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Zweites Buch.
Odysseus – Erster Teil

Telemach und die Freier

Die Heimkehr der Griechen von Troja war vollbracht, und so viele der Helden den Schlachten während des Krieges oder dem Sturm auf der Heimfahrt entronnen waren, befanden sich jetzt zu Hause, glücklich oder unglücklich. Nur Odysseus, der Sohn des Laërtes, Ithakas Fürst, war noch auf der Irrfahrt und von einem seltsamen Schicksale betroffen. Nach mancherlei Abenteuern saß er in der Ferne auf einer rauhen, mit Wäldern bedeckten, einsamen Insel, mit Namen Ogygia, wo ihn eine hohe Nymphe, die Göttin Kalypso, die Tochter des Atlas, in ihrer Grotte gefangenhielt, weil sie ihn zum Gemahl begehrte. Er aber blieb der zurückgelassenen Gattin, der edlen Penelope, treu; und endlich jammerte sein auch die Götter im Olymp; nur Poseidon, der Gott des Meeres, der alte Feind der Griechen, zürnte auch diesem Helden unversöhnlich, und wenn er ihn nicht zu vertilgen wagte, so legte er seiner Heimfahrt doch allenthalben Hindernisse in den Weg und trieb ihn in der Irre umher. Und so war er es auch, der ihn an jene unwirtliche Insel geworfen hatte.

Nun aber wurde doch im Rate der Himmlischen beschlossen, daß Odysseus aus den Banden der Inselfürstin Kalypso befreit werden sollte. Auf die Fürbitte Athenes wurde Hermes, der Götterbote, nach dem ogygischen Eilande geschickt, um der schönen Nymphe den unwiderruflichen Ratschluß des Zeus zu verkündigen, daß dem Dulder die Wiederkehr in seine Heimat bestimmt sei. Athene selbst band sich die ambrosischen goldenen Sohlen unter die Füße, womit sie über Wasser und Land dahinschwebt, nahm ihre mächtige Lanze mit der gediegenen scharfen Spitze von Erz, mit welcher sie so manche Helden in der Schlacht bezwungen hatte, zur Hand, schwang sich stürmend von dem felsigen Gipfel des Olympos herab, und bald stand sie auf der Insel Ithaka, die an der Westküste Griechenlands liegt, am Palaste des fernen Odysseus, vor der Schwelle des Hofes, da, wo der Weg zum hohen Tore des Königshauses führte. Ihre Göttergestalt war verwandelt, und die Lanze in der Hand, glich sie dem tapfern Mentes, dem Könige der Taphier.

Im Hause des Odysseus sah es traurig aus. Die schöne Penelope, die Tochter des Ikarios, blieb mit ihrem jungen Sohne Telemach nicht lange Meister in dem verlassenen Palaste. Als Odysseus, nachdem längst Nachricht von Trojas Fall und von der Rückkehr der andern Helden gekommen war, allein nicht heimkehrte, verbreitete sich allmählich mit immer größerer Sicherheit die Sage von seinem Tode, und es fanden sich aus der Insel Ithaka selbst, auf welcher noch andere mächtige und reiche Leute außer dem Fürsten Odysseus wohnten, nicht weniger als zwölf, von Zakynth zwanzig, ja von Dulichion zweiundfünfzig Freier mit einem Herold, einem Sänger, zween geübten Köchen und großem Sklavengefolge bei Penelope ein, die unter dem Vorwand, um die Hand der jungen Witwe zu werben, alle im Hause und vom Gute des abwesenden Fürsten zehrten und den frechesten Übermut trieben; und dieses Unwesen hatte nun schon über drei Jahre gewährt.

Als Athene in der Gestalt des Mentes ankam, fand sie die üppigen Freier eben an der Pforte des Hauses beim Brettspiel; sie saßen auf den Häuten von Rindern, die sie selbst dem Odysseus aus den Ställen genommen und geschlachtet hatten. Herolde und aufwartende Diener eilten hin und her; die einen mischten in gewaltigen Krügen den Wein unter das Wasser, andere säuberten die umhergestellten Tische mit Schwämmen und zerlegten das reichlich aufgetragene Fleisch. Der Sohn des Hauses, Telemach selbst, saß mit einem Herzen voll Betrübnis unter den Freiern und gedachte an seinen herrlichen Vater, ob er nicht endlich käme, die Scharen der Frechen zu zerstreuen und sich wieder in den Besitz seiner Habe zu setzen. Wie er die Göttin in der Gestalt des fremden Königs erblickte, eilte er ihr an der Pforte entgegen, faßte die Rechte des vermeintlichen Gastfreundes und hieß ihn willkommen. Als die beide in den gewölbten Saal des Palastes eingetreten waren und Athene ihre Lanze in den Speerkasten, der sich an der Hauptsäule befand, zu den Lanzen des Odysseus gelehnt hatte, führte Telemach seinen Gast zu Tische an einen Thronsessel mit schön gewirktem Polster, hieß ihn sitzen und schob ihm einen Schemel unter die Füße; er selbst stellte seinen Sessel neben den seinen; eine Dienerin brachte in goldener Kanne Waschwasser für die Hände des Fremdlings; die ehrbare Schaffnerin trug Brot und Fleisch herbei, ein Diener zerlegte die Speisen, und um die goldenen gefüllten Becher wandelte, Wein einschenkend, der Herold. Bald darauf traten auch, einer um den andern, die Freier ein und setzten sich alle auf stattliche Lehnsessel; die Herolde besprengten ihnen die Hände, die Mägde reichten ihnen Brot in Körben, die Diener füllten ihnen den Becher bis zum Rand, und sie machten sich, als kämen sie nicht eben vom Schmause, über das leckere Mahl her. Dann gelüstete sie nach Reigentanz und Gesang, der Herold reichte dem Sänger Phemios die zierliche Harfe, und dieser, von den trotzigen Freiern gezwungen, schlug die Saiten an und begann den herzerfreuenden Gesang.

Während nun diese dem Liede horchten, neigte Telemach sein Haupt nahe an das seines Gastes und flüsterte der verwandelten Göttin ins Ohr: »Wirst du mir, lieber Gastfreund, was ich dir sage, nicht verargen? Siehst du, wie diese Menschen hier fremdes Gut ohne Ersatz verprassen? das Gut meines Vaters, dessen Gebein vielleicht am Meeresstrand im Regen modert oder auf den Wellen umhergetrieben wird? Er kommt wohl nicht wieder heim, sie zu strafen! – Aber du sage mir, edler Fremdling, wer bist du, wo hausest du, wo sind deine Eltern? Bist du vielleicht schon vom Vater her unser Gastfreund?« »Ich bin«, erwiderte Athene, »Mentes, der Sohn des Anchialos, und beherrsche die Insel Taphos; ich kam zu Schiffe hierher, um in Temesa Erz gegen Eisen einzutauschen. Frage deinen Großvater Laërtes, den Greis, der, wie man sagt, ferne von der Stadt, in Kummer auf dem Lande sich abhärmt: er wird dir sagen, daß unsere Häuser seit der Altväter Zeiten in Gastfreundschaft miteinander leben. Ich kam, weil ich glaubte, dein Vater sei wieder daheim. Dem ist nun freilich nicht so; aber doch lebt er gewiß noch; er ist wohl irgendwo an eine wilde Insel verschlagen und wird mit Zwang dort festgehalten. Ja, mir sagt es mein weissagender Sinn, er weilt nicht lange mehr, er macht sich bald los und kehret heim!

Du bist doch deines Vaters leiblicher Sohn, lieber Telemach! Wie du ihm am Haupte, zumal an den freundlichen Augen gleichest! Denn wisse, ich habe deinen Vater gekannt, ehe er gen Troja fuhr. Seitdem sah ich ihn nicht mehr. Doch sage mir, was ist denn das für ein Gewühl in deinem Hause? Feierst du denn ein Gastmahl oder ein Hochzeitsfest?«

Telemach antwortete mit einem Seufzer: »Ach lieber Gastfreund, ehemals mochte wohl unser Haus angesehen und begütert heißen, jetzt ist es anders; alle diese Männer aus der Nachbarschaft, die du hier siehest, umwerben meine Mutter und verzehren unser Gut. Sie selbst kann eine verabscheute Wiedervermählung nicht abschlagen und nicht vollziehen. Indessen verwüsten diese Schlemmer mein Haus, und in kurzem werden sie mich selbst umbringen!« Mit zornigem Schmerz antwortete die Göttin: »Wehe, wie sehr bedarfst du des Vaters, Jüngling! Wohl empfehle ich dir, zu bedenken, wie du diesen lästigen Schwarm aus dem Palaste fortdrängest! Laß mich dir einen Rat geben. Morgen erhebe dich unter ihnen und heiße sie, einen jeglichen in das Seinige, sich zerstreuen; deiner Mutter aber sage: wenn ihr eigenes Herz nach einer Vermählung begehrt, so soll sie in den Palast ihres königlichen Vaters heimkehren; dort mag die Hochzeit angeordnet, mag die Brautgabe bereitet werden. Du selbst aber rüste das beste Schiff, das du hast, mit zwanzig Ruderern aus und begib dich auf den Weg, den lange abwesenden Vater zu suchen. Zuerst gehe nach Pylos im Lande Elis, frage dort den ehrwürdigen Greis Nestor; erfährst du da nichts, so wende dich nach Sparta zum Helden Menelaos, denn dieser ist der letzte von den Griechen, der heimgekehrt ist. Hörst du vielleicht dort, daß dein Vater lebe, daß er wiederkehre, nun, dann ertrag es noch ein Jahr. Vernimmst du aber, daß er gestorben sei, alsdann kehre heim, opfre Totenopfer und errichte ihm ein Denkmal. Findest du die Freier noch immer in deinem Hause, so sinne darauf, wie du sie durch List oder öffentlich tötest. Bist du doch nicht mehr unmündig und dem Knabenalter längst entwachsen! Hörest du nicht, welchen Ruhm der Jüngling Orestes unter den Menschen geerntet hat, daß er seines Vaters Mörder, Ägisth, erschlagen? Du bist so groß und stattlich; halte dich wohl! Mach, daß auch dich einst spätere Geschlechter loben!« Telemach dankte dem Gastfreunde für seinen guten Rat und seine väterliche Gesinnung, und da dieser sich zum Aufbruch anschickte, wollte er ihm ein Gastgeschenk mit auf den Weg geben; der verstellte Mentes versprach aber, wiederzukommen und auf dem Rückweg es abzuholen. Dann enteilte die Göttin und verschwand; denn wie ein Vogel durchflog sie den Kamin. Telemach staunte über dem Verschwinden des Fremden tief in der Seele; er ahnte, daß es ein Gott gewesen, und sann in sich gekehrt seinem Rate nach.

Im Saale dauerte indessen Saitenspiel und Gesang fort: der Sänger meldete die traurige Heimfahrt der Griechen von Troja, und alle Freier horchten. Droben im Söller saß inzwischen die einsame Penelope, und der Hall des Liedes drang zu ihr empor. Da stieg auch sie mit zwei Dienerinnen die Stufen ihrer hohen Wohnung herab und trat zu den Freiern in den Saal ein, doch in einen dichten Schleier gehüllt; eine der Mägde stand ihr zur Seite, und weinend begann sie, zu Phemios dem Sänger gewendet: »Du weißt ja sonst viele herzerquickende Lieder, guter Sänger! Erfreue sie damit; aber diesen Jammergesang, der mir beständig das Herz im Busen quält, den laß ruhen! Gedenke ich doch auch ohne das beständig des Mannes, dessen Ruhm durch ganz Griechenland reicht und der noch immer nicht heimgekehrt ist!« – Aber Telemach redete freundlich zu der Mutter: »Tadle doch den lieblichen Sänger nicht, daß er uns mit dem erfreut, was ihm gerade das Herz entzündet. Nicht den Sängern, Zeus müssen wir Schuld geben, der ihnen die Lieder eingibt und sie begeistert, wie er will! Laß ihn deswegen immerhin das Leid der Danaer besingen! Odysseus ist es ja nicht allein, der den Tag der Wiederkehr verlor; wieviel andere Griechen sind untergegangen! Du selbst, liebe Mutter, kehr ins Frauengemach zurück, besorge dort deine Geschäfte, die Spindel und den Webestuhl und leite das Tagwerk deiner Frauen! Das Wort gebührt den Männern, und vor allem mir, der ich die Herrschaft im Hause zu führen habe.«

Penelope verwunderte sich über die verständige und bestimmte Rede des Knaben, den sie früher nie so hatte sprechen hören und der auf einmal zum Jüngling gereift schien; sie kehrte nach dem Söller zurück und beweinte dort ihren Gemahl in der Einsamkeit. Den Freiern aber, die zu toben und beim Becher Mutwill zu treiben anfingen, trat Telemach auch entgegen und rief in die Versammlung hinein: »Freuet euch immerhin beim Mahle, ihr Freier, aber lärmet mir nicht so, denn das ist eine Lust, dem Sänger in Stille zuzuhorchen! Morgen wollen wir Ratsversammlung halten; da will ich euch frank und frei den Vorschlag machen, nach Hause zu gehen; denn es ist Zeit, daß ihr euch an eurer eigenen Habe wärmet und nicht des fremden Mannes Erbgut vollends aufzehret.«

Die Freier bissen sich auf die Lippen, als sie solche Reden hörten, und konnten über die entschlossenen Worte des Jünglings nicht genug staunen. Aber von seinem Vorschlage, zum Vater Penelopes, Ikarios, zu wandern, wollten sie nichts hören und zankten sich trotzig mit ihm herum. Endlich brachen sie auf, und auch Telemach ging zur Ruhe.

Am andere Morgen sprang er zeitig vom Lager, kleidete sich an und hängte das Schwert um die Schultern. Dann trat er aus der Kammer hervor und gebot den Herolden, die Versammlung der Bürger zu berufen, und lud auch die Freier zu derselben ein. Als das Volk sich gedrängt eingefunden hatte, erschien der Fürstensohn, die Lanze in der Hand; Pallas Athene hatte seiner Gestalt Hoheit und Anmut verliehen, so daß alles Volk den Kommenden anstaunte. Selbst die Greise machten ihm ehrerbietig Platz, und er setzte sich auf den Stuhl seines Vaters Odysseus. Da erhub zuerst der Held Aigyptios, von Alter gebückt und reich an Erfahrung, er, dessen ältester Sohn Antiphos schon mit Odysseus vor Troja gezogen war und erst auf dem Rückwege verunglückte, dessen zweiter Sohn Eurynomos mit unter den Freiern sich befand, während die zwei jüngsten Söhne noch des Vaters Geschäfte zu Hause betrieben, sich in der Volksversammlung und sprach: »Seit Odysseus fort ist, sind wir nicht versammelt gewesen. Wem ist denn auf einmal eingefallen, uns zusammenzuberufen? Ist es ein älterer Mann oder ein jüngerer, und welches Bedürfnis treibt ihn? Höret er etwa Kunde von einem heranziehenden Kriegsheere? Oder hat er einen Antrag zum Besten des Landes zu machen? Nun, gewiß es ist ein Biedermann, der also gehandelt hat; Zeus segne ihn, was er auch im Herzen vorhaben mag!«

Telemach erfreute sich des glücklichen Vorzeichens, das in diesen Worten lag, erhub sich von seinem Stuhle und sprach, mitten unter die Versammlung eintretend, nachdem der Herold Peisenor ihm das Zepter gereicht, indem er sich zuerst dem greisen Aigyptios zuwandte: »Edler Greis! der Mann, der euch berufen hat, ist nicht ferne: ich bin's, denn der Kummer und die Sorge bedrängen mich. Erst habe ich meinen trefflichen Vater, euren Beherrscher, verloren, und jetzt stürzt mein Haus ins Verderben, und alle meine Habe geht in Trümmer. Mit unerwünschter Bewerbung sieht sich meine Mutter Penelope von Freiern umdrängt. Diese sträuben sich, meinem Vorschlage sich zu fügen und beim Vater der Mutter, Ikarios, um die Tochter zu werben. Nein, von Tag zu Tage wenden sie sich an unser Haus, opfern Rinder zum Mahle, halten bei unsern Schafen und Ziegen Schmaus und trinken mir den funkelnden Wein ohne Scheu aus dem Keller. Was vermag ich gegen so viele? Erkennet doch selbst, ihr Freier, euer Unrecht; habt auch Scheu vor andern, vor der Nachbarschaft; bebet endlich vor der Rache der Götter! Wann hat euch mein Vater beleidigt, wann habe ich selbst euch Schaden zugefügt, dessen Ersatz ihr von mir zu nehmen berechtigt wäret? Ihr aber ladet mir unverdienten Schmerz auf die Seele!«

So sprach Telemach, vergoß Tränen dazu und warf zornig seinen Zepter auf die Erde. Die Freier saßen schweigend umher, und keiner außer Antinoos, der Sohn des Eupeithes, wagte es, ihm ein heftiges Wort auf seine Rede zu erwidern. Dieser erhub sich und rief laut: »Trotziger Jüngling, welche Schmähung erlaubst du dir gegen uns? Nicht die Freier haben alles das verschuldet, sondern deine eigene Mutter, die ränkevolle! Drei Jahre, und bald das vierte, sind dahin, und immer noch spottet sie des Wunsches der Achajer. Allen verheißt sie Gunst, bald diesem, bald jenem Manne sendet sie Botschaft zu; aber im Herzen denkt sie ganz anders. Wohl durchschauen wir ihre List. In ihrer Kammer hat sie ein großes Gewebe angefangen, und zur Versammlung der Freier hat sie gesprochen: ›Ihr Jünglinge, wartet mit der Entscheidung und der Hochzeit nur so lange, bis ich das Leichengewand für meines Gemahles alten Vater Laërtes fertiggewirkt habe, daß, wenn er dereinst stirbt, keine Griechin mich tadeln kann, wenn der angesehene Mann als Leiche nicht festlich eingekleidet daläge!‹ Mit diesem frommen Vorwande gewann sie unsere Herzen. Nun saß sie auch wirklich den Tag über da und wirkte an ihrem großen Gewebe, in der Nacht aber beim Kerzenlichte, da trennte sie heimlich alles wieder auf, was sie am Tage gewoben hatte. So entging sie unsern Aufforderungen drei Jahre lang und täuschte edle Griechensöhne. Eine der Dienerinnen, welche sie nachts belauscht hatte, hat uns dieses hinterbracht, und so überraschten wir sie selbst, während sie damit beschäftigt war, ihr Gewebe zu zertrennen. Darauf nötigten wir sie, das Werk zu vollenden. So geben wir dir denn zur Antwort, Telemach, daß dir allerdings vergönnt sein soll, die Mutter hinweg- und zu ihrem Vater zu senden; aber du sollst ihr auch gebieten, sich demjenigen zu vermählen, den ihr Vater auserlesen wird oder den sie sich selbst erwählt. Wenn sie aber die edlen Griechen noch länger verhöhnt und mit ihrem Truggewebe täuschen will, so zehren wir auch noch länger von deinem Gute, und nicht eher weichen wir von deinem Herde und begeben uns an den unsrigen, als bis deine Mutter einen Gatten gewählt hat.«

Darauf antwortete Telemach: »Antinoos, mit Zwang kann ich meine Mutter nicht aus dem Hause verstoßen, sie, die mich geboren und erzogen hat, mag nun mein Vater noch leben oder tot sein. Weder Ikarios, ihr Vater, noch die Götter könnten ein solches Verfahren billigen. Nein, wenn ihr selbst noch Gefühl für Recht und Unrecht habt, so verlasset mein Haus und besorget euch eure Gastmahle anderswo, oder verzehrt wenigstens eure eigene Habe und lasset die Bewirtung im Kreise herumgehen. Wenn es euch aber behaglicher dünkt, das Erbe eines einzelnen Mannes ohne Wiedererstattung zu verschlingen – nun, so tut es! Ich aber werde die Ewigen laut anflehen, daß mir Zeus zur wohlverdienten Bezahlung an euch verhelfe!«

Während Telemach so sprach, schickte ihm Zeus ein Himmelszeichen. Zwei Adler des Gebirges schwebten mit ausgebreiteten Schwingen herab aus den Lüften und umeinander her: als sie der Versammlung über den Häuptern waren, schauten sie drohend herab und fingen dann an, sich selbst mit den Klauen Hals und Kopf zu zerkratzen, dann erhoben sie sich wieder und stürmten rechts hin über Ithakas Stadt. Dies deutete der anwesende greise Vogelschauer Halitherses auf großes Verderben, das den Freiern drohe. Denn noch am Leben sei Odysseus und nahe schon, und der Tod sei allen jenen Männern bereitet. Aber der Freier Eurymachos, des Polybos Sohn, spottete des Zeichens und sagte: »Geh du nach Hause und verkündige deinen eigenen Kindern ihr Geschick, alberner Greis! Uns wirst du nicht betören. Viel Vögel fliegen unter den Strahlen der Sonne herum, aber nicht alle bedeuten etwas. Gewisser ist nichts, als daß Odysseus in der Ferne starb!« Übrigens beharrten die Freier auf ihrem Ansinnen, daß die Mutter Telemachs selbst das Haus verlassen, zu ihrem Vater Ikarios ziehen und dort wählen solle.

Da drang Telemach nicht weiter in sie, sondern er begehrte vom Volke nur ein schnellsegelndes Schiff und zwanzig Ruderer, um zu Pylos und zu Sparta nach dem verschollenen Vater zu fragen. Lebe der, so wollte auch Telemach noch ein Jahr zusehen; sei er tot, so möge ein anderer die Mutter nehmen. Jetzt erhub sich Mentor, der Freund und Altersgenosse des Odysseus, dem der Held, in den Kampf vor Troja ziehend, die Sorge des Hauses anvertraut hatte, daß er, unter der Oberaufsicht seines Vaters Laërtes, alles in Ordnung erhielte. Dieser ereiferte sich zornig gegen die Freier und rief. »Kein Wunder, wenn ein zeptertragender König Recht und Billigkeit vergäße, stets zürnte und grausam frevelte: verdienen es die Menschen doch nicht anders! Wer in diesem Kreise gedenkt jetzt noch des freundlichen, väterlichen Herrschers Odysseus? Prassen doch diese Freier ungestraft von seinem Gute! Und nicht ihnen verdenke ich es, die da im Wahne handeln, als kehre Odysseus nicht wieder! Aber dem andern Volke verarg ich's, das stumm dasitzt und zuschauen mag und auch nicht mit einem Wörtchen es versucht, die frevelnden Freier im Zaum zu halten, so überlegen es ihnen an Zahl ist!«

Aber Leiokritos, einer der frechsten Freier, spottete des Scheltenden und sprach: »Laß immerhin den Odysseus kommen, du alter Schadenfroh; wir wollen sehen, ob er mit uns fertig wird, wenn er uns beim Mahle überrascht! Und glaubet mir nur, Penelope selbst, sosehr sie nach ihm zu schmachten scheint, würde seiner Ankunft sich am wenigsten freuen. Möge ihn das böse Verhängnis vertilgen! Nun, laßt uns scheiden, ihr Männer! Mögen Mentor und der alte Vogelschauer Halitherses die Reise des Knaben Telemach beschleunigen. Aber, was wollen wir wetten? er sitzt noch nach Wochen hier unter uns und erspäht sich hier in Ithaka selbst die Botschaft nach seinem Vater. Nimmermehr vollendet er die Reise!«

Lärmend trennten sich die Freier, und die ganze Volksversammlung tat, ohne einen Beschluß gefaßt zu haben, das gleiche. Jeder ging in seine Wohnung, und die Freier lagerten sich wieder im Palaste des Odysseus.


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