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Der Weg nach dem Moorgute war gebessert. Vierzehn Tage hatten sie daran gearbeitet, Jakob Sindig mit Richtschnur und Latten, so gut er es verstand. Sie hatten die Rinnen mit Steinen ausgefüllt, Gräben zur Seite ausgehoben und hier und da Abschläge über den Weg gezogen. In denen hin sollte das Wasser in die Gräben rinnen. Der Bauer hatte gemurrt und hernach die Arbeit vor sich selber gelobt. Er war Jakob Sindig mit den Augen gefolgt. Der ging seines Weges, ohne nach rechts und links zu sehen.
Heidecker aber hatte Sorge, daß der Neue eines Tages doch zum Niederauer Sägemüller gehe. Er fragte ihn: »Wie gedenkst du es mit dem Sägemüller zu halten?«
»Ich sagte es dir schon, aber es ist gut, wenn wir noch einmal darüber reden.«
»Wieviel hat er dir geboten?«
»Unbesehen das Doppelte von dem, was du mir gibst.«
»So tut ein Kind. – Es gibt schwere Arbeit bei dem Sägemüller.«
Dazu lachte Sindig.
»Wir müßten einen Vertrag machen, Jakob,« hub Heidecker wieder an.
»Daß ich gebunden wäre? Nein. Ich will frei sein. Es könnte sein, daß ich eines Tages ginge, wie ich gekommen bin.«
»Das ist nichts Rechtes. Damit hängt einer in der Luft. Du mußt wissen, wohin du gehörst. Solltest dir ein Weib nehmen und seßhaft werden.«
Der Bauer trat näher an ihn heran. »Ich habe ein Häusel. Das wäre etwas für dich.«
»Bauer, ich hätte ein Gütlein haben können, ein schönes, aber ich habe nicht gewollt. Meiner Schwester habe ich es gelassen, ob es mir schon bestimmt war vom Vater her. Du bietest mir ein Hanghäusel, Bauer!« Er lachte bellend auf. »Ein Hanghäusel! Dazu ein Äckerlein und um achtzig Taler in deiner Hand?« Er reckte sich, und es begann in seinen Augen zu glimmen. »Bauer, ich will einen Berg abgraben, die Lockwa aufhalten, aber – –«
»Wie kommst du auf achtzig Taler?« fragte der Bauer lauernd.
»Es hat eine geweint um achtzig Taler. Kannst du nicht menschlich denken, Bauer?«
Der eckige Schädel des Binsenhofbauern wackelte hin und her. »Bist du einer, der sein Geld auf die Straße wirft?«
»Es käme darauf an. Ich glaube, ich könnte es.«
Heidecker begriff das nicht. ›Er ist ein Narr,‹ dachte er.
»Bauer, wir wollten über meinen Lohn reden, hernach das andere. – Es liegt dir daran, daß ich bleibe?«
»O, nicht um jeden Preis.«
»Aber um rechtschaffenen. Also vorläufig die Hälfte mehr, als ich habe.«
»Hm. Unbescheiden bist du nicht, das muß ich sagen. Es gilt. Wir schließen einen Vertrag.«
»Nein, ohne Vertrag. Du bist frei wie ich. Die Hälfte mehr und das – schreibst du der Steinert ab.«
»Der Steinert? Bist du toll? Was willst du von dem Weibe?«
»Wollen? Bauer! – So ein Weib! Und soll um achtzig Taler vom Häuslein?«
»Das lügt sie. Sie soll bleiben, wo sie ist. Nur an den Hof soll sie gebunden sein. Ist das Häuslein mein, so habe ich sie besser in der Hand.«
»Noch besser? In den Leuten lebt ja kein Wollen auf, das gegen euch ginge. – Aber andere werden können, scheint mir, wozu die Häusler zu lahm sind. Hütet euch, ihr von den Höfen! Es könnte der Tag kommen, da sich die anderen wehren. – Ich kann nicht von dem abgehen, was ich sagte.«
Der Bauer sann eine kleine Weile. »Du wirst den Mund halten?«
»Dann soll es sein. – Mer: was willst du von der Steinert? Sie ist alt und hat etliche Kinder.«
Jakob Sindig sah dem Bauern zornig in die Augen. »Du denkst falsch, Bauer, das ist es nicht.«
»Was geht's mich an. – Nun bleibst du?«
»Ja.« – –
Jakob und Lorenz waren in das Holz gefahren. Da erzählte der Bauer seinem Weibe davon, daß er Jakob Sindig nun doch für eine gewisse Zeit an den Hof gebunden habe; denn es würde eine geraume Weile dauern, ehe das abgeschrieben sei, was die Steinert schulde, für die der Jakob eingetreten.
Die Bäuerin verwunderte sich nicht über das, was ihr der Mann von Jakob Sindig anvertraute. Sie lächelte vor sich hin. »Er hält sich für ein Tier,« sagte sie, »und ist wie ein Kind.«
»Ja, das ist er,« der Bauer drauf. »Man könnte meinen, er wolle etwas von dem Weibe, aber sie ist alt.«
Da wurde das weiche, sinnende Lächeln um Gertrud Heideckers Lippen stärker. »Du tust ihm Unrecht. Jakob Sindig kennt sich selber nicht. – Es muß ihm wohl einmal hart gegangen sein.«
»Er sprach davon, daß er ein Gut hätte haben können. Vom Vater her sei es ihm bestimmt gewesen, aber er habe es seiner Schwester überlassen. Das glaube ich nicht. So tut kein Mensch. – Ich möchte ihn wohl auf dem Hofe halten. Der Sägemüller in Niederau hat ihm das Doppelte an Lohn geboten, und die von den anderen Höfen würden es auch tun. Ich habe nie einen gehabt wie den. Das Holz hat er mir herabgeschafft in der Hälfte der Zeit, die sie sonst brauchten, und ist dabei, den Wald herzurichten. Er hat recht, es ist eine Luderei droben gewesen. Ich habe dem Sägemüller noch fünfzig Meter versprochen. Die Bäume müssen heraus, sie faulen auf den Stöcken. Wenn das Frühjahr kommt, wollen wir neue pflanzen. Es leuchtet mir ein, was Sindig sagt. Er ist anders als die aus den Hanghäusern.«
»Ja. Wäre er auf einem Hofe geboren, er würde ein Herr sein wie keiner.«
»Das würde er nicht. Er sieht nicht auf das Seine.«
»Du meinst, weil er ein Herz hat für die Armen? Die Art würde ihm mehr Arbeiter zuführen als euch die eure.«
»Man merkt, daß du ein Häuslerkind bist.«
Die Bäuerin lächelte. »Das sagst du immer. – Der Simmenauer war gestern da, als du ausgegangen warst. Er wollte Vieh kaufen.«
»Ich verkaufe keines dies Jahr. Wir brauchen es auf dem Hofe. Du kannst es ihm sagen, wenn er wiederkommt.«
Es war schon gegen den Abend, da machte sich der Bauer auf; er habe einen Weg vor, sagte er. – –
Jakob Sindig saß mit den Knechten und Mägden am Tische. Marlene, die Altmagd, Annedore, die zweite, und das Liesele spannen. Die Bäuerin hatte den Strickstrumpf in der Hand. Die Knechte rauchten. »Die armen Seelen weinen,« sagte Lorenz. »Als wir kürzlich zur Nacht heimkamen, haben wir sie gehört, Wilhelm und ich. Hast du sie auch vernommen, Jakob?«
»Ja, es mag wohl eine arme Seele gewesen sein,« antwortete Jakob.
Die Bäuerin verstand ihn.
Marlene aber schüttelte sich. »Es geht auf die heilige Zeit. Da weinen die armen Seelen. Fromme Mädchen aus den Klöstern haben ins Heilige Land gewollt oder zum Papste nach Rom, ich weiß es nicht. Als sie in das Gebirge kamen, sind wilde Männer über sie hergefallen und haben sie in ihre Hütten geschleppt. Sie mußten ihre Weiber werden und hatten doch das Gelübde abgelegt. Eines Tages sind sie zusammengekommen, haben ihre Kinder umgebracht, weil es Sündenkinder waren, und die Männer sind über sie hergefallen, haben sie erschlagen und ihre Leiber in die Moore geworfen zu den vielen, die da schon schlafen aus schweren Kriegen her. Du kannst das wohl glauben, Jakob, brauchst nicht den Mund zu verziehen, als wolltest du lachen. Sie finden noch heute in den Mooren die Eisen der Pferde. Einst sind die Ungarn über das Land geritten, haben die Häuser verbrannt und die Menschen an Riemen gelegt. Und als sie in der Ebene in einer großen Schlacht geschlagen worden waren, da haben sich die Männer in den Bergen den Fliehenden in den Weg geworfen, haben sie in die Moore getrieben und elend ersaufen lassen. Ihrer acht sind heimgekommen ins Ungarland.«
»Das mit den Eisen hat seine Richtigkeit,« sagte Wilhelm, »du kannst sie droben beim Kaspar sehen.«
»Es ist ein wehmütiges Land, das zwischen den Bergen, den Wäldern und den Mooren,« fuhr Marlene fort. »In der Ebene, sagt man, liegt die Sonne breit und mächtig und duldet keine Schatten, aber in den Bergwäldern und in den engen Tälern da wohnen, die aus der Ebene vertrieben worden sind durch die Menschen, die dort zu Haufen hausen. Es ist ein wehmütiges Land. Drei Nächte schon habe ich nicht geschlafen. Es schleicht etwas um den Hof. Wenn der Wind den Atem anhält, dann hört man es wimmern, und der Totenwurm klopft. Drei Nächte schon höre ich ihn.«
»Laß das, Marlene,« wehrte die Bäuerin ab, »du machst die anderen ängstlich und weißt, daß ich solche Reden nicht leiden mag.«
»Du solltest es dulden, Bäuerin, daß ich die Hilger hole. Hat dich nicht vor etlichen Wochen auch die Drude geplagt?«
Gertrud Heidecker wurde blutrot. »Das Wetter war es, habe ich dir gesagt. Die Hilger kann nicht mehr als du und ich.«
»Das sage nicht,« widersprach Marlene eifrig. »Ich weiß, daß etwas geschehen wird. Es hängt über uns, und es hilft nicht, daß man sich dagegen wehrt.«
Jakob Sindig fuhr auf. »Ist ein armseliges Leben, das ihr führt. Ihr meint, es schleiche euch etwas nach, das nur darauf lauert, euch eines in das Genick zu geben. Sie haben bei dem Wirte drunten auch allerlei geschwatzt. Es ist lächerlich.«
»Was haben sie gesagt?« fragte Annedore neugierig.
»Vom Binsenschnitter und vom Röder ging die Rede,« berichtete Lorenz.
»Den willst du leugnen, den Binsenschnitter?« fragte Marlene erschrocken.
»Leugnen?« sagte Jakob drauf. »Ich glaube nicht an ihn, hatte auch nie von ihm gehört. Aber das weiß ich, daß ich am Tage der Dreifaltigkeit hinausgehen werde, zu sehen, ob ein Binsenschnitter da ist.«
»Ach Gott!« rief Annedore, die Junge. »Das tue nicht!« Und es stand in ihren Augen eine heiße Angst.
Gertrud Heidecker erschrak, als sie Annedores Augen sah. Das Mädchen verstand nicht zu lügen, und ihre Augen redeten für den starken Jakob Sindig. Die Bäuerin legte die Hand auf das Herz. Das schlug schnell und hart. Was denn? Was willst du, Weib des Binsenhofbauern? Hast du dich nicht dazu durchgerungen, daß du stillesein willst? Und hast du nicht vom Starksein geredet?
Das Gesinde ging zur Ruhe. Jakob aber blieb noch sitzen. Eine geraume Weile war es still in der Stube. Die Uhr tickte mit hartem Schlage.
Da begann die Bäuerin von Anna Steinert zu reden, aber sie sprach ruhig als von einer Tatsache, ohne Jakobs Tun zu loben oder zu tadeln.
»Sie hat mir leid getan. Um achtzig Taler sollte sie von ihrem Hause!« rechtfertigte Jakob sein Tun.
»Nicht von ihrem Hause, nur von ihrem Acker. Die Äcker der Häusler sind den Bauern ein Ärgernis, weil die Leute zu denen eher greifen als zu denen der Höfe.«
»Müssen sie das nicht?«
»Es ist Streit darum, solange die Höfe stehen und die Hanghäuser. Die Bauern brauchen die Leute.«
»Dann sollten die Bauern zusehen, daß sie die Leute im Guten stillen. Mir scheint, es lebt ein starker Haß in den Tälern, und es möchte am Ende ein Tag kommen, da die Bauern ungeschehen machen möchten, was zurückliegt.«
Gertrud Heidecker ließ den Strickstrumpf in den Schoß sinken. »Was du Haß nennst, das geht wohl schon um in den Bergen, solange da Häusler und Bauern wohnen. Ist auch dann und wann einmal einer gegen seinen Bauern angegangen, aber der Tag, von dem du redest, wird doch nicht kommen. Es ist keiner da, der den Haufen stark machte.«
»Aust, der Flößer?« warf Sindig fragend ein.
Die Bäuerin schüttelte den Kopf. »Er tut wilder, als er ist. Das müßte ein anderer sein.« Es schien eine Sorge in dem Weibe zu erwachen. »Du solltest nicht gegen alles angehen, das dir Unrecht scheint. Wie willst du es alles bessern? Es sind zu viele, denen du helfen müßtest.«
Jakob Sindig holte tief Atem. »Wofür mußt du mich halten? Als ob ich meinte, mehr zu sein als die anderen oder besser als sie. – Du kannst mir glauben, daß ich oft nicht will, wie ich tue, aber dann kommt es doch wieder über mich. Die Leute haben so etwas Trauriges an sich. Als ob sie immer weinen müßten. Zehnmal nehme ich mir vor, die Augen zuzumachen, wenn ich einen von den Häuslern sehe, aber ich kann inwendig nicht dagegen an.«
»Du mußt eine gute Mutter gehabt haben.«
»Ja. Sie war klein und hat doch vielen Gutes getan. Sind beide tot, der Vater und die Mutter. – Ich will von mir reden, damit du mich kennenlernst.«
Die Bäuerin lächelte. »Ich kenne dich, aber wenn du von dir erzählen willst, so werde ich dich noch besser kennenlernen.«
»Du mußt nicht meinen, daß ich Gutes von mir zu erzählen hätte. Ich bin nicht gut gewesen. – Aus der Art bin ich geschlagen in allem. Waren kleine Leute, von denen ich herkomme. Ich war schon als Junge größer als die anderen. Wenn sie den Ball mit einem Stecken trieben, so nahm ich einen Zaunpfahl, und wenn sie ihn über ein Haus warfen, so warf ich ihn über das Kirchendach. Ich habe als Bursche oft einen beladenen Wagen gezogen. Das hat mir Spaß gemacht. Und einmal habe ich einen fast totgeschlagen, und sie wollten mich einsperren, aber es ist nichts daraus geworden. Der war ein Trinker und hatte seine Mutter aus dem Hause geworfen, gerade als ich daherkam. Da brannte es oben hinaus. – Dann habe ich bei der schweren Artillerie gedient und einen liebgewonnen. Das ist Wilm Larns, der in Birkenfeld im Moore wohnt. Ich habe ihm dann und wann geschrieben, aber jetzt lange nicht. Und daheim war auch einer, von dem ich glaubte, er sei mir ein Freund. Auch ein Mädchen war da. Ich sollte nicht darüber reden, aber du sollst mich kennenlernen und nicht gut von mir denken; denn ich verdiene das nicht. Das Mädchen habe ich liebgehabt, und wir hatten uns versprochen. Und als ich das letztemal bei den Soldaten war, da ist sie mit dem andern gegangen. Ja, und was sollte ich da machen? Du kannst nicht verlangen, daß ich – – Es ist längst ein Kind da. Ich wollte vom Flecke weg in die Welt laufen, aber ich mußte erst in die Richte bringen, was doch nichts gewesen wäre, wenn ich es gelassen hätte, wie es war. Vom Vater her war mir das Gut bestimmt. Ist kein Hof wie der eure, aber er nährt seine Leute reichlich. Zwei Pferde haben sie und ein schönes Stück Land, und wächst da der Weizen höher als in den Bergen das Korn. Das Gut habe ich der Schwester verschreiben lassen. Die hat den Warmut geheiratet, und sie haben nun auch einen Buben. In den Tagen aber hat es mir hart angelegen, daß ich um der Schwester willen nicht tun durfte, was ich wollte. Ich habe gemeint, ich müßte die zwei totschlagen, die untreu gewesen waren. Es ist gut gewesen, daß sich die Schwester an mich hing. – Ich möchte wohl, daß du sie kennenlerntest, aber – zuletzt muß ich doch einmal wieder weitergehen. Ja, und wozu soll sie da erst herkommen? Wenn ich sie riefe, käme sie. – Gerade als die Hochzeitsglocken den zweien, die mich belogen hatten, läuteten, bin ich in die Welt gegangen und habe ein Tier sein wollen und bin ein Tier gewesen. – Das – kann ich dir – nicht erzählen. Du weißt, daß ich ein Tier sein kann. Ich habe das damals nicht gewollt, das – –«
»Warum willst du es allein tragen?« Gertrud Heidecker hatte die Augen gesenkt, glühte und war rührend in ihrer Hilflosigkeit. »Du sollst es nicht allein tragen, es wäre gegen die Wahrheit. Es ist gut, daß wir darauf kommen. Einmal mußte es doch noch sein, wenn es auch schwer ist, ja. Und dann werden wir nie wieder davon reden. – Ich habe es inwendig in mir ausgemacht. Ich hätte von meinem Manne fortgehen sollen oder es ihm sagen, aber – – Ich habe das inwendig abgemacht, wie gesagt, und will stehenbleiben, wo ich stehe. So kann es einmal ausgelöscht werden, vielleicht in zwanzig Jahren oder so. Mein Mann – nein, ich will nicht von ihm reden, aber so kann es ausgewogen werden. Ich werde zu ihm stehen, solange ich Atem habe. – Und du wirst auch dastehen. Es ist viel, was dir der Hof zu danken hat, leicht, daß es einmal noch viel mehr wird.«
»Wo ist dein Mann?«
»Ich weiß es nicht. Er sagte, er habe einen Weg vor.«
»Er läßt dich oft allein.«
Darauf antwortete die Bäuerin nicht, und es war eine schwere Stille in der Stube.
»Du solltest schlafen gehen, es ist spät,« sagte Jakob.
»Ich will noch eine Weile sitzen. Vielleicht, daß mein Mann schon auf dem Wege gegen den Hof ist.«
Da erhob sich Jakob Sindig, sagte den Gutenachtgruß und ging in seine Kammer. – –
Heidecker war gegen den Abend einen Weg gegangen, den er oft unternahm.
Es schneite, und der Bauer stapfte nach dem Moorgute. Lisa, die jetzt das Weib des Buschreuter war, hatte nie geglaubt, daß der Bauer sie heiraten werde, aber als sie noch auf dem Hofe gewesen war, hatte sie doch mit ihm zusammen gelebt. Dann war eine Zeit gekommen, in der sie der Bauer vergaß. Das war, als er sein junges Weib auf den Hof geholt hatte. Gertrud Heidecker aber war des Mannes roher Sinnlichkeit nicht entgegengekommen. Nun war er ihrer überdrüssig. Das war rasch gekommen. Da begann er, Lisa Buschreuter wieder zu suchen, und fragte nicht danach, daß es in deren Leben anders geworden war. Er kam, wann er wollte. Kaspar wußte um seines Weibes Untreue, aber er war eine Knechtsseele. Wenn der Bauer auf den Hof kam, suchte Kaspar seine Kammer auf. Jeremias war ihm anfangs witternd nachgegangen, aber Kaspars Gesicht war stumpf und sagte nichts. So hatten die toten Tage einander die Hände gereicht, und es war ihrer ein Heer geworden. Kaspar war dazu gekommen, sein Weib zu verachten, und glaubte, damit dem Nest seines verkrüppelten Mannestums Genüge zu tun.
Nun ging es über den Mann wie Frühlingssturm, und der ihn anblies, das war Jakob Sindig. Wie ein Strom ging das starke Leben von ihm aus.
Das riß den stumpf gewordenen Kaspar Buschreuter auf. Er hatte in den letzten Tagen viel mit Jakob gesprochen. Wenn er auch in Scham das Letzte verschwiegen hatte, so war es doch aus seiner Seele heraufgekommen wie Schreie. Er bettelte um Kraft. Jakob Sindig lachte, reckte die starken Arme und sprach unter Lachen mit dröhnender Stimme: »Kaspar, du gibst mir Rätsel auf. Die zu raten, dazu bin ich zu faul, aber das sage ich dir: Reck dich, wehr dich, schlag um dich auf Tod und Leben. Du bist doch ein Mensch! Gleichen Leibes wie der Bauer. Was ist er mehr als du? Macht ihn der Hof zu einem anderer Art? Das in ihm zu sehen, mußt du dir abgewöhnen. Hau um dich, Kaspar, und sei es, daß du selbst den Bauern träfest!«
Buschreuter ließ den Kopf hängen. Jeremias aber, der zur Seite stand, wuchs rascher als Kaspar. Auch der Bucklige hungerte nach Leben.
»Jakob,« sagte Kaspar halb lahm, »wenn einer inwendig verkrüppelt ist, so wächst sich das schwer wieder aus. Sieh den Baum an, dem einer die Art in die Seite hieb, als er noch jung war. Er wird nie wieder, wie er hätte werden können.«
»Nein, denn es sitzt keine Vernunft dahinter und kein Wollen. Du aber bist ein Mensch!«
»Er hat mir mein Häusel genommen.«
»Dagegen kannst du nicht an. Das Geld hat ihm dein Haus in die Hände gegeben, aber was darüber hinausgeht, das ist deine Schuld.«
»Dann habe ich das Weib geheiratet und bin auf das Moorgut gezogen.«
»Warum bist du nicht fortgegangen?«
»Jakob, ich konnte nicht fort aus den Bergen!«
»Es hat jeder seine Heimat lieb, und geht doch mancher fort. – Das Jammern hilft nicht, Kaspar. Wenn du dir aber nicht raten läßt, was fragst du mich dann?«
Da war Kaspar still gewesen. Und jeden Tag hatte er die Hände bettelnd Jakob Sindig entgegengehoben, und der hatte ihm gegeben, heute ein Wort, morgen zehn. Davon war es ein Gären und Wühlen in Kaspar geworden, daß er unruhig in der Arbeit und im Hause war. Wie blasender und verebbender Sturm war es in ihm, flog auf und kroch in sich zusammen. –
Da sah er, wie sich sein Weib schön machte. Eine bunte Schürze band sie vor. Das Brusttuch lag in lockeren Falten über dem Mieder. Sie hatte sich gewaschen und gestrählt. Nun wußte Kaspar, daß der Bauer kommen würde.
Er ging in seine Kammer. Die Augen krochen ihm schier in die Höhlen hinein, und seine Stirn war wie rissige Kiefernrinde. So saß er in der Dunkelheit, hatte die Fäuste gerade vor sich auf den Tisch gelegt und redete inwendig mit dem Bauern und kam dahin, daß er ihn vernahm. – ›Du willst nicht? Bauer, die Zeit des Fürchtens ist vorüber. Jakob Sindig hat mich dich sehen gelehrt. Gib mir meine Mannheit wieder!‹ Seine Fäuste bogen sich wie im Krampfe nach innen. – ›Ich müßte drunten vor dich treten, aber – es ist dein Haus. Wir machen es draußen ab, wo wir allein sind unter dem Nachthimmel.‹
Jeremias war in all den Tagen Kaspar nachgegangen wie ein witternder Hund. Nun er dessen leisen, tastenden Schritt auf der Stiege vernahm, da schlich er ihm nach in die Winternacht. ›Wenn Kaspar wieder ein Mensch wird, dann darf ich auch vom Leben fordern, was ich liebhabe über alles. Ich bin auch ein Mensch.‹
Kaspar taumelte gesenkten Hauptes ein Ende gegen den Wald hin. Da stand das Moor als ein tiefer, dunkler Tümpel bis an den Weg heran. Er lehnte sich an einen Stamm und war in der Dunkelheit nicht von ihm zu unterscheiden. Da hockte sich Jeremias ein Ende von dem Harrenden unter eine niedere Fichte. Er wartete, und es fror ihn.
Nach einer Weile vernahm er, wie die Tür im Moorhause leise einschnappte. Der Bauer tappte durch den Schnee und sein Schritt war unhörbar. Als er den Wald erreicht hatte, mußte ihm Kaspar aus dem Holze heraus in den Weg getreten sein. Jeremias hörte Stimmen. Erst waren sie leise, aber es ging scharf hin und wider. Dann sprangen sie auf, fuhren gegeneinander los, und auf einmal sah Jeremias, wie sich zwei ringende Körper verkrampften. Der Bucklige zitterte. Es kam des öfteren ein Laut herübergeflogen wie ein Keuchen. Das Ringen brach jäh ab, das Moorwasser platschte auf, und der Lauernde erkannte, daß sich nur einer am Rande des Wassers aufreckte. Da warf sich der Verwachsene in den Schnee, wühlte mit den Händen wie ein Sinnloser, stopfte sich den Mund voll Moos und weinte, warf den Kopf auf die Erde, sprang auf, rannte in den Wald hinein und fand sich, in der Irre gehend, am Moore wieder, das ihn tückisch anglotzte. Da schrie er auf. Er schlug sich den Kopf mit den Fäusten. Dann sprang er in das Haus.
»Kaspar!« schrie er gellend, »Kaspar!« Lisa trat aus ihrer Kammer.
»Was willst du?« fuhr sie ihn an. »Bist du von Sinnen? Er liegt in seiner Kammer. Ich höre ihn schnarchen. Willst du ihn aufwecken mit deinem Geplärr?«
Da schlich Jeremias auf sein Lager, aber es kam kein Schlaf in seine Augen. Wer lag im Moor? Der Bauer oder Kaspar? Daß es um ein Menschenleben gegangen war! Um ein Menschenleben! Oder hatte er einen verrückten Traum gehabt?
Der späte, trübe Morgen sah durch das Fenster. Da ging Jeremias hinab. Er suchte in Haus und Stall.
Dann fragte er Lisa: »Wo ist Kaspar?«
»Er ist auf den Hof hinab, ganz in der Frühe,« sagte sie, aber sie blickte an ihm vorüber und sah grau und verfallen aus.
Jeremias fühlte, daß Lisa log. Er wollte auf sie dreinfahren, aber das Entsetzen war so groß in dem verstörten Menschen, daß ihm die Worte auf der Zunge hocken blieben. Nur das Herz ging in ungestümen Schlägen. Als das Vieh abgefüttert war, schlich er hinaus an das Moor. Das war dunkel und schweigsam. Schnee lag weithin darüber, und zwischen den weißen Breiten standen die braunen, an der Oberfläche gerinnenden Lachen. –
Lisa Buschreuter hatte gestern abend im Kammerfenster gelehnt und die Stimmen vom Moore her vernommen. Da wußte sie, daß Kaspar auf dem Wege war, ein Mann zu werden und das Knechthafte abzutun. Dann platschte das Moorwasser auf. Da schloß sie das Fenster und wartete. ›Kommt nun einer, der ein Mann geworden ist?‹ Er kam nicht, aber das Grauen kam. – –
Der Binsenhofbauer war in später Stunde stolpernd in seine Kammer getreten, hatte sich schwer auf das Bett geworfen und in kurzem, unruhigem Schlafe, aus dem er erschrocken emporfuhr, laut aufgestöhnt.