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Der Vorsteher saß in seiner Stube. Da wuselte der Schneider herein.
»Hier bin ich,« sagte er.
»Setz' dich,« drauf der Vorsteher, »und dann erzähle.«
Der Schneider berichtete von dem Sonntage, an dem sie auf dem Köhlerplane zusammen gewesen waren. Viel erzählte er, auch von seinen Reden, was er für gut hielt, und die er gehalten, um den Leuten die Hülle von Hirn und Herz zu reißen. Dazu lächelte der Vorsteher.
Von Jakob Sindigs Plan, das Moor trockenzulegen, sprach Heubacher, von den Spielen, und daß Jakob den heiligen Stein gehoben und den Berg hinabgeschleudert habe.
Der Vorsteher ging, indes der Schneider berichtete, in der Stube auf und ab. Als der Schneider ausgegeben, was er in den Händen hielt, war er still.
»Er will das Binsenhofmoor trockenlegen?« fragte der Vorsteher nach einer Weile.
»Ja und hat geraten, den Bauern die andern Moore abzukaufen und ein gleiches mit ihnen zu tun.«
»Es ist schade um ihn,« murmelte der Vorsteher, »schade um den Menschen.« – – Die Moore trockenlegen. Davon hatte schon einer gesprochen, und es war eingeschlafen. Jetzt stand einer dahinter, den man ernst nehmen mußte. Aber es war ein weiter Weg bis zum Ziele. Konnte viel geschehen, ehe es erreicht war. Die Arbeit konnte Sindig leid werden. Hm, der Grübelnde sah Jakob vor sich. Dem die Arbeit leid? Er war mit sich selber fertig geworden. Das verhieß viel. Und legte er das Moor trocken, so war es nicht sein. Er konnte es kaufen. Aber: Würden Hanghäusler hinaufziehen mögen an das Moor? Warum nicht? Sie waren zurückhaltend und mißtrauisch allem Neuen gegenüber. Aber es blieb nicht neu. Es wurde alt und gewohnt. Einer würde den Anfang machen. Hatte ja auch der Binsenhof seit langer Zeit immer einen droben, der das Moorgut bewirtschaftete, obschon da stets ein Zwang dahinterlag. Zog einer freiwillig hinauf, blieb und nährte sich, dann war der Bann gebrochen. Die Bauern würden lachen, wenn Häusler, durch Jakob Sindig gelenkt, die Moore begehrten. Die waren feil. – Man muß eingreifen. Darauf, daß das Neue in sich selbst erstirbt, kann man sich nicht verlassen, wenn es Sindig in die Hände genommen hat. Es kann sich zusammenballen wie ein Gewitter. Dann hat man keine Macht mehr, und es geht über sie alle drein.
»Es ist gut, Schneider,« sagte der Vorsteher, »und – sorge dafür, daß nicht einschläft, was sie in Furcht hält. Ich habe lange nichts vom Röder gehört. Schläft er?«
Der Schneider erblaßte. »Vorsteher, du glaubst nicht, wie Jakob Sindig ist. Ich habe ihn schrecken wollen. Er aber ist nicht vom Bleiloche gewichen, bis ich herauskam.«
»Warum kamst du heraus?« fuhr ihn der Vorsteher zornig an.
»Ich wäre erfroren.«
»So wärest du erfroren! Jakob Sindig weiß um den Röder?«
»Ja,« jammerte der Schneider.
»Warum hast du nach dem geworfen?«
»Ich wollte ihn schrecken.«
»Du Narr! Den hättest du gehen lassen sollen. – – So oder so, ich will hören, daß der Röder wieder lebt.«
»Vorsteher, er hat gedroht, daß er mich einmauert.«
»Der Röder ist nicht tot! – Wehr' dich nicht, Schneider! Wie lange ist es her, seit einer den Händler droben am Kreuzwege erwürgte? Ich will nachrechnen. Zehn, fünfzehn Jahre. Ein Mord verjährt in dreißig Jahren. – Der Röder lebt! Ich will billig sein. Dann und wann einmal; einmal, zweimal im Jahre lebt er. Sei vorsichtig, aber er muß leben!«
Der Schneider erhob sich, als wäre er lahm, und ging ohne Gruß hinaus.
Der Vorsteher war allein. Nacht lag über den Tälern und den Bergen. Eine Öllampe gab kärgliches Licht, und der Mann wanderte ruhelos in der Stube auf und ab. – Was sollte das, daß der Fremde über die Berge steigen mußte gerade zu einer Zeit, in der langsam Gewachsenes gebieterisch auf eine Entscheidung drängte? Der Mann ließ sich von seinem Inwendigen treiben wie eine Wolke, die vor dem Winde segelt. Gleich, ob er des Eberleins Häuslein erwarb oder sich daranmachte, das Binsenhofmoor trockenzulegen. Er griff zu, wie es ihm das Herz gebot, ohne zu fragen, ob die Tat der Unterbau werde zu weiterem oder nicht. Ein gewaltiger Wille konnte in ihm aufleben. Das Moor trockenlegen! Und derselbe Mann lauerte dem Schneider am Bleiloche ab. Er hätte tagelang gewartet. – – Hm, war da nicht ein Licht? Der Binsenhofbauer war ein morscher Baum. Wenn Sindig der neue Herr auf dem Hofe würde! Das könnte man fördern, wenn der Mann darauf zustrebte. Heidecker ist dem Vorsteher feil. Es liegt viel Unrat auf dessen Wege. Das Leben mit Lisa und jetzt Kaspars Tod, und seine unvernünftige Härte gegen die Häusler. Aber man kann da gar nicht zu einem festen Plane kommen. Ist alles unberechenbar in Sindigs Tun. Gewonnen glaubte der Vorsteher zu haben, als Sindig Annedore in tierischer Lust an sich riß. Da war der Wille zum Guten aufgesprungen und hatte alle Erwartungen über den Haufen geworfen. – – Körperlichen Schmerz empfand der sinnende Bauer. ›Man muß ihn liebhaben, den Menschen. Ich kann ihn nicht achten, dazu ist er zu unbesonnen, aber liebhaben muß ich ihn und muß ihn doch zerbrechen, geht er mir nicht aus dem Wege; denn unter seinem Atem wächst sonst, was uns zerbricht. Am Sonntage will ich zu ihm gehen. Es soll der letzte Versuch sein. Es widerstrebt mir, den Wölfen ein Kind zu überliefern, ich will sehen, was ich tun muß.‹ – –
Sonntag war es. Jakob Sindig ging am Moore hin. Es war ein Tauwind über die Berge gegangen, und auf dem Mooreise standen große Lachen. Abschreitend versuchte Jakob, die Maße der Zeichnung auf die Wirklichkeit zu übertragen. Da kam der Vorsteher daher.
Er grüßte lachend. »Guten Tag, Moorbauer. Habe schon vernommen, was du vorhast. Wird dir nicht bange davor?«
»Nein,« bekannte Sindig, »davor nicht, obwohl es schwer sein wird. Ja, je mehr ich mich hineindenke, um so schwerer will es mir scheinen, aber davor fürchte ich mich nicht. Ein anderes könnte mir bange machen. – Vorsteher, es ist gut, daß du kommst. Ich hätte dich sonst aufsuchen müssen. Ich muß ein ehrliches Wort mit dir reden; denn ich muß dich achten, nach dem, was ich von dir sah und hörte. Hütet euch, ihr Bauern, es lebt ein großer Zorn gegen euch unter den Leuten. Sie führen harte Reden, und es könnte der Tag kommen, an dem sie sich zusammenscharen, um eure Höfe zu zerbrechen.«
»Das ist nicht neu. So haben schon ihre Väter gesagt, und unsere Väter haben gestanden. So sagen sie heute, und wir werden stehen.«
»Heute aber ist es so stark, daß es irgendwo hinaus muß. Ich meine es gut. Achte darauf oder schlage es in den Wind. Wie du willst.«
»Habe Dank dafür. Ich nehme es nicht leicht, aber ich fürchte es ebensowenig wie du das Moor.«
Jakob biß sich auf die Lippen. So hatte er auch mit dem Vorsteher vergeblich geredet. Gut. Es war nicht seine Sache, wenn keiner hören wollte, nicht Heidecker, nicht der Vorsteher.
»Vorsteher,« begann er wieder, »das mit den Häuslern ist eure Sache. Tut, was ihr wollt. Am Moore aber stehe ich selbst. Da hat einer einen Plan aufgestellt, das Moor trockenzulegen. Willst du ihn sehen? Ich hörte gerne, was du dazu zu sagen hast.«
»Ich weiß von dem Plane und kannte den Mann, der ihn entwarf. War auch einer, der es gut meinte mit den Leuten und helfen wollte, wo er nicht zur Hilfe gerufen wurde.«
Jakob Sindig überhörte die Zurechtweisung. »Du kanntest ihn? Er muß ein kluger Mann gewesen sein. Was meinst du, was er vom Moore denkt? Ein Teich sei es früher gewesen, ein großer, gut gehaltener Teich. Er habe einen künstlichen Abfluß gehabt. Der aber ist verfallen, vielleicht vor fünfzig, vielleicht auch vor zweihundert Jahren, und ist nicht wieder hergestellt worden. Das da am Wege sei ein aufgeschütteter Damm, und wenn ich es mir daraufhin ansehe, so scheint mir, der Mann hat recht.«
»Er hat recht. Das Moor war ein Teich. Die Chroniken künden es. Bei anderen Mooren ist es anders. Noch etliche sind Teiche gewesen, alle nicht. Ich halte dafür, daß dein Werk gute Aussichten hat, aber ich sage dir, laß ab davon, Jakob Sindig, ich meine es gut mit dir. Laß ab davon. Vier Gütlein willst du daher setzen? Du kannst der Bäuerin das Land abkaufen, vielleicht habt ihr auch schon ein anderes Abkommen getroffen. Ich weiß es nicht und will es nicht wissen. Vier Gütlein wollt ihr einrichten, und vier Hanghäusler sollen heraufziehen. Es wird nicht leicht sein, sie dazu zu bringen, aber unmöglich ist es nicht. Und gelingt es dir, so hast du ein uralt Gebäude eingerissen. Sie lernen die Hanghäuser darangeben, und unsere Höfe verkrüppeln. Ohne daß du es willst, nährst du einen unguten Geist. Jakob Sindig, ich sehe weit hinaus und sehe nichts Gutes. Laß den Leuten ihre Not, die sie gewöhnt sind. Sie hängen sich an dich. Das kann man verstehen, aber es ist nicht gut. Für dich nicht und für sie nicht, obschon du es redlich meinst. Ich verspreche dir, dahin zu wirken, daß die Bauern ablassen von Härten. Es wird manches zu erreichen sein. Ich will es versuchen. Aber ich bitte dich, rüttele nicht an dem, was hier gewachsen ist, heimisch ist und natürlich. Laß den Leuten ihren Frieden.«
»Es ist ja längst kein Frieden mehr unter ihnen,« wehrte sich Jakob Sindig in Not.
Der Vorsteher lächelte. »Du meinst, weil sie auf uns schimpfen und fluchen? Das ist nichts. Anders ist, was du vorhast. Wenn du mit starker Hand über sie kommst und sie langsam und klug heraushebst, so werden sie sich eine Weile führen lassen. Hernach aber werden sie meinen, sie verstünden es besser als du, es müsse rascher gehen und auf anderen Wegen, werden sinnlos, und dann sind sie zu fürchten, und wir müssen Gewalt gegen Gewalt setzen. Sie wollten dich zum Führer machen im Aufruhr. Das hast du ihnen abgeschlagen, weil es dir unnatürlich ist. Zum Führer im Guten hast du dich ihnen angeboten. Laß auch davon, es wächst auch da nur Leid heraus; denn sie gleiten dir aus den Händen. Ich bitte dich, und ich habe selten gebeten, laß ab von dem, was du vorhast, von deinem Werke und deinen Plänen für die Besiedelung. Du kannst mir glauben, daß ich nie mit einem Menschen so gesprochen habe wie mit dir.«
Jakob Sindig fühlte den Ernst des Mannes, den heiligen, drohenden. Er senkte das Haupt. »Es sind arme Leute, und ich muß sie liebhaben. Durch die Moorbesiedelungen wollte ich ihnen helfen.«
»Laß ab,« mahnte der Vorsteher erneut.
Jakob lehnte sich an eine Kiefer. »Zu Wilm Larns gedachte ich zu gehen; das hatte ich mir vorgenommen. Vielleicht wäre es gut, ich bliebe dort. Dann wäre alles ausgelöscht, alles,« sagte er vor sich hin. Dann lauter: »Vorsteher, du nimmst mir die Freude an der Arbeit und reißest ihr die Krone herunter, die ich ihr aufgesetzt hatte. So schwer sind deine Worte, daß ich dir heute noch keine Antwort geben kann. Ein düsteres Land ist zwischen den Bergen, und die Leute sind wie die Wälder. Man weiß nicht, was in ihnen lebt. Ich will mir überlegen, was du sagtest. Ich möchte kein Unheil anrichten. Da sei Gott vor. Leb' wohl.«
Langsam schritt er auf das Moorgut zu. Die Sonne war ihm erloschen.
Er stieg in seine Kammer hinauf, breitete die Papiere vor sich aus und sann.
Da trat Jeremias herein. In seiner fraglosen, herzlichen Treue sah er, daß Jakob traurig war, und wollte wissen, was ihm widerfahren.
»Kannst du dir denken, Jeremias,« sprach Sindig, »daß einer es gut meint mit den Leuten, daß er ihnen das Leben leichter machen möchte, ohne dabei an sich zu denken, und doch auf falschem Wege ist? Daß er sieht, wie sie gegen eine Wand anrennen wollen, sie zurückhält, ihnen sagt: ›Kommt her, ich weiß euch einen besseren Weg‹ und – der endet zuletzt doch genau da, wohin auch der andere führt, den er als falsch erkannt?«
»Jakob,« rief Jeremias warm, »ich sah, wie du mit dem Vorsteher sprachst, und weiß nun, was ihr geredet habt. Er will dich abbringen von dem, was du vorhast. Ich kenne ihn. Er tut, als geschehe es um deinetwillen, und sorgt doch nur für sich.«
»Nein, Jeremias, auch für mich und die anderen. Daß wahr ist, was er sagt, das fühle ich. Aber schwer ist es und so traurig. Weißt du, was für einer ich vor einem Jahre war? Du kannst es nicht wissen. Ich will es dir sagen. Da war ich ein Mensch, der sich freute, wenn er anderen weh tat, wenn sie hinter ihm drein weinten oder fluchten, gleich, was.«
»Jakob!«
»Du erschrickst? So war ich, und ich dünkte mich reich und froh. Ich lachte, aber das Lachen war böse und mag wohl weh getan haben. Heute lache ich wieder. Ich lache gerne; es tut mir wohl. Der einst Not gemacht, der muß helfend zuspringen, wenn er Not sieht. Dabei ist mir, als wäre das das Rechte. Und da kommt einer, der es ehrlich meint, und sagt mir: ›Laß ab davon. Du reißest ein Haus ein, das alt ist und gewärmt hat, die drin wohnen, und in dem einst auch unsere Kinder leben sollen.‹ – Und ein anderer sagte mir dasselbe, noch ehe der Vorsteher mit mir darüber redete. Ich ließ mich warnen vor dem Wege, auf den mich die Leute letzten Sonntag drängen wollten. – Ein anderer tat sich mir auf. Der schien mir gut, lag lang vor mir, war gerade und hell. Und jetzt hat sich ein Nebel darauf geworfen. Ich sehe sein Ende nicht mehr. Es kann sein, daß man auch darauf in einen Abgrund rennt.«
Jeremias schluckte und würgte aufsteigende Tränen nieder. »Jakob, so traurig bist du! Ich sage dir, achte nicht auf den Vorsteher. Wie ein Kettenhund liegt er auf der Lauer, daß keiner hineinkomme in das Haus, in dem die Bauern sitzen, wenn man es so sagen will. Nun fühlt er, daß du stärker bist als der Kettenhund. Laß dich's nicht kümmern. Schlage ihn über das Kreuz!«
Jakob schüttelte den Kopf.
»Meinst du, daß die Leute froh sein würden, wenn wir ihnen hier oben Land schafften, daß sie heraufziehen könnten aus der Frone zu freiem, sicherem Leben?«
Jeremias versuchte auszuweichen. »Was fragst du danach? Fange an, führe aus, was du vorhast, das andere laß dich nicht kümmern.«
»Jeremias, frei heraus! Werden sie mir danken, was ich ihnen bieten möchte?«
»Wenn du es schon wissen willst: Nein. Ich glaube es nicht. Sie hängen an ihren Häuslein und an ihrem dürftigen Leben, am Dreikönigstanze, an Josephs bunten Tüchern und blanken Ketten, an Reisigers Flaschen und Gläsern, am Röder und dem Binsenschnitter. Laß sie.«
»Sind die Bauern reich?« sprang Jakob ab.
»Gegen die Häusler, ja, aber leicht wird es auch ihnen nicht. Nur die Hälfte ihrer Äcker ist ganz sicheres Land. Das andere ist vom Wetter bedroht wie das der Häusler.«
»So brauchen sie die Häusler?«
»Ja.«
»Und die Häusler die Bauern?«
»Ja. Wie sollten sie sonst leben?«
»Warum drohen sie dann mit Totschlagen und Brechen der Höfe?«
»Das mußt du nicht ernst nehmen.«
»Es ist klug, wenn sich die Bauern zusammentun und geschlossen stehen. Jeremias, es bringt wirklich nur Unheil, wenn man da etwas Neues hineinträgt, und sei es selbst etwas Gutes. – Und ich habe mich gefreut und sah Erntewagen über das Moor fahren.«
»Um Gott, Jakob! Wenn du achtundneunzig Morgen zwingst, Frucht zu tragen, für wen es auch sei, ob für den Hof, für dich oder die vier Gütlein, so muß doch dein Herz froh sein. Deine Arbeit kann nicht ohne Segen sein. Daran denke. Das andere laß an dich herankommen. Ich bitte dich, Jakob, laß nicht ab von dem, was du dir vorgenommen hast. Siehst du nicht, dass ich dich brauche? Und bin ich auch nur ein Krüppel, so bin ich doch ein Mensch. Wenn es dir nützt, so will ich mich totschlagen lassen für dich, aber gehe nicht fort. Du sagtest, du hättest früher gelacht, wenn du Jammer hinter dir zurückließest. So bist du fremd draußen gewesen, wo du auch warest. Hier lachst du, weil du Gutes tun kannst. So ist hier deine Heimat. Jakob, du mußtest über die Berge kommen, du mußtest! Für mich und für andere. Wer weiß, woher sie kommen werden, die anderen, aber sie werden kommen. Denen gehe nicht aus dem Wege; denn sie brauchen dich. Jakob, ich bitte dich, gehe nicht fort! Und so ein Vertrauen hat die Bäuerin zu dir! Sie ist froh, daß sie dich hier oben weiß. Meinst du, ein Zweiter täte, was du vorhast?«
Da stand Jakob Sindig auf und lehnte die Stirn an die Fensterscheibe. Daß Jeremias die Bäuerin zum Bundesgenossen rief! ›Gertrud Heidecker! Ach Gott, ich komme nicht an dir vorbei!‹
Er wandte sich, legte Jeremias die Hand auf den Arm und sah ihm eindringlich in die Augen. »Jeremias, in etlichen Tagen reise ich zu Wilm Larns. Ich muß das um der Arbeit willen und um meinetwillen. Da wird es zum Ende kommen, so oder so.« – –
Der Vorsteher ging nach dem Gespräche mit Sindig hinab zum Binsenhofe.
Heidecker stand im Hoftore. Da trat der Vorsteher heran.
»Der Frühling will kommen. Früher, scheint mir, als sonst. Mag er sich Zeit nehmen, sonst zerreißen uns die Wasser die Hangäcker.«
Er ging mit Heidecker nach den Ställen.
»Du hast mehr Vieh als sonst,« sagte er.
»Ich will darauf sehen, daß ich den Feldern geben kann, was sie brauchen. Sie darben sonst, und das Mutterland wird kärglicher.«
Das lobte der Vorsteher. »Hat dir das der Neue geraten?« fragte er.
»N – – ein,« log der Bauer, »man sieht selbst, wo es fehlt. Ein guter Arbeiter aber war der Jakob Sindig. Ich werde ihn hart entbehren.«
»Warum hast du deiner Frau das Moor geschenkt?«
»Wir werden ein Kind haben.«
»Ich habe fünf Kinder und hätte mich arm schenken müssen an mein Weib. Was ist dabei, wenn dir ein Kind geboren wird? Dazu nahmst du dein Weib. – – – Weiß man eigentlich, wie das mit dem Kaspar geschah?«
Der Bauer fuhr zusammen. Ein rasches Blitzen lohte über des Vorstehers Augen.
»Nichts weiß man, nichts,« eiferte der Bauer.
»Und du warst selbigen Abend daheim?« erkundigte sich der Vorsteher weiter.
»Ich? – Nein,« beteuerte der Bauer hastig. Dann: »Doch, ja, ich war daheim.«
»Ich möchte deinem Weibe einen Gruß sagen.«
Gertrud Heidecker bewillkommnete den geachteten Vorsteher mit schlichter Freundlichkeit.
»Einen wackeren Mann hast du an das Moor gesetzt,« sagte er.
»Man kann sich auf ihn verlassen,« bestätigte die Bäuerin, »er ist treu und denkt fast zu wenig an sich. Mir scheint, es halten auch andere viel von ihm, obwohl da manches ist, das mir um seinetwillen leid ist.«
»Was?«
»Daß er es nicht über sich bringt, sie ihre Wege gehen zu lassen. Das ist nichts und wird ihm schaden.«
»Du bist klug,« lobte der Vorsteher, »an sich sollte er denken, nicht an andere, die es ihm nicht danken.«
»Das eben kann er nicht. Man muß es achten, aber es wird ihm Not machen.«
»Man muß es achten, aber man sollte ihn daran hindern.«
»Es wäre gut, könnte man es.«
»Warum sollte man das nicht können? Er hat jetzt ein schweres Werk in die Finger genommen. Das kann ihn lange festhalten. – – – Ist er es nicht gewesen, der den Kaspar herausholte? Mir ist, die Leute hätten davon geredet.«
»Du hast recht gehört, Vorsteher.«
»Hat Lisa schwer daran getragen?«
»Ich weiß es nicht. Sie war einmal auf dem Hofe, und da hat sie mit dem Bauern gesprochen.«
»Sie bat, bleiben zu dürfen,« log Heidecker.
»Und niemand weiß, wie es geschah?« fragte der Vorsteher die Frau.
»Niemand,« entgegnete die Bäuerin. »Marlene hat den Totenwurm gehört, drei Tage lang. Und gerade an dem Abend, als wir zusammensaßen und mein Mann nicht daheim war, da mag es mit Kaspar geschehen sein.«
»Hm,« der Vorsteher blickte nach dem Bauern. Der aber drehte ihm den Rücken zu.
Der Vorsteher plauderte noch eine Weile. Dann verabschiedete er sich.
Als er hinaus war, fuhr der Bauer auf sein Weib ein. Warum sage sie, daß er nicht daheim gewesen sei an dem Abende? Wolle sie, daß man nun noch mit dem Gericht zu tun kriege?
Gertrud Heidecker erschrak vor dem Ungestüm ihres Mannes. »Deswegen mit dem Gericht? – Was solltest du damit zu tun haben, daß Kaspar im Moore verunglückte? Wo warst du an dem Abende?«
»Beim Wirte.«
»So wird es der bestätigen, wenn einer fragen sollte. – Was du für törichte Reden führst!«
Heidecker aber war verdrossen und antwortete nicht mehr, als ihn sein Weib um anderes fragte. – –
Wie weniges in Bergroda verschwiegen blieb und nicht Allgemeingut wurde, so auch das, was man am Sonntage auf dem Köhlerplane von Jakob Sindigs Vorhaben erfahren. Es ging von Häuslein zu Häuslein und von Hof zu Hof.
Unter den Häuslern war einer, der Adam Menger, der war ein stiller, besonnener Mann. Er stand sich gut, war ohne Schulden, hatte aber eine Anzahl Kinder. Um deren Zukunft sorgte er. Der Älteste war ein starker, frischer Mensch und diente bei dem Bauern auf der Bärleite. Für den hätte der Vater gerne eigenen Grund und Boden erworben. Adam Menger sann ernsthaft über das nach, was ihm von Jakob Sindigs Plänen erzählt worden war. Das Neue leuchtete ihm ein. Er war einer der wenigen, die sich in ihrem Tun nicht schieben und nicht halten ließen, und handelte bedacht aus eigenen Erwägungen. Vier Tage hatte er nachgedacht, war an dem Moore gewesen, das dem Leinert gehörte, und suchte nun den Bauern am Sonntagnachmittag auf. Dessen Moor wollte er kaufen. Der Bauer lachte laut auf. ›Das Moor!‹ Sie wurden um geringen Preis handelseinig, gingen am Dienstag nach Niederau und bewirkten die gerichtliche Anerkennung und Eintragung des Kaufes.
Zwei Tage später lud der Gemeindebote die Bauern zum Vorsteher.
Der hatte ein ernstes Gesicht. »Es ist etwas Neues aufgetaucht unter uns,« sagte er. Dann redete er von den Trockenlegungen, erklärte den Bauern, was das für sie bedeuten könne, und schloß damit, daß keiner auch nur einen Fußbreit Moorland an die Häusler verkaufen dürfe.
Da fuhr der Leinert auf. Er habe den Unsinn mit den Mooren nicht ernst genommen und das seine dem Adam Menger überlassen.
Der Vorsteher stutzte. Dann warf er den Kopf zurück. »Gut, was geschehen ist, ist geschehen, auf dem Binsenhofe und bei dir. Wir anderen aber: Keinen Fußbreit, wenn wir uns nicht selber umbringen wollen.«
Es wurde durch Handschlag abgemacht. Daß der Leinert sein Moor verkauft, das war dem Vorsteher nicht einmal unlieb. Adam Menger aber, der sparsame, schlichte Mann, tat ihm leid. Das Leinert-Moor war nicht trockenzulegen. Es lag inmitten einer ausgedehnten Hochfläche ohne Fall.
Ein neuer Antrag des Vorstehers fand viel Widerspruch. Er schlug vor, den Häuslern den Tagelohn zu erhöhen. Ein weniges nur, aber das werde ihnen beweisen, daß ihre Unzufriedenheit grundlos sei. Die Bauern täten, was sie vermöchten. Zuletzt wurde auch das nach erregtem Hin und Her beschlossen. Der Vorsteher war fest geblieben. Keinem sagte er es, nur sich selber, daß Jakob Sindig dahinter stand. Jakob Sindig und – die Klugheit. Er redete noch einiges, das den Bauern ungewohnt war. Man müsse menschlich sein. Mit Härte allein sei nichts geschafft, und auf die letzte Versteigerung müßte eine Reihe ruhiger Jahre kommen, selbst wenn einer oder der andere ein Opfer zu bringen gezwungen sei.
Als die Männer gingen, hielt der Vorsteher den Binsenhofbauern zurück. Es sei da eine Anfrage gekommen, des Kaspar wegen, erzählte er und fragte, wo die Knechte an dem Abend gewesen seien. Die seien daheim gewesen. Und er, der Bauer? – Auch daheim. – Aber sein Weib habe doch anders gesprochen. – Ja so, es sei richtig, er sei bei dem Wirte gewesen.
Drei Tage später wußte der Vorsteher, daß Heidecker in der fraglichen Zeit nicht bei Reisiger gewesen war. Er schwieg. Das von dem eingeforderten Berichte war erfunden gewesen. –
Auch Heidecker war bei dem Wirte gewesen. – Ob sich Reisiger erinnere, daß er an einem gewissen Abende bei ihm gesessen. Ja, wie konnte das Reisiger wissen? – Oder doch: Ja, natürlich war Heidecker an dem Abend bei ihm. – Und dann: Nein, er müsse sich irren, er könne sich wirklich nicht besinnen. – So hielt er den Bauern in Ungewißheit und wußte, daß der auf die Weise nicht von ihm loskam. Wohl kam ihm der Bauer sonderbar vor, aber der Ursache nachzuforschen, dazu war Reisiger zu faul.
Jakob Sindig kam nach dem Binsenhofe, um Gertrud Heidecker Lebewohl zu sagen.
Sie sprachen lange miteinander, so wie gute Kameraden reden. Was die Bäuerin sagte, war im Grunde dasselbe, was schon der Vorsteher vor Jakob hingestellt hatte, aber es lebte darin etwas von dem Geiste, der Jeremias an Sindig herandrängte. Nur verhaltener war er bei der Frau, verriet sich nur wie ein leises, fernes Glöcklein, dessen Klang man mehr mit der Seele als mit den Ohren vernimmt.
Davor war Jakob wie ein Kind. Da verstand es Gertrud Heidecker, den Mann in ihm wieder zu wecken, den entschlossenen, für sich stehenden. Seine Augen wurden klarer, als sie in all den Tagen gewesen waren. Alles Träumende jagte er hinaus.
»Gut«, schloß er ihr Gespräch, »so oder so. Ich gehe zu Wilm Larns. Jetzt muß ich sehen, ob die Klugheit hinter der Arbeit stehen kann. Dann komme ich wieder oder – – – Lebe wohl, Bäuerin. Vielleicht sehen wir uns heute das letztemal in die Augen. Vergib mir, was ich dir tat. Es ist mir bitter leid.«
»Ach Gott,« sie umschlang Jakobs Hand, »Jakob, geh zu Wilm Larns, ja, du mußt gehen, ja.«
»Und wenn ich kann, dann bleibe ich dort. Es wäre gut für mich und für dich. – Mag es dir gut gehen, Bäuerin.«
Gertrud Heidecker lehnte am Türpfosten, und barg das Gesicht in den Händen.