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Lisa Buschreuter war auf dem Binsenhofe. Da war sie schon einmal gewesen. Wie lange war das her? O, nicht eben lange. So an die fünf bis sechs Jahre. – Der Bauer hatte geheiratet und Lisa auch. Den Kaspar Buschreuter hatte sie genommen. Der hatte eines der jämmerlichsten Hanghäuslein gehabt. Ganz zuoberst am Waldrande hatte es gelegen, und er war dem Heidecker verschuldet. Die Äcker hatte Kaspar nicht mehr bestellen können, weil ihm Vater und Mutter rasch hintereinander gestorben waren, er selber aber auf dem Binsenhofe arbeiten mußte. Da er keine fand, die den Kampf in einem der elendesten Hüttlein aufnehmen mochte, hatte er das Land liegen lassen müssen. Nach zwei regenreichen Jahren waren die Äcker für immer verdorben gewesen. Noch aber stand das Häuslein, und Kaspar ging allabendlich heim, um auf eigenem Lager zu ruhen. Dann kam ein schneereicher Winter. Der Weg zu dem Hanghäuslein wurde beschwerlich. Kaspar blieb auf dem Hofe über Nacht, einmal, zehnmal, dann immer. Und als die Frühjahrsstürme tobten, da rissen sie das Dach von Kaspars Hütte, das Wasser setzte sich im Gebälk fest. Nun holte Kaspar seine Habseligkeiten und nahm, was ihm der Bauer aus Gnade und Barmherzigkeit bot, Lisa und den Dienst am Moore.
Heidecker ließ das Häuslein abbrechen und verbrannte das Gebälk in dem Ofen des Binsenhofes. Kaspar wußte nichts davon, und als er zwei Jahre später einmal in Heimatsehnen die Stätte suchte, an der er seine Kinderträume geträumt, da waren ein paar kärgliche Mauerreste alles, was er noch fand.
Nun schleppte er das Leben, das ihm der Bauer bereitete, bis es ihn ekelte und er sich abwandte. Dann begann er an Jakob Sindig zu wachsen, aber er war ein Tor. Als er mit Heidecker rang, da lähmte ihm die Scheu vor des Bauern Herrentum den Arm und so hackten sie ihn als Eisklumpen aus dem Moore. Das war Kaspar Buschreuters Leben gewesen.
Sein Weib aber war wieder auf dem Binsenhofe. Sie ging wortkarg und düster ihrer Arbeit nach, lehnte sich nicht auf gegen das, was ihr die Bäuerin sagte; aber wenn ihr der Bauer eine Arbeit auftrug, so glomm es wie Widerspruch in ihr empor, ob auch oft kein Grund dazu da war.
Heidecker hatte nie so viel von seinen Leuten gefordert als diesen Sommer. Lorenz fehlte, Wilhelm war unlustig, die Bäuerin wurde von der Pflege des Kindes in Anspruch genommen, Jakob Sindig hatte ihm kürzlich sagen lassen, er habe derzeit so viel auf den Äckern am Moore zu tun, daß er nicht kommen könne. So mußten die Häusler mehr schaffen als sonst. Nicht das schwächste Kind durften sie zurücklassen. Sie fingen an, laut zu murren. Heidecker schalt und schalt. Nie vernahm einer ein Wort der Anerkennung. Die Häusler beugten sich knirschend oder stumpf, je nach ihrer Art, aber Lisa Buschreuter warf dem Bauern eines Tages die Arbeit vor die Füße.
»Du bist ein Tier, Bauer,« schrie sie, »ein unvernünftiges!« Als Heidecker auf sie einfahren wollte, da trat sie mit lodernden Augen vor ihn. »Ich habe das ausgehalten, nun Wochen hindurch und Monate, jetzt ist es genug. Meinst du, ich ginge froh unter der Arbeit? Um meinetwillen habe ich gewerkt, nicht um deinetwillen. Was schert mich der Hof? Ich wollte müde werden, weil die Nächte gräßlich sind, und weil es mir ist, als läge ein Eisklumpen neben mir auf dem Bette. Schlafen wollte ich. Ich kann es nicht, so nicht und so nicht. Du hilfst dir beim Wirte. Vielleicht, daß ich auch nach der Flasche greife. Es wäre nicht das Dümmste, was ich tun könnte. – Ich komme nicht wieder zur Arbeit.«
»So jage ich dich vom Hofe!« ließ sich der Bauer hinreißen.
Lisa lachte auf, als habe der Bauer einen Spaß gemacht.
»Du?«
Dann drehte sie ihm den Rücken und ging davon.
Und wiederum geschah nicht, was gerechter Sinn erwarten mußte. Lisa blieb auf dem Binsenhofe. –
Reinhold Ebert, einer der Häusler, die Heidecker verpflichtet waren, ein bedächtiger, stiller, alter Mann, trat an den Bauern heran: »Bauer, laß uns an unsere Äcker gehen. Das Getreide wird überständig.«
Heidecker aber fuhr den Alten an. »Eure Äcker nach den Hofäckern. Nicht anders. Wollt ihr aufsässig werden? Hat euch das Jakob Sindig gelehrt?«
»Ich habe nie mit Jakob Sindig ein Wort geredet. Und – aufsässig werden? Bauer, du hast uns fest genug in der Hand. Wäre es wie früher, so würde keiner ein Wort verlieren, aber weil es dir an Leuten fehlt und die Hangäcker dies Jahr mehr Arbeit machten als sonst, wird es für unsere Ernte zu spät. Sonst waren wir um die Zeit an unserer Arbeit. Ich bitte dich, Bauer, laß uns heim.«
Der Bauer aber achtete nicht auf des Alten Flehen. Er blieb hart. So brachte er seine Ernte unter Dach.
Als aber die Häusler an die ihre gehen wollten, begann es zu regnen. Es regnete eine Woche, zwei, die Halme wirbelten durcheinander und, so dünn sie standen, sie sanken. In den Ähren begann es zu wachsen. Weiße Fäden wuchsen aus den Körnern und grüne Spitzen. Dann kam die Sonne wieder und röstete die Frucht. Wenn die Halme unter der Sichel niederfielen, regneten die Körner auf das Feld. Das Getreide fiel aus. Das Korn aber, das die Leute ernteten, gab schwarzes grobes Brot, das derb war und schwer wie Stein.
Reinhold Ebert war der erste, der um Weihnachten, demütig die Mütze in der Hand, vor den Binsenhofbauern trat: »Bauer, unser Brot ist alle.«
»Was schert es mich?« antwortete der Bauer grob.
»Ja und ich bitte dich – –«
»Was?«
»Wie es immer gewesen ist.«
»Wie es immer gewesen ist? War das immer so, daß ihr murrtet und die Arbeit nicht tun wolltet?«
»Bauer, hätten wir heimgedurft, als es Zeit war, so brauchte ich nicht jetzt schon bittend vor dir zu stehen.«
»So bin ich schuld?«
»Das habe ich nicht gesagt. Das Wetter war wohl schuld, aber du weißt, wie es uns ergangen ist, daß es regnete, das Getreide wuchs und hernach ausfiel. Ich bitte dich, Bauer, gib uns Brot!«
»Ich habe nicht mehr, als ich selber brauche. – Ebert, es war nicht so, wie es früher war, und es ist nicht mehr so.«
»Bauer,« bat der Alte in Angst, »gib uns Brot, sonst müssen wir hungern.«
»Hungert! Werdet, wie ihr waret, dann werden wir auch wieder, wie wir waren. Jetzt lernt den Hunger kennen. Der wird fertigbringen, was unser Gutmeinen mit euch nicht erreichte. Es ist nicht not, daß wir darum die Hand rühren.«
Er wandte sich ab, und der Alte schlich gebrochen hinaus.
Während Ebert unterwegs war, saß sein Weib am Ofen. Sie redete mit den Kindern ihrer verwitweten Tochter, die bei den Eltern wohnte, wie es ihr das einfältige, gute Herz eingab, hatte die dürren Hände ineinander gelegt; sah gerade vor sich hin und sprach mit dünner Stimme, gleichmäßig, wie wenn ein Spinnrad langsam schnurrt.
»Es ist einmal eine Zeit gewesen, da die Menschen nicht wußten, was Not war. So lieb hatten sie einander, daß keiner von seinen Gütern sagte, daß sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemein.«
»Großmutter,« fragte das Evele dazwischen und legte ihre warmen Kinderhände auf die blutleeren Altmütterleinfinger, »waren da auch Bauern unter ihnen?«
Die Alte aber überhörte die Kinderstimme. Ihr Gemüt blühte auf in dem Schönen, das einmal gewesen war, und in die müden Augen trat ein warmes Licht. Die Stimme steigernd, baute sie weiter: »Die da Äcker oder Häuser hatten, verkauften sie, brachten das Geld und legten es zu der Apostel Füßen. Ach Gott,« unterbrach sie sich, der Tochter zugewandt, die aus der Kammertür trat. »Frida, das ginge zu weit, nein, das wäre zu viel. Äcker und Häuser verkauften sie. Was müssen sie für ein Leben gehabt haben. Am Ende alle Tage Butter auf das Brot und jeden Sonntag ein Stück Fleisch im Topfe. Was sagst du, Frida? Ich bitte dich.«
Die Tochter der stillen Leute war selber ein demütiges Menschenkind. Sie weinte viel und stellte keine Forderungen an das Leben. So fuhr sie auch jetzt mit dem Schürzenzipfel in den Augenwinkel.
»Wenn nur der Vater vom Bauern Korn bringt, dann wollen wir es wohl aushalten. Ich habe von Leuten gehört, die alle Tage weißes Brot essen wollen. Daß sie so viel verlangen! Wir sieben nicht einmal die Schalen aus, weil sie auch ein gutes, saftiges Brot geben. Aber nun ist es alle. Kein Stäubchen Mehl ist mehr da.« Sie setzte sich hinter den Tisch, dessen Platte auf gekreuzten Pfählen ruhte und der abgegriffen war vom langen Gebrauche.
Da lehnte sich der kleine Friedhold an sie. »Mutter, ich muß dir etwas sagen.« Er zog sie nieder und flüsterte ihr in das Ohr, daß er Hunger habe.
»Sei still,« mahnte die Mutter. »Du weißt doch, daß der Großvater zum Bauern gegangen ist. Der Bauer ist gut und läßt uns nicht verhungern. Ah, nein, da sei ganz ohne Sorge. Heute auf den Abend kriegst du ein großmächtiges Stück Brot.«
Die Großmutter legte den Arm um das Evele und sprach über ihren Kopf hinweg wie träumend: »Wenn man das so bedenkt, Frida: davon gab man einem jeden, was ihm not war. Sie haben alle zusammengetan und davon jedem gegeben, soviel er brauchte. Ich komme nicht hinaus über das. Was muß das schön gewesen sein, aufstehen und wissen, dein Tisch ist gedeckt. Ich wollte wahrhaftig nicht faul dabei werden. Ob sie wohl einen solchen darunter gehabt haben? Man sollte es doch nicht denken. Nein, nein, gewiß nicht.«
»Wenn nur der Vater Korn bringt, Mutter,« warf die Tochter ein.
»Warum sollte er nicht?« rief die Großmutter lebhaft, »der Bauer hat es doch nie geweigert. Wo wir auf ihn angewiesen sind.«
»Er ist so sonderbar gewesen in der letzten Zeit.«
»Das mußt du recht verstehen. Denk, was einem solchen Herrn auch durch den Kopf geht.«
Da trat Ebert herein, warf die Mütze auf einen Haken an der Wand und ließ sich langsam auf die Ofenbank nieder.
»Bist du so müde, Vater?« fragte sein Weib. »Es war schwer, und du hättest es auf zweimal teilen sollen.«
Ebert schluckte und würgte. Die Tochter aber verstand ihn. »Er hat es dir geweigert?« schrie sie auf.
»Ja. Hungert, hat er gesagt,« antwortete der Vater dumpf.
Da schluchzte Frida heiß auf, faßte den Tisch mit bebenden Händen, rüttelte ihn und jammerte: »Er will uns verhungern lassen! Daß du im Grabe liegst, Gottfried, mein Gottfried! Er will uns verhungern lassen! Du würdest hingehen und ihm die Kinder vor die Füße stellen. Vater,« wandte sie sich jäh an den gebrochenen Mann, »ich will hingehen, das Evele und den Friedhold an den Händen. Das wird ihm das Herz weich machen. Wie sollen wir leben?«
»Heute und morgen mögen wir uns durchhelfen. Es liegen noch etliche Kartoffeln in der Ecke.«
»Davon gab man einem jeden, was ihm not war,« tonte es wie Lallen aus dem Munde der Greisin in die Stille, die auf des Vaters Worte gefolgt war.
Da trat Ebert an sein Weib heran. »Mutter, kehre wieder. Ich denke, daß wir nicht allein stehen werden in unserer Not. Vielleicht, daß sich ein Ausweg findet.«
Nun sah der Hunger mit starrem Gesichte durch die Fenster des Hanghäusleins. Sie fluchten aber dem harten Bauern nicht. Dazu waren sie zu müde durch die Fron langer Jahre.
Es vergingen nicht eben viele Tage, da kamen andere der Häusler, die zum Binsenhofe gehörten, mit der gleichen Bitte zu dem Bauern und gingen gleich traurig und gebrochen oder fluchend fort.
Da fanden sich die Häusler in ihrer Not zusammen. Sie saßen in Reinhold Eberts Stube und berieten, was zu tun sei.
Einer schlug auf den Tisch. »Gibt er uns nicht gutwillig, so nehmen wir es uns. Er will uns verhungern lassen! Ist er nicht schuld, daß es kam, wie es heute ist? Zusammentun müßten wir uns, einbrechen, totschlagen, nehmen!«
Darüber erschraken die stillen Leute.
»Heinrich Andres,« sprach der Hausvater, »er ist unser Herr, und es ist nicht gut, sich gegen den Herrn aufzulehnen. Mein Vater selig hat mir erzählt, wie die Leute einmal das große Teilen beginnen wollten. Da ist nur Unheil geworden, was gut werden sollte. In heiliger Sache darf man die Gewalt nicht zu Hilfe rufen; denn die fragt nicht mehr nach Recht und Unrecht, frißt den Gerechten mit dem Ungerechten. Einen Weg weiß ich. Wir wollen morgen allesamt zum Bauern gehen und ihn noch einmal bitten. Und wenn er die Kinder sieht und die Alten, dann wird ihm das Herz brechen, und er wird uns geben, was wir brauchen.«
Die Sonne schien matt durch graue Wolken, da kam ein wunderlicher Zug an den Binsenhof gewallt.
Voran ging Reinhold Ebert und hatte das Evele an der Hand. Dann reihten sie sich durcheinander, wie sie der Zufall führte. Der alte Biedermann mußte an zwei Stöcken gehen, weil ihm die Hüftgelenke steif geworden waren. So setzte er die Stecken immer weit voraus und zog ruckweise ein Bein um das andere nach. Es war fast, als ginge der Mann auf allen vieren. Auch Christiane Weber, deren Hände von der Gicht so verkrümmt waren, daß sie kaum noch die Tasse an den Mund bringen konnte, ging im Zuge. Zwischen dem wortlosen, humpelnden Elend wuselten die Kinder. Anfangs waren sie voraus, je näher sie aber dem Hofe kamen, desto mehr drängten sie rückwärts. Da gebot Ebert, daß jede Mutter ihre Kleinen an die Hand nehme.
Als Heidecker den jämmerlichen Zug sah, erschrak er und ging hastig den Leuten bis an das Hoftor entgegen. Er überschaute raschen Blickes den Haufen. Am Ende mußte er darauf gefaßt sein, daß einer der Männer die Faust gegen ihn aufhob.
Da trat Ebert als Sprecher vor. Er wiederholte im Namen aller, was er kürzlich bereits in seinem gesagt. Nur dringender wurde er, zog dies und das der Kinder heran, stellte es dem Bauern vor die Füße und drängte: »Kannst du das ansehen, Bauer, daß das helle Gotteslicht in ihren Augen stirbt? Wo eine Mutter das Kind an der Brust trägt, da nährt sie es schier mit Blut, weil der Milchborn am Vertrocknen ist. Wir haben unsere Kartoffeln vor der Zeit aufgegessen. Der Winter ist lang. Wovon sollen wir leben? Willst du, daß wir hinsinken und auf dem harten Lager sterben, indes das Brot auf deinem Getreideboden liegt? Wie magst du das vor Gott verantworten? Zürne mir nicht, daß ich so rede. Der Hunger schreit aus uns, der bittere.«
Wieder gingen Heideckers Augen über die Leute. Eine Mutter riß ihr Kind von der Brust in die Höhe. »Es wimmert Tag und Nacht, weil es nicht mehr satt wird.«
Biedermann schob sich an seinen Stöcken heran. »Was haben wir dir getan, Bauer?«
Heidecker aber hatte erkannt, daß die Demut und die Angst auch in den Augen der Männer stärker waren als ihr Trotz. Daran wuchs er und wurde hart wie ein Stein.
»Ich habe kein Brot für euch. Werdet, wie ihr waret, dann werden wir auch wieder, wie wir waren. Jetzt lernt den Hunger kennen.«
Damit ging er in das Haus zurück. Auch die Bäuerin hatte den Jammer gesehen und ihres Mannes Worte vernommen. Die Not brach ihr das Herz. Sie stellte sich ihrem Manne in den Weg.
»Gib ihnen, was sie brauchen,« bat sie dringend.
»Nein,« wehrte der Bauer schroff ab, »wir sind milde gewesen, haben am Lohne zugesetzt, sie haben es nicht geachtet. Jetzt soll sie der Hunger kleinkriegen.«
»Du kannst sie doch nicht Not leiden lassen.«
»Warum nicht?«
»Weil es unmenschlich ist.«
»Scher dich um deines. Es ist des Vorstehers Lehre, daß wir hart sein müssen, und er hat recht.«
»Du willst ihnen nicht helfen?« rief Gertrud Heidecker, und in ihren Augen flammte ein starker Zorn.
»Nein.«
Da stürzte die Bäuerin den Leuten nach, die schon ein Ende vom Hofe fort waren, aber oft stehenblieben, jammerten und aufbegehrten. Sie holte sie ein.
»Leute,« rief sie, »Leute, ihr armen! Das Moorgut ist mein, mein allein. Geht hinauf zu Jakob Sindig. Sagt ihm, ich schickte euch. Er wird euch geben, was wir geerntet haben, und wenn ihr sparsam seid, reicht es eine Weile. Hernach wollen wir weitersehen.«
Sie wollten dankend ihre Hände fassen, aber sie wehrte ab, wandte sich zurück und hatte Tränen in den Augen.
Der Bauer aber stand unter dem Tore.
»Hast du ihnen geholfen?« fragte er höhnend.
»Ja,« sagte Gertrud und wollte an ihm vorüber.
Er hielt sie an. »Du?«
»Ja. Ich habe sie zu Jakob Sindig geschickt. Der wird ihnen geben, was wir auf dem Moorgute gebaut haben.«
»Weib!« schrie der Bauer in sinnlosem Zorne und hob die Fäuste.
Da stand, wie aus dem Boden gewachsen, wiederum Lisa Buschreuter vor ihm und sah ihm in das Gesicht. Heidecker schrak zusammen und ging murrend in das Tal hinab. Lisa Buschreuter lachte. »Komm, Bäuerin,« sagte sie und führte Gertrud in das Haus an die Wiege ihres Kindes. »Den zieh, den Jungen, daß er ein Mensch wird. Hast du ihm ein Herz mitgegeben, als du ihm das Leben gabst?«
Am selben Tage kam eine Schar Häusler mit Wägelchen und Karren an das Moorgut. Jakob Sindig war überrascht. Als ihm der alte Ebert erklärt hatte, was geschehen war, und daß sie auf Geheiß der Bäuerin da seien, strich sich Jakob etliche Male über das glühende Gesicht. So gelang es ihm, sich zur Ruhe zu zwingen. Er sprach lange kein Wort. Dann sagte er kurz: »Kommt!«
Er schaufelte und sackte ein. Dabei kam es ganz von selbst, daß er zu trösten begann. Annedore kochte den Leuten Kaffee, und der alte Ebert sagte bedächtig: »Schier wie im Himmel ist das hier, schier wie im Himmel und ist doch nur am Moore!«
Die Leute gingen auch an das Moor, standen wie Kinder und schauten scheu zu dem Riesen auf. Das war das Moor, dieses zusammengesunkene, weite, brüchige Land, in dem zahllose Gräben strahlenförmig nach der Mitte zu liefen? Einer drängte sich an Jakob Sindig heran.
»Herr – –«
»Bist du gescheit, Mensch?« lachte Jakob, »›Herr‹ sagst du? Das ist, was ich am wenigsten leiden kann. Jakob heiße ich.«
»Wenn du mich brauchen kannst, so will ich zur Arbeit kommen.«
»Willst du den Winter über bei mir schaffen, so soll es mir recht sein,« entgegnete Jakob, »wir arbeiten auch den Winter durch, wenn es nicht zu stark friert. Im Frühjahr gehst du dann wieder zu dem Bauern. Sonst kostet es dich dein Hanghäusel.« –
Lisa Buschreuter lauerte am Abend dem Bauern vor dem Hofe auf.
»Du Tier du,« redete sie zornig auf ihn ein, »ich wache über das Weib drinnen. Das laß dir gesagt sein. Hast du schon mich unter die Füße getreten, so sollst du doch die nicht unterkriegen, die Gute, Reine. Jetzt tue ich, was ich mir vorgenommen habe. – Gib mir Geld, Bauer, Geld. – Wehre dich nicht! Es macht mir nichts aus, wenn sie mich mit Dreck bewerfen, habe mich doch lange genug selber besudelt. Was dir droht, das weißt du. Und gegen mich hebst du die Hand nicht wie gegen den Kaspar. Keinen wirfst du wieder in das Moor. Das hat Jakob Sindig ausgetrocknet. Ja, und was ich weiter will? Ein Hanghäuslein will ich und was ich zum Leben brauche. Geld wirst du mir geben, soviel ich will. Schachere nicht, Bauer, es ist unnütz. Ich mag nicht mehr arbeiten. Du sollst selber sagen, welchem unter den Häuslern du den Hals umdrehen willst. Gute Nacht, Bauer.«
Acht Tage später stand sie wieder vor Heidecker.
»Ich möchte fort, Bauer. Wann kann ich einziehen und wo?«
»Gar nicht,« schrie Heidecker, »und nirgends.«
»Gut.« Lisa ging in ihre Kammer und zog sich bessere Kleider an. Dann machte sie sich auf den Weg nach Niederau. Der Bauer sah sie gehen. Aschfahl wurde er, zitterte und wollte trotzig geschehen lassen, was Lisa vorhatte. Dann aber ward die Angst übermächtig. Der Trotz brach unter ihr zusammen. Barhaupt stürmte der Bauer dem Weibe nach.
»Lisa, Lisa!« – Die wartete gleichmütig, bis der Bauer herankam.
»Wo willst du hin?« fragte Heidecker.
»Frag nicht so dumm,« antwortete Lisa grob. »Deine Herrlichkeit ist aus, Bauer. – Wann kann ich einziehen?«
»In acht Tagen.«
»Wo?«
»In Richard Meißners Häuslein.«
»Tun mir leid, der Richard und sein Weib.«
»Ich werde sie auf den Hof nehmen.«
»Das ist mir gleich.«
Acht Tage später räumte Richard Meißner sein Häuslein, aber sein Weg ging nicht auf den Binsenhof, der ging hinauf zu Jakob Sindig. Richard Meißner war der, der sich Jakob zur Arbeit am Moore angeboten hatte.
»Ha,« lachte Jakob, als die Vertriebenen einzogen, »wenn das ein Weilchen so weitergeht, dann wird das Moorgut zu klein. Wir müssen uns dazuhalten mit der Arbeit, Jeremias und Robert.« –
Im Hause am Moore aber war Sonne, ob auch der Himmel düster war.
Richard Meißner hatte aus dem Häuslein, das er verlassen mußte, mitgebracht, was sein war. So kamen etliche Stücke in die Stube, die sie heimelig machten. Eine lebhafte, tickende Uhr, ein Schränkchen mit einem verzierten Aufsatz, etliche bunte Teller in einem Topfbrette, Dinge, die sie aus Niederau mitgebracht in Tagen, da Meißner und sein Weib noch froh waren.
Annedore hielt die Fenster blank, und als ihr Jakob gesagt, daß er es gerne sehe, wenn ein paar Blumen vor den Scheiben stünden, da wußte sich Annedore zu helfen und zog sich aus Ablegern etliche kleine Blumenstöcke. Sie betreute die jungen Pflanzen gut, und die lohnten es ihr.
Auch das Vieh im Stalle war glatt und sauber. Die Menschen, die durch das Haus gingen, hatten helle Stimmen, einen raschen Schritt und hielten sich aufrecht, wie sie es von Sindig sahen.
Der war oft wie ein ausgelassener Knabe. Er begann jetzt, Annedore zu necken. Anfangs traten ihr bei den lustigen Worten die Tränen in die Augen. Allmählich wurde sie freier und ging auf die Scherze ein. Jeremias aber ging mit leuchtenden Augen einher. Er sah, wie Jakob Sindig für ihn warb. Wenn die andern schlafen gegangen waren, saß Jeremias noch eine Weile neben Annedore. Sie plauderten. Jeremias sprach gut und klug, und sein warmes Herz erschloß sich wie eine Blüte voller Duft und Schönheit. Annedore begann, in seinem Gesicht zu forschen. Das war geistvoller und hübscher, als man bei flüchtigem Zusehen meinte. Sie widerstand dem demütigen Werben nicht länger. Ganz von selber kam es, daß Jeremias ihre Hand in der seinen hielt, und ob auch Annedore, als sie sich dessen zum ersten Male bewußt wurde, errötend aufstand und zur Ruhe ging, am anderen Abend war es doch dasselbe.
Robert Lindner war erst verwundert, als er des Jeremias Werben erkannte.
»Das habe ich anders gedacht,« sagte er zu Jakob, »ich glaubte, Annedore und du.«
Jakob war ernst. »Man denkt viel von mir, das nicht wahr ist,« sagte er.
Schließlich faßte sich Jeremias ein Herz.
»Annedore,« Hub er an, »nun kann ich das nicht länger tragen. Jetzt sage es frei heraus.« Er bebte wie vor einem Urteil.
Annedore ließ ihn nicht weiterreden. Sie war gütig und ernst. »Jeremias, ich weiß, was du willst, und ich sage: Ja.« Jeremias wollte auffahren, Annedore aber wehrte ab.
»Hör mich an.«'
»Ich bitte dich, Annedore, was kannst du noch sagen? Nichts, nichts! Ich weiß alles, alles, Annedore, und ich bin doch so froh und so dankbar! Ich weiß, du wirst mir ein gutes Weib sein und ein treues.«
»Bei Gott,« bestätigte das Mädchen. »Das ist das wenigste, das ich dir versprechen kann, aber ich will ehrlich sein. Jeremias, ich muß dich achten und,« das sagte sie leise und versonnen, »ja, es ist wohl mehr, aber das ist es doch nicht, das tolle Darauflosfahren, daß ich mich dir in die Arme werfen müßte und lachen und weinen. Es ist ein Stillesein, aber es ist eine gute Zuversicht und ein ehrlicher Wille dahinter.«
Da nahm Jeremias ihre beiden Hände, zog sie langsam an sich heran, neigte sich ihr entgegen und küßte sie. Annedore schloß die Augen und legte ihr Haupt ein Weilchen auf Jeremias Schulter. Ihre feinen Haare umrieselten seine Stirne, und der gute, schlichte Mensch, in dessen Leben die Sonne erst eingetreten war, seit er Jakob Sindig kannte, schluckte stark an aufsteigenden Tränen. Dann saßen sie wieder nebeneinander, hielten sich an den Händen und waren lange, lange still.
Jeremias aber begann zu erzählen von seinem Jammer in der Nacht nach dem Dreikönigstanze, daß er an Jakobs Lager gesessen, und daß der mit starker Hand die grauen Wolken über seinem Leben zerteilt habe.
»Den aber,« fuhr er fort, »den muß man liebhaben, den Jakob. Gar kein Mensch ist er. Hast du je gesehen, daß er einmal etwas für sich haben wollte? Anderer Leben will er bauen; man muß ihn liebhaben.«
»Das muß man, und ich habe es gelernt nach deiner Weise. Nun ist es ganz still in mir. Was nun lebendig werden wird, das ist dein, Jeremias. – Wie froh Jakob war, als er den Häuslern Brot geben konnte!«
»Ja, und wie er die Schleuse am Moore aufzog, und das Wasser rauschte.«
»Da war es wie in der Kirche.«
»Und wie er über das Feld geht.«
»So, als ginge die Sonne darüber.«
»Wie mag das wohl kommen, Annedore?«
»Er muß unter einem großen Glück gehen.«
»Oder einem großen Leid. Eher wohl das; denn das macht still und gut.«
»Vielleicht ist es beides.«
Das waren Jeremias und Annedores Gespräche an dem Abend, als sie sich verlobt hatten.
Jeremias sprang auf. »Ich muß das Jakob sagen. Das muß ich ihm sagen, daß wir nun einig sind.«
Ehe es Annedore hindern konnte, war er die Treppe hinaufgestürmt in Jakobs Kammer. Der lag noch wach und wußte, was den Kleinen herauftrieb.
»Sie will mich, Jakob,« jauchzte Jeremias, »einig sind wir geworden.«
»Einig?« sagte Jakob lachend. »Habt ihr denn gehandelt?«
Jeremias wurde ernst. »Eigentlich ist es ein schlechter Handel. Einen Buckligen für eine – Annedore.«
»Dummer Jeremias. Auf deinen Kopf gehen zehn Annedoren.«
»Jakob!«
»Und jetzt scher dich hinaus. Ich will mich anziehen und komme hinunter!«
Einen Augenblick später stand Jakob breitbeinig und lachend unter der Tür.
»Annedore, du bist klug. Der Jeremias ist einer, wie weit und breit keiner ist. Viel klüger als sie alle. Der gibt einen rechten Mann, da verlaß dich drauf.« Er ergriff ihre beiden Hände. »Gott mit euch, ihr zwei.« Dann lachend: »Ja, ja, wenn man den jungen Leuten nicht auf die Finger sieht, dann ist rasch das Unheil fertig. Hätte ich den Jeremias schlafen gejagt, wie mir das als dem Älteren zukam, dann stündest du heute nicht da, Annedore, und müßtest ihn heiraten. Aber nun will ich über ihn wachen. Jugend hat keine Tugend. Das ist nun einmal so, Mädchen.«
Und die zwei Verlobten saßen da, ganz stille und lachten leise und war ihnen doch das Weinen nicht gar fern.
Jakob Sindig aber saß breit am Tische. »Wann wollt ihr heiraten?«
»Wir haben noch nicht darüber geredet,« antwortete Annedore.
»Dann,« rief Jakob, »am Dreikönigstage!«
»Am Dreikönigstage?« fragten das Mädchen und Jeremias erschrocken aus einem Munde, »und dann sollen wir zum Dreikönigstanze?«
»Wenn ihr wollt, schon.«
»Nein,« wehrten sie ab.
»Gut,« entschied Sindig, »so geschieht es, wie ich es mir ausgedacht habe. Ihr heiratet am Dreikönigstage. Dann ziehen wir von Niederau her stolz an Reisigers Wirtshaus vorüber, lachen, wenn sie uns zum Tanze rufen, gehen an das Moor und haben eine Feier für uns.«
Dazu nickten die zwei. Jeremias hielt Annedores Hand fest und sah dabei zu Jakob Sindig hinüber, weil ihm schien, es sei anmaßend, in dessen Gegenwart so verliebt zu tun. Jakob aber sprang auf. »Morgen ist schwere Arbeit. Ja, und, Annedore, weil denn Jugend keine Tugend hat, so schläft der Jeremias bis zum Tage eurer Hochzeit bei mir.«
Er lachte, stieg die Treppe hinauf, nahm des Kleinen Bett und trug es in seine Kammer. Er wollte ihn noch ein Weilchen für sich haben, den treuen, guten Menschen. –
Der Winter war milde. Wohl schneite es, fror auch oberflächlich, aber man brauchte doch die Moorarbeit kaum zu unterbrechen. Einzelne der Gräben drangen gegen die Schleuse zu. Der Fall der Rinnen mußte gesteigert werden. Vom Rande herein lag die Erde flach, und es war kaum eine Rinne nötig; dann wurden die Ränder fußhoch, hernach mußte man einen Schritt machen, um hinaufzukommen, und zuletzt brauchten sie eine kurze Leiter. Bis hinab auf das Steinige hackte Jakob Sindig, und als die Männer sich der Schleuse näherten, da schaute nur eben noch der Lange mit dem Kopfe heraus.
In der Moorerde aber fand man, wovon Marlene gesprochen.
Was alles mochte an Geschehnissen über das Land gegangen sein? Hufeisen gruben die Männer aus, klein und flach und breit, für Pferde, wie sie heute im Gebirge gingen, nicht mehr passend. Dann breite Steigbügel, Streitäxte, Pfeilspitzen und – Ketten. Alles stark rostig, aber nicht zerstört.
Jakob sammelte die Stücke. In den stillen Abendstunden ließ er sie sinnend durch seine Finger gehn. Wer hatte auf des Rosses Rücken gesessen, dessen Eisen er in der Hand hielt? Was für ein Pferd war es gewesen? Es erstand vor seinen Augen. Klein war es und braun, hatte einen Schweif, der bis zur Erde reichte, und eine wallende, dichte Mähne, schlanke Fesseln und einen kleinen Huf, war aber doch flink und ausdauernd, folgte seinem Herrn wie ein Hund, trug ihn hinein in die Schlacht und auf rasender Flucht in die Freiheit. Und auf wessen Haupt war die Streitaxt mit dem breiten Rücken niedergesaust? Von wessen Bogensehne war der Pfeil mit der eisernen Spitze geschnellt? Wem hatten die Ketten die Glieder gefesselt?
Der nüchterne Jakob Sindig, der den Röder herausgejagt aus dem Bleiloche, nicht an den Binsenschnitter glaubte und die Gesichte der heiligen Nacht, wurde hellseherisch. Bleicher Mondschein lag auf dem verschneiten Moore, ein schwacher Wind weckte dumpfes Brausen im Walde. Wolken zogen am Himmel hin, den Mond verhüllend und entschleiernd.
Jakob Sindig lehnte im offenen Kammerfenster, indes Jeremias noch ein Weilchen neben Annedore saß. Da sah er wilde Reiter daherjagen. Auf der Flucht stürmten sie über das Gebirge. Aus den bergenden Forsten aber brachen die Bergvölker, warfen sich den Fliehenden mit gellendem Kriegsrufe in den Weg, schwangen die schweren eichenen Knüppel, jagten die Verängstigten, jagten sie in – das Moor oder in das blanke Teichwasser, und wenn sich einer, erbarmenflehend, an das Ufer heranarbeitete, dann schmetterte ihm die Keule den Schädel ein. Stöhnend sank er zurück. Das Wasser gurgelte und schlang die Leiber hinab. Sie sanken, sanken, moderten, zerfielen. Die Waffen aber deckte die Erde. –
Und dort hatte einer im Eise gelegen. Einer, den Jakob liebgehabt hatte. Kaspar Buschreuter, armer Kaspar Buschreuter! Nun hungerst du nicht mehr. Was hat dich in das Moor getrieben? Du warst dabei, dir ein festes Leben zu zimmern. Bist du freiwillig hineingegangen in das Wasser, hast du dich verirrt? Du? Oder – warst du einem im Wege?
Um Gott! Was sagtest du von Lisa? Und – was sagte Richard Meißner? Er hat kurzerhand das Häuslein räumen müssen, und Lisa Buschreuter ist eingezogen? Lisa Buschreuter, von der Meißner sagt, daß sie dem Bauern die Arbeit mit groben Worten vor die Füße geworfen? Die hat der Bauer nicht davongejagt? – – Hart schloß Jakob das Fenster. –
Richard Meißner war ein stiller Mensch, aber es war Jakob Sindig, als bändige er nur mühsam einen starken Zorn. Von dem Bauern sprach er nicht, nur dann und wann von seinem Hanghäuslein, aus dessen Fenstern sie auf blumige Wiesen gesehen und auf die rauschende Lokwa und – auf den Hof, der sie aufgefressen. –
Gebückt standen die Arbeitenden in den Gräben. Da richtete sich Jakob Sindig auf, sah über das Moor und sah einen drüben stehen, einen kurzen, gedrungenen Mann, der einen Kasten auf dem Rücken trug.
»Joseph ist da,« rief Jakob den andern zu.
Und: »He, du, geh nicht vorbei,« rief er hinüber, »es konnte sein, daß man deine Waren brauchte.«
Sie stiegen aus den Gräben, und Joseph kam langsam auf dem Damme heran.
»Was hast du da gemacht?« fragte er.
»Das Moor trockengelegt. Im Frühjahre fangen wir an den Rändern schon an zu säen.«
»Han?«
»Ja, säen werden wir. Wilm Larns sagt, Buchweizen, ich aber säe Hafer und im nächsten Jahre Gerste.«
»Das is amal was. So a Land! An die hundert Morgen wohl? Das kann ma sich jetzt wohl gefall'n lassen. Das hast du ferti bracht?«
»Ich und die anderen.«
»Das heißt also du; denn die andern haben nur tan, was du ihna aufgeben hast, und haben gearbeit't, wo du sie hinstellt hast.«
Er lüpfte seine Mütze. »An alter Kerl bin i, aber jetzt hab ich völlig an Respekt vor dir. Wie heißt?«
»Jakob Sindig.«
»Ja, also, Jakob Sindig. Und was sagen hernach die Bauern dazu?«
»Ich weiß es nicht, frage auch nicht danach.«
»Das gefallt mir. Fragst nicht danach. Das gefallt mir. Und für wen machst das jetzt?«
»Vier Gütlein sollen da stehen.«
»Vier Gütla? – Gesegn's Gott, Jakob Sindig. Und was möcht'st jetzt von mir?«
»Es ist ein Brautpaar da. Sie wollen heiraten, die zwei. Ist doch was rechtschaffen Dummes? Was, Joseph?«
»Das sag' i a, und dadrum bin i ledig blieben, aber das kommt z'letzt auf die Leut' an. Wer is der Bräutigam?«
»Der da, der lacht.«
»Der Klane? Han, den muß ma zwamal aschaun, hernach weiß ma erst, was das für aner is. Na also, dann wull'n wir ins Häusel gehn.«
In der Stube breitete er seine Waren aus, lauter blinkende Herrlichkeiten. Jakob ermunterte Jeremias, für Annedore auszusuchen. Er selber wählte zuletzt ein seidenes Tuch, reichte es Annedore und sagte lachend: »Das ist mein Hochzeitsgeschenk.«
Als sich Joseph zum Gehen anschickte, reichte er Jakob die Hand. »Da kehr' ich wieder ein, nit um a Geschäft, aber da is was, das einem wohltut. – Bist du a reicher Mann?«
Jakob drehte seine leeren Taschen um. »Das ist mein Reichtum.«
»Jetzt weiß ich, daß du reich bist. – B'hüt Gott. Ich mein, wir haben uns nit das letztemal gesehn.«
An dem Abend überzählte Jakob sein Geld. Fort bis auf einen kleinen Rest. Da schrieb er abermals an seine Schwester. Er hatte aus dem Moorgute noch nicht mehr genommen, als was er aß. Ihm schien, es werde mit den Einnahmen dieses Jahr übel stehen; denn die Häusler, die einmal da gewesen waren, würden wiederkommen. Diesmal wurde ihm das Bitten nicht schwer und, als das Geld kam, auch das Nehmen nicht. Zwischen den Geschwistern ging es hin und wider wie feine, glänzende Sonnenfäden.
Der Dreikönigstag rückte näher. Jeremias hatte das Aufgebot bestellt, aber kein Mensch wußte, was sich auf dem Moorgute vorbereitete. Die da wohnten, wahrten es als ein Geheimnis.
Nun aber mußte Jakob Sindig doch auf den Bauernhof.
»Bäuerin,« sagte er zu Gertrud Heidecker, »ich hätte etwas mit dir zu reden.«
Da ging Marlene hinaus. Die Bäuerin saß Jakob Sindig gegenüber, sah ihn erwartungsvoll an und hielt mit dem Fuße die Wiege in leichter Bewegung.
»Bäuerin, es wird jetzt eine Hochzeit auf dem Moorgute sein. Am Dreikönigstage.«
»Am Dreikönigstage schon? Und ihr – –«
»Jeremias heiratet Annedore,« berichtete Jakob und seine Stimme war rauh.
Einen Augenblick sah ihn Gertrud starr an, dann hatte sie wieder das Mädchenhaft-Hilflose. Sie neigte sich über das Kind. Es schlief, aber die Frau strich ihm über die Stirne: »Schlaf, mein Bub, schlaf.« So, als riefe sie das Kind zum Bundesgenossen.
»Mit dir reden wollte ich, Bäuerin,« sprach Sindig verhalten. »Ich möchte den zweien, die sind wie die Kinder, das Glück auf feste Füße stellen. Wir sind droben schon weit mit der Arbeit. Im Frühjahre kann ich am Rande Hafer säen. Es ist leichter, als ich dachte. Du hattest mir die Hälfte dessen, was wir trockenlegen, versprochen.«
»Es bleibt dabei.«
»Bist du es zufrieden, wenn ich den zweien am Hochzeitstage ein Gütlein zusage? Niedergeschrieben, weißt du, wenn auch noch ohne das Gericht; denn es wird noch einen Kampf geben mit dem Bauern.«
»Darum sorge dich nicht,« sagte Gertrud hart. »Aber das mit dem Gütlein, das freut mich. Da ist etwas Schönes unter deinen Fingern gewachsen, Jakob. Annedore ist auch durch schwere Zeiten gegangen. Und am Hochzeitstage komme ich zu euch hinauf. Ich will sehen, was ihr geschafft habt, und will die zwei sehen in ihrem Glücke.« Sie reichte Jakob die Hand.
Dann ging sie an die Tür. »Marlene!«
Die kam herein, und Gertrud Heidecker erzählte ihr, was im Werden war. Marlene war verwundert. »Den Jeremias?« fragte sie, »den Buckligen? Ich sag's ja, Heiraten ist das Dümmste, das eines machen kann.«
Die Bäuerin lachte. »Weil du nicht geheiratet hast?«
»Ich, ach, da war einer, ein Witwer, ja und dann ein Köhler und der Heilmann vom Hanghäusel. Ich?« aber das klang weniger überlegen, als sie vorhin gesprochen. Auch Marlene hatte ihre Not hinter sich.
Jakob Sindig trat für Jeremias ein. »Das ist einer! Um den sorg' dich nicht, Marlene. Siehe ihn dir genauer an. Annedore wird gut mit ihm daran sein.«
»Besser als mit dir schon,« warf Marlene hin.
»Das habe ich auch gedacht,« gab Jakob lachend zu, »drum habe ich ihnen den Weg ein wenig bereitet.«
»Das sieht dir ähnlich. Nicht nur, daß er alle die Halben droben aufnimmt, den Buckligen, den ohne Geschmack, den Ausgetanen, er verheiratet sie auch noch.«
Lachend verabschiedete sich Jakob Sindig.