Annemarie Schwarzenbach
Winter in Vorderasien
Annemarie Schwarzenbach

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Persien

Hamadan, 5. März 1934

Gleich hinter den Ölfeldern von Chanakin lag die irakische Grenze. Ein gelbes Fort stand auf gelben Hügeln; vom Zollhaus lief ein Stacheldrahtzaun hinauf, und eine hölzerne Schranke versperrte die Strasse.

Dahinter lag Persien – ein uraltes Königs- und Hirtenland; doch bis heute empfängt es den Reisenden mit der Überraschung seiner unvergänglichen Gebirge.

Der Name der persischen Grenzstation war Chosrowi: Da wurde man lange aufgehalten. Pferde und Esel warteten in brütender Sonne, auf Bündeln sassen geduldig Wartende, Pilger und Wanderer, Händler, Treiber, Karawanenführer. Man fertigte uns ab und öffnete die Schranke: Da fuhren wir auf der Strasse der persischen Heere, die einst gegen Griechenland zogen.

Der langsame, kurvenreiche Aufstieg des Peitak-Passes begann. Wir liessen die gelben Hügel hinter uns und die tiefen Stromländer. Ein neuer Blick von herber Grösse öffnete sich und erfüllte mit Jubel und jähem Staunen.

Berge schienen sich in die Ewigkeit fortzusetzen; breite Täler lagen noch schneebedeckt zu ihren Füssen, da flossen Bäche zwischen niedrigen Ufern, und Weiden wiegten sich im leichten Bergwind.

Von der Höhe des Peitak-Passes sah man nach beiden Seiten die Strasse hinabsteigen: in die Ebene, die wir verliessen (sie lag schon in blauen Abenddunst gehüllt), und in das weisse Hochtal, an dessen Ende die Stadt Kermanschah 136 liegt, und die Felsen von Tak-e Bustan und Bisotun. Noch unsichtbar begann dort ein zweiter Pass und führte hinüber in das hochgelegene Hamadan, einst Ekbatana, die Mederstadt, die erste Residenz des Reiches.

»Ich, Dareios, König der Könige . . . König dieser grossen Erde« – die diese anmassende und beschwingte Formel fanden, kamen aus einem Land, wo Götter wohnen sollen, aus Hochebenen zwischen namenlosen Gipfeln, breiten, gesegneten Tälern unter Frühlingsstürmen. Ihre Städte, Burgen und Dörfer lagen am Rand des ewigen Schnees und an den glücklichen Bergbächen, die er speist. Sie überschritten die Schwelle Irans und stiegen hinab in die trägen Ebenen; sie, die Schüler Zarathustras, betraten den Boden der Stadtgötter. Hochmut musste sie ergreifen wie eine Flamme: Die dort unten waren Knechte, Städter, Kanalgräber; sie aber kamen aus den Feuern ihrer Lehre, aus der kalten Flut ihrer Bäche, aus dem frischen und heiteren Wind ihrer Gebirge . . . und sie siegten meistens.

Wir kamen am ersten Tag nur bis Kermanschah, der grössten Stadt im persischen Kurdistan. Da gibt es grosse Mohnfelder, die im Juni wie Baumwolle blühen, weisse weithin wiegende Schleier. Kurdenfrauen schneiden die Pflanze an und sammeln den zu zäher Masse erstarrten Saft, dessen giftigsüsse Wirkung schon den alten Assyrern vertraut war. Virgil nannte es das »schlaferregende Mittel«; auch den Hunger vermag es wohltätig zu betäuben. Dass Harun al-Raschid ein Klümpchen Opium Karl dem Grossen als Geschenk übersandte, berührt seltsam, beweist aber, in wie hohem und unverdächtigem Ansehen die Droge stand: Sie war sogar hoffähig.

137 Die Perser sind ein sehr dichterisches Volk, doch ihre Begabung ist unstet und schwankend, rauschartig, verführerisch, leicht ausartend in Plattheit. Sie hält die Mitte nicht ein zwischen Genussucht und sublimem Geschmack, plumpem Lob der Trunkenheit und den bezauberndsten Zuständen von Entzücken, Realitätsflucht und Sternennähe. Niemanden, der das Werk ihrer Dichter kennt, wird ihre Empfänglichkeit für die Verführung des Opiums erstaunen. Auch die dünne Luft ihrer Hochebenen, die gleichsam unwirkliche Fernsicht, das Übermass in allen Dingen mag dazu beitragen, sie zu Kindern und Träumern zu machen: zu Menschen, die auf den Zehenspitzen gehen und um keinen Preis der Not ihres Daseins anders zu Leib rücken als durch grenzenlos geduldige, täglich erneuerte Flucht ins Wunderbare. Auch die Indios, die in einer ähnlich grossen und masslosen Landschaft beheimatet sind, kauen Giftblätter und ergeben sich in der leichtberauschenden Luft der Anden tieferen Träumen . . . Nur die Kurden unterscheiden sich gänzlich von den Persern. Obwohl jene arm sind wie diese und in auswegslosem Elend leben, verfallen sie nicht in die gebeugte Haltlosigkeit und leicht unheimliche, gleichgültige Entrücktheit. Ihre Frauen gehen unverschleiert und tragen den schweren, turbanähnlichen Hut wie die Kurdinnen Anatoliens. Stolz kennzeichnet sie auch hier. Die Jünglinge sind schön und anmutig, die Frauen zeigen sich mit ihren schmalen und gebräunten Gesichtern herb und beinahe männlich.

Wir fuhren am frühen Morgen durch Dörfer, die samt dazugehörigen feudalen Rechten alten kurdischen Adelsfamilien gehören. Wir sahen die rauchenden Lehmhütten 138 der Bauern, ihre grossen Hunde, ihre schwarzen Ochsen, die vor altertümliche Pflüge gespannt über die Felder gingen.

Der Boden war kaum aufgetaut und dampfte in der Morgensonne. In Tak-e Bustan schwamm noch eine dünne Eisschicht auf dem Teich. Der Name bedeutet: die Gartengrotte. Man kann daraus schliessen, dass sich an dieser Stelle in frühsassanidischer Zeit ein königlicher Wohnsitz befand, der zum Anlass der erhaltenen Felsreliefs wurde. Die Reliefs der kleineren Grotte stammen aus der Zeit Schapurs II. und Schapurs III.; diejenigen der grossen Grotte, Jagd- und Belehnungsszenen und das Reiterbild des Königs, gehören der letzten sassanidischen Epoche an, nämlich der Regierungszeit Chosraus II. (590–629). Der König ist auf seinem berühmten Pferd Schabdes dargestellt; sein Gesicht ist vom Kettenpanzer bedeckt, er hält die Lanze über der rechten Schulter und sitzt leicht zurückgelehnt im Sattel. Das Bild macht einen sehr monumentalen und bedeutenden Eindruck, die Haltung des Königs, zugleich würdig und trauernd, zugleich gleichnishaft-allgemein und ergreifend persönlich, erinnert noch an die frühen Vorbilder: Persepolis. Dafür sind die Jagdszenen an den Seitenwänden eine rechte Augenfreude. An der linken Felswand jagt der König Wildschweine, an der rechten das edlere Damwild. Man sieht ihn mehrmals dargestellt, fast lässig abwartend oder in vollem Galopp den starken Bogen spannend – vor ihm, über ihm, unter ihm fliehen die Tiere in dekorativen Scharen, und seine Begleitung, in bescheidener Verkleinerung neben dem Herrscher dargestellt, saust mit verhängten Zügeln dem raschen Wild nach.

139 Die Wildschweine jagt man vom Boot aus: Da sitzen die Haremsfrauen, züchtige Zuschauerinnen, und zierliche Ruderer warten, bis der grosse Chosrau, im Boot aufrecht stehend, den tödlichen Pfeil absendet. Zwei Eber brechen von oben durch das Schilf und stürzen sich begierig dem Jäger entgegen; unten stampfen Elefanten in dramatischer Anordnung vorbei, oben flieht eine Wildschweinherde, Leib an Leib gedrängt.

Von der »Gartengrotte« erreichten wir den dunklen Felsen von Bisotun in einer knappen Stunde. Ein Kurdenjunge führte mich bis unter die steile, fast überhängende Wand, woran in grosser Höhe Dareios über die Lügenkönige triumphiert. Das Relief mochte hier oben vor Zerstörung sicherer sein und hing nun, eindrucksvoll und göttlich entrückt, wie eine beständige Drohung über der Ebene und der Heerstrasse nach Babylon.

Dreisprachig die Inschrift: babylonisch, elamisch und altpersisch – für die Ohren vieler Völker bestimmt.

Man nannte diese Stelle »das Tor von Asien«.

 

Der Assadabad-Pass führte von hier hinüber nach Hamadan-Ekbatana. Noch lag Schnee, hohe vereiste Mauern säumten die Strasse.

Man fuhr tausend Meter abwärts bis Hamadan. Oben herrschte schier furchterregende Einsamkeit. Auf der Passhöhe fanden wir einen Chan, eine Lehmhütte; an der Nordseite reichte der Schnee bis zum flachen Dach. Ringsum glänzten grosse Schneeflächen in der Mittagssonne.

Man fuhr tausend Meter abwärts bis Hamadan: weithin überblickte man die Strasse; sie lief fast geradeaus in die 140 unfassliche Ebene, durch Hügeltore, von Terrasse zu Terrasse sinkend. Unsichtbare Schleusen schienen am Werk.

An den fernen Rändern der Ebene glänzten Berge im weichen Licht des Abends, und wenn wir ihnen näherkamen, erhoben sich neue, höhere Ketten in ihrem Rücken. Sie tauchten dunkel und unverbunden aus der Tiefe und standen am Ende aller Dinge wie Tod und Verklärung.

Als wir Hamadan endlich erreichten, war es dunkel. Laternen erleuchteten die hölzerne, einstöckige Galerie des Hotel de France. Eine Russin brachte heisses Wasser und machte sich geschäftig daran, im Ofen ein Feuer zu entfachen. Ihr Kind, flachshaarig und pausbäckig, sah uns aus seinen hübschen, dunklen Augen zu. Als ich es ansprach, drehte es sich so geschwind um, dass sein runder Rock sich wie ein Ballettröckchen um die dünnen Kinderbeine bauschte. Im Hof standen Weiden zwischen zusammengeschaufeltem Schnee. Ein gepflasterter Weg führte zwischen Schneeflocken und dunkler Erde hinüber in den von Holzsäulen getragenen Essraum.

Es gab Tee und russischen Wodka, eine Petroleumlampe, ein Tintenfass. Draussen herrschte ein richtiger Frühlingssturm, die weissen Weiden wurden geschüttelt, der Schnee fiel von ihren zarten Zweigen.

Ich schrieb bis zum Abendessen. Am Ofen sass die russische Bedienerin, die Hände im Schoss . . .

 

7. März 1934

Wir verliessen Hamadan um sieben Uhr morgens. Der Sturm hatte die ganze Nacht hindurch gedauert; am Morgen spannte sich ein durchsichtiger Himmel über der weissen Hochebene. Wir kamen wieder ins Gebirge, der laue Wind, der Anblick des Frühlings, der silbernen Stämme an aufgebrochenen Ufern setzte sich fort. In diesem Land, in dieser Jahreszeit feierte das europäische Herz . . .

In Kaswin standen früher Kosakenregimenter. Russische Firmenschilder, Russisch sprechende Bediente in den Gasthöfen erinnern daran. Auf der breiten Strasse, die in die Stadt hineinführt, begegneten wir einem ununterbrochenen Zug von Lastwagen, Eselherden, Reitern und Fussgängern, Karawanen zottiger Kamele. Ihre Treiber hatten dunkle und flache Mongolengesichter; sie trugen Pustine, gelbe Schafspelze, wie die Kutscher, die auf den zweirädrigen Karren lagen und schliefen.

Drei Stunden dauerte die Fahrt von Kaswin nach Teheran, sie war eintönig und führte durch eine Ebene, die kein Ende zu nehmen schien. Weisse Gebirge säumten sie und sandten regellose Frühlingsbäche hinunter. In gleichen Abständen lag ein Chan am Wege; da ruhten die Karawanen, Kamele lagen, die Köpfe nach innen, im Kreis.

Da tauchte endlich der Demawend auf, der Sechstausender; sein weisses Haupt verschwand in den hohen, leichten Abendwolken. An seinem Fuss (Entfernungen rückten rätselhaft zusammen und waren ohne Mass) liegt Teheran, Persiens Hauptstadt: Wie in Innsbruck sehen die schneebedeckten Berge überall in die breiten Strassen hinein. 142

 


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