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Gemischtes Blut, Racenkreuzung führt zuweilen eigenthümliche Resultate herbei. Es entsteht eine Species, die weder dem Vater, noch der Mutter gleicht, deren Eigenart jedoch etwas Sprunghaftes, beinahe Unvollendetes aufweist. Sarah Bernhardt ist das Product einer solchen Kreuzung, Ihre Mutter war eine holländische Jüdin, ihr Vater ein katholischer Franzose. Sie hat von Beiden die Intelligenz ererbt. In jeder anderen Hinsicht ist ihr Wesen ein Ausnahmsproduct. Nichts von dem kühlen Temperamente, dem strengen Ordnungssinne der holländischen Mutter, nichts von der Geschäftsklugheit des jüdischen Stammes, nichts von dem Sparsinne des französischen Vaters, nichts von der Einseitigkeit, mit welcher gerade der Franzose seine Talente zu entwickeln pflegt. Sarah ist keine Tradition, sondern ein Original; aber keines jener gesunden, vollkräftigen Originale, welche bahnbrechend, in der Menge die Sehnsucht, ihnen zu gleichen, erwecken, keine jener begnadigten Erscheinungen, welche, von Licht umflossen, ihrer Zeit entsteigen und die Höhe der Ewigkeit erklimmen. Sie ist ein krankhaftes Original, dem die reine Harmonie vollständig mangelt. Alles an ihr, das Wollen und das Können, ihr ganzes Wesen krankt am Mangel an Einheit. Es ist verschroben und verzerrt. Von der Ueberzeugung beseelt, Alles wagen und leisten zu können, läßt sie sich von dem Gaukelspiele ihrer Phantasie lenken und bestimmen. Den klaren, nüchternen Verstand bringt sie durch eine Phrase zum Schweigen.
Die berühmte Tragödin ist zum Ueberfluß auch ein Pariser Kind. Sie wurde katholisch getauft und von ihrem Vater einem Kloster zur Erziehung übergeben. Ihr Geburtsjahr ist 1844. Als vierzehnjähriges Mädchen besuchte sie die Curse von Provost und Samson und erhielt, da sie große Befähigung zeigte, 1861 einen zweiten Preis für die Tragödie und ein Jahr später denselben Preis für die Komödie. Die Erscheinung des jungen Mädchens war frappirend, aber durchaus nicht einnehmend, ihre Gestalt hoch aufgeschossen, übermäßig schlank. Der feine Hals erschien zu lang, das schmale Gesicht von keinem jugendlichen Reize verklärt. Der Mund fiel durch seine Größe auf, die Augen blickten verwundert ins Leben – sie waren groß und blau und contrastirten mit dem rothblonden Haar, welches die Stirne umrahmte. Der Oberkörper erschien zu lang und verlieh der Bewegung die bekannten Schlangenwindungen. Der Eindruck, welchen man von dem Aeußeren der Debutantin empfing, war ein ungewöhnlicher.
Die errungenen Preise berechtigten Sarah zu einem Debut auf dem Théâtre français. Das Publicum verhielt sich bei der Antrittsrolle, Iphigenia, kalt und ablehnend. »Unfertig«, »unreif«, so lautete das Urtheil. Niemand erkannte das Genie. Die Debutantin wandte sich dem Gymnase-Theater zu. Auch hier errang sie keinen Erfolg als Künstlerin. Ihre Erscheinung erregte jedoch ein gewisses Aufsehen; sie war anders als alle Anderen, fast unheimlich. Paris findet Gefallen am Absonderlichen. Man erzählt sich, daß die gefeierte Mars eine junge Schauspielerin, die vor ihr Probe spielte, mit den Worten: »Bitte, liebes Kind, wie viele Liebhaber haben Sie schon gehabt?« unterbrach. »Gar keinen,« erwiderte die Gefragte, stolz auf ihre Tugend. »Dann wollen wir die Probe verschieben bis nach dem ersten Liebhaber,« erklärte die Mars. Ob Sarah an den Ausspruch der Künstlerin dachte, ob die Macht der Liebe sie überwältigte, Thatsache ist, daß Mademoiselle Bernhardt sich von der Bühne für geraume Zeit zurückzog und ein Privatissimum jugendlicher Mütterrollen durchführte. Die Tragödie ruhte. Die ehrgeizige Künstlerin träumte von Triumphen auf anderen Gebieten, Sie griff zum Meißel und zum Pinsel, sie wollte malen und Sculpturen schaffen. 1866 war sie des Privatlebens müde und tauchte neuerdings, diesmal im Téâtre St. Martin auf. Sie spielte daselbst nur kurze Zeit. Der berühmte und einflußreiche Schriftsteller und Akademiker Camille Doucet verlangte, für Sarah ein Engagement im Odéon. Hier bot sich der Künstlerin zum ersten Male ein größerer Wirkungskreis. Sie spielte nacheinander die Gestalten Molière's, Coppé's, Shakespeare's und errang als Königin von Spanien im »Ruy-Blas« einen bedeutenden Erfolg. Die französische Bühne war damals noch ein beseeltes Instrument. Das Repertoire wechselte, die Bühne war keine Drehorgel, die hundert Mal nach einander, Abend für Abend, dasselbe Stückchen ertönen ließ. Die Kenner hatten an Sarah Gefallen gefunden; sie unterschrieb einen Vertrag mit dem Théâtre français. Der Anfang schien die Erwartungen des Publicums zu enttäuschen, bald jedoch fesselte Sarah als Aricia, als Phädra die Habitués. Man stand einem neuen Talente gegenüber. Die Künstlerin arbeitete mit unermüdlichem Eifer. Eines Abends gab man ein neues Stück: »Das besiegte Rom« von Parodi. Eine alte erblindete Greisin tritt, auf ihre Dienerin gestützt, vor das Publicum. Was war das? Wie gebannt hing die Menge an der Erscheinung dieser Blinden. Die edle, classische Haltung, das farblose, schmale Antlitz, die erloschenen Augen: so muß die alte Römerin ausgesehen haben. Ein Ruf der Bewunderung pflanzte sich fort durch das Haus. Der Genius Sarah Bernhardt's hatte seine Schwingen entfaltet und den Sieg an sich gerissen. Fortan stieg der Ruhm der Tragödin. Die bedeutendsten Rollen der französischen Dramen fanden in ihr eine begeisterte Interpretin. Eine junge Tragödin, das brachte Abwechslung, Leben. Sarah's Stimme war von bestechendem Wohllaut, sie kam in den Versen des Dramas ebenso zur Geltung, wie im Gespräche des Schauspieles.
Das wechselnde Repertoire des Théâtre français ermöglichte es Sarah, ihr Können zu zeigen. Sie spielte die Zaire, die Phädra, Susanne in »Figaro's Hochzeit«, Donna Sol, die Tochter Rolands u.s.w. Die Sphynx war eine ihrer Glanzrollen, als Cameliendame berauschte sie die ganze und die halbe Welt. Ein modernes Geschöpf durch und durch, leistete sie besonders im modernen Drama Vortreffliches. Eine musterhafte Ehebrecherin, eine entzückende, gefallene Frau, eine unwiderstehliche Courtisane! Ihr lacertenartiger Körper konnte sich schmiegen und biegen, aus ihrem Antlitz sprühten Flammen, sie vermochte hinzureißen, so lange sie modern blieb oder antiken Gestalten das moderne Kleid anzog. Doch fehlte ihr die harmonische Ruhe in der höchsten Bewegung. Ihre Cleopatra erwachte in dem Himmelbett einer galanten Pariserin. Sie besaß alle Reize einer solchen, aber auch nicht eine jener Eigenschaften, die zu dem Bilde der stolzen ägyptischen Königin gehören. Sie war eine Lorelei, eine Sirene der Kunst, aber keine Muse. Sie folgte weder den Spuren der Rachel, noch denen der Mars, sie spielte sich selbst. Dennoch war man berechtigt auf die höchsten Leistungen zu hoffen. Da legte ein mächtiger Feind die Axt an ihr Künstlerthum.
Ihre maßlose Eitelkeit berauschte sie. Ganz Paris sprach von ihren Absonderlichkeiten. Sie ging in Männerkleidung spazieren, ritt die tollsten Pferde, ließ einen Sarg in ihrem Salon aufstellen und sich in demselben photographiren; sie durchjubelte die Nächte, schlief Tage lang und verschloß dann Abends ihre Thüre, um Buße zu thun. In ihrem Atelier empfing sie nur in Männerkleidung, in der weißen Arbeiterblouse, Besuche. Die Hände waren voll Thon, die Cigarre steckte im Munde. So malte und meißelte die ruhelose Frau, bis irgend ein Freund ihr den Pinsel, ein Anderer den Meißel aus der Hand nahm und die Schöpfungen der genialen Sarah vollendete. Eines Tages machte sie eine Fahrt im ballon captif. Aus den Wolken zurückgekehrt, bemächtigte sie sich der Feder und schrieb für irgend ein Pariser Blatt die Empfindungen des Sessels, der das Glück gehabt, Sarah Bernhardt in die Wolken zu tragen. Der Pariser Witz belachte zuerst die excentrischen Launen der Dame, dann bekrittelte er und schließlich verspottete er sie. Längst schon schien ihr die Idee lockend, nach Amerika zu gehen, und da das Publicum des Théâtre français sich immer kühler und ablehnender verhielt, brach die verwöhnte Dame den Contract. Sie warb eine Truppe und schiffte sich nach Amerika ein.
Die Yankees jubelten ihr zwar zu, aber allerlei Mühseligkeiten zerstörten den financiellen Erfolg des Unternehmens. Mit einem Plus an Enttäuschungen und Schulden kehrte die Künstlerin nach Europa zurück. Das bitterböse Buch, welches ihre ehemalige Freundin Marie Colombier über sie und ihr Treiben in Amerika veröffentlichte, ward gierig verschlungen. Das Théâtre français verlangte ein großes Pönale. Sarah schmollte mit Paris und den Parisern und so begann sie ihren Flug durch Europa. Das Publicum war ihr fast überall zu kalt. Plötzlich entdeckte sie zum so und so vielten Male ihr Herz und steckte sich den Ehering Herrn Damala's an den Finger, vorsichtig genug, auf eine in Frankreich ungiltige Art; sie ließ sich rasch wieder scheiden und verleugnete die Komödiantin in keinem Zuge. Nach Paris zurückgekehrt, erfand sie einen Onkel, um bei diesem ihr angebliches Vermögen verlieren zu können. Sie machte ihren achtzehnjährigen Sohn zum Theater-Director und erhob ihren Gatten zum Theater-Grafen, indem sie ihm für 30 000 Francs Schulden köstliche Pelze umhängte. Sie verhieß der Presse ein modernes Theater, einen Tempel des Schönen, und vergaß in ihrem Programm an nichts, als an die Mittel zur Durchführung desselben. Was kümmerten letztere die Fürstin Fedora? Allabendlich spielte sich Sarah mit solcher Virtuosität in die Rolle, daß sie schließlich an ihr Fürstenthum und die Millionen zu glauben begann, ein Glaube, dem allerdings der nothgedrungene Verkauf ihrer Juwelen einen empfindlichen Stoß versetzt hat. Der sinnlose Toiletten-Luxus Sarah's ist bekannt. Die Künstlerin, welche als schmucklose blinde Matrone das Publicum hinriß, studirt jetzt die Wirkungen der Toilette nicht weniger als diejenigen ihrer Rolle. Man nannte Sarah häßlich. Die Eitelkeit der Frau krümmte sich, sie wollte nunmehr auch durch ihre Erscheinung alle Anderen überstrahlen und so hat sie eine Sünde mehr begangen, indem sie jedes Stück, in welchem sie auftrat, zur Apotheose der Schneiderkunst wandelte.
Sarah ist stets ruhelos. Zuweilen zerschneidet sie Toiletten, nur um sich zu beschäftigen. Die Wohnung der Künstlerin entspricht ihrem zerfahrenen Wesen. Sie schläft zwar nicht im Sarge, wie man dies lange behauptet hat, aber das bunte Durcheinander ihres Pariser Heims macht jeden einheitlichen Eindruck unmöglich. Das Schlafzimmer wird bald kohlschwarz drapirt, bald himmelblau und rosa ausgeschlagen. Aus den Ateliers wird heute aller Tand hinaus geworfen, morgen wird ein ganzer Trödelmarkt darin aufgestapelt. Diesem phantastischen Wesen entspricht auch das Leben der Tragödin. Zuweilen wird Niemand vorgelassen und dann wieder nach Gesellschaft gefahndet. Alles ist sprunghaft, unbemessen. Trotz der riesigen Summen, welche die Künstlerin erwirbt, lebt sie in der größten financiellen Unordnung. Von allen Seiten drängen Gläubiger. Die Einrichtung der Wohnung und der Lohn der Diener ist unbezahlt; man schuldet dem Fleischer, dem Weinlieferanten, dem Obsthändler, selbst dem Manne, der die Trüffeln bringt. Zuweilen setzt sich die Tragödin mit einem Achselzucken über all das hinweg, zuweilen leidet sie unter der Situation, niemals aber schläft in ihr die Sehnsucht, von sich reden zu machen.
Heute von entzückender Liebenswürdigkeit und Einfachheit, freundlich und entgegenkommend, morgen kalt, abstoßend, unnahbar, gehört Sarah Bernhardt zu den Wesen, auf welche man nie rechnen kann. Der raffinirte Geschmack des Pariser Dandy findet freilich diese Launenhaftigkeit reizvoll, sie ist ihm am Weibe, was dem Feinschmecker der haut-goût am Wildpret ist. Dem schlichten Urtheil fröstelt es im Verkehr mit solchen Naturen. Die Schulbildung Sarah's ist höchst unbedeutend, woraus sich ihre Selbstvergötterung erklärt. Sie kennt ein wenig französische Literatur und Geschichte, von den Poeten des Auslandes Einen oder den Anderen dem Namen nach.
Ihre Konversation ist lebhaft, sie spricht mit Vorliebe von sich. Ihre Sucht nach Genialität stammt theilweise aus der verletzten Eitelkeit der Frau. Sie hatte in ihrer Laufbahn Gelegenheit, die der Schönheit dargebrachten Huldigungen zu bemerken und Caricatur um Caricatur zu sehen, welche man von ihr, der Vielgefeierten, entwarf. Sie beschloß, ein geistiges Wunderwerk zu werden, das Ungewöhnlichste möglich zu machen und alle anderen Frauen in Schatten zu stellen. So griff sie nach dem Champagnerkelche der Selbsttäuschung und fand Leute genug, welche ihn mit ihr leerten. Die schwankende Gesundheit der Tragödin läßt kaum annehmen, daß sie ihrem aufregenden Leben lange Widerstand werde leisten können. Sarah Bernhardt wird auf dem einmal betretenen Wege schwer umkehren. Der Aesthetiker geht gleichgiltig an solchen Erscheinungen vorüber, sie ähneln Meteorsteinen, die aus dem heiteren Himmel der Kunst niederstürzen. In Sarah Bernhardt steckte einst der Stoff zu einer großen Künstlerin; sie hat ihr Pfund vergeudet und so ward sie eine abenteuerliche Virtuosin, deren Namen man im goldenen Buche der Kunstgeschichte dereinst vergebens suchen wird. Die Kunst ist eine strenge Göttin mit dem obersten Gesetze: »Du sollst keine fremden Götter haben neben mir!«