Clara Schreiber
Eine Wienerin in Paris
Clara Schreiber

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Vorrede

An Frau Clara Schreiber
in
Aussee.

Es ist eine alte Erfahrung, daß Vorreden entweder gar nicht oder nur von denjenigen Kritikern gelesen werden, welche sich die Lecture des ganzen Buches ersparen wollen. Der vorliegende Band schafft einmal eine Ausnahmssituation. Ihr Buch erscheint mit einer Vorrede, und diese darf sicher sein, wenigstens von einer Person gelesen zu werden: von Ihnen. Sie haben den guten Einfall gehabt, sich die Ouvertüre bei einem Andern – bei mir – zu bestellen, und nun bin ich Ihrer Person als Publicum sicher, denn Sie werden doch neugierig sein, zu erfahren, ob ich Ihnen nicht im Vorhinein etwas Uebles nachsage – was übrigens ganz originell wäre ... Ich nenne Ihren Einfall einen guten, so lange ich voraussetze, Sie hätten wirklich nicht mehr gewollt, als sich selbst das Niederschreiben einer Einleitung zu ersparen. War Ihre Absicht eine andere, sind Sie etwa von der Idee ausgegangen, daß Sie einer Einführung bedürfen und daß ich der Mann sei, dieselbe zu besorgen, dann freilich erlauben Sie mir, Ihnen mein aufrichtiges Beileid auszudrücken. Denken Sie sich, welchen Eindruck es auf eine Familie hervorbringt, wenn Jemand, den sie kaum kennt, ihr einen seiner Freunde vorstellt ... Sie wollen es trotzdem? Ich wasche meine Hände in Unschuld, ich gebe nach, weil ich Frauen gegenüber noch niemals Recht behalten habe und kaum hoffen darf, jetzt, so nahe dem Schwabenalter, eine bessere Erfahrung zu machen. Also ich bitte um Ihren Arm, gnädige Frau; erlauben Sie, daß ich Sie bekannt mache: Frau Clara Schreiber – der Leser – seine Gattin, die Frau Leserin ... Sind Sie nun zufrieden? Oder wünschen Sie, daß ich ein Wort über den Stoff hinzufüge, den Sie sich gewählt? Ein Wort über Paris? Das sieht sehr leicht aus, aber bedenken Sie, daß Lutetia wie ein längst verblichener Traum hinter mir liegt und daß ich diese Zeilen in Wien in der Währingerstraße Nr. 50 schreibe, und daß ich, die Feder in der Hand, trotz alles Bestrebens mehr an das schöne, tugendreiche Aussee denke als an mein schönes, sündhaftes Paris – an Ihr Aussee, die Perle des Salzkammergutes. Sie können leichten Herzens ein Buch über Paris schreiben, denn nachdem Sie es gründlichst kennen gelernt haben, widmen Sie sich nun den Freuden der Erinnerung in Ihrem wunderbaren »Alpenheim«, und Sie gedenken der Place de la Concorde, der Champs-Elysées und des Bois de Boulogne, indessen Ihre Blicke den Röthelstein streifen und den Sarstein und den Loser und die Trisselwand und die Kuppen des Dachsteins ... Denken Sie noch daran, wie wir auf dem Rückwege von dem düsteren, weltfernen Toplitzsee in dem freundlichen »Gössl« über Paris plauderten, und wie die bildhübsche Schwester der Wirthin, eine leibhaftige Alpenrose, uns einen köstlichen Kaffee einschänkte, wie Tortoni ihn niemals gebraut hat? Ich muß gestehen, daß ich damals den Eindruck empfing, wir seien zwei raffinirte Lebenskünstler, ein Eindruck, der sich mir aber für mein Theil keineswegs jetzt erneuern will, da ich an dem heimischen Schreibtische sitze und die weißen, von der Sonne bestrahlten Blätter vor mir liegen habe.

Wenn ich durchaus etwas Sachliches äußern soll, so beschränke ich mich darauf, zu sagen, daß Ihr Buch den meisten Leuten eine Enttäuschung bereiten wird. Na, seien Sie nur nicht gleich böse; ich meine eine angenehme Enttäuschung. Unter zehn Menschen, welche diesen Band der »Bibliothek für Ost und West« zur Hand bekommen, werden zehn den Ausruf thun: »Schon wieder ein Buch über Paris!«, und sie werden die bedeutenden Schriftsteller aufzählen, die über Paris geschrieben haben, chronologisch als Letzten unseren gemeinsamen Freund Max Nordau, den Sie ebenso verehren wie ich. Aber wie Unrecht haben Diejenigen, welche so vorschnell urtheilen! Ihr Buch – erröthen Sie nicht! – hat nur eine Frau schreiben können, und zwar nur eine Frau, die nicht eine Ader vom Blaustrumpf hat, eine Frau, die mit gesunder Vernunft das Leben und die Menschen betrachtet, sich durch Phrasen nicht blenden läßt, den Dingen auf den Kern geht und doch mit ihren Mitschwestern so viel angeborene Fühlung behalten hat, daß sie nur von Dingen erzählt, welche diese interessiren. Es ist ein Buch von einer Frau und für Frauen. Sie haben mit scharfem, klarem Auge in das Pariser Leben hineingeschaut, und Vieles von Dem, was Sie literarisch herausgreifen, ist von einem praktischen Geiste dictirt; was so vielen Fremden entgeht, das haben Sie sicher erfaßt: den innersten Charakter der französischen Gesellschaft, und namentlich die Französin stellen Sie dar, wie sie wirklich ist: berechnend, arbeitsam, sparsam – rastlos bestrebt, sich aus eigener Kraft de facto die Position zu schaffen, welche der Gesetzgeber ihr de jure versagt. Durch Ihre Schilderungen geht ein frischer Lufthauch, der eine Menge alter Vorurtheile hinwegbläst; wer aus schlechten Büchern die landläufige Idee geschöpft hat, in Paris begegne man nur großen Damen oder Cocotten, wird vor Ihrem Buche etwas verwundert Halt machen. Sie sagen nichts als die Wahrheit, und diese bleibt immer neu, man kann sie nicht oft genug wiederholen ... Die Franzosen betrachten es als das größte Compliment, das sie einem Ausländer machen können, wenn sie ihm sagen, er sei »fast« ein Pariser. In solchem Lobe liegt ein namenloses Selbstbewußtsein und »fast« eine Beleidigung gegen den Ausländer, der sich zum Glücke in der Regel dadurch sehr geschmeichelt fühlt; trotzdem verspüre ich nicht übel Lust, mich jener Phrase zu bedienen. Einzelne Stellen Ihres Buches offenbaren eine Kenntniß von Paris – »Sie sind« ... doch nein, ich will das Compliment nicht zu Ende schreiben, nachdem ich mich eben darüber aufgehalten. Sie sind tief eingedrungen in das Wesen von Paris und dabei eine gute Deutsche geblieben, denn Ihre Urtheile erweisen sich als unparteiisch. Sie richten – für eine Frau eine Seltenheit! – ohne Liebe und ohne Haß. Auf vielen Gebieten haben Sie sich umgethan. Ich begreife – um ein Beispiel zu geben – absolut nicht, wann Sie all' die Bücher durchgelesen haben, von denen Sie so wohlbewandert zu reden wissen ... Sie bekümmern sich heute um Louis Blanc, morgen um Louise Michel. Sie kennen in der Literatur Alexander Dumas so gut, wie Henry Gréville, Olympia Audouard oder Claude Vignon. In Paris stiegen die Beobachtungen Einem an, aber Jeder sieht nicht dasselbe und sieht nicht in demselben das Gleiche. Mir sind an Ihrem Buche, in dem Sie ja auch so viel Anderes bieten, das Liebste die Capitel, in denen Sie den Schleier lüften von dem täglichen, praktischen Leben in Paris, in denen Sie, die »Wienerin in Paris«, die Frau, die als Novize nach der französischen Hauptstadt kommt, unter den Arm nehmen und ihr sagen: »So steht es mit den Pariser Dienstboten, so mit den Details eines Haushaltes, so mit den Gelegenheiten zum Einkaufen« – in denen Sie Warnungen und Rathschläge geben nach bestem Wissen und Gewissen. Thäte ein Mann das, so würden die Frauen ihm nicht glauben ... Von einer Frau, einer deutschen Frau, kommend, hat auch Ihr Urtheil über die Pariserinnen, mit dem Sie so manchem weiterverbreiteten Ammenmärchen entgegentreten, besonderen Werth. Ich bin nicht blind für die Fehler der Pariser, aber die Splitter in der Letzteren Augen sollen uns nicht blind machen für die Balken in den eigenen. Umarmen möchte ich Sie – als altem Ehemann dürften Sie mir das wohl gestatten! – für Ihre Objectivität in der Betrachtung der französischen Kindererziehung. Es gehört Muth dazu, wenn Sie mit Hinblick auf unsere Verhältnisse es öffentlich aussprechen: »Wie viele Frauen vergeuden ihre Zeit am Putztische, in leeren Kaffeegesellschaften, im Tratsch mit der Base und der Nachbarin, und kümmern sich weit weniger um ihre Kinder als die Pariser Geschäftsfrau, welche deren Erziehung bewährten Händen anvertraut und sie regelt, welche die besten Jahre ihres Lebens daran setzt, um für ihre Kinder ein Vermögen zu erwerben ...« Ueber wenige Städte und deren Bevölkerung sind so viele falsche Urtheile verbreitet wie über Paris. Das hat seine Ursache darin, daß wir Alle schrecklich viel darüber gelesen haben, ehe wir in die Lage kommen, uns auf Grund von Autopsie ein Urtheil zu bilden, ja daß wir zu einem solchen schwer gelangen, weil wir, alte, oft unausrottbare Ueberlieferungen im Sinne, an Ort und Stelle anlangen. In seinen reizenden » Ricordi di Parigi« bemerkt Edmondo de Amicis, daß wir Paris eigentlich nie zum ersten Male, niemals als etwas uns ganz Neues zu sehen bekommen: » Parigi non si vede mai per la prima volta; si rivede ...« Freilich kennen wir Paris, noch ehe wir es gesehen, aus tausend Büchern und Zeitungsartikeln – aber, bei Lichte besehen, glauben wir nur, es zu kennen, und es muß ein Buch wie das Ihrige erscheinen, damit man sich daran erinnere, wie viel unrichtige Meinungen auf Rechnung von Paris durch die Welt gehen. » Si rivede« – ja, in gewissem Sinne hat der Italiener Recht, und doch, welcher Zauber liegt darin, zum ersten Male durch Paris zu wandern! Es ist wie eine erste Liebe, so mächtig und so berauschend, nur etwas theuerer, denn die erste Liebe kostet in der Regel nichts ... Ihr Buch taugt für alle Leute: für diejenigen, die Paris kennen, und für diejenigen, die es nicht kennen. Die Einen werden daraus lernen, die Anderen sich daran erbauen ... Ich wollte, ich könnte es recht bald wiedersehen, das »Babel an der Seine« – aber nicht jetzt, nicht im Sommer ... zur Stunde dünkt Aussee mir ungleich schöner und Ihnen wohl auch. Der Boulevard des Italiens ist entzückend, jedoch etwas später im Jahre – derzeit hat es mehr Reiz, von der Pfeiferalpe aus die herrliche Aussicht über das ganze Ausseer Becken zu genießen oder sich im leichten Boote auf dem Grundlsee zu wiegen oder die geschwätzige Traun entlang zu wandern, die unermüdlich verräth, was sich die Berge erzählen, und mit Schubert zu singen:

»Das kann kein Rauschen sein,
Es singen wohl die Nixen
Dort unten ihren Reihn ...«

Aus der Wiener Arbeitsstube also hinaus und hinauf zum Traunufer einen herzlichen Gruß an die »Wienerin in Paris«!

Wien, Ende Juni 1884.

Ferd. Groß


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