Robert Schweichel
Um die Freiheit
Robert Schweichel

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Neuntes Kapitel.

Noch am Abend des zweiten Pfingstfeiertages berieten Erasmus von Muslor und Konrad Eberhard mit dem Bürgermeister und ihren vertrautesten Gesinnungsgenossen. Nach den schweren Niederlagen der Bauern bei Königshofen und Ingolstadt glaubten sie der Furcht vor jenen ledig sein zu dürfen und Konrad Eberhard drang mit der ganzen Schärfe seines Wesens darauf, die Maske der Brüderschaft, welche durch die Abberufung der beiden städtischen Vertreter von der Versammlung zu Würzburg bereits sehr durchscheinend geworden, ganz fallen zu lassen. Man entschloß sich dazu. Die beiden Räte und der Ausschuß wurden zur gemeinsamen Sitzung berufen und Georg Bermeter trug vor, daß die Bürgerschaft nunmehr vor allen Dingen an ihre eigene Sicherheit zu denken habe. Man müsse daher unverzüglich den Frieden mit dem Schwäbischen Bunde suchen und zu diesem Behufe eine Gesandtschaft an den Truchseß von Waldburg schicken.

»Also das ist Eure Bundestreue gegen die Bauern?« erhob Stephan von Menzingen sich mit rollenden Augen. »Anstatt ihnen in ihrer Not beizustehen, wollet Ihr sie feige im Stiche lassen.« Ein Murren erhob sich, es hatte aber nur zur Folge, daß er seinen Vorwurf der Feigheit mit dem Zusatz wiederholte: »Sie krönet nur Euren Wortbruch; denn Meineid war es bereits, daß der Rat 610 den Geyer von Geyersberg der Stadt verweisen ließ. – Schreiet soviel Ihr wollt«, fuhr er mit einer Löwenstimme fort, als ihn die Versammlung durch Geschrei und Lärmen am Weitersprechen zu verhindern suchte. »Es ist meine Pflicht als Obmann des Ausschusses, die Stadt vor dem Schaden zu bewahren, den Ihr über dieselbe bringt. Denn durch Eure Hasenherzigkeit stürzt Ihr sie und Euch selbst ins Verderben, anstatt sie und Euch zu retten. Die Unterwerfung wird uns nichts eintragen als die Verachtung des Feindes, der uns nur um so ärger bedrücken wird. Unser Heil liegt in seiner Achtung. Wir müssen sie ihm abzwingen. Schon die Klugheit gebietet es, selbst wenn Ihr nicht mannhaft kämpfen, sondern nur erträgliche Friedensbedingungen erhalten wollet. Rothenburg ist fest und stark genug, um dem Truchseß die Stirn bieten zu können. Vor unseren Mauern wird er den leichten Lorbeer lassen, den er den kriegsunkundigen Bauern abgewonnen hat. Daher, so lasset uns die Stadt in den besten Verteidigungszustand setzen, Kriegsvolk annehmen und uns mit aller Macht rüsten.«

Nicht seine Gründe, sondern die Kraft seiner Stimme hatte gesiegt, so daß es ruhiger und ruhiger geworden war. Jetzt brach der Lärm von neuem los, man wollte niemand mehr zum Worte kommen lassen. »Abstimmen! Abstimmen!« schrien die Gegner von Menzingens, von den Sitzen aufspringend und mit den Füßen stampfend.

Eine erdrückende Mehrheit erhob die Hände für den Vorschlag Bermeters und selbst von dem Ausschusse stimmten nur wenige gegen denselben. Es sollte also um Entschuldigung und Gnade gebeten werden und Erasmus von Muslor, Konrad Eberhard und Thomas Zweifel, der Stadtschreiber und Chronist, wurden mit diesem Auftrage an den Truchseß gesendet.

Sie fanden ihn in Heidingsfeld im Pfarrhause. »Ei, kommt Ihr?« riefen ihnen die Fürsten, Grafen und Ritter, so bei ihm in der Stube waren, entgegen. »Kriecht 611 Ihr zum Kreuz? Es ist just Zeit, wir wollten sonst selbst gekommen sein und Euch daheim gesucht haben.«

Der Truchseß selbst warf ihnen ihre Treulosigkeit gegen den Schwäbischen Bund und ihren Vertrag mit den Bauern mit den härtesten Worten vor. Demütig ließen sie den Sturm über sich ergehen, nur Thomas Zweifel beugte das Haupt nicht. Er gehörte seiner Gesinnung nach durchaus zu den Alten; aber er war ein Mann, ein ehrlicher, furchtloser Mann. Und unerschrocken trat er auch gegen die äußerst drückenden Friedensbedingungen auf, welche der Truchseß Rothenburg auferlegen wollte. Unterstützt durch die diplomatische Gewandtheit des Herrn Erasmus und nicht zum geringsten durch ein silbernes Kredenzgeschirr, welches der Rat dem Truchseß durch die Gesandten überreichen ließ, gelang es ihm, von den Forderungen manches abzuhandeln. Besonders gelang es, die verlangte Brandschatzung von 60 000 Gulden auf den zehnten Teil herabzumindern. Dagegen blieb der Truchseß unbeugsam dabei, daß die Stadt dem Bunde die Bestrafung der Bauern überlasse.

Der Innere Rat krönte das Werk seiner Botschafter durch einen doppelten Meisterzug seiner Perfidie. Er legte nämlich die Brandschatzung nicht nach dem Vermögen der Bürger um, sondern verteilte sie gleichmäßig nach der Zahl der Häuser innerhalb der Ringmauern, wobei auf jedes bewohnte Haus 7 Gulden entfielen. Den Nichtzahler traf Strafe der Verbannung auf 30 Meilen Weges. Da mußten von den Ärmsten viele mit Weib und Kind hinwegziehen, und entledigte sich der Rat auf diese Weise des unruhigsten Elementes der Stadt. Mit dem Einziehen der Steuer, die für die Wohlhabenden eine Kleinigkeit war, die Armen dagegen schwer drückte, wurde aber Stephan von Menzingen als einer der drei Steuerer Rothenburgs beauftragt und dadurch bei dem Volke allgemein verhaßt gemacht.

Nach der Verfassung Rothenburgs durfte kein Bürger 612 ein ihm vom Rate übertragenes Amt ablehnen. Für Stephan von Menzingen war die Schlinge, in der man ihn fangen wollte, ein letzter Grund, um gemäß seiner jüngsten Besprechung mit Florian Geyer zu handeln. Wieder hielt er mit seinen getreuesten Anhängern im Hause des Kilian Etschlich geheime Zusammenkünfte, und wie er, so waren auch sie von der Notwendigkeit überzeugt, ungesäumt einen entscheidenden Schlag gegen den regierenden Rat zu führen. Nur Krätzer, der in seinem Roten Hahnen die beste Gelegenheit hatte, die öffentliche Stimmung zu erkunden, war bedenklich. Noch am Pfingstsonntage war es dem Kommentur Christian gelungen, der Entmutigung wegen der Schlacht bei Königshofen entgegenzuwirken. Gewaltig hatte er in St. Jakob gegen die Obrigkeit gepredigt und ihr die Schuld an den blutigen Verfolgungen, welche die Bauern erlitten, zugeschrieben. Denn lediglich ihre unerträgliche Bedrückung hätte die armen Leute zur Empörung getrieben, und wer sie dafür verantwortlich machte, das seien Hund' und Schweine. Allein, die Kunde von der Niederlage bei Ingolstadt dämpfte die Wirkung nur allzubald wieder und selbst Christ Heinz, Melchior Mader, Lorenz Diem mußten bekennen, daß das Volk wie ein nasser Schwamm war und nicht Feuer fangen wollte.

Es kam dazu, daß Erasmus von Muslor und Konrad Eberhard wieder an die Spitze der Regierung traten. Georg Bermeter hatte mit der ungerechten Umlage der Brandschatzung und der Bestellung von Menzingens, sie einzutreiben, der Reaktion den letzten Dienst geleistet. Belastet mit der Verantwortung für alle Maßregeln, welche die Stadt untreu gegen den Schwäbischen Bund, zweideutig gegen den Markgrafen Kasimir, treulos gegen die Bauern gemacht hatten, durfte er jetzt sein Amt niederlegen und sich in sein hübsches Haus auf der Herrengasse zurückziehen. Durch das Vertrauen aller Parteien und seinen wohlwollenden Charakter ins Amt 613 gerufen, schied er dank seiner Schwäche aus demselben, verspottet und mißachtet von denen, die ihn mißbraucht hatten, gehaßt und verwünscht von dem Volke, das sich um die Freiheit betrogen sah. Im Gegensatz zu Mephistopheles hätte er von sich sagen können, daß er stets das Gute gewollt und stets das Böse geschaffen habe.

Wer sich irgendwie bloßgestellt oder mißliebig gemacht hatte, hielt sich fortan nicht mehr für sicher in der Stadt. Es kamen viele Bürger auf das Rathaus und zeigten an, daß sie auf die Messe nach Nördlingen oder sonst in ihren Geschäften verreisen müßten. Ehrenfried Kumpf kannte den Haß, den ihm die Geschlechter entgegentrugen, eben weil er zu ihnen gehörte, zu gut, um für sich einen Schutz darin zu sehen, daß er nur auf inständiges Bitten des Inneren Rates die Vertretung der Stadt in Würzburg übernommen hatte. Er tat sich hinaus und sein ganzes Vermögen wurde mit Beschlag belegt. Selbst der junge Spelt entwich. Max Eberhard warnte das Fräulein von Badell wegen ihres Schützlings. Er selbst dachte nicht an Flucht. Wie hätte er in so gefahrvoller Zeit die Geliebte und ihre Mutter verlassen sollen? Da Dr. Karlstadt zu bekannt war, um nicht an den Toren selbst in einer Verkleidung angehalten zu werden, so half Max dem Fräulein, den kleinen Doktor in der Dunkelheit aus ihrem Hause in einem Korbe über die Stadtmauer hinunter zu lassen. »Als wie einen Minnesänger, der zu seinem Lieb ins Fenster gestiegen ist«, meinte das alte Fräulein und konnte bei dem Vergleich ein Auflachen nicht unterdrücken. Er entkam glücklich und beschloß sein durchstürmtes Leben friedlich als Professor in Basel. Auch Pater Melchior, dessen Hochzeit mit der Schwester des blinden Mönches das Fräulein in ihrem Hause ausgerichtet hatte, Valentin Ickelsamer, der Lateinlehrer, und selbst der Kommentur Christian entkamen noch in der letzten Stunde, trotzdem das ekelhafte Geschmeiß der Angeber, das 614 die Reaktion aus ihrem eigenen Leibe erzeugte, allerwärts umherkroch.

Gabriel Langenberger, der schwindsüchtige Wirt zum Bären, sammelte jetzt feurige Kohlen auf das Haupt des Herrn Erasmus und dieser dankte ihm nicht mehr mit notdürftig verhehltem Ekel. Der Patriot wollte in seinem Gasthause haben munkeln hören, daß die Flüchtlinge mit Hilfe der Bauern und im Einverständnis mit ihren zurückgebliebenen Freunden die Stadt zu überfallen beabsichtigten; den Verkehr sollten die Franziskaner vermitteln. Ohne Zeitverlust nötigte der Rat die Mönche, ihr Kloster an der Burg mit einem Bruderhause im Herzen der Stadt zu vertauschen. Dem Stadthauptmann Albrecht von Adelsheim befahl er, um die Bauern einzuschüchtern, Schwarzenbronn, die Geburtsstätte des langen Lienhart, Leuzenbrunn, die Pfarre Leonhard Denners, Spielbach und etliche andere Dörfer niederzubrennen. Hieronymus Hassel und noch einige Junker begleiteten ihn und seine Knechte wie auf einer lustigen Badfahrt.

Nun entschloß sich auch Stephan von Menzingen, die Stadt einstweilen zu meiden. Es wurde ihm nachgerade deutlich, daß er auf Schritt und Tritt von des Rates Spähern umschlichen wurde. Waren seine ehrgeizigen Pläne unausführbar, so blieb ihm doch die Vergeltung an seinen Feinden sicher. Er wollte zu dem Markgrafen Kasimir. Seines Schutzes war er gewiß und nicht minder, wie er ihn kannte, daß er Rothenburg sein hinterhaltiges Benehmen teuer bezahlen lassen würde.

Es war Kirchweih in Rothenburg. Von dem fröhlichen Leben und Treiben, das sonst an diesem Tage in der Stadt herrschte, war heuer nichts zu spüren, Keine Maien und Tannen schmückten die Häuser, und die Bürger, die das Recht besaßen, ihren eigenen Wein auszuschänken, hatten in ihren geräumigen Vorhäusern die langen Tische und Bänke fast umsonst 615 ausgestellt. Furcht und Erbitterung hielten die ländliche Bevölkerung fern, die sonst an diesem Sonntage in hellen Scharen zur Stadt strömte. Den Hausierern und dem fahrenden Volk der Quacksalber, Gaukler und Lustigmacher wehrte die geheime Furcht des Rates den Einlaß. Während in seinem Hause die Pferde bereit gestellt wurden, hörte Stephan von Menzingen den Dr. Deutschlin ein letztes Mal in St. Jakob predigen. Um seinen Reise-Anzug zu verbergen, hatte er einen feinen Kamelotmantel übergeworfen. Mit Kilian Etschlich verließ er die Kirche und blieb am Rathause vor der Bude eines Goldschmiedes im Gespräch mit ihm stehen. »Halte die Freunde zusammen«, so lautete sein letztes Wort. »Im Süden und Westen steigen allbereits die Wetter wieder auf.« Da fielen plötzlich die Stadtknechte über ihn, überwältigten ihn und schleppten ihn zum Turm, ehe er sein Schwert unter dem langen Mantel hatte ziehen können. »Helft, Ihr Bürger! Helft, Ihr Brüder!« rief er den Leuten auf dem Marktplatze zu. Aber es rührte sich keine Hand und eine Stimme schrie: »Lieber, die Bruderschaft hat ein End'!«

Nur Dr. Deutschlin fühlte Erbarmen mit ihm und bat auf der Kanzel, daß man Mitleid mit dem gefangenen Bruder haben und ihn aus dem Gefängnisse erretten möge. Da ließ der Rat auch ihn greifen und zugleich den blinden Mönch.

Florian Geyer hatte schon am Abend des zweiten Feiertages vor Toresschluß Rothenburg wieder verlassen. Er durfte seinem eisernen Körper auch noch die neue Anstrengung zumuten. Stephan von Menzingen hatte ihn mit seinem kräftigsten Pferde beritten gemacht. Um dem Heere des Truchseß, von dem er Würzburg bereits eingeschlossen wähnen mußte, auszuweichen, ging er bei Klein-Ochsenfurt auf das rechte Mainufer über. Der abnehmende Mond kam herauf und schwamm auf der Himmelsbläue wie ein Boot 616 auf dem Wasser eines stillen Bergsees langsam dahin, Sein mildes Licht löste allmählich die hohe geistige Anspannung, in der sich der einsame Reiter nun schon seit zweimal vierundzwanzig Stunden befand. Freundlichere Bilder und Gedanken tauchten in ihm auf und drängten die politischen und kriegerischen Erwägungen zurück. Er hatte Else und ihre Mutter noch gesprochen, bevor er zu Pferde gestiegen war. Nun vergegenwärtigte er sich wieder das klare, tiefe und bei allem Ernste doch so weibliche milde Wesen des edel schönen Mädchens, er hatte sie lieb gewonnen wie eine junge Schwester, und er dachte daran, daß, so heftig gärend auch die Gegenwart, die Zukunft Deutschlands geborgen sei, so lange es noch solche Frauen wie Else besaß. Sie leitete ihn zu seinem eigenen Weibe hinüber und das bevorstehende Wiedersehen mit Frau und Kind, wenn es auch nur kurz sein konnte, veranlaßte ihn, seinen Gaul, den er in einen gemächlichen Schritt hatte fallen lassen, wieder anzutreiben. Auf vielfach sich kreuzenden Landwegen erreichte er über Rottendorf und Lengfeld das Stammhaus der Grumbachs, als die Sonne zu seiner Rechten schon seit einigen Stunden heraufgekommen war und den alten Trutzbau mit ihrem Lichte verjüngte.

Rimpar lag innerhalb der scharfen Biegung, mit welcher die von Osten kommende Pleichach gen Süden sich wendet, um bei Würzburg in den Main zu münden, nachdem sie ein liebliches Tal zwischen mäßigen Höhen in vielfachen Windungen durchflossen hat. Der Boden, auf dem die sehr geräumige Burg stand, erhob sich nur wenige Fuß über den Spiegel des rasch hingleitenden Flüßchens, das ihre Mauern und Türme im Norden und Westen bespülte. Fester als durch die Natur war Rimpar durch die Kunst; seine Ringmauern, Türme und Tore waren von einer erstaunlichen Dicke. Ob sie aber den Ungeheuern von Mauerbrechern, wie der Scharfmetze, der Nachtigall, der Singerin, die eben 617 das Licht der Welt zu erblicken begannen, zu widerstehen vermochten, mußte sich erst noch ausweisen, Die Zerstörungswut ist erfindungsreicher als die Verteidigung und daran sind bis jetzt noch alle Völker zugrunde gegangen. Der Haupteingang der Burg befand sich auf der Westseite, wo in geringer Entfernung von ihr die elenden Hütten des Dorfes Rimpar am Fuße einer Höhe sich hinstreckten. Gen Norden, jenseits der Pleichach, bedeckte der Gramschatzer Wald, der westlich an den Main lehnte, unabsehbar das Hügelland.

Auf diesen und das Dorf schauten die Fenster der beiden Stuben, die Frau Barbara Geyer bewohnte. Es waren dieselben, die sie schon als Mädchen behaust hatte. Vor den westlichen Fenstern befand sich ein plumper Balkon und darunter lag der kleine Burggarten. Die Stallungen, Vorratshäuser und Knechtwohnungen lagen auf der Ostseite. Das Schloß selbst bildete ein Viereck mit einem hohen Wartturm, dem Bergfried, in der Mitte.

Frau Barbara winkte dem Gatten, wie er durch das äußere Burgtor eintritt, ihren Willkomm vom Balkon zu. In einem Morgenrocke von weißem Linnen, umwogt von ihrem rotblonden Gelock, die Wangen hochgerötet, so stand sie droben, Sie hatte sich eben das Haar ordnen wollen, als sie seine Einlaß begehrende Stimme vernahm, und war hinausgeflogen. Einige Augenblicke später schloß er ihre hohe, volle Gestalt in seine Arme. »Gott sei Dank, daß Du endlich da bist«, seufzte sie auf und schaute ihm in die ernsten Augen, die voll Liebe auf ihr ruhten. Es verriet sich in den Worten mehr als die Sehnsucht nach ihm, die ihr fast unerträglich geworden war, seit ihr Bruder ihr seinen letzten Gruß gebracht und sie nun jeden Tag sein Kommen erwartet hatte. Sie fühlte sich von einer drückenden Last befreit, der Last der Einsamkeit und der Untätigkeit. Denn war Rimpar auch ihr 618 Vaterhaus, so hatte sie doch in demselben nichts mehr zu schaffen, nicht mehr in die Wirtschaft einzugreifen, wie vor ihrer Verheiratung und wie sie es auf Giebelstadt gewohnt war.

Den Gedanken an die Gefahren, von denen ihr Gatte fortwährend umringt war, hatte sie mit großer Fassung ertragen, Trost, Mut und Kraft in ihrem Kinde suchend und findend, wann ihr das Herz schwer war. Sie liebte ihren Gatten, gewiß, und sie verehrte und bewunderte seinen reinen, großen Charakter. Aber die höchste Liebe der Frau ist nicht diejenige zu ihrem Gatten, sondern die zu dem Kinde, das sie ihm geschenkt hat, und sie ist auch die reinste. Zu diesem ihrem größten Schatze mußte er Frau Barbara zuerst folgen, nachdem sie ihm mit froher Geschäftigkeit Knappendienste geleistet und ihm geholfen hatte, die Rüstung abzulegen. Den schlanken Zeigefinger an die Lippen legend, damit er kein Geräusch mache, führte sie ihn in die Schlafkammer, wo die Wärterin, die sie aus Giebelstadt mit sich genommen, an dem Bettchen des Kindes saß. Die Frau wollte ihm den Rockzipfel küssen; er litt es aber nicht, sondern gab ihr die Hand und sie blieb neben dem Paar stehen und suchte in den Mienen des Vaters die Rückstrahlung ihres Stolzes auf das Kind. Der Kleine hatte den Tag früher als die Hähne angekräht und holte jetzt das Versäumte nach. Das Köpflein mit den rotblonden Löckchen, die so fein wie Spinnfäden waren, in die linke Hand geschmiegt, während die rosigfleischige Rechte geballt auf der Federdecke ruhte, die runden Wängelein vom Schlafe rot wie Äpfel, so lag er gleichmäßig atmend da. Hand in Hand blickte das Paar auf ihn, die Mutter mit zärtlich stolzen Augen. Der Vater fürchtete, ihn durch seinen Kuß zu wecken; er küßte dafür die feinen Lippen der Mutter.

»Ist er nicht groß und stark geworden?« fragte diese, 619 und er pflichtete ihr scherzend bei: »O, ein Herkules in der Wiege!«

Die Wärterin nickte befriedigt, und Frau Barbara versicherte:

»Er fängt auch schon an zu sprechen.«

»Natürlich in der Muttersprache«, neckte Herr Florian. »Ich meine, in derjenigen, die nur das Mutterohr versteht.«

Die Wärterin schüttelte protestierend den Kopf. Frau Barbara drohte ihm lächelnd mit dem Finger. »Aber komm«, sagte sie, »Du mußt jetzt auf den nächtlichen Ritt Dich stärken und auch ruhen.«

Er war es zufrieden und sie stiegen von der Wohnstube aus die steinerne Wendeltreppe in das erste Stockwerk hinunter, wo sich das gemeinschaftliche Wohn- und Eßzimmer befand. Es war ein großer Raum, in dem seit einem Menschenalter nichts erneuert worden war und der einen mehr unfreundlichen als behaglichen Eindruck machte. Hier hatte Florian Geyer seine Frau kennen gelernt, die ihn auf einige Augenblicke verließ, um ein Frühstück zu bestellen. Damals hatte er nicht darauf geachtet, wie dunkel die Ledertapeten mit dem verblichenen Golddruck, wie tiefgebräunt die dicken Eichenbalken der Decke waren. Er sah es auch jetzt nicht, noch daß die Sessel und Bänke alt und abgenutzt, die Überzüge und Stickereien verblichen und auch wohl zerrissen waren. Schwarz gähnte der weite Kamin, in dem man einen ganzen Hammel am Spieße hätte rösten können. In der Mitte des Zimmers, wo ein hölzerner Hirschkopf mit einem natürlichen Geweih von sechzehn Enden als Kronleuchter herabhing, stand eine große Tafel von beinahe schwarz gewordenem Eichenholz auf plumpen gewundenen Beinen.

Nur eine kleine Weile und Frau Barbara hatte ihn mit Hilfe einer Magd, die ihr folgte, mit einem geräucherten Schweineschinken und kalten Rindsbraten 620 samt Zubehör besetzt. Frau Barbara legte ihrem Gatten vor und freute sich, daß es ihm so gut schmeckte. Nach einiger Zeit aber bewölkte sich ihre weiße Stirn und sie seufzte. Wie er darob fragend zu ihr hinüber sah, sagte sie mit bebenden Lippen: »Verzeih' mir! Ich dachte daran, wann endlich wir wieder unter unserm eigenen Dach bei Tische sitzen werden. Wir waren so glücklich auf Giebelstadt.« Ihre blauen Augen füllten sich mit Tränen.

»Ich wollte, daß ich Deine Frage bestimmt beantworten könnte«, erwiderte er mitleidig. »Wir müssen ausharren! An Frieden ist nicht eher zu denken, als bis der Feind niedergerungen ist. Ich hoffe, es ist dieses der letzte Gang mit ihm.«

Vom Hofe herauf erschollen Hufschlag, Rüdengebell und laute Rufe.

»Das ist Wilhelm«, sagte die junge Frau. »Er hat jeden Tag gefragt, ob ich nicht wüßte, wann Du kommst. Ich lasse Dich mit ihm allein. Wir haben in seiner Gegenwart doch nichts von einander.«

Als ihr Bruder, der im Jagdanzuge war, hereintrat und seinem Schwager zum Gruße die Hand reichte, die wie immer kaltfeucht sich anfühlte, verließ sie die Wohnstube, ohne daß er einen Versuch gemacht hätte, sie zurückzuhalten.

»Du kommst von der Jagd?« fragte Florian Geyer, während Wilhelm von Grumbach sich auf den früheren Platz seiner Schwester setzte und deren von ihr unbenutzt gebliebenen Gedeckes sich bedienend, den Becher füllte.

»Was soll man denn sonst treiben?« erwiderte er und trank und schnitt sich darauf ein tüchtiges Stück von dem Rindsbraten ab. »Eine schöne Jagd übrigens! Die Herren Bauern schießen mir das Wild zusammen und ich hab' das Nachsehen. Sie haben ja itzt das Recht dazu.«

»Was man sonst treiben soll, fragst Du?« bemerkte 621 Florian Geyer. »Aber ich dächte, wir hätten das in Heidingsfeld besprochen. Du hast also die Bauern auf dem Walde noch nicht aufgemahnt?«

»Ist mir nicht eingefallen«, trotzte sein junger Schwager. »Weißt Du, was ich auf Rimpar für eine Bescherung fand, als ich vom Marienberg heimkam? Vier von unseren Burgen hatten die Bauern unterdessen zerstört: Essenfeld, Pleichach, Altenhohenbach und Geroldshofen. Und da sollte ich den Roßmucken noch ein gut Wort geben?«

»Du vergissest, daß Du damals noch in den Reihen ihrer Feinde standest, und daß diese Roßmucken heute Deine Waffenbrüder sind«, ermahnte ihn Florian Geyer mit gerunzelter Stirn.

»Solch Waffenbrüder soll der Teufel holen«, grollte der Junker. »Sag' mir lieber, wie es in Würzburg steht, anstatt mir die Leviten zu lesen. Bin dazu halt zu alt.«

»Trotzdem muß ich Deine Unbotmäßigkeit aufs schärfste rügen«, sprach sein Schwager streng. »Wie soll das Ganze wirken, wenn die einzelnen Glieder versagen? Und in welcher Welt lebst Du, daß Du von Würzburg nichts weißt? Ist's doch nit viel über eine Stund' bis dort. Nun, der Truchseß Jörg steht vor der Stadt.«

Wilhelm von Grumbach starrte ihn groß an. »Und Du hier?« fragte er nach einer kleinen Weile ungläubig.

»Eben darum!« Florian Geyer schob Teller und Becher von sich und teilte ihm mit wenig Worten die Niederlage der Bauern bei Königshofen und Ingolstadt mit. Wilhelm schnellte von seinem Stuhle auf, so daß dieser hinter ihm zu Boden polterte. »Du bist auf der Flucht?« zischte er mit hochrotem Gesicht. »Und das ist das Ende? O, ich Dummkopf!« Er schlug sich mit geballter Faust vor die Stirn,

»Dein Spiel mag zu Ende sein, meines ist es nicht«, versetzte Florian Geyer und fügte mit einem Anfluge 622 von Geringschätzung hinzu: »Nu, der Bischof wird Dir ja nach wie vor ein gnädiger Herr sein.«

Wilhelm Grumbach stieß einen Fluch aus, schenkte sich einen Becher voll, den er auf einen Zug hinunterstürzte, und lief in der Stube hin und her. Dann warf er sich in einen der beiden, mit schwarzgewordenem Leder bezogenen Lehnstühle, die zu Seiten des Kamins standen, und ächzte: »Was kann denn noch geschehen?«

»Nichts, wenn Du nicht gesonnen bist, die Scheide Deines Schwerts wegzuwerfen«, antwortete sein Schwager trocken.

»Und wenn?« fragte Wilhelm von Grumbach mit gespannten Blicken.

Florian Geyer verließ seinen Platz am Tische und setzte sich ihm gegenüber. »So höre denn«, hob er an, und entwickelte ihm, wie Stephan von Menzingen, seinen Feldzugsplan, auf die Streitkräfte hinweisend, die zu dessen Durchführung den Bauern noch zur Verfügung ständen.

Den Ellenbogen auf die Seitenlehne des Stuhles, den Kopf in die Hand gestützt, hörte Wilhelm von Grumbach zu, mitunter einen scharfen Blick aus seinen stahlblauen Augen auf den Sprechenden zückend. Mit zusammengezogenen Brauen sagte er, ohne den Kopf zu heben, als jener schwieg: »Ich glaub's nit, daß sich Würzburg auch nur eine Woche lang gegen den Truchseß halten kann. Und nachher –?«

»Auch dann ist noch nichts verloren, nur darf es sich nicht ergeben«, erwiderte Florian Geyer ohne Zögern. »Es stehen dort noch 5000 Mann, während der Truchseß bei Königshofen und Ingolstadt bedeutende Verluste erlitten hat. Können sie die Stadt trotzdem nicht halten, bis der Entsatz zur Stelle ist, so müssen sie sich ohne Zeitverlust mit allen Vorräten, die sie zusammenraffen können, herausziehen. Der Gramschatzer Wald ist bald erreicht, und er deckt den Rückzug in die nur wenige Stunden entfernten Berge zwischen Röhn, Spessart und 623 den Vogelsbergen. Dort stehen wir in einer uneinnehmbaren Veste. Die Reisigen, die der Bauer so fürchtet, vermögen nichts in den Waldgebirgen, die durch Verhaue und Abgrabungen leicht zu schützen sind. Und auch die langen Spieße der Fußknechte sind in den Wäldern wenig nütze, abgesehen davon, daß sich eben jetzt erwiesen hat, wie wenig Verlaß auf das Fußvolk ist. Der Bauer, der seine Handwehr zu führen weiß, streckt es aus dem Gebüsch nieder, ehe es seiner noch ansichtig wird. Die Kriegskunst des Truchseß fällt dort nicht schwer ins Gewicht. Sie wird lahm gelegt durch die Ortskenntnis der Bauern, die Weg und Steg im Gebirg wie ihre Kappe kennen und darum nach allen Seiten hin Ausfälle in fruchtbare Gegenden zu machen imstande sind. Zudem gebricht es dort nicht an Eisenschmieden, die leicht in Waffenwerkstätten umgewandelt werden können, und abgehärtete Männer gibt es im Überfluß. Dort sind wir unbesiegbar.«

»Lieber des Teufels als des Bischofs«, rief Wilhelm von Grumbach, der den Oberkörper allmählich aufgerichtet hatte und Florian Geyer mit Augen betrachtete, in denen sich etwas wie Bewunderung verriet. Er sprang auf.

»Und jetzt, bitte, schaffe mir Schreibgerät und zwei zuverlässige Boten. Wir haben keine Zeit zu verlieren.«

»Und wohin die Boten?« fragte der Junker,

»Nach Würzburg der eine, um Hans Bermeter zu benachrichtigen, was er zu tun habe. Nach Melrichstadt der andere, damit Schnabel mit seinen Bildhäusern sogleich hierher aufbreche.«

Federn, Tinte und Papier gab es nur in der Amtsstube im Erdgeschoß. Wilhelm von Grumbach holte es selbst herbei und gab dann seinem vertrauten Diener Matthäus Lang den Auftrag, die Boten auszuwählen, während Florian Geyer die Briefe schrieb.

Thes Lang mochte um fünf bis sechs Jahre älter als sein Herr sein. Er war der Sohn eines Leibeigenen aus 624 dem Dorfe Rimpar, als Hofjunge auf die Burg gekommen und hier in die Gunst Wilhelms als dessen Spielkamerad und Prügelknabe für alle dummen und schlechten Streiche hineingewachsen. Oft genug war er freilich nicht nur der Sündenbock, sondern auch Mitschuldiger und Anstifter. Dabei war er ebenso geschickt in vielen Dingen, wie er, gleich dem Junker, unerschrocken, ja waghalsig war, wenn es darauf ankam. Für seinen Vorteil alles einzusetzen, war er ebenso bereit wie sein junger Herr.

Ein Ding, das man Gewissen nennt, besaß er nicht, und nur Verleumdung hätte von ihm behaupten können, daß er je eines guten Gemütes gegen seine Nebenmenschen gewesen wäre. Allerdings war er schlau genug, es zu verschleiern, wo er nicht frech sein durfte. Ob Junker Wilhelm ihn durchschaute, muß bezweifelt werden. Er war nicht der Mann dazu, über einen Leibeigenen sich den Kopf zu zerbrechen. Wenn es noch ein Pferd oder ein Hund gewesen wäre! Deren gute oder schlechte Eigenschaften zu erkunden, hätte der Mühe gelohnt. Es genügte ihm, daß Matthäus Lang ihm unbedenklich gehorchte, allen seinen Launen und schlechten Instinkten schmeichelte, ihnen auch durch die Tat Vorschub leistete und immer Rat wußte. Da Wilhelm von Grumbach vor ihm kein Geheimnis daraus gemacht, in welcher Absicht er Florian Geyer in Heidingsfeld aufgesucht hatte, so vertraute er ihm auch jetzt, welchem Zwecke die beiden Boten dienen sollten.

»Hm«, meinte Thes, indem er seinen breiten Unterkiefer mit der Hand umfaßte und die Augen zusammenkniff, »wenn die Briefe nicht von Euch, sondern von dem Ritter geschrieben sind, so können wir sie ja wegschicken. Ihr dürfet in diesen Sachen nix Schriftliches von Euch geben, gnädiger Herr. Ich will selbst nach Würzburg machen und scharf zusehen, wie's dort steht. Nach Melrichstadt wollen wir den Wendland schicken. Er ist klug und Eurem Schwager ergeben.« 625

So geschah es denn auch, und erst als die Briefe befördert waren, gestattete es sich Florian Geyer, den während dreier Nächte versäumten Schlaf nachzuholen. Thes Lang kehrte gegen Abend zurück. Er war über die Höhe gegangen, die bei dem Dorfe Rimpar allmählich zu einer weit ausgebreiteten Hochfläche ansteigt und vor Würzburg in Weinbergen ziemlich steil abfällt. Die Höhe war von dem Feinde noch nicht besetzt gewesen und er hatte seinen Brief für Bermeter am Pleichacher Tor abgeben können. Die Wache sei guten Mutes gewesen, berichtete er, und aus der Stadt sei stark gegen St. Burkhard, was der Truchseß besetzt habe, heraus geschossen worden. Auf das rechte Mainufer sei der Feind noch nicht übergegangen.

Schlimm lauteten dagegen die Nachrichten, die Wendel am nächsten Tage aus Melrichstadt brachte. Der Kurfürst von Sachsen hatte am Pfingstsonntage den Bildhauser Haufen geschlagen, Wilhelm von Henneberg, seines Eidschwures vergessend, mit ihm sich verbunden, die Bürgerschaft von Meiningen, feig verzagend, Hans Schnabel gefangen genommen und für die Gewähr von Straflosigkeit der Stadt an den Henneberger ausgeliefert. Das Schlimmste aber sollte Florian Geyer nicht mehr erfahren, nicht, daß der lange Lienhart in sein Verderben geritten war. Die Untertanen von Schwäbisch-Hall hatten der Stadt neu gehuldigt, die Bauern der Schenken von Limburg, eingeschüchtert durch die blutigen Siege des Truchseß, mit ihren Herren sich vertragen und ihre Waffen abgeliefert, der Haufen der Gaildorfer sich zerstreut. Als der lange Lienhart trotzdem unverzagt seinen Auftrag zu erfüllen trachtete, wurde er eines Tages überfallen und erstochen, nachdem sein gewaltiges Schwert ihrer die Mehrzahl den dunkeln Pfad des Todes vorangeschickt hatte.

Die Hiobsbotschaft Wendlands vermochte die Entschlossenheit Florian Geyers nicht zu beeinflussen. Er traf seine Vorkehrungen auf alle Fälle, 626 durchforschte den Gramschatzer Wald nach der geeignetsten und durch Verhaue am leichtesten zu schützenden Rückzugslinie und bemühte sich, die Bauern der Walddörfer in die Waffen zu bringen. War der Tag voll Mühe und Sorge, um so wohltuender die Ruhe am Abend auf Rimpar bei Weib und Kind. Wilhelm von Grumbach störte sie nicht; denn ihm waren kleine Kinder und vollends ihr Geschrei widerwärtig. Frau Barbara verbarg ihre schweren Gedanken, wußte sie doch, daß ihren Gatten nichts davon abhalten könnte, das Schwert für die Freiheit zu führen, so lange noch ein Atemzug in ihm war. Für ihn waren es die glücklichsten Stunden, seitdem er aus seinem väterlichen Burghause ausgezogen war, und sie sänftigten den Ernst und die Strenge seines Wesens zu einer großen Milde.

In der Nacht vom Donnerstag auf den Freitag nach Pfingsten wurde die Stille noch spät durch lautes Pochen an das äußere Burgtor unterbrochen. Ein reitender Bote mit einem Schreiben für Wilhelm von Grumbach begehrte Einlaß. Thes Lang nahm ihm dasselbe ab und trug es zu seinem Herrn, den er erst aus dem Schlafe wecken mußte. Sein Dank dafür waren Schimpfworte. Thes kehrte sich nicht daran, sondern meinte, indem er Licht machte: »Es ist vielleicht gut, keinen unnötigen Lärm zu machen; der Brief kommt von Eurem Bruder, gnädiger Herr.« Da fuhr dieser mit den bloßen Füßen aus dem Bette, griff nach dem Briefe und zerschnitt die Schnur, die ihn umknüpfte, mit seinem Dolche, der stets in seinem Bette lag. Wie krumme Türkensäbel und Zaunpfähle starrten ihm die ungefügen Schriftzüge entgegen. Thes mußte ihm das Licht halten und er enträtselte laut lesend mit nicht geringer Mühe und mancher Stockung, die ihn ungeduldig machte, folgendes: 627

»Lieber Bruder Wilhelm!

Viktoria! Aus ist der Bauernrummel! – Heut um 7 Uhr in der Früh ist der Truchseß samt allen Fürsten, Grafen und Rittern mit vieler Pracht, mit dritthalb Tausend Reisigen und etlichem erlesenen Fußvolk, durch das Rennweger Tor, das allein aufgesperrt wurde, eingezogen in Würzburg. Alle Bürger waren auf dem Markt aufgestellt, die der Landstädte auf dem Judenplatze, die Bauern auf dem Rennweg. Alle ohne Waffen, Herr Jörgen ließ zuerst die Würzburger mit gar rauhen Worten an und standen vier Scharfrichter mit ihren breiten Schwertern ihm zu Händen. Ihrer fünf wurden sogleich gericht't. Zuvor mußte der Jakob Köhl seinen Kopf lassen, war von Ingolstadt in einem Weg bis Eivelstadt entritten, aber von seinen Mitbürgern dem Rat zu Würzburg ausgeantwortet worden, auf daß selbiger ihnen Gnad' vom Truchseß schaffe. Und wurd' er itzo aus dem grauen Eckardsturm herausgeholt, allwo er in der Gefängnuß gelegen. Und von den Bürgern aus den Landstädten wurden neunzehn ausgehämmelt und mit dem Schwert gerichtet. Nachher auf dem Rennweg von den Bauern sechsunddreißig Hauptleute und Fähndriche, und die übrigen mußten mit weißen Stöcken in den Händen aus der Stadt ziehen. Der Bermeter, was der Buben größter und Hauptursacher war, ist aber bei Zeiten entwichen. Mich nimmt's Wunder, daß die 5000 Bürger und Bauern, so in der Stadt gelegen, den Truchseß geduldig erwarteten, als wie die Hämmel den Metzger, und war die Stadt doch noch zwei Tage vorher auf dem rechten Mainufer nit eingeschlossen, so daß sie hätten entweichen können. Ist die Meinung, daß der Rat, der mit dem Truchseß unterhandelte, den dummen Teufeln vorgespiegelt hat, daß auch sie in die Begnadigung begriffen seien, so der Truchseß der Stadt bewilligte. Waren sie solchergestalt die Zugift bei dem Handel, daß der Truchseß die Würzburger also lind 628 beim Schopf nahm. – Lieber Wilm, ich tu Dir dieses alles zu wissen, auf daß Du daraus ersehen magst, daß mit dem Truchseß nit gut Kirschen essen ist. Er ist einer von denen, die selbst beim Wein nit fröhlichen Gemütes werden. Wir haben ihm und den Fürsten auf dem Schloß ein Mahl herrichten lassen, wie er in Heidingsfeld ist eingerückt. Und ist dabei unmenschlich gesoffen worden, so daß selbige Nacht schier keiner in seinem Bett schlief, sondern an dem Ort, wo er unter den Tisch gefallen war. Den Truchseß hab ich aber nit einmal lachen hören. – Datum am Donnerstag Medardus, Anno domini 1525.

Hans von Grumbach.«

Der Bruder desselben ließ das Blatt sinken und seine Augen begegneten den lauernd auf ihn gerichteten seines Vertrauten. Eine Weile schwiegen beide. Thes sprach zuerst. Das Licht auf den Tisch setzend sagte er: »Der Brief ist deutlich. Ihr müsset es auf eine gelegenere Zeit sparen, dem Bischof den Fuß auf den Nacken zu setzen. Glücklicherweise ist noch nichts von Euch geschehen, das Euch den Rückweg verlegt . . .«

»Und meine Bruderschaft mit den Bauern?« fragte Wilhelm von Grumbach mit sorgenvoll gekrauster Stirn.

»Aber darum weiß keiner außer dem Ritter von Geyersberg und der wird Euch nicht verraten, ist ja Euer Schwestermann,« suchte Thes ihn zu beruhigen. »Überdem wird er gut tun, sich irgendwo anders in Sicherheit zu bringen, nachdem sein Unternehmen zu Wasser worden ist.«

»Ja, er muß sobald wie möglich von Rimpar fort,« pflichtete der Junker ihm bei. »Aber wohin? – Das ist freilich nicht meine Sache.«

Er sprang auf und lief auf nackten Füßen und im bloßen Hemd hin und her. Thes nahm seinen mit Pelz gefütterten Morgenrock und hielt ihm denselben ausgebreitet entgegen. »Aber«, verfolgte sich Wilhelm, in die Ärmel hineinfahrend, »wo fände er einen Versteck, so gefürchtet wie er ist, in dem er nicht aufgespürt und 629 verraten würde, Thes?« Er setzte sich wieder auf den Bettrand und ließ es in seinem Grübeln achtungslos geschehen, daß Thes ihm die Morgenschuhe über die nackten Füße stülpte. »Er schweigt, gewiß«, murmelte er. »Aber – aber, wenn er gefangen wird, wenn er auf die Folter gespannt wird?« Er riß die Augen weit auf und starrte seinen Vertrauten an. »Ach, die Qualen der Folter, Thes!«

»Sie haben freilich schon manchen zum Sprechen gebracht«, bemerkte dieser leise.

»Sie haben den Thomas Münzer gräulich gefoltert, bevor sie ihn hinrichteten«, äußerte Wilhelm von Grumbach beklommen und wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn. »Mancher hat schon auf der Folter Verbrechen gestanden, die er nie begangen hat. Es ist furchtbar.« Er stand auf und schlurfte in der Stube hin und her. »Nur das Grab ist stumm«, murmelte er nach einer Weile, trat an eines der Fenster und schaute in die vom Mond durchdämmerte Nacht hinaus. Wieder nach einer Weile fragte er, ohne sich dabei umzusehen: »Was sagtest Du, Thes?«

Dieser, an dem Tische stehend, auf dem das Licht brannte, hatte nicht den Mund aufgetan. Jetzt antwortete er: »Nichts; aber der Junker hat recht, daß nur das Grab stumm ist.«

Wilhelm von Grumbach wandte sich vom Fenster, maß die Stube ein paar Male auf und ab und begann dann wieder, vor Thes stehen bleibend, indem eine dunkle Röte sein Gesicht überzog: »Er kann seinen Feinden nicht lange entgehen. Sie haben ja ihre Spione überall. Und der Schande denken zu müssen, die sein Tod als Verbrecher über uns alle bringt, nicht nur über sein Weib und Kind, sondern auch über uns, seine Schwäher, und das ganze Geschlecht der Grumbachs! Hölle und Teufel! Das darf nimmer geschehen, Thes!«

»Freilich nit, wenn's einer hindern kann«, pflichtet ihm jener leis und gedehnt bei. 630

»Du sollst für frei erklärt werden«, zischte Wilhelm von Grumbach, ihm noch nähertretend. »Ich gebe Dir mein Ehrenwort darauf. Und einen Hof will ich Dir schenken –«

Beider Augen tauchten tief ineinander und dann sagte Thes Lang: »Meiner Treu, ich verlang' nix Besseres, als dem gnädigen Junker zu Dienst zu sein.«

»Er ist mein Fluch, der Florian«, sagte Wilhelm von Grumbach mit einem tiefen Atemzug und deutete auf einen Sessel am Tisch, indem er selbst auf den gegenüberstehenden sich setzte. »Du erinnerst Dich wohl noch, wie er vor einigen Jahren zuerst nach Rimpar kam? Damals hat er es mir, mir und dem Hans in den Kopf gehämmert, daß der Adel für den Franz von Sickingen zum Schwert greifen müßte, wenn wir nicht für alle Zeit Pfaffen- und Fürstenknechte bleiben wollten. Ja, mein Fluch, denn ohne ihn hätte ich an solche Geschichten nimmer gedacht. Aber laß' uns Rats pflegen.«

»Aufgeschoben ist nicht aufgehoben«, meinte Matthäus Lang mit einem Grinsen seines breiten Gesichts. Und beide pflegten Rats, bis der junge Tag grau in die Stube hereinkroch.

In dem Burggarten erwachten die Vögel. Ihr Gesang scheuchte den Schlaf von Florian Geyers Lidern; aber er blieb noch eine Weile still liegen. Er hatte einen schönen Traum gehabt. Die Bauern hatten sich im ganzen Reiche wieder erhoben. Sie kämpften jedoch nicht mehr in jeder Landschaft für sich allein, sondern als ein einig und durch die Einigkeit gewaltig Heer. Und er führte es von Sieg zu Sieg wider die Bedränger der armen Leute. Eine letzte gewaltige Schlacht entbrannte und gebrochen war der Feinde Macht für alle Zeit. Das wilde Kriegsgeschrei wandelte sich in froher Lieder Schall und er wanderte mit seinem Weibe Hand in Hand durch blühende Fluren. Die Burgen auf den Höhen, die Klöster in den Tälern waren verschwunden, entgürtet die 631 Städte ihrer Mauern. Überall regte sich heiter der Fleiß. Es gab keine Herren und Knechte mehr, sondern nur noch freie Menschen.

Er war nicht abergläubisch; dennoch dünkte ihn der Traum ein gutes Anzeichen. Es kam dazu, daß die Würzburger sich allem Anscheine nach tapfer hielten, sonst hätten sie seinen Rat ja befolgt, und er schöpfte daraus die Hoffnung, daß sie sich behaupten würden, bis der lange Lienhart mit dem Entsatz erschien. Das dürfte jeden Augenblick sich ereignen. So schied er denn nach dem Frühmahl in gehobener Stimmung von den Seinigen, um auch noch die nördlichst an der Wern gelegenen Walddörfer zu organisieren. Überall hatte er die Bauern zum Kampf entschlossen gefunden. Frau Barbara trat mit dem Kinde auf dem Arme auf den Balkon und sah ihm nach, bis ihn der Wald aufnahm, dessen höchstes laubumlocktes Haupt sonnig aus dem Blättermeer sich erhob. Seine ungewöhnlich heitere Stimmung hatte auch ihr sich mitgeteilt und die Nachwirkung eines bösen Traumes zerstreut, aus dem sie sein Morgenkuß geweckt hatte. Sie hatte geträumt, daß er und sie mit dem Kinde von Feinden umstellt waren, so daß ein Entrinnen unmöglich war; da hatte er sein Schwert gezogen, um erst sie, dann den Kleinen und zuletzt sich selbst zu erstechen. Schon hatte sie die funkelnde Schwertspitze auf ihr Herz gerichtet gesehen, da war sie von seinem Kusse erwacht. Sie hatte ihm den Traum nicht erzählt.

Etwa eine Stunde später kam ihr Bruder zu ihr auf die Stube und fragte nach Florian. Als er hörte, daß derselbe in den Gramschatzer Wald gegangen sei, machte er: »Hm! Hm! Er hätte nicht gehen sollen – wenigstens nicht allein!«

»Warum denn nicht?« fragte seine Schwester verwundert.

»Weil mir zu Ohren gekommen ist, daß seit gestern nachmittag allerlei Gesindel in der Gegend aufgetaucht 632 ist, auch im Dorf Rimpar. Nun, Dein Mann ist ja immer gut bewaffnet.«

Damit entfernte er sich wieder, die Schwester in Unruhe zurücklassend. Nach kurzem Besinnen ließ sie durch die Wärterin Wendland zu sich bescheiden. Sie wollte ihn ihrem Gatten zu dessen Schutz nachschicken.

»Wendel«, redete sie ihn an, sobald er kam, »hast Du auch davon gehört, daß sich im Dorf und der Umgegend seit gestern allerlei Gesindel hat blicken lassen?«

Er schüttelte seinen ergrauten Kopf. »Von Gesindel ist mir nichts bekannt, Herrin. Ich war just im Dorf. Es ist in dieser Nacht der Reitersbub von dem Ritter Hans von Grumbach dagewesen und zwischen Tag und Tau wieder fortgeritten. Der soll erzählt haben, daß Würzburg über ist.«

Frau Barbara schrie erschreckt auf. »Seit gestern Morgen. Ja, hat der Junker Wilhelm der gnädigen Frau denn davon nichts erzählt? Weil ich wußte, daß auch aus dem Dorfe etliche sind in Würzburg gewesen, so hab' ich dort erfragen wollen, ob's auch wirklich an dem ist.«

»Und es ist wirklich wahr?« fragte Frau Barbara in der schrecklichsten Erwartung.

»Leider ja, Ew. Gnaden«, bestätigte Wendland mit einem traurigen Kopfnicken. »Und es ist über alle Maßen grausig gewesen. Wer nit den Aufruhr mit dem Tod hat büßen müssen, solche sind aus der Stadt gewiesen worden. Weiße Stäbe haben sie halten müssen. Das hat ein Zeichen des Friedens sein sollen. Vor der Stadt ist aber das Fußvolk raubgierig und blutdürstig über sie hergefallen, hat ihnen ihre Hab und die Kleider vom Leib gerissen und sie mißhandelt, so daß ihrer nit viel mit dem Leben davon gekommen sind. Dies haben sie mir in Rimpar erzählt, waren auch gar übel zugerichtet worden.« 633

Frau Barbara hatte für seinen weiteren Bericht kein Ohr gehabt. Daß Würzburg in der Gewalt des Truchseß war, bohrte und wühlte in ihrem Herzen. Sie begriff nicht, warum ihr Bruder ihr davon nichts gesagt hatte. Hatte er sie schonen wollen? Zartgefühl gehörte jedoch nicht zu seinen Eigenschaften, wie sie ihn kannte. Aber Florian mußte es ungesäumt erfahren, damit er seine Zeit nicht unnütz verlor. Sie bat Wendland, ihm nachzugehen, um ihn von der Einnahme Würzburgs zu benachrichtigen. Er würde ihn in den Dörfern an der Wern finden, und sie beschrieb ihm den Weg durch den Gramschatzer Wald so gut sie vermochte. Er möchte sich ein Pferd geben lassen; vielleicht holte er ihn noch vorher ein. An die Gefahr, auf die ihr Bruder gedeutet hatte, glaubte sie nicht. mehr.

Wendland versprach ihr, zu eilen. Sie ging auf den Balkon, um ihn fortreiten zu sehen. Es dünkte ihre Ungeduld eine Ewigkeit, bis sie ihn die Burg verlassen und den Weg nach dem Walde einschlagen sah. Und wenn Florian nun erfuhr, daß alles verloren war, daß er umsonst gekämpft, umsonst das Lebensglück der Seinigen geopfert hatte! Sie preßte die Hände gegen ihre Schläfen, in denen das Blut dumpf pochte, auf das Herz, das ihr zu zerspringen drohte. Ruhe- und rastlos ging sie in der Stube auf und ab, und schaute wieder und wieder durch die Fenster und vom Balkon, ob er noch nicht käme. Und wenn er nun wiederkam, welch ein Wiedersehen, nachdem er in der Frühe so ahnungslos, so heiter, so zuversichtlich von ihr Abschied genommen hatte! Die Wärterin brachte ihr das Kind, das nach der Mutter verlangte. Sie nahm es, aber sie vermochte nicht wie sonst es zu hätscheln, mit ihm zu tändeln und zu kosen. Es begann zu weinen und sie konnte es nicht mit ihrer Zärtlichkeit still machen wie sonst. Sie gab es der Wärterin zurück und hieß sie, mit ihm in den Garten gehen. Ihre 634 Gedanken aber knüpften an das Kind an, was sollte jetzt aus seinem Vater, was aus ihnen werden? Sie versuchte es sich vorzustellen; es gelang nicht. Es war alles dunkel und verworren außer ihr, in ihr, und sie saß und starrte auf einen Fleck. Und Florian kam nicht! Stunden verrannen auf solche Weise. Barbara wußte nicht, wie viele. Ein dumpfes Gewirr von Stimmen schlug an ihr Ohr. Sie hob lauschend den Kopf und eilte auf den Balkon. Aber sie sah nichts weiter als einen Haufen Menschen, der in das innere Burgtor drängte. Als sie in die Stube zurücktrat, vernahm sie, wie in der Burg Türen geräuschvoll zugeschlagen wurden, und ein Laufen auf den Gängen und Stiegen.

Sie öffnete ihre Stubentür und jetzt stieg von unten dasselbe Stimmengewirr herauf, das sie vorher gehört hatte. Wie ein Pfeil flog sie die Wendeltreppe hinunter. Die große Halle im Erdgeschoß war voll Menschen. Bauern, männliches und weibliches Burggesinde. Das Murmeln und Summen verstummte bei Barbaras Erscheinen. Man wich scheu bei Seite und sie erblickte auf einer Trage ausgestreckt, wachsbleichen Angesichts ihren Gatten. Mit einem markerschütternden Schrei warf sie sich über ihn. Er war tot.

Er war meuchlings erschossen, die Kugel des Mörders war ihm durch den Rücken in das Herz gedrungen. Ein Waldvogt hatte ihn auf seiner Streife am Fuße jenes Berges gefunden, den die Sonne am Morgen zuerst begrüßt und dem sie am Abend ihren letzten Kuß zuhaucht. Die Leiche hatte zum Teil in einem Sumpf gelegen, Blutspuren verrieten, daß sie von der Mordstelle dorthin geschleppt worden, der Meuchelmörder aber, aus Furcht selbst zu versinken, den Toten dann hingeworfen hatte. Darauf deuteten die tief eingedrückten Fußspuren am Rande des Sumpfes. Weitere Spuren von dem Täter waren nicht aufzufinden gewesen. So 635 berichtete der Waldvogt dem Junker Wilhelm. Seine Schwester erfuhr alles erst später.

»Man muß genauer nachforschen, ich werde selbst hinkommen«, sagte Wilhelm von Grumbach laut. »Kein Zweifel, der Täter ist unter dem Gesindel zu suchen, das seit gestern in der Gegend umherstrolcht.«

»Mit Verlaub, gnädiger Herr«, widersprach Wendland, »das kann nit sein, ansonst würd' die Leich' ausgeraubt sein. Das hat ein böser Bub' getan.« Er hatte sich auf seinem Hinritte im Walde verirrt, und der Unterförster, auf den er gestoßen, ihn auf den rechten Weg führen wollen, so waren sie beide an die Unglücksstelle gekommen,

Wilhelm von Grumbach begnügte sich, stumm mit den Schultern zu zucken und trat dann zu seiner Schwester, die bei Wendlands letzten Worten den Kopf erhoben hatte und sich verstört umschaute. Der Junker zuckte unwillkürlich bei diesem Blick aus ihren trockenen, heißen Augen. »Gott wird den Mord nicht ungerochen lassen«, sagte er. »Fasse Dich, arme Schwester; überlasse mir die Sorge für den Toten!« Und da sie fortfuhr, ihn anzustarren, setzte er leise hinzu: »Bedenke, daß dieser beklagenswerte Tod ihn vor dem schimpflicheren durch den Henker und Dich und uns alle vor der Schande bewahrt.«

Da schrie sie wie wahnsinnig auf: »Ein böser Bub' hat's getan. Hast Du's gehört?« und ihr Kopf fiel schwer auf die Brust des geliebten Toten.

Der Schrei ward von keinem wieder vergessen, der ihn hörte und die Worte trugen den Keim eines Verdachts in sich, der wuchs und wuchs und den Namen Wilhelm von Grumbachs brandmarkte. Der Berg im Gramschatzer Walde aber, an dessen Fuß die Leiche des reinsten und edelsten Freiheitshelden jener Tage gefunden wurde, erhielt von dem Volke, für das er kämpfte und starb, den Namen Geyersberg. 637



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