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8.

Dreikönigstanz! Frostklirrend schritt der Januar durch das Land. Die bereiften Bäume glitzerten, der Schnee knirschte, der Hauch flog wie weißer Rauch vom Munde, den Männern froren Eiszacken in die Bärte, die Kinder standen an den Fenstern, hauchten kreisrunde Löcher in die Frostblumen, legten eine Fingerspitze nach der anderen an das glitzernde Silber und freuten sich, wenn unter der jungen Wärme ein Gucklöchlein wurde, so groß, daß ein Kinderauge eben hindurchlugen konnte.

Reisiger, der Wirt, schaffte wacker. Über dem Kuhstalle war der Tanzsaal. Dreimal so groß wie eine Bauernstube und niedrig. Die Fenster aber liefen in Bogen aus, und in denen war buntes Glas, rotes, blaues, gelbes. Eine Empore war an der Schmalseite des Saales. Das war der Musikantenplatz. Lange Bänke liefen an den Wänden hin, und unter der Empore war Reisigers besonderes Reich, der Schanktisch. Da stand ein kleiner, eiserner Ofen, dessen Rohr durch ein Fenster hinaus ins Freie ging. Auf dem Ofen hatte der Topf seinen Platz, aus dem heißes Wasser zu Grog auf Rum und Zucker gegossen wurde. Unter dem Ofen standen ein Paar dicke Filzschuhe, damit sich Reisiger bei dem langen Stehen nicht die Füße erfröre. Sein Bäuchlein wackelte, die Backen wabberten und die Äuglein glänzten. So schritt Reisiger durch den Saal und schnitt Lichte in feine Späne. Die sollten den Fußboden glätten.

Der Saal konnte sich sehen lassen. Ein Kronleuchter mit drei Lampen, an der Empore eine Girlande wie eine ungeheure grüne Wurst.

Um den Ofen stand Faß neben Faß.

Wer aus dem Hause in den Saal wollte, mußte über den Hof gehen; es war kein weiter Weg, aber der Wärmeunterschied war doch höllisch empfindlich. Wer fragte danach?

Nun kamen sie aus den Hanghäuslein, aus den Höfen, vom Lokwatale, aus dem Saugraben, dem Bärengraben, den anderen Seitentälern. Daheim blieben nur die Kinder und die Allerältesten. Die Männer schritten voraus, hinterdrein die Frauen. Blank gewichst glänzten die Stiefelschäfte, die im Gelenk gerippt waren und knarrten. Die Burschen ließen die Jackenflügel flattern und die Enden der bunten seidenen Halstücher, die sie kunstvoll verknotet hatten, wehen.

Frauen und Mädchen trugen dunkle Jacken, steckten die Hände in die Ärmel, kuschelten sich im Gehen aneinander und klapperten. »Huh kalt, huh kalt,« aber dazu lachten sie und hatten blanke Augen. Dreikönigstanz!

Anton Gerber, Rudolf Leuschner, Martin Danz, Reinhold Auer kamen von Niederau herauf. Sie waren die Musikanten. Gerber trug die Baßgeige über dem Rücken, Leuschner die Trompete unter dem Arme, Danz das Waldhorn und Auer die Fiedel.

Die Nachmittagssonne schien und blendete die Augen. Gruppen fanden sich zu Gruppen. »Tag! Na also, daß wir nur da sind. Dreikönigstanz! Wär' doch schade, wenn man den nicht mitmachen könnte.« Die Frauen nahmen sich gegenseitig unter die Arme, und so kam ein Schwarm nach dem andern an die Stätte der Freude.

»Hast ein' Grog, Anneliese?« fragten die Männer Reisigers Tochter. »Gleich,« sagte die, rannte geschäftig von Tisch zu Tisch, stellte Bier hin und Schnaps und Grog, wand sich durch, stieß da gegen einen und schob dort einen aus dem Wege, nahm der Mutter die Gläser ab und konnte mit Dora Michel, die zur Aushilfe da war, nicht schnell genug schaffen, was verlangt wurde. Die Männer führten die dampfenden Gläser an den Mund, verbrannten sich die Zunge, lachten: »Teufel, der ist heiß gekocht,« und darauf regelmäßig die Frauen kichernd: »Kalt nicht,« tranken und gaben das Glas der Frau. Die trank, gab es weiter, indes schon ein neues gewandert kam.

Der Rauch stieg zur Decke, wallte und wirbelte, wenn die Leute durch die Schwaden schritten, und es lag ein halblautes Summen über den Menschen. »Den Eberlein tut der Kreuzbauer heute aus? Zum Dreikönigstanze! Dreinschlagen müßte man, aber zuletzt – – Wird der Lange kommen vom Binsenhofe?« –

In der Ecke der Wirtsstube saßen die Gemeindevertreter Bergrodas, die Bauern und – der Schneider, aber Valentin Heubacher war heute nicht das Wiesel, das er sonst war.

Adam Eberlein trat herein mit Frau und Tochter. Ein hagerer Mann mit traurigem Gesicht. Mutter und Tochter weinten, und es wurde einen Augenblick still im Zimmer. Dann hub die Begrüßung an. »Tag, Adam. Laß dich's nicht kümmern. Ist doch nicht deine Schuld. Etwas Warmes mußt du im Magen haben.« Und Adam Eberlein trank, und sein Weib und seine Tochter nippten und weinten.

Heidecker saß unter den Bauern. Seine Augen gingen unstet hin und wider.

Unter den letzten, die kamen, waren die Binsenhofleute. Die Bäuerin war daheim geblieben. Knechte, Mägde und auch Jakob Sindig kamen. Als Jakob geduckt durch die Tür schritt und sich hernach aufreckte, da sahen die Mädchen und Weiber auf ihn, stießen sich in die Seiten und fragten: »Ist das der vom Binsenhofe?« »Das ist er und heißt Jakob, Jakob Sindig.« Die Männer machten ihm Platz, blickten hinter ihm drein, und die ihn noch nicht kannten, sagten leise: »Donner noch nein, das ist einer!«

Jakob hatte den Schmied Peter Fröhlich erspäht. Der saß neben dem alten Morheimer. Vom Nebentische streckte Aust dem Langen die Rechte entgegen. Sindig ließ sich mit kurzem Gruße neben dem Schmiede nieder. Er sprach wenig, nur die Gesichter musterte er, und wenn er zu den Frauen und Mädchen hinüberblickte, so traf er dort auf fragende Augen, die sich rasch senkten.

Männer standen zwischen den Tischen. Es würde ja bald vorüber sein; dann gingen sie nach dem Saale. Waren viele zusammengekommen und war doch nicht ganz Bergroda. Kamen ihrer nicht wenige später und gingen an der Stube vorüber in den Saal. Sie mochten nicht dabei sein, wenn der Adam Eberlein abgetan wurde.

Jetzt schlug der Vorsteher an sein Glas, und es wurde still.

»Bergrodaer Gemeinde,« sagte er, »wir sind zusammengekommen, den Dreikönigstanz zu halten, und wir, die Vertreter der Gemeinde, wollen das Fest auf unsere Kosten ausrichten, wie wir es jedes Jahr gehalten haben. Frei für alle, die hier zu Gaste kommen, ob aus der Gemeinde oder nicht. Und wie wir bisher zusammengehalten haben, so soll es immer sein. Die Häusler nicht ohne die Bauern, die Bauern nicht ohne die Häusler. – Vergnügtes Fest!«

Er setzte sich, und ein Murmeln ging durch das Zimmer. Man wußte nicht, war es Beifall, war es Widerspruch.

Die Unterhaltung blieb dumpf; denn nun mußte das andere kommen, das sie eigentlich nichts anging, sie aber doch zwang, inwendig Stellung dazu zu nehmen. ›Einen am Dreikönigstanze austun!‹

Kling, kling. Der Vorsteher stand wieder.

»Es ist durch den Gemeindeboten angekündigt worden, daß heute das Häuslein des Adam Eberlein versteigert wird mit Schiff und Geschirr und zwei Morgen Hangacker. Freies Gebot für jedermann.«

Mit zweihundert Talern war der Eberlein dem Kreuzbauern, Michael Hübner, verschuldet.

»Wer bietet?« fragte der Vorsteher.

Die Gebote kamen langsam und stiegen ruckweise bis auf hundertundachtzig Taler. Von der Bank, auf der Eberlein saß, drang ein Stöhnen. Jakob Sindig konnte lange die Augen nicht von ihm wenden. Keinen Blutstropfen hatte der Mann in den Lippen. Stumpf war er und starr. Er wußte genau, wie das nun kam. Die Schuldsumme wurde ausgeboten, das galt für Pflicht. Das letzte Gebot tat der Gläubiger, hernach schwiegen die anderen, und der Vorsteher schlug zu. In Jakob Sindig wallte das Mitleid auf. ›Den alten Mann zum Knechte machen um zweihundert Taler? Und nachher tanzen sie? Und der Vorsteher hatte davon geredet, daß die Häusler die Bauern und die Bauern die Häusler brauchten?‹ Sindig berührte kaum noch den Stuhl. Er starrte nach dem Vorsteher. Wie der Mann dastand! Als ob er ein Klotz wäre. Der Kopf dick und wie abgehackt. Kein Hinterhaupt, nur Stirn schien er zu haben. Der Vorsteher schaute herüber, stutzte einen Augenblick und sah dann kalt über Jakob Sindig hin. Morheimer spürte Sindigs furchtbare Spannung und legte ihm warnend die Hand auf den Arm. »Jakob.«

Der wandte sich: »Was ist das Häuslein wert?«

»Darauf kommt es nicht an. Es bietet keiner über die Schuld hinaus.«

»Hundertachtzig Taler für ein Haus und zwei Morgen Feld?«

»Ein Hanghäusel, Jakob Sindig, kein Haus.«

»Haus ist Haus. Gilt dem Manne dort für ein Schloß.«

Er sprach erregt und keuchend, und die Leute wurden aufmerksam. Als sie den zornbebenden Riesen ansahen, da ging eine Unruhe über die Köpfe. Was wird das? Springt da einer aus der Bahn?

»Hundertachtzig Taler,« wiederholte der Vorsteher, »zum ersten, zum – – –«

»Zweihundert Taler.« Das war des Kreuzbauern Stimme.

Jetzt schwiegen die anderen.

»Zweihundert Taler zum ersten, zum zweiten, zum –«

»Zweihundertzehn, nein, zweihundertzwanzig Taler,« schrie einer und sprang auf.

Und ein Ruck flog durch die Menschen. Unterdrückte Schreie der Weiber, lautes Murren der Männer. Die Weiber rückten ängstlich aneinander. Ging das jetzt über die Köpfe drein? Die Männer bildeten eine freie Gasse von Jakob Sindig zum Vorsteher.

Der maß Jakob Sindig mit wägenden, ruhigen Augen, und es spielte wie leiser Hohn um seine Lippen.

»Wer tat das Gebot?« fragte er.

»Ich,« rief Sindig und trat an den Tisch heran.

Die Bauern duckten sich vor der kaum gebändigten Gewalt in dem erregten Manne.

»Wer bist du?«

»Frag' nicht so dumm,« schrie Sindig, »du hast mit mir gesprochen an deinem Hofe.«

»Da warst du mir der Knecht vom Binsenhofe, und ich fragte nicht nach deinem Namen.«

»Ich bin kein Knecht. Ich komme und gehe, wie ich will.«

»Dann bist du weniger als ein Knecht.«

»Wahr' dich, Vorsteher!«

»Ich fürchte mich nicht. – Deinen Namen will ich wissen. Es ist in Bergroda nie gewesen, daß einer, den man nicht kennt, daherkommt und die Bauern abbietet.«

»Ja,« keifte der Kreuzbauer, dem durch des Vorstehers Ruhe der Mut wieder wuchs, »ein Hergelaufener!«

Jakob hob die Faust.

Der Vorsteher erfaßte seinen Arm. »Macht das nachher aus! Hergelaufen! Das ist eine Redensart, dazu eine dumme. – Wenn du ein Gebot abgeben willst, so mußt du deinen Namen nennen; denn du bist fremd in der Gemeinde.«

»Jakob Sindig.«

»Gut, Schreiber, Jakob Sindig also. – Und mußt den Betrag daherlegen oder angeben, daß du ihn auf einen Tag zahlen willst, den du nennen magst und der nicht weit hinausliegen darf.«

Da kam es wie eine Ernüchterung über Jakob Sindig. ›Zweihundertzwanzig Taler!‹ Er schwieg. Die Bauern lauerten darauf, daß er sich nun bloßstelle, weil er das Geld nicht hatte.

›Zweihundertundzwanzig Taler!‹ Sindig dachte an seine Schwester Marie. ›Ich will sie um das Geld angehn. Sie wird froh sein darüber und wird es mir gerne geben.‹

»Zahlen?« sagte er langsam, »ich zahle in – vierzehn Tagen.«

»Gut, heute in vierzehn Tagen, wenn – keiner mehr bietet. Zweihundertundzwanzig Taler zum ersten, zum zweiten, zum – –«

Der Kreuzbauer wollte emporschnellen, aber der Vorsteher blickte ihn zwingend an. Da setzte er sich wieder.

»– – zum dritten und letzten. Heute in vierzehn Tagen lade ich den letzten und den vorletzten Bieter auf gleichen Tag und Stunde an gleichen Ort. Die Versteigerung ist aus. – Frohes Fest, ihr Leute!«

Sie atmeten alle tief und lang, als sich die Spannung löste. Jakob Sindig aber schritt auf den Kreuzbauern zu.

»Du nanntest mich einen Hergelaufenen. Ich bin nicht gewöhnt, mich so nennen zu lassen, und nicht gewöhnt, an das Gericht zu gehen.«

»Friede,« rief der Vorsteher, »der Bauer hat unbesonnen geredet. Es ist ihm leid.«

»Ja,« sagte der Bauer leise, »es ist mir leid.«

»Gut,« Jakob Sindig drauf. »Ihr habt es gehört.«

Er kehrte an seinen Platz zurück.

Unter den Bauern aber erhob sich ein leises Schelten gegen den Vorsteher.

Der sagte laut und ruhig: »Recht muß Recht bleiben. Häusler, Bauer, Knecht, es gilt gleich. Recht bleibt Recht.«

Zögernd und langsam, als sei das Schauspiel noch nicht aus, erhoben sich einzelne. Sogar die Mädchen drängten heute nicht zum Tanze.

Jakob Sindig aber saß neben dem Schmiede und dem alten Morheimer. Als er ruhig geworden, fragte er, wie Meister Peter die letzten Tage verbracht habe.

»Einen wie den anderen,« sagte der, »es springt da keiner aus der Reihe. Der Dienstag nimmt dem Montag aus der Hand, was übrigblieb, dem der Mittwoch und so fort. Wir erleben nichts, bis auf heute.«

»Ach so, ja,« sprach Jakob Sindig. »Wie konnte man das dulden?«

»Die Decken sind hierzulande niedrig,« entgegnete der Schmied bedächtig, »stößt sich mancher den Kopf ein.«

»Oder die Decke hinaus,« warf Jakob zornig ein.

»Nein,« redete Morheimer dagegen. »Die ist fester als ein Kopf.«

Sindig fühlte, daß sie sein Eingreifen nicht billigten.

»Morheimer,« lenkte er ab, »ich habe die Papiere durchgesehen. Es ist ein schweres Werk, das mit dem Moore.«

»Das wußte ich, und es steht dir frei, zurückzutreten.«

»O, mit dem Moore will ich dennoch fertig werden. Ob mit den Menschen, das weiß ich nicht. Ich muß es mir abgewöhnen, unter die Leute zu gehen.«

»Was das anbetrifft,« sagte der Schmied, »das wäre falsch. Nur: Du mußt dein Herz daheim lassen. Das ist zu groß, und du kannst es nicht in der Hand halten.«

Jakob Sindig sah ihn ernst an: »Ist kein schlechter Rat, aber mir nichts Neues. Es gab eine Zeit, da hatte ich kein Herz. So möchte ich nicht noch einmal leben.« Dabei hatte er traurige Augen, und der Schmied fühlte, daß es in Jakob Sindigs Leben einmal eine Zeit gegeben hatte, die einer Wüste glich.

»Was für ein großes Werk hast du vor?« erkundigte er sich.

»Er will das Binsenhofmoor trockenlegen,« erklärte Morheimer.

Da nahm der Schmied die Pfeife aus dem Munde, rückte seine Mütze und sagte: »Da müßte ich völlig die Mütze abnehmen. Das Moor trockenlegen? Hm. Das Moor trockenlegen.«

Er ließ den Blick über Sindig hin und wider gehen.

»Vielleicht kannst du es. Das wäre etwas. Und es liegt etwas darin. Das Binsenhofmoor ist eines. Es sind hier mehr als zehn kleine und große Moore auf dem Kamme, wenn auch keines so groß wie das Binsenhofmoor.«

»Vier Gütlein werden auf dem Binsenhofmoore stehen können,« sagte Jakob, und in seinen Augen war ein warmes Licht.

»Ja, und mit den anderen zusammen vielleicht dreißig. Dann wären die Hanghäuslein billig und die Leute teuer. Jakob Sindig, es ist nichts.«

»Warum?« fragte Jakob verwundert.

»Hm, das kann man nicht so sagen.«

Sindig aber setzte sich für sein Vorhaben ein. Und der Ausblick weitete sich. ›Warum nicht die Leute von den Hängen zwischen den Wäldern ansiedeln? Sie würden nicht im Überflusse leben können, würde keiner reich werden, aber sie wären frei.‹ Ganz freudig wurde er unter dem Neuen.

»Es geht nicht, Jakob Sindig,« widersprach der Schmied ernst.

»Das sagst du nun schon das zehntemal. Warum soll es nicht gehen?«

»Weil es einer nicht wollen wird, und der ist stark.«

»Du meinst den Vorsteher? Ich fürchte ihn nicht.« –

Vom Vorsteher hatten sich die Bauern abgewendet. Sie fuhren auf Heidecker ein. Wie er so einen dulden könne, ob er nicht mehr mit ihnen am gleichen Strange zöge?

Der Binsenhofbauer kniff die Augen halb zu. »Er ist nicht mehr bei mir.«

»Geht er fort?« fragte der Vorsteher.

»Das nicht,« entgegnete der Binsenhofbauer zögernd, »er geht an das Moor.«

»Dann bleibt er bei dir.«

»Nein, ich habe das Moor meinem Weibe überschreiben lassen.«

»Das Moor deinem Weibe?« fragten sie überrascht.

»Und nun ist er bei der?« der Vorsteher.

»Ja, er wirtschaftet für sie auf dem Moorgute.«

Der Schneider lauschte. Erst war er freudig emporgeschnellt, als er vernahm, Jakob Sindig bleibe nicht auf dem Hofe, nun schielte er forschend nach dem Bauern. Er witterte, aber die Fährte war nicht scharf.

Sie wollten weiter von Jakob Sindig reden, der Vorsteher aber schnitt das Gespräch ab. »Laßt das! Viel reden verdirbt eine Sache nur. Heute in vierzehn Tagen kommen wir wieder zusammen. Dann wollen wir sehen, wie es ausgeht. Und wenn Jakob Sindig seßhaft wird, gut, so muß man ihn an den Karren spannen. Ein einzeln Pferd bockt. Neben dem andern zieht es. Wir wollen in den Saal gehen.« –

Als die Leute aus der Stube in den Saal strömten, lag ein Name auf aller Lippen, er schwebte wie ein Summen über allen Häuptern, er wogte auf und ab. Jakob Sindig! Den Mädchen rann ein Schauer über den Rücken, die Männer strafften sich. »Der hat dagestanden und hat ihnen vor die Zähne geredet. Wie er dem Kreuzbauern heimleuchtete! – Aber was will er mit dem Häuslein? Hm ja, das wäre einer, den man brauchen könnte!«

Uralter Bann war gebrochen. Die erste Bresche seit Menschengedenken. Nun reckten sie sich, und die Augen blitzten. Wer schlägt die zweite?

Die Bauern traten in den Saal. Es war üblich, daß sich bei ihrem Eintreten einer in die Mitte stellte und ein Hoch auf die Festgeber ausbrachte. Heute schwiegen die Leute. Trat keiner heraus. Der Vorsteher lächelte. Über die Gesichter der andern Bauern aber lief ein Erschrecken.

Da wollte Heubacher den Tag retten. Er sprang in die Mitte.

»Die Herren von den Höfen, die Gastgeber, der Bergrodaer Gemeinderat: – hoch, hoch, hoch!«

Vereinzelte Stimmen fielen ein, aber das dumpfe Schweigen der anderen wirkte dadurch nur drückender.

Der Vorsteher lächelte noch immer. Er trat vor: »Ich danke dem Schneidermeister Heubacher dafür, daß er den Bergrodaer Gemeinderat hochleben ließ. Da er selber dazu gehört, so gilt es auch ihm. Er hat es verdient. – Leute,« nun wurde er ernst, »es liegt euch auf den Herzen, daß heute etwas geschah, das ungewöhnlich ist. Wenn ich euch ansehe, so der Reihe nach, so erkenne ich, daß ihr eher erschrocken seid als erfreut. Es ist kein Anlaß zur Freude und keiner zum Erschrecken. Ist ein Fremder unter uns gekommen, der uns nicht kennt. Was weiter? In Bergroda bleibt es, wie es war. Die Häusler mit den Bauern, die Bauern mit den Häuslern. Sind wir nicht menschlich? Wir stehen in hartem Ringen. Ihr wißt es. Wenn die Frühjahrswasser kommen und die Gewitterregen, so muß Hand in Hand greifen, oder wir hungern alle. Das bedenkt. Wäre es wie zu der Väter Zeiten, so wären keine Härten notwendig. Schiebt uns nicht in die Schuhe, was eure Schuld ist. Und wenn einer« – seine Worte troffen jetzt von bitterem Ernste – »sich außerhalb der Bräuche stellt, die die Notwendigkeit geheiligt hat, so ziehen wir alle die Hand von ihm zurück, und er verliert nicht nur sein Häusel, er verliert auch seine Heimat. Er wird fremd, wo er geboren ist und seine Vorfahren gesessen haben. – Nun seid fröhlich. Spielt auf, ihr da oben!«

Die Geige quiekte, der Baß grunzte, die Trompete schmetterte, der Vorsteher ergriff die erste, die ihm zur Hand stand, es war ein kleines Häuslerweib, und drehte sich mit ihr. Nach kurzer Zeit wirbelten die Tänzer durcheinander, der Staub flog auf, die Gesichter wurden heiß, die Jugend sprang mit beiden Beinen in die Freude, und der Ernst war abgeschüttelt wie ein Alp.

Glas klang gegen Glas. Der Vorsteher war mitten unter den Häuslern, den Flößern, den Köhlern, lachte und scherzte, lobte die neuen Tücher der Frauen und Mädchen, hörte da eine Klage und versprach Abhilfe, tröstete dort und hatte freundliche, ruhige, sichere Augen. Verstohlen sprang der erste Juchzer auf, der Schneider flatterte von einer Ecke zur anderen, schlug Rad und krähte wie ein Hahn.

Die klamme Kälte schwand vor der Wärme der Leiber. Flößer standen zusammen, sangen ein Lied, rumpelten mit den Biergläsern aneinander und redeten über Vorteile bei ihrer Arbeit. Aber immer sprang es dazwischen: »Donner noch nein, der Lange!«

Einen Augenblick stand der Vorsteher neben Valentin Heubacher. »Sie müssen trinken,« raunte er ihm zu, »nachher hol' den Langen.«

Da wurde Heubacher blaß. »Den hole ich nicht. Ich bin ihm verfeindet. »So einer! Geht gegen euch an und bietet den Kreuzbauern ab!«

»Das laß nicht deine Sorge sein, du Heuchler! Als ob du dich nicht darüber freutest!«

Es sah aus, als spräche der Vorsteher: ›Mein lieber Heubacher,‹ so freundlich waren seine Augen bei den zornigen Worten.

Meister Valentin rannte davon, Schrecken und Zittern in den Gliedern, ein Lachen um die Lippen.

»Zu dienen, die Herren, zum Wohle!«

»Zu dienen, Schneider, zum Wohle! Was, der Sindig ist ein Kerl! Gottsdonner!«

Heubacher drückte die Augen halb zu. »Was, wie er es ihnen in die Zähne gehauen hat! – Zum Wohle, die Herren! Ein schönes Fest! – Ah, Liesel Groschopf, das paßt wie angegossen.«

Er kniff das Mädchen in den Arm und ließ seine Hand über ihre Brust gleiten, daß das Liesele laut kicherte und ihm auf die Finger schlug. Und der Schneider lachte, schlenkerte die Finger, daß es klatschte, und krähte: »Dreikönigstanz! Juhu! Zum Wohle, die Herren, zu dienen!« –

Der Vorsteher wartete auf Jakob Sindig. Als der nicht kam, ging er über den Hof nach der Gaststube zurück.

Da saß Sindig noch neben Fröhlich und Morheimer.

»Warum kommt ihr nicht in den Saal?« fragte der Vorsteher, »ist niemand zu alt heute zum Tanzen. Und einer wie der Sindig darf erst recht nicht fehlen. – Zum Wohle.« Er schwenkte ein Glas.

Morheimer und der Schmied taten ihm Bescheid.

Weil sich keiner erhob, ließ sich der Vorsteher nieder und packte den Stier bei den Hörnern.

»Etwas Schönes hast du angerichtet, Sindig,« sagte er lächelnd, »die Leute sind gewesen, als sei ihnen das Gewitterwasser über die Hangäcker gegangen. Du mußt nicht glauben, daß ich dir zürne. Warum sollst du nicht das Hanghäusel erstehen? Dein Gebot ist es noch immer wert. Der Kreuzbauer ist nicht erpicht darauf. Das mußt du nicht denken. Was fangen wir mit den Häusern an? Sind uns nur eine Last, machen Kosten und erhöhen die Steuern. Bringe die Leute dazu, daß sie werden, wie sie früher waren, und ich heiße die Stunde gut, da du über die Berge kamst. – Es lodert rasch bei dir oben hinaus, aber mir scheint, du denkst rechtlich. So kommen wir zusammen. Zum Wohle!«

Jakob Sindig erwiderte nichts auf des Vorstehers Worte. Er wollte nicht bitter werden und bezwang sich.

Nun redete der Vorsteher von der Kälte, und daß es gut sei, daß viel Schnee liege; denn sonst würden sie im kommenden Jahre keine Ernte haben. Er sprach mit ruhiger Freundlichkeit, als säße er unter Gleichen.

Dann forderte er die Männer abermals auf, mit ihm nach dem Saale zu gehen. Morheimer und der Schmied erhoben sich, und langsam folgte auch Jakob.

Der Vorsteher war vorausgegangen und stand bereits wieder inmitten einer Gruppe von Männern, als die drei eintraten.

»Da kommt der Heiland vom Binsenhofe,« sagte er so laut, daß es die Umstehenden hörten, die Worte aber nicht bis zu Jakob Sindig drangen.

›Der Heiland vom Binsenhofe!‹ Das Wort schlug Wellen wie ein Stein im Wasser. ›Der Heiland vom Binsenhofe.‹

Dideldideldei, sang die Geige, hm tata, hm tata, grunzte der Baß. Die Männer traten aus der Saalmitte nach den Seiten, der Jugend Platz gebend. Arm in Arm harrten die Mädchen. Die Burschen gingen breitspurig an ihnen vorüber, sahen geradeaus und hatten Vergnügen daran, wenn die Mädchen nicht wußten, welche die Erkorene sein würde. Mit hoheitsvoller Miene, als hätten sie ein Königreich zu verschenken, ohne die Tänzerin anzublicken, winkte der Bursche mit dem krummen Finger. Die, der es galt, und die es unfehlbar richtig deutete, ließ die Kameradinnen los, sprang aus der Reihe und warf sich dem Burschen in die Arme. Dreimal links herum, etliche Schritte im Trippelgang, dann waren sie in der Reihe. Die weiten Röcke drehten sich, so daß die Tänzerin aussah wie ein umgekehrter Kreisel, die roten Unterröcke blitzten, die Paare wirbelten aufeinander zu, wichen sich aus, drängten sich auf Klumpen, kicherten und kamen in ständigem Drehen wieder in die Reihe. Die Mädchen legten die dunklen Jacken ab, die enganliegenden Mieder leuchteten in frohen Farben, darüber die bunten Tücher, dann die bloßen, festen Arme mit den spitzengefaßten Ärmeln. In den Pausen brachten die Burschen Getränke.

Es dunkelte, Reisiger zündete die Lampen an. Die Tanzenden wurden wärmer, sie lehnten sich fester aneinander, die Wangen glühten, die Augen blitzten, die Brust hob und senkte sich ungestüm. Dreikönigstanz!

Hoch über die anderen hinausragend stand Jakob Sindig im Hintergrunde. Der alte Eberlein kam krummrückig auf ihn zu.

»Du, was willst du mit meinem Häuslein?«

»Nichts. Du bleibst, wo du bist, nur daß du das Geld nun mir schuldig bist, nicht dem Bauern, und ich tue dich nicht aus. Nun bist du frei und kannst arbeiten, wo du magst.«

Da faßte Eberlein seine Hand: »Hab' Dank, du. Aber – wirst du es zahlen können?«

»Zweihundertundzwanzig Taler?« lachte Sindig, »ich denke.«

Eberlein ging zu Frau und Kind zurück. »Er tut uns nicht aus, der Fremde, und – er muß reich sein.«

Und wieder ging ein Wispern durch die Reihen: »Er ist reich, der Jakob Sindig. Gelacht hat er: ›Zweihundertundzwanzig Taler!‹ Als ob es nichts wäre.«

Scharf äugend stand der Vorsteher unter den Männern. Er sprach hierhin und dahin, lachte und ermunterte zum Trinken, aber es entging ihm nicht das Kleinste, das um Jakob Sindig geschah. Der Binsenhofbauer, den der Vorsteher kürzlich gefragt, wußte nichts weiter von Jakob, als was die Papiere angaben. Morgen würde der Vorsteher an Sindigs Heimatbehörde schreiben. Wenn da irgendein Schmutzfleck war, so war die Sache leicht. Jetzt mußte er warten, und heute wollte er den Mann kennenlernen.

Und da waren zwei um den Riesen, zwei, die sich neben ihm ausnahmen wie Stubenhündchen neben einem Bernhardiner. Der eine war Jeremias vom Moorgute, der andere Robert Lindner aus dem Bärengraben, der den Geschmack verloren hatte. Sie sahen zu Sindig auf mit demütigen Augen. Mit hündischen Gebärden gingen sie um ihn herum und waren bemüht, ihm Gutes zu tun nach ihrer Weise, brachten ihm Bier und nötigten es ihm auf, ob er auch abwehrte. Dann standen sie breitbeinig neben dem Recken, selber wichtig werdend durch ihn, nickten verständig und nachdrücklich zu dem, was er sagte, schauten rechts und links: ›Seht her, das ist unser Freund, der, der den Bauern ein Hanghäusel aus den Fingern reißt.‹

Die Mädchen stießen sich an: »Warum tanzt er nicht? Was ist er für ein schöner Mensch! Wie eine Tanne! Und Augen hat er, seht doch die Augen!« Sie kamen zu Marlene. Die wies sie ab. »Was weiß ich? Er geht seine Wege, fragt nach niemandem und läßt keinen in sich hineinsehen.« So gingen sie zu Annedore. »Warum tanzt er nicht?« »Er kann es nicht.« Da lachten die Fragerinnen. ›Ein Kerl wie der kann nicht tanzen?‹

Annedore aber saß zuhinterst in einer Ecke, fror und wartete, daß Jakob Sindig auf sie zukäme. Der ließ seine Augen durch den Saal wandern, aber es sah nicht aus, als suche er jemand. Annedore war dem Weinen nahe. Dreikönigstanz und allein an der Mauer sitzen?

Lorenz und Wilhelm traten an Jakob heran und nötigten ihn zum Schanktische. Da waren die Flößer und die Köhler.

»Wißt ihr noch, wie sie vor fünf Jahren den Gruber ausgetan haben?« sagte einer. »Erst hat er geflennt wie ein Kind, hernach hat er angefangen zu tanzen, ganz allein, wie ein Hanswurst, um Mitternacht war er betrunken, und am Morgen fanden sie ihn erfroren.«

»Warum hat ihn keiner heimgebracht?« fragte Jakob Sindig.

»Er war hinaus, hat niemand gemerkt, daß er ging. Weg war er.«

»Und hat sich betrunken gestellt. Er war es nicht. Ich habe gesehen, wie es ihm naß über die Wangen gegangen ist immerzu. Hat sich gestellt, als hätte er zu viel,« sagte ein anderer.

»Und am Morgen war er tot?« erkundigte sich Sindig wieder.

»Ja, stocksteif.«

»Dann hat er zuviel gehabt.« Er meinte: zuviel Herz. Die Hörer deuteten es anders.

»Muß wohl so gewesen sein. Was soll man sagen? – Trink, Sindig! Donner noch nein, ein Kerl wie du!« Der Sprecher sah sich scheu um. »Du bleibst doch hier? Das war der Anfang, das mit dem Eberlein. Trink, Jakob, wir haben nicht mehr, aber das ist da. Trink!«

Aust, der Flößer, schlug ihn auf die Schulter. »Du, mein Weib möchte dich kennenlernen. Ist keine von den jüngsten mehr, aber wie die Weiber sind. Ein Kerl wie du, der sticht ihnen in die Augen. Ich habe es doch gesagt. Das ist, wie wenn die Motten auf das Licht zufliegen. Zuletzt aber bist du es, der hängenbleibt.«

Neben Austs Frau stand seine Tochter. Die war ein hochgewachsenes, dunkelhaariges Mädchen. Sie reichte Sindig die Hand und schalt ihn, weil er am Dreikönigstage nicht tanze. Und von allen Ecken und Enden: »Trink, Sindig!«

Als es wieder zum Tanze ging, wurde Austs Tochter geholt. Der Vater sah ihr nach und dann auf den kühlen Jakob Sindig, so als frage er ihn: Ist sie dir nicht gut genug? Sindig aber deutete sich den Blick nicht. Er sah Annedore sitzen und neben ihr Jeremias. Arglos ging er auf sie zu und dachte nicht daran, daß sich ihm das Mädchen entgegengedrängt. Als Annedore Jakob kommen sah, wandte sie sich rasch von Jeremias ab. Sie hatte starkes Herzklopfen und frohlockte inwendig, als sich Sindig neben sie setzte. Und Jeremias tat, was er für richtig hielt. Er holte Getränke.

»Seid ihr denn des Teufels heut?« lachte Jakob. »Wie das läuft! Ganz warm wird es mir. Ich bin kein Trinker.«

Annedore aber sah ihm werbend in die Augen: »Dreikönigstanz – was kommt es darauf an! Zum Wohle, Jakob!« Sie rückte so dicht an seine Seite, daß ihr Arm ihn streifte.

Eine ganze Weile saß er neben dem Mädchen, plauderte und wurde fröhlich. Jeremias war still zu anderen gegangen. Jakob und Annedore! Was willst du denn, Jeremias? Dein Herz tut dir weh? Narr, du bist bucklig. Und Jakob! Auf hundert Stunden keiner wie der! Die können Dreikönigstag feiern, die zwei. Was wissen sie, ob einer daneben steht und hungert und friert.

Der Vorsteher hatte sich herzugeschlängelt. »Annedore,« sagte er, »das ist nichts, daß Jakob nicht tanzt. Faß ihn unter, und dann hinein mit ihm unter die anderen.«

»Ich tanze nicht,« wehrte Sindig ab.

»Ist dir unser Fest nicht gut genug? Bist du Besseres gewöhnt?«

»Das ist es nicht, aber – ich tanze nicht. – – Warm wird es einem. Trinken könnt ihr, Donner noch nein!«

»Zum Wohle!« Der Vorsteher hob ihm das Glas entgegen.

Dann sprach er ganz ernsthaft, daß es ein beschwerliches Leben sei zwischen den Bergen. Und die Häusler hätten es gewiß nicht gut, aber die Bauern kaum besser. So müsse sich jeder wehren, wie er könne.

»Das aber ist gestohlen, wenn ihr den Leuten die Häuser um ein Schandgeld abnehmt,« eiferte Jakob Sindig.

Es flog ein rasches Blitzen über des Vorstehers Augen. Dann waren sie wieder wie zuvor. In Jakob begann das Blut zu wallen. Der Vorsteher nötigte mehr als die anderen zum Trinken. Schneider Heubacher war zur Hand, wußte niemand, woher er immer im rechten Augenblicke kam. »Zu dienen,« sagte er und füllte die Gläser.

Und immer redete der Vorsteher, lachte und war aufgeräumt, überschüttete Jakob förmlich mit Biederkeit.

»Sie tun dir leid, die Häusler? Ja, du bist gewiß ein guter Mensch. Aber wir scheinen härter, als wir sind. Wir lassen den Leuten die Heimat und die Freude, lassen sie keinen Mangel leiden, und wenn sich einer auf seinem Häusel halten kann, in Gottes Namen, es ist uns recht. Was heute geschah, ist vor fünf Jahren zum letzten Male geschehen. Wer weiß, wann es wiederkommt.«

Jakob Sindig vermochte nicht mehr scharf zu denken. Er geriet in Not. »Wenn man dich hört, Vorsteher, dann spricht einer, der es gut meint, und wenn man sieht, wie ihr es haltet, dann seid ihr – ja, dann seid ihr – – Menschenfresser! – Und jetzt tanze ich. Komm, Annedore!«

Die sprang auf, warf sich ihm in die Arme, drückte sich an ihn und schloß die Augen.

Jakob Sindig hatte die letzten Worte gegen den Vorsteher herausgeschrien und dabei auf den Tisch gehauen. Der Vorsteher lächelte entschuldigend. »Es ist sein erster Dreikönigstanz, und – er meint es gut, wirklich gut mit den armen Leuten. – Zum Wohle!«

Nur einer sah die Flamme in seinen Augen. Das war Valentin Heubacher. Da schlug sein Herz höher. Jetzt ist der Vorsteher hinter dem Langen her. –

Jakob Sindig tanzte mit Annedore. Es war ein langsames Wiegen und Drehen. Das Mädchen preßte sich an ihn, und Jakob Sindigs Blut rauschte wie ein glühender Strom durch den Leib. Sie machten ihm Platz, die anderen, und empfanden es schier als Auszeichnung, daß Sindig unter ihnen tanzte, daß er nicht abseits stand, sich nicht über ihnen dünkte.

Die Köhler standen beobachtend auf einem Haufen. »Habt ihr gehört, was er dem Vorsteher vorhin sagte? Menschenfresser! Hahaha! – Und Geld muß er haben. In vierzehn Tagen sind wir wieder da. Das müssen wir sehen, wenn er das Geld auf den Tisch haut. Man muß ihn einmal einladen zu unserem Selbstgebrannten.«

Und die Flößer scharten sich um Aust. »Woher kommt er eigentlich? Und gerade auf den Binsenhof! Hat er einen Hang mit Annedore? Aust, jetzt stell' dich nicht wie ein Bock! Red'! – Du weißt nichts von ihm? Mensch, wenn du so oft mit ihm zusammen warst! Überhaupt, der könnte ein Flößer werden. Allerdings, wenn er Geld hat. Zweihundertundzwanzig Taler glatt! Wenn er fünf Taler Aufschlag bot, hätte der Kreuzbauer das Maul auch nicht mehr aufgetan.«

In der Ecke, ganz hinter den Frauen, aber stand einer und sah mit unendlich traurigen Kinderaugen auf den tanzenden Jakob Sindig und das Mädchen. Das war Jeremias. Und als er den Blick seitwärts wandte, sah er dem Vorsteher in das Gesicht und erschrak. Der Vorsteher aber achtete nicht auf den Buckligen. ›Das ist er, der Jakob Sindig, den ich einen Augenblick fürchtete?‹ Er lachte leise. Seine harten Muskeln strafften sich. ›Im Guten oder Bösen, unterkriegen muß man ihn, und er ist unterzukriegen.‹

Als der Tanz zu Ende war, kehrte Sindig mit Annedore nicht an den Platz zurück. Das Mädchen drängte ihre Hand förmlich in seine. Jakob empfand es nicht, daß er sie hielt. Seine dunklen Augen loderten, die hungrige Kraft in ihm schrie nach Sättigung. Im Sturme ging es hinab. Er trank. Der Schneider wuselte um ihn. »Zu dienen, Herr!« Jakob lachte. »Zu dienen,« drohte ihm schalkhaft mit der Faust und schien, was zwischen ihnen gewesen war, für einen Scherz zu nehmen.

Die Männer aber standen fremd vor dem tierischen Auflohen in Sindig. Sie wurden unsicher. ›Ist das noch der Jakob Sindig, der kein Unrecht sehen kann? Der Mann mit den hungrigen, tollen Augen?‹ Eine breite, dunkle Haarwelle hing ihm in die schweißnasse Stirn. Er achtete es nicht. Sein Lachen war überlegen und spöttisch. Brauchte ihm keiner mehr das Glas entgegenzureichen. Er griff selbst danach. Aus seinem wilden Gesicht flog es wie ein Drohen.

Jeremias zupfte ihn am Ärmel. »Jakob, trinke nicht mehr.«

Da lachte der Riese, nahm den Kleinen auf den Arm und hätschelte ihn. »Mein Kleiner!« Jeremias traten die Tränen der Scham in die Augen. Er strebte zur Erde. ›Ach Gott, Jakob, was hast du aus dir gemacht!‹

Jetzt kümmerte sich der Vorsteher nicht mehr um Jakob.

Der Trunk kriegte ihn unter und ein Weib. Auf den Tag folgte die Nacht, und in der Nacht wurde Jakob Sindig ungefährlich.

Jakob Sindig brannte lichterloh. Der Trunk und Annedore peitschten seine Sinne auf. Seine Schildknappen, Jeremias und Robert Lindner, standen außerhalb der Menschenmauer. »Am Ende haben sie ihm auch Branntwein in das Bier gegossen,« klagte Lindner.

Ohne zu denken, löste Jakob seine Hand aus der Annedores und schritt aus dem Saale hinab. Die Nachtluft umwehte ihn. Da strich er das nasse Haar aus der Stirn, stand und stutzte. ›Was denn? Jakob Sindig, schwankst du?‹

Zwei volle, weiche Arme warfen sich ihm um den Hals. Ein Mädchen strebte an ihm empor, ihre feste Brust wogte ihm entgegen, brennende Lippen küßten ihn. »Jakob, Jakob, du, du!«

Jakob Sindigs Arme aber hingen schlaff herab. Annedore sprang kichernd davon, erwartend, daß ihr Jakob folge. Der aber bog sich, krampfte die Fäuste zusammen, stierte in die Nacht – ›Gertrud Heidecker, hast du gerufen?‹ Er schlug sich auf die Brust, als wäre seine Faust ein Schmiedehammer, bog den Kopf nieder wie ein Stier im Anrennen und raste in die Nacht hinaus, ohne Hut, hinauf den Saugraben, das Lokwatal hinan, einen Baum umklammerte er, es war ein mittelstarkes Ebereschenstämmchen, bog es, bis es krachend unter seinen Händen splitterte. Dann stand er und sah auf die weiße Wunde. Langsam stieg er den Hügel hinan nach dem Binsenhofe. Daraus schimmerte ein Licht in die Nacht. Gertrud Heidecker saß am Tische und nähte ein Kinderhemdchen. Da schlug Jakob Sindig die Stirn gegen die Mauer.

So lehnte er eine Zeitlang. Dann schritt er auf das Tor zu. Auf halbem Wege wandte er um. »Das ist vorbei.« Er ging auf den Weg nach dem Moorgute. Tief hatte er das Haupt gesenkt, eine Falte stand groß und rissig zwischen seinen Augen.

Als er in den Wald kam, lehnte er sich an einen Stamm. Er brüllte wie ein Hirsch, wenn ihn das Blut jagt, er mag wollen oder nicht. »So ein Tier, so ein Tier!« klagte er. Als es auf Mitternacht ging, klopfte Jakob Sindig auf dem Moorgute an die Tür. Lisa riß erschrocken das Fenster auf. »Um Gott, was ist?«

»Laß mich ein, Lisa,« bat er. »Ich ziehe auf das Moorgut.« Und als er in das Haus schritt, sprach er: »Sei nicht böse, daß ich dich herausjagte. Ich mag nicht mehr auf den Hof. Nun bleibe ich am Moore. Gute Nacht, Lisa. Ich schlafe auf der Bank in der Stube. Morgen richtest du mir ein Lager.« –

Annedore hatte Jakob Sindig davonstürmen sehen und wußte nicht, was das bedeutete. Leise, dann lauter, erst werbend, dann angstvoll, rief sie nach ihm. Zuletzt kehrte sie in den Saal zurück. Ihre Lippen lagen schmal aufeinander, und ihre Augen waren halb zornig, halb traurig.

Jeremias hatte beobachtet, wie erst Jakob hinausgegangen war, darauf Annedore. Nun kehrte sie allein zurück. Bald mußte Jakob folgen. Er wartete und wartete. Annedore stand allein. Da trat er zu ihr. »Wo ist Jakob?«

»Ich weiß es nicht,« und Annedores Lippen zuckten. Dann überwog der Trotz. »Komm, Jeremias, wir tanzen.«

Sie tanzten, Annedore wild in erzwungener Lust. Sie kicherte, und hinter dem Lachen saßen Tränen. Da sagte Jeremias traurig: »Annedore, wir wollen heimgehen.«

Annedore ließ sich führen wie ein Kind. Frauen fragten: »Wo ist Jakob Sindig?«

»Es war ihm nicht gut,« sagte das Mädchen darauf. Da lachten die Frauen. Etliche der Männer aber, die es hörten, ließen die Köpfe hängen. Morheimer wollte auf Sindig schelten. Peter Fröhlich aber zog ihn zur Seite. »Was du jetzt gesehen hast, das lügt. Das hat nur der gemacht, dem er im Wege ist. Du mußt abwarten.«

Der Vorsteher aber hatte ernste, todernste Augen. ›Jakob Sindig, bist du doch stärker, als ich meinte?‹ –

Jeremias und Annedore schritten das Tal hinauf. Das Mädchen ließ die Tränen rinnen. Jeremias versuchte, sie zu trösten. Da warf sie ihren Kopf auf des Kleinen Schulter. »Jeremias, daß er mir das antun konnte! Ach Gott, Jeremias, ich schäme mich so sehr. Was muß er von mir denken? Nun verachtet er mich!«

Und Jeremias schluckte, strich Annedore über den Scheitel, tröstete, bat, verwies auf kommende Tage und – sein Herz weinte. Er warb für Jakob Sindig und zerbrach sein eigenes, keusches, herrliches Hoffen. –

Lange, lange noch raste der Tanz. Der Vorsteher ging als erster der Bauern, dann die anderen. Da taute der Schneider vollends auf. Der Tanz wurde sinnlicher, die Luft schwüler. Dreikönigstanz!


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