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Der ungeheuere Fremdenzufluß nach Paris ist durch die verschiedensten Ursachen bedingt. Nur zum Theil liegt der Grund in den Sehenswürdigkeiten und Kunstschätzen, in den Theatern und Vergnügungen. Paris bietet dem Fremden, abgesehen von dem berückenden Luxus, abgesehen von dem feenhaften Glanz weit mehr Bequemlichkeit und Annehmlichkeit als jede andere Stadt und ermöglicht auch bei minder garnirten Börsen behaglichen Genuß. Wer den Aufenthalt in Paris mit dem Aufenthalte in anderen Großstädten vergleicht, wird sich für die Lebensweise in Paris aussprechen. Es bedarf allerdings scharfer Augen, genauer Localkenntnisse, eines tüchtigen Führers oder guter Weisungen, um auf den ersten Augenblick das Richtige zu treffen und sich zurechtzufinden. Es erscheint mir jetzt ganz merkwürdig, daß Leute, welche jahrelang in Paris lebten, mir Anfangs keinen Rath geben konnten, meine Fragen nicht zu beantworten vermochten. Ich habe mühsam auf dem fremden Terrain gehen gelernt und freue mich heute, meine Erfahrungen so Manchem zu Nutz und Frommen zu Gebot stellen zu können. Der Fremde, welcher für etwa einen Monat nach Paris geht, thut hier wie überall am besten, wenn er eines der zahlreichen Hotels im Centrum aufsucht. Nach seiner Ankunft unterlasse er nicht, mit dem Hotelier den Preis der Wohnung, der Beleuchtung und Bedienung zu vereinbaren. Der Wiener speciell möge durchaus nicht glauben, daß dies unschicklich sei. Der Pariser Hotelier, stets auf der Hut vor dem Abenteurer, stets befürchtend, einer Prellerei zum Opfer zu fallen, bringt demjenigen, welcher nicht sofort die Aufenthaltsbedingungen regelt, weit eher Argwohn als Werthschätzung entgegen. Man halte sich, so wie man Paris betritt, überhaupt vor Augen, daß der Pariser nach allen Richtungen hin eminent praktisch denkt und handelt. In Paris wird in der Regel nur derjenige geprellt, welcher für nicht praktisch gilt. Ohne sich daran zu binden, wird jeder wohlthun, an der Table d'hôte des von ihm bewohnten Hauses teilzunehmen. Das erste Frühstück, kostet daselbst dreimal so viel als im Kaffeehaus, das Dejeuner wird am besten unterwegs, in der Nähe einer eben besichtigten Sehenswürdigkeit oder in einem guten Restaurant der Boulevards verzehrt. Wer rechnen will, esse zu fixen Preisen, verlange aber dafür nicht viele, sondern wenige gute Schüsseln. Ich warne Jeden, sich von den in den Fenstern einzelner Restaurants aufgehängten, scheinbar fabelhaft billigen Preiskarten bestechen zu lassen. Wie schlecht man gegessen hat, pflegt erst der verdorbene Magen zu lehren. Als Norm für Reisende mit einfachen Bedürfnissen gilt das Dejeuner von 3 bis 4 Francs ohne Wein. Wer luxuriös speisen will, bedarf keiner Anleitung. Er betrete das Café Riche, das Café Anglais, Tortoni und – dem Manne kann geholfen werden. Ich darf seiner Börse eine ausgiebige Bantingeur prophezeien. Um sich bei kurzem Aufenthalt an Paris zu erfreuen, rechne man auf Pferdebahn und Omnibus nur dann, wenn es gilt, von einem bestimmten Standplatz in ein ganz entferntes Quartier zu fahren. Im Allgemeinen ist der Fremde durch den Omnibus und die Pferdebahn vielen Irrungen und, da er sich schwer zurechtfindet, großem Zeitverlust ausgesetzt. Ein Pauschale für den Wagen darf nicht zu nieder gegriffen werden. Den römischen Kutschern zunächst an Anstand und Bescheidenheit stehen die Pariser; eine Taxüberschreitung gehört zu den Seltenheiten. Dagegen geschieht es häufig, daß die Kutscher eines Quartiers sich in einem anderen entfernteren Quartier nicht zurechtfinden. Kutscher, welche ganz Paris kennen, sind schwer anzutreffen, recrutirt sich doch das Heer derselben bei der Menge des Bedarfes zum großen Theil aus Arbeitsuchenden, die aus der Provinz nach Paris wandern. Eine einzige Gesellschaft von Fahrgelegenheiten, die »Sociétée Urbaine« zählt etwa zehntausend Nummern. Der Fremde, der, wie erwähnt, einen Monat in Paris bleibt, im Hotel gut untergebracht ist, Bädecker oder Gsell-Fels als Katechismus betrachtet, wird nicht allzu viele Fehler begehen; er bedarf nicht vieler Ratschläge, sein Motto lautet: »in kürzester Zeit möglichst viel sehen«. Anders verhält es sich, wenn ein längerer Aufenthalt in Paris geplant wird. Wie während eines solchen das Leben einzurichten sei, bestimmt die Börse. Bleibt man längere Zeit, so scheint es vortheilhaft, eine möblirte Wohnung zu nehmen, oder eine der vielen Pensionen, vielleicht auch den Aufenthalt im Hotel Meublé zu wählen. Ein Weg in eine der großen Wohnungsagentien, eine Unterredung, in welcher man das Gewünschte bezeichnet, führt in der Regel rasch zum Ziele. Der Miether bezahlt für die Empfehlung der Wohnung keinerlei Gebühr an die Agentie. Wohnung suchenden Damen oder Familien widerrathe ich entschieden, ohne Intervention eines verläßlichen Agenten zu miethen und die gelben, möblirte Appartements bezeichnenden Anschlagszettel als Wegweiser zu benützen; es gehört viel Localkenntniß, ein sehr scharfer Blick dazu, nicht etwa in eine Wohnung zu gerathen, welche von Demimonde oder Abenteurern besetzt war, oder auch von derlei Leuten vermiethet wird. Trotz aller Vorsicht bleibt Mancher an der geschickt aufgestellten Leimruthe hängen. Diese Leimruthen sind so zahlreich, daß man sie von vorhinein ins Auge fassen muß, um ihnen auszuweichen. Es ist nothwendig, dem Agenten als unumstößliche Bedingung zu sagen, daß man in einem Hause wohnen wolle, welches »parfaitement honnête et honorable« durchwegs anständig und ehrenhaft bewohnt sei. Der Suchende nenne das Kind ruhig beim Namen und fordere eine Wohnung, in der »keine Demimonde etablirt war«. Diese Vorsicht ist im Quartier de l'Europe, in der Rue Mathurin, im ganzen Quartier Montmartre, im ganzen Quartier Latin, aber auch auf den elegantesten Boulevards, kurzum in tout Paris zu berücksichtigen. Je mehr möblirte Wohnungen sich in einem Quartier befinden, desto größer ist die Gefahr. Von gutem Erfolge begleitet ist zuweilen eine Annonce im »Figaro« oder im »Petit-Journal«. Referenzen sind zu fordern und zu bieten. Die möblirten Appartements sind in der Regel völlig eingerichtet, mit Wäsche, Kücheneinrichtung und »Vaiselle«, das heißt, ganzem Speisegeschirr versehen. Man unterlasse nicht, bevor man nach dem Preise der Wohnung fragt, dies als selbstverständlich vorauszusetzen und zu betonen, sonst schnellt der schlaue Vermiether die Wohnung sofort für jedes Object separat in die Höhe. Sollte ein Appartement mit Einem oder dem Andern nicht versehen sein, so braucht das Niemand vom Miethen abzuhalten. Es gibt in Paris Geschäfte, in welchen gegen mäßige Leihgebühr Alles verliehen wird. Das Geschäft liefert beispielweise allwöchentlich eine bestimmte Stückzahl reiner Wäsche und holt die gebrauchte ab. Selbstverständlich findet man Appartements in jeder Größe, zu allen Preisen, ebensowohl fürstlich elegant als bürgerlich einfach ausgestattet. Appartements, welche monatlich fünf- bis zehntausend Francs und solche, die einige hundert Francs kosten. Das Gerippe eines jeden Appartements ist Speisezimmer, Salon, Schlafzimmer, Entrée, Cabinet de Toilette, Küche und Domestikenwohnung (im sechsten Stocke). An die Räume schließen sich dann die übrigen Gemächer; der Preis wird durch die Anzahl der Schlafzimmer bedingt. Als Norm dürfte in guter Lage im zweiten oder dritten Stockwerk bei anständiger und nicht luxuriöser Einrichtung für ein Appartement der von uns bezeichneten Größe zweihundertfünfzig bis dreihundert Francs monatlich zu bezahlen sein und ist für jedes Schlafzimmer mehr etwa sechzig bis achtzig Francs zu rechnen. In entlegeneren Quartiers, in höheren Stockwerken stellt sich die Miethe etwas billiger. Die Hausführung ist auch für den Fremden bequem. Die Lebensmittel sind vortrefflich, Fleisch, Fische, Gemüse u.s.w. derart vorbereitet, daß die Herstellung eines Diners nur kurze Zeit erfordert. Wer eigene Menage führen will, scheue nicht die Ausgabe, ein Dienstmädchen aus der Heimat mitzubringen. Wie wir das an anderer Stelle betonen werden, sind brauchbare Dienstleute eine große Seltenheit. Dem eigenen Appartement zunächst kömmt der Aufenthalt in einer »Pension de famille«. Auch hier ist der Agent oder die Annonce der beste Wegweiser. Die »Pension de famille« gleicht dem englischen Boarding house. Die meisten dieser Pensionen wurden von verwitweten Damen, von kinderlosen Ehepaaren, von Lehrern, von höheren Pensionirten Beamten, kurzum, von Leuten, die der guten Gesellschaft angehören, gehalten. Sie sind nicht zu verwechseln mit den Hotels de famille, auf die wir noch zurückkommen wollen. In den Pensions speisen die anwesenden Fremden an einem Tische mit der Familie des Hauses. Diese sorgt in jeder Beziehung für die Bedürfnisse des Gastes. Nach dem Diner verplaudert man zuweilen ein Stündchen im gemeinschaftlichen Salon, musicirt, findet eine Whist- oder Schachpartie etc. Nirgends können einzelne Damen oder Mutter und Tochter leichter der Herrenbegleitung entrathen als in Paris, wo sie im Rahmen der anständigen Familie, am häuslichen Herde Schutz und Schirm finden. Es gibt Familien, die nur zwei bis drei, andere, die zwanzig bis fünfundzwanzig Pensionäre aufnehmen. Die Küche ist meist sehr gut, die Schlafzimmer sind bequem, die Bedienung aufmerksam. In der Regel wird per Monat vermiethet und eine vierzehntägige Kündigung gefordert. Je nach der Lage der Pension, nach der Eleganz der Einrichtung, dem Styl der Hausführung sind die Preise höher oder niederer gestellt. Für zweihundertfünfzig bis vierhundert Francs monatlich kann man den ganzen Aufenthalt im Hause, Wohnung, Verpflegung etc. bestreiten.
Aehnlich wie die geschilderten Pensionen sind die » Hotels de famille« eingerichtet, nur ist hier der Rahmen ein weit größerer und sind die Hausleute Hoteliers oder Pächter. Damen werden daher die Pension vorziehen. Die fixen Preise gelten auch für die » Hotels de famille«. Im Quartier Latin befinden sich einige recht gute Pensionen, die für hundertachtzig Francs monatlich Alles gewähren, selbstverständlich aber sind im englischen Viertel, im Quartier de l'Etoile nächst dem Park Monceaux Häuser, in denen der Aufenthalt mindestens fünf- bis sechshundert Franc monatlich kostet. Sollte Jemand die genannten Modalitäten für seinen Aufenthalt nicht entsprechend finden, so bleibt ihm noch Anderes. Erst seit dem letzten Jahrzehnt haben sich einzelne Familien der guten Gesellschaft entschlossen, ein oder zwei Zimmer zu vermiethen. Man kann auf solche Art Privatwohnung mit oder ohne Verpflegung sich verschaffen, und sich im Familienkreis, am schnellsten und besten in der französischen Sprache vervollkommnen. Solche Wohnungen sind fast nur durch das Inserat, zuweilen durch die Vermittlung Bekannter zu finden. Wo die Bürgschaft für die Ehrenhaftigkeit der Familien nicht zum Voraus gegeben erscheint, fordere man ohne Weiteres Referenzen, frage nach dem Arzt der Familie oder erkundige sich vorsichtig in einem der Magazine des Quartiers. Jede Miethe soll schriftlich abgethan werden. Die zuvorkommende Liebenswürdigkeit des Parisers, seine außerordentlich verbindlichen Manieren mögen Niemanden davon abhalten, klare Bedingungen zu stipuliren.
Der Theaterbesuch ist in Paris mehr als anderswo mit Schwierigkeiten verknüpft. Trotzdem die meisten Stücke ohne Abwechslung einige hundert Male nacheinander gegeben werden, ist der Eintritt, ohne dem Agioteur in die Hände zu fallen, schwer zu erlangen. Zuweilen erhascht man noch ein annehmbares Plätzchen, wenn man Abends an der Casse mit dem ersten besten Eintrittsplatz vorlieb nimmt und sich dann bittend an die Logenmeisterin wendet. Die gute Dame beräth flugs mit ihren Kolleginnen und schafft zuweilen guten Rath. Die häufige Wiederholung der Stücke schließt häufigen Besuch der Theater aus. Wer die Tour in denselben gemacht hat, wird kaum in 8 bis 10 Tagen Gelegenheit finden, ein noch nicht gesehenes Stück anzuhören. Selbst die Oper bietet ihren Abonnenten Monate hindurch dieselben 3 bis 4 Opern. Die Pariser Habitués lassen sich das gefallen, weil die Oper kaum etwas Anderes als ein eleganter Gesellschafts-Cercle ist. In den Logen plaudert die elegante Welt, man sieht und wird gesehen und widmet dabei einer Lieblingsmelodie flüchtige Aufmerksamkeit.
Wer mit Empfehlungskarten an Pariser Familien ausgerüstet, Paris betritt, thut gut daran, sich über die Wirkung dieser Empfehlungen keiner Täuschung hinzugeben.
Der Pariser erschrickt über jeden Fremden, die Athmosphäre, welche durch einen solchen in der Gesellschaft entsteht, ist zumeist sehr unbehaglich. Das Gesagte und das Folgende bezieht sich keineswegs auf jene Kreise, welche Ausnahmsstellungen einnehmen und die gleichsam offenes Haus haben. Im Allgemeinen ist der Pariser höchst zurückhaltend, dazu kömmt noch, daß sich im letzten Jahrzehnt bei Diners und Soupers wahnwitziger Luxus breit macht. Man fürchtet die Notwendigkeit, dem Gast ein Diner geben zu müssen, welches Hunderte von Francs kosten kann, bei dem alle Primeurs der Jahreszeit auf mit Blumenguirlanden umwundenem Tische prangen.
Es kömmt vor, daß man Bekannte zum Diner oder Dejeuner beim Restaurant einladet. Im Hause ist der Pariser fast unnahbar. Dieser Umstand verdient jedoch kaum einen Tadel. Die Medaille hat eben zwei Seiten. Ist es Jemandem gelungen, freundschaftlich betrachtet zu werden, ist Jemand der Familie näher gekommen, dann kann er auch auf Anderes zählen als auf banale Freundlichkeiten, als auf das Couvert auf dem gedeckten Tische. Für den Freund des Hauses tritt die Familie mit aller Kraft, mit Gut und Blut ein, vor dem ihr Gleichgiltigen schließt sie sich möglichst ab.
Wer eine Empfehlungskarte überreicht, wird in der Regel um seine Wünsche befragt. Daß man ein Haus aufsucht, ohne Zweck und Nebengedanken, um eine flüchtige Bekanntschaft zu schließen, scheint dem Pariser höchst unwahrscheinlich, sonderbar, fast belächelnswerth. Gewöhnlich führt die Abgabe solcher Karten nichts als einen Gegenbesuch herbei. Dieser Gegenbesuch wird am einfachsten dadurch abgethan, daß man im Wagen vorfährt, seine Karte beim Concierge abgibt und sich einer Pflicht entledigt hat. So schwer der Zutritt in das französische Haus gemacht wird, so leicht erhält man eine Einladung zu einem großen Feste der vornehmen Welt, zum Besuche der großen Empfangsabende hervorragender Persönlichkeiten. Ein Brief, begleitet von der Empfehlung einer distinguirten französischen Person oder einer Berufung auf die Gesandtschaft des eigenen Vaterlandes genügen, das Angestrebte zu erreichen. In jedem Falle ist es gerathen, bei der Gesandtschaft seine Karte abzugeben, sie eventuell mit einer speciellen Empfehlung an den Gesandten zu versehen.
Es sei mir noch gestattet zu erwähnen, daß die Besuchstunden von drei bis fünf währen, daß Herren weder Winterrock noch Pelz im Vorzimmer ablegen, sondern mit diesem den Salon betreten. Nur der Geladene oder intim Befreundete läßt die Ueberkleider im Entrée.
In Folge einer erhaltenen und angenommenen Einladung wird kein persönlicher Reconnaissancebesuch abgestattet. Man gibt dem Concierge die Visite-Karte, das genügt. Geselligkeit kostet Zeit, ein Artikel, über welchen der Pariser nicht disponirt. Es ist gegen die Sitte, falls man wann immer einen Besuch macht, durch den Diener seine Karte überreichen zu lassen, die Karte gilt als Ersatz des Besuches, nicht als Meldung. Man sagt seinen Namen und muß sich hineinfinden, daß der Diener denselben verstümmelt ankündigt. Bei großen Routs und Empfangsabenden wird dem Diener die Einladungskarte als Legitimation vorgewiesen; dieser ruft den Namen in den Salon. Vorgestellt wird Niemand.
Die nach Paris reisenden Damen erlaube ich mir auf einen Umstand aufmerksam, zu machen. Die Toilette der Pariser Damenwelt zeichnet sich durch große Einfachheit und Distinction aus. Die guten Gesellschaftskreise gehen allem nur irgend wie Excentrischen, allem Auffallenden aus dem Wege. Die auf der Straße ins Auge springenden Erscheinungen sind entweder Demimonde oder Fremde. Die Fremden werden ihrer Kleidung halber nicht wenig belächelt. Wer da glaubt, daß die Pariser Damen in ihrer Toilette den Figurinnen der Modeblätter gleichen, welche uns so und so viel hirnverbrannte Moden vergegenwärtigen, irrt vollständig. Helle Kleider und auffallende Farben sind selbst zur Sommerszeit auf der Straße verpönt. Während der Wiener Stadtpark mit den geschmückten, eleganten Frauen ein buntes, farbenprächtiges Bild gewährt, zeigt der Pariser Corso die gute Gesellschaft schlicht, dunkel und monoton gekleidet. Um in Paris nicht aufzufallen und für distinguirt zu gelten, ist die größte Einfachheit der Toilette geboten. Man thut am besten, nur schwarze Kleider zu tragen, selbst für den Sommer leichte, schwarze Seide oder doch sehr dunkle Gewebe zu wählen. Damen, die nicht sehr schlank sind und nicht in der ersten Jugendblüthe stehen, tragen für die Straße nie kurze anschließende Jacken, sondern immer lange Mäntel oder decente Umhüllungen. Auch im Hochsommer sind Toiletten von Stoffen, welche Arme oder Nacken durchschimmern lassen, völlig unmöglich. Macht man in Paris Einkäufe, so halte man sich vor Augen, daß der Pariser dem Fremden stets die Waaren vorlegt, welche er sonst nicht los wird. So Mancher kauft im Winter die Dinge zusammen, welche im Vorjahr für die Seebäder bestimmt waren und keinen Anklang fanden. In der Regel genügt es, daß man den Verkäufer ersucht, mit » Rossignols pour l'etranger« zu verschonen. Die ersten Pariser Modisten lächelten spöttisch, wenn ich von Wien sprach, und meinten, für die Wiener Damen müsse man so arbeiten wie viele Pariser Schauspielerinnen, und die Patti so wie Sarah Bernhardt hätten nur darum Toiletten in Wien bestellt, weil Paris nichts, was excentrisch genug sei, liefern könne. Der Ehrgeiz der französischen Modiste wird angeregt, wenn man sie ersucht, die Toilette wie für eine Dame der Pariser guten Gesellschaft zu arbeiten. Freilich zeichnet sich die Pariserin durch individuellen Geschmack aus, sie weiß was sie will, und was ihr steht; sie bezeichnet präcise Schnitt und Farbe der Toilette und versteht es vortrefflich, für ihre Erscheinung den richtigen Rahmen zu finden.
Die kleinen Theater werden stets in Hut und Mantel besucht, im »Gymnase« dispensirt man sich von Letzterem, behält jedoch den Hut bei. Das ist sogar im »Théatre français« gestattet, wo dunkle, hohe Soirée-Kleider Regel sind. Glänzende Toilette in hellen Farben wird nur für die Oper gemacht; da ist allerdings jeder Schmuck am Platz. Man sieht leuchtende Nacken, weiße Arme, funkelnde Juwelen, wallende Federn, man fühlt den berauschenden Duft der Blumen und der schönen Frauen, welche, mit kostbaren Fächern spielend, in den Logen sitzen, bald heiter plaudern, bald aus den seidenen »Saque« der Bonbonnière eine Süßigkeit naschen, zuweilen selbst der Musik etwas Aufmerksamkeit schenken.
Die großen Bazars, welche den Kleinhandel getödtet haben, gewähren dem Fremden nur Vortheile. In den andern Geschäften wird ihm in der Regel Alles theuerer berechnet. Im Bazar gilt der feste Preis. Man kann die meisten Einkäufe daselbst besorgen, doch ist bei fertigen Toiletten Vorsicht zu empfehlen. Im Bazar kauft man billige Costume oder auch Röcke aus Seidenstoffen. Elegante Kleider kaufe man nie fertig, und völlig unpraktisch ist es, in einem der Bazare eine Toilette zu bestellen. Die Leute sind nicht für das Individuum eingerichtet, solch aparte Bestellungen fallen selten gut aus und kosten dort meist mehr als in einem Modesalon. In den Modesalons behandle man vorher genau den Preis, man wird in der Regel zufrieden gestellt. Ohne vorherige Preisbestimmung ist die Zumuthung großer Ueberzahlungen keine Seltenheit.
Kleiderstoffe, Lingerie, Spitzen, Bänder, Handschuhe und tausend hier nicht genannte Dinge sind in Paris besser und billiger als bei uns. Dagegen wird Jedermann gut daran thun, Schuhe aus Wien mitzunehmen. Die Pariser Schuhe sind viel theuerer und herzlich schlecht.
Es ist nicht Usus in Häusern, in welchen man geladen war, dem Diener ein Douceur zu geben. Wer ein Haus öfters besucht, macht man vor der Abreise dem Diener ein Geschenk. Herren gehen niemals fehl, wenn sie nach einer Einladung zum Diner der Dame des Hauses ein Bouquet übersenden. Nicht der große Strauß wird beifällig aufgenommen, nur die seltenen Blumen finden Anwerth. Ein Zweig Flieder zur Winterszeit, oder sonst eine Primeur gilt als Maßstab für geselligen Tact und Elegance. Der Pariser ist nicht blos luxuriös, sondern raffinirt und dieses Raffinement tritt in manchen Kleinigkeiten besonders scharf zu Tage.
Falls die Reise nach Paris in Gesellschaft von Kindern angetreten wurde, die man nicht daheim lassen konnte, und in der Fremde doch nicht dem ungeordneten Leben aussetzen will, so ist es empfehlenswerth, die Kinder für die Dauer des Pariser Aufenthalts einem Institute, einem der vielen Erziehungshäuser anzuvertrauen. Man findet für Mädchen und Knaben Häuser, in denen sie trefflich aufgehoben, gut versorgt sind; überall lernen sie durch den Umgang mit französischen Kindern fabelhaft schnell die Landessprache. Paris ist klug genug, dem Fremden Alles zu erleichtern; dieser kann jede Abmachung treffen, braucht sich weder um das Schuljahr, noch um fixe Quartale zu kümmern. Im Fluge sei mir die Bemerkung gestattet, daß die Mädchenpensionen in Paris weit besser als ihr Ruf sind. Die Mädchen legen am Schlusse der Schulzeit, wenn sie ehrgeizig sind, im Hotel de Ville die Lehrerin-Prüfung ab und brauchen dazu immerhin eine Summe von Kenntnissen. Ich will zwischen der französischen Pensionserziehung und den deutschen Pensionen keinen Vergleich ziehen, schon um nicht in ein Wespennest zu stechen, es sei nur erwähnt, daß die Erziehung der Mädchen in den Pariser Pensionaten die praktischen Ziele nie aus den Augen läßt. Die Mädchen erhalten mehr praktische als literarische Richtung und taugen zum Hauptbuch wie an die Cassa eines jeden großen Geschäftes. Der Franzose behält für jede Frau die Erwerbsfähigkeit im Auge. Ob die Salondame etwas mehr oder weniger wisse, gilt ihm gleich, wenn nur die Geschäftsfrau ihren Pflichten nachzukommen versteht. Einzelne Pensionen sind in ihrer Anlage geradezu prachtvoll, wie zum Beispiel die der Madame Rey in Auteuil. Das ganze Gebäude ist eigens zu seinem Zwecke erbaut. Die Kinder haben prächtige gemeinsame und separirte Schlafräume, schöne Classenzimmer, Recreationssäle, Garten und Spielplätze, Madame Rey, ewig heiter, trotz ihres vorgerückten Alters frisch und rüstig, wird von allen Zöglingen, von Groß und Klein gedutzt und Mama Lisbeth genannt. Schon die dritte Generation genießt in diesem Hause ihre Ausbildung. Die jungen Mütter bringen mit glücklichen Erinnerungen Mama Lisbeth ihre Kinder zur Erziehung.
Mit dem Worte Paris verbindet sich die Vorstellung von Vergnügen und Unterhaltung. Wer länger in Paris weilt, wird daher verstimmt sein, wenn er an so manchem Abend vergebens nach den Mitteln suchen muß, sich zu amusiren. Wer nicht sehr viele Beziehungen zu großer Gesellschaft hat und sein Vergnügen daran findet, von zehn Uhr Abends bis Mitternacht an Routs theilzunehmen, rechne auf viele stille Abende. Das Kaffeehaus bietet keine Ressource, weil daselbst wenig oder gar keine Zeitungen aufliegen und es nicht gebräuchlich ist, lange Zeit da zuzubringen. Anfangs freilich interessirt sich jeder für das Leben und Treiben auf den Boulevards, setzt sich, wenn es das Wetter gestattet, vor das Café ins Freie und betrachtet die auf- und abwogende Menge. Sobald der Reiz dieses Bildes sich abgestumpft hat, späht man vergebens nach Abwechslung. Die neugierige Damenwelt drängt es selbstverständlich, unter männlichem Schutz die bekannten Vergnügungslocale der niederen und höheren Demi-Monde zu besuchen. Wer sie einmal gesehen hat, trägt das zweite Mal gewiß kein Verlangen darnach. Nicht etwa aus sittlicher Entrüstung, sondern einfach weil die Sache langweilt. Frische, tolle Heiterkeit ist nirgends zu finden. Falscher Luxus in den eleganten Localen und echte Gemeinheit in den niedern geben den Ton an. Neun Zehntel der männlichen Besucher sind Fremde. Die Grisette ist todt. Im Reich der Dirne wuchern Giftpilze. Ob sie Brillanten in den Ohren trägt oder ein vom Trödler entlehntes seidenes Fähnchen flattern läßt, sie bleibt dieselbe gleich gemein, gleich wenig interessant. Unbegreiflich und unverzeihlich scheint es mir, daß junge Ehepaare, welche eine Hochzeitsreise nach Paris antreten, gewissenhaft alle Locale der Sünde und Schande abwandern. Wie hat man bisher die junge Frau behütet, wie selbst das Natürlichste mit tausend Schleiern verhüllt, damit es nicht verletze, und nun in einer Lebensepoche, die dem Cultus der reinsten Ideale geweiht sein soll, zeigt ihr das Leben seine gemeinsten und rohesten Seiten. Die Frau, welche nicht sociale Studien macht und ernste Zwecke verfolgt, die junge Frau insbesondere hat weder im »Skating«, noch bei »Buillier«, weder in den »Folies Bergères«, noch im »Elysée Montmartre« oder im »Tivoli«, etwas zu schaffen. Ihre Neugierde nach »diesen Damen« befriedigt jeder Spaziergang über die Boulevards, jede Fahrt ins »Bois«. Junge Ehepaare, die das hohe Lied der Liebe singen, sollen das Unkenlied der Verwesung, das Rabengekrächze gemeiner Sinnlichkeit nicht in ihren Tempel dringen lassen. Junge Frauen seid nicht neugierig, junge Ehemänner seid standhaft, sagt euern holden Gattinnen, daß der Jüngling von Sais zu Boden stürzte, als er den Schleier lüften wollte. Laßt die holden Weibchen nur immerhin vergebens nach dem Anblick der Surrogate von Mabille begehren, wahrt die Illusionen, zeigt ihnen nicht Dinge, die ihnen die Röthe der Scham in die Wangen jagen müssen.
Da ich keinen »Führer von Paris« schreibe, kann ich über Sehenswürdigkeiten, interessante Gebäude, hier kein Wort verlieren. Der Fremde thut ohnehin in der Regel des Guten zuviel – indem er gewissenhaft das Paternoster der Reisehandbücher betet – er sieht den Wald vor Bäumen nicht – er kennt jede Kirche und jedes Bild – jede Denksäule, jedes Monument und geht oft ohne Aufmerksamkeit an dem vollen reichen Leben des Tages vorüber. – Wer eine Weltstadt wie Paris besucht, studire nicht zu ausschließlich die Museen und Gallerien; die Denkmale der Vergangenheit. Er beobachte das Volk, wenn es lacht und weint, er studire die Eigenthümlichkeiten der Menschen, er treibe in luftiger Fahrt auf den Stromwellen des Tages und jeder Tag wird ihm Neues lehren.