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Dieses Glück des Äneas konnte seine Feindin Juno nicht mit gleichgültigen Augen betrachten. Sie rief die Furie Alekto aus der Unterwelt herauf, um die Eintracht im Keime zu zerstören. Diese schwebte zuerst nach Latium und nahm Besitz von dem stillen Gemache der Amata; sie warf der Königin, der ohnedem schon peinliche Sorgen über das Herannahen der Trojaner und die ersehnte Vermählung ihrer Tochter Lavinia mit dem Rutulerfürsten Turnus das Herz zernagten, heimlich aus ihrem Schlangenhaare eine der Nattern auf die Brust, damit sie, von diesem Scheusal angefressen, das ganze Haus in Verwirrung bringe. Die Schlange verwandelte sich sofort in Amatas goldenen Halsring, in ihren langen Schleier, ihr Lockengeschmeide und durchschlüpfte und umirrte ihr so alle Glieder. Zu gleicher Zeit träufelte sie unvermerkt ihr Gift auf die Haut, und dieses fing an, den Leib zu durchrieseln. Solang es noch nicht bis ins Mark der Gebeine durchgedrungen war, zeigte sich noch nicht seine volle Wirkung. Es äußerte sich nicht anders, als wie natürliche Gemütsbewegungen sich zu offenbaren pflegen; Amata fing an zu weinen und über die Vermählung ihrer Tochter zu klagen: ›Grausamer Gatte‹, sagte sie zu sich selbst, ›du hast weder mit mir noch mit deiner Tochter Mitleid! Wo ist deine frühere Sorge um die Deinigen, wo das heilige Wort, das du so oft deinem Blutsverwandten Turnus gegeben hast? An heimatlose Flüchtlinge verschenkst du unser Kind!‹
Solche Klagen richtete sie auch an ihren Gemahl selbst. Aber als sie ihn fest und unwiderruflich auf seinem Beschlusse beharren sah, da erst durchströmte sie das Schlangengift der Furie ganz, und sie tobte wie wahnsinnig durch die Stadt. Nun war Alekto zufrieden und hatte hier das Werk, das ihr Juno aufgetragen, vollbracht. Sofort schwang sie sich in die Hauptstadt der Rutuler, welche die Geliebte Jupiters, Danaë, gegründet haben soll und die von alters her den Namen Ardea führte. Hier fand sie im Innersten des Königspalastes den Fürsten Turnus in tiefem Schlafe. Da legte Alekto ihre Furienkleider ab und nahm die Gestalt eines alten Weibes an, mit häßlichen Runzeln auf der Stirne und unter dem Schleier hervorquellenden grauen Haaren, um welche sich ein Olivenzweig schlang, so daß sie ganz und gar der greisen Calybe, der Tempelpriesterin Junos, glich. In dieser Gestalt trat sie vor den schlummernden Jüngling und sprach: »Ist es auch möglich, Turnus, kannst du ohne Zorn es mit ansehen, wie alle deine Hoffnung vereitelt und der Zepter, der dich erwartete, an trojanische Landfahrer verschenkt wird? Mich sendet Juno selbst zu dir: du sollst dein Volk waffnen, sollst zum freudigen Kampf aus den Toren ziehen, am Strande den Phrygiern ihre bunten Schiffe verbrennen und sie selbst vertilgen!« Lachend erwiderte im Traume der Jüngling: »Alte, daß die Trojanerflotte in die Tiber eingelaufen ist und Juno meiner gedenkt, wußte ich schon längst; das andere sind Schreckbilder, mit denen dich dein Alter quält. Warte du der Götterbilder und des Tempels! Krieg und Frieden laß den Mann betreiben!«
Die Furie durchbebte ein Zorn bei diesen Worten, und der Jüngling empfand ihren Schauer auf der Stelle. Er hörte das Zischen ihrer Hydern, sein Blick erstarrte, und er wollte noch mehreres erwidern, als die nächtliche Gestalt, plötzlich übermenschlich groß geworden, den Aufgerichteten mit einem Stoß aufs Lager zurückwarf, aus dem Haare zwei Schlangen hervorzog, mit ihnen wie mit einer Peitsche zu klatschen anfing und dazu mit schäumendem Munde sprach: »Meinst du noch, ich sei ein kraftloses altes Weib und verstehe mich nicht auf den Zwist der Könige? Erkenne die Rachegöttin in mir, die Krieg und Tod in ihrer Hand trägt!« In diesem Augenblicke warf sie ihre Fackel, die der Jüngling in ihrer Furienhand geschwungen sah, ihm auf die offenliegende Brust, so daß der schwarze, qualmende Brand sich fest in sein Fleisch heftete. Seine Glieder und Gebeine überströmte ein Schweiß. »Waffen!« schnaubte er noch in der Besinnungslosigkeit des Schlafes; Waffen suchte er erwacht in seinem Bette, erstanden in seinem Hause; rasende Kriegswut tobte in seiner Brust, wie die Welle in einem siedenden Kessel unter dem Reisigfeuer aufhüpft. Sobald der Morgen angebrochen war, beschickte er die Häuptlinge seines Volkes und hieß sie zu den Waffen gegen den treulosen König Latinus greifen und sich zum Kampf gegen beide, Latiner und Trojaner, rüsten.
Während so Turnus den Mut seiner Landsleute stachelte, flog die Furie zuletzt auch noch an den Tiberstrand, wo Julus mit seinen Begleitern in den dichten Uferwäldern eben dem Wild auf die Jagd nachging. Hier beseelte Alekto die Spürhunde mit plötzlicher Wut, berührte ihre Nasen mit dem bekannten Geruch und jagte sie ganz hitzig einem Hirsche nach. Dieses Wild war besonders herrlich und von Geweihen hoch; die Knaben des Tyrrhus, welcher der Oberhirte über die Herden des Königs Latinus war, hüteten sein, denn es war vom Euter seiner Mutter weggenommen und in den Wäldern des Königs aufgefüttert worden. Die Tochter des Tyrrhus, Silvia, hatte das Tier ganz an ihre Befehle gewöhnt, sie kämmte es, wusch es in lauterer Waldquelle und schmückte seine Hörner mit weichen Blumenkränzen; es ließ sich willig von ihr streicheln, war an den Tisch seines Herrn gewöhnt, irrte frei in den Wäldern umher und stellte sich jeden Abend freiwillig in der Wohnung des königlichen Hüters.
Auf die Spur dieses schönen zahmen Hirsches führte die Furie des Askanius Rüden, während das Tier eben den heißen Ufersand, nach Kühlung begehrend, verlassen hatte und den Tiberstrom hinabschwamm. Askanius faßte das herrliche Wild ins Auge, drückte den Pfeil vom Bogen ab und sandte ihn tief in das Gedärme des Hirsches. Der Verwundete fuhr aus dem Wasser, kam blutig zum wohlbekannten Hause seines Herrn, schleppte sich ächzend in den Stall und erfüllte wie ein um Mitleid Flehender das ganze Haus mit Gewinsel an. Jammernd entdeckte zuerst Silvia ihren Liebling und rief mit lautem Geschrei die Bauern der Umgegend zu Hilfe. Diese kamen mit angebrannten Pfählen und Keulen bewaffnet, Tyrrhus selbst rief seinen Gesellen herzu, der just eine stämmige Eiche mit dem Beil spaltete; und als Alekto den rechten Zeitpunkt ersehen, stellte sie sich auf den Giebel des Hofgebäudes und ließ durch das gewundene Horn den lauten Hirtenruf in die Gegend hinaustönen. Von allen Seiten strömte jetzt tobendes Bauernvolk herbei, aber auch dem Askanius kam die trojanische Mannschaft zu Hilfe. Bald waren es auf der andern Seite auch nicht mehr bloß mit Prügeln bewaffnete Haufen. Es hatten sich zwei ordentliche Schlachtreihen gebildet; Schwerter wurden gezogen, Bogen gespannt.
Der erste Pfeilschuß von seiten der jagenden Trojaner, die sich gegen die anstürmenden Feinde zur Wehr setzten, traf den ältesten Sohn des Tyrrhus, Almo, in die Kehle, daß ihm Stimme und Leben zugleich schwand. Nun begann ein allgemeines Gemetzel unter den Hirten. Der ehrlichste und begütertste Bauer in ganz Latium, der alte Galäsus, der fünf Rinder- und fünf Schafherden besaß und hundert Pflüge über seine Äcker gehen hatte, war aus den Scharen des Bauernvolkes hervorgetreten, um den Frieden zu vermitteln; aber er wurde nicht angehört, und ein Pfeilregen bedeckte ihn, unter dem er sterbend erlag. Jetzt stürzten die überwältigten Hirten aus dem Kampfe in die Stadt und trugen ihre Erschlagenen, den Almo, den Galäsus und viele andere, wehklagend durch die Tore. Sie riefen die Götter laut um Hilfe an, eilten auf den Königspalast zu und versammelten sich um Latinus, ihren Herrn.
Auch Turnus fand sich schreiend und tobend ein, mit der lauten Anklage, daß die Herrschaft des Landes an die Trojaner verraten werde. So umringten sie alle, in Klagen und Lärm wetteifernd, die Königsburg des Alten. Dieser aber stand unbeweglich wie ein Fels im Meere. Dennoch vermochte er dem blinden Toben in die Länge nicht Widerstand zu leisten. »Wehe mir«, rief er endlich, »ich fühl es wohl, uns reißt der Sturm fort! Armes Volk, du wirst, gegen den Willen der Götter kämpfend, diesen Frevel mit deinem eigenen Blute büßen! Auch du, Turnus, wirst dem Strafgerichte des Himmels nicht entgehen! Ich aber glaubte schon im Hafen zu sein und hoffte in Ruhe zu enden, nun gönnt ihr mir nicht einmal einen friedlichen Tod!«
Der Götterkönigin Juno, der Feindin Trojas, dauerte der Verzug zu lange. In der Latinerstadt stand ein Tempel des Krieges mit zwiefachen Pfosten, von hundert ehernen Riegeln verschlossen; sein Hüter ist Janus, der uralte Städtegott der Latiner. Wenn die Häupter des Volkes blutigen Kampf auf Leben und Tod beschließen, so öffnet der König selbst im feierlichen Kriegsgewande die knarrenden Pfosten. Dieses zu tun ermahnte das Volk jetzt auch seinen König Latinus; er aber weigerte sich dieses gräßlichen Dienstes und verbarg sich in die tiefste Einsamkeit seines Palastes. Da schwang sich Juno selbst vom Himmel hernieder, stieß mit eigener Götterhand an die widerstrebenden Pfosten, drehte die Angeln, und donnernd fuhren die ehernen Pforten des Kriegstempels auseinander.