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Die Sonne hatte die trüben Wolken besiegt. Schnee lag im Lande, und darüber flog ein scharfes Blitzen. Auf den Schneefall war ein kurzes Tauwetter gefolgt, so daß sich der Schnee gesetzt hatte. Nun fror es. Jedes Schneekristallchen war ein Demant, der glitzerte und gleißte. Und der Wald stand weiß geziert in ernster Schönheit. Die rasche Lokwa zwang der Frost, der überall die Herrenfaust schwang und die Wasser und das Land in Fesseln legte, noch nicht. Wie ein Jauchzen schallte das Rauschen in die klingende Kälte herauf. Wo sich in der Lokwa auf herausragenden Steinen und an den Ufergräsern die vielgestaltige Eiseszier bildete, da traten harte Füße die Pracht in Scherben.
Die Flößer ließen die geschlagenen Stämme von den Berglehnen am Oberlaufe der Lokwa herab in das Wasser. Wenn die gefrorenen Hölzer zu Tale sausten und hier und da gegen Steine und Stöcke schmetterten, dann stieg ein helles Klingen empor. Aufgischtend nahmen die Wellen die Bergkinder in die Arme. Die Flößer liefen am Wasser hin, hatten lange, hakenbewehrte Stangen in den Händen, stießen die Stämme vom Ufer fort und leiteten sie um die Felsklötze, vor die sie sich zuweilen legten. Dabei sprangen die Männer in ihren langen Stiefeln auf die glatten Steine, traten das glasklare Eis zusammen, rutschten auch wohl aus und zogen fluchend die triefenden Glieder aus dem Eiswasser. Zuweilen mußten sie in die Lokwa springen, und die Wellen leckten an den hochschäftigen Stiefeln hinauf.
Jakob Sindig stieg vom Binsenhofe hernieder, um das Treiben zu sehen. Da stand Aust, lachte ihm entgegen und freute sich, dem Langen wieder zu begegnen. Er hatte ein frisches Gesicht, und seine Augen glänzten. Die Arbeit, die, wie selten, Kampf und Sieg war, machte ihn froh. Er rückte den grauen Filzhut aus der Stirn, streifte mit der Hand über den Bart, in dem der Hauch gefror, und schwenkte kraftvoll die lange Stange.
»Tag, Sindig,« grüßte er. »Magst du mithalten?«
»Ah, das schon,« entgegnete Jakob, »gib eine Stange her.« Aust reichte ihm das Verlangte. Die Flößer hatten Vorrat an Stangen; denn es geschah häufig, daß deren eine zerbrach.
Nun ging auch Jakob am Ufer hin, tat es Aust nach, und auch ihm flog bei der Arbeit oft ein Lachen über das Gesicht.
»Mensch,« sprach Aust, »wie deine Augen brennen. Was hast du für große Lichter. Daran brennen alle Weiber an. Ganz gewiß. Hahahah. Es scheint dir zu gefallen. Wie wäre es, wenn du zu uns kämst?«
»Nein,« wehrte Jakob ab, »man muß nicht alles machen wollen und vom einen zum andern springen. Der Schmied wollte mich zu einem Schmiede machen, du willst, daß ich ein Flößer werde. Ich bleibe, was ich bin. Es freut mich, wenn ich die Klötze unterkriege. Dies tue ich jetzt einmal, und hernach kehre ich auf den Hof zurück.«
Im Hin- und Widerspringen, im Staken und herzhaften Schieben redete Aust von seiner Arbeit. Aber das war rasch abgetan, und er war bei denen, über die er immer reden konnte, bei den Bauern und den Häuslern. Wie Wasser schüttete er seinen Zorn gegen die Bauern über Jakob Sindig. Er übertrieb, aber es war doch viel Wahres in dem, was er sagte. Wie wenn er einen Berg erklimme, so steigerte sich seine Rede, und als er auf der Höhe war, da richtete er seine Augen scharf auf Jakob Sindig. »Wir müßten einen haben, der die Häusler zusammenreißt, der aus dem Haufen ein Regiment macht, weißt du, der sie zusammenschweißt, daß nicht jeder seine eigenen Wege geht, sondern daß einer für den anderen eintritt, alle das gleiche denken und das gleiche wollen.« Er schwieg einen Augenblick. Darauf setzte er es wie einen Block vor Jakob: »Du würdest das wohl fertigbringen.«
Das kam wie ein Hagel über Sindig drein, und er wußte eine Weile nichts zu sagen auf die Ungeheuerlichkeit. Dann stotterte er, und seine Rede wurde erst allmählich wieder bestimmter. »Ich, Aust, der ich fremd bin unter euch? Mensch, fast ist es zum Lachen. Ich? – Was wollt ihr von mir? Ich bin nicht hergekommen, Dinge zu ändern, die mich nichts angehen. Dazu bist du tausendmal eher da. Warum machst du dich an mich?«
»Du hast etwas an dir. Wenn einer ein Wort spricht, das nicht in dich hineinwill, so läuft es dir heiß über die Leber, und deine Augen brennen. Das brauchen wir. Und dann: Du kannst kein Unrecht sehen. Den Lindner hast du zu dir herangehoben. Ich glaube, du kannst hart sein. Das brauchen wir. Du weißt nicht, wieviel sie von dir erzählen, beim Wirte und sonst.«
»Das sollten sie nicht. Möchten sie zu ihren eigenen Sachen sehen, dann kämen sie weiter.«
»Auf dem Hofe wird manches neu durch dich und geht ohne Gewalt. Den Kaspar hast du aufgerüttelt, Lorenz redete davon, und die Steinert hast du getroffen droben am Hause. Der Bauer wollte sie austun, du aber hast gesagt, es dürfte sich ein Ausweg finden. Sie hat es erzählt. Nun bleibt sie; der Bauer hat nicht wahrgemacht, was er drohte. Das sagen sie.«
»Aust, das ist lächerlich. Von kleinen Dingen machen sie ein großes Aufheben. Laßt das! Das, das macht mich unruhig. So treibt ihr mich dazu, daß ich nicht mehr unter die Menschen gehe oder daß ich grobe Worte brauchen muß, ob mir das auch leid tun würde. Ich bitte dich, wehre ab, wenn sie von mir reden. Was wollen sie? Ich sage dir, ich bin einer, der nicht einmal mit sich selber fertig wird. – So weit seid ihr schon, daß du davon redest, mich zum Führer des Häufleins armer Leute zu machen, das hier ringt? Ich will das nicht werden, kann es nicht, bin gar nicht der Mensch dazu. Es würde ein Unglück für mich und euch. Laß die Leute sich selber wehren, einen jeden auf seine Weise, so wie du das tust.«
Aust trat nahe an ihn heran. »Jakob, wer dazu bestimmt ist, der ist das. Der ruft es nicht, und es hilft nicht, wenn er sich dagegen auflehnt. – Am Dreikönigstage treffen wir uns beim Wirte. Da reden wir weiter.«
Jakob Sindig warf die Stange zur Seite und ging zurück nach dem Hofe. Der Dreikönigstag! War das der Tag, von dem Küster Simmer in Niederau gesagt hatte, an dem würden die in Bergroda wie Kinder oder wie Wilde?
Sindig war naß geworden, und der Frost ließ ihm die Kleider auf dem Leibe gefrieren. Fürchtete er auch davon keinen Schaden für seine Gesundheit, so war ihm doch das starre Zeug unangenehm. Er ging nach seiner Kammer, sich umzukleiden. Da traf er die Bäuerin, die eben aus der ihren kam. Sie blieb vor ihm stehen. »Ich habe dich drunten an der Lokwa gesehen. Das ist etwas für dich, aber du hättest dich dazu kleiden sollen.«
Sindig ging nicht auf ihren Tadel ein. Von der Lokwa herauf hatte er gegrübelt über Austs Rede, und da hatte sich der Zorn in ihn gefressen. ›Unfrei bin ich. Sie belauern mein Tun und Lassen und tragen einander zu, was ich sage, drängen sich an mich heran, und Aust droht mir: Wem es bestimmt ist, der kann nicht dagegen an.‹ –
Nun stand er vor Gertrud Heidecker und hatte das Empfinden, daß er mit der reden könne über das, was auf ihn zukam. So lehnte er sich an das Treppengeländer, sprach lange und aus dem Inwendigsten heraus und sah in Gertrud keinen Augenblick das Weib, das ihm einst das Blut zu Kopf getrieben, nur eine, die neben ihm stand, die gerecht war und klug und ehrlich.
Gertrud Heidecker hörte aufmerksam zu und vernahm darüber die leise schwingende Stimme in dem Manne, die unter dem Zorn lebte und für die Armen redete, so daß er im Widerstreit lag. »Sieh, Jakob,« sagte sie, »die Not macht sich an den Starken und sucht Hilfe bei ihm. Das sollte dich freuen. Du hast etwas, das Vertrauen weckt. Aber ich bitte dich, halte dich abseits. Ich weiß nicht, ob Aust nicht nur für sich selber geredet hat, aber hätte er auch im Namen der anderen gesprochen, halte dich abseits. Es ist einer da, der sehr stark ist. Mir will bange um dich werden.« Ihre Stimme wurde leise und traurig. »Ich weiß, daß es dir schwer werden wird, aber, Jakob,« nun riß sie sich die Worte vom Herzen, »vielleicht wäre es gut für dich, wenn du – fortgingest.«
Da fuhr Sindig, der halb in sich zusammengesunken war, auf. »Fortgehen? – Schickst du mich fort?«
»Nein,« bekannte Gertrud Heidecker, »das kann ich nicht. Es soll dir nur erspart bleiben, was ich kommen sehe, weil ich dich kenne. Darum sage ich, daß es – vielleicht gut für dich wäre, wenn du gingest. Bleibst du, so mußt du hart sein und fern von dir halten, was sie auf dich werfen wollen. Aber ich weiß nicht, ob du das können wirst. So ist es mir leid um dich, und ich rate dir, fortzugehen.«
Jakob Sindig schlug die Finger ein und grub die Nägel tief in das Fleisch.
Da brach die Qual langer Stunden durch. »Ich soll gehen, und du – – wirst – ein Kind haben?«
»Das ist mein,« setzte sich Gertrud Heidecker ungestüm zur Wehr. »Mein. Mein ganz allein. Daran rühre nicht, du!« Ihre Augen flammten, und dann kam es wie ein Ermatten über sie. »Nun mußte ich hart sein.«
»Ich bleibe,« entschied Jakob und richtete sich auf.
Die Bäuerin sah ihm ernst in die Augen. »Gesegne es Gott.«
Dann stieg sie langsam die Treppe hinab. –
Der Bauer ging einher wie ein Greis, ging mit wankenden Knien und krummem Rücken, lauerte, daß eines vom Moore käme, Lisa oder Jeremias, und hatte nicht die Kraft, sich über seine Tat hinauszuschwingen, weil ihr auch die kleinste Spur berechtigten Lebenwollens fehlte, weil nichts dahinter stand, nicht der gerechte Lebenshunger, nicht lange getragenes hartes Los, einzig das Tierische.
Die Bäuerin begann deutlicher zu fühlen, daß außer der Entdeckung auf dem Boden etwas auf dem Manne lag. Die Furcht vor dem Fluche des Binsenhofes hätte er, von ihrer frohen Zuversicht getragen, überwinden müssen, aber er war unstet in Blick und Tat, hatte etwas Scheues in seinem Wesen und etwas Knechtisches.
Es war seit Kaspar Buschreuters Tode eine Woche vergangen. Lisa war vor Jeremias unterlegen. Hinter dem reckte sich Jakob Sindig. Sie versuchte, mit Jeremias zu plaudern, der aber ging ihr aus dem Wege und vermied Gespräche. So war das Weib allein. Sie lauschte dem harten Gang der Uhr und dem Wehen des Windes, ging nicht aus dem Hause und fand in den langen kalten Nächten keine Ruhe. Auf den Bauern wartete sie nun, meinte, er müsse doch jetzt einmal heraufkommen, nach ihr zu sehen, mit ihr die Zukunft zu bedenken und Kaspars Schatten zu scheuchen mit entschlossenem Worte, und schleppte sich vom einen Tage zum andern. Das verlangende Feuer der Augen war verglommen. Es wachte eine schmerzvolle Enttäuschung darin auf. Stärker als der Tod des Mannes quälte es sie, daß der Bauer ausblieb, nun sie ihn bitter nötig brauchte. Und hatte sie auch nie viel von ihm erwartet, so doch mehr, als ihr jetzt wurde. Sie war doch ein Mensch.
Jeremias kam langsam über sein Entsetzen hinweg. Er richtete sich auf wie ein Stamm, den Winterlast zu Boden gebeugt, griff nach der Arbeit und nach dem Leben, dachte an Jakob Sindig und wuchs an dem. Es geschah nicht, was er an Kaspars Todestage gemeint. Er zerbrach nicht mit dessen Leben. Jakob Sindig stand da. Nun vermochte er nach dem Moore zu gehen. Oft war er draußen, stand am Rande und schaute auf das Wasser. Das fror zu, die Eisdecke wurde wie starkes Glas. Und eines Tages konnte er auf das Eis treten. Er ging etliche Schritte vom Ufer hinaus, schaute in die Tiefe, aus der herauf einzelne Schilfstengel im Eise festgefroren waren, und da fand er, was er suchte. Da lag Kaspar Buschreuter, und sein Gesicht war schmerzverzogen. In den Tod hinein mußte er sein Leid genommen haben.
Jeremias kniete nieder und strich mit den Händen über das Eis. »Guter armer Kaspar. Du warst nicht stark genug zu dem, was du wolltest. Das kann nur Jakob Sindig. Den will ich holen.«
Er ging, ohne es Lisa zu sagen, nach dem Hofe hinab.
Diesmal traf er den, den er suchte. Als Jakob die tiefe Trauer in des Buckligen Augen sah, rief er verwundert: »Du bringst nichts Gutes, Jeremias.«
»Oh,« sagte der, »wie man es nimmt. Vielleicht ist es auch gut. – Kaspar liegt im Moore und ist an das Eis gefroren.«
»Mensch,« schrie Jakob, »wie konnte das geschehen? Hat er hinein gewollt oder hat er sich verirrt?«
»Jakob, was soll man sagen? Vielleicht hat er heimgefunden. Willst du ihn herausholen?«
»Ja, aber wir müssen es dem Bauern sagen.«
Johann Heidecker hatte Jakob Sindigs starke Stimme bereits vernommen und fühlte, daß da war, worauf er gewartet. Er saß an seinem Schreibpulte. Als er die hastigen Schritte im Hause vernahm, krallten sich seine Hände in das Leder der Seitenlehnen des Stuhles, er richtete sich halb auf und starrte zur Tür.
Jakob riß sie weit auf. »Kaspar Buschreuter liegt im Moore!« schrie er.
Der Bauer sank in sich zusammen, und es kam wie ein Pfeifen aus seiner Brust. »Kaspar?«
»Jeremias sagt, er habe ihn heute gefunden.«
Es fiel Jeremias schwer, vor dem Bauern zu reden. »Ja,« kam es heiser herauf, »er fehlt seit vielen Tagen. Heute habe ich ihn gefunden. Lisa weiß es noch nicht. Ich wollte Jakob holen, daß er ihn heraushackt.«
»Gehe mit ihm, Jakob,« bat der Bauer. »Dann laßt ihn droben liegen, und wenn alles gerichtet ist, hernach fährst du ihn auf den Friedhof.«
Auf dem Hofe aber war es laut geworden, daß Kaspar Buschreuter im Moore lag. Knechte und Mägde drängten herein in die Stube, und auch die Bäuerin kam herbei. Sie fragten hastig auf Jeremias drein. Er berichtete kurz und schielte dabei nach dem Bauern. Der schwieg und starrte vor sich hin. Nicht einmal zur trotzigen Lüge schwang er sich auf. Da wuchs des Kleinen Menschentum auch an Johann Heidecker. Er fühlte sich ihm überlegen.
»Wie mag es geschehen sein?« fragte die Bäuerin.
»Das weiß keiner,« entgegnete Jeremias.
Der Bauer wandte sich. Seine Augen waren unnatürlich weit und ohne Glanz, aber er hatte nun sein Gesicht so weit in der Gewalt, daß darin nur die Lider bebten. »Ja, es weiß es niemand. Er wird sich verlaufen haben. Vielleicht, daß er zur Nacht auf den Hof wollte.«
Die Leute gingen hinaus. Marlene trat zur Bäuerin. »Das war der Totenwurm. Jetzt ist er still. Gott sei Dank, daß es keinen vom Hofe traf.«
Jakob Sindig schulterte die Axt und ging mit Jeremias nach dem Moorgute. Er sprach unterwegs nicht, schritt hastig zu, und Jeremias hatte Not, mitzukommen. Auch der Bucklige war still. Er schwieg und trug sein Wissen allein, weil er Jakob nicht eine Last aufbürden wollte. Der tat ihm leid. Und auch die Eigensucht schloß ihm den Mund. Was würde Jakob tun, wenn er die Wahrheit erfuhr? Den Bauern niederschlagen? Vielleicht. Sicher aber würde er gehen, fort vom Hofe, hinaus in das Land, und Jeremias hatte dann keinen, der ihn zu einem Menschen machte.
Die zwei kamen an das Moor. Lisa bemerkte sie vom Fenster aus. Sie sah, wie Jakob die Axt schwang, wie das Eis aufspritzte, und daß Jeremias mit den Händen die losgeschlagenen Brocken zur Seite warf. Da setzte sie sich in die Ecke, schlug die Schürze vor das Gesicht und weinte. Auch heute war der Bauer nicht mit heraufgekommen.
Jakob Sindig hatte strenge Augen, als er den erstarrten Mann in das Haus trug. Er fragte Lisa hart: Warum hast du nicht eher gesagt, daß er fehlt?«
»Ich dachte, er sei von mir gegangen, in das Land hinaus,« sagte sie weinend.
Da schien es Jakob, als lägen die vergangenen Jahre im Angesichte des Toten schwer und anklagend auf dem Weibe. Er meinte, sie sei hart gestraft und hob keinen Stein auf gegen sie.
Als er heimkehrte, ging Jeremias etliche Schritte mit ihm. »Nun hat das Moorgut keinen Herrn mehr,« sagte er, »und ich weiß nicht, wie das mit mir werden wird.«
»Es wird ein anderer heraufziehn, vielleicht Lorenz, vielleicht Wilhelm oder sonst einer,« entgegnete Sindig, »du bleibst, wo du bist. Warum sollte das anders werden?«
»Jakob,« Jeremias faßte seine Hand und hatte bettelnde Augen, »du möchtest nicht – da herauf?«
»Ich?« fragte Jakob überrascht und blieb stehen. Dann langsam und wie aus der Ferne: »Ich? – Ich sollte an das Moor ziehn?«
»O, das wäre doch etwas für dich. Da ist keiner, der dir die Tagesarbeit vorschreibt. Hier bist du einer, dem niemand befiehlt, der tut, was er mag, und läßt, was er will.«
»Und der Bauer?«
»Der – kam schon früher selten und kommt jetzt wohl gar nicht mehr. – Ich meine, wenn er dich da oben weiß.«
»Fort sollte ich von dem Hofe? – Von dem Hofe? An das Moor? Jeremias!«
»Ich sehe schon, du willst nicht. Dann bleibe ich auch, wie ich bin, einer, der sich fürchtet, der es nicht wagt, zu sagen, daß er auch ein Mensch ist, den die Rothaarige schlägt und über den der Bauer lacht.«
»Lisa schlägt dich?«
»Sie hat es sonst getan. In den letzten Zeiten nicht mehr. Sie fürchtet sich vor dir.«
»Vor mir? Wie das? Ich habe kaum mit ihr gesprochen.«
»Sie weiß, daß du es nicht leiden würdest.«
»Ach so. Ja, und das, was du sagtest, daß ich da heraufkommen solle, das kann man nicht ganz von sich weisen. Es ist etwas daran, das mich reizen könnte. Geh heim, Jeremias. Was ich tun werde, das weiß ich noch nicht. Es liegt auch nicht nur in meiner Hand. Lebe wohl. Und – du fürchtest dich nicht vor dem Toten?«
»Nein. – Ich denke an dich. Leb wohl, Jakob.«
Und Jeremias sprang zurück.
Jakob ging langsam stapfend nach dem Hofe. Er reckte die Arme. Darauf hatte Kaspar gelegen, der nun ein Eisklumpen war. Und der hatte vor wenig Tagen noch mit ihm geschafft, ihm hungrig in die Augen gesehen, und er hatte ihm gegeben, was er meinte, geben zu können. Er hatte es für Brot gehalten, und – es waren Steine gewesen? Steine, die so schwer auf einem lasteten, daß sie ihn in das Wasser hinabzerrten? – Wie das alles auf ihn zukam und sich an ihn hing, immer mehr, immer mehr! Ob er nicht an Kaspars Tode schuldig war? Und dem starken Jakob Sindig trat der Schweiß auf die Stirn. Eines weckte das andere. Aust wollte ihn zu einem Helfer der Häusler machen, und Gertrud Heidecker sagte, sie sähe nur Leid, wenn er die Leute nicht von sich abhielte. Und sie meinte, er werde das nicht können. Darum wollte sie ihn in die Welt hinausschicken. Warum in die Welt? Da ist das einsame Moorgut. Das hat keinen, der es betreut. Es liegt schier außer der Welt. Ah, ja, das ist ein Weg. Jeremias ist klug. Aber da ist auch das Moor. Es hatte auch nach ihm gelangt, und Kaspar Buschreuter, der heute tot war und ein Eisklumpen, der hatte ihn gewarnt.
Das Moor fürchtest du? Wer ist stärker, Jakob Sindig oder das Moor? ›Wenn es sich richten läßt, dann gehe ich an das Moor.‹
So kam er auf den Hof, hatte das Haupt in den Nacken gerissen und reckte sich wie zum Kampfe. –
Kaspar Buschreuter war begraben. Sie hatten ihn nach dem kleinen einsamen Friedhof gefahren, der drunten im Bärengraben neben einer winzigen Kapelle lag. Es hatte sich alles leicht erledigen lassen. Johann Heidecker hatte aus Kaspars Papieren, die bei ihm lagen, die nötigen Angaben gemacht. Das hatte genügt. Selbstmord oder Unglück? Was sollte man sagen. Der Pfarrer von Niederau war jedenfalls nicht dagewesen. Kaspar Buschreuter war ausgelöscht.
Als der knarrende Wagen, den Jakob Sindig lenkte und hinter dem Wilhelm und Lorenz dreingingen, mit dem rohen Sarge am Hofe vorüberfuhr, hatten sie da alle am Tore gestanden, hatten die Hände gefaltet und eine Träne im Augenwinkel zerdrückt. Den Bauern jedoch sah keines. Er lag hinter verschlossener Tür über seinem Bette, aber – das Knarren des Wagens, das Klirren der Ketten und das Schnaufen der Pferde drang, von seiner Seele tausendfach verstärkt, herein und schüttelte den Mann. Dann, als es lange verhallt war, riß er sich empor. Eine trotzige Falte stand ihm in der Stirn, die Augen lagen tief, die Lippen preßte er aufeinander. Er wollte niederzwingen, was ihn aus dem Gleise warf, fuhr drunten grob unter die Leute und trieb sie an die Arbeit.
Das war der Bauer wieder, wie er immer gewesen war, sah keines, daß er anders war, nur sein Weib fühlte es und wußte nicht, wo es hinausgehen werde und woher es kam.
Lisa Buschreuter war dem Wagen nicht gefolgt, aber als es dunkelte, kam sie auf den Hof. Die Mägde gingen scheu aus dem Wege, als sie das schwarzgekleidete, hagere Weib daherkommen sahen.
Sie begehrte, mit dem Bauern zu reden.
Gertrud Heidecker ging den Mägden im Stalle und in der Milchkammer zur Hand. Lisa und der Bauer waren allein.
Heidecker streckte ihr die Hand entgegen. »Es ist mir leid, Lisa, um den Kaspar. Er war ein rechtlicher Mensch.«
Da lachte Lisa grell auf und übersah die Hand. Sie trat nahe an den Bauern heran. »Ich bin nicht gekommen, Lügen zu hören. Binsenhofbauer, du kannst gut rechnen, aber du hast dich verrechnet. Du brauchst mir nichts zu sagen. Ich habe gesehen, was geschah. Da hat einer von dir gefordert, was du ihm nicht geben wolltest. Warum tat er es, er war ein Narr, und du hast ihn still gemacht.«
»Gut. Ich will hingehn, nach Niederau, vor das Gericht, will erzählen, was ich weiß, dann tritt hin und sage, daß ich lüge. Ich werde die Hand auf das Kreuz legen, dann schreie, daß ich lüge! Ich will die Hand aufrecken. – Wie du erschrickst, Bauer. Es ist unnütz, zu lügen. Deine Augen reden lauter, als du meinst. Das aber ist es nicht, weswegen ich da bin. Es ist ein anderes, das mich auf den Hof führt. – Warum kamst du nicht hinauf in diesen Tagen?«
»Ich konnte nicht. Es liegt mir eine Krankheit in den Gliedern.«
»Die wird lange darin liegen. Darum sorg' dich nicht. Du hättest kommen müssen, und wenn du gekrochen wärest wie ein Tier. Wußtest du nicht, daß ich auf dich wartete, daß der Kaspar um mich war, Tag und Nacht, daß ich einen Eisklumpen neben mir fühlte, ob ich lag oder ging, und daß du mir helfen mußtest? Hast du das nicht gespürt, daß ich dich brauchte? Aber du hast nicht nach mir gefragt. Das ist es, was mich hertreibt. Wärst du gekommen, so hätte ich gejammert, du hättest Worte gehabt, – es fehlt dir ja nicht daran, wenn du willst, – ich hätte dir geglaubt und wäre still geworden. Aber du hast mich allein gelassen, als wäre ich nicht mehr denn ein Haderlumpen. Bauer, ich weiß nicht, was ich tun werde, aber es ist mir nichts zu schlecht. Das habe ich dir sagen wollen. Gute Nacht.« – –
Johann Heideckers Trotz war wie Strohfeuer gewesen. Hundertmal stärker waren das Grauen und die Angst. Lisa Buschreuter wußte nicht, was sie tun würde, aber sie würde sich vor nichts fürchten. Was hatte sie zu verlieren? Was machte es ihr aus, wenn man mit Fingern auf sie wies?
Das Moorgut, das entsetzliche Moor! Daß er los wäre davon. Los sein möchte er es. Er wird nie wieder einen Fuß auf das Gut setzen. Verkaufen das Moor? Hm, verkaufen. Das geht ihm nicht ein. ›Es gehört zum Hofe. Verschenken? Moor und Gut und Wald verschenken? – Warum nicht, du mußt klug sein. Es soll bei dem Hofe bleiben, und du kannst es doch verschenken. Das kannst du, wenn du klug bist. Dein Weib gibt dir ein Kind, du gibst ihr das Moorgut. Es sieht aus, als wolltest du sie auf feste Füße stellen, da sie doch ein Häuslerkind ist.‹
Drei Tage ging er mit sich zu Rate. In der anderen Woche legte er eine Urkunde in seines Weibes Hand, nach welcher sie die Besitzerin des Moorgutes, des Moores und des anschließenden Waldes war. Viel Land und ein nicht unbeträchtlicher Wert, aber Gertrud Heidecker riß erschrocken die Augen auf. »Was soll das, Johann? Warum läßt du mir das Moorgut überschreiben?«
»Es ist für das Kind. Und da ist noch etwas, vielleicht, daß du es brauchen kannst. Das hat einer aufgeschrieben, der vor zwanzig Jahren oft in den Bergen gewesen ist. Er war aus der Stadt, hat wohl allerlei verstanden und hat etwas vom Moore aufgeschrieben. Ich habe mich nicht darum gekümmert. Jetzt ist es dein. Tu, was du magst.« Damit legte der Bauer eine Rolle neben die Überschreibungsurkunde und ging hinaus.
Gertrud faltete die Hände über den Papieren. Nun gehörte ihr das Moor, das menschenverschlingende Moor. Und das Gut gehörte ihr, auf dem Lisa jetzt mit dem Jeremias hauste, und der Wald, den Jakob Sindig rein machen wollte und neu und gesund. ›Jakob Sindig, Jakob Sindig!‹ Das Gut brauchte einen, der es bewirtschaftete. Jakob Sindig? ›Nein, nicht an das Moor, nicht an das Moor!‹
Gertrud legte Rolle und Urkunde zur Seite. Jetzt müßte sie einen haben, mit dem sie reden könnte. Ihren Mann? Der hatte das Gut – ja, was denn? Ihr überschrieben aus Dank, wie er sagte, in rascher, guter Herzensregung? Der Bauer? Darüber mußte man schier lachen. Es graute ihm vor dem Moore. Nun warf er es seinem Weibe auf den Hals. Wie ein Faustschlag war das Geschenk.
»Annedore,« rief die Bäuerin über den Flur. Und als die Magd kam: »Gehe hinab zu meinem Vater, ich bäte ihn, heraufzukommen, morgen, nein, heute. Ich müßte ihm etwas sagen und etwas mit ihm bereden.«
Als der Bauer, zum Ausgehen gerüstet, in die Stube trat, fragte ihn sein Weib: »Wie soll ich das nun mit dem Moorgute halten?«
»Wie du magst,« entgegnete Heidecker, »mich frag' nicht darum. Es ist dein.«
»Warum hast du es mir überschreiben lassen?« fragte sie hart.
»Ich sagte dir doch: es ist für das Kind.« Der Bauer versuchte, seiner Stimme einen ehrlichen Klang zu geben, aber seine Augen straften ihn Lügen.
»Ich habe nach dem Vater geschickt,« sprach Gertrud herb.
»Warum?«
»Um mit ihm über das zu reden, was nun droben zu tun ist, und wen wir an des Kaspar Stelle setzen. Es wird nicht leicht sein, einen zu finden. Ist immer nur einer gegangen, der nicht anders konnte.«
Darauf erwiderte Heidecker nichts. Nur: »Ich gehe zum Vorsteher.« Und: »Es wird gut sein, wenn du, bevor dein Vater kommt, liesest, was da einer über das Moor geschrieben hat. Es könnte sein, daß es dich reizte.«
Da trat sein Weib noch einmal vor ihn hin. »Danken kann ich dir nicht, Johann, das verlange nicht.«
»Nein, das verlange ich nicht.«
Er ging.
Gertrud blickte noch eine Weile traurig sinnend vor sich hin, dann griff sie zögernd zu der Rolle. Sie glättete die Papiere. Da fielen ihr beschriebene Blätter in die Hand und eine Zeichnung. Darauf standen Worte wie: Flutgraben, Kulturgrenze, Fahrweg. Es war ein Plan des großen Binsenhofmoores. Der ihn gezeichnet und auf vielen Seiten erläutert, hatte Großes vorgehabt. Die Entwässerung des Moores und seine Nutzbarmachung als Waldboden oder Ackerland. Gertrud Heidecker las. Ihre Augen wurden heiß, und je länger sie las und auf dem Plane nachsuchte, was da geschrieben war, um so wärmer ging ein Frohsein und ein Aufatmen über sie. Ob sie schon nicht viel von dem verstand, was da ausgemessen und berechnet war, so erkannte sie doch das große Ziel. Achtundneunzig Morgen Moorland waren nach der Meinung dessen, der das geschrieben, nutzbar zu machen, konnten in fruchttragende Erde umgewandelt werden und eins, zwei, vier Familien geben, was sie zum Leben brauchten. Nur: Es mußte einer darüber kommen, der ein Riese war an Kraft und Willen. Jakob Sindig?
Ach Gott, Jakob Sindig! Der hatte vor Tagen müde vor ihr gestanden, weil Ungeheures sich ungerufen an ihn drängte. Sie hatte ihm geraten, fortzugehen, ehe er an einer Aufgabe zerbräche, die nicht zu lösen war, weil es unmöglich war, viele Menschen unter den gleichen Willen zu zwingen; denn es waren kleine Seelen. Dem sollte sie auf die Schultern laden, was schwer war wie ein Berg?
Da trat der alte Morheimer ein. Gertrud begrüßte ihn, setzte sich an seine Seite, redete lange und erläuterte, so gut sie es verstand.
Der Alte schüttelte den Kopf. »Man weiß nicht, was man dazu sagen soll. Daß er dir das Moor schenkt!« Dann aber, als sei er innerlich damit fertig geworden: »Was du da von dem Trockenlegen sagst, das geht mir ein. Es kann etwas Gutes werden, vielleicht, aber es gehört einer dazu, der mehr kann als ein Gewöhnlicher.« Er stützte das Haupt in die Hand, sah ernst sinnend vor sich hin und sprach leise: »Jakob Sindig. Der würde es wohl können. Ich höre viel von ihm.«
Über Gertruds Antlitz flog eine rasche Röte. »Auch du, Vater?« sagte sie. »Wie sich das begegnet. Ich habe auch an ihn gedacht, aber wäre es recht, ihn hinaufzuschicken in die Einsamkeit, ihn vor etwas zu stellen, das so schwer und vielleicht nicht auszuführen ist? Am Ende ist das alles, was da steht, törichtes Zeug.«
Morheimer legte die Hand auf die Blätter. »Nein, Kind, der das geschrieben hat, der wußte, was er wollte. Das fühlst du, und das fühle ich, ob wir es auch nicht verstehen, aber du hast recht, es ist, als schicke man den in die Verbannung, den man an das Werk setzt, droben im Walde, abseits von den Menschen. Und: Wäre Jakob Sindig nicht da, wir würden die Rolle beiseitelegen und es lassen, wie es ist. Nun ist er da, wir kommen nicht an ihm vorüber, und ganz von selbst gibt es sich, daß wir ihm zutrauen, was wir von keinem sonst erwarten.«
Da trat der, von dem sie redeten, ein. Seine Augen wurden froh, als er den alten Morheimer sah. Er grüßte ihn, lachte und sagte: »Du bist ein seltener Gast auf dem Hofe. Es ist das erstemal, daß ich dich hier sehe.«
»Er kommt nur, wenn man ihn ruft,« sprach die Bäuerin und sah erwartungsvoll zu Jakob Sindig auf. Sie dachte, daß er fragen werde, warum sie den Vater herbeigerufen, aber Jakob hub an, von Kaspar zu sprechen, daß es ihm leid sei um ihn, und daß er sich den Kopf darüber zerbreche, wie das wohl zugegangen sei.
Da begann der alte Morheimer bedachtsam: »Eben reden wir vom Moore. Es hat einen neuen Herrn.«
»Einen neuen? Schon? Lorenz oder – einen fremden?«
»Keinen Verwalter, Jakob, einen neuen Herrn.«
»Verschenkt. Und der Herr ist ein Weib, und – da sitzt es.«
»Der Bauer hat dir das Moor geschenkt?« Jakob brachte die Worte kaum heraus, so überrascht war er.
»Ja, da steht es geschrieben,« antwortete die Bäuerin. »Und da ist noch etwas, das er auch in meine Hände gelegt hat. Darüber habe ich den Vater um Rat gefragt, aber er weiß so wenig wie ich.«
Sie reichte Jakob die Zeichnung und die Erläuterungen dazu. Der aber sah nicht hinein. Er schüttelte den Kopf. »Der Bauer hat dir das Moor geschenkt! Das ist wunderlich.«
»Es ist etwas damit anzufangen,« sagte die Bäuerin, um Jakob von seinen Gedanken abzubringen. Wie ein Bedauern lag es in dessen Augen und weckte wieder, was vor den Blättern in dem Weibe eingeschlafen war.
»Mit dem Moore?«
Der Bäuerin Vater kam seinem Kinde zu Hilfe. »Du hältst in den Händen, was einer über das Moor geschrieben hat. Und der Mann hat etwas davon verstanden. Er wollte das Moor – trockenlegen.«
Dazu wußte Jakob nichts zu sagen. Es kam heran wie ein Wogen. Das Moor trockenlegen!
Er ließ sich am Tische nieder, breitete langsam die Zeichnung aus, sah darüber hin mit leeren Augen, blickte drauf nieder und las. Und die Blätter nahmen ihn gefangen. ›Flutgraben, Weg, Kulturgrenze.‹ Seine Augen bohrten sich förmlich in das Papier. Strich an Strich, Gräben, Gräben, schmal, breit, Wege lang hin, Wege quer herüber. Er hatte vergessen, daß er neben der Bäuerin und ihrem Vater saß. Die schwiegen, weil sie fühlten, wie es in dem Manne zu arbeiten begann, und sie hielten sich zurück, um ihm nicht mit Wort oder Blick zu verraten, daß sie beide an ihn gedacht hatten und etwas von ihm erwarteten.
Jakob Sindig schloß die Augen. Nun sah er das Moor vor sich. Da das Gut mit den Feldern zur Seite, drüben die Erlen mit den Krähennestern und die weißleuchtenden Birken. Blaugrüne Moospolster zwischen dunklen Lachen, klirrende Binsen und wiegendes Schilf, zahllose weiße Sternchen von Sumpfblumen und rote Ähren an niederen Stengeln. Und aus dem öden Moore wuchs es empor, Halm an Halm, Korn und Gerste und Hafer, gelb und sich demütig neigend. Kühe zogen auf den Wegen die beladenen Wagen, Männer schwangen die Peitsche, und Frauen in wehenden Kopftüchern saßen auf den Garben.
»Ah,« sagte er langsam, »das wäre etwas, das Moor trockenlegen!«
Die Bäuerin nickte. »Es sind achtundneunzig Morgen. Ich habe mir gedacht, daß vier Gütlein da stehen könnten.«
»Wie sagst du?« fragte Jakob verwundert, »vier Gütlein? Es ist doch dein und gehört zum Hofe.«
»Mein ist es,« sagte Gertrud. »Aber ob es bei dem Hofe bleibt, das weiß ich noch nicht. Ich kann tun damit, was ich will.«
»Und du meinst?«
»Ja, vier Gütlein.«
»Das ist gut. Du mußt einen suchen, einen Tüchtigen, der etwas davon versteht.«
»Den Tüchtigen, Jakob, den fände man vielleicht. Es ginge nur darum, ob er wollte. Sonst wüßte ich wohl einen,« sprach Morheimer.
»Bäuerin,« rief Jakob und sprang auf, »vier Gütlein, sagst du, würdest du daraus machen? – Und man kann das Moor, das tote Moor zwingen, daß es Frucht trägt? Bäuerin, ich wüßte einen, der es versuchen möchte.«
»Jakob,« wehrte sie ab, »Jakob, das ist deine Art. Es reißt dich fort.«
Sindig verwunderte sich nicht darüber, daß sie ihn verstand.
»Du«, sagte er, »das wäre wie bei den Stämmen drunten im Wasser, aber es ginge einem nicht unter den Fingern fort, es bliebe. – Ich will hinauf.«
Er hielt ihr die Hand hin. Gertrud legte die ihre hinein.
»Du bist rasch. So geht es nicht. Dazu ist es zu ernst und zu schwer. Nimm die Papiere, lies, was drin steht, bedenke es, gehe noch einmal hinauf an das Moor und dann – in acht Tagen will ich dich fragen, wie du darüber denkst.«
»Das Moor gehört dir?«
»Ja, aber das laß aus dem Spiele. Sonst sage ich nein. Du sollst es nicht um meinetwillen tun.« Dabei sprang es zwischen den zweien hin und wider wie Funken. Morheimer aber, der gebückt über den Papieren saß, sah es nicht. Die Funken verknisterten. Es blieb kein Glimmen zurück. – –
Acht Tage hatte Jakob Sindig gewissenhaft innegehalten. Es war da eigentlich kein Ringen in ihm um das Werk selbst, nur um das, was ihn dazu trieb. Die Liebe zu vielen, oder die Liebe zu einer. Seine Augen wurden finster und streng. Tat er es nicht für Gertrud Heidecker, so fehlte ihm am Ende die Freudigkeit. Was gingen ihn die vielen an? Am Moore, vom Moore selbst mußte er sich Rat holen.
Er ging hinauf. Ohne Zögern schritt er hinein in das Moor. Heute schwankte der Boden nicht unter ihm, heute trug er ihn. Lang und quer überschritt Jakob Sindig das Moor. Schilf brach unter seinen Füßen raschelnd zusammen, schwarzröckige Krähen flogen schreiend vor ihm davon, Meisen gaukelten an den Birken und zwitscherten. Wie weit der Weg war. Achtundneunzig Morgen. Nun war er am Rande, hielt die Hand über die Augen, schaute auf den Weg, den er gemacht, trat auf, fest auf. Der Boden klang wie Stahl und wankte nicht. ›Vier Gütlein, da, dort, dort. Vier Häusler können da wohnen, kein Gewitterwasser wird ihre Äcker zerreißen, keiner braucht bei den Bauern zu betteln um Geld und Korn zu Brot, und keiner braucht sich dafür zu verdingen in freudarme Fron.‹ Lang schritt Jakob Sindig wieder aus. Er setzte einem Widerstrebenden den Fuß in den Nacken. Es war der Schritt des Siegers. Und – er dachte nicht an Gertrud Heidecker.
Jeremias hatte den Riesen beobachtet. Er bangte nicht um ihn. Das Moor war eisenhart gefroren. Von dem Schreitenden aber flog etwas herüber, etwas Neues, Frohes, ganz, ganz Starkes.
»Jakob!« schrie Jeremias.
Der stutzte, reckte die Arme, legte die Hände an den Mund und schrie zurück: »Ich komme an das Moor!«
So stark war die Stimme, daß sich die Wipfel der Bäume schier davor neigten.
Jeremias sprang in das Haus zurück.
»Jakob Sindig kommt an das Moor!«
Und Lisa legte die Hände in den Schoß. Das Herz schlug ihr hart. »Jakob Sindig kommt an das Moor.«