Annemarie Schwarzenbach
Winter in Vorderasien
Annemarie Schwarzenbach

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Persepolis

Die Fahrt nach Persepolis dauerte zwei Tage. Doch mussten wir immer bis tief in die Nacht hinein fahren, denn es regnete und die Strasse war schlecht. Bäche stürzten über sie hinweg; Löcher, Gräben, richtige Flussbette bildeten sich. Es gab Reifenpannen, man sass in der Dunkelheit am Strassenrand und flickte. Oder der Magnet wurde nass – das war ein grosser Ärger. Der Chauffeur nahm ihn fluchend heraus, deckte ihn mit seinem zerrissenen Rock, um ihn vor dem Regen zu schützen, und goss Benzin darüber. Wenn ein Reifen geflickt wurde, schmierte er Leim über den Flicken und zündete ihn an; es gab eine kleine Flamme, die sich rasch ausbreitete, und der Mann blies hastig, um sie wieder auszulöschen.

Bei all diesen Arbeiten half ihm das »verwahrloste Kind«. So hiess ein Junge mit einem Mongolengesicht und einem glattgeschorenen, dunklen Köpfchen. Er war vielleicht dreizehn Jahre alt, vielleicht schon siebzehn. Er hatte schwarze Augen und weinte oft. Unbeschreiblich zerrissen waren seine Kleider. Er band die Hose, oder was von ihr übrig war, mit einer Schnur zusammen, und aus den Schuhen sahen seine mit Lappen umwickelten Zehen heraus. Als wir von Teheran abreisten, besass er noch eine kleine schmutzige Ledermütze; sie glich einem Melkerkäppchen und war ausgefranst. Er setzte sie auf, dann drehte er sich um und lächelte mich an, ein wenig beschämt und zärtlich. Der Chauffeur, sein Meister, hatte ein böses Herz. Er griff plötzlich nach dem Käppchen, riss es dem Buben vom Kopf und warf 162 es auf die Strasse. Als es kalt wurde, zog der Junge ein öliges und zerrissenes Stück Leinwand hervor und band es sich um. Er verknotete es fest im Nacken.

Er war sehr hässlich. Er hatte lange Affenarme, eine breite Nase, eine niedrige Stirn. Aber er verstand es, ergreifend zu lächeln.

Er war angestellt, Reifen zu wechseln, Wasser zu tragen, für Öl und Benzin zu sorgen. Ausserdem unterhielt er den Chauffeur. Er plauderte unentwegt und sang dazwischen. Er erzählte mit einer aufgeregten, hohen Kinderstimme, lebhaft, dramatisch, beifallfordernd. Wenn er sang, schlug die Stimme um und wurde tief und schwermütig.

Manchmal schlief er ein. Dann gab ihm der Chauffeur eine Ohrfeige, um ihn zu wecken, und er fuhr in die Höhe, rieb sich mit der schmutzigen kleinen Faust die Augen und erzählte schon wieder angeregt. Weiss der Himmel, was ihm immer einfallen mochte!

Er war für alles verantwortlich; deshalb wurde er viel geschlagen und hatte oft Ursache zu weinen. Dann geriet der Chauffeur in Verlegenheit, sass mürrisch am Steuer und vermied es, den leise und empört Schluchzenden anzusehen.

Ich warf ihm, sobald es zu regnen begann, meine Kurdendecke nach vorn. Er wickelte sich hinein und zog sie über den Kopf und sass wie in einem Zelt. Es stimmte ihn fröhlich, vor dem Regen geschützt zu sein, er sang heiter und lachte manchmal ganz ohne Grund.

Der Chauffeur war ein Opiumraucher. Er war jung und von Leidenschaften gequält. Er liebte den Verwahrlosten, aber er konnte es nicht lassen, ihn bei jeder Gelegenheit zu 163 schlagen. Vor den Tschaichanes hielt er an, legte sich drin auf eine Bank und kam eine Viertelstunde später wieder heraus und brachte eine Wolke von süsslichem Opiumgeruch mit. Bleich sah er aus, misslaunig, die Haare hingen ihm in die Stirn. Der Junge half ihm, über das aussen am Wagen festgebundene Gepäck zu steigen. Dann kurbelte er den Motor an, und wir fuhren weiter durch den Regen.

Die Ortschaften sahen trostlos aus. Am Abend des ersten Tages kamen wir an einen richtigen, breiten Fluss; träg strömten gelbe Wassermassen vorwärts, mitten im Fluss lagen zwei Lastwagen wie aufgebrochene Tiere.

Der Verwahrloste ging ins Wasser; es stieg bis über seine dünnen Schenkel. Wir kehrten um und fanden einen Führer im nächsten Dorf, der uns eine Furt zeigte.

Um ein Uhr nachts kamen wir nach Isfahan.

Am nächsten Tag sahen wir einen merkwürdigen Ort. Er lag wie eine Festung auf einem langen, steilen Felskamm. Die Häuser sahen weiss aus, aber sie waren verwahrlost und zerfallen. Brücken führten vom Felsen über die Schlucht auf das feste Land hinüber. Auf einer Seite des Felsens lag ein grünes Tal mit vielen kleinen Wegen. Aus seiner frischen Farbigkeit stieg die Stadt schemenhaft empor.

Sie hiess Jasd-e Chast.

Gegen Abend erreichten wir das Dach von Persien, eine ungeheure Einöde. Ich glaubte, dass wir jeden Augenblick am Ende der Welt sein würden.

In der Dunkelheit fuhren wir hinunter, sahen ein Feuer in der Höhle einer Felswand, irrende Lichter von Hirten und aus Zelten rötlichen Schein. Felsen und Farnkräuter, eine gespenstische Gesellschaft, rückten uns nahe auf den 164 Leib. Rechterhand lag ein Sumpf; silberne Weidenbäume neigten sich schweigend über das dunkle Element, Scharen von Fröschen schrien ohrenbetäubend. Das verwahrloste Kind schlief; der Chauffeur weckte ihn nicht und sang leise, um die Gefahr zu bannen.

Persepolis lag am Ende einer neuen Ebene, seine Säulen ragten auf hoher Terrasse wunderbar in den bewölkten Nachthimmel, und der Name wurde Wirklichkeit.

Ich war am frühen Morgen auf der Terrasse und sah auf die Ebene hinunter. Die Strasse von Schiras durchschnitt sie wie die Bahn eines Pfeils und endete an blauen, verschwimmenden Bergketten.

Die Säulen der Säle und Paläste, ihre Tore, Höfe und Treppenaufgänge traten aus dem Schatten der Dämmerung tönend hervor. Was der königliche Name enthielt, nahm hier Gestalt an und verdichtete sich, wie durch einen einzigen Schöpfungsakt, in endgültige und sprechende Form gebracht.

Die gleiche Reinheit des Stils, Unverletzlichkeit eines Weltbilds, die gleiche Schranke und Abwehr der Freiheit neben einer höchst raffinierten Technik und einem unfehlbaren Geschmack fand ich im Detail: in den sich aufbäumenden und verhaltenen Stierhäuptern, den ritterlichen Pferden mit ihren Glöckchen, Zügelringen und kunstvollen Gebissen, den schreitenden Kamelen der Tributbringer, den Reihen der Soldaten und der schmalen und anmutigen Hand des Blütenträgers.

Schiras liegt weiss, von dunklen Zypressen umrahmt, in einer grünen Ebene. Wir fuhren mit dem Lastwagen von Persepolis hinüber und erblickten die Stadt am Fuss des 165 hohen, kahlen Passes. Sie ist reich an Heiligtümern. Drei Dichter liegen in ihr begraben, auch Hafis, der so viel Wein in all ihren Schenken und Gärten getrunken hat.

Auf den Hügeln ringsumher liegen kleine Moscheen mit spitzigen Minaretten, auch sie von Zypressen umgeben. Schiras ist, wie die Stadt Florenz in der Toskana, heiter und kunstsinnig, voll von Gärten und Brunnen.

Wir blieben den ganzen Tag in dem grossen Garten eines englischen Freundes und dachten an Europa.

Am Abend holte der Chauffeur uns wieder ab. Er hatte Benzin und Öl gekauft, und der Wagen fuhr schwerbeladen und langsam die Passstrasse hinauf.

Eines Nachts, es war gegen zwei Uhr, fiel es uns ein, nach Naksch-e Rustam zu fahren. Weshalb nachts? Die Begriffe der Zeit waren mir abhanden gekommen, und am hellen Tag hätten wir es nicht gewagt.

Der Weg war vom Wasser unterbrochen; mitten in sein steiniges, zerlöchertes Bett hatte sich ein Fluss gestürzt, die Ufer waren steil und brüchig. Gurgelnd lief das Wasser um unsere Räder, floss über das Trittbrett und unsere Füsse, als wir die Durchfahrt versuchten.

Lange rührte sich der Wagen nicht mehr; die Räder drehten leer und schleuderten das Wasser in hellen Garben von sich. Dann packte der Motor wieder an, und der Wagen sprang wie ein Tier die Böschung hinauf.

So erreichten wir nach einer Stunde die Felswand von Naksch-e Rustam.

Oben, in einer der Grabkammern, schliefen Wächter. Wir weckten sie mit lauten Rufen; da erschienen sie mit Lampen, sie leuchteten in die Tiefe, und das Licht glitt langsam 166 über die Tributzüge und Besiegten, über die grosse schwarze Wand und wieder aufwärts zu den Königsgrüften.

Die Wächter holten ein Seil und eine Leiter und liessen sich einer nach dem anderen zu uns herunter. Sie trugen unsere Pustine und begleiteten uns mit ihren Lampen, als wir im Rücken der Felswand emporstiegen.

Es war halb vier Uhr, als wir oben ankamen; eine wunderbar klare Nacht. Vor uns fiel Naksch-e Rustam senkrecht in die Tiefe.

Wir wickelten uns in die Pustine und legten uns zum Schlafen nieder. Zuerst blendete uns der mit Sternen besäte Himmel; aber wir kehrten das Gesicht der Erde zu und schliefen gleich ein.

Zwei Stunden später weckte uns die Morgenkälte. Durchsichtiger Dunst lag über der Ebene; die Felsen waren noch grau von der Nacht, aber die Berge am Rand der Welt schwebten losgelöst wie grosse Segelschiffe durch das Meer des beginnenden Tages. Als die Sonne aufging, glänzte unten der Fluss wie ein schwarzer Spiegel.

Die Wächter brachten uns Tee. Wir stiegen mit ihnen hinunter zu den Gräbern, den edlen Königen, den Reiterkämpfern. Hirten halfen uns, den Wagen durch das Wasser zurückzubringen.

Kamelkarawanen reisen des Nachts. Sie brechen in der Stunde der Dämmerung auf und ziehen auf der grossen Landstrasse Persiens nordwärts, vom Golf über Schiras und Isfahan oder südwärts von Täbris und dem Kaspischen Meer gegen Teheran. Grosse und kleine Glocken hängen am Hals der Tiere oder seitlich an den Tragsätteln. Die Kleinen bimmeln ganz hoch, melodiös und traurig, die Grossen 167 schlagen gleich heidnischen Gongs und dröhnen wie dumpfe Trommeln. Von weither vernimmt man sie – erst wenn man ganz nahe ist, tauchen die wiegenden, langlippigen Tierhäupter auf, hinter ihnen, schweigend und verhüllt, die Gestalten der Treiber.

Es ist in der jetzigen Jahreszeit des Nachts noch ziemlich kalt. Aber aus alter Wüstengewohnheit ziehen die Karawanen nicht am Tag, sondern während der Stunden der tiefsten Dunkelheit.

Wir setzten, nach dem Abenteuer von Naksch-e Rustam, unsere nächtlichen Fahrten fort.

Es war eine wirksame Versuchung.

Denn was am Tag mit seinen gewöhnlichen Einteilungen und Mahlzeiten eben noch erträglich war, das entzog sich in der ungewohnten Abfolge von Abend, Nacht und Dämmerung vollends unseren Massen. Und liess sich im hellen Tageslicht die Grösse der Landschaft noch auflösen in Ebene und Hügel, Strasse und Bachlauf, Wiese, Feld und Geröll, so wurde alles des Nachts eine einzige gigantische Gestalt, und in der Morgendämmerung, kurz vor Sonnenaufgang, schien das Weltall greifbar und rollte sich majestätisch vom Nacht- zum Tagesgestirn.

Es kam leicht vor, dass Fassung und Gleichgewicht ausbrachen wie scheugewordene Pferde. Ratlos und entfremdet stand man vor seinem nach Zeit und Kräften begrenzten Dasein . . . Dafür trat eine vage Hoffnung ein, dass man sich welttragenden und -bewegenden Mächten getrost überlassen dürfe. Sie zu erkennen, gab zuerst das Gefühl einer grossen Freiheit, doch bald war man ermattet und sonderbar enteignet – wie konnte das zugehen? Ja, man sah bald 168 ein, dass es galt, Verführungen zurückzuweisen und sich mannhaft zu behaupten. Denn wie sollen wir sonst den Kreis unseres Daseins überstehen, der sich am Ende schliesst?

Weisse Strahlenbündel blendeten uns auf der Landstrasse nach Pasargadai. Von weitem sahen wir die alte Königsstadt liegen, und das Grab des Kyros leuchtete in der Sonne wie ein Edelstein. Zwischen den Hügeln lief die Heerstrasse und verschwand im magischen Tal der blauen Segel; wie ein Fluss, der eine Strecke weit in unterirdischem Bett fliesst, so verschwand sie und tauchte bei der dritten Königsstadt, Persepolis, wieder auf.

Dann wurde es Nacht, und wir fuhren immer weiter und die Dörfer waren erstorben; zwischen leprafarbigen Mauern schlugen Hunde rasend und wutentbrannt an.

Vor Benzinstationen stauten sich Lastwagen wie eine Traube in der engen Gasse. Feuer brannten, Lampen und Samoware leuchteten aus dem Inneren der Tschaichanes.

Zerfetzte Buben liefen mit den schweren Benzinkannen hin und her; die Chauffeure polterten aus der Teestube, öffneten die Haube ihres Motors und beugten sich prüfend darüber. Kinder hielten das Licht. Auf Zehenspitzen schlichen Bettler umher und lallten eintönige Klageweisen.

Wir fuhren wieder; die kahle Landstrasse war eintönig, und wir füllten sie mit dem Brausen unseres Motors.

Ich fuhr nicht mehr mit dem verwahrlosten Kind. Der Architekt von Persepolis begleitete mich, und wir fuhren im grossen Wagen der Expedition. Um uns wach zu halten, erzählten wir uns kleine Geschichten und agierten und lachten wie Schauspieler. Ringsum stand uns steinernes Schweigen entgegen.

169 Spät in der Nacht lag unter uns Isfahan, mit weitverstreuten Lichtern. Man erkannte den Fluss und fuhr durch die dröhnende Brückengalerie. Bleich glänzte darunter das Wasser.

Wir blieben den folgenden Tag in Isfahan und sahen Meidan-e Schah, den klassischen Poloplatz: Von dem durch Holzsäulen getragenen Dach des »Hohen Tores« aus waren seine Ausmasse atemberaubend.

Wir gingen in die schöne Moschee Lotfallah und erfreuten uns an den zarten und köstlich gerankten Ornamenten seiner Mosaike aus Persiens bester Zeit; wir gingen in die Masdsched-e Schah des Afghanenbefreiers (mehr ein Monument als ein Kunstwerk) und in die Freitagsmoschee, Masdsched-e Dschome; sodann in die dörfliche Harun-e Welajat: In weissen Wandnischen waren dunkle Heilige gemalt, Reiter vor einer romantischen Landschaft, und mitten im sauber gefegten Hof hing an bronzener Kette eine Lampe. Fromme beteten dort und tranken Wasser aus einem alten Brunnen.

Auch Tschehel Sotun verfehlten wir nicht. Der Name bedeutet »Vierzig Säulen«, doch sind es in Wirklichkeit nur zwanzig, ein von zwanzig schlanken Holzsäulen getragenes Vordach – aber sie spiegeln und verdoppeln ihre Zahl in dem länglichen Teich, der sich wie ein Teppich vor dem Schlösschen ausrollt und blühende Kirschbäume zart gebrochen in sich aufnimmt . . .

Den Nachmittag verbrachten wir im Basar von Isfahan, der erfüllt ist vom Gehämmer der Kupferschmiede, vom Klopfen der Silberschmiede, vom Brausen der Blasebälge. Auf den Galerien trockneten Federschachteln und 170 Buchdeckel und all die Arbeiten der Lackmaler in der Sonne. Ein Miniaturenmaler zeigte uns die Darstellung eines Polospiels, die er in elf Monaten langer Arbeit für die Königin von England gemalt hat: Hundert Pferde in gestrecktem Lauf füllen den Meidan-e Schah, Pappeln begrenzen ihn, und die Säulen des Hohen Tores.

Um halb zehn abends fuhren wir weiter, die ganze Nacht hindurch.

Wieder folgten sich Pass und Ebene, kahle Landschaft, nächtlich blass, und Ketten, die sich als kühne Schattenwerfer in den meergleichen Horizont schoben. Auf den Höhen wehte ein frischer Nachtwind, dann glitt man hinab und folgte dunklen Flussläufen. Und so Stunde um Stunde, nur der Himmel wechselte und war bald wie ein samtener Vorhang, mit Sternen besät, bald von milchigen Wolken erhellt.

In den Tschaichanes, wo wir Tee tranken und harte Eier assen, lagen Chauffeure, in Teppiche gewickelt. Blasse Kinder holten heisses Wasser aus dem Samowar und bedienten uns schweigsam und erstaunt.

Um drei Uhr nachts blieben wir in einem Fluss liegen und arbeiteten wohl eine Stunde lang, um den Wagen wieder auf festen Grund zu bringen.

Erst gegen sechs Uhr begann die Dämmerung. Bergketten tauchten auf, vom dunklen Violett und fast schwarzer Stahlfarbe bis zum Gelb und zarten Blau. Fast in Wolken aufgelöst, trat – zweihundert Kilometer entfernt – endlich der Demawend hervor. Wir warteten auf einem Hügel, bis die Sonne, durch Feuergarben angekündigt, schwarz kreisend über dem roten Rand der Erde aufstieg.

171 Nun flossen Schatten und Licht übereinander hin; Wärme verbreitete sich, der kahle Boden färbte sich rosa.

Wir kamen nach Kum, der heiligen Stadt, und schon blendete die Sonne unsere übermüdeten Augen.

Dort gab es ein letztes Hindemis: Die Strasse war überschwemmt; man leitete den Verkehr durch die engen Basargassen, Lastwagen und Eselherden stauten sich und verstopften alle Adern. Wir warteten hinter einem Lastwagen eingekeilt, bis man sich entschloss, von jedem Chauffeur zwei Kran einzusammeln, um den Hausbesitzer am Ende der Gasse zu entschädigen; als das Geld beschafft und zur Stelle war, begann man dann munter, die störende Hausecke abzuhacken.

Wir erzählten uns nichts mehr. Die letzte Strecke war schlecht, das Steuerrad schlug in unseren Händen hin und her. Um zwölf Uhr mittags fuhren wir, ausgedurstet und verbrannt, durch das bunte Stadttor von Teheran.

 

Pahlewi, 15. April 1934

Pahlewi, ein Hafen am Kaspischen Meer. Man schickt von hier den Kaviar nach Europa. Russische Fischerboote liegen im Hafen, die Männer tragen Ölstiefel und pelzgefütterte Kappen.

Drüben, jenseits vom Meerarm, worin die Schiffe gut geborgen schaukeln, gibt es Amtsgebäude, eine Post, eine Bank und Gartenanlagen mit weissgestrichenen Holzgittern. Man fährt in kleinen Ruderbooten hinüber und bezahlt fünf Kran dafür.

Die Stadt hat ein Nebelgesicht. Sobald sich der Nebel verzieht, regnet es in langen Fäden. Den ganzen Tag 172 brennen Öllampen in den kleinen Läden der Hauptstrasse. Es gibt Wodka zu kaufen und natürlich Kaviar.

Es regnet seit drei Tagen. Hinter mir, ganz eingehüllt in Wolken, Nässe, Wasserdampf und Nebelschwaden, liegt der Pass von Kaswin, das Hochland: Persien. Ich bin schon an der Grenze.

Soeben war der Chauffeur da, ein Armenier, und hat sich verabschiedet: Leute aus Russland sind angekommen, er muss sie nach Teheran bringen. Er war ein angenehmer Mensch.

Nun also ist er fort.

Der Nebel sinkt jetzt so dicht, dass man im Hafen die Schiffe nicht mehr erkennen kann, nur die auf- und abschwankenden Maste. An einem Mast hängt nass und schwer eine rote Fahne. Obwohl man ihn für einen Gespenstermast halten könnte, gehört er zu einem russischen Dampfer, und mein Billet lautet auf seinen Namen.

Heute nachmittag um vier Uhr fährt das Schiff nach Baku.

 


 


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