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Bagdad, 26. Februar 1934
Ein harter Rückfall in den Wüstenwinter. Kein Chauffeur erklärt sich bereit, nach Persien hinüberzufahren. Schnee liegt auf den Pässen.
Vor zwei Wochen hatte der Frühling fast österlich begonnen; in den Palmenhainen waren die Wiesen hellgrün leuchtende Teppiche, am Weg nach Kadhimain sassen die Pilger in den kleinen Cafés am hohen hellgelben Flussufer, der Rauch ihrer Wasserpfeifen stieg leicht gekräuselt zu den wiegenden Palmstämmen, die mit ihren Kronen den bleichen Tagesmond berührten.
Boote trieben friedlich flussabwärts, am Abend spielten Farben in hundert neuen Tönen; die warmen Lehmmauern neigten sich über den tiefen, gedämpften Fluss, und der Himmel war eine lichte Kuppel.
Man versicherte mir, dass in weniger als acht Tagen die persischen Pässe frei seien.
Mittlerweile wurden in Hinaidi, dem Fliegerlager der Engländer, Jagden geritten.
Man traf sich in Hinaidi selbst oder ausserhalb, bei Lancasterbridge, bei Rustam Farm. Man ritt zu zwanzig, zu dreissig, hinter einer schönen Meute grosser braungefleckter Hunde. Niemandem konnte ernsthaft daran liegen, einen Schakal zu töten: Sie sind harmlose Burschen, dunkle huschende Wollballen, nicht grösser als ein Fuchs, aber bescheidener, ohne eine Reineke-Legende, ohne Franz Kafkas Vision, die ihren heimlichen Höhlenbau preist.
131 Sie lieben es, in Ruinen zu hausen: Unten in Warka hielten sie einen Schakal, der die Zikurrat bewohnte und sich während mehrerer Grabungswinter zutraulich verhielt. In Babylon sah man auch zuweilen ein spitzschnauziges Haupt auftauchen, hinter Mauern und Schlacken, dann wieder scheu verschwinden.
Die Jagd war ein reales Vergnügen, eine handfeste Erregung; es war nötig, sich von der bleiernen Schläfrigkeit zu befreien, die die schlaffe Luft aus der Sandwüste und der träge Lauf des mittäglichen Tigris erzeugten. Es galt, sich draufgängerisch auszutoben.
Manchmal dauerte es lange, bis die Hunde einen Schakal auftrieben. Kläffend, mit erhobenen Schwänzen, rasend erregt, schossen sie nach allen Seiten; man verlor sie, suchte sie am Flussufer und in den ummauerten Gärten, trieb sie wieder zusammen. Ritt im Schritt und Trab über die grossen, noch karg bewachsenen Flächen, über Brücken, durch schlafende Dörfer. Dort gerieten Pferde und Esel und angepflockte Fohlen in Erregung, brachen in wieherndes Geschrei aus, Rudel von grossen Hunden rasten mit Gebell zwischen die Pferdebeine; schwarze Büffel erhoben drohendes Gebrüll.
Endlich, auf freiem Feld, setzten sich wie auf ein heimliches Signal die Pferde in Galopp. Noch hatte man kein Horn gehört, die Hunde noch nicht erblickt, die irgendwo weit vorn plötzlich in gestrecktem Lauf einem winzigen, dunklen Ball nachjagten.
Nun strebten die Reiter, eben noch lässig verstreut, zueinander. Seite an Seite befand man sich mitten im Rennen. Kanäle, trockene und wassergefüllte, schmale, fast 132 unsichtbar im Gelände, und breite mit unbequemen Erdwällen, folgten immer schneller aufeinander. Aber auch die Geschwindigkeit wuchs immer noch; nun lagen die besten Pferde an der Spitze und fegten über die Gräben, fast ohne dass der Reiter es bemerkte.
Manchmal dauerte ein solches Rennen mehr als drei Meilen. Der Wollball huschte durch trockene Kanäle, tauchte weit entfernt im Feld wieder auf. Manchmal schien man ihn von zwei Seiten fassen zu können, erkannte schon die spitzige Schnauze, sah die schwarzglänzenden Augen der kleinen Kreatur. Oder sah man sie nicht?
Meistens entging uns der Schakal, es gab Löcher in den Lehmmauern der Gärten, selbst schmale Tore, und drin war es dunkel, kühl, geborgen. Wie rasend sprangen die Hunde an der Mauer hoch. Wir führten die schweissbedeckten Pferde im Schritt umher.
Manchmal gab es auch Zwischenfälle. In der Erregung des Rennens wurden die Pferde gleichsam blind, stürzten in Gräben oder erblickten sie zu spät und brachen aus. Der Master fiel und brach sich die Schulter; fast bei jeder Jagd gab es mehr als einen Sturz. Einmal gerieten wir in weiches Gelände, fünf Pferde sanken ein. Nie werde ich den Anblick eines der Tiere vergessen, welches, bis zum Hals im Lehm versunken, von Schaum und Schweiss bedeckt, uns aus schreckhaft erweiterten Augen ansah. Es hatte allen Widerstand aufgegeben; Todesangst hatte es ergriffen, es rührte sich nicht mehr. Herren und Reitknechten gelang es nach einer halben Stunde, das Pferd zu befreien. Es stand jetzt ganz ruhig und liess sich zudecken und mit den anderen Pferden wegführen.
133 Dann kamen die Kälte und der Staubsturm, und die nächsten Jagden mussten ausfallen. Nervosität lag in der Luft. Das Kabinett reichte seine Demission ein, der junge König wollte die Minister nicht anerkennen. Zwei der alten Minister verliessen ihre Posten, langjährige Gegner. Bei S. Bey spielten sie, Sonntag nachmittags, Bridge am gleichen Tisch.
Der Bürgermeister von Bagdad liess mir durch den städtischen Ingenieur zeigen, was von der Residenz Harun al-Raschids – der glänzendsten, reichsten und märchennahsten Stadt des Orients – übrig geblieben ist.
Dann nahm der Sturm zu, und man sass im Hotel gefangen. Am Morgen war der Tigris eine lehmfarbige, gurgelnde Flut, das andere Ufer unsichtbar, alles in gelben Staub wie in dichten Nebel gehüllt.
Staub drang durch die Fenster und Türfugen, es herrschte eine trockene Kälte; Kohlenbecken standen wieder im Esssaal, und in meinem Zimmer malte das Kaminfeuer nachts grosse, lebendige Schatten an die Wände.
Die Sonne leuchtete gegen Mittag fahl durch den Staubnebel, und die Stadt sah nun noch merkwürdiger aus: Die Häuser waren gelbe Schemen, der Fluss vermischte sich mit dem Himmel und verlor seine Ufer im Ungewissen, die Feuer der Garköche an den Strassenecken waren winzige, rötliche Punkte in der Finsternis, die Droschken mit vermummten Kutschern unter riesigem schwarzem Dach flogen wie Fledermäuse undeutlich vorüber. So wird sich, dachte ich, das Ende der Welt ankünden, mit der Auflehnung junger Könige, rieselndem Sand, Staubgeruch und gelber Erstickung.
134 Inzwischen schlug die Kälte in Wärme um, der Frühling kam von Osten; laue Winde strichen über die Bergpässe, Schnee löste sich auf, füllte die Bachbette und stürzte rauschend ins Tiefland. Eines Abends kamen drei Italiener aus Teheran an. Sie hatten eine Nacht in einem Chan am Peitak-Pass zugebracht; sonst waren sie ohne Hindernis und Unterbrechung gefahren.
Zwei Tage später wurde ein Wagen gemietet und auf fünf Uhr des nächsten Morgens bestellt. Mein Gepäck liess ich grösstenteils in Bagdad zurück. 135