Clara Schreiber
Eine Wienerin in Paris
Clara Schreiber

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Alinens Handschuh

Von befreundeter Seite wurde mir aus Berlin ein Creditbrief für ein Pariser Haus gesandt. Gleichzeitig trug man mir Grüße an den Compagnon des Hauses, einen jungen Deutschen, auf.

Als ich meinen Creditbrief präsentirte, frug ich nach dem mir bezeichneten Herrn Otto R. Dieser empfing mich in seinem behaglich ausgestatteten Gemach wohlthuend freundlich. Mit echt deutscher Gastlichkeit lud er mich sofort in sein Haus. »Speisen Sie morgen sans façon bei uns, wir plaudern dabei gemüthlich.« Ich nahm die Einladung nicht sofort an. »Nichts da, bei Alinens Handschuh, Sie müssen kommen«, rief Otto. Er bemerkte mein Erstaunen über das Anrufen einer ledernen, unbekannten Gottheit und ward etwas verlegen. »Verzeihung, der Ausruf entfuhr mir. Aber bei Alinens Handschuh gibt es keine Widerrede. Hoffentlich sind Sie ein wenig neugierig auf die Lösung des Räthsels, die morgen »entre le formage et la poire« erfolgen soll. Ich hole Sie ab.« Pünktlich erschien zur bezeichneten Stunde der junge Bankier bei mir und nach kurzer Fahrt in seinem eleganten Broom hatten wir das Ziel erreicht. Ich sah mich bald in einem jener reizenden Pariser Salons, deren coquetter bestrickender Zauber Jedermann gefangen nimmt. Otto stellte mich seiner Frau vor. Madame R. bot mir freundlichen Willkommen. Sie sah trotz ihrer neunjährigen Ehe mädchenhaft aus. Die mittelgroße, schlanke Gestalt war ungemein anmuthig, um den schön geformten Kopf legte sich in leichten Wellen goldbraunes Haar. Ganz eigenthümlich berührten die großen braunen Märchenaugen. Solche Augen gehören in Paris zu den Seltenheiten. Die Pariserinnen sind weder träumerisch noch naiv genug für diese Sterne. Im Laufe des Gesprächs erfuhr ich, daß die Mutter der Dame von spanischer Abkunft war, und so hatte ich natürliche Erklärung für die schönen Augen gefunden. Die reizenden Kinder des jungen Ehepaares, ein achtjähriger Knabe und ein sechsjähriges Mädchen, wurden bald zutraulich. Sie sprachen, gleich der Mutter, fließend deutsch. Allerdings redete die junge Frau mit etwas fremder Betonung, aber sie drückte sich sehr gewählt aus; wie Jemand, der eine Sprache vollkommen beherrscht, und sie nach den besten Meistern erlernt hat.

Die Mahlzeit verlief heiter und angeregt. Nach einem trefflichen Diner wurde der schwarze Kaffee in Otto's Bibliothek servirt.

Zwischen zwei hohen Bücherschränken stand, von grünem Epheu umschlungen, eine weiße Marmorsäule. Auf dieser ruhte auf rothsammtnen Kissen ein zierlicher grauer Damenhandschuh, dessen Rücken eine wunde, verbrannte Stelle aufwies. Ueber dem Handschuh befand sich ein Glasgehäuse, wie man es sonst über Uhren oder Sèvre-Figürchen zu stellen pflegt.

»Sehen Sie, das ist Alinen's Handschuh,« begann mein Wirth. Ich lasse die Geschichte der Reliquie folgen.

Vom Jahre 1867 bis 1870 war Otto R. im Hause des Banquiers Armand beschäftigt; er führte die deutsche und englische Correspondenz und genoß nicht nur das volle Vertrauen, sondern auch die aufrichtige Zuneigung seines Principals.

Im Winter 1869 kehrte Aline, das einzige Töchterchen, aus der Pension zurück, wo sie – in jener Zeit geschah das selten genug – sogar deutsch gelernt hatte. Otto wurde aufgefordert, am Sonntag in der Familie des Banquiers zu speisen; die jungen Leutchen aßen französische Trüffeln und sprachen über deutsche Classiker, für welche sich Aline lebhaft interesstrte. Das junge Fräulein bat Otto, etwas aus den Meisterwerken der Deutschen vorzulesen. Beglückt willfahrte der junge Mann diesem Wunsche. Die arme Madame Armand gähnte und legte Patience, indeß von Otto's Lippen die Feuerworte Don Carlos' und Egmont's fielen und die wißbegierige Aline den Schönheiten Mignon's und Gretchen's lauschte.

Bald fühlten die jungen Leute, daß die Worte der erhabenen Dichtung ihr eigenes Empfinden ausdrückten. Die muntere Französin horchte träumerisch, wie ein deutsches Mädchen. Kein Wort von Liebe fiel, und doch wollte Otto nur den Tag seiner Großjährigkeit erwarten, um von Alinens Vater die Hand der Geliebten zu verlangen.

Das bedeutende Vermögen des jungen Mannes, die stets bewiesene Zuneigung Armand's ließen ihn ein gutes Resultat hoffen.

Der Banquier liebte seine Tochter, sein Geschäft und Frankreich mit Leidenschaft. Mitten in den rosigen Traum Otto's fiel die Kriegserklärung und nach heftigem Kampfe erklärte der junge Mann seinem Chef schmerzerfüllt, daß er scheiden und der Fahne folgen müsse.

»Gehen Sie«, sagte der Banqnier, »kämpfen Sie gegen das Land, in dem Sie seit Jahren behaglich und friedlich lebten. Gehen Sie und erheben Sie die mörderische Waffe gegen Ihre bisherigen Genossen.«

»Nicht Sie, nicht ich, wünschen den Krieg, Herr Armand, aber wir Beide werden unsere Pflicht thun diesseits und jenseits des Rheines. Ich werde mich diesen Abend bei Ihren Damen verabschieden,« fuhr Otto bewegt fort.

»Ueberflüssig, ich überbringe Ihr Lebewohl,« versetzte Herr Armand.

»So bleibt mir nur noch die Arbeit, mit der Sie mich beehrten, zu ordnen und einen Andern mit derselben vertraut zu machen. Leben Sie wohl, Herr Armand.«

Mit einem Schlage sah sich Otto feindseligen Mienen gegenüber. Jeder ging ihm aus dem Wege. Was aber war dies Alles gegen den Schmerz, Alinen zu verlieren? Er sollte sie nicht wiedersehen!! Die Ziffern, die er als Schlußrechnung niederzuschreiben hatte, schwammen vor seinen Augen, er unterdrückte die aufsteigenden Thränen. Da glitt ein flüchtiger, leichter Schritt über das Zimmer. Aline! Die braunen Locken hingen um das lieblich geröthete Gesicht, die kleinen Hände bebten vor Aufregung. Sie streifte den hellen Handschuh ab und bot Otto die Hand, die dieser zum ersten Male an seine Lippen führte.

»Sie wollen fort?«

»Ich muß, Fräulein.«

»Also Sie müssen fort, leben Sie wohl. Mama möchte Sie Abends nicht mehr sehen, weil Sie jetzt unser Feind sind.«

»Ihr Feind, Aline, und Sie wissen, mein Herzblut –«

»Still davon, Herr Otto. Leben Sie wohl, ich will in den schönen Büchern allein weiter lesen. Oh! wie leid mir's thut, daß Sie scheiden.«

Die Atmosphäre des Comptoirs, die Anwesenheit der übrigen Beamten schützte Otto davor, eine Tollheit zu begehen und Aline zu Füßen zu stürzen. Diese war rasch in des Vaters Arbeitsstube geeilt: »Ich habe Herrn Otto, meinem Lehrer, doch Adieu sagen müssen,« hörte er sie sprechen und vernahm nur grollende Worte Armand's. Wer weiß, vielleicht war auch diesem ein Lieblingswunsch in die Brüche gegangen.

Als Otto sich wieder auf das Cassabuch beugte, fand er den kleinen Handschuh darauf, den Aline abgestreift hatte. Rasch griff er danach. »Auf meinem Herzen sollst Du ruhen,« flüsterte er, ihm war, als sei der Duft von Alinens Wesen in dem kleinen Lederding zurückgeblieben.

Im Feld-Lazarethe von Sedan lag ein schwer verwundeter, junger Officier. Eine Kugel war in die Brust gedrungen, eine zweite am Herzen abgeprallt. Als man den Verwundeten unter den Todten auf dem Schlachtfelde aufhob und ihn im Lazareth entkleidete, fand man auf seinem Herzen ein kleines Päckchen, einen zierlichen Damenhandschuh, von der Kugel gestreift und verbrannt. In den wildesten Phantasien begehrte der Kranke nach »Alinens Handschuh«, den die treue Diakonissin auf sein Lager brachte. Er gab ihm tausend Schmeichelnamen und als er sein Bewußtsein wiederfand, hütete er die Reliquie mit der größten Sorgfalt. Alinens Handschuh hatte ihm das Leben gerettet, er sah ein Zeichen darin, nicht auf die Geliebte zu verzichten. Sie mußte die Seine werden, sofort nach dem Frieden wollte er nach Paris, die Theuere zu erringen –


Im Hause Armand's war das Unglück eingekehrt. Die Mutter Alinens war in der Belagerung gestorben, der Vater hatte sein Vermögen eingebüßt und Aline sollte einem gehaßten Manne an den Altar folgen. Der gefürchtete Bewerber hielt als Hauptgläubiger Armand's Schicksal in Händen. Schon am nächsten Tag sollte die Unterzeichnung des Ehecontractes erfolgen. Otto wollte verzweifeln. Er mußte um jeden Preis wissen, ob Aline noch seiner gedenke. Hatte sie ihn vergessen, so war es besser zu gehen; der Vater würde eine Verbindung mit dem Deutschen ohnehin erst nach schwerem Kampfe zugeben. Otto nahm Alinens Handschuh, schloß ihn in einen Brief und schrieb: »Geweiht und gefeit im Schlachtendonner von Sedan hat dieser Handschuh ein Leben gerettet, welches ohne die Hand, die er einst umschloß, ohne Alinens Liebe werthlos ist.«

Aline jauchzte vor Glück, als sie das Pfand des Todtgeglaubten in Händen hielt.

»Ich erwarte Sie in der Madeleine«, lautete ihre Antwort.

In der alten Kirche, die so manches zärtliche Stelldichein schon beschützte, schwuren die Beiden einander Liebe, Treue und Ausdauer.

Aline besprach mit Otto des Vaters Lage. Otto war reich, aber er durfte nicht daran denken, Armand Hilfe anzubieten, haßte doch dieser den Deutschen, nimmer würde er die Rettung durch ihn angenommen haben. Glücklicher Weise gelang es dem Liebenden, einen Freund Armands für seine Pläne zu stimmen. Dieser sollte mit Otto's Capitalien Armand beispringen, den alten Freund würde er nicht von sich stoßen. Der Plan gelang: der Banquier war überglücklich; er, dessen alte Firmatafel keinen Makel trübte, konnte seine Verpflichtungen einhalten. Damit entfiel für die Tochter der Zwang sich mit dem gehaßten Gläubiger zu vermälen, Otto wartete in seiner Heimat auf den Ausgang der Ereignisse, seine Braut besaß Muth, aber man durfte noch nicht daran denken, dem Bankier die Wahrheit mitzutheilen. Dessen Verbindungen mit Deutschland machten indeß die Wiederaufnahme der deutschen Correspondenz nothwendig. »Komme zurück, der Vater braucht einen Deutschen im Comptoir, biete ihm deine Dienste an,« so lautete ein Brief des Bräutchens, der Otto mit neuer Hoffnungsfreudigkeit erfüllte.

Armand nahm den jungen Mann wirklich auf, die Geschäftsverhältnisse siegten über die Abneigung, langsam schmolz die Eisrinde des Nationalitätenhasses. Das Geschäft gedieh. Nach drei Jahren war Armand im Stande, seinem Freunde die vorgestreckte Summe wieder zu erstatten. Jetzt erst vernahm er den Ursprung derselben und halb erzürnt, halb gerührt, gab er seine Einwilligung zur Verbindung der jungen Leute.

Die neue Firma heißt Armand und Comp.

»Dem Handschuh meines süßen Weibchens«, schloß Otto seine Erzählung, »haben wir für alle Zeiten einen Ehrenplatz eingeräumt. War er doch der Schützer unserer Liebe. Sie lächeln mit Recht, aber ich habe mich daran gewöhnt, bei den verschiedensten Veranlassungen an den kleinen Handschuh zu denken.« »Und diesem Gedanken Worte zu leihen«, fügte ich hinzu. »Ja, bei Alinens Handschuh! das Wort gilt für alle Zeit und nun sehen Sie meine zweite Reliquie an.« Otto hob das Glasgehäuse ab, nahm den perlgrauen Handschuh von dem rothsammtnen Kissen. Ich erblickte das eiserne Kreuz. »Wenige Deutsche können sich solch französischer Revanche rühmen«, bemerkte ich, indem ich auf die glückstrahlende, junge Frau deutete. Behutsam legte Otto den Handschuh auf seinen Platz. »Da hat Ihnen der Schwätzer unsere Geschichte erzählt«, sagte Frau Aline. Schiller und Goethe haben uns zusammengeführt, da konnten uns doch Napoleon und Bismarck nicht scheiden.


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