Robert Schweichel
Um die Freiheit
Robert Schweichel

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Drittes Kapitel.

Auf dem Hauptmarkte von Rothenburg hatte sich eine große Menge von Bürgern und Bauern angesammelt und aus den Fenstern ringsum schauten Menschen heraus. Es war am Morgen des Sonntags Cantate, dem 14. Mai, und sonntäglich hatten die Menschen sich herausgeputzt, insonderheit die Frauen und Fräulein an den offenen Fenstern. Sonntäglich war auch die Stimmung und hauptsächlich die zahlreichen Handwerksknechte gewährten ihrem derben Humor freies Feld, unter ihnen Kaspar Etschlich. Die Menge erwartete ein Schauspiel. Die Gesandtschaft des fränkischen Heeres, die bereits am Tage vorher ihre Beglaubigungsschreiben samt den Artikeln überreicht hatte, sollte vor Rat und Ausschuß erscheinen, um auf ihre Forderungen Bescheid zu erhalten. Der Rat seinerseits hatte Florian Geyer und dem Schultheißen Pezold in dem bescheidenen Gasthof auf der Würzburger Gasse, wo sie abgestiegen waren und mit ihren Begleitern auf der Stadt Kosten zehrten, als Ehrengeschenk je ein Meßgewand von schwerem Sammet mit einem silbernen Christus daran überreichen lassen. Auch hatte er Boten auf alle Dörfer des Gebiets geschickt, damit die Gemeinderäte ein oder zwei Mitglieder auf diesen Sonntag nach Rothenburg abordneten. Die Gesandten hörten erst noch in St. Jakob die Predigt des Dr. Deutschlin. 492

Die schärfsten Glossen, mit denen Kaspar Etschlich seine Freunde unterhielt, kritisierten die patrizischen Fräulein und insbesondere die schöne Gabriele und Sabine, die an einem Fenster im Hause Konrad Eberhards sichtbar waren. Sabine von Muslor betrachtete das Treiben auf dem Marktplatz weniger teilnahmslos, als ihre gewöhnliche Art war. Ihre Vermählung mit dem obersten Stadthauptmann Albrecht von Adelsheim war wegen der unruhigen Zeiten aufgeschoben worden und sie ließ sich die spöttelnde Bemerkung ihrer Freundin gefallen, daß die Verzögerung ihr willkommen wäre wie die Sommerferien, als sie beide noch Klosterschülerinnen gewesen. »Da kommt der Ritter von Menzingen,« äußerte Sabine. »Was er für einen stolzen Gang hat! Und wie biedermännisch er auf die Grüße dankt!«

Die schöne Gabriele krümmte die weiche Wellenlinie ihres dunkelroten Mundes verächtlich. Ihre feindselige Gesinnung gegen alles, was den Namen Menzingen trug, hatte sich noch höher gesteigert, seitdem die Boten des Ausschusses durch ihre Verwendung den wilden Zeisolf aus den Händen der Bauern gerettet hatten. Und diese Gesinnung teilten Erasmus von Muslor und ihr Vormund von ganzem Herzen und liehen darum den Ratschlägen ihres feinen Kopfes ein williges Ohr. Wenn die Leidenschaft den Verstand der Männer verwirrt, so schärft sie den der Weiber.

Konrad Eberhard, der hinter den beiden Mädchen stand, beugte sich über deren Köpfe vor und äußerte, von Menzingen mit den Blicken verfolgend: »Der echte Volksverführer! Wie ich höre, ist er gleich nach Ankunft der Gesandtschaft zu ihr auf die Herberge gegangen und hat lange mit ihr verhandelt. Und der Rat wird in den sauren Apfel beißen müssen. Denn keine Hilfe, wohin er sich auch gewendet hat, weder bei Nürnberg, noch bei dem Markgrafen, noch bei dem Schwäbischen Bunde.« 493

»Noch bei ihm selbst, damit hättet Ihr beginnen sollen,« ergänzte Gabriele, indem sie die feine, leicht gebogene Nase geringschätzig krauste. »O, wir wissen ja, daß die Herren nicht müßig gewesen sind mit Beraten, wie in der Ratsstube, so auf der Trinkstube, daß sie Beschlüsse gefaßt haben von früh bis spät, aber ausgeführt ist keiner worden.«

»Weil sie halt unausführbar waren,« erklärte der ehemalige zweite Bürgermeister.

»Nicht alle,« wandte sein Mündel ein. »Wie zu Anfang voriger Woche der wüste Bauernhaufe von der Tauber uns einen Besuch abstattete und zugleich ein anderer aus unserem eigenen Landgebiet vor dem Spitaltor stand, da wußte der Rat den Umstand gar klug zu nützen, nachdem er den einen aus der Stadt geschafft und den anderen zum Abzug bewogen hatte. Ihr wisset, wie er die Bürgerschaft in die Waffen rief, um dem Unfug in der Stadt zu steuern, und wie er alles geistliche Hab, Gut und Besitztum zu Händen der Stadt nahm, um es vor Plünderung und Verzettelung zu behüten.«

»Wofür dem Jörg Bermeter alle nachfolgenden Bürgermeister dankbar sein werden,« schaltete Herr Konrad ein und Gabriele fuhr fort:

»Warum benutzte er nicht gleich die Macht, um die Hauptursächer zu greifen und in den Turm zu werfen? Ihr würdet's gewagt haben, und es war nit einmal ein gar so groß Wagstück. Denn die Angst vor den Bauern liegt allen, die irgend etwas zu verlieren haben, in den Gliedern und treibt sie unter die Flügel des Rats als wie die Küchlein unter die der Henne, wann ein Habicht in der Luft sich zeigt.«

»Und so ist's noch,« stimmte ihr der Vormund mit einem bösen lautlosen Lachen bei. »Und die Angst vor den Bauern läßt den Menzingen nicht durchdringen. Denn diese werden ihm zu Liebe nicht den Rat stürzen, wenn er auf ihre Forderungen eingeht.« 494

»Ein Bündnis mit den Bauern, das wäre die Krone der Schmach,« rief Gabriele mit flammendem Gesicht.

»Bündnisse werden nur geschlossen, um gebrochen zu werden,« sagte Konrad Eberhard leise. Laut fuhr er fort: »Ich kann mir nicht vorstellen, daß der Geyer von Geyersberg es aus anderen Gründen mit den Bauern hält, als weil er ehrgeizig ist. Das ist kein starkes Band und könnte itzt um so leichter zu zerreißen sein, als ich hörte, daß jener selbe Bauernhaufe, der uns heimsuchte, auf dem Rückweg nach Würzburg ihm seine Burg Giebelstadt zerstört habe.«

»O, ist das aber schändlich,« wallte Sabine auf, und Gabriele lachte spöttisch.

Das harmonische Geläute von St. Jakob klang in ihr Lachen hinein. Die Menschen drängten nach dem oberen Ende des Marktes, und nicht lange, so erschienen die bäuerlichen Gesandten zwischen der Trinkstube und dem Rathause. Sie trugen sämtlich ihre Brustharnische, das Schwert an der Seite und die Morgensonne spiegelte sich in den Eisenhüten. Selbst der Pfarrer Denner hatte den Panzer über den Chorrock geschnallt; Pezolds Brust zierte die goldene Kette des Schultheißen von Ochsenfurt. Jubelnde Zurufe begrüßten und begleiteten sie zum Rathause. Viele reichten dem Pfarrer und dem langen Lienhart, die in der Stadt allgemein bekannt waren, die Hände. Aus den Fenstern der Patrizierhäuser aber begrüßten keine Zurufe noch wehende Tüchlein oder gar Blumen die in rauher Schlichtheit und mit ernsten Mienen einherschreitenden Boten der Bauernschaft. Es war aber hauptsächlich Florian Geyer, auf den sich neugierig alle Blicke spannten, so auch die Sabines und ihrer Freundin. Jene beugte sich unwillkürlich immer weiter über die Fensterbrüstung vor und ihre blauen Augen begannen zu glänzen, während die Stirn der schönen Gabriele sich mehr und mehr verfinsterte. »Welch ein schöner Mann!« flüsterte Sabine und es 495 klang wie ein Seufzer von ihren halbgeöffneten Lippen, als der Gegenstand ihrer Bewunderung im Portal des Rathauses verschwand. Erst jetzt sah sie auf ihre Freundin und war betroffen über deren bewölkte Brauen und die Starrheit ihrer auf das Rathaus gerichteten Augen. »Aber Gabriele, wie kannst Du nur?« fragte sie vorwurfsvoll. »Was ist?« fuhr jene auf. »Ha, so, Du bist zum Feind übergelaufen und schmachtest zu seinen Füßen.« Mit einem scharfen Lachen warf sie sich auf ihren Stuhl gegen die Lehne zurück,

»Ich wüßte keinen, der sich ihm vergleichen könnte,« antwortete Sabine, indem sie ein wenig rot wurde. »Der muß jedem Mädchen gefallen. Welch' stolz gebietende Mannheit!« Sinnend schaute sie in die Weite und bemerkte nicht, daß Gabriele sie mit fast drohenden Augen beobachtete. »Du bist närrisch geworden,« sagte Gabriele kalt.

Unterdessen waren die Abgesandten der Bauernschaft vor Räte und Ausschuß getreten, welche in dem großen länglichen Saale versammelt waren, in dem vor noch nicht drei Wochen die neugewählten Körperschaften den Amtseid geleistet hatten. Die Ratsherren trugen alle die lange schwarze Amtsrobe und das flache schwarze Barett. Georg Bermeter, der Bürgermeister, nahm den erhöhten Steinsitz ein; auf den um eine Stufe niedrigeren Schöffenbänken zu beiden Seiten hatten die dreizehn Mitglieder des Inneren Rates Platz genommen; vor den steinernen Schranken auf eichenen Bänken an den Wänden entlang rechts der Äußere Rat, links der Ausschuß. Für die Gesandten standen innerhalb der Schranken Stühle mit hohen Lehnen bereit.

Florian Geyer begrüßte die Versammlung mit ritterlichem Anstande und begann von der Bedeutung des zu schließenden Bündnisses zu reden. Er sprach schlicht und klar, aber mit großem Ernst und Nachdruck. 496

»Als Freunde und christliche liebe Brüder vereinigen wir uns,« so sprach er, »um einen Vertrag, der vor allen Dingen dahin sich erstreckt, daß das göttliche Wort, das heilige Evangelium, frei, lauter, klar, ohne menschlichen Zusatz gepredigt und erhalten werde. Es darf nicht gestattet werden, daß seine Feinde dasselbe fernerhin unterdrücken; denn nur so wird auch der einfältige Mann zur rechten Erkenntnis desselben kommen. Der arme, gemeine Mann ist aber seit langer Zeit mit ungewöhnlichen, unziemlichen Diensten, Fronen, Lasten und Beschwerden überhäuft worden, wie Ihr am besten wissen werdet. Damit aber auch der Arme sein Brot erwerbe und nicht an den Bettelstab gewiesen werde, so ist es der Wille unserer Bruderschaft, daß bis zum Ausgang der Sachen denselben niemand zu bedrängen wage. Nicht Zins, Gült, Rente, Handlohn, Hauptrecht, Zehenter oder dergleichen werde gegeben bis zur Reformation durch das Evangelium. Was dieses umstößt, soll umgestoßen bleiben, was dieses aufrichtet, soll aufgerichtet bleiben. Wir haben dieses wohlüberlegt beschlossen, damit die Sache desto eher zum Austrag kommen möchte.«

Da rauschte es auf durch den Saal; auf den Bänken des Ausschusses ertönte Beifall, auf denen der Räte Seufzen, Murren, Widerspruch. Florian Geyer erhob seine Stimme und erklärte, daß es keinesweges die Absicht der Bauernschaft sei, die Bürden des Volkes ganz aufzuheben; es sollten vielmehr in jeder Stadt Rat, Ausschuß und Gemeinde über das, was zur Erhaltung der Stadt notwendig sei, sich verständigen und so viel als Steuer festsetzen. Auch wolle die Bruderschaft nicht, daß die Obrigkeit einer Stadt ihres Amtes, das sie bisher mit dem Willen der Gemeinde ausübte, entsetzt werde. Es solle ihr vielmehr gehorsamt werden und wer dawider handle und sich empöre, der werde nach Erkenntnis der Hauptleute des hellen Haufens scharf gestraft werden. Wenn aber eine ganze Gemeinde 497 gegen ihren Rat Aufruhr erhöbe, so werde ihm die Hilfe der verbündeten Bauernschaft nicht mangeln.

Er schloß: »Die Güter der Geistlichen dürfen nicht mutwillig zerstört werden, sondern man soll einige redliche Männer verordnen, die sie unter der Aufsicht des Rates und der Gemeinde einziehen und verwahren, so vorteilhaft wie es nur sein kann, und zwar zum Nutzen der ganzen Bruderschaft. Doch bedenket aber, daß auch die Geistlichen Christenmenschen sind. Es ist unrecht, sie mit schnöden Worten und unbilligen Handlungen zu kränken. Ihr dürfet sie nicht ganz an den Bettelstab weisen, sondern so viel müsset Ihr ihnen zuteilen, als zur Leibesnahrung gehört.«

Bürgermeister und Räte staken in einer argen Klemme. Da sie kein Handwerk betrieben, sondern auf ihre Einkünfte aus ihren Gütern angewiesen waren, wovon sollten sie leben, wenn keine Gülten, Zehnten und Rentenbriefe mehr bezahlt würden? Gegen das Bündnis mit dem fränkischen Heere sich zu wehren, fühlten sie sich zu ohnmächtig. Wohin sie auch die Blicke wendeten, es schaute nur das eine Gute aus der Bruderschaft heraus, daß dieselbe, wie Florian Geyer versprochen hatte, Menzingen und dessen Partei hindern würde, ihre Macht umzustürzen. Vor dem Schwäbischen Bunde, dessen Mitglied die Stadt war, konnte man sich wohl durch den Zwang der Notwendigkeit rechtfertigen.

Der Schultheiß Pezold kam ihnen zu Hilfe: Es stehe nicht in der Macht der Gesandten, den Artikel über die einstweilige Aufhebung der Zehnten und Zinsen zu verändern, erklärte er und bat sie, ihn nicht zu schwer zu nehmen. »Denn es läßt sich voraussehen,« fuhr er fort, »daß die Sache bald verglichen wird. Nicht deswegen haben wir den Aufruhr begonnen, daß gar keine Gült oder Rent mehr gegeben werde, sondern daß man sich nach der Billigkeit darüber vergleiche. Alles zu verweigern, wäre nicht christlich. Wir ersuchen Euch, drei oder vier aus Eurer Mitte zu uns zu senden, damit sie 498 in unserem Rate eine Stimme haben. Das würde Eure Sachen fördern. Sollte sich der Krieg in die Länge ziehen, so werden die Hauptleute und Räte ein Mittel finden, die harte Sache zu mildern. Auch andere Herrschaften und Herren vom Adel, denen es sehr beschwerlich war, haben sich gefügt. Wenn wir eigenmächtig etwas ändern, so würde man uns bei der Rückkehr im Lager die Köpfe abhauen.« Einen letzten Trost gewährte er ihnen durch die Beteuerung, daß sie mit dem wegen der Weinsberger Tat gefürchteten Haufen der Odenwälder und Neckartaler nur so weit verbündet würden, als sie, die Franken, es wären.

Darauf ergaben sich Bürgermeister und Rat schweren Herzens und nahmen samt dem Ausschusse durch Abstimmung die Artikel der Bauernschaft an. Auch die beiden Geschütze mit Zubehör, welche die Gesandten verlangten, wurden bewilligt. Zum Schlusse beantragte Florian Geyer, einen Tag anzuberaumen, an dem Rat, Ausschuß und Gemeinde die Pflicht der Bruderschaft den verbündeten Bauern schwören und dagegen die Gesandten in deren Namen den Eid der Treue ablegen sollten. Es wurde dazu der nächste Morgen angesetzt.

Die Wahl der städtischen Vertreter ging nicht glatt von statten. Denn in der Befürchtung, als Sündenbock dienen zu müssen, wenn die Sache schief ging, wollte keiner die Wahl annehmen. Der eine entschuldigte sich mit der nahen Niederkunft seines Weibes, ein anderer, weil er als Junggeselle zu solchen Dingen nichts nütze sei. Die Anhänger der alten Partei erklärten, daß sie sich lieber in den tiefsten Turm werfen lassen wollten. Stephan von Menzingen lehnte die Wahl ab, weil er argwöhnte, daß man ihn auf diese Weise aus der Stadt entfernen wollte, was er allerdings nicht verlautbarte. Nur der Altbürgermeister Ehrenfried Kumpf, stets um das Wohl seiner Vaterstadt redlich bemüht, nahm die Wahl an, obwohl auch seine Gattin ihrer Entbindung demnächst 499 entgegensah. Er verlangte jedoch ausdrücklich einen Gefährten vom Rat, und so wurde ihm der junge Spelt beigegeben. Man ließ es bei diesen beiden Vertretern der Stadt sein Bewenden haben.

Georg Bermeter befahl jetzt, die Boten der Landgemeinden, die schon lange auf dem Flur warteten, in den Saal zu rufen. Es waren durchweg ältere und schon bejahrte Männer, unter ihnen der Dorfmeister Wendel Haim und Jörg Buchwalder aus Ottenhofen. Die Jugend war bei den Fahnen. Florian Geyer stieg auf eine Bank und, wie vorhin zu den Bürgern, so sprach er jetzt, nur noch verständlicher und eindringlicher, zu den Bauern, nachdem er ihnen den Bund mit der Stadt angezeigt hatte, von den einzelnen Bedingungen des Vertrages und ermahnte sie, dem zu gehorchen, was Rat und Gemeinde zur Handhabung des Rechts, des Friedens und des allgemeinen Besten beschließen würde. Er riet ihnen, in allen Dörfern und Weilern Hauptleute zur Aufrechterhaltung der Ruhe zu wählen und empfahl ihnen, durch die Flurer streng Acht geben zu lassen, daß an Äckern, Wiesen, Weiden und Wäldern kein Schaden geschähe.

Die Bauern hörten mit gespannten Blicken in lautloser Stille zu, und war aus ihren Mienen nicht zu entnehmen, welchen Eindruck die Rede auf sie machte. Sie blieben auch stumm, nachdem Herr Florian von der Bank gestiegen war. Als nun der Bürgermeister sie aufforderte, sich zu äußern, wenn sie etwas zu bemerken hätten, da richteten sich wie auf Verabredung alle Augen auf Jörg Buchwalder, welcher der Älteste von ihnen war. Dieser räusperte sich, strich sich langsam rückwärts über das graue Haar und sagte, seine etwas gebeugte Gestalt aufrichtend: »Ehrsame, günstige, liebe Herren! Es ist halt so, daß uns der Bund mit unseren fränkischen Brüdern recht anstehet. Und wir getrösten uns, daß sie und unsere eigenen Brüder und Söhne die Wehr, zu der sie um 500 unser aller großen Not willen gegriffen haben, nit eher aus der Hand legen werden, als bis alles zwischen uns und den Herren ist geschlichtet und geordnet nach der Gerechtigkeit.« Dazu nickten die anderen ernst und bedächtig und Georg von Bermeter entließ sie mit dem Gebot, am anderen Morgen 500 bis 600 Mann in Harnisch und Wehr zu Gattenhofen an der Straße nach Würzburg zu stellen, um die Geschütze der Stadt zu geleiten.

Ungeschickt vorsichtig auftretend, wie sie in den Saal gekommen waren, entfernten sie sich. Sebastian Raab und der lange Lienhart folgten ihnen, um ihren Bekannten die Hand zu drücken. Vor dem Rathause trafen sie mit Buchwalder und Wendel Haim zusammen, auf den Kaspar Etschlich gewartet hatte. Hans Kretzer kam dazu und lud sie alle zu einem Trunk in seinen Roten Hahnen ein. Die beiden Bauern entschuldigten sich, sie müßten ohne Verzug nach Hause, um die Geleitsmannschaft für die Geschütze zu bestimmen. Kaspar, dem der lange Lienhart fast den Arm aus dem Gelenk schüttelte, horchte hoch auf. Er wollte Haim nach Ohrenbach begleiten und lehnte den Trunk deshalb ebenfalls ab. »Nix da«, widersprach der lange Lienhart. »Solch Unkräutlein wie Du muß rechtschaffen begossen werden, damit es einen ordentlichen Wachstum kriegt.«

Kaspar maß ihn mit blinzelnden Augen von Kopf bis Fuß und versetzte trocken: »Man merkt's an Dir, daß es hilft.«

»Gott erhalte Dir Dein verhauenes Maul, Brüderlein«, lachte der riesige Kriegsgeselle und faßte Kaspar unter den Arm, um ihn mit sich zu ziehen. Der Tuchscherer aber sträubte sich. Der andere ließ ihn fahren, indem er mit einem schlauen Gesicht rief: »Ist das ein Kerl! Es brennt und er will nit löschen. – Nu, dann grüß' dem Simon seine Leut' von ihm; seine Haut ist halt noch so heil, wie er sie von Haus 501 mitgebracht hat. Und dem Maidelin sag', daß uns diesmal der Rosenberg nit auswischen soll. Wir haben ihn fest auf dem Marienberg.«

»Aber Ihr habet den Marienberg nit«, spottete Kaspar und entfernte sich mit Wendel Haim, wandte sich jedoch noch einmal um und rief: »Ich seh' Dich noch ehender, als Du abreitest.«

Ja, das Feuer brannte immer noch in seinem Herzen. Allein wohl tat es ihm nicht. So oft er auch Sonntags nach Ohrenbach gewandert war, so hatte er doch bisher aus dem Verhalten seiner hübschen Base kein Wahrzeichen zu erspähen vermocht, daß sie ihm anders als schwesterlich zugetan sei. Sie hatte ihn gern, wie auch der Oheim, die Bäuerin und ihre Kinder über seine Besuche sich freuten. Er war ja immer so lustig – um seine unerwiderte Liebe zu verbergen. Nachgerade begann er sich wie unsinnig vorzukommen, daß er immer wieder nach Ohrenbach lief, wo seiner nichts als Schmerzen warteten. Er wollte ein Ende machen, zumal Käthe weder seines, noch überhaupt eines Schutzes mehr bedurfte, weshalb auch ihr Bruder Andreas auf seine Pfarre zurückgekehrt war und nur noch dann und wann zu einer Predigt nach Ohrenbach kam. Im äußersten Notfalle wäre ihr Konz Hart schneller zur Hand gewesen als er. Denn Konz Hart war nach Abzug der Rothenburger Mannen in Ohrenbach zurückgeblieben und Käthe hatte ihn in Dienst genommen. Mit seiner und Friedels Arbeit ging die Landwirtschaft unter ihrer festen und umsichtigen Leitung so ruhig weiter, als ob ihr Bruder Simon nicht abwesend gewesen wäre. Sie hatte überhaupt schon längst nichts mehr für ihre Sicherheit zu befürchten. Der Schultheiß von Endsee hatte bei dem allgemeinen Aufstand Bedenken getragen, die Verlegenheiten des Rates zu vermehren, indem er nach Käthe greifen ließ. Aus demselben Grunde hatte er es auch in der Angelegenheit des Pfarrers Bockel bei 502 einem wirkungslosen Mandat an die Gemeinde, den Vertriebenen wieder aufzunehmen, bewenden lassen. Aufgeschoben war ja nicht aufgehoben. Das war ihm freilich nicht in den Sinn gekommen, daß ihm ein Gleiches wie dem Pfarrer geschehen könnte.

Als Kaspar aus seiner Grübelei, in der er neben dem Dorfmeister herging, einen Blick auf das Schloß richtete, das sonst ein so schmuckes Wahrzeichen der Landschaft gewesen war, sah er nur noch rauchgeschwärzte Ruinen durch Wald überragen. Die Marodebrüder von der Tauber hatten nach ihrer Entfernung aus Rothenburg mit Feuer und Schwert an das Schloß von Endsee gepocht und es verwüstet wie später Giebelstadt. Dem Schultheiß Wernizer hatten sie freien Abzug nach Rothenburg gewährt, wo er schon vorher dem Pfarrer Bockel durch seine Vermittelung die gerade erledigte Kaplanstelle an der Marienkapelle auf dem Kapellenplatz verschafft hatte. Der ehrwürdige Herr hatte dort nichts weiter zu tun, als täglich eine Frühmesse vor den 12 bis 14 Pilgrimen und armen Leuten zu lesen, welche in dem mit der Kapelle verbundenen Seelhaus drei Tage lang frei Obdach, Holz, Salz und Licht erhielten. Apollonia war zu ihrem Kinde nach Reichardtsrode gezogen.

Als Kaspar mit Wendel Haim in Ohrenbach ankam, hatte er sich zu einem festen Entschluß durchgegrübelt. Es sollte dieses sein letzter Martergang sein. Er bestellte dem alten Neuffer, der mit Nachbarn auf der Bank unter der Linde saß, nur flüchtig den ihm durch den langen Lienhart aufgetragenen Gruß Simons und ging nach dem Gehöft, es Wendel Haim überlassend, das Bündnis mit dem Fränkischen Heere und was damit zusammenhing, ausführlich zu berichten. Der kleine Martin und sein Schwesterlein, die auf dem Dorfplatze spielten, kamen mit lachenden Gesichtern zu Kaspar herangehüpft. Er tätschelte sie, nahm das Mädel auf den Arm, das Büblein an die Hand und trat 503 mit ihnen scherzend auf dem Hofe in die große Stube. »Na, grüß Gott, da bin ich halt wieder einmal«, rief er heiter den beiden Schwägerinnen zu und gab jeder eine Hand, nachdem er die kleine Ursel auf die Füßchen gestellt hatte. Er merkte es beiden an, daß er sie aus stillem Nachhängen ihrer Gedanken, dem sie sich in der Ruhe des Sonntag-Nachmittags überlassen, aufgestört hatte. Worüber Käthe gesonnen hatte, verriet ihm ihr noch wehmütig verschleierter Blick. Sie hatte ja auch nur die Sonntagsruhe, um an etwas anderes als die Wirtschaft, um an Hans Lautner denken zu können.

»Es ist gescheit, daß Du gekommen bist; was schaffst?« äußerte die auf der Ofenbank sitzende Bäuerin in ihrem etwas singenden Ton. Ihr Gesicht war noch schmäler und sorgenvoller geworden als es früher gewesen war.

»Gutes!« antwortete Kaspar mit einer zu starken Fröhlichkeit. »Der Simon läßt grüßen, und hat er bisher nit einmal einen Ritz weggekriegt.«

Die Nachricht belebte beide. »Gott sei Lob und Dank«, rief Frau Ursel aus voller Brust, zog die Kinder zu sich heran und sagte ihnen, daß der Vater sie grüßen lasse. »Kommt er denn bald heim und bringt mir was mit?« fragte der Knabe.

Käthe lud ihren Vetter ein, sich zu ihr auf die Fensterbank zu setzen und zu erzählen. Er berichtete denn auch, wie er dem langen Lienhart in Rothenburg begegnet sei und was diesen dort hingeführt hätte.

»Der Krieg ist also noch nit am End'!« seufzte die Bäuerin.

»Aber wohl bald«, tröstete Kaspar. »Denn itzt wird es also recht zugehen, daß die Unserigen mit stärkerer Kraft zuschlagen.«

»O«, stöhnte Simons Frau abermals, »wie viel Leben wird's noch kosten! Ich wollt', daß Ihr Mannsleute es einmal aushalten müßtet wie wir, jeden Tag Euch 504 zu fragen: lebt er noch oder ist er allbereits tot? Haben die Kinder noch einen Vater oder nit? Ihr würdet das Raufen wohl lassen. Und es ist doch halt alles vergebens.«

»Nein, gewißlich nicht«, versicherte Kaspar. »Unsere schweren Stücke, die morgen nach Würzburg abgehen, werden den Kehraus aufspielen. Und dabei fallt's mir ein. Der lange Lienhart erzählte, daß der Rosenberger auch auf dem Marienberg ist. Da hätt' ich halt Lust, auch mitzuziehen.«

»Wenn's bloß darum sein soll«, äußerte Käthe mit einem leichten Achselzucken.

»Nit bloß darum. Ich bin hier, ich mein' in Rothenburg, keinem mehr was nütz.«

»Und an Deinen Vater denkst nicht?« fragte sie vorwurfsvoll.

»O, wohl, aber er wird nit dawider sein. Denn auch er braucht mich nicht mehr. Von wegen dem Krieg ist mit Handel und Wandel überhaupt nicht mehr viel los, und was unser Gewerb als Tucher ist, das steht itzo ganz still.«

»Geh, glaub's ihm doch nit, daß er fort will«, mischte sich Frau Ursel ein. »Er hat bloß wieder seinen Spaß mit uns.«

»Mit nichten, es ist mein voller Ernst«, versicherte Kaspar. Käthe schaute ihn mit ihren klaren Augen durchdringend an. Langsam sagte sie: »Freilich, wenn's so steht! Aber bloß darum?« Er hielt ihren forschenden Blick nicht aus, sondern wandte die Augen ab. Ihre braunen Wangen röteten sich ein wenig höher, aber sie schwieg. Wenn sie nur ein einziges Wort gesagt hätte, aus dem er hätte entnehmen können, daß seine Absicht ihr leid täte, so würde er dieselbe aufgegeben haben, mit tausend Freuden. Er wartete vergebens. Zwischen ihren zusammenfließenden Brauen stand eine tiefe Falte. Sie erriet ja nur zu gut, was 505 ihn wegtrieb; allein sie konnte ihm seinen Wunsch nicht gewähren, und er tat ihr leid.

»Nu, denn ist das noch so,« meinte Frau Ursel kopfschüttelnd und stand auf, um das Vesperbrot zu besorgen.

Darüber kam Konz Hart in die Stube. Das war nicht mehr jene schlotternde Hungergestalt, die in den ersten Tagen des Jahres mit Weib und Kind ausgetrieben worden. Er war jetzt gut genährt und muskulös, sein Gesicht aber war unheimlich finster. Es erzählte die Geschichte seines schweren Schicksals.

»Was gibt's, Konz?« fragte Käthe.

»Ja, schau,« versetzte er und schob verdrießlich an seiner Kappe hin und her. »Der Dorfmeister hat mich auch ausgemustert, daß ich mit den Geschützen morgen nach Würzburg soll.«

»Aber das ist schlimm,« rief Käthe. »Just wo wir mit dem Heu alle Hände voll zu tun haben! Aber was kann da einer machen? Was sein muß, das muß halt sein.«

»Freilich, das muß sein; aber der Donner soll d'reinschlagen, daß es just so trifft,« entgegnete Konz mit gerunzelter Stirn.

»Nu, Käthe,« mischte Kaspar sich ein, »wenn der Konz so schwer abkömmlich ist, ich wüßt' wohl einen Ausweg. Geh' zum Dorfmeister, Konz, und sag' ihm, daß ich für Dich eintreten will und daß ich morgen in Gattenhofen pünktlich zur Stell' sein werde. Oder vielleicht, daß die Käthe mich lieber als Knecht für die Heuaust dingt?« Er lachte gezwungen.

Käthe lachte nicht. Sie reichte Kaspar die Hand und drückte ihm kräftig die seinige. »Da Du so wie so in Krieg willst, nehm' ich's an,« sagte sie und fügte mit einem warmen, von Mitleid leise verschleierten Blick hinzu: »Du bist gar gut und vielleicht – vielleicht kann ich's Dir später besser danken als in dieser Stund'.«

»Nu, denn geh' ich zum Dorfmeister,« sagte Konz und verließ die Stube. 506

»Ja, es hat itzt jeder seinen Willen, juch,« rief Kaspar, so lustig, als ob ihm das größte Glück widerfahren wäre. –

Mittlerweile waren Florian Geyer und Pezold, nachdem sie sich in ihrer Herberge der Panzer entledigt hatten, einer Einladung Stephans von Menzingen zum Mittagsmahl in seinem Hause gefolgt. Der Pfarrer Denner hatte sich entschuldigt; er war zu seiner Pfarrgemeinde nach Leuzenbrunn geritten. Der alte Rektor Bessenmayer und Valentin Ickelsamer, der lateinische Schulmeister, waren die Tafelgenossen jener. Die Männer blieben unter sich, nachdem die Hausfrau sie willkommen geheißen hatte. Wenn ihr Gatte die Gäste bat, fürlieb zu nehmen, so war dieses nicht eine höfliche Lüge. Denn sein verwöhnter Gaumen hatte die Speisen und Weine ausgewählt. Er und der Schulrektor ließen jedoch allein den köstlichen Dingen volle Gerechtigkeit widerfahren. Denn Florian Geyer hatte sich selbst zu einem Spartaner erzogen, um von allen materiellen Bedürfnissen unabhängig zu sein, und Valentin Ickelsamer, der unter beschränkten Verhältnissen erwachsen war, achtete als Gelehrter die ihm fremd gebliebenen Genüsse nicht.

Der Schultheiß von Ochsenfurt nötigte dem Gastgeber mehr als einmal ein mitleidiges Lächeln ab durch seinen gesunden unterschiedslosen Appetit, mit dem er Speisen und Getränken zusprach. Auch hatte er weder Interesse noch Verständnis für die Bemerkungen, mit denen der aufmerksame Wirt nach Art der Feinschmecker die einzelnen Gerichte seinen Gästen empfahl. »Eigentlich sollte man niemand trauen, der bei Tische ein zugeknöpftes Wesen behauptet,« äußerte er, »denn wer könnte aus seinem Herzen eine Mördergrube machen, der von diesem saftigen Rehrücken genießet?«

»Da gäbe es wohl manchen in den Räten, den ich auf eine solche schmackhafte Probe stellen möchte,« scherzte der Rektor. 507

»Allerdings wäre es nötig, den heimlich schleichenden Verrat zu enthüllen,« pflichtete Stephan von Menzingen ihm mit ernster Miene bei. »Schon vorgestern abend, als ich die Freude hatte, den Bruder Geyer von Geyersberg von Angesicht zu Angesicht kennen zu lernen, machte ich ihn darauf aufmerksam, daß der Innere Rat die bürgerlichen Männer, welche jüngst in den Äußeren Rat gewählt worden, in den Augen der Bürgerschaft herabzusetzen bemüht ist, indem man ihnen Ämter übertrug, von denen sie nichts verstanden, nichts verstehen konnten.«

»So ist's«, bestätigte der Rektor und Pezold stieß seinen Becher mit dem Rufe auf den Tisch: »An den Galgen mit den Schleichern!«

Valentin Ickelsamer fügte hinzu: »Wir haben es nur vorhin erlebt, wie der Stadtadel die Praktiken übt, in denen bereits das alte Griechenland und Rom erfahren waren. Nämlich, daß man Männer, deren man sich entledigen will, mit ehrenvollen Aufträgen aus der Stadt schicket.«

»Aber mit mir ist's ihnen mißlungen«, lachte Ritter Stephan und strich sich den Schnurrbart zu beiden Seiten in die Höhe.

Florian Geyer blickte mit seinen klaren Augen die anderen scharf an und fragte: »Soll ich das etwa so verstehen, daß auf die Bundestreue Rothenburgs kein Verlaß sei?«

Herr Stephan beeilte sich, ihn zu beschwichtigen. »Nicht doch! Wenn ich auch sagen muß, daß Rothenburg nicht eher eine feste Säule der Freiheit sein wird, als bis die Geschlechter ganz und gar vom Regiment entfernt sind. Ich rede frei von der Leber weg.«

»Wahr,« bestätigte der lateinische Schullehrer. »In unserer Zeit sind nur noch demokratische Republiken möglich.«

»Darum bin ich der Ansicht, daß es gut wäre, wenn die Bauernschaft der Stadt gegenüber noch mehr sich 508 kräftigte,« nahm von Menzingen wieder das Wort. »Aber so trinkt doch! Eure Becher bleiben immer noch voll. – Meiner Treu, wenn ich es recht bedenke, ein Bündnis etwa mit einem Fürsten wäre das richtige Ding. Versteht sich mit einem, den die Stadt fürchtet.«

Hans Pezold legte erstaunt sein Messer hin und rief: »Was? Mit einem Fürsten? Und wir sind des Fürnehmens, sie alle abzutun.«

»In Politicis gilt nur das heute«, bemerkte Stephan von Menzingen gelassen.

»Das wäre der Teufel!« wallte der Schultheiß auf, und Florian Geyer, der mit seinen Blicken in die Seele des Ritters dringen zu wollen schien, sagte: »Du hast den Markgrafen Kasimir im Sinn?«

»Und wenn es so wäre?« fragte der Hausherr lauernd.

»Nein, es kann Dein Ernst nicht sein,« rief Herr Florian und Unwillen rötete sein Gesicht. »Wäre es auch nur denkbar, daß die Bauern je ein Bündnis mit einem Fürsten schlössen, so doch nimmermehr mit diesem Kasimir, der ebenso falsch wie grausam ist. Welche Treue können wir von einem Fürsten erwarten, der treulos gegen den eigenen Vater war? Die ganze Sippe ist falsch. Sein Bruder Albrecht brach seinen Schwur, um aus dem Ordensland Preußen für sich ein weltlich Herzogtum zu machen und dem Friedrich auf dem Marienberge traut man auch wie einem Fuchs. Hier der Pezold kann es Dir bestätigen und besser noch der Gregor aus Burgbernheim mit seinen 2000 Ansbachern, die vor Würzburg liegen, wie der Kasimir mit seinen Bauern stets ein doppelt Spiel gespielt hat. So auch mit uns. Als wir in Franken waren und ihm das Feuer gar nahe rückte, wie tat er sich da auf als ein guter Landesvater und Volksfreund! Alle Haufen in Franken beschickte er mit den freundlichsten Briefen und als ein Freund des Evangeliums. Auch ich erhielt ein solches Anschreiben von ihm. Einen Waffenstillstand suchte er nach und als der ihm törichterweise gewährt wurde, fiel 509 er während des Stillstandes mit seiner ganzen Macht über seine Bauern her und wütete unter ihnen nicht anders, denn der Truchseß Jörg. Der Bauer hat nur einen Bundesgenossen, auf den er sich verlassen kann, weil beide denselben unversöhnlichen Feind haben, und das ist der Städter. Wenn es gelänge, zwischen den Bauernschaften und sämtlichen Städten ein Bündnis zuwege zu bringen, dann stände die Freiheit auf festem Boden.«

»Dazu sage ich aus ganzem Herzen Amen,« sprach Valentin Ickelsamer,

»Wohl, aber das eine schließet das andere nicht aus,« antwortete Stephan von Menzingen mit vollem Munde. Er spülte den Bissen mit einem Becher hinunter und fuhr dann fort: »Seid Ihr durch das Bündnis mit Rothenburg stark, dann ist der Markgraf zu günstigen Bedingungen gezwungen. Und merket wohl auf: Mit beiden verbündet, sprenget Ihr den Schwäbischen Bund, dessen Mitglieder beide sind. Wie dünket Euch das? Solches wär's wohl wert, wenigstens des Markgrafen Meinung zu erforschen. Ich kann, meiner Treu, nicht anders als sagen, daß er sich mir stets als ein günstiger Herr erwiesen hat. Wenn einer, etwan Bruder Florian, mit mir zu ihm ritte, ich bürge Euch dafür, daß er gut empfangen würde. Des Markgrafen Ansichten zu vernehmen, bindet und verpflichtet keinen Teil. Man könnte ja nachher weiter zusehen.«

Der Schultheiß von Ochsenfurt erhob dagegen lebhafte Einsprache. »Das darf ohne Vorwissen des Bauernrates nimmer geschehen. Ich lass' es nit zu, daß ein Mann, wie es der Geyer ist, ohne Zusicherung freien Geleits in die Gewalt eines solchen Bauernfeindes sich begibt. Bedenket doch, wie der Luther Herren und Fürsten zu wildem Grimm wider uns aufgestachelt hat? Ja, das wäre für den Markgrafen ein Fang. Ließ' ich ihn reiten, ich könnt's vor der Bauernschaft nimmer verantworten, und seine Schwarzen hauten mich in Stücke.« 510

»Was läge an meinem Leben, wenn ich damit der Freiheit dienen könnte?« äußerte Florian ruhig und schlicht. »Aber es bringet dem Wolf keinen Gewinn, mit dem Fuchse zu jagen.«

»So bringet die Sache erst an den Bauernrat und verlieret damit eine kostbare Zeit,« murrte Stephan von Menzingen voll innerem Zorn über die Erfolglosigkeit seines Vorschlages. Sein brennender Ehrgeiz, die oberste Macht in der Stadt an sich zu bringen, hatte sich nicht im geringsten abgekühlt. Im Einverständnis mit dem Markgrafen glaubte er den Riegel aufsprengen zu können, den das Bündnis der Bauern mit der Stadt ihm vorschob, indem es den Bestand des gegenwärtigen Regiments gewährleistete. Der Markgraf, so hoffte er, würde die Bauern von ihrer Einmischung nicht zurückhalten, wenn er es unternahm, die Herrschaft von allen patrizischen Elementen zu säubern. Die geheimen Absichten des Markgrafen selbst auf Rothenburg zählte er zu seinen stärksten Bundesgenossen. In jedem Falle aber hatte er an ihm einen sicheren Rückhalt, wenn sein Plan mißlang. »Wohl«, rief er, sich beherrschend, »erachtet Ihr Euch für gebunden, so will ich wenigstens auf eigene Hand an den Markgrafen schreiben und seine Meinung erkunden. Und jetzt nichts mehr davon. Trinket, liebe Freunde, und seid fröhlichen Herzens!«

Damit griff er nach der silbernen Kanne, um die Becher seiner Gäste frisch zu füllen. Indem wurde auf dem Rathausturme die sechste Stunde angeschlagen. Florian Geyer zog seinen Becher mit der Erklärung zurück, daß es just die mit dem Bürgermeister verabredete Zeit sei, um die versprochenen Geschütze in Augenschein zu nehmen. »Auf Wiedersehen morgen in St. Jakob!« Er stand von der Tafel auf und Pezold folgte seinem Beispiele, indem er noch schnell seinen eben gefüllten Becher austrank.

Beide begaben sich nach der Burg, welche der Stadt als Arsenal diente. Eine Zugbrücke, die dies- und 511 jenseits eines tiefen, wasserlosen Grabens von dicken, runden Tortürmen geschützt wurde, führte von der Herrengasse in die Vorderburg. Hohe Mauern mit Schießlöchern und Erkern und Türmen an den Ecken umschlossen den Bau, aus dem in der Hinterburg der Pharamundsturm gewaltig aufragte. In der Vorderburg wurde einst das kaiserliche Landgericht gehegt und auf der nördlichen Seite bezeichnete noch das auf sechs Steinsäulen ruhende Giebeldach mit steinernen Sitzen darunter für den Landrichter und die zwölf Schöffen die Stätte. Auf der Südseite, vor den letzten Resten des sogenannten weißen Turms, erhob sich mit einem steinernen Kreuz auf der Giebelspitze zweistöckig die Burgkapelle mit schönen byzantinischen Fenstern. Das obere Stockwerk behauste den Kaplan, als hier noch Gottesdienst gehalten wurde. In den Gebäuden, deren nach der Stadt gekehrte Giebelseiten in die Ringmauer mit einbezogen waren, lagerten die Waffen und Rüstungen, in den Türmen das Pulver. Die schweren Belagerungsgeschütze, auf ungefügen Stückgestellen und Rädern ruhend, standen unter freiem Himmel. Von den riesigen Rohren waren einige mit braunem, andere mit grünem Rost überzogen.

Der Stadthauptmann von Adelsheim empfing die beiden Gesandten, die zu ihrer stillen Verwunderung die Vorderburg voll Menschen fanden. Albrecht von Adelsheim erklärte ihnen den Umstand, indem er sie zu den für sie bestimmten Stücken führte. Die Leute wollten von diesen Abschied nehmen, da sie wohl schwerlich wiederkämen. Er tat es in einer Weise, die deutlich verriet, wie sehr es ihn selber verdroß, sie hergeben zu müssen. »Auch die Weiber?« lachte aus dem Schultheißen von Ochsenfurt der reichlich genossene Wein. »Ich hab' immer vermeint, daß ihnen ein gülden Ringlein lieber wäre, als die schönste Kartaune.« Denn das weibliche Geschlecht war fast zahlreicher vertreten, als das männliche. Das kriegsrauhe 512 Gesicht des Stadthauptmanns färbte sich dunkler, wußte er doch nur zu gut, welchen Anteil die Neugierde daran hatte. Denn seine Braut hatte ihn überredet, sie und ihre Freundin gleichfalls nach der Burg mitzunehmen. Und er mußte sie den beiden Gesandten aufführen, nachdem dieselben oder vielmehr Florian Geyer sämtliche Stücke sachkundig in Augenschein genommen hatte und sie nun zu den für die Bauernschaft bestimmten, als den wirklich besten, zurückkehrten. Die beiden Mädchen standen neben einem der hundertpfündigen Geschütze und ihre schlanke Schönheit bildete einen reizenden Gegensatz zu dem ungeschlachten Mordwerkzeuge. »Alle Wetter,« konnte Hans Pezold bei ihrem Anblick ziemlich vernehmlich auszurufen sich nicht enthalten, und er fügte in seiner Weinlaune hinzu, als die Mädchen lachten: »Betrüben sich die Fräulein nit zu sehr, sie sollen ihre Schoßhündelein schon wieder kriegen.«

»Wenn es nach mir ginge, so müßten sie alle an unzerreißbare Ketten gelegt werden, damit sie keinen Schaden mehr tun könnten,« äußerte Gabriele und sah dabei Florian Geyer an, dessen Augen mit unverkennbarem Wohlgefallen auf ihrer schönen Erscheinung ruhten. »Es ist schrecklich, daß der Mensch solche Ungeheuer erfunden hat, um Seinesgleichen zu morden.«

»Sagen wir vielmehr, es sei schrecklich, daß der Mensch gezwungen ist, dergleichen zu erfinden, um sich vor Seinesgleichen zu beschützen,« antwortete Florian Geyer freundlich.

»Und wenn es noch dem Türken gälte; aber Deutsche gegen Deutsche,« rief Gabriele lebhaft.

»Das sage ich auch,« mischte Sabine sich ein und wurde wegen dieser Äußerung von ihrem Bräutigam berufen.

»Um so schlimmer, mein schönes Fräulein,« entgegnete Florian Geyer mit großem Ernst, »daß der 513 Unterdrückte gezwungen ist, zu solchen Mitteln wider seine Dränger zu greifen.«

»Aber es hat immer Herren und Knechte gegeben und es ist wider alle natürliche und göttliche Ordnung, daß der Bauer dem Edelmann gleich sein will,« versetzte Gabriele mit blitzenden Augen.

Florian Geyer sah lächelnd auf sie herab und sagte: »Aber die Gerechtigkeit verstößt nicht darwider und sie macht die Ungleichheit unter den Menschen wett, wenn es nicht, wie es Gottes Sohn gebietet – die Liebe tut.«

Gabriele schlug die Augen nieder. Ehe sie eine Antwort fand, hieß es »Platz! Platz!« und sie mußten vor einer kleinen Schar von Bürgertöchtern und jungen Männern beiseite treten, die mit Gewinden von Eichenlaub und Blumenkränzen kamen und damit die beiden Kartaunen zu schmücken begannen. Florian Geyer schaute ihnen mit gekreuzten Armen zu und merkte nicht, wie die Augen Gabrieles und Sabines an ihm hingen. Er wandte sich wieder der ersteren zu und fragte: »Ist das nicht hübsch? Fast scheint's, als ob die Ungeheuer unter den Blumenkränzen lächelten.«

Die schöne Gabriele errötete, als ob sie auf einem Unrecht ertappt worden wäre. »Es macht so heiß,« sagte sie und versuchte dem Gedränge zu entschlüpfen, das sich während des Bekränzens um die Kartaune gebildet hatte. Florian Geyer war ihr dabei behilflich. Als sie sich freier bewegen konnte, antwortete sie ihm auf seine Äußerung: »Ihr seid ein Krieger und da begreife ich Eure Freude über den Anblick. Ich aber bin ein Mädchen und mir erscheinen die Ungetüme unter Blumen um so grausiger. Ach, soll denn diese gewalttätige Zeit nimmer ein Ende nehmen? Ich wollte, daß es endlich Frieden würde!« Sie sah ihm tief in die Augen und ein Seufzer hob ihren Busen.

Der Blick machte ihn ein wenig verwirrt. »Ich teile Euren Wunsch von ganzem Herzen,« sagte er und sie 514 erwiderte lebhaft: »Er ist erfüllt, wenn Ihr, ein Edelmann und Freund der armen Leute, die Hand dazu bietet.«

»Wollt Ihr die Gewähr dafür übernehmen, daß den armen Leuten Gerechtigkeit werde?« fragte er mit einem leisen Lächeln über ihren Eifer, der ihm gefiel. »Ohne Gewähr voller Gerechtigkeit ist Frieden unmöglich.«

»Mir wäre kein Preis zu hoch, um ihn zu erkämpfen. Aber was könnte ich als Weib dazu beitragen? Wir können wohl Wunden heilen, die das Schwert schlägt, aber nicht das Schwert aufhalten, das sie schlägt.« Halb seufzte, halb lächelte sie und blickte ihn dabei mit einer träumerisch verschleierten Glut an.

»Und schlägt die Schönheit keine Wunden?« fragte er mit einem Anfluge von Scherz, fuhr aber sogleich mit einer herzlichen Aufrichtigkeit fort: »Verzeihet, Fräulein! Ich habe eine höhere Anerkennung für Euch als diejenige der wunderbaren Schönheit, die Euch ziert. Ihr denkt und empfindet ebenso edel, wie Ihr schön seid!«

Gabriele wurde dunkelrot, ihre Lippen öffneten sich ein wenig und sie schloß die Augen.

Eine rauhe Stimme schreckte sie jäh auf. Es war die des Stadthauptmanns, der mit Sabine und Pezold herantrat. Sie hatte, während sie sich mit dem Schultheiß und ihrem Bräutigam unterhielt, kein Auge von ihrer Freundin und Florian Geyer gewendet, und die Freundschaft bewahrte sie nicht davor, daß sich in ihrem Herzen die Eifersucht auf Gabriele regte. Der Stadthauptmann bat um Entschuldigung, daß er störe; die Burg müßte geschlossen werden. Gabriele zeigte ihm ein gar unmutig Gesicht. Florian Geyer und Pezold empfahlen sich. Gabriele reichte dem ersteren ihre Rechte, von der sie den gestickten Handschuh abgezogen hatte, wobei sie mit einem Lächeln, das ein 515 tiefer Blick aus ihren dunklen Augen begleitete, sagte: »Vergesset nicht der Freunde in Rothenburg.«

Der Blick und die weiße weiche Hand in der seinigen machten ihm das Herz seltsam warm. Er drückte aber ihre Hand nur stumm und ging. –

Als Kaspar am nächsten Morgen mit Schwert und Büchse nach Gattenhofen kam, fand er das bäuerliche Geleit bereits versammelt. Der alte Etschlich hatte nicht versucht, ihn von seinem Vorsatz abzuwenden. Doch schien ihm der Abschied von dem Sohne schwer zu fallen; er hatte dessen Hand lange festgehalten und ihn stumm angeschaut und ihn zuletzt auf den Mund geküßt. Kaspar war darüber fast erschrocken; denn als weichmütig kannte er seinen Vater nicht und er erinnerte sich nicht, daß der Alte ihn seit seinen Kinderjahren je geküßt hätte, nicht, als er auf die Wanderschaft gegangen, noch als er zurückgekommen war. Er machte sich Gedanken darüber und es war ihm daher lieb, daß der lange Lienhart, der mit Sebastian Raab das Geleit führen sollte, mit dessen Ordnung so beschäftigt war, daß er ihn nur vom Gaul herunter die Hand reichen konnte. Auch war der Lange in keiner guten Laune; das merkte Kaspar an seinem grimmigen Fluchen.

Die Bauern aus dem Aischgrunde hatten die Nachricht gebracht, daß der Markgraf Kasimir mit starker Macht bei Illesheim stehe und sein Volk an der Grenze des Rothenburger Gebiets hinstreiche. Die Vorsicht gebot daher, um einen etwaigen Überfall zu vermeiden, anstatt auf der geraden Straße nach Würzburg auf einem Umwege durch das Taubertal über Röttingen zu ziehen. Der Umweg war weit und deshalb um so verdrießlicher, da das Geschütz auf sich warten ließ. Endlich langte es, von etlichen städtischen Knechten begleitet, an, jedes der beiden schweren Stücke mit acht starkknochigen Gäulen bespannt, dazu drei Wagen mit Pulver und Kugeln und ein gerüsteter Reisewagen. 516 An der Spitze ritt der Büchsenmeister der Stadt, Hans Baßler, ein martialischer Mann, dessen große Nase über dem dicken Schnauzbart an Alpenglühen gemahnte. Den Beschluß machten der junge Spelt und Ehrenfried Kumpf, den auf seinen Wunsch Dr. Karlstadt begleitete.

»Himmel, Herrgott,« murrte der lange Lienhart, so wie er des letzten ansichtig wurde, »als ob wir nit schon mehr als übergenug Geistliches im Ausschuß hätten.« Dem kleinen schwarzen Doktor schien die kriegerische Ausfahrt auch nicht sonderlich zu gefallen, und er hatte guten Grund dazu.

Der lange Lienhart gab sofort den Befehl zum Aufbruch. Während man links in den Taubergrund hinabzog, berief die große Glocke in Rothenburg die Gemeinde nach dem Münster von St. Jakob. Räte und Ausschuß nahmen auf dem hohen Orgelchor, unter dem die Klingengasse hindurchführt, Platz. Florian Geyer trat an die Brüstung und bei dem Erscheinen der hohen Gestalt mit den groß und kühn blickenden Augen wurde das Sprechen, Räuspern, Husten und Fußscharren in den drei Schiffen allmählich stille. Den weiten, dreifach gewölbten Raum mit seiner klangvollen Stimme füllend, verkündete er der Bürgerschaft das vereinbarte Bündnis. Wie gestern, so sprach er auch heute mit Klarheit und hohem Ernst von der Bedeutung der Bruderschaft und schloß: »Bedenket aber vor allem, daß der Bund der Stadt mit der Bauernschaft allein die Freiheit der Bürger und ihren Gewerbfleiß zu schützen und zu schirmen vermag vor dem Feudalismus der geistlichen und weltlichen Herren, der beide knechtet und aussaugt.«

Das zündete, und von jenen Wachen, welche nicht die Geschlechter umfaßten, scholl lebhafte Zustimmung zum Chor hinauf. Als es wieder ruhig geworden war, verlas Pfarrer Denner die Artikel, worauf dann Georg Bermeter die Gemeinde aufforderte, den Bruderbund 517 zu beschwören, »Doch wisset,« fügte Florian Geyer hinzu, »ob auch einer die Hand nicht erhebe zum Schwur und vermeint, dadurch ledig zu sein der Pflicht gegen den Bund, so wird er dennoch angesehen werden, als habe er den Eid geleistet.« Nun betrat Dr. Deutschlin die Kanzel am Mittelpfeiler des Hauptschiffes und, seine Worte mit erhobenen Schwurfingern nachsprechend, beschworen die beiden Räte, der Ausschuß und die Gemeinde die Artikel bei Gott dem Allmächtigen und auf das heilige Evangelium, Erasmus von Muslor, Konrad Eberhard und noch etliche von den Geschlechtern erhoben nicht die Finger und sprachen den Eid nicht nach, und Stephan von Menzingen merkte sie sich. Hierauf traten die beiden Gesandten an die Brüstung des Chors und gelobten im Namen des Fränkischen Heeres dem Bunde unverbrüchliche Treue. »Amen!« sprach Dr. Deutschlin auf der Kanzel.

Florian Geyer wäre nach dem feierlichen Akte gern ohne weiteren Aufenthalt nach Würzburg zurückgeritten. Das ließ sich jedoch nicht tun. Denn nach dem Brauche der Zeit mußte das Bündnis noch fleißig begossen werden, sollte es rechte Kraft haben. Zu diesem Behufe lud der Bürgermeister die Gesandten auf die Herren-Trinkstube, allwo ihrer ein Imbiß harrte und der Becher zahllose gestürzt wurden.

Wie die Leute aus der Kirche quollen, erscholl es plötzlich: »Luget! Luget!« und viele Hände deuteten in die Höhe. Eine seltene Naturerscheinung bot sich den Blicken dar. Bei völlig klarem Himmel zeigte sich die im Mittag stehende Sonne von einem Regenbogen umgeben. Nach der natürlichen Ursache der Erscheinung forschte niemand, sondern überall, wo die Menschen wie auf dem Friedhofe, so auf allen Gassen und Plätzen emporstaunend beisammen standen, fragte man einander nur: »Was hat das zu bedeuten? – 518 Welch' gutes oder schlimmes Ereignis kündigt die Erscheinung an?«

»Ich will's Euch deuten,« sprach auf dem Kirchhof von St. Jakob der blinde Mönch, der eben von einem Besuch bei dem Kommentur Christian im Deutschen Haus kam, als er hörte, was es gäbe. »Loset,« fuhr er fort, seine lichtlosen Augen auf die Sonne richtend. »Wie der Herr nach der Sintflut einen Regenbogen über die Welt spannte zum Zeichen seines neuen Bundes mit den Menschen, also bedeutet dieser Bogen, daß der Bruderbund, den ihr just beschworen habt, die Sonne der Freiheit mit einem siebenfachen Wall umgeben und schützen wird. Gott will uns helfen und dräuet den mörderischen Fürsten Gericht und Strafe.«

Damit tastete er mit seinem Stabe den Weg zu seinem Kloster weiter und die Menschen beeilten sich, ihm Raum zu geben. Auf dem Marktplatze blieb er nochmals stehen und wiederholte seine Auslegung der Himmelserscheinung mit weithin verständlicher Stimme. 519



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