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Die heldenmütige Jungfrau, die an der Jagd des Kalydonischen Ebers so rühmlichen Anteil nahm, ward von ihrem Vater, welcher sich männliche Nachkommenschaft gewünscht hatte, gleich nach ihrer Geburt ausgesetzt. In den Bergen fand eine Bärin, der man die Jungen getötet, das schreiende Kindlein, nahm es sorglich in den Rachen und trug es in ihre Höhle, wo sie es mit ihrer Milch säugte. Als einst Jäger die Gegend durchstreiften, fanden sie das Kind, nahmen es mit sich und zogen es zu einer blühenden Jungfrau auf. In den kühlen Bergwäldern Arkadiens erwachsen, war Atalante kräftig und stark und so schnellfüßig wie das schnellste Reh; Luft und Sonne hatten Antlitz und Glieder ihr gebräunt, aber ihre Schönheit strahlte gleich der einer Waldnymphe oder der jungfräulichen Göttin Artemis. So lebte sie rein und stolz in der Einsamkeit des Gebirges, die Hand eines Gatten verschmähend; zu Fuß mit dem Speere den edlen Hirsch zu erjagen war ihre höchste Lust. Einst sahen zwei Zentauren, Rhökos und Hyläos, die schöne Jägerin dahineilen und verabredeten sich, sie zu entführen. Als sie ihr aber zu nahen wagten, schoß sie beide mit ihren Pfeilen nieder. Außer an der Erlegung des Kalydonischen Ebers beteiligte sie sich noch an gar manchen kühnen Heldenunternehmungen, bei denen sie nicht selten die Männer durch ihre beispiellose Tapferkeit beschämte. So wohnte sie auch den berühmten Kampfspielen bei, welche der Sohn des Pelias zu Ehren seines gestorbenen Vaters in Iolkos anstellte; sie rang daselbst mit dem gewaltigen Peleus, dem Sohn des Äakos, und soll wirklich den Sieg über ihn davongetragen haben.
Als sie später ihre Eltern wiedergefunden hatte, drang ihr Vater, den einige Iasos oder Iasion, andre Schöneus, auch Mänalos nennen, mit Bitten in die Tochter, sie möchte sich doch mit einem tüchtigen Helden vermählen. Atalante aber wollte davon nichts wissen, sondern scheute das Joch der Ehe, zumal da ihr einst eine dunkle Weissagung geworden war, die da lautete: »Fliehe den Gatten, Atalante, du entfliehst ihm dennoch nicht!« Um nun den lästigen Schwarm zudringlicher Freier zu verscheuchen, schlug sie am Ende eines zum Wettlauf tauglichen Planes einen drei Ellen langen Pfahl in die Erde; diesen bestimmte sie als Auslaufspunkt für die Freier, und nur dem, der sie im Laufe besiegte, wollte sie als Gattin folgen; wer aber später zum Ziele gelangte als sie, dem sollte der Tod zum Lohne werden. Trotz dieser harten Bedingung war doch die Macht ihrer Schönheit so groß, daß zahlreiche Werber sich einstellten. Unter den Zuschauern des seltsamen Schauspiels saß auch ein schöner Jüngling, Hippomenes Zuweilen auch Milanion genannt. , welcher laut die Torheit der Freier tadelte. Sobald aber Atalante, strahlend von Anmut, die Rennbahn betrat und er ihrer ansichtig ward, verstummte er plötzlich und sprach bei sich selbst: ›Verzeiht mir, die ich eben gescholten habe! Der Lohn, um den ihr Leben und Ehre wagen wollt, war mir unbekannt. Wahrlich, den seligen Göttern schätz ich den gleich, der diese herrliche Jungfrau erwirbt.‹ Jetzt begann der Wettlauf. Die kühne Atalante gönnte den Freiern, des Sieges im voraus sicher, einen Vorsprung; dann aber flog sie dahin wie ein Pfeil von der Sehne des Bogens. Die Bewegung erhöhte noch den Reiz ihrer Schönheit; und siehe, schon stand sie jauchzend am Ziel; weit hinter ihr folgten die Besiegten, die nun seufzend die gedrohte Strafe erlitten.
Da trat Hippomenes an den Pfahl und rief. »Warum, o Atalante, wirbst du um so wohlfeilen Ruhm, indem du mit Untüchtigen dich missest? Komm und wag es mit mir! Und wenn das Schicksal den Sieg mir verleiht, so wisse, keinem Geringen reichst du die Hand: Ich bin Hippomenes, des Megareus Sohn, ein Urenkel des Meeresfürsten Poseidon! Falle ich aber, so ist dein Ruhm um so größer, da du den Hippomenes besiegt hast.« Atalante blickte dem Redenden sanft in das schöne Antlitz. »O Jüngling«, begann sie, »laß ab von deinem Vorsatz! Sieh, mich jammert deine Jugend; du scheinst mir edel und hochherzig, und jedes Mädchen wird sich glücklich preisen, dich ihren Gatten zu nennen. Ich aber kann dich nicht schonen, wenn du einmal den Wettlauf mit mir wagest; denn die Schande, besiegt zu werden, ist mir unerträglich.« So sprach sie, den herrlichen Jüngling gerührt betrachtend, und merkte nicht, daß die Liebe ihr eigenes Herz verwundet hatte. Hippomenes aber betete heimlich zur Göttin der Liebe: »Heilige Aphrodite, sei meinem Beginnen günstig und steh mir gnädig bei!« Und die Göttin vernahm sein Flehen; auf die Insel Zypern schwebte sie hernieder und pflückte von einem Wunderbaum, der ihr geheiligt war, drei goldene Äpfel. Dann trat sie, allen andern unsichtbar, zu Hippomenes, gab ihm die köstlichen Früchte und unterwies ihn schnell, wie er sie gebrauchen solle. Jetzt begann zum zweiten Male der Wettlauf, die Trompete ertönte, und Hippomenes enteilte zuerst. Vom Beifallsruf der Menge ermuntert, bot er alle Kräfte auf, aber noch war er fern vom Ziele, und schon war Atalante dicht hinter seinen Fersen. Da ließ er einen von den goldenen Äpfeln der Aphrodite fallen, und siehe, die Jungfrau stutzte: von der schimmernden Frucht gelockt, bückte sie sich, den Lauf hemmend, und hob sie staunend auf. Unterdessen hatte der Jüngling einen beträchtlichen Vorsprung gewonnen, und als Atalante ihn wiederum einholte, warf er den zweiten Apfel auf die Rennbahn. Und abermals konnte sie der Lockung nicht widerstehen, während Hippomenes dem Ziele immer näher flog. »Nun stehe mir bei, hilfreiche Göttin!« betete er laut und entsandte den letzten der Wunderäpfel. Die Jungfrau zauderte zum drittenmal, und während sie die goldene Frucht vom Boden hob, hatte Hippomenes das Ende der Bahn erreicht, von der jauchzenden Menge als Sieger begrüßt. Nicht ungern, so sagt man, folgte die Besiegte dem herrlichen Jüngling als Gattin, und niemals gab es ein zärtlicheres Paar als Hippomenes und Atalante. Ihrem Bunde entsproßte ein Sohn, so schön und anmutsvoll wie seine Eltern: Parthenopaios hieß der Held, der später vor Theben einen rühmlichen Tod fand.