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Wieder war Dreikönigstanz. Es war aber anders als im vorigen Jahre. Da war es wohl rechtschaffen kalt gewesen, aber es hatte Klarheit gelegen in der Luft und über den Leuten, ob auch des Eberleins Häuslein versteigert wurde. Dieses Jahr war unfreundliches Wetter. Es regnete und schneite, die Wege waren halb Schmutz, halb Schnee, ein feuchter Wind ging durch die Täler.
Wenn die Gruppen auf den Wegen zusammentrafen, so kuschelten sie sich nicht mit blitzenden Augen froh erwartungsvoll aneinander, sondern sie sahen sich scheu an. »Habt ihr das vom Binsenhofbauern gehört? Wie die Häusler zu ihm gegangen sind! Erst hat er es dem Ebert geweigert, hernach sind sie alle gekommen, die Alten und die Kinder voran, ein Zug zum Erbarmen, haben gebettelt, und er hat sie abgewiesen. Hungert! Dann ist ihnen die Bäuerin nachgelaufen. Der gehört das Moorgut. Der Bauer hat es ihr geschenkt für das Kind. Man weiß nicht, was man dazu sagen soll. Sie hatten kurz zuvor den Kaspar Buschreuter aus dem Eise gehackt. Die Bäuerin hat die Leute an Jakob Sindig gewiesen. Der hat ihnen gegeben, was sie am Moore gebaut haben. Dann hat der Bauer den Richard Meißner ausgetan und Lisa Buschreuter in das Häuslein gesetzt. Die hat von dem Hofe fortgehen wollen. Da ist ihr der Bauer nachgerannt, hat sie wieder zurückgeführt, und jetzt trinkt sie und arbeitet doch nicht.«
Die Bauern hatten sich in der Wirtsstube versammelt. Sie saßen allein. Von den anderen suchte heute keiner Reisigers Gaststube auf. Die waren im Saale, und es lag ein Zorn über ihnen.
Die Männer ballten die Fäuste. »Das hat er getan, der Binsenhofbauer? Du warst doch dabei, Bastian. Wie war es?«
Bastian erzählte. »Und du sagst die Wahrheit? Verdammt! Wir wollen sehen, wie es wird. Aber wenn heute einer in den Saal tritt, die Bauern zu grüßen, den schlagen wir tot. Ja, und den Meißner hat der Bauer kurz ausgetan? Sie machen das jetzt unter der Hand aus, fürchten, daß ihnen der Sindig die Häuslein abbietet.«
Da traten die Bauern in den Saal. Die Musikanten quinkilierten, aber die Leute standen drohend wie eine lebendige Mauer. Wird einer heraustreten, ein Feigling? Valentin Heubacher sprang vor. Mit zwei Schritten stand Aust neben ihm und gab ihm einen Stoß, daß der Schneider halb kollernd in die Mauer hineintaumelte. Die Bauern sahen sich nach dem Vorsteher um. Der war nicht da. Er hatte sich in der Wirtsstube verhalten. »Spielt auf!« schrie Aust den Musikanten zu.
Langsam lösten sich etliche Paare aus der Mauer, aber das Frohe, Behaglich-Protzige war heute wie verbannt. In den Ecken standen erregt sprechende Gruppen. Das hielt jedes laute Aufjauchzen nieder.
Nun war auch der Vorsteher da. Gewandt sprengte er die Gruppen, redete vom Wetter und daß das vergangene Jahr ein mühseliges gewesen sei. Dann fragte er nach dem Langen. Zur Hochzeit sei der, wurde ihm gesagt. Jeremias heirate die Annedore. So, dann werde der Zug jedenfalls hier einkehren, und es werde lustig werden. Das sei wirklich ein kindguter Mensch, der Sindig, nur so unklug, eben wie ein Kind. »Zum Wohle, ihr Leute!«
»Zum Wohle, Vorsteher! – Aber das mit dem Binsenhofe, was sagst du dazu?«
»Wozu? Ich weiß nichts.«
»Daß der Bauer die Leute hungern lassen wollte.«
»Wollte er das?«
»Ja.« Sie erzählten, was der Vorsteher lange wußte, und weswegen er einen harten Strauß mit Heidecker ausgefochten. Der hatte sich trotzig wehren wollen, er habe nur befolgt, was sie der Vorsteher lehre. Da war der Vorsteher auf ihn eingefahren. »Lehre ich euch, daß ihr dumm sein sollt? Weißt du nicht, daß der Bogen springt, wenn du ihn zu scharf anspannst? Hüte dich! Und auf eine Dummheit hast du die zweite gesetzt. Hast die Lisa Buschreuter in des Meißners Häuslein gebracht. Greife in deinen Geldbeutel, greif tief hinein, sonst langt einer nach deinem Halse. Ich halte dich, solange ich vermag, weil du einer von uns bist, aber das sollst du wissen, daß wir nicht alle durch dich zugrunde gehen wollen. Du wirst den Leuten Brot geben. Wie du dich herausfindest, das ist deine Sache, aber hüte dich. Und am Dreikönigstage versuche herauszuziehen, was du in den Dreck gefahren hast. Gute Nacht, Heidecker.« –
Der Vorsteher hörte ernsthaft auf das, was ihm die Leute erzählten. »Ja, das hätte er nicht tun sollen, der Heidecker,« sagte er, »er wird es gut machen. Verlaßt euch darauf. – Zum Wohle!«
»Zum Wohle, Vorsteher!«
Einer stürmte rufend in den Saal. »Sie kommen von Niederau her, Jakob Sindig, Annedore und die anderen.«
Es war ein kleiner Zug, der den Weg daher kam. Voraus Annedore mit Jeremias, die junge Frau das Haupt gesenkt, Jeremias freudig umherblickend. Wunderlich nahm er sich aus neben dem schlanken Weibe, aber es war da gar nichts zum Lachen. Der feine Kopf wog den Buckel auf. Dann kamen Jakob Sindig, hochragend und in ernster Freundlichkeit, und Richard Meißner. Zwischen ihnen ging des Meißner Weib, und hinterdrein kam Robert Lindner. Die Moorleute!
Zurufe begrüßten sie. Gläser wurden ihnen entgegengereckt.
»Wollt ihr vorbei?«
»Ja,« sagte Jakob Sindig.
»Ihr wollt vorbei?« Ganz erstaunt und zweifelnd.
Da waren sie schon vorüber, und Sindig hatte gelacht, so froh und gut, daß ihm niemand böse sein konnte.
Die Leute kehrten in den Saal zurück. Am Dreikönigstage Hochzeit halten und nicht an dem Dreikönigstanze teilnehmen? Stand denn die Welt auf dem Kopfe? Und gar nicht hochmütig hatte Jakob Sindig ausgesehen, frohgemut und war doch vorübergegangen.
Schmale Lippen hatte der Vorsteher, als er hörte, der Hochzeitszug ist vorübergegangen. Und immer wieder die Gruppen, in denen es glimmte und schwelte. Wenn sie der Vorsteher zehnmal auseinanderriß, so schlossen sie sich zehnmal wieder.
»Heubacher,« der Vorsteher zog den Schneider zur Seite, »tu alles, was du vermagst. Mache sie betrunken, mache sie ängstlich. Das brodelt. Wir müssen es niederhalten. Vorwärts!«
Zu den Bauern ging der Vorsteher. »Tanzt, macht euch gemein mit den Leuten. Die Weiber derer zuerst, die am lautesten murren.«
Der Schneider schleppte Arme voll Gläser heran. »Trinkt! Zum Wohle, ihr Herren, zu dienen! Ist mancher übers Jahr nicht mehr unter uns, der jetzt noch dasteht wie ein Baumpfahl.«
»Hast du am Kreuzwege gehorcht, Schneider?«
»Ich bin Diplomat, zu dienen, und ich sage soviel, ich sage nichts, aber ist übers Jahr mancher nicht mehr unter uns, der dies Jahr noch ist wie ein Baumpfahl. Ja, Aust, zu dienen. Zum Wohle!«
»Hast du mich gesehn, Mensch?« brauste Aust auf, erblaßte und faßte den Schneider hart an der Brust.
»Mensch, ich sage nichts. Ich sage: Mancher. Kann ebensogut sagen: Leuschner oder Barthold oder Schreckenbach.«
»Warum nennst du uns, Schneider?«
»Nur so als Beispiel, sage ich, zu dienen.« Und dabei sah er sie mit Grabesaugen an. Die Männer murrten: »Verflucht!« Dann tranken sie, aber sie waren still. Mag niemand gerne, daß der Tod mit Fingern auf ihn weist. Ja und hatte der Schneider nicht voriges Jahr den Martin Hausmann angesehen: »Martin, ist übers Jahr mancher nicht mehr da.« Und heute lag der Martin tot auf dem kleinen Friedhofe.
Die Angst aber peitschte die Lust auf. Und leben wir heute, so laßt uns heute noch lustig sein. Sie entspannte das drohende Ungewitter. In jede der Gruppen war ein Blitz gefahren. Der Binsenschnitter war im Frühjahre durch die Saugrabenfelder gegangen und durch etliche am Bärengraben. Und was war gewesen? Späte Ernte, Regen in der Ernte, ausfallendes Getreide und der traurige Zug Hungernder an den Binsenhof. Trinkt, heute lebt ihr noch!
Der Trunk aber brach wiederum der Angst das Genick. Er machte mutig. Die Lampen im Kronleuchter schwelten, dicke Luft aus Rauch und Dunst wogte im Saale. Der Geruch verschütteter Getränke lag schwer darüber. Lisa Buschreuter, die auch da war, hatte glasige Augen. Tanzte keiner mit ihr. Da wuchsen ihr Zorn und Dreistigkeit.
Sie trat an den Binsenhofbauern heran. »Tanze mit mir!«
»Bist du verrückt?«
»Tanz mit mir!« Lisa Buschreuter schwankte.
»Scher dich zum Teufel!«
»Soll ich in den Saal treten? Ich lache dazu. Soll ich?«
»Komm!«
Sie tanzten. Wie ein Grauen kroch es über die Herzen und unter die Füße der Leute. »Was will das verrückte Weib? Wie sie lallt, und wie ihr die roten Haare flattern! Was hat der Bauer mit ihr? Mit der tanzt er?«
Lachend wie eine Irrsinnige warf sich Lisa Buschreuter in einen Stuhl.
Und langsam rückte aus der Ecke eine Mauer angetrunkener Männer heran. Denen war jäh der Mut gewachsen, als Lisa Buschreuter dem Bauern den Mantel der Achtung von den Schultern gerissen hatte.
»Binsenhofbauer, du hast die Leute verhungern lassen wollen. Ist das wahr?«
»Was schert es euch? Seid ihr Richter über mich und sie?«
»Binsenhofbauer, du hast die Leute verhungern lassen wollen? Ist das wahr?« '
»Sie wollten nicht arbeiten.«
»Wir wollten nicht arbeiten?« Das war einer von Heideckers Häuslern. »Haben wir dir nicht die Ernte unter das Dach gebracht? Ist es dadurch nicht zu spät geworden für unsere eigene Ernte? Wir sind gewöhnt, daß wir gegen das Frühjahr zu euch kommen um Brot und Saat und das im Sommer abarbeiten, so weit wir können. Dies Jahr mußten wir vor Weihnachten kommen.«
»Und du hast gesagt, sie sollten verhungern?«
Die Bauern sprangen ein, voran der Vorsteher. »Leute, Leute, wollt ihr aufrührerisch werden?« Einer der Köhler hielt den Vorsteher zurück. »Geh, Vorsteher, du bist noch der menschlichste unter ihnen. Mit dem da aber müssen wir abrechnen.«
»Weg da!« schrie Aust und warf den Leinert zur Seite und den Kreuzbauern. Eingekeilt in drohende Enge stand Heidecker, totenfahl und zitternd, winselte und wollte heraus aus dem Kreise.
»Ist mancher übers Jahr nicht mehr da, der Heuer noch steht wie ein Baumpfahl!« schrie der Schneider.
»Schlagt das Rabenaas tot!« brüllte Aust. Der Schneider aber entschlüpfte der nach ihm langenden Hand.
»Hast du das getan, Bauer? Du wolltest die Alten und die Kinder verhungern lassen?« fragten die Richter unbarmherzig.
»Nein,« schrie Heidecker, »nein!«
»Tritt her, Anton Föhrenbach. Hat er das getan?«
»Ja.«
»Drauf!«
»Löscht die Lampen!« gebot der Vorsteher. »Aus der Tanz, aus!«
»Herunter von der Leiter, die Hand von den Lampen!«
»Wollen wir den da totschlagen?« fragte einer der Köhler kaltblütig und wies auf den am Boden liegenden, jämmerlich zerschlagenen Heidecker.
Da trat Lisa Buschreuter heran. Sie zerteilte die Menschenmauer. So verdutzt waren die Männer durch das Dazwischenfahren des Weibes, daß sie zur Seite wichen. Und nun hingen sich ihnen die eigenen Weiber und Töchter in die Arme.
»Um Gott, was tut ihr? Um Gott!«
Lisa Buschreuter hob Heidecker empor und wollte ihn zur Tür ziehen. Da schob sie der Vorsteher von dem Bauern fort. »Scher dich, betrunkenes Weib!« Heidecker lehnte sich an ihn. Einen Augenblick ließ der Vorsteher seine Augen über den Knäuel gleiten, der sich langsam auflöste, dann über die, die an den Seiten des Saales saßen und standen. Darauf wandte er sich und führte den Binsenhofbauern hinaus. – – –
»Jetzt müßte man an zwei Orten zugleich sein können,« sagte Jakob Sindig unterwegs heiter, »ich mochte wohl hören, was sie jetzt von uns bei Reisiger reden.«
Es antwortete ihm aber keines. Jeremias lebte zu stark in seinem Glücke, Richard Meißner in seinem Zorne und sein Weib in ihrer Trauer.
Als sie das Lokwatal hinanstiegen, nahm Meißner sein Weib an der Hand. »Dort, du, dort haben wir gewohnt, und heute haust die Lisa da. Das sage ich dir: Zurück gehe ich nicht wieder, und wenn ich darüber zugrunde gehen sollte. Das tue ich nicht. Einen Strich habe ich gemacht unter das, was gewesen ist. Jetzt fangen wir neu an, und da soll es aufwärtsgehen.«
Jakob Sindig sah ihm in das Gesicht. »Meißner, in zwei oder drei Jahren kann man weiter darüber reden. Für jetzt seid ihr aufgehoben.«
Am Binsenhofe stand Gertrud Heidecker. Sie nötigte zur Einkehr. Marlene war heute nicht zum Dreikönigstanze gegangen. Sie wollte den Jungen betreuen, wenn die Bäuerin am Moore war. Das Vieh versorgte auch dieses Jahr der alte Ebert.
In der Stube hatte die Altmagd den Kaffeetisch gerichtet. Sie ermunterte zum Zulangen und beobachtete verstohlen den Bräutigam. »Jakob,« sagte sie laut, »du hattest recht mit dem, was du neulich sagtest.«
»Daß Heiraten eine Dummheit sei?«
»Tölpel! Das habe ich gesagt. Du verstehst davon nichts, du Guck-in-die-Welt.«
»So war es, daß du keinen – –«
»Halt das Maul, das hat die Bäuerin gesagt, und ich habe ihr gezeigt, daß dem nicht so ist.«
»So weiß ich jetzt aber wirklich nicht, was du meinst.«
»Ich auch nicht. Dann sind wir einig.«
»Marlene, wie alt bist du?«
»Als ich noch so ein Kind war wie du heute, da sagte ich es noch, jetzt nicht mehr. Was fragst du danach?«
»O, ich überlege eben. Am Ende,« er neigte den Kopf und sah sie lustig blinzelnd von der Seite her an. »Ich bin lang, und du bist breit, am Ende paßten wir zusammen.«
»Was sich so ein Mensch einbildet! Fft, so viel mache ich mir aus dir.«
»Schade, Marlene.«
Die sah ihn zornig an, und die andern lachten, auch Gertrud Heidecker.
Da nahm Marlene das Kind aus der Wiege.
»Jetzt wird unser Jung bald ein Jahr. Schaut ihn euch an. Was für einer das ist. Und klug ist er, klug! – Wollen wir tanzen?« Das Kind langte mit den Händchen nach Marlenes ausgestrecktem Finger. »Tanzdidelei, tanzdidelei.« Der Knabe krähte, und die Altmagd drehte sich langsam mit ihm.
Jakob Sindig aber erhob sich. »Heiß habt ihr das, heiß! Da muß ich an die Luft.« Er ging hinaus.
»Lege das Kind nieder, Marlene,« gebot die Bäuerin, »und wenn es euch recht ist, so gehen wir jetzt hinauf an das Moor.«
Im Hinausgehen erhaschte Marlene Annedore am Ärmel, zog sie in die Küche, machte drei Kreuze über sie und murmelte einen alten Segen. »Du,« wisperte sie, »das ist vom Herrgott. Voriges Jahr um die Zeit warest du nahe daran, ein Verkehrtes zu tun. Nun hast du heimgefunden. Der Jeremias wird dich gut halten. – Ich wünsche dir ein kleines, sicheres Glück, Annedore. – – Auf dem Hofe geht es bergab.«
Sie schob die Braut aus der Küche und eilte an die Wiege zurück. –
Auf dem Moorgute machte heute Hanna Meißner die Wirtin. Eine sonderbare, glückschwere Stimmung webte durch den Raum mit den angeräucherten niedrigen Deckenbalken. Sie sprachen leise, als dürften sie nicht laut reden, das Glück nicht zu verscheuchen. Hanna Meißner stellte dem Brautpaar den Teller mit Suppe hin. Nur einen Teller für zwei. Daraus löffelten sie und achteten darauf, daß keines den Löffel eher weglege als das andere, damit nicht eines vor dem anderen sterbe. Gertrud Heidecker saß neben Jakob Sindig. Sie sprachen vom Dreikönigstanze, von der Moorarbeit, Jakob erzählte von den gewaltigen Mooren Norddeutschlands, und daß der Wirt in der Heideschenke verächtlich gesagt: »98 Mörgen, dat supt bi uns en oller Osse ut.« So wenig fürchtete man sich da vor der Arbeit, die Jakob lange Zeit schwere Sorge gemacht hatte.
Nach dem Mahle bat Jakob die Bäuerin, einen Augenblick mit ihm an das Fenster zu treten. Hier legte er ihr ein Schriftstück vor und bat sie, ihren Namen darunter zu setzen.
Auf dem Papier stand: »Nach vorherigem Vereinbaren versprechen wir mit Hand und Mund, dem Jeremias Tautenbach und seinem Weibe Annedore ein Viertel des ausgetrockneten Moores als Eigentum zu geben, daß sie für sich und ihre Kinder eine Heimat haben. Jakob Sindig.« Daneben schrieb die Bäuerin: Gertrud Heidecker geborene Mörheimer.
Sie kehrten an den Tisch zurück. Jakob legte den Zettel vor das Brautpaar hin. »Das hebe auf, Jeremias, und wenn es Zeit ist, dann bringen wir das vor dem Gericht in Ordnung.«
Als Annedore das Blatt gelesen, weinte sie, warf sich der Bäuerin an den Hals und konnte nicht danken. Jeremias hielt Jakob Sindigs Hand fest. »Jakob,« aber dann war es alle, wie er auch schluckte.
Jakob ging mit Gertrud Heidecker an das Moor.
»Als ich das erstemal ernsthaft las, wieviel Erde man bewältigen müsse,« hub er an, »da saß ich in der Kammer auf dem Binsenhofe. Es war Winter, der Abend, an dem ich an Wilm Larns schrieb, und es wurde mir doch so heiß, daß ich den Rock abwerfen mußte. Das sind Zahlen, sage ich dir, Zahlen, die da stehen! Und willst du glauben, daß wir dennoch genau nach dem gehen, was der Mann aufgeschrieben hat? Ich habe nicht gelernt, das auszurechnen, aber könnte ich es, so käme schon eine große Zahl von Kubikmetern zusammen, die wir ausgehoben haben. Du glaubst nicht, wie froh mich das macht.«
Gertrud Heidecker sah ihn an. »Jakob, ich meine, du bist gewachsen. Erst schien mir, du seiest einen Kopf größer als ich, jetzt sehe ich, daß es zwei sind.« Da wehrte Jakob ab. »Das mußt du nicht sagen. Du hast mich nicht gekannt.«
»Nein,« lachte die Bäuerin leise, »nein wirklich nicht.« Dann ernst: »Jakob, mir ist, als läge ganz fern, irgendwo ein Land, das hell ist und schön, und als gingen wir darauf zu. Es ist noch ein weiter Weg bis dahin, liegen auch viele Steine da, und stehen Dornensträucher am Rande, die nach uns langen, aber wir gehen doch darauf zu. Nun müssen wir achten, daß wir nicht halbwegs wieder umdrehn. Voran führt uns, was wir begonnen haben. Du mußt nicht falsch denken. Ich weiß wohl, was ich sage, und, glaube mir, es ist keine Untreue. Es muß alles seinen Weg gehen, ja, das muß es. Ich hatte Sorge, daß du dich an eine Sache wagen würdest, die kein Mensch ausführen kann. Jetzt sehe ich, daß du abgelassen hast davon und doch im Grunde dasselbe tust, nur auf rechtem Wege.« Sie reichte ihm die Hand. »Du bist gewöhnt, lange Schritte zu machen, Jakob Sindig, und,« endete sie lächelnd, »wenn ich einmal nicht mehr mit schreiten kann, so fliege ich. Das kann ich, du darfst es glauben. – Nun wollen wir wieder in das Haus und wollen fröhlich sein.«
Und Jakob Sindig war fröhlich. Es gab ein Land, ein Sonnenland, das war ihm bestimmt. Steine im Wege, Dornen am Rain? Was fragt Jakob Sindig danach!
Richard Meißner hatte sich seinerzeit aus Josephs Kasten eine Mundharmonika ausgewählt. Darauf spielte er oft und vertraute ihr sein Leid an.
»Hole deine Mundharmonika,« bat ihn Jakob.
Meißner spielte allerlei Lieder, dann etliche Tänze. Annedore und Jeremias lehnten aneinander und wiegten sich leise im Takte. Das war ihr Dreikönigstanz, und war keiner auf dem Saale so still glücklich als die zwei in der niedrigen Stube des Moorgutes.
»Bei Wilm Larns singen sie ein Lied vom Pastor seiner Kuh,« sagte Jakob Sindig, »merkt auf, ich will es euch vorsingen. – Sing'n wie mal dat nige Lied, nige Lied, nige Lied, wat in Dörpe is passiert mit unsen Paster sin Kauh.«
Gertrud Heidecker und Annedore lachten dazu, Hanna Meißner aber horchte ernsthaft auf. »Jakob, sag, wohnen da Schwarze? Manchmal ist es einem, als könne man etwas verstehen, und hernach ist es doch anders, als man gedacht hat.« –
Die Bäuerin rüstete sich zur Heimkehr. Bevor sie ging, nahm sie bedeutsam Annedores Myrtenkrönlein mit dem kurzen Schleier von deren Scheitel und riß einen Schlitz in das feine Gewebe.
»Alles Gute,« sagte sie und reichte ihr die Hand.
Jakob begleitete die Bäuerin hinab nach dem Hofe. Sie ging ihm dicht zur Seite. Der Wind stieß grob von den Bergen herein, es war finster, und zu seiten des Weges rann in dünnem Faden das absickernde Moorwasser. »Bäuerin,« hub Jakob an, »das mit den armen Leuten war, scheint mir, arg hart von dem Bauern und unklug. Ich fürchte, daß er es im Frühjahre bereuen wird.«
»Ja. Es ist manches anders geworden auf dem Hofe, Jakob, aber nichts besser. Alles hat seine Zeit und kommt auf uns zu, ganz ungerufen. Für die Höfe kommt gewiß manch harter Tag.«
Sie sprachen wieder über die Hanghäusler und die Bauern, und als sie dem Binsenhofe nahe waren, sagte Jakob Sindig: »Es war ein langer Weg herunter.«
Gertrud Heidecker lächelte. »Wir starken Leute! Nun haben wir die ganze Zeit von den anderen gesprochen, um nicht von uns reden zu müssen. Wir starken Leute!«
»Und dabei war es Furcht,« setzte Jakob hart dagegen.
»Meinst du nicht, daß auch die heilsam ist?« fragte die Bäuerin.
»Ja, aber ich mag sie nicht. Ich gehe gerne den Gespenstern zu Leibe.«
»Wenn ihre Zeit da ist, Jakob. Die muß man abwarten. Bis dahin darf man nicht daran rühren. Gute Nacht.«
Jakob Sindig kehrte heim, ging langsam und gedankenschwer und trat im Hause leise, leise auf.
Als er am Morgen Jeremias vor der Kammer begegnete, reichte er ihm die Hand. »Du Glücklicher. Nun hast du dein Glück mit reinen Händen nehmen dürfen. Nun bist du ganz reich für immer.« –
In derselben Nacht brachte der Vorsteher den arg zerschlagenen Binsenhofbauern heim. Nicht, daß der schwer verletzt gewesen wäre, aber es waren nicht viele Stellen an seinem Körper, die die harten Fäuste nicht getroffen hätten. Der Bauer stöhnte nicht. In seinen starren Augen lag noch die Angst, die ihn überfallen, als seine harten Richter ihn umdrängt hatten. Nur das Nötigste sagte der Vorsteher, dann ging er heim.
Die Bäuerin mühte sich um ihren Mann, aber er ließ es nur widerstrebend geschehen. Anderen Tages begann er zu schimpfen. Auf den Vorsteher und die Häusler. »Der Vorsteher predigt es uns, hart zu sein, und sind wir es, dann schilt er uns dumm.«
Gertrud antwortete nicht darauf. Der Bauer aber geriet in starke Erregung: »Zu gut sind wir mit den Leuten. Austun müssen wir sie alle, alle. Sind wir gutmütig, erhöhen ihnen den Lohn und geben ihnen Brot, so werden sie um so eher aufsässig.«
»Was du ihnen an Brot gibst, das bezahlen sie dir mit ihrer Arbeit, und nimmst du ihnen die Häuser, so nimmst du dir zuletzt die, die deine Äcker bestellen.«
»Du redest wie eine Häuslerin, nicht als wärest du die Bäuerin auf dem Binsenhofe. Ich war ein Narr, als ich dich zum Weibe nahm.«
»So laß mich gehen.«
Der Bauer starrte sie erschrocken an. »Willst du auch aufsässig werden?« Dann weinerlich: »Niemanden habe ich, an den ich mich anlehnen könnte, niemand. Du willst von mir gehen?«
»Wenn du mich gehen heißest, ja. Sonst halte ich aus neben dir; aber du bist anders geworden, als du früher warst.«
»Anders? Ach ja, seitdem ich auf dem Boden – –«
»Das war abgetan. Früher wärest du nie so hart gewesen mit den Leuten. Sie kommen jedes Jahr. Haltet ihr es für euer Recht, daß euch die Leute dienen, so ist es das ihre, eure Hilfe anzurufen, wenn sie in Not sind. Und den Richard Meißner hast du kurzerhand ausgetan und Lisa Buschreuter in das Häuslein gesetzt. Ich hätte sie auf dem Hofe wohl brauchen können.«
»Rede mir nicht von dem Weibe!« Der Bauer warf sich zornig hin und her. »Sie sind auf mich zugekommen und haben mich zerschlagen. Die Häusler den Bauern!«
»Die Häusler? Wer von ihnen war dabei?«
»Ich weiß es nicht, aber den Bastian sah ich und den Anton Föhrenbach.«
»Was hast du nun vor?«
»Austun, austun!«
»Sie sind nicht arg verschuldet.«
»Arg oder nicht. Sie sollen heraus!«
Da kam der Gemeindebote und lud die Bauern für Ende der Woche auf den Hof des Vorstehers.
»Er will uns Lehren geben,« keifte der Bauer, »das will ich ihm austreiben. Zu seinen Worten steht er nicht, so soll er uns unsere Wege gehen lassen.« – –
Der Vorsteher suchte am zweiten Abende nach dem Dreikönigstanze Lisa Buschreuter auf. Die war verwundert, als der Besucher eintrat. Des Meißners Stüblein war früher traulich gewesen. Jetzt war es kalt und kahl. Es fror einen, wenn man eintrat.
»Was willst du, Vorsteher?« fragte Lisa mißtrauisch.
Der ließ sich nieder und sah ihr so scharf in die Augen, daß sie den Blick nicht aushielt.
»Lisa,« sagte er, »ich bin zu dir gekommen, dir einen Vorschlag zu machen, den du annehmen wirst. Hörst du, du wirst ihn annehmen.«
Lisa lachte. »Das weiß ich noch nicht. Es kommt darauf an. Ich habe keine Not, wüßte nicht, was ich anders sollte haben wollen.«
»Doch, Lisa, du hast Not. Ich sehe es an deinem Gesicht und an deiner Stube. Da friert es einen.«
»Es ist kalt draußen. Ich will besser einheizen.«
»Das ist es nicht. Heize, soviel du magst, es bleibt kalt.«
»Da muß ich lachen.«
»Um nicht heulen zu müssen. Lisa, du hungerst, hungerst nach Menschen.«
Lisa lachte, aber es war mehr ein jammervolles Stöhnen.
»Ich komme, um dir zu helfen.«
»Lüge nicht, Vorsteher; dem Binsenhofbauern willst du helfen.«
»Du bist klug, Lisa, klüger, als ich geglaubt. – Gut, dem Bauern, aber auch dir. Was du tust, das tust du, dich zu betäuben. Und es gelingt dir doch nicht. Du bist daran, dich mit der Flasche zu trösten. Auch damit betäubst du dich nur; denn du kannst nicht immer trinken, wirst dazwischen hinein nüchtern. Den Bauern aber willst du verderben und nicht um Kaspars willen.«
»Was weißt du von dem?« fuhr Lisa auf.
»Ich will es dir sagen. Kaspar ist nicht freiwillig in das Moor hineingegangen und hatte sich auch nicht verirrt. Einer, dem er im Wege war, hat ihn hineingestoßen. Ich will keinen Namen nennen. Es könnte häßlich von den Wänden widerklingen. Hättest du deinen Mann liebgehabt, hätte die Hand, die ihn aus dem Wege schleuderte, dir ein Glück zerbrochen, so hättest du ein Recht, zu hassen. Es ist dir aber kein Glück zerbrochen worden.«
»Nein,« schrie das Weib in erwachendem Zorne, »nein, darum hasse ich den Bauern nicht, aber er ließ mich allein in meiner Angst in den langen Tagen und den wilden Nächten, kam nicht zu mir, wie ich auch nach ihm geschrien habe. Da habe ich das Grauen kennengelernt. Kennst du das, Vorsteher? Das ist wie eine Peitsche, die niederfällt Tag und Nacht und einen Tag wie den anderen, immer gleich. Und die Peitsche ist über dir, du magst den Kopf unter das Bett stecken oder du magst laufen, arbeiten oder ruhen. Da hat er mich allein gelassen, der doch den Weg an das Moor sonst immer gefunden hat. Kein Herz hat er, kein Herz! Und in den Nächten liegt ein Eisklumpen neben mit. – Was tut es, wenn ich den Bauern quäle? Er spürt es nicht, er hat kein Herz!«
»Doch, Lisa,« sagte der Vorsteher ruhig, »er hat ein Herz, ein kleines nur, und das lebt jetzt in Angst und Entsetzen, macht den Mann unruhig und unfrei, auffahrend und weinerlich, hart und wieder wie ein Kind, aber er hat ein Herz. Lisa, wenn du es recht bedenkst, so bist du schuld an dem, was geschah.«
»Ich?«
»Ja. Ich will nicht richten, aber wärest du dem Kaspar das, was man ein treues Weib nennt, dann lebte er heute noch, und du brauchtest nicht vor dem Eisklumpen zu zittern. Da du es nicht warest, so ist daraus gekommen, was mußte. Du bist schuld, daß der Bauer so hart gegen die Häusler war, du bist schuld, daß sie ihn schlugen, etwas, das nie vorgekommen ist, solange ich denken kann. Du hast den Mann gejagt. Abjagen wolltest du ihm nicht den Hof, sondern sein Ansehen, weil du wußtest, daß dann der Hof von selber folgen muß. So siehe das an, so ist es richtig. Ich habe gesehen, wie die Männer im Saale standen, seit Stunden schon, aber es wagte sich keiner an Heidecker heran. Erst als du ihn zwangest, mit dir zu tanzen, als du ihm den Mantel der Achtung, den ihm sein Besitz um die Schultern legt, herabrissest, da fanden sie den Mut.«
»Ist es eine Schande, mit mir zu tanzen?« fragte Lisa unter aufquellenden Tränen.
»An dem Dreikönigstage war es eine; denn du warst – betrunken.«
Da legte Lisa Buschreuter das Gesicht in die Hand.
Der Vorsteher aber redete weiter. »Was hilft es dir, wenn du den Binsenhofbauern herabgerissen hast von dem Platze, auf den ihn die Geburt gesetzt? Gewinnst du etwas dabei? Du tust deiner Rache Genüge, aber tötest du damit deine inwendige Angst? Hört dann die Peitsche auf, dich zu schlagen? Glaubst du, der Bauer sei in geringerer Not als du? Von der aber kann ihn niemand erlösen. Die muß er tragen, und es ist gerecht. Was nützt es dir, wenn durch dich die Häusler aufsässig werden, wenn die Bäuerin aus dem Hofe herausgeht, ihr Kind an der Hand und nichts mitnimmt von allem, als was sie auf dem Leibe trägt? Dann hättest du deine Rache, aber du hättest zwei elend gemacht, die dir nichts zuleide getan haben, die Kinder sind, ob sich auch die eine Mutter nennt. Könntest du so entmenscht sein?«
»Die Bäuerin,« keuchte Lisa, »die habe ich lieb. Vor die habe ich mich gestellt, als er sie schlagen wollte.«
»Er wollte sie schlagen?«
»Ja, zweimal, zuletzt an dem Tage, da sie den Häuslern das Brot gab, das auf dem Moorgute gewachsen war.«
Der Vorsteher strich sich über die Stirne. »Du siehst, wie er außer sich ist. So hätte er nie getan, wäre er, wie er früher war. – Ich muß wieder von dir reden. – Es ist kalt in der Stube, öde und unheimlich. Du hast gegen dich gewütet, als du hierher zogest. Ich meine es gut mit dir, Lisa. Du brauchst Menschen, Menschen, die frei gehen und freudig. Unter denen wirst du wieder zu dir selber kommen. Hier gehst du jämmerlich zugrunde, bist allein und doch nicht allein; denn der Schatten ist neben dir. Komm zu mir auf den Hof. Da bist du unter Menschen, wie du sie brauchst. Ich will dafür sorgen, daß man dir freundlich begegnet. Das wird dir wohltun. Nicht von heute zu morgen, aber mit der Zeit wirst du wieder lernen, wahrhaft allein zu sein, wirst du wieder lernen, ein stiller Mensch zu sein. Dann hast du die Peitsche aus der Luft herabgerissen. Habe Vertrauen, komm mit.«
Lisa Buschreuter weinte, und ihr Weinen war so ungestüm, so tief, daß all ihr selbstbereitetes Leid aufgewühlt wurde, und es war so stark, daß es ein gut Teil des zusammengetragenen Hasses wegspülte.
»Ich danke dir, Vorsteher,« sagte sie zaghaft, »und will es mir überlegen.«
»Gut. Komme, wann du magst. Du wirst Menschen finden, die Vertrauen zu dir haben.«
Er ging. Lisa Buschreuter aber wanderte ruhelos in ihrer Stube auf und ab. Stunde auf Stunde wanderte sie, dann kroch sie auf ihr Lager, krümmte sich zusammen, daß sie ganz klein war, und hatte zum ersten Male das Gefühl, als rücke der Eisklumpen von ihr ab, so daß die erstarrende Kälte allmählich an Gewalt verlor.
Auch am anderen Tage war sie noch in harter Not. Der ganze Tag ein Ringen, jäh aufspringend zum Entschlusse und zusammenbrechend in Mißtrauen, glühend in durstiger Rache und leidvoll in Sehnen nach Erlösung.
Am Abend trat der Vorsteher vor das Tor seines Hofes. Da drückte sich neben ihm ein Weib in die Ecke. Er ging auf sie zu. »Komm, Lisa Buschreuter!« Dann führte er sie in die Stube. »Seht,« sagte er, »da ist Lisa Buschreuter. Sie hat viel hinter sich, viel Not, und verdient, daß ihr freundlich zu ihr seid.
Und das am Vertieren gewesene Weib wachte auf. Staunend sah sie, mit welch schlichter Freundlichkeit der kluge Vorsteher mit seinen Leuten umging, und wie die an ihm hingen.
Seine Hanghäusler kamen um Brotgetreide. Er gab es ihnen mit freundlichen Worten und ermahnte sie, nicht zu verzagen, weil kommenden Tagen eine Last auferlegt ward.