Robert Schweichel
Um die Freiheit
Robert Schweichel

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Sechstes Kapitel.

Auf den Dächern, den Mauervorsprüngen und Zinnen des Burghauses zu Giebelstadt flimmerte der Schnee in der Mittagssonne. Das Haus lag in unmittelbarer Nähe des Dorfes gleichen Namens auf der mittelfränkischen Hochebene, die etwa drei Stunden weiter nördlich zu dem hochummauerten Städtlein Heidingsfeld an dem linken Ufer des Mains, schräg Würzburg gegenüber, sich herabsenkte. Die Burg war nur von geringem Umfange und von einem sumpfigen, mit Weidengesträuch umsäumten Wassergraben, den jetzt eine dünne Eiskruste bedeckte, eingeschlossen. Hinter diesem erhob sich eine hohe Ringmauer mit dicken Rundtürmen an den vier Ecken. Eine Zugbrücke führte südwestlich vom Dorfe zu dem Spitzbogentor, über dem ein Geier mit gespannten Flügeln eingemeißelt war. Auf dem engen Hofraume lag rechts das Herrenhaus, zu dessen beiden oberen Stockwerken man in den beiden Ecktürmen hinanstieg, die es flankierten. Gegenüber, zwischen den beiden anderen Ecktürmen, lehnten die Ställe und Schuppen mit den Futter- und Getreideböden darüber an der Ringmauer, unter deren Zinnen ein Wehrgang die weit nach außen gebauchten Türme verband.

Auf dem Burghause saßen seit unvordenklichen Zeiten die Geyer von Geyersberg. Das noch in zwei 112 Linien blühende Geschlecht hatte bereits zu der Adelspartei gehört, die durch einen Staatsstreich die Wahl Konrads III. zum deutschen Kaiser erzwungen und damit die Hohenstaufen an das Reichsregiment gebracht hatte. Die Geyer von Geyersberg hatten dann in den Feldzügen und am Hofe des schwäbischen Kaiserhauses geglänzt, und als der jüngere Sohn des dritten Konrad mit seiner jungen Gemahlin auf der Burg zu Rothenburg seinen fröhlichen Hof hielt, während sein Ohm Friedrich Rotbart die Kaiserkrone trug, hatte man sie dort als willkommene Gäste häufig einreiten sehen. Dieses gute Verhältnis zu der malerischen Tauberstadt, die dem Rotbart seine Reichsfreiheit dankte, ging dann freilich in Trümmer, als um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts die Städte zum Schwerte greifen mußten, um ihr Aufblühen gegen die Habgier des wirtschaftlich rückständigen Feudaladels zu schützen. Damals wurde auch Burg Giebelstadt von den Rothenburgern gebrochen. Das gleiche Schicksal hatte das feste Haus der Zobel von Zobelstein, das, nur einen guten Büchsenschuß entfernt, an der nordwestlichen Ecke des Dorfes lag. Nun, die Spuren jener stürmischen Zeit waren verwischt, die niedergelegten Mauern wieder aufgerichtet und innerhalb derselben hauste eine neue Generation der alten Geschlechter.

Ritter Florian Geyer von Geyersberg war auf der Jagd. Ihn erwartend, saß seine Gattin in dem Mittelzimmer des ersten Stockwerks der Burg am Kamin, in dem große Buchenklötze brannten. Sie tändelte mit einem erst einige Monate alten Kinde, dem ersten Sprößling ihrer Ehe. Die junge Mutter saß in einem großen Lehnstuhl und ihre Füße ruhten auf einem Bärenfell. Sie trug ein schlichtes dunkles Hauskleid, und ein mit Pelz verbrämtes Sammetkäppchen bedeckte ihr ins rötliche spielendes Blondhaar, das im Nacken in Flechten zusammengelegt war. Dieser Haarfarbe entsprach die zarte Weiße ihrer Haut, so daß ihre 113 Wangen roten Rosen auf Schnee glichen. Ihr rundliches Antlitz war weniger hübsch als verständig und gut und aus ihren blauen Augen leuchtete das reinste Mutterglück, als sie mit dem Knäblein auf ihrem Schoße plauderte, das dazu lachte und mit den dicken, rosigen Beinchen strampelte. Es war eine reizende Gruppe, vor der auf dem Fußboden die Mittagssonne spielte, die von der Hofseite so hell hereinschien, als es die kleinen, in Blei gefaßten, vielkantigen Scheiben der schmalen Fenster gestatteten. Die Vorhänge von grünem Rasch waren so weit wie möglich zur Seite geschoben. Gebräuntes Getäfel bekleidete bis zur Brusthöhe die Wände, welche mit Jagdtrophäen und Waffenstücken geschmückt waren. Die Wände und das Kreuzgewölbe der Decke waren weiß getüncht. In den tiefen Fensternischen und an den Wänden standen Eichenbänke, die mit Polstern belegt waren. Keine Kissen hatten die Bänke zu beiden Langseiten des auf gekreuzten Beinen ruhenden Tisches, der zum Mittagessen gedeckt war. Es war zwölf Uhr vorüber, mithin um eine Stunde später als die Herrschaft zu speisen pflegte; das Ingesinde und auch die Bauern aßen bereits um zehn Uhr zu Mittag. Das saubere Tafeltuch war im Hause gewebt; die Teller sowie der Krug, der einen leichten Landwein enthielt, bestanden aus blitzendem Zinn und nur die beiden Becher wie das Salzfaß waren aus Silber.

Frau Barbara unterbrach ihr Getändel, um zu lauschen. »Der Vater, Mätzchen,« rief sie, indem ein rosiger Schein ihr angenehmes Gesicht überflog. Sie erhob sich aus dem Lehnstuhle, der einzigen Bequemlichkeit des Gemaches. Es war eine volle Gestalt. Ihr Ohr hatte sie nicht getäuscht, und gleich darauf überschritt der Burgherr die Schwelle.

Florian Geyer war ein stattlicher Mann gegen die Mitte der Dreißig, mit breitgewölbter Brust und muskulösen Armen. Sein grünes Wams und die grauen 114 Strumpfhosen in den hoch heraufgezogenen Stiefeln bestanden aus häuslich gesponnener Wolle. In der Hand hielt er ein Feuerrohr, über seiner Schulter hingen Pulverhorn und Kugeltasche und an seiner Hüfte ein kurzes Schwert. Der mit Spielhahnfedern geschmückte Schlapphut beschattete ein energisches Gesicht mit kräftiger Nase und ernsten, scharfblickenden Augen. Ein starker Schnurrbart war über dem festgebildeten Munde aufwärts gedreht. Seine Wangen waren von der Luft gebräunt und von jener kernigen Hagerkeit, welche das Leben in der freien Luft erzeugt. Mutter und Kind hatten noch geschlafen, als er zur Jagd aufgebrochen, und so war es zugleich sein Morgengruß, den er auf die weichen Lippen der Gattin drückte. Der Kleine zog ein weinerliches Frätzchen, trotz der Vorsicht, mit der des Vaters bärtige Lippen seine Stirn berührten. Die Mutter machte es aber mit ihrem Kusse schnell wieder gut.

»Und die Jagd war gut?« fragte sie, während Herr Florian Hut und Jagdgerät ablegte.

»Nicht sonderlich, wegen des zu hohen lockeren Schnees,« entgegnete er und glättete das in die Stirn gestrichene Haar. »Der Bursche hat nur ein paar Hasen in der Küche unten abgegeben. Demnächst wird es aber ein ander Wild zu jagen geben. Die Bauern in Ingolstadt erzählten mir, daß sich im Guttenberger Walde Wölfe hätten verspüren lassen. Das Raubzeug muß schleunigst abgeschossen werden.«

»Ich hab's oft genug auf Burg Rimpar heulen hören,« bemerkte die junge Frau. »Aus dem Gramschatzer Forst scholl es in den Winternächten über die Pleichach herüber. Es war schauerlich anzuhören.«

»Und Du zogst geschwind die Bettdecke über den Kopf,« neckte er sie.

»Wenn ich ein Stadtfräulein gewesen wäre,« lachte sie. »Aber auf dem Kamin liegt ein Schreiben aus Rothenburg. Der Wölffl brachte es. Hätte die Antwort Zeit, 115 wollte er sie mitnehmen, wenn er aus Würzburg zurückkommt. Er ist mit seinem Kram wohl noch im Dorf.«

»Und was hat er Dir Neues mit in den Kauf gegeben? Denn Du wirst ihn doch in Nahrung gesetzt haben?«

»Freilich; es fehlte mir dieses und jenes«, erwiderte sie. »Aber lies erst Deinen Brief, das übrige hat Zeit.«

»Das heißt, die weibliche Neugierde hat den Vortritt«, scherzte er. »Oder war's keine gute Mär, die Wölffl Dir zugetragen hat?« Er blickte sie forschend an.

»Es hat sich etwas Schreckliches in Ohrenbach ereignet,« antwortete sie mit Widerstreben, und dann erzählte sie von der Austreibung des Konz Hart, wie seine Frau aus Verzweiflung mit ihren beiden jüngsten Kindern sich ins Wasser gestürzt und ihr Mann zur Vergeltung die Zehntenscheuern auf Endsee in Brand gesteckt habe. Er sei mit dem älteren Knaben verschwunden.

Mit feuchten Augen und zärtlicher Angst drückte Frau Barbara ihr Kind an ihren Busen. Ihr Gatte, dessen Antlitz bei der Erzählung sich verfinstert hatte, ging im Gemache hin und her, als sie schwieg. »Die blutige Saat muß blutige Frucht tragen; sie wollen es nicht anders,« sprach er zwischen den Zähnen. Dann blieb er bei der jungen Frau stehen, blickte nachdenklich auf seinen Sprößling, der ihn von den Armen der Mutter mit großen Augen anschaute, und sagte: »Armer Schelm, Du hast in einer traurigen Zeit das Licht der Welt erblickt. Allerwärts sitzen Unrecht und Gewalt am Regiment und treten das arme, hart schaffende Volk mitleidslos unter die Füße. Was für eine Zukunft steht ihm unter solchen Aspekten bevor? Wird er aus den Wetterwolken, welche den ganzen Himmel verfinstern, den erlösenden Blitzstrahl fahren sehen? Wird er den Sieg der Freiheit und Gerechtigkeit erleben?« Er strich mit der Hand über die Stirne, worauf er fortfuhr: »Ein einzelner vermag die Erlösung nicht zu vollbringen; wir 116 alle müssen an ihr mitschaffen. Darum laß' uns auch unseren Knaben dazu erziehen, an ihr mitzuwirken und zur Handhabung der Wahrheit und Gerechtigkeit ohn' alle Menschenfurcht!«

»Ich werde es an meinem Teile leicht haben«, versetzte Frau Barbara schlicht. »Denn um aus ihm einen Mann zu machen mit lauterem Herzen, starkem Willen und furchtloser Tat, dazu brauche ich ihn nur auf seinen Vater zu verweisen.«

»Still, Barbara!« sprach er fast streng. Sie aber rief lebhaft: »Nein, Liebster, ich schmeichle Dir nicht, noch mache ich mich zum Widerhall des Urteils anderer über Dich. Ich kenne Dich bis auf den Grund Deiner Seele. – Aber jetzt laß uns zu Tische gehen!«

Sie verließ ihn, um das Kind der Wärterin zu übergeben und das Mittagessen anrichten zu lassen. Er nahm unterdessen vom Kamin den Brief, durchschnitt mit seinem Dolchmesser die Fäden, welche ihn kreuzweise umschlangen, und vertiefte sich in den Inhalt. Als seine Gattin zurückkam, fand sie ihn in Sinnen verloren, den Brief in der lässig herabhängenden Hand.

»Müssen wir den heutigen Tag doppelt schwarz anstreichen?« fragte sie besorgt.

Er verneinte. »Der Brief gemahnt mich an meinen unvergeßlichen Freund Ulrich von Hutten,« sagte er, das Schriftstück zusammenfaltend und in seine Gürteltasche steckend. »Den Schreiber kenn' ich nicht. Er ist ein Doktor der Rechte und nennt sich Max Eberhard. Es muß wohl in Rothenburg eine offene Aussprache über die Schriften und Ziele Ulrichs nicht möglich sein, so daß er mir, dem Fremden, seine Bewunderung jener ausdrückt und sein Herz erschließt. Die Furcht vor dem Toten dauert fort und der Haß, der den Lebenden verfolgte, wird wahrscheinlich auch des Denksteines an seinem einsamen Grabe nicht lange schonen.«

»Wohl ihm, daß er endlich Ruhe fand,« tröstete Frau 117 Barbara. »Erzähltest Du mir doch, daß er seit langen Jahren an einem unheilbaren Übel litt.«

»Sein Feuergeist zwang den schwächlichen Leib, ihm dienstbar zu sein,« ergänzte Herr Florian. »Dennoch ahnte mir nicht, als wir uns nach dem mißglückten Zuge Sickingens gegen den Erzbischof und Kurfürsten von Trier mit einem raschen Händedruck auf dem Landstuhl trennten, daß wir einander nicht wieder sehen würden. Er wollte Hilfe in der Schweiz suchen, ein anderer eilte an den Rhein, ich hierher, um unseren säumigen Adel in den Sattel zu bringen.«

»Ich für meinen Teil darf nicht klagen, daß Du Dich nicht mit Franz von Sickingen auf seiner Burg Landstuhl einschlossest,« äußerte seine Gattin mit einem bedeutungsvoll lächelnden Blicke.

Er verstand sie. Denn damals war er ihr auf Burg Rimpar, dem Sitze derer von Grumbach, wo sie als eine Waise bei ihren Brüdern Hans und Wilhelm lebte, zuerst begegnet. Er legte seinen Arm um ihre vollen Schultern und drückte sie an seine Brust. »Ihm war das Glück nur ein einzig mal hold und just damals lernte ich ihn kennen,« sagte er, während sie mit einem zärtlichen Stolze zu ihm aufblickte. »Es war in Würzburg, im Winter von 17 zu 18. Er war von der Universität Bologna nach Deutschland zurückgekehrt und zu Augsburg während des Reichstages von dem Kaiser Maximilian als Dichter gekrönt worden. Die schöne Konstanze Peutinger hatte ihm den Lorbeerkranz gewunden. Jung, von Ruhm strahlend, voll Zuversicht, daß der Morgen, den die Humanisten verkündet, nun wirklich anbrechen werde, so traf ich ihn dann zu Würzburg am Hofe des damaligen Bischofs Lorenz von Bibra, welcher den Ideen der Reformation zugeneigt war. Es war eine herrliche Zeit und, wie Hutten sagte, eine Lust in ihr zu leben. Und heute ist die Nacht schwärzer als je!« Er machte eine Bewegung, als wollte er die trüben Gedanken von der Stirn scheuchen. 118

Die junge Frau zog ihn sanft zu dem Tische, auf dem inzwischen das Mittagessen aufgetragen war. Es bestand aus Rindfleisch mit weißen Rüben und der gerösteten Keule eines Ebers. Es gebrach dem Ritter keineswegs an Glücksgütern, so daß er füglich einen reicheren Tisch hätte führen können. Allein er war bedürfnislos, der damals in üppigster Blüte stehenden Verschwendung und Schlemmerei feind und sein Leib durch körperliche Übungen von früh auf, durch Jagd und Krieg gestählt. Er war schon in jungen Jahren in die Kriegsdienste des Kaisers Maximilian getreten und Georg von Frundsberg, der das Heer umgestaltet, indem er dessen Schwerpunkt auf die Fußtruppen gelegt, sein Waffenmeister gewesen. Der Ritterstand als der eigentliche und bevorrechtete Kriegerstand, der mit seinen Dienstmannen bislang die Heere gebildet, hatte sich überlebt. Nicht das Schießpulver allein hatte das Lehensheer mit seinen schwer gepanzerten Reitern unbrauchbar gemacht, auch der ritterliche Geist war in ihm erloschen. Es hatte selbst sein Todesurteil unterzeichnet, als es in den Hussitenkriegen bei Taus auf die bloße Kunde von dem Anrücken des vorwiegend aus Bauern bestehenden Volksheeres wie Spreu vor dem Winde auseinander gestoben war, trotzdem ein Kardinal seine Waffen gegen die Ketzer gesegnet hatte.

Kaiser Max sah es gern, daß die adlige Jugend in seine Lanzknechtsfähnlein trat, um die neue Gefechtsart und Taktik zu erlernen; das gab ein Holz, um daraus tüchtige Hauptleute zu schnitzen. In einem solchen 400 Mann zählenden Fähnlein hatte auch Ritter Florian Geyer das Waffenhandwerk von der Pike auf gelernt und unter Jörg von Frundsberg in Italien gegen Frankreich zu Felde gelegen. Er mußte sich dabei trotz seiner Jugend wohl auffällig hervorgetan haben. Denn als im Todesjahre des Kaisers Max, 1519, der Herzog Ulrich von Württemberg mitten im Frieden die freie Reichsstadt Reutlingen überfiel, vorgebend, daß ihm deren 119 Bürger seinen Waldvogt auf Schloß Achalm erschlagen, und der schwäbische Bund ins Feld rückte, um an ihm die Reichsacht zu vollziehen, da erhielt Florian Geyer ein selbständiges Kommando. Während die Hauptmacht unter dem Truchseß von Waldburg vor den Hohenasperg und Tübingen zog, erhielt er den Befehl, sich nordwärts zu wenden, wo Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand in Möckmühl die Sache des Herzogs verteidigte. Und der gefürchtete Letztling des Faustrechts hatte sich dem jungen Hauptmann ergeben und nach Heilbronn in ritterlich Gefängnis reiten müssen! In diesem Feldzuge, der Württemberg der Regierung Österreichs überantwortete, geschah es auch, daß Herr Florian die Bekanntschaft Franzens von Sickingen machte und von ihm auf die Eberburg eingeladen wurde. »Die Herberge der Gerechtigkeit,« pflegte Hutten sie zu nennen. Denn von ihr sollte das neue Zeitalter der Gerechtigkeit ausgehen und fortan nur ein Haupt: der Kaiser, nur eine Kirche: die protestantische sein.

»Ich kann es nicht mehr bedauern,« so spann der Burgherr seine Gedanken während des Essens weiter, »daß Sickingen den Tanz mit dem Erzbischof von Trier anheben mußte, ehe die Vorbereitungen zum Sturze der Fürsten beendet waren. Auf Huttens Drängen war zwar mit den Reichsstädten angeknüpft worden, aber Sickingen schaute mit der vorurteilsvollen Geringschätzung des Adeligen auf die Stadtbürger und die Gemeinfreien; die Bauern heranzuziehen, davon war keine Rede. Mit der Reformation war es Sickingen wohl Ernst, aber nur als zweites. Sein Hauptziel, das ist mir heute klar, war kein anderes, als mit Hilfe des Adels und des neuen Glaubens sich Raum unter den Fürsten zu schaffen und sich selbst als weltlicher Kurfürst auf den Stuhl des Erzbistums Trier zu setzen. Er war zu berühmt, zu reich und zu mächtig geworden, um noch ein Untertan sein zu können. Wäre er Sieger geblieben und etwa durch die Ereignisse wider Willen 120 weiter gedrängt worden, so hätten wir heute eine Adelsrepublik mit einem ohnmächtigen Kaiser an der Spitze. An die Stelle der Teilfürsten wäre eine Legion kleiner adliger Despoten getreten, die dem Volke auch das letzte Mark aus den Knochen saugte. Das ganze Reich wäre ihrer schrankenlosen Willkür zur Beute geworden. Mir graut davor, es zu denken.«

Frau Barbara hatte die zarte weiße Stirn nachdenklich gesenkt; jetzt seufzte sie und sagte, die guten blauen Augen zu dem Gatten erhebend: »Wenn daheim auf Burg Rimpar von dem Unternehmen gesprochen wurde, dann dachten alle immer nur daran, der Lehenspflicht gegen den Bischof von Würzburg sich zu entledigen, und verteilten dessen Güter unter sich. Die Not der armen Leute zu erleichtern, davon war nie die Rede. Auch ich fand damals nichts daran«, gestand sie errötend, »kannte ich Dich doch noch nicht und glaubte meiner eigenen Pflicht vollauf genügt zu haben, wenn ich unseren Leibeigenen und Hintersassen in Notfällen mit irgendeinem Almosen beistand. Ich lachte wohl, wenn mein Bruder Wilhelm sich vermaß, es eines Tages wie der Götz von Berlichingen zu machen, auf eigene Hand Fehde zu führen und den reichen Stadtbürgern die Kisten zu fegen. Ich sollte dann auch Schmuck und schöne Kleider genug haben. Unser Vater starb leider, als der wilde Bub seine kräftige Hand am nötigsten gehabt hätte.«

»Der Junge sagte nur laut, wozu sie alle ein Stark Gelüsten verspüren,« bemerkte Florian Geyer unmutig. »Besäßen sie Berlichingens Frechheit, Faustrecht und Straßenraub ständen noch in vollster Blüte. Wölfe sind sie und es täte not, man erschlüge sie alle.«

»Arg ist's schon; aber Du solltest Dich des Wilhelm annehmen«, bat dessen Schwester. »Dann möchte noch etwas Tüchtiges aus ihm werden. Er ist ja noch so jung, erst zwanzig Jahre alt, und hält große Stücke auf 121 Dich, just weil Du den Götz gefangen nahmst, den er so sehr bewundert.«

»Er ist jung, ja, aber sein Kopf ist alt,« versetzte Herr Florian ernst. »Da er ein jüngerer Sohn ist, so berechnet er, wessen Schultern stark genug sein möchten, um ihn in die Höhe zu heben.«

»Am verhaßtesten ist es ihm, daß ein Grumbach bei einem Pfaffen zum Lehen gehen soll, mag er sich auch Herzog in Franken nennen,« bemerkte die junge Frau noch, »und vollends bei dem jetzigen Bischof Konrad von Thüngen, der ein strenger und grausamer Mann sein soll.«

»Das ist er in der Tat und die Bürgerschaft von Würzburg ist ihm darum feind«, bestätigte ihr Gatte. »Nun, ich will versuchen, ob ich den jungen Burschen für den Geist der neuen Zeit gewinnen kann, die der Welt einen anderen Mittelpunkt setzt als das eigene Ich.«

Er selbst hatte das Vertrauen auf den Sieg der neuen Zeit nicht verloren, wenn auch Sickingens Unternehmen gescheitert war. Huttens schnell auflodernde Begeisterung und überwältigende Beredsamkeit besaß er nicht; nachdem er aber für dessen Ideen einmal sich erwärmt hatte, erkaltete er auch nicht wieder. Auf die Tat gestellt, wie sein Freund auf das Wort, sann sein praktischer Verstand unablässig auf die Mittel, seine Überzeugung zu betätigen. Er hatte daher keine Zeit verloren, die durch Sickingens Fall und Huttens Tod zerrissenen Fäden wieder zusammen- und neue Verbindungen anzuknüpfen. Mußte das Schwert ruhen, um so fleißiger führte er die Feder, und er bedurfte dazu keines sogenannten Briefdichters. Alle helleren Köpfe waren von der Erkenntnis erfüllt, daß die kirchlichen, sozialen und politischen Zustände im Reiche unhaltbar geworden seien und reformiert werden müßten. In dieser Überzeugung fanden sie sich leicht zusammen und auf Burg Giebelstadt gingen die Briefboten aus und ein, zuweilen in seltsamer Gestalt. 122

Hufbeschlag auf dem Burghofe veranlaßte Herrn Florian, sich vom Tische zu erheben. »Es ist ein Fremder,« sagte er, in den Hof blickend, wo ein Reiter in einem langen, dunkeln Mantel und einer Pelzkappe, deren Schirm er tief über die Augen gezogen hatte, von einem starkknochigen Gaule stieg. Hinter dem Sattel war ein Mantelsack aufgeschnallt. Frau Barbara war hinter ihren Gatten getreten und sah noch, wie der Fremde dem Schlosse zuschritt, während ein Knecht das Pferd in den Stall führte. Sporenklirrende Schritte näherten sich dem Gemach und der Fremde trat mit gelüfteter Pelzkappe über die Schwelle. Er hatte einen geistvollen Kopf mit leicht ergrautem Haar, und er sprach mit einer angenehmen Stimme:

»Wir sahen uns noch nie, Herr Ritter; aber die Freunde unserer Freunde sind ja die unserigen, und so kenne ich Euch bereits durch Euren brieflichen Verkehr mit meinem Freunde, dem kurmainzischen Keller Weigand zu Miltenberg. Mein Name ist Wendel Hipler.«

»Gott willkommen, Herr Kanzler!« rief der Hausherr angenehm überrascht und schüttelte dem Gaste kräftig die wohlgepflegte Rechte, von der er den Handschuh abgezogen hatte. »Leget ab und macht's Euch bequem.«

»Erst gestattet, daß ich der edlen Burgfrau meine Ehrerbietung bezeige,« antwortete Wendel Hipler, und ließ den Worten mit feinem Anstande die Tat folgen.

Frau Barbara bestätigte den Willkomm des Ritters in schlichter Weise und fügte hinzu: »Ihr treffet uns beim Mahl, Herr Kanzler; so bitt ich denn, nehmet fürlieb.«

»Aber ohne den Kanzler, schöne Frau; denn den habe ich den Grafen von Hohenlohe vor die Füße geworfen,« erwiderte Wendel Hipler mit einem leichten Lachen.

Florian Geyer und seine Frau waren beide erstaunt; allein die Höflichkeit gestattete nicht, den Gast mit Fragen zu behelligen, so lange er noch nicht abgelegt 123 hatte. Dieser selbst berichtete, während er seiner Kappe und seines Mantels sich entledigte und das Schwert abgürtete, welches er über einem dicken Lederkoller ohne Ärmel trug, daß er von Nürnberg komme und zu seinem Freunde in Miltenberg unterwegs sei; er habe daher die Gelegenheit benutzt, um Herrn Florian persönlich kennen zu lernen. Die Burgfrau entfernte sich unterdessen, um für den Gast ein Gedeck und einen edleren Wein auftragen zu lassen.

»Diese Reise,« fuhr Herr Wendel fort und wärmte sich die Hände an dem Kaminfeuer, »bekräftigt nur die alte Lehr', daß man von einem Dornbusch eher Feigen als Dank von Fürsten erntet.« Wie er erzählte, war er aus den Diensten der Grafen von Hohenlohe geschieden, weil er für seine lange und treue Amtsführung nur mit dem schwärzesten Undank belohnt worden war. Sein eigenes Vermögen hatte er in ihrem Interesse zugesetzt, und er war so arm davon gegangen, daß er bei dem Vater seiner Gattin zu Wimpfen im Tale, unterhalb Heilbronn, zu wohnen genötigt war. Zwar hatten die Grafen ihm für seine Forderungen die Einkünfte eines ihrer Güter überwiesen, aber sie hatten dieselben bereits für sich eingezogen, als er sie erheben wollte, und so war er fortgegangen. Jetzt hatte er bei dem Reichs-Kammergericht die Rechte zweier Untertanen der Grafen, die jene ebenso ungerecht wie hart gestraft hatten, verfochten und den Prozeß gewonnen. Er schloß: »Wer die Grafen Albrecht und Jörg von Hohenlohe kennt, der wird von ihnen keine Gerechtigkeit, geschweige Milde erwarten. Gegen mich haben sie bei dieser Gelegenheit zum Undank den Schimpf gefügt, indem sie meine Ehrlichkeit verdächtigten. So sind die Herren!«

»Mich erstaunt solches mit nichten,« bemerkte Florian Geyer mit rauher Stimme. »Das ist derselbe Eigennutz, dieselbe Habsucht, die das Reich von seiner Höhe so tief herabgestürzt haben. Das Reich kümmert 124 unsere Ritter, Grafen, Fürsten keinen roten Heller. Wo für sie kein Vorteil herausluget, da kann ihretwegen selbst der Ungläubige das Reich durch Schwert und Feuer verwüsten, sie rühren keinen Finger, noch rücken sie den Daumen von ihrem Säckel.«

Der aufwartende Diener hatte mittlerweile die Tafel ergänzt und an deren oberes Ende für den Gast den Lehnstuhl vom Kamin geschoben. Der Hausherr füllte zum Willkomm die Becher. Es war köstlicher Wein, der an den sonnigen Abhängen des Marienberges bei Würzburg gedeiht, und Wendel Hipler kostete ihn mit feiner Zunge. »Ein vorzügliches Gewächs,« bemerkte er. »Diejenigen, so ihn im Schweiße ihres Angesichts bauen, bekommen ihn leider nicht zu kosten, und so ist es mit allen guten Dingen. Sie mähen die Wiesen, pflügen die Äcker, säen den Flachs, reißen ihn heraus, rösten, waschen, brechen und spinnen ihn, klauben die Erbsen, brechen Möhren und Spargel – alles für die Herren. Selbst das gute Wetter ist nur für diese; denn da müssen für sie die armen Leute schaffen, mag auch auf deren Feld die Frucht im schlechten Wetter verderben.«

»Gott sei es geklagt, daß es so ist, Herr Hipler,« pflichtete ihm die junge Frau bei, die über seinen Worten wieder in das Zimmer gekommen war, nachdem sie noch die Bereitung einer Eierspeise angeordnet hatte. »Doch jetzt bitte ich, es sich schmecken zu lassen.«

Wendel Hipler hatte einen tüchtigen Ritt gemacht und sein Appetit bedurfte daher keiner Ermunterung. Dabei vergaß er der Unterhaltung nicht. Des Spruches eingedenk, daß Politik den Frauen leidig sei, erzählte er von der Wunderstadt, woher er eben kam, von ihren edlen Kirchen und malerischen Häusern, ihren schönen Brunnen und sonstigen Kunstschätzen in Farben, Erz und Stein. Frau Barbara, die nur das eine Stunde von Schloß Rimpar entfernte Würzburg kannte, lieh ihm 125 ein aufmerksames Ohr. Der Ritter hörte nur zerstreut zu; ihm summten die Töne nach, die der Gast vorher angeschlagen hatte; er verriet es durch die Frage: »Und die Nürnberger, woraus sind die gemacht?«

»Ei, das sind gar kluge Leute,« gab Herr Wendel mit einem leisen Lächeln zur Antwort. »Sie mögen gern das Gute schmausen und fragen nicht danach, ob des Nachbars Teller leer sei. Wer ihnen nützt, dem helfen sie, so es ihnen nicht Schaden bringt. Sie haben die Zünfte beizeiten zum Rat gelassen, so daß der Sturm, wann er kommt, an ihren Mauern sich brechen wird.«

»Und kommen wird und muß er,« sagte der Hausherr nachdrücklich.

Der Gast zuckte mit einem bedeutungsvollen Blicke die Achseln. Es drängte ihn selbst aber zum Reden. Er schob daher bald seinen Teller zurück, und als Frau Barbara die Männer bei dem Weine allein ließ, sagte er nach einem Schlückchen aus seinem Becher: »Wahrlich, mich erbarmt des Jammers der armen Leute im tiefsten Herzen, und wenn wir die günstige Gelegenheit nützen, die sich uns bietet, so ist die Stunde ihrer Befreiung nahe zur Hand.«

»Welche Gelegenheit meint Ihr?« fragte der Ritter mit großer Spannung.

»Die Machenschaften des vertriebenen Herzogs Ulrich, der auf dem Hohentwiel heimlich rüstet, um Württemberg wieder einzunehmen.«

»Darum weiß ich«, bestätigte der Burgherr. »Meine Freunde, die sich nach dem Fall von Landstuhl in die Schweiz retteten, haben es mir vermeldet und mich aufgefordert, dem Herzoge mich gleichfalls anzuschließen. – Niemals!«

»Einer anderen Antwort war ich von Euch nicht vermutend,« gab Herr Wendel zu. »Es soll aber in Württemberg alles anders werden. Der Herzog läßt dort verkünden, daß er den armen Mann des Joches entledigen und fortan väterlich Regiment üben werde. Er 126 selbst reitet am Untersee und im Schwarzwald um und tut leutselig mit den Bauern.«

»Es mag ihm freilich gleichgültig sein, ob ihm Stiefel oder Schuh, Edelmann oder Bauer wieder zur Herrschaft hilft,« rief Florian Geyer mit gerunzelter Stirn. »Aber er und das Volk befreien! Er, dessen ganze Herrschaft eine Kette von maßlosen Bedrückungen, Schlechtigkeiten und Verbrechen war! Bildet er sich etwa ein, daß die Württemberger die Grausamkeit vergessen haben, mit der er die Bauern im Remstal strafte, als sie die Not zum Bund des armen Konrad zwang? Vergessen seine nimmersatte Vergnügungs- und Prunksucht, die ihn gewissenlos nach allen Mitteln greifen ließ und das Land fast an den Bettelstab brachte? Vergessen, wie er das Gewicht und das Geld fälschte, das Recht bog und mit allen Ämtern Schacher trieb? Vergessen der feige Meuchelmord, den er an seinem Freunde, dem Vetter Huttens beging, weil ihn nach dessen schönem Weib gelüstete? Vergessen seine ganze Wüstheit, die aus Württemberg ein Sodom und Gomorrha machte, so daß sein Gemahl zu den Ihrigen in Bayern flüchten mußte? Kann das alles vergessen sein, wenn auch trotz der furchtbaren Anklageschrift Ulrichs von Hutten das Ohr der Gerechtigkeit taub blieb?«

»Es wäre auch taub geblieben wegen seines Überfalles von Reutlingen, nur daß von den Herren keiner dem anderen den fetten Bissen gönnte,« antwortete Wendel Hipler gelassen. »Ob die Württemberger etwas von alle dem vergessen haben, ist mir nicht bekannt. Vielleicht nicht. Dennoch wird dort Bauer und Bürger sich für ihn erheben, sobald er das Zeichen gibt. Die Hoffnungen der Unglücklichen sind leicht erregt und die österreichische Herrschaft ist in Stadt und Land über die Maßen verhaßt. Und weil es dem Hause Österreich gilt, darum gibt dessen alter Widersacher 127 König Franz das Geld zu den Rüstungen des Herzogs, und die Vororte der Eidgenossen haben ihm Zuzug versprochen. Oder vermeinet Ihr etwa, Herr Ritter, daß der Herzog die französischen Kronen nicht nehmen sollte? Ei, es ist ihm bei der letzten Kaiserwahl manch deutscher Kurfürst mit seinem Beispiel vorausgegangen und hat das französische Geld ohne Gewissensbisse eingesteckt, um für den welschen Franz gegen den hispanischen Habsburger Karl zu stimmen.«

»Man müßte sich fürwahr fast schämen, ein Deutscher zu sein«, knirschte Florian Geyer. »Wenn der Herzog über keine weiteren Hilfsmittel verfügt, als die von Euch erwähnten, Herr Wendel, dann wird er sich auf seinem wiedergewonnenen Stuhl nicht lange zu behaupten vermögen, so geschickt er seine Zeit abgepaßt hat. Der Frundsberg hat den Sommer über allerwärts im Reich die Werbepatente umschlagen lassen, und was von Lanzknechten müßig ging oder unlustig zur Arbeit war, ist dem Kalbfell zugelaufen und über die Alpen geschickt. Was mit dem Herzog, wann in der Lombardei der alte Span zwischen Deutschland und Frankreich ausgefochten ist?«

»Ihr habet den Punkt berührt, der für uns von Wichtigkeit ist; was kümmerten uns sonst die Machenschaften des Herzogs?« erwiderte der ehemalige Kanzler. »Worauf er sonst zählt, das ist die Verzweiflung der armen Leute im ganzen Reich. Überall glimmen die Kohlen unter der Asche und seine Unterhändler blasen sie allerwärts geschäftig an, vom Schwarzwald bis zum Böhmerwald. Des Herzogs gar geschickter Kanzler, der Ritter und Doktor Fuchsstein –«

»Hat sich zu Kaufbeuren als Prediger des Evangeliums und Anwalt der Bauern aufgetan,« unterbrach ihn Herr Florian. »Das weiß ich. Er sitzet dort inmitten der Bauernschaften des Bischofs von Augsburg, des Fürstabts von Kempten, des Abts von Irsee und 128 vieler weltlicher und geistlicher Herren zwischen Iller, Lech und Donau, hart an Bayerns Grenze.«

»Dessen Herzöge von Böheim und Schwaben her zugleich angegriffen werden sollen, um sich zwischen sie und den Schwäbischen Bund zu schieben,« ergänzte Wendel Hipler.

»Ich hab's mir gedacht,« sagte der Burgherr. »Aber Ihr wisset es, wie es scheint, genau.«

»Wie ich von Hause auf Nürnberg ritt, traf ich zu Heilbronn im Falken den Ritter Stephan von Menzingen, der nach Rothenburg wollte«, erklärte der Gast mit einem feinen Lächeln.

»Den Menzingen?« rief Florian Geyer überrascht. »Den Menzingen, der damals den Absagebrief des Herzogs Ulrich an den Schwäbischen Bund mit unterzeichnet hat und in dessen Hut des Herzogs Kinder auf Hohentübingen zurückblieben? Und der ging nach Rothenburg trotz seiner Händel mit dem dortigen Rate?«

»Derselbe,« bestätigte Wendel Hipler. »Er hat sich zu Recht erboten und der Rat ihm freies Geleit gewährt. Vorerst ging er nach Reinsburg, um die Seinigen abzuholen, damit er in Rothenburg völlig unverdächtig erscheine. Beim Becher gab ein Wort das andere; ich hehlte ihm nicht, daß ich den Grafen von Hohenlohe zu Werk schneide, wo ich kann, und er ging offen mit der Sprache gegen mich heraus. Mit den Frühlingsstürmen gedenket der Herzog von Hohentwiel vorzubrechen. Lodert alsdann der Brand überall im Reiche auf, dann werden die Herren ein jeder für sich sattsam zu schaffen haben, so daß sie dem Herzog keinen Widerstand zu tun vermögen.«

»Und an solch' gewaltigem Feuer gedenket der Herzog sein Süpplein zu kochen?« hohnlachte Herr Florian. »Ja, fürchtet er denn nicht, daß der Topf auskocht, ehe daß die Suppe gar ist?« 129

Wendel Hipler sah ihn mit einem schlauen Blicke an und sprach: »Er kennt wohl nicht das weise Sprüchlein des Kardinals von Cusa. Es lautet zu deutsch: Als wie die Fürsten das Reich verschlingen, also werden die Völker die Fürsten verschlingen. Mag der Herzog den Wurf wagen, der Gewinn ist des Volkes.«

Er schenkte sich ein und trank in vollen Zügen. Florian Geyer saß in Nachdenken versunken. Dann stand er auf und schritt hin und her. Nach einer Weile blieb er vor dem Gaste stehen und sagte mit verdüsterten Mienen: »Ich müßte es als einen Verrat an der Freiheit schätzen, wenn wir die günstige Gelegenheit, so der Herzog schaffet, nicht nützen wollten. Wir dürfen seinen Wurf nicht verhindern, wie es mich aber verdrießet, daß wir unsere reine Sache von seinem falschen Spiel nicht sondern können, ich kann es Euch nicht sagen.« Wieder durchmaß er das Zimmer einige Male. »Aber es muß sein,« schloß er, indem er stehen blieb und den Kopf emporwarf. »Frisch ans Werk, um den Kampf nach unserem Ziele zu lenken.«

»Ich ehre Eure Gesinnung,« erwiderte der Gast mit einer Neigung seines geistvollen Kopfes. »Der Erfolg kann uns nicht fehlen. Denn wir haben nicht allein die Bauern für uns, die der neue Glauben zum Gefühl ihrer Menschenwürde erweckt hat, so daß sie die bislang erduldete Not und Knechtschaft wie einen Feuerbrand in ihren Herzen empfinden. Auch die Bürgerschaft, in Sonderheit der freien Reichsstädte, wird zu uns stehen. Sie ist der Geschlechterherrschaft müde und Handwerk und Handel brauchen freie Ellenbogen, um sich nach Kräften zu rühren, und vor allen Dingen fürchten sie die mit allen Mitteln immer weiter um sich greifende Macht der Fürsten. Unsere Aufgabe ist, Raum zu schaffen für den Neubau des Reiches, der ein Tempel werden soll der Freiheit aller!«

»Mein Schwert ist des Volkes,« sprach Herr Florian aus tiefer Brust. 130

»Wie die scharfe Feder Weigands,« fügte Wendel Hipler hinzu. »Gesegnet sei diese Stunde, Herr Geyer von Geyersberg. Frisch an's Werk denn!«

Er faßte die schwertgewohnte Hand des Ritters mit starkem Drucke und erhob sich zum Abschied. 131



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