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4. Kapitel.

Ein Semester theologisches Studium; wachsende Antipathie gegen das traditionelle Christentum. Bekehrung zu Schopenhauer. Ob diese Bekehrung echt war? (1864-68).


Im Herbst 1864 bezog Nietzsche die Universität Bonn, um Philologie und Theologie zu studieren. Die Philologie entsprach seiner eigenen Neigung; daß er auch Theologie studiere, war wohl nur der Wunsch der Mutter. Schon im zweiten Semester gab er das Studium der Theologie vollständig auf.

Seine theologischen Studien waren, wie er Anfang 1869 in einem Rückblick auf seine Studienzeit berichtet, mit Energie auf die philologische Seite der Evangelienkritik und der neutestamentlichen Quellenforschung gerichtet. »Ich bildete mir nämlich damals noch ein (fügt er hinzu), daß die Geschichte und ihre Erforschung imstande sei, auf gewisse religiöse und philosophische Fragen eine direkte Antwort geben zu können« (L. I, 209 f.). Der Ertrag seiner Arbeit war wohl nur, daß sich ihm dies als ein unhaltbares Vorurteil erwies. Daß er im Laufe seines ersten Studienjahrs zu einer geradezu feindseligen Stimmung gegen das Christentum überging, muß andere Gründe gehabt haben, die uns nicht mehr erkennbar sind.

Gegen Ende dieser Zeit hat er »Gedanken über das Christentum« niedergeschrieben. Das Interessanteste an diesen sonst nicht eben interessanten Gedanken ist, daß sie sich gar nicht auf das eigentümlich Christliche, also gar nicht auf das Christentum beziehen. Was Nietzsche zu diesen Gedanken aufreizt, ist nicht der Glaube der Christen, sondern die Anmaßung, mit der sie diesen Glauben haben. »Viel schroffer als die Griechen von ihren Barbaren reden wir von den Heiden.« Das empört ihn: »es liegt in diesem Zusammenfassen aller außerchristlichen Völker zu dem Begriff der armen elenden Heiden eine fast lächerliche Barbarei.« Aber Nietzsche sieht selbst, daß diese Anmaßung jeder »sich allein berechtigt anerkennenden, sich selbst genügenden Religion« eignet. »Der Stoff zu letzterer ist gleichgültig.« In der Tat ist der Grund der christlichen Anmaßung, den er zu entdecken glaubt, nicht ein spezifisch christlicher Glaube. »Zu Grunde liegt der ungeheure Denkfehler, Theismus und Moralität zu identifizieren oder überhaupt die Moral abhängig zu machen von der Anschauung, die man von Gott hat.« Worin dieser ungeheure Denkfehler eigentlich bestehe und welchen Grund er wieder habe, findet er nicht der Untersuchung wert. Es fällt ihm auch nicht ein, ob nicht die lächerliche, barbarische Anmaßung, mit der »wir« von den armen, blinden Heiden reden, dem Theismus widerspreche und insbesondere unchristlich sei. Bei aller Abneigung gegen die christliche Priesterschaft stellt er doch ihren Anspruch das Christentum zu vertreten nicht in Frage.

Nietzsche ist auf dem besten Wege, aus Empörung über den Fanatismus der sich selbst genügenden »Religion« zum Fanatiker einer sich selbst genügenden »Aufklärung« zu werden. Das wurde durch Schopenhauer abgewehrt, auf den er gegen das Ende des Jahres 1865 stieß. Über dieses in jedem Sinne, im guten wie im bösen, fatale Erlebnis berichtet er etwa zwei Jahre später (L. I, 231 f.):

Verstimmungen und Verdrießlichkeiten persönlicher Art pflegen bei jungen Leuten leicht einen allgemeinen Charakter anzunehmen, wenn sie sonst nur zur δυσκολία [Melancholie] geneigt sind. Ich hing damals gerade mit einigen schmerzlichen Erfahrungen und Enttäuschungen ohne Beihilfe einsam in der Luft, ohne Grundsätze, ohne Hoffnungen und ohne eine freundliche Erinnerung. Mir ein eignes anpassendes Leben zu zimmern war mein Bestreben von früh bis Abend; dazu brach ich die letzte der Stützen ab, die mich an meine Bonner Vergangenheit fesselte; ich zerriß das Band zwischen mir und jener Verbindung Nietzsche war in Bonn in die Burschenschaft Franconia eingetreten. Aber das studentische Verbindungsleben stieß ihn nach anfänglicher Begeisterung bald ab. Die Schwester berichtet darüber (L. I, 224): »Meines Bruders Zorn richtete sich hauptsächlich gegen den ihm verhaßten Biermaterialismus, und von jenen ersten Erfahrungen in Bonn ist ihm für immer eine tiefe Abneigung gegen Rauchen, Trinken und die ganze sogenannte Biergemütlichkeit geblieben. Stets hat er behauptet, daß Leute, welche allabendlich Bier trinken und Pfeife rauchen, absolut unfähig wären ihn zu verstehen: diesen müßte jene feine Helligkeit des Geistes fehlen, die zum Auffassen und Durchdenken so zarter und tiefer Probleme wie die seinigen unbedingt nötig wäre. Später zerriß er das Band, das ihn an die Burschenschaft knüpfte, ganz und gar; aber es war ihm sehr bitter, so wenig verstanden zu sein und solch geringen Einfluß unter seinen Studiengenossen gehabt zu haben. So endete dieses erste Studienjahr in etwas melancholischer Stimmung.« – Herbst 1865 war Nietzsche von Bonn nach Leipzig übergesiedelt.. In der glücklichen Abgeschiedenheit meiner Wohnung gelang es mir, mich selbst zu sammeln, und wenn ich mit Freunden zusammen traf, so [waren es eben solche], die für ihren Teil mit gleichen Absichten umgingen. Nun vergegenwärtige man sich, wie in solchem Zustande die Lektüre von Schopenhauers Hauptwerk wirken mußte. Eines Tages fand ich nämlich im Antiquariat des alten Rohn dies Buch, nahm es als mir völlig fremd in die Hand und blätterte darin. Ich weiß nicht, welcher Dämon mir zuflüsterte: »Nimm dir dies Buch mit nach Hause.« Es geschah jedenfalls wider meine sonstige Gewohnheit, Büchereinkäufe nicht zu überschleunigen. Zu Hause warf ich mich mit dem erworbenen Schatz in die Sophaecke und begann, jenen energischen düsteren Genius auf mich wirken zu lassen. Hier war jede Zeile, die Entsagung, Verneinung, Resignation schrie; hier sah ich einen Spiegel, in dem ich Welt, Leben und mein eigen Gemüt in entsetzlicher Großartigkeit erblickte. Hier sah mich das volle, interesselose Sonnenauge der Kunst an, hier sah ich Krankheit und Heilung, Verbannung und Zufluchtsort, Hölle und Himmel. Das Bedürfnis nach Selbsterkenntnis, ja Selbstzernagung packte mich gewaltsam; Zeugen jenes Umschwunges sind mir noch jetzt die unruhigen, schwermütigen Tagebuchblätter jener Zeit mit ihren nutzlosen Selbstanklagen und ihrem verzweifelten Aufschauen zur Heiligung und Umgestaltung des ganzen Menschenkerns. Indem ich alle meine Eigenschaften und Bestrebungen vor das Forum einer düsteren Selbstverachtung zog, war ich bitter, ungerecht und zügellos in dem gegen mich selbst gerichteten Haß. Auch leibliche Peinigungen fehlten nicht. So zwang ich mich 14 Tage hintereinander immer erst um 2 Uhr Nachts zu Bett zu gehen und es genau um 4 Uhr wieder zu verlassen. Eine nervöse Aufgeregtheit bemächtigte sich meiner; und wer weiß, bis zu welchem Grade von Torheit ich vorgeschritten wäre, wenn nicht die Lockungen des Lebens, der Eitelkeit, und der Zwang zu regelmäßigen Studien dagegen gewirkt hätten.

Auf dem Boden des Pietismus heißt man so was eine »Bekehrung«. In der Tat stoßen wir hier auf alle charakteristischen Momente der Bekehrung: die vorausgehende, durch widrige Erlebnisse verursachte Verstimmung des Gemüts; den dämonischen Zufall, der das erweckende und erleuchtende Buch in die Hände spielt; den augenblicklichen, überwältigenden Eindruck, den die neue Auffassung des Lebens macht; den Bußkampf mit den gewaltsamen Versuchen sich selbst umzuschaffen; und endlich auch die Seligkeit neuen Lebens. Dieses trat, ganz korrekt, ein in der Begeisterung für den Heiland, der ihn erlöst hatte; in der leidenschaftlichen Propaganda für »seinen« Philosophen; in dem Selbstgefühl der Schopenhauer-Gemeinde, die er unter seinen Freunden gewann. Denn Nietzsche und seine Brüder in Schopenhauer fühlten sich der niedrigen schlechten Welt gegenüber durchaus als »Heilige« und »Auserwählte«; erbauten sich auch untereinander mit der Heilswahrheit, die sie bei »ihrem« Philosophen gefunden hatten.

Doch verrät Nietzsches Bericht, daß 1867 der Paroxysmus bereits im Fallen war. Das legt uns bei dieser wie bei anderen Bekehrungen die Frage nahe, ob sie ganz echt war. War es wirklich Schopenhauers Geist, der sich Nietzsches bemächtigt hatte?

Ob Nietzsche jemals durch Schopenhauers Philosophie theoretisch befriedigt wurde, ist Nebensache. Es möge also auch nur nebenbei bemerkt werden, daß sie ihm schon 1867 unlösbare theoretische Bedenken erregte. Aber auch in der Zeit seiner höchsten Begeisterung für Schopenhauer war seine Lebensstimmung von der des Meisters wesentlich verschieden. Und deshalb mußte ihm auch dessen Heilslehre innerlich fremd bleiben.

Den 7. April 1866 schreibt Nietzsche seinem Freund Karl von Gersdorff (L. I, 246):

Drei Dinge sind meine Erholungen, aber seltene Erholungen: mein Schopenhauer, Schumannsche Musik, endlich einsame Spaziergänge. Gestern abend stand ein stattliches Gewitter am Himmel. Ich eilte auf einen benachbarten Berg, … fand oben eine Hütte, einen Mann, der zwei Zicklein schlachtete, und seinen Jungen. Das Gewitter entlud sich höchst gewaltig, mit Sturm und Hagel. Ich empfand einen unvergleichlichen Aufschwung und ich erkannte recht, wie wir erst dann die Natur recht verstehen, wenn wir zu ihr aus unseren Sorgen und Bedrängnissen heraus flüchten müssen. Was war mir der Mensch und sein unruhiges Wollen! Was war mir das ewige: »Du sollst«, »Du sollst nicht«! Wie anders der Blitz, der Sturm, der Hagel – freie Mächte, ohne Ethik! Wie glücklich, wie kräftig sind sie; reiner Wille, ohne Trübungen durch den Intellekt!

Das sind, denke ich, Schopenhauersche Worte, gebraucht in einem Sinne, der dem Geist Schopenhauers widerspricht. Schopenhauer entspricht es eher, daß der Intellekt durch den Willen, als daß der Wille durch den Intellekt getrübt werde. Den reinen, dummen Willen nicht bloß als kräftig zu rühmen, sondern auch glücklich zu preisen, wäre Schopenhauer nie eingefallen. Schopenhauer findet zwar das »Du sollst« unphilosophisch, ethische Gesinnung aber ist ihm doch wohl eine wertvolle Frucht philosophischer Einsicht. Und Schopenhauer ist doch nicht der Meinung, daß das unruhige Wollen des Menschen unter dem erhebenden Eindruck der Macht reinen, glücklichen Wollens, wie sie sich in einem Gewitter offenbart, als nichtig erkannt werden solle; vielmehr soll es nach seiner Meinung in der von allem Pathos freien Intuition zum Schweigen kommen und in der Verneinung des Willens zum Leben endgültig ertötet werden. Wenn aber das Unglück eben in der »Ethik« liegt: sollte dann nicht das Wollen des Menschen (wäre es nur von der »Ethik« befreit) als reiner Wille glücklich und kräftig sich austoben können, wie die freien Mächte des Blitzes, des Sturmes, des Hagels? Schopenhauer predigt Verneinung des Willens zum Leben; sein begeisterter Verehrer ist auf Bejahung des Willens zum Leben gestimmt! Nietzsche hat sich nicht zu Schopenhauer bekehrt, vielmehr hat nur seine Begeisterung für die große Leidenschaft in Schopenhauers Auffassung des Willens als des Dings an sich ihre Rechtfertigung gefunden.

So sieht Nietzsche auch Schopenhauers Ethik nicht mit den Augen des eingeweihten Jüngers, sondern mit den Augen des profanen Kritikers, wenn er 1868 schreiben kann (L. I, 352):

Zugegeben, daß die Lehre Schopenhauers (doch auch des Christentums) von der erlösenden Kraft der Leiden wahr ist, so wäre es eine Sorge für das allgemeine Wohl, die Leiden nicht zu mindern, ja vielleicht zu mehren, nicht nur für sich, sondern für andre. An dieser Grenze wird die praktische Ethik häßlich, ja konsequente Menschenquälerei. Ähnlich ist die Wirkung des Christentums verneinend, wenn es gebietet, vor jeder Art von Obrigkeit Respekt zu haben usf., insgleichen jedes Leiden ohne Versuch der Abwehr über sich ergehen zu lassen.

Wer für sich selbst oder für andere unter dem Leben leidet, denkt nicht so. Daß er das Leiden als heilsam erkennt, wird ihn nicht verführen, sich willkürlich Leiden schaffen zu wollen. Jeder verständige Pietist hätte Nietzsche darüber belehren können, daß solches selbstgewählte Leiden nicht den Heilswert des von Gott auferlegten Leidens hat, weshalb es sogar nicht rätlich sei, Gott um Leiden zu bitten. Nietzsche selbst hätte der eigenen Erfahrung entnehmen können, daß die Entsagungen, die er sich willkürlich, als logische Konsequenz aus Schopenhauers Lehre, auferlegte, den Willen zum Leben in ihm eher stärkten als schwächten. Daß man einem andern willkürlich Leiden zufügte, würde diesen auch eher zu kräftigerer Bejahung als zur Verneinung des Willens zum Leben reizen. Und dem Mitleidigen kommt es überhaupt nicht in den Sinn, daß er einem andern Leiden verursachen wolle. Die Gesinnung des Mitleids verwehrt ihm, aus einer Theorie des Leidens diese Folgerung zu ziehen. In seinem Mitleid wird er erkennen, daß er den Heilswert des Leidens für den andern gerade dadurch erhöht, daß er ihm das Leiden tragen hilft. So sieht sich die Sache von innen an. Nur wer draußen steht, weder selbst wirklich leidet noch mit anderen wirklich leidet, kann dem Leidenden und Mitleidigen aus seinem Glauben an die erlösende Kraft des Leidens die logische Folgerung ziehen, daß er eigentlich darauf bedacht sein müßte sich und andern das Leiden zu vermehren.

Ob Schopenhauer selbst Nietzsche zu diesem Mißverständnis Veranlassung gegeben hat, können wir auf sich beruhen lassen. Dagegen ist für uns von Bedeutung, daß Nietzsche sichtlich dazu neigt, das Christentum mit Schopenhauer zusammenzusehen – ohne erst genauer zu untersuchen, wie sich die christliche Auffassung des Leidens zu der Schopenhauerschen verhält. So behauptet er auch die »verneinende« Wirkung des Christentums, ohne sich lange um den Sinn der von ihm angezogenen »Gebote« des Christentums zu bemühen. Daß das evangelische Christentum, für dessen Heilslehren er einst ein reges und lebendiges Interesse bewiesen hatte, von »Geboten« so wenig weiß wie Schopenhauer; hat er entweder nie verstanden oder wieder vergessen. Oder vielmehr: das hat er nie verstanden. Denn wenn er es einmal verstanden hätte, so hätte er es nicht wieder vergessen.

Wie wenig wirklichen Einfluß Schopenhauer auf Nietzsche hatte, zeigt sich in einer Sache, die für Nietzsches spätere Entwicklung von größter Bedeutung geworden ist. Im Februar 1867 schreibt er seinem Freund Gersdorff (L. I, 254).

… Zweitens aber war mir besonders Dein Bekenntnis zu unserem Philosophen lieb und wert, da es in einer Zeit ernster und schwerer Erfahrungen, entscheidender Schicksalsschläge gesprochen worden ist. Fromme Menschen glauben, daß alle Leiden und Unfälle, die sie treffen, mit genauester Absichtlichkeit auf sie berechnet sind, so daß der und jener Gedanke, dieser gute Vorsatz, diese Erkenntnis in ihnen geweckt werden sollte. Uns fehlen zu einem solchen Glauben die Voraussetzungen. Wohl aber steht es in unserer Gewalt, jedes Ereignis, kleine und große Zufälle für unsere Besserung und Züchtigung zu benutzen und gleichsam auszusaugen. Die Absichtlichkeit im Schicksal des Einzelnen ist keine Fabel, wenn wir sie also verstehen. Wir haben das Schicksal absichtlich auszunützen: »denn an und für sich sind Ereignisse leere Hülsen.« Auf unsere Verfassung kommt es dabei an: den Wert, den wir einem Ereignis beilegen, hat es für uns. Gedankenlose und unmoralische Menschen wissen nichts von einer solchen Absichtlichkeit des Schicksals. An ihnen haften eben Ereignisse nicht. Wir aber wollen aus ihnen lernen: und jemehr sich unser Wissen in sittlichen Dingen mehrt und vervollständigt, um so mehr werden auch die Ereignisse, die uns getroffen haben, einen festgeschlossenen Kreis bilden oder vielmehr zu bilden scheinen.

Fünf Jahre früher war Nietzsche der Meinung, es werden erst durch die Erkenntnis, daß wir nur uns selbst verantwortlich sind, die Grundideen des Christentums ihr äußeres Gewand ablegen und in Mark und Blut übergehen. Jetzt ist er offenbar der Meinung, daß erst durch diese Erkenntnis der Geist Schopenhauers sein äußeres Gewand ablege und in Mark und Blut übergehe. Daß Schopenhauer gerade in der Abhandlung »über die anscheinende Absichtlichkeit im Schicksale des Einzelnen« ausdrücklich erklärt:

Weder unser Tun noch unser Lebenslauf ist unser Wert, wohl aber das, was einer dafür hält: unser Wesen und Dasein. Denn auf Grundlage dieser und der in strengster Kausalverknüpfung eintretenden Umstände und äußeren Begebenheiten geht unser Tun und Lebenslauf mit vollkommener Notwendigkeit vor sich. Demnach ist schon bei der Geburt des Menschen sein ganzer Lebenslauf, bis ins Einzelne, unwiderruflich bestimmt; so daß eine Somnambule in höchster Potenz ihn genau voraussagen könnte. Wir sollten diese große und sichere Wahrheit im Auge behalten, bei Betrachtung und Beurteilung unseres Lebenslaufs, unserer Taten und Leiden –

das macht seinem Jünger im selben Augenblick, da er sich feierlich zu ihm bekennt, nicht das geringste Bedenken; wie es ihm einst nicht das geringste Bedenken machte, daß nach der Meinung des Christentums wir nicht sowohl uns selbst, sondern Gott verantwortlich sind, das Heil des Menschen auch nicht sowohl durch dessen Nennen und Laufen errungen, als vielmehr durch Gottes Erbarmen geschenkt wird. Im Handumdrehen, ohne auch nur zu merken was er tut, verwandelt er Schopenhauers »transzendente Spekulation« in eine moralische Reflexion. Was der Meister dazu sagen würde, ist dem Jünger keiner Berücksichtigung wert.


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