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Äneas nach Karthago verschlagen

Kaum hatte die Flotte Sizilien aus dem Gesichte und segelte fröhlich auf der hohen See dahin, als Juno, die alte Feindin der Trojaner, die vom Olymp auf den Schiffszug herniederblickte, bei sich selber sprach: ›Wie, sollte mein Beginnen auf halbem Wege stehenbleiben? sollte Troja nicht ganz zerstört, sein Volk und Königsgeschlecht nicht mit der Wurzel vertilgt sein? Soll dieser Eidam des Priamus, soll sein Enkel wirklich Besitz von Italien nehmen? Konnte nicht Pallas die heimkehrende Flotte der Griechen auseinanderschlagen und mit Orkanen das Meer durchwühlen, nur um die Schuld Ajax des Lokrers zu rächen: und ich, die Königin der Götter, Jupiters Gemahlin und Schwester, soll dieses eine Volk jahrelang vergebens bekämpfen?‹ Solche Gedanken bewegte sie in ihrem zornigen Herzen und eilte in das Gebiet der Stürme, nach der Grotte des Äolus, des Königs der Winde. Auf ihren Befehl und ihre Bitten, mit reizenden Versprechungen gemischt, ließ dieser sämtliche Winde aus ihrem Verschlusse los; sie stürzten wie Heere zur Feldschlacht heraus, wirbelten durch die Länder, legten sich, Ost und Süd, West und Nord, zugleich auf das Meer und reizten die Wogen gegeneinander auf, in deren Mitte die Flotte des Trojaners schwamm. Ein Jammergeschrei erhob sich unter den Männern, die Taue rasselten, während Blitz auf Blitz zuckte und die Donner durch den Himmel rollten. Äneas pries in diesem Augenblicke alle diejenigen glücklich, die unter Trojas Mauern zu seiner Verteidigung gefallen waren, er beneidete seine Freunde Sarpedon und Hektor um den Tod durch die Hand des Tydiden und des großen Achill. Aber seine Seufzer verwehte der Nordorkan, der die Segel der Schiffe nach vorn riß und diese selbst auf fürchterlichen Wasserbergen bis in die Wolken schleuderte. Die Ruder zerkrachten, die Meerflut brach ein, und die Schiffe legten sich wie sterbend auf die Seite. Drei von den Fahrzeugen schleuderte der Südwind auf verborgene Klippen, drei stieß der Ostwind von der hohen See auf seichte Sandbänke; auf eins, das lykische Bundesgenossen mit ihrem Führer Orontes trug, wälzte sich eine ungeheure Welle nieder und warf den Steuermann kopfüber ins Meer; dann drehte der Wirbel das Schiff dreimal in der Runde herum, und der Abgrund verschlang es. Auch das mächtige Schiff des Ilioneus und Achates, das Schiff des Abas und Aletes überwältigte der Sturm, und das Meerwasser drang durch die lockern Fugen der Planken ein.

Jetzt endlich nahm der Meeresgott Neptunus von dem brausenden Aufruhr Kunde und wunderte sich über die losgelassenen Orkane. Er erhob aus den wilden Wogen sein ruhiges Haupt und schaute sich ringsum. Da erblickte er das Geschwader des Äneas allenthalben im Meere zerstreut und die Schiffe seiner Lieblinge, der Trojaner, von den Wogen bedeckt und in Regengüsse gehüllt. Auf der Stelle erkannte er den Groll und die Ränke seiner Schwester Juno, rief den Ost und West gebieterisch zu sich her und sprach zu ihnen: »Was für ein Trotz hat euer freches Geschlecht ergriffen, so ohne meinen Befehl Himmel und Meer untereinanderzumischen und die Wogen bis an die Sterne zu türmen? Ich will euch...! Doch für diesmal sei eure einzige Strafe, die Meeresflut auf der Stelle zu verlassen; geht und sagt eurem Herrn, nicht ihm sei der Dreizack und die Herrschaft über die See verliehen worden, sondern mir; ihm gehören Felsen und Grotten, wo euer Gemach ist; dort mag er in verschlossenem Kerker über euch herrschen, bis man euch braucht!«

So sprach er, und unter dem Sprechen glättete er die schwellenden Wogen, verscheuchte die geballten Wolken und erheiterte die Luft, daß die Sonne wieder schien. Seine Meeresgötter mußten die Schiffe, die zwischen Klippen geraten waren, von den zackigen Felsen hinwegdrängen; er selbst hob die auf den Sandbänken aufsitzenden mit seinem Dreizacke wie mit einem Hebel und machte sie wieder flott; dann glitt er auf seinem Wagen, von Seerossen gezogen, leicht über den Saum der Flut hin, und das Getöse des Meeres schwieg überall, wohin der Gott mit verhängtem Zügel die Rosse lenkte und einen Blick über die Wasser warf, wie bei einem Volksaufruhr der gemeine Pöbel, der voll Trotzes mit fliegenden Fackeln und Steinen umhertobte, plötzlich schweigt und horchend aufblickt, wenn ein Mann von Tugend und Verdienst erscheint.

Die müden Seefahrer sahen eine Küste vor sich liegen, rafften ihre Kräfte zusammen und steuerten dem Lande entgegen. Es war Afrikas Gestade. Bald nahm sie ein sicherer Port auf. Von der einen Seite winkten sonnige Wälder auf sanften Hügeln, auf der andern starrte ein Gehölz voll schwarzer Schatten an steiler Höhe, im Hintergrunde der Bucht öffnete sich eine Felsengrotte mit Quellen und Moosbänken. Dorthin fuhr mit seinen sieben Schiffen – dies war der ganze Überrest der Flotte – der Held Äneas. Die Trojaner stiegen aus und lagerten sich in ihren triefenden Gewanden dem Ufer entlang. Der Held Achates schlug an einem Kiesel Feuer, fing die Glut in trockenen Blättern auf, nährte sie mit dürrem Reisig und fachte sie durch Schwingen zur Flamme an. Dann wurde das Bäckergeräte und das vom Wasser halbverdorbene Getreide aus den Schiffen ausgeladen und das gerettete Korn mit dem Mühlsteine zermalmt.

Unterdessen erstieg Äneas klimmend einen Felsen mit seinem treuen Waffenträger Achates und ließ oben die Blicke über die weite Meeresfläche hinschweifen, ob er nichts von den vom Sturme verschlagenen Schiffen erblicken könnte, vom Antheus, vom Kapys mit den Fahrzeugen der Phrygier, von der Flagge des Kaïkus; aber kein Schiff begegnete seinem Blick; nur drei Hirsche sah er unten am Strande, denen eine ganze Herde folgte, deren Nachzügler bis tief in ein Tal hinein weideten. Schnell ließ er sich Bogen und Pfeile reichen und streckte den Führer der Herde nieder, einen Hirsch mit hochästigem Geweih; und er ruhte nicht, bis er sieben Tiere erlegt hatte, so viel, als die Zahl seiner Schiffe war. Dann kehrte er zur Bucht zurück; die Beute ward eingeholt und unter die Freunde verteilt. Auch stattliche Krüge mit Wein ließ Äneas aus den Schiffen herbeiholen, die ein Gastfreund an der sizilischen Küste ihm geschenkt, und mit dem süßen Tranke flößte er Trost in ihre kummervollen Herzen. »Freunde«, sprach er, »sind wir doch lange mit Trübsal vertraut, selbst mit größerer als diese gegenwärtige ist; darum laßt uns hoffen, daß ein Gott auch ihr ein Ende machen werde. Rufet nur den alten Mut zurück; in später Zeit werdet ihr euch mit großer Lust an alle diese Leiden erinnern. Denkt nur daran, daß das Ziel so vieler Not und Gefahr Italien ist, daß uns dort unser Geschick ruhige Sitze zeigt, daß dort ein zweites Troja emporblühen wird!«

Der Held sprach freilich diese Hoffnungsworte mit kummervollem Herzen, und er mußte seinen tiefen Schmerz gewaltsam in die Seele zurückdrängen. Indessen schlachteten und brieten die Genossen das Wildbret und labten sich an Schmaus und Wein, über die verlorenen Freunde zwischen Furcht und Hoffnung geteilt sich unterhaltend.


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