entschieden geweigert, mit Ursel und ihren beiden Kindern zu fahren, wie schwach er sich auch noch fühlte. Konz Hart wußte in den dichten Waldungen, die sich westwärts bis an die Tauber erstreckten, einen gut verborgenen Ort. Dort wurde das Lager geschlagen. Nicht lange, so standen unter und zwischen den Bäumen eine Menge Hütten von Reisern, Zelte aus Saatlinnen und leeren Getreidesäcken, und Buden aus Haus- und Stubentüren, die von vielen ausgehoben und mitgeführt worden. Die Leinewandpläne über manchem Wagen boten ebenfalls ein Obdach.
Es war in der Tat die höchste Zeit zur Flucht gewesen. Denn schon zwei Tage später fiel das Kriegsvolk in das verlassene Dorf und hauste um so wütender darein, als es nicht die geringste Beute zu machen gab. 660 Konz Hart, der auf Kundschaft ging, sah bis auf die Kirche und das Pfarrhaus nichts als Brandruinen, und selbst die alte Linde war von den Vandalen nicht verschont geblieben. Sie hatten Feuer um dieselbe gelegt und sie zu verbrennen gesucht, weil es ihnen wohl zu viel Mühe und Zeit gekostet hätte, sie umzuhauen,
Kaspars Wunde heilte in der Waldluft vorzüglich. Das Wohlgefühl der Genesung, sowie das stete Beisammensein mit Käte verlieh seinen Tagen im Walde einen köstlichen Reiz. Beeinträchtigt wurde diese Stimmung nur dadurch, daß er von seinem Vater und dieser von ihm nichts wußte. Er sprach Käte davon, nach Rothenburg zu gehen. »Der alte Mann muß doch erfahren, daß sein lieber Sohn dem Tod eine Nase gedreht hat, just wie es mir Herr Florian in Ingolstadt geweissagt hat«, sagte er. Käte widersetzte sich seiner Absicht. Er sei nicht nur noch zu wenig bei Kräften für den weiten Weg, sondern wage als Schwarzer auch sein Leben dabei; eine Botschaft täte es auch. Er gab es zu, meinte jedoch, daß auf solchem Gange jeder Ohrenbacher leichtlich seinen Kopf in Rothenburg vergessen könnte. Käte sann eine kleine Weile nach, dann erbot sie sich zu gehen. Ein froher Schreck ergriff Kaspar. »Das wolltest Du tun, und für mich?« rief er mit feuerrotem Gesicht. »Nu«, entgegnete sie, »er ist doch mein Ohm, und an einem Weib wird sich der Rat doch nit vergreifen.«
»Aber Du vergißt, daß auch Du bei den günstigen lieben Herren noch in der Kreide stehst. Und wenn auch nit, ich könnts von Dir nimmer annehmen. Aber ich dank' Dir viel tausend Mal für Deine Gutheit.«
»Gar zu dumm wär's freilich, wenn sie mich in Turm schmissen; es war halt nit schön dort. Und diesmal könntest Du mich nit rausholen.« Sie lachte und es klang hell, wie einst in besseren Tagen.
Die Frau des Schmiedes, die eben vorüberging, blieb verwundert vor dem Paare stehen, das auf der Deichsel 661 des Wagens saß, unter dessen Plan Frau Ursel und ihre Kinder herbergten. »Bist lustig?« fragte sie das Mädchen. »Es tut einem gut, in all der grauen Trübsal so lachen zu hören. Was hast denn?« Käte teilte es ihr mit. »Gut wär's schon, wenn wir wüßten, wie's in Rothenburg ausschaut, ob wir wieder heim können«, antwortete sie. »Aber der Etschlich hat Recht, Du darfst nit hin.« Nachdenklich fuhr sie mit der Hand über den Mund und fügte entschlossen hinzu: »Ich will gehen. Abgemacht.«
Sie entzog sich dem Dank der beiden, indem sie sich mit langen Schritten entfernte. »O, Kätelein«, murmelte Kaspar. Das Herz wollte ihm über die Lippe; aber er zwang es zurück, stand auf und ging. Das Mädchen blieb noch eine Weile sinnend sitzen.
Frau Wieland tat am anderen Morgen des Vorwandes wegen ein Paar Hühner in ihren Korb und machte sich mit einer Fülle von Aufträgen an die Krämer auf den Weg. Um Mittag entlud sich ein Gewitter über dem Walde, das sich zwar bald verzog, aber der Regen dauerte fort. Der Schutz, den die Wipfel der alten Tannen, Buchen und Eichen gewährten, hielt nicht lange vor und das Naß der Wolken drang in alle Zelte und Hütten. Da suchte denn ein jeder sich zu schirmen, so gut er konnte, und man vernahm im Lager kaum ein anderes Geräusch als das Rascheln und Rieseln des Regens. Hier und dort zündete einer Feuer an, um sich zu trocknen; aber es gab mehr Qualm als Hitze. Der alte Neuffer, der mit Kaspar eine Reisighütte teilte, saß auch bei solch' einem mürrischen Feuer. Kaspar hatte sich in der Hütte auf das Lager von Blättern und Moos gestreckt und eine Pferdedecke über sich gebreitet. Er dachte an Käte, an Hans Lautner, an Simon, den langen Lienhart, Florian Geyer. Das war ein trauriges Denken bei dem steten Geriesel und dem Plätschern des Regens. Plötzlich verdunkelte sich der Eingang und eine Stimme fragte: »Schlafst?« Es war Käte, die zum Schutz 662 gegen den Regen ein Tuch über Kopf und Schultern geworfen hatte. Kaspar sprang auf. »Ist das ein Wetter«, sagte sie, in die Hütte tretend. »Und wie wird's erst im Herbst sein?«
»Da seid Ihr wohl schon längst wieder in Ohrenbach«, tröstete er und schob ihr von den beiden vorhandenen Strohstühlen einen hin.
»So gewiß ist das doch noch nit«, erwiderte sie und legte das Tuch ab. »Der Markgraf ist freilich abgezogen, es heißt aber, daß itzt der Rat auf eigne Faust sein Mütchen kühlt. Den Fritz Völkner soll er auch haben hinrichten lassen.«
»Sie ist also aus Rothenburg zurück, die Wielandin?« fragte Kaspar gespannt.
Käte bejahte. »Sie hat was Schreckliches in Rothenburg gesehen«, sagte sie. »Der Pfarrer Stöcklein aus Neusitz –«
Kaspar unterbrach sie: »Ich kenn' ihn, ich bin in seinem Haus gewesen und hab' von seinem Brot gegessen und von seinem Wein getrunken. Er wollte nicht mit ausziehen, sondern seine Gemeind' in der evangelischen Freiheit unterrichten!«
»Die Wielandin sah ihn am Pranger stehen«, fuhr Käte mit leise bebender Stimme in ihrem Berichte fort. »Gebrandmarkt ist er auf beide Backen, und mit Ruten haben sie ihn gestrichen und nachher ins Elend gestoßen.«
»Gerechter Gott!« rief Kaspar entsetzt. »Aber mein Vater, Käte? Mein Vater?«
Sie sah ihn mit einem tief mitleidigen Blick an und es wollte ihr beinahe der Mut versagen, ihm die Botschaft auszurichten, welche sie nur der Schmiedin abgenommen hatte, um sie ihm schonender mitzuteilen. Zögernd sagte sie: »Die Frau hat sein Haus nit gefunden – bloß den Ort, wo es gestanden. Dieweil die Bürger darin ihre heimlichen Zusammenkünfte gehalten haben, so hat's der Rat dem Erdboden gleichmachen und 663 Salz darauf streuen lassen und darf dort nie wieder ein Haus gebaut werden.«
Kaspar lachte wie toll auf. Käte erhob sich und wollte nach seiner Hand greifen. Schon rief er jedoch: »Und er hat sterben müssen!« Er hockte auf seinem Lager nieder und barg das Gesicht in den Händen. Käte setzte sich weinend zu ihm, legte den Arm um seinen Hals und flüsterte mitleidig: »Armer Kaspar!« Eine Weile saßen sie so. Dann ließ er die Hände sinken und sagte mit bitterem Hohn vor sich hin: »Recht muß Recht bleiben, war immer sein Wort. Aber sein Maß war von jeher zu lang für die Geschlechter, da haben sie's um seinen Kopf kürzer gemacht und jetzt stimmt's.«
»O, Kaspar, red' nit so grausam, ich hab' den Ohm ja auch lieb gehabt«, bat sie.
Er wandte ihr sein Gesicht zu, sah die Tränen in ihren Augen und seufzte schwer. Dann blickte er wieder weg und murmelte, auf die Erde starrend: »Jetzt bin ich halt heimatlos. Ein Lump auf der Landstraß'.«
»Aber nein«, rief sie nachdrücklich. »Du bleibst bei uns. Und es werden ja auch wieder bessere Zeiten kommen.«
»Das ist nicht, ich muß wieder auf die Wanderschaft«, schüttelte er den Kopf.
»Dann ist's freilich gefehlt; denn Arbeit find'st jetzt nimmer. Aber ich laß' Dich nit fort, Kaspar!« Und ihre Wange dicht an die seinige drückend, fügte sie leise hinzu: »Ich hab' Dich ja von Herzen lieb.«
Da zuckte er in die Höhe, blickte Käte mit groß sich öffnenden Augen an und fragte mit ungewisser Stimme: »Ist's wahr?« Sie nickte mit dunkelrotem Gesicht, schlang beide Arme um ihn und küßte ihn auf den Mund, und er preßte sie an sich und wollte sie nimmer lassen. Der Wirbelsturm in seinem Herzen machte ihn stumm.
Es hatte unterdessen zu regnen aufgehört und nur von 664 den Bäumen tropfte es noch. Als beide Hand in Hand aus der Hütte traten, leuchtete im Westen über dem Walde die Abendröte. Die Nachricht, daß Markgraf Kasimir das Rothenburger Gebiet geräumt habe, hatte das ganze Lager aufgeregt. Noch an demselben Abend wurde beschlossen, nach Ohrenbach zurückzukehren. Denn man getraute sich, den Stadtknechten des Rates im Notfalle einen erfolgreichen Widerstand leisten zu können.
Demgemäß erfolgte dann auch die Rückwanderung der Ohrenbacher und begannen sie den Wiederaufbau ihrer schrecklich verwüsteten Heimstätten. Der Rat ließ sie auch vorläufig gewähren. Denn er war klüger als die Junker, welche derart verblendet waren, daß sie gegen ihre Hörigen und Hintersassen mit schweren Gefängnis- und unerschwinglichen Geldstrafen, Strang und Richtschwert erbarmungslos zu wüten fortfuhren und sich dadurch selbst zugrunde richteten. Die Ehrbaren von Rothenburg sahen bei Zeiten ein, daß sie sich allzutief ins eigene Fleisch schneiden würden, wenn sie dem, was sie Gerechtigkeit nannten, noch länger freiesten Lauf ließen.
Noch ein anderer Umstand zwang sie, ein Auge zuzudrücken. Adam von Thüngen behauptete nämlich, daß die Rothenburger während der Belagerung des Frauenberges in dem Hause seiner Mutter etliche wertvolle Kleinodien geraubt hätten, und forderte dafür von dem Rate Ersatz. Als Rothenburg diesen zu zahlen sich weigerte, rottete er sich mit vielen adeligen Gesellen, unter denen natürlich Zeisolf von Rosenberg und Philipp von Finsterlohr nicht fehlten, zusammen, fiel in das Rothenburger Gebiet, verwüstete die Fruchtfelder, brannte die Dörfer nieder und trieb die Viehherden und Bauern fort. Auf Schloß Thüngen teilte er mit den Raubgesellen die Beute. Zuletzt erschien er frech auf den Höhen an der Tauber gegenüber Rothenburg und beschoß die Stadt. Seine Kanonen trugen jedoch nicht 665 so weit und Albrecht von Adelsheim führte ihn von der Burg aus mit den überlegenen Geschützen Rothenburgs so gründlich ab, daß er das Wiederkommen vergaß.
In solcher Not hatte der Rat den Bürgern die Waffen zurückgegeben und eifrig Kriegsvolk geworben. Allein die Knechte trafen erst ein, als der Junker wüste Fastnacht zu Ende war und weil sie doch ihr Handgeld nicht umsonst genommen haben wollten, so gingen sie auf Plünderung aus, und die entwaffneten Bauern vermochten sich ihrer nicht zu erwehren. Eine Bande von ihnen dachte auch Ohrenbach einen Besuch zu.
Es war gegen Mittag, als die Sturmglocke ihn ankündigte. Denn dem Frieden mit Rothenburg mißtrauend, hatten die Ohrenbacher seit ihrer Rückkehr aus dem Walde eine Wache auf den Kirchturm gestellt. Die meisten waren auf den Feldern, um von der Roggenernte einzubringen, was die Söldner des Markgrafen Kasimir in ihrer Wut auf den Halmen übrig gelassen hatten. Sogleich liefen die Männer mit ihren Sensen und Heugabeln dem Dorfe zu, wo schon die raubgierige Bande den gen Rothenburg führenden Eingang, dessen verbrannte Pforte und Schanzpfähle noch nicht erneuert worden, zu bestürmen begann, Sie stieß aber auf einen hartnäckigen Widerstand; denn die im Dorfe Zurückgebliebenen, selbst Greise, halbwüchsige Knaben und Weiber, hatten auf das Glockenzeichen die Wehren von den Wänden gerissen, Käte den Spieß ihres Vaters, und sich den Lanzknechten entgegengeworfen. Konz Hart, der eben auf der Tenne vom hochbeladenen Austwagen die Garben Kaspar und Käte auf dem Fruchtboden zugereicht, kämpfte mit seiner Heugabel unter den vordersten. Käte führte neben ihm mannhaft den Spieß, während Kaspar vor allem darauf bedacht war, sie mit seinem langen Stoßdegen zu decken und Wendel Haim nebst etlichen Schützen hinter der Dornhecke unter die Lanzknechte feuerte. Zur höchsten Wut entflammt, drangen diese mit wildem Geschrei vor und es wäre 666 jetzt trotz Kaspars Achtsamkeit um Käte geschehen gewesen, wenn Konz Hart nicht mit seiner Gabel den auf ihre Brust gerichteten Spieß bei Seite geschlagen hätte. In demselben Augenblicke – es war für das Häuflein der Verteidiger die höchste Zeit – fielen die von den Feldern herbeieilenden Bauern mit ihren Sensen und Heugabeln den Lanzknechten in den Rücken und zwangen sie, schleunigst Fersengeld zu geben, ein paar Tote zurücklassend. Aber auch die Ohrenbacher hatten einigen Verlust zu beklagen. Ein Flamberg hatte Konz Hart den Schädel gespalten, indem er den Tod von Käte abwehrte. Ein Grab in seinem Heimatdorfe, aus dem ihn die Herren ausgetrieben, war alles, was der unglückliche Hörige sich erkämpft hatte. Käte hatte ihm nur noch durch einen Blick danken können.
Es war ein öffentliches Geheimnis, daß der Bischof Konrad seinem Vetter das Geld zu dem Rache- und Raubzuge gegen Rothenburg gegeben hatte. Die Zeit der Abrechnung der Sieger untereinander war angebrochen. Das Kommende warf seine unheimlichen Schatten voraus, auch über den Glanz, mit dem Erasmus von Muslor jetzt die Vermählung seiner Tochter mit dem obersten Stadthauptmann Albrecht von Adelsheim feierte. An der Wand des Hochzeitssaales stand als ein Mene Tekel in blutiger Schrift von der Hand Stephans von Menzingen der Name des Markgrafen Kasimir von Brandenburg. Zwar hatte er Stephans und der beiden Geistlichen Köpfe ihren erbitterten Feinden für die Liebeshuld der schönen Gabriele preisgegeben, aber das machte die ihm zugefügten Beleidigungen nicht wett. Rothenburg mußte sie ihm mit der Abtretung der im Aischgrunde gelegenen Dörfer und sieben anderer Ortschaften außerhalb der Landhege aufwiegen und überdieses die Kosten seines Zuges nach Rothenburg bezahlen.
Käte und Kaspar – auch er in bäuerlicher Tracht – standen an dem Grabe Hans Lautners, als der 667 Hochzeitszug aus der Ehetür des Münsters von St. Jakob herauskam. Die Stadtmusikanten spielten lustige Weisen voran, und der Zug glitzerte und flimmerte von Seide, Damast und Samt in allen Farben, von buntwallenden Federn und goldenem Schmuck. Aber von echter Fröhlichkeit war in den Mienen der Gäste nicht viel zu spüren, am wenigsten in denen der Braut. Starren Auges schritt sie unter der Brautkrone, im langen Schleier und nachschleifendem weißen Atlasgewande daher. Sie sah aus, als ob sie tot wäre und nichts mehr von dem allen, was rings um sie vorging, sie berührte. Es war eine erloschene Seele, ohne Schmerz und ohne Freude. Sie wußte, daß Florian Geyer ermordet worden und daß ihre einstige Freundin als Maitresse zu Ansbach herrschte.
Käte bemitleidete sie. Kaspar harrte mit einem finstern Gesicht, daß der Hochzeitszug ein Ende nähme. Der Zufall hatte sie zu dessen Zeugen gemacht. Sie kamen von der verfluchten Hofstätt, auf der er das Licht der Welt erblickt hatte. Als der Zug und die Gaffer verschwunden waren, schritt er Käte voraus nach der Würzburger Gasse, wo sie in die Wohnung des Dr. Max Eberhard gingen. Dieser war jetzt ein viel beschäftigter Advokat; denn jeder, der während des Aufruhrs irgend wie durch die Bauern sich geschädigt glaubte, suchte sich nun an ihnen zu erholen. Es regnete Klagen, und die Bauern kamen zu Max, damit er sie verteidige. Auch Kaspar war nach der Stadt gekommen, um seine Hilfe in Anspruch zu nehmen. Er wollte gegen den Rat auf Ersatz seines vernichteten väterlichen Eigentums klagen. Max Eberhard erkannte ihn trotz seiner bäuerlichen Tracht sofort wieder und mit lebhafter Teilnahme erfuhr er, daß seine hübsche Begleiterin dieselbe war, die er einst wegen ihrer Bedrohung der schönen Gabriele hatte verteidigen wollen. Er redete Kaspar sein Vorhaben aus. Der Rat fuße auf einem, wenn auch barbarischen Gesetze, wonach nicht nur das 668 Leben, sondern auch Hab und Gut der Hochverräter dem Staate verfalle, Kaspar könne daher nur die Gnade des Rates anflehen. »Ich und den Rat um Gnade bitten? Lieber leg' ich meinen eigenen Kopf auf den Block!« rief Kaspar.
»Ihr würdet auch umsonst bitten, da Ihr selbst zu den schwarzen Böcken gehört«, antwortete Max. »Ehrenfried Kumpf hat, wie ich höre, den Rat auf das beweglichste ersucht, ihm die Rückkehr zu den Seinigen zu gestatten, ist aber abschlägig beschieden worden, trotzdem er nur dem Beschluß des Rates gemäß gehandelt hat. Ich fürchte, daß er Rothenburg nie wiedersehen wird.«
Die Befürchtung wurde wahr. Ehrenfried Kumpf starb fern von Rothenburg und den Seinigen. Besser erging es Hans Flux, dem die Heilbronner ihr feiges Liebäugeln mit der Revolution aufbürdeten. Er verklagte die Stadtväter bei dem Reichs-Kammergericht und erstritt seine Wiederaufnahme in die Stadt und die Herausgabe seines mit Beschlag belegten Vermögens gegen eine geringe Pön. Am traurigsten war das Schicksal Wendel Hiplers. Während Jörg Metzler aus Ballenberg seit der Schlacht bei Königshofen verschollen blieb, nahm der Bauernkanzler aus seinem Versteck seinen Handel gegen die Grafen Hohenlohe wieder auf, die nun geltend machten, daß sie einem Hochverräter nichts schuldig seien. Um seine Sache nachdrücklich zu betreiben, wagte er sich verkleidet und mit einer falschen Nase auf den Reichstag zu Speier, ward erkannt, niedergeworfen, gefoltert und starb im Gefängnis mit dem bitteren Gefühl, daß alles, was sein kluger, weitblickender Geist zum Wohl des gesamten Vaterlandes ersonnen und erstrebt hatte, unrettbar zu scheitern gegangen war.
Letzteres war die Ansicht Max Eberhards nicht, der Kaspar und Käte riet, Rothenburg je eher je besser hinter sich zu lassen. Denn so großmütig sei der Rat 669 nicht, daß er die Vögel wieder fliegen ließe, die ihm von selbst ins Garn gingen. Jedoch bewirtete er das Brautpaar erst, so gut er es als Junggeselle vermochte. Heiter konnte unter den obwaltenden Umständen das kleine Mahl nicht verlaufen. Max Eberhard sagte deshalb zu Kaspar, als sie schieden: »So trostlos die Zeit ist, die unzähligen Opfer sind nicht umsonst gebracht. Was wir nicht erreichen konnten, unsere Kinder werden es erreichen.«
»Und meines Dafürhaltens haben die Herren kein' Ursach' nit, sich ihres Sieges zu freuen«, äußerte Kaspar. »Zu Boden haben sie die armen Leut' freilich geschlagen, aber überwunden haben sie sie nit.«
In der Tat hatten die Ströme Blutes, welche die Herren vergossen, das Feuer wohl dämpfen, jedoch nicht auslöschen können. Es glomm noch Jahre lang und loderte bald hier bald dort wieder hell auf. Die unzähligen Geächteten – Banditen wurden sie genannt – die sich in die Schweiz, in die Wälder und die zerstörten Burgen geflüchtet hatten, wurden des Schürens nicht müde, während der Feuerschein der brennenden Herrenhöfe und Scheunen, der nächtens bald hier bald dort den Himmel rötete, von dem unversöhnlichen Hasse der Besiegten zeugte. Er war gegenseitig.
Auch zwischen Max Eberhard und seinem Vater kam es zu keinem Ausgleich und er wurde vollends von der patrizischen Gesellschaft Rothenburgs geächtet, als er nach Ablauf des Trauerjahres Else, die Tochter des Hochverräters, als sein Weib heimführte. Er aber ließ sich dadurch in seiner Gesinnung nicht irren, sondern blieb ein Anwalt der Armen.
Als im Herbste Ohrenbach wieder aus den Trümmern erstanden war, heiratete Kaspar die lang umworbene Käte. Ihr Bruder Andreas kam von Tauberzell herüber und segnete das Paar ein. Gleichsam als Brautfackel, obgleich es ein zufälliges Zusammentreffen war, loderte 670 in derselben Nacht Haltenbergstetten, die Burg des Junkers Zeisolf von Rosenberg gen Himmel.
Kaspar wurde unter der Anleitung seines klugen Weibes ein tüchtiger Bauer. Es war dem niedergetretenen Volke bei strenger Strafe verboten, von den Ereignissen des Jahres 1525 zu sprechen. Dennoch wurde davon in allen ländlichen Hütten fort und fort geflüstert und Kaspar Etschlich ließ sich am wenigsten den Mund verbieten. Wann an den langen Winterabenden die Nachbarn beisammensaßen und die Spinnräder surrten und schnurrten, dann wurden die Erinnerungen an die Revolution lebendig, dann erzählte Kaspar von Florian Geyer und holte auch wohl das von ihm bei Ingolstadt gerettete schwarze Fahnentuch mit der golden aufgehenden Sonne hervor. Und es blieben die Hoffnungen lebendig und sie wuchsen, daß die Sonne der Freiheit eines Tages in Wirklichkeit aufgehen würde über dem geknechteten und entrechteten Volke.
Ende.