Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Das Journal » La Citoyenne« predigt die Frauenemancipation bis in ihre äußersten Consequenzen. Das Blatt erscheint allwöchentlich oder alle vierzehn Tage, je nachdem Stoff und Mittel dazu vorhanden sind. Die Artikel zeichnen sich, von ihrem Inhalte abgesehen, durch Klarheit und Präcision aus. Die Damen, welche diese Zeitung leiten, nehmen kein Blatt vor den Mund und »Figaro« sammt Consorten ist in stetem Geplänkel mit der »Citoyenne« begriffen. Ich gestehe, daß ich in einer Zeit, in der die Gebildeten häufig Schablone sind, mich von jeder Individualität mächtig angezogen fühle. Als solche stellt sich Hubertine Auclerc mir in ihrem geistigen Wirken dar. In einigen Worten bat ich sie, mir als Kollegin eine Zusammenkunft zu gewähren, und schon am nächsten Tage erhielt ich ein Briefchen, das mir sagte, ich würde jeden Dienstag in der Rue Cail willkommen sein. Neugierig, benützte ich schon den nächsten Dienstag zu einer Fahrt dahin.
Die Rue Cail liegt nächst der Porte St. Denis; sie besteht aus vielen neuen Häusern, kleinen Zinskasernen für mäßig bemittelte Einwohner. Ich erstieg drei Treppen und las endlich auf einem blanken Messingschilde die Worte: Siège du droit de femmes. Auf mein Klingeln öffnete eine weibliche Gestalt und geleitete mich aus einem engen Entrée in den kleinen Salon. Ein luftiges Feuer flackerte im Camin. Das Gemach war äußerst bescheiden möblirt, aber es sah anheimelnd und nett aus. Mein suchender Blick entdeckte kein Ständchen.
Meine Begleiterin hieß mich niedersetzen. Hubertine Auclerc hatte mir selbst geöffnet. Sie war nicht allein. Eine noch junge, hübsche Frau, Romanschriftstellerin, war zu Besuch anwesend. Sie trug das Manuskript ihres letzten Romanes in der Hand, für welchen sie den Verleger suchte. Der Name Hubertine Auclerc wird seit jüngster Zeit nicht weniger genannt, als der ihrer Freundin Louise Michel. In den Bouffes du Nord spielte man allabendlich ein Stück von Hubertine Auclerc: » La femme libre.« Ein Stück, das ich der Verfasserin nie zugemuthet hätte. Hubertine ist nämlich so vernünftig, so gemessen und ruhig, daß ich aus ihrer Feder für die Bühne nichts Gutes – oder zum Mindesten Interessantes erwarten durfte.
Hubertine ist eine schmächtige, kaum mittelgroße Erscheinung. Sie scheint in der Mitte der Dreißiger-Jahre zu stehen. Ihr Haar ist kurz geschnitten und dunkel, das Gesicht blaß, weder schön, noch häßlich. Die dunklen Augen blicken etwas müde, sie sind leicht geröthet, wie die Augen von Menschen, die viel arbeiten. Sie trug ein sehr einfaches Kleid aus schwarzem Wollstoff. Um den Hals schlang sich ein Foulard, die ganze Erscheinung hatte nichts in die Augen Springendes, nichts Emancipirtes.
Ihre Bewegungen sind lebhaft und nicht ohne Anmuth; ihre Hände sind klein, die Füße zierlich. Die Stimme der Volksrednerin klang in dem kleinen Zimmer weich und angenehm; das Organ ist durchaus nicht laut und die Sprechweise eher schüchtern als aufdringlich. Die ganze Gestalt läßt durchaus nicht vermuthen, daß sie den Menschen zu imponiren weiß; sie gleicht einer schüchternen, kleinen Gouvernante oder Unterlehrerin einer Mädchenpräparandie.
Sobald sie in das Gespräch geräth, wird sie lebendig und spricht mit präcisen Ausdrücken, aber selbst im Affect nicht schreiend. Sie machte mir den Eindruck einer klugen Schauspielerin; ihre Ruhe, ihr Ernst scheinen mir berechnet; man sollte sagen: »Die habe ich mir auch anders gedacht; welch' bescheidene Person, kann die wirklich gefährliche Doctrinen predigen?«
Unser Gespräch war bald im Gange – Mademoiselle Auclerc zeigte sich als echte Französin, sie kennt jeden Paragraph des Code, sie weiß Alles, was die französischen Frauen anbelangt, vom Auslande jedoch geradeso viel, daß drüben auch Menschen wohnen. Der Apostel der Frauenrechte stützt keine seiner Behauptungen auf die in anderen Ländern erprobten Thatsachen, kein Vergleich, kein Hinweis kommt ihm zu Hilfe. Diese Unkenntniß berührt sonderbar, sie erschwert den Leuten ihr Streben nicht wenig.
»Sagen Sie mir doch etwas von der Stellung der Frauen in Deutschland. Welche Rechte hat die Frau? Wie steht es mit der Vormundschaft und der Erbberechtigung? Welches sind die Wirkungen der Scheidung der Ehen?« So sprach sie zu mir. Ich war überrascht von dem Interesse, mit dem mir Hubertine, der Redacteur und Leiter eines Journals, zuhörte, als ich ihr längst bekannte Dinge erzählte.
Alles schien ihr neu zu sein.
Gewiß, diese Frau schaut in keine Weltgeschichte. Die Durchschnittsbildung der gebildeten französischen Frau beschränkt sich zumeist auf eine oberflächliche Kenntniß der alten Völker und auf Frankreich. Dazwischen liegt Nichts. Eine hochgebildete Französin hat von den deutschen Verhältnissen keine Ahnung und wenn sie hundertmal ein politisches Blatt redigirt.
Wir haben viel zu erkämpfen, sagte Hubertine, die Lage der Frauen in Frankreich ist unerträglich. »Der Code Napoleon ist im höchsten Grade ungerecht gegen die Frau. Die Frau bleibt ihr Leben lang minderjährig, in ihrem Eigenthum beschränkt. Im Volke bringt diese Abnormität die krassesten Uebelstände hervor. Denken Sie sich eine Frau, welche die ganze Woche hindurch fleißig arbeitet, um für ihre Kinder zu sorgen; der Mann trägt seinen Erwerb ins Wirthshaus. Am Sonntag erhält die Frau den Wochenlohn, der Mann paßt auf diesen Moment, er fordert das Geld, die Frau weigert sich, es kommt zum Streit, der Mann hat das Recht auf seiner Seite, denn die Frau hat kein Eigenthum. Wenn der Mann – und in unserem Arbeiterstande ist dies nur zu häufig der Fall – trinkt und leichtsinnig ist, so kann er den ganzen Hausrath verkaufen, selbst wenn die Frau Stück für Stück mit ihrer Händearbeit erworben hat. Die Frau hingegen darf nicht ihr eigenes Kleid, nicht ihren Schmuck ohne Einwilligung des Mannes versetzen, selbst dann nicht, wenn sie aus dem Erlöse ein Medicament für ihr krankes Kind bezahlen will. Die Frau kann keine Ersparnisse anlegen, ohne ihren Mann als Mitwissenden zu nennen, und wenn Sie bedenken, daß in unseren niederen Ständen der Mann den angeborenen Hang zur Verschwendung, die Frau einen solchen zur Sparsamkeit besitzt, so werden Sie begreifen, daß täglich Frauen an unseren Verein herantreten, die mit Thränen erzählen, daß ihr Gatte ihnen die Ersparnisse abgenommen habe und dieselben durch die Gurgel jage.« Wir redeten von der Scheidung. Hubertine Auclerc ist selbstverständlich eine eifrige Anhängerin derselben und erklärt, daß mit dieser viel Uebel ausgerottet werden könnte. Bis jetzt hatte die Dame, welche mit ihrem Roman-Manuskript in der Hand in die Flamme des Camins schaute, sich ziemlich schweigsam verhalten und nur ab und zu ein Wort geäußert. Als sie die Discussion über die Scheidung vernahm, warf sie ein: Ich halte die Scheidung nur für eine Complication mehr in der Frauenfrage und nicht für eine Lösung. Die Scheidung bringt uns ein Heer verlassener Frauen und Kinder!
Die Dame hielt an der in Frankreichs Frauenkreisen nicht wenig verbreiteten Ansicht fest, daß die Scheidung nur zum Vortheil der Männer diene. »Wir haben schon viel in Frankreich erreicht – sagte Hubertine – die neuen Mädchenschulen sind ein gewaltiger Schritt vorwärts, aber es bleibt noch ungeheuer viel zu erkämpfen«. – »Welches sind Ihre Ziele?« frug ich. – »Die Emancipation, d.i. die Gleichstellung der Frau mit dem Manne.« »Sie erstreben also alle Aemter für die Frauen?« »Alle – die Frauen werden Aerzte, Advocaten, Richter, Beamte in allen Zweigen der Staatsverwaltung und auch im Militärdienst, so weit sich der Dienst auf die Bureaux, auf die Verpflegsverwaltung u.s.w. bezieht.« »Und glauben Sie, Fräulein, mit dieser Gleichstellung die Lösung der socialen Frage zu erleichtern?« – »Gewiß, die Abhängigkeit des Weibes vom Manne ist in unserer Civilisation ein Unding. Ich billige durchaus nicht die freie Liebe, wie sie, besonders von den Russinnen, mit Erfolg in Paris gepredigt wird, aber ich bin für die freie Ehe, und diese ist nur unter Gleichstehenden möglich.« »Was verstehen Sie unter freier Ehe?« »Die vom Staate geschützte Verbindung zweier Menschen, welche so lange dauern soll, als Beide einander in Liebe anhängen.«
»Und glauben Sie wirklich«, frug ich wieder, »daß das Weib in der von Ihnen erstrebten Stellung glücklicher sein wird? Sehen Sie nicht die sociale Gleichstellung des Weibes mit dem Manne als Unmöglichkeit an? Kämpfen Sie nicht gegen ein Naturgesetz? Sehen Sie nicht, daß Sie das Weib von der Bahn der Mutterschaft ablenken? Die Folge Ihrer Ideen wäre die Entvölkerung der Staaten. Weder für den weiblichen Rechtsconsulenten, noch für den Diplomaten des Ministeriums, noch für den Polizeicommissär eignet sich der Platz an der Wiege. Die Frau Ihrer Kreise wird Kinderlosigkeit als höchstes Ideal anerkennen. Sie sehen schon jetzt, wo die Frau nur im Geschäfte des Mannes diesem hilft, den Schreck vor größerer Familie.«
»Ihre Ideen passen gar nicht mehr in unsere Zeit,« erwiderte Hubertine. Ich sah, daß meine Anschauungen die Dame nur mißmuthig machten und brach deshalb ab. Nach einer kurzen Pause redete Hubertine von der Nothwendigkeit, die Frauen zu Lehrerinen an höheren Bildungsanstalten zu machen.
»Vor Allem erstreben wir jedoch das Wahlrecht in seinem vollen Umfange. Die Französin ist eine Sklavin des Code; das muß aufhören. Wir haben allwöchentlich Zusammenkünfte, in denen das Ziel unserer Arbeit besprochen wird.« Ich äußerte den Wunsch, einer solchen beizuwohnen. »Wir werden Ihnen unsere Statuten senden, prüfen Sie diese. Auch wir werden Sie in Ihren Absichten prüfen, ehe wir Sie aufnehmen.« Als ich später in den Statuten des Droit des femmes blätterte, fand ich mehrere Programmpunkte, die mir entschieden mißfielen. Unter anderen den, daß jedes Mitglied sich verpflichtet, für die Durchführung des ganzen Programmes nach Kräften zu streben und nie und nirgends dagegen aufzutreten. Dieser Gewissenszwang veranlaßte mich, meinen Wunsch zurückzunehmen. »Sie sind wenigstens aufrichtig«, bemerkte Hubertine.
Wir redeten noch von schreibenden Frauen. »Es ist ein großer Mißbrauch«, sagte das Fräulein, »daß viele Frauen unter Männernamen schreiben. Die befähigte Frau sollte im Gegentheil der Welt beweisen, was das weibliche Geschlecht leisten könne.« Ich fand die Ansicht richtig, aber unpraktisch. Unser Gespräch berührte die Demimonde. Die Ungenirtheit, mit der Hubertine diese Dinge beurtheilte, konnte mich nicht überraschen, denn in Frankreich spricht man im Allgemeinen viel freier über dieses Thema. Hubertine erklärte mir, eine große Menge von Frauen, welche unter dem Deckmantel der Arbeit ein lasterhaftes Leben führen, müsse nach Caledonien deportirt werden. »Wer sind die Frauen aus den höheren Kreisen der Gesellschaft, die sich für Ihre Bestrebungen interessiren?« frug ich. »Viele«, erwiderte Hubertine, »deren Namen unter uns, die wir ihre Ansichten kennen, guten Klang haben. Leider ist Madame Adam ganz gleichgiltig in der Frauenfrage und da diese Dame sehr großen Einfluß auf viele Männer von Macht und Ansehen besitzt, so ist das um so bedauerlicher.«
Hubertine machte mir den Eindruck einer Schwärmerin, die es ernst mit der Sache meint. Ihre Liebe zum Volke ist wahr und aufrichtig und doch hat dieselbe Masse, welche sich heute an ihrer Rede entflammt, nichts dagegen, daß Hubertinen's und Louise Michel's Karrikaturen auf den Boulevards ausgeboten werden. »Besuchen Sie mich öfters und erzählen Sie mir von Oesterreich,« sagte mir Hubertine. Leider ist sie eine furchtbare Deutschen-Hasserin, die an den albernsten Märchen über die Deutschen Gefallen findet. Ich würde mich nicht wundern, in der »Citoyenne« zu lesen, daß die Deutschen gebratene Kinder speisten. Das persönliche Leben Hubertinen's ist sehr einfach. Sie lebt mit einem alten Verwandten und arbeitet angestrengt. In ihre näheren Geheimnisse wollte ich mich nicht drängen, Honny soit qui mal y pense.
Als ich neuerdings in den mich erwartenden Wagen stieg, sagte mein Kutscher: »Madame hat vielleicht da oben Madame Michel gesprochen – oh, ich kenne unsere Louise.« Vor meinem Wohnhause reichte ich dem Gesprächigen das Fahrgeld und das übliche »pour boire«. – Er blickte mich unbefriedigt an – »Madame Louise ist generös – tiens, elle a un coeur pour nous – mais les étrangers!« (Sie hat ein Herz für uns, aber die Fremden ...!) – Die Unterredung mit Hubertine gab mir zu denken. Der Umstand, daß der Code die Frauen so geringschätzend behandelt, ist nicht zum kleinen Theile die Ursache der Uebermacht der französischen Frauen. Das Recht gesteht ihr nichts zu – sie ist also darauf angewiesen, selbst ihre Stellung zu erringen; sie kämpft mit allen Waffen des Geistes, mit allen Waffen der List und Verschlagenheit, beseelt von eisernem Willen. Vom Gesetz zur Sklavin bestimmt, wird sie in der That zur Herrin. Die Frau sieht in dem Manne denjenigen, den sie beherrschen muß, wenn sie nicht erdrückt werden will, und darum spielt sie ihr Leben lang eine Komödie, die zuweilen anmuthig und pikant, immer aber Komödie ist. Das Familienleben ruht niemals auf jener gesunden Klarheit und Wahrheit, die das englische Volk auszeichnet. Die Franzosen stürzen Dynastien und Regierungen über Nacht, an den Code aber wagt sich keine Axt. Der alte Kaiser lächelt im Grabe, daß kraft seines tyrannischen Willens heute noch Millionen von Menschen der einfachsten Menschenrechte, des Eigenthums und des selbstständigen Erwerbes beraubt sind. Daß die Frauen, denen man das Recht abstreitet, nach der Gewalt greifen, wer wollte es ihnen verargen?