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Gegenüber der durch Karlstadts Grabrede gesteigerten Aufregung der Bürgerschaft hatte der Innere Rat nicht gewagt, dem Interdikt des Bischofs Nachdruck zu geben, und der Kommentur Christian und Dr. Deutschlin predigten unbehelligt weiter. Um so unzugänglicher waren Erasmus von Muslor und Konrad Eberhard den Vorstellungen der schönen Gabriele geblieben. Die Anklage wider Zeisolf von Rosenberg, von dem Stadtschreiber Thomas Zweifel abgefaßt, war an das Reichs-Kammergericht abgesandt. In ihrer Unruhe darüber entschloß sie sich, der Schwester Lamperta einen Besuch abzustatten. Vielleicht erfuhr sie von ihr, wie ihr Neffe über den Handel dachte; vielleicht konnte sie durch dieselbe auf ihn einwirken. Es war Samstag vor Mittfasten und Wochenmarkt in der Stadt, als sie ihren Vorsatz ausführte. Bei ihrem Gange über den Marktplatz wurde von den Weibern und Töchtern der Bauern, die dort ihre ländlichen Erzeugnisse feilboten, manche Äußerung, die keineswegs schmeichelhaft war, über ihren reichen Anzug und ihre stolzen Mienen ganz laut getan. Sie achtete derselben nicht, bezog sie auch kaum auf sich. Denn wie sollten die sonst so demütigen und untertänigen Weiber es wagen, ihre Erscheinung zu bekritteln, ja zu verspotten?
Schwester Lamperta empfing den ehemaligen 248 Klosterzögling in ihrer Zelle, wenn man ein helles, freundliches Zimmer, das aus zwei Fenstern auf den Garten schaute, so nennen will. Die nach dem damaligen Zeitgeschmack eleganten Möbel, die vielen Stickereien, Arbeiten und Geschenke ihrer Schülerinnen, die frommen Nippes auf zierlichen Wandbrettern, der von künstlichen weißen Rosen umkränzte schwärmerisch schöne Christuskopf über dem Betschemel durften auch nicht gerade klösterlich genannt werden. Schwester Lamperta ruhte in einem hohen weichen Lehnstuhle, ein gesticktes Polster unter den Füßen, von den Anstrengungen ihrer frommen Pflichten aus. Sie empfing ihren Besuch mit einer sauersüßen Miene und streckte ihm die fette weiße Hand nachlässig herablassend zum Kusse hin. Ihr »süßes Kind« war ersichtlich bei ihr in Ungnade gefallen. Allerdings war es ihres Neffen Schuld, daß ihr Plan, ihm den Reichtum Gabrieles zuzuwenden, gescheitert war; aber diese kam ihr gelegen, um ihren Verdruß darüber an ihr auszulassen.
Und nicht nur hierüber, sondern auch, daß sie des persönlichen Verkehrs mit ihrem Neffen beraubt war. Denn sein brutaler Zynismus war für ihr frommes Gemüt stets ein köstlicher Leckerbissen gewesen. Da der Rat die Gartenpforte nach dem Taubertale hatte vermauern lassen, so konnte der Junker Zeisolf selbst nicht mehr heimlich das Kloster besuchen. Die fromme Frau ließ das alles durch ihren kühlen Ton und manch' eingestreute Bemerkung die schöne Gabriele entgelten. Eines war jedoch mächtiger in ihr als ihr heimlicher Verdruß: die Neugierde, von Gabriele selbst alles über die von ihrem Neffen beabsichtigte Entführung zu erfahren. Junker Zeisolf hatte ihr nichts darüber geschrieben, und der Klatsch, der in das Kloster gedrungen war, nicht wie ein mit Gold beladener Esel in eine Festung, sondern durch weit geöffnete Pforten, befriedigte Schwester Lamperta nicht. Gabriele konnte ihr nicht ausführlich genug sein, und sie genoß mit 249 allen Sinnen. Ganz nahe beugte sie sich zu dem schönen Mädchen hin, das auf einem niedrigen Schemel vor ihr saß; ihre Augen, ihre Lippen schlürften mit ihren Ohren, und ihr weiß und rosig glänzendes Gesicht verklärte sich. Eine Entführung, welche Näscherei!
Die fromme Schwester lehnte sich in ihren Polsterstuhl zurück und schloß die Augen. »Aber die Geschichte hat noch ein Nachspiel«, störte Gabriele sie auf.
»Ach, Du meinst die Anklage? Ich habe davon gehört«, antwortete die Nonne mit großer Seelenruhe.
»Ich habe bisher niemand davon erzählt, daß ich dem Junker zuvor hier begegnet bin«, äußerte Gabriele und fuhr erregt fort: »Jetzt wird es an das Licht kommen und man wird Schlüsse daraus ziehen, die dem Kloster ebenso nachteilig sein werden, wie meinem Rufe. Und ist es nicht schon schrecklich genug, daß mein Name durch diesen Prozeß in aller Leute Mund kommt? Daß er alle Lästerzungen wider mich in Bewegung setzt?«
»Rege Dich nicht unnötig auf, Liebste«, beschwichtigte sie Schwester Lamperta. »Man wird es gar nicht wagen, gegen ein Mitglied der reichsunmittelbaren Ritterschaft zu handeln.«
Die schöne Gabriele schnellte von ihrem Sitze auf. »Also durfte der Junker es wagen, meine weibliche Ehre ungeahndet zu beschimpfen?« rief sie zornig.
»Nicht doch, nicht doch!« suchte die fromme Schwester sie zu beruhigen. »Wenn man eine Schönheit ist wie Du, mein süßes Kind, dann ist es wohl verzeihlich, daß ein Mann durch sie zu Torheiten verführt wird. So heißes Blut Zeisolf auch haben mag, er ist ein Edelmann und wird Deine Ehre nicht bloßstellen. Er hat aus großer Leidenschaft für Dich gefehlt, und Du zürnst ihm darob natürlich. Er soll Dich um Verzeihung bitten. Laß mich nur machen.« 250
Während Schwester Lamperta ihre glatte Zunge brauchte, erwiesen sich die der Marktweiber voller Stacheln. Sie taten Äußerungen von einem Freimut, die, wenn ein Mann sie so laut und offen ausgesprochen hätte, ihm sicher den Strafturm erschlossen haben würden. Sie hänselten den Stadtdiener, der die Marktgroschen von ihnen einzog und sich schlagfertig durch Grobheit rächte. Sie riefen einander anzügliche Bemerkungen über die Patrizierfrauen zu, welche Einkäufe machen wollten, waren kurz angebunden und grob, und zwei ältere Bäuerinnen unterhielten sich laut darüber, welches von den Geschlechterhäusern am Markte sie sich künftig als Wohnung nehmen sollten. Ein Dämon schien mit dem ungewöhnlich frühen Lenz in die Weiber gefahren zu sein.
Käthe, die mit Butter und Eiern zu Markt gekommen war, kannte diesen Dämon gar wohl, hielt sich aber still an ihr Geschäft. Seit dem Tode Lautners war eine Veränderung mit ihr vorgegangen. Ihre kirschroten Lippen hatten einen herben Zug erhalten, den Kaspar Etschlich vergebens wegzuscherzen versuchte, wann er nach Ohrenbach kam. Sein Humor brachte Käthe nicht zum Lachen, nicht einmal zu einem flüchtigen Lächeln. Wenn er das Gespräch auf Hans leiten wollte, bat sie ihn, davon still zu sein. Sie redete überhaupt nur das Notwendige, selbst mit den Hausgenossen. Dagegen schaffte sie mit einer Rastlosigkeit, als wollte sie sich zu Tode arbeiten. Die geschlossene Ruhe ihres Wesens wurde nur einmal durchbrochen. Das geschah, als Simon nach seiner Rückkehr von Ballenberg ihr von der schwarzen Hofmännin erzählte. Ihr rundliches Gesicht wurde feuerrot, ihre nußbraunen Augen blitzten und ihre breite Brust atmete, als ob es ihr an Luft gebräche.
Sie wurde ihre Vorräte schneller los als sonst. Denn das Benehmen der meisten Verkäuferinnen trieb ihr die Kunden zu, die für ihr gutes Geld nicht Grobheiten 251 oder Stachelreden mit in den Kauf nehmen wollten. Bevor sie die Stadt verließ, besuchte sie das Grab ihres Freundes. Noch stand sie mit Tränen an dem jungen Hügel, als das Knistern und Rascheln schwerer Gewänder sie den Kopf zu wenden veranlaßte. Die schöne Gabriele kam von ihrem Besuch in dem Dominikanerinnen-Kloster. Sie wollte an Käthe vorüberrauschen, ohne ihrer zu achten. Kannte sie doch auch die arme Dirne nicht. Diese vertrat ihr den Weg. »Du? Du kommst just recht,« rief sie. »Schau her, das ist dem Hans Lautner sein Grab, den Du erschlagen hast.« Gabriele glaubte mit einer Irrsinnigen zu tun zu haben und versuchte ihr auszuweichen. Käthe jedoch ergriff sie am Arm und hielt sie so fest, daß sie sich nicht loszureißen vermochte. »Du bist eine Teufelin,« rief Käthe mit heißem Atem und funkelnden Augen. »Du hast ihn verhext, daß er nicht von Dir lassen konnte, ob er schon wollte.«
»Sei vernünftig,« zwang sich Gabriele trotz ihres Schreckens zur Ruhe. »Lass' mit Dir reden! Ich kenne Dich nicht und tat Dir nichts. Wenn Du den Toten rächen willst, von dem ich nur weiß, daß er mir helfen wollte, so geh nach Haltenbergstedten. Der Junker Zeisolf tat's.«
»Weißt nichts weiter von ihm und hast doch sein Kränzlein getragen?« entgegnete Käthe heftig. »Du hast ihm als eine Nachtmahr das Herzblut ausgesogen. Was gilt Euch vornehmen und verbuhlten Weibern auch so ein armer Bub! Mir aber war er mein Alles, mein Höchstes, meine Seeligkeit; die hast Du mir gestohlen, zerbrochen, zertreten. Knie nieder an seinem Grab und bitt ihn, daß er Dir vergibt! Knie nieder, anders kommst Du nicht los.« Gabriele zerrte mit aller Kraft, um ihren Arm aus Käthes brauner Faust, die ihn wie in einem Schraubstock hielt, zu befreien. Es gelang nicht und sie schrie laut um Hilfe. Käthe achtete dessen nicht. »Du willst nicht? Dann soll sein Grab 252 Dein Herzblut trinken,« rief sie wie außer sich und ihre Linke griff nach dem Messer, das in der Scheide an ihrem Gürtel hing.
Bei dieser Bewegung gelang es der schönen Gabriele, sich loszureißen und sie entfloh mit kreischendem Hilferuf. Käthe stürzte ihr mit gezücktem Messer nach. Schon waren jedoch Leute, welche ihren Weg über den Kirchhof nahmen oder auf der Gasse vorübergingen, aufmerksam geworden. Jetzt liefen sie herbei und es gelang ihnen, Käthe aufzuhalten, zu entwaffnen und zu überwältigen. Leicht wurde es ihnen nicht; denn es war kein eitles Rühmen von Käthe gewesen, daß sie es an Stärke mit den Buben wohl aufnehmen könnte. Während ihre schöne Feindin mit flatterndem Haar davon eilte, ohne sich umzusehen, wurde sie von den Menschen, die sich um sie gesammelt hatten, als ob sie plötzlich aus dem Boden gewachsen wären, nach dem Hause des Stadtrichters gezerrt.
Heimkehrende Marktleute brachten die Kunde von dem Geschehnis nach Ohrenbach. Der ehrwürdige Pfarrer Nepomuk Bockel erfuhr davon durch seine Köchin, die Jungfer Apollonia, als er nach überstandenem Beichtehören bei seinem Mittagsmahle saß. Es bestand aus einem vortrefflich zubereiteten Hechte, und er schmatzte bei dem Hochgenuß mit den wulstigen Lippen, und sein feistes Gesicht, dessen Doppelkinn über den Kragen des Pfarrockes quoll, strahlte. Es beschwerte sein Gewissen nicht, daß der köstliche Hecht einem heimlichen Fischzuge entstammte, den die Bauern von Endsee nächtlicherweile in dem Teiche des Schultheißen getan hatten. Offiziell wußte er nicht darum und er hütete sich, danach zu fragen, wie er dem Ursprung der Hirsch- oder Rehkeule nicht nachforschte, die Jungfer Apollonia ihm zuweilen auftischte. Des Lebens Mai war für sie schon eine Weile abgeblüht, hübsch mochte sie nie gewesen sein, aber sie war von üppigem Wuchse und hatte lüsterne Augen. 253 Wie eine so ausgezeichnete Köchin nur imstande sein konnte, Seine Hochwürden bei dem Fischessen mit der Nachricht von der Verhaftung Käthes zu überfallen? Wenn ihm nun eine Gräte im Halse stecken blieb? Überdies, was kümmerte ihn das Mädchen? Aber der Hecht war so schmackhaft, so würzig, daß er, nachdem er den Bissen, an dem er eben kaute, glücklich in den Magen befördert hatte, seine in dem Fett der Wangen versunkenen Äugelein voll Anerkennung auf die Künstlerin richtete. »Wirklich fürtrefflich, Pollchen,« sagte er, und weil der Fisch, seiner Natur gemäß, schwimmen wollte, griff er zum Weinkrug und tat einen tiefen Zug.
»Haltet Maß,« warnte ihn Jungfer Apollonia kühlen Tones. »Den sauern Zehntenwein im Keller möget Ihr nicht und von diesem da möchte es leichtlich der letzte Krug sein. Kümmert's Euch nicht, daß die Käthe Neuffer, wie es scheint, verrückt geworden ist, und eigentlich war sie es immer, schnupperte sie doch mit ihrer Stumpfnase immer gar hoch in der Luft und sah über andere Leute weg, als ob sie nicht da wären – nu, so gefällt es Euch vielleicht besser, daß mir die Sonnenwirtin, die unverschämte Person, rund heraus erklärt hat, als ich neulich die letzte Maß von ihr holte, daß sie nicht länger borgt. Euer Kerbholz sei voll, über und über.«
Herr Nepomuk setzte den Krug mit verdutztem Gesicht ab. Jungfer Apollonia aber verfolgte sich, indem sie sich ihm gegenüber mit beiden Fäusten auf die Tischplatte stützte: »Verwundert Euch das? Wie einer in den Wald hineinschreit, so schallt es heraus. Ihr vermeint, daß Ihr die Bauern nach Herzenslust abkanzeln könnet, und sie hängen Euch den Brotkorb höher. Es muß mal gesagt werden, damit Ihr endlich mal vernünftig werdet. Ihr seid doch auch eines Bauern Sohn und solltet sie doch kennen. Ich hab Euch schon mehr wie einmal gewarnt. Was sie Euch zu geben schuldig sind, na, das geben sie, aber vom 254 Schlechtesten und kein Fitzel darüber. Und mir denkt, lang werden sie's überhaupt nit mehr tun. Wenn ich itzt mal was brauch' und zu den Weibern gehe, was krieg ich? Schieche Gesichter und muß bitten und betteln, wenn ich nicht mit leeren Händen wieder mich trollen will.«
»Aber, Pollchen, was soll ich denn machen?« fragte Seine Ehrwürden kläglich. »Ich kann doch nicht zulassen, daß sie von dem wahren Glauben abfallen und dem Teufel in den Rachen laufen?«
»Ach was, könnt' Ihr's denn hindern?« fragte seine Köchin ungeduldig. »Lasset sie schmoren, wenn sie es nit anders wollen. Ihr seid doch nicht des Teufels Küchenmeister. Zuerst muß der Mensch leben. Oder warum sonst wäret Ihr von Eures Vaters Schweinen fort und dem fahrenden Schulmeister nachgelaufen?«
»Daß sich Gott erbarme,« stöhnte er und drehte die Äugelein zu der verstaubten Stubendecke hinauf. »Wir Buben mußten für den Meister betteln und stehlen und unser Anteil waren Hunger und Prügel.«
»Ihr werdet's auch ungeschickt angefangen haben,« versetzte Apollonia rücksichtslos. »Just wie am Aschermittwoch, wo Ihr durch Euer Wettern auf dem Predigtstuhl dem Faß, das Euch tränken soll, vollends den Boden ausgeschlagen habt. Was streichet Ihr die Ohrenbacher wider das Fell, da sie doch die Schlüssel zu Eurer Speiskammer im Sack haben? Dem Dorfmeister sein Bruder ist auch geistlich, aber er predigt der Gemein, wie sie es verlangt. Das tun schon die meisten auf den Dörfern und die Bauern stehen zu ihnen und wissen halt nit, was sie ihnen Liebes und Gut's tun sollen. Habt Ihr Angst vor dem Bischof? Wundern würd's mich nit bei Eurem Fett. Er hat den Deutschlin und den Kommentur in den Bann getan, aber kein Härlein ist ihnen versengt, und auch der Rat läßt sie gewähren. Was, zum Henker, könnt' Ihr dem Bauernpack nit auch zum Maul reden?« 255
»Und Rom? Und mein Gelübde? Du vergissest Dich, Apollonia, und den Rock, den ich trage.« Sein Versuch, einige Würde anzunehmen, ward aber von ihren feuersprühenden Augen zu Asche gebrannt. Sie stemmte die Hände in die üppigen Hüften und rief: »Euer Rock ist fadenscheinig genug und über und über voll Fettflecken, und wann Ihr die Augen zumacht, kann ich mit meinem Buben betteln gehen.«
Bei Erwähnung ihres Kindes, das sich bei armen Leuten in Reichardsrode in Pflege befand, winkte der Pfarrer ihr hastig mit den fetten Händen und sah sich ängstlich um. »Verflucht, daß die Weiber nimmer das Maul halten können,« schnob er. Vorsichtig fuhr er fort: »Ich will Dir nur eines sagen, Lonie! Rom ist weit; aber den Bischof in Würzburg schaffen die verdammten Ketzer nimmer ab. Wart' es ab, wie es ausgehen wird! Wann sie mit weißen Stäben durchs Land strolchen, werd' ich im weichen Nest sitzen.«
»Im weichen Nest, Ihr?« hohnlachte sie. »In die Nesseln hast Dich setzt und wirst sitzen bleiben. Denn Du magst Dir lieber den – na, ich hätt' bald was gesagt – verbrennen, als daß Du aufstehst. Ja, hat der Bauch, der Dein Herrgott ist, Dich so blind gemacht, daß Du nit merkst, daß was im Werk ist? Ist das ein Gehen und Kommen im Dorf, sonderlich seit der Neuffer wieder von seiner Reis' heimgekommen ist. Wo ist er gewesen? Kein Mensch weiß es. Alle Augenblick ist einer aus andern Gemeinden da, und ist ein heimlich Getue. Zur Beicht' kommt schon längst keiner von den Mannsleuten mehr, aber bei der Lammwirtin, da hocken sie dicht beisammen wie die Fliegen auf einem Tropfen Honig.«
»Was kümmert mich ihr Fürhaben?« ließ sich Seine Ehrwürden gelassen vernehmen.
»Heilige Mutter Gottes, was es ihn kümmert? Daß sich die Bauern um Euch, ihren eigenen Pfarrer, keinen Pfifferling kümmern, das ist's. Nichts geltet Ihr bei 256 ihnen mehr, und ich will Euch sagen, wie's mit uns ausgehen wird, wenn Ihr nicht beizeiten einlenkt. Den Pfahl werden sie Euch eines Nachts vor die Tür schlagen, und nachher wird's lustig sein, wie Ihr und ich mit unserem Buben an der Hand betteln gehen, just wie der Konz Hart mit den seinigen.«
»Du bist verrückt, Lonie,« schrie Nepomuk Bockel, vor Schrecken in Wut geratend.
Aber Jungfer Apollonia stob zornentbrannt aus der Stube und schmetterte die Tür hinter sich zu, so daß die Wände schütterten. Der geistliche Herr saß mehrere Minuten wie erstarrt, worauf er wieder zur Gabel griff. Aber der Fisch war inzwischen kalt geworden, und er schob ihn mit einem Seufzer beiseite und suchte Trost im Kruge. Während er sich die weinfeuchten Lippen mit der Zunge ableckte, erwog er, daß der Rat seiner Polle so übel nicht wäre. Sie pflegte ihm stets gut zu raten. Aber wie er den Bauern zum Maul reden sollte, das wußte er nicht. Denn in seinen dicken Schädel war von der reformatorischen Bewegung nichts als das Geschimpf der Gegner über dieselbe eingegangen. Um sich zu unterrichten, war er viel zu träge. »Hol' der Teufel die verfluchten Ketzer und daß sie die Hölle verschlinge!« Mit diesen Kraftworten griff er abermals zum Kruge und leerte ihn bis auf den letzten Tropfen. Schwer fiel es ihm auf die Seele, daß dieses vielleicht sein letzter herzhafter Zug gewesen sein sollte. Melancholisch liefen seine Äuglein in der dürftig ausgestatteten Stube um, ob er nicht etwas fände, das er bei der Lammwirtin versetzen könnte? Der Umblick gewährte keinen Trost. Und der Meßkelch in der Kirche war nur von Messing! Erschrocken ob des sündigen Gedankens schlug er ein Kreuz. Tiefsinnig versenkte er seinen Blick in den leeren Krug und siehe, es kam ihm eine Erleuchtung. Das Herz der dicken Lammwirtin war wohl noch zu rühren, wenn er selbst 257 seine Beredtsamkeit an ihr versuchte. Zunächst aber gedachte er des Pfundes Wachs, das Simon Neuffer noch immer der Kirche schuldete.
Schon griff er nach seinem Hute, als ihm einfiel, daß er Simon jetzt nicht treffen würde. Er war sicher wie alle anderen Bauern beim Pflügen. Dennoch hinzugehen, um Ursel über das Schicksal ihrer Schwägerin zu trösten, daran dachte er nicht. Im Gegenteil, mit pfäffischer Logik erkannte er in dem Unglück sofort ein Strafgericht Gottes über die Ketzer, die der heiligen Kirche nicht zahlten, was sie ihr schuldig waren. Dieses Gefühl sprang in dem ehrwürdigen Herrn auf, als er Kaspar Etschlich über den Dorfplatz, auf dem die Kinder lärmend spielten, nach Simons Hofstätte gehen sah. Kaspar galt im Dorfe als Käthes Freier.
Die Unglücksbotschaft, die er brachte, drückte ihn schwer. Wieder kam er als unheilkrächzender Rabe! Des Vetters kleiner Bube, der auf dem Platze spielte, kam zu ihm herangesprungen, reichte ihm eine Hand und rief eifrig und mit glänzenden Augen: »Du, sie haben die Käthe in 'n Turm gesperrt; sie hat eine umgebrungen.« Husch, sprang er wieder davon. Es war ein Trost, wenn auch ein leidiger, für Kaspar, daß man in Ohrenbach schon darum wußte. Unter der Linde, die erst ganz kleine braune Knospen hatte, saß der Ohm und sonnte sich. Und Käthe, dachte Kaspar, sitzt in dem kalten, düsteren Weiberturm. Es war der Mauerturm, auf den die kurze und breite Hofstattgasse mündete. Dorthin hatte der Stadtrichter die Ärmste nach einem ersten Verhör führen lassen. Der Lärm, den ihre Begleitung von Müßiggängern, Weibern, Gassenbuben und Bettlern verursachte, war bis in die auf dem Hofe gelegenen Werkräume Etschlichs gedrungen und hatte Kaspar und den Vater vor die Haustür gelockt. Käthe, zwischen zwei Stadtknechten schreitend, war schon an der Tür vorüber. Tötlich erschrocken rief Kaspar ihren Namen, aber sie schien 258 nicht zu hören. Er wollte zu ihr stürzen, aber die Stadtknechte wiesen ihn unsanft zurück. Jetzt wandte Käthe den Kopf, eine flüchtige Röte huschte über ihr Gesicht und sie nickte ihm zu. Sein Versuch, in den Turm zu dringen, dessen Pforte sich auftat, um das Opfer zu verschlingen, wurde gewaltsam verhindert. Stärker als nachträglich der Schlag, den er dabei von der wuchtigen Partisane des einen Stadtknechts erhielt, schmerzte ihn die aus Käthes Tat aufgehende Erkenntnis, wie fest ihr Herz an dem Toten hing und daß all sein Werben bisher umsonst gewesen war.
»Die arme Dirn',« sagte der Alte bekümmert, nachdem Kaspar erzählt, wessen er Augenzeuge gewesen, und ging mit diesem nach dem Gehöft. »Und just jetzt, just jetzt!«
Sie fanden Ursula auf dem Hofe, wo sie an dem fließenden Brunnen das Küchengerät scheuerte, während ihr kleines Mädchen die Sperlinge zu haschen suchte. »Wir wissen schon, weshalb Du kommst,« rief sie Kaspar entgegen. »Die Unglücksdirn, das hat bloß noch gefehlt.« Die Tränen traten ihr in die Augen. »Aber geh' nur in die Stuben,« fuhr sie, die Augen mit einem Schürzenzipfel sich trocknend, fort. »Ich komm' gleich nach. Der Bauer ist drinnen, auch der Ickelsamer.«
Vater Martin, der vorausgegangen war, berichtete beiden, was er von Kaspar vernommen hatte, als dieser nachkam. Sie reichten ihm stumm die Hand, um den Alten nicht zu unterbrechen. Simon machte ein ungewöhnlich ernstes Gesicht. Die um viele Jahre jüngere Schwester war ihm in der letzten Zeit besonders lieb geworden. Sie bestärkte ihn in seiner revolutionären Gesinnung, sie feuerte ihn an und er konnte mit ihr sein Vorhaben besprechen. Seine Frau besaß freilich auch sein volles Vertrauen, allein in ihrer Sorge um die Zukunft ihrer Kinder suchte sie ihn zurückzuhalten, seine Entschlossenheit zu dämpfen, 259 und er verbarg ihr daher manches, oder schwächte es ab, um die Bürde ihrer schweren Gedanken, die sie sich über alles machte, nicht zu vergrößern. »Und Du weißt nicht, wie die beiden und worüber sie auf dem Kirchhof aneinander geraten sind?« fragte er Kaspar, als der Vater geendigt hatte
Kaspar verneinte. Mit Entschiedenheit setzte er hinzu: »Aber wir dürfen die Käthe nicht sterben lassen und der Donner soll mich erschlagen, wenn ich sie nicht heraushole.«
Simon warf Paul Ickelsamer einen Blick zu und fragte: »Ja, wie willst Du denn das anstellen?«
Er wußte es noch nicht; aber er hätte viele Freunde unter den Tuchergesellen und sie würden mit dem Wächter des Weiberturms wohl fertig werden. »Und hier im Dorf hat's doch auch entschlossene Bursche genug,« wandte er sich an Ickelsamer, »welche die Hand dazu bieten würden, um die arme Käthe frei zu machen. Es kommt bloß auf eine günstige Gelegenheit an.«
»Ja, solche Bursche hat's schon,« meinte der junge Gemeindeschreiber mit einem eigentümlichen Lächeln.
»Gewalt und immer Gewalt,« seufzte die Bäuerin, welche inzwischen in die Stube gekommen war.
Der alte Neuffer, der auf der Ofenbank saß und die Unterarme auf die Schenkel stützte, hob den gesenkten Kopf und sagte: »Sei Du ganz still, Ursel, es hilft uns armen Leuten halt nix anderes mehr. Schau, so lang' ich mich zu erinnern weiß, hat's kein so frühes Frühjahr gegeben wie heuer. Was will unser Herrgott damit, als daß er uns bedeutet, daß für uns, die wir die Erde bauen, heuer endlich die Saat der Befreiung aufgehen wird.«
»Es wird halt kommen, wie es kommen muß, ist's doch auch zwischen der Käthe und der Neureuterin gekommen, wie es kommen mußte,« äußerte die 260 Bäuerin mit ihrer singend klagenden Stimme und ging zu ihrer unterbrochenen Arbeit zurück.
»Wir werden einen guten Advokaten für die Käthe finden,« rief Simon ihr nach.
»Ich wüßt' wohl einen, aber der beste ist's Eisen,« sagte Kaspar.
Paul Ickelsamer schlug ihm lachend auf die Schulter und sein Vetter, der hinter dem Tische saß, auf dem seine Unterarme mit gefalteten Händen ruhten, äußerte: »Ich sprach just mit dem Ickelsamer von der Sach'. Rühr' Du den Kohl nit weiter an. Mittwoch haben wir Mitfasten. Im Bären werd' ich Dir nachher mehr sagen können.«
Das Gespräch wandte sich von Käthe auf die Zustände und Stimmungen in Rothenburg. Kaspar kehrte minder schweren Herzens, als er gekommen war, dorthin zurück. Simon begab sich nach dem frühen Nachtessen auf den Dorfplatz, der belebter als gewöhnlich war, weil es nicht nur der Vorabend des Sonntags war, sondern auch das Schicksal Käthes allgemeine Teilnahme erregte. Während Paul Ickelsamer mit den jungen Burschen angelegentlich sprach, nahm Simon den Dorfmeister Wendel Haim beiseite. »Nu,« fragte er ihn, »hast Du Dich entschieden, ob Du zu unserer Sach' stehen willst oder nit? Du hast Furcht gehabt, daß sie verraten werden könnte. Jetzt steht's so, daß, wenn es einer auch dem Rat steckte, es nichts mehr ändern und uns nit aufhalten wird! Setzen wir uns daher und lose!« Er führte ihn zu der Bank unter der Linde, wo niemand saß, und vertraute ihm, während an dem blassen Frühlingshimmel ein Stern nach dem anderen auftauchte, die in Ballenberg getroffene Verabredung an. Er, Leonhard Metzler und der lange Lienhart hätten sie bereits in vielen Dörfern des Rothenburger Gebiets bekannt gegeben. Bis zu der allgemeinen Erhebung am Sonntag Judika seien es kaum noch zwei Wochen hin und Buchwalder im 261 Aischgrunde hätte ihn wissen lassen, daß im Ansbachischen bereits etliche Gemeinden unter dem Vorwande eines allgemeinen Wurstessens auf seien.
Wendel Haim, der ihm mit geschlossenen Augen zugehört hatte, tat sie jetzt auf und sagte leise, indem er ihm die Rechte gab, die so rauh wie ein Reibeisen war: »Ist abgemacht.«
»Ich hab' halt immer gewußt, daß Du uns nit ausstehen würdest,« versicherte Simon, den Händedruck erwidernd. »Wie die Sach' beschaffen ist, tut's auch nix, wenn wir Ohrenbacher ein paar Täg früher uns erheben als die anderen Gemeinden. Es ist von wegen meiner Schwester. Wir können nit nach Schönthal ziehen und das arme Maidelin hier in ihrer Not stecken lassen.«
»Aber!« wandte Haim ein; Simon legte ihm jedoch die Hand fest auf den Oberschenkel und fuhr mit gedämpfter Stimme fort: »Es ist nit einmal ein Wagstück! So wie wir nach Rothenburg kommen, fallen uns die Zünfte zu. Sie wollen die jetzigen Räte wegstoßen, was sie ohne uns nit fertig bringen, und soll in den neuen keiner von den Geschlechtern mehr sitzen. Das weiß ich nit bloß von meinem Ohm und dem Kaspar, sondern auch von dem langen Lienhart, dem es sein Schwager, Hans Krätzer, vertraut hat. Sie wollen mit der alten Schweinerei ein End' machen und für uns wär' kein Verlaß auf die Stadt nit, wenn in dem neuen Rat Junker und Fettbürger beisammen sitzen.«
»Das kann ein Blinder mit dem Stock fühlen,« pflichtete ihm der zweite Dorfmeister bei.
»Also von wegen meiner Schwester?«
»Morgen nach der Kirch' sag' ich Dir Bescheid.« 263