Clara Schreiber
Eine Wienerin in Paris
Clara Schreiber

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Die Mode im historischen Gewande

Die Veränderung in der Frauenkleidung, welche sich seit einigen Jahren vorbereitet, hat Frankreich zum Ausgangspunkt, und das ist aus manchen Gründen bedauerlich. Die deutsche Idee wäre wahrscheinlich tiefer in die Sache eingedrungen – die Wirkung würde vielleicht langsamer erfolgt, aber dauerhaft geworden sein.

Heute vermag man diese Veränderung nur zu signalisiren und zu beleuchten. Ob sie bleibende Erfolge haben wird, kann noch Niemand bestimmen. Die Mode, welche sonst launisch nur nach Neuem suchte, hat in den letzten Jahren einen Sprung in die Vergangenheit gethan. Die ersten Zeichner entwarfen mit einemmale sogenannte historische Costume, die großen Kleiderkünstler führten dieselben aus, die eleganten Damen adoptirten sie und man sah plötzlich auf Festen in der großen Welt unsere Modernen in Gewändern der Vergangenheit, die an Glanz und Reichthum nichts zu wünschen übrig ließen. Man griff zurück bis in entfernte Jahrhunderte.

Maria Stuart, Katharina von Medicis, Margarethe von Valois, Anna von Oesterreich, Luise la Vallière, Madame de Montespan, die Marquise de Pompadour, Marie Antoinette entsteigen den schweren Goldrahmen von Versailles und belauschen die bunte Gesellschaft, die, mit den Attributen einer fremden Zeit geschmückt, den Moschusduft aus den Bauschärmeln und Spitzentüchern scheucht und sich darin gefällt, im heiteren Jugendschein den Ahnfrauen zu gleichen. Das historische Kleid ist bisher in stylgerechter Nachahmung nur im Salon aufgetreten. Auf die Straßen- und Promenadentoilette hat es aber trotzdem nicht unbedeutenden Einfluß gewonnen. Der derzeitige Rock gemahnt an die Zeit der Pompadour, gehört aber der Hauptsache nach der Gegenwart an. Dagegen ist das Ueberkleid oder das Leibchen den Blättern der Geschichte entnommen. Sowohl das weite Gilet Louis' XV. als der frackartige Ansatz Louis' XIV., der Spitzleib Anne d'Autriche's und das mit Paniers versehene Jäckchen Charles' VI,, sowohl die schmalen Schultern als die aufgebauschten Aermel, ja selbst die langen zum Ellbogen reichenden Handschuhe sind eine Bekräftigung des Akiba-Spruchs, dem zufolge Alles schon dagewesen ist. Die Industrie begriff mit großer Findigkeit die Strömung des Tages, und mit einer an Zauberei grenzenden Schnelligkeit entstanden herrliche Damaste und Brokate, prachtvolle ciselirte Sammete, die in den alten, unverwüstlichen Farben die stylvollen, unübertrefflichen Muster der Renaissancezeit auf den Markt brachten. Gleichzeitig wurde zweierlei Spitzentechnik der Vergangenheit wieder aufgenommen. Beide Arten der Spitze sind ebenso schön als kostbar, ebenso edel durchbildet als rein stylisirt. Die Venetianer Spitze, jene herrliche Handnäherei, die einst die Gewänder der Dogaressen schmückte, wurde auf Anregung des Professors Stork in Wien durch die Fachschule des österreichischen Ministeriums den Arbeiterinnen des Riesen- und Erzgebirges gelehrt. Die Erfolge in dieser Spitzenarbeit sind so glückliche, daß man in der Lage war, der Prinzessin der Belgier, der Fürstin des Spitzenlandes, als sie sich mit dem österreichischen Thronerben vermälte, eine Garnitur dieser Spitzenarbeit zu bieten, deren tadellose Ausführung die schönste Blüthe dieses Kunstzweiges verheißt.

Die Privatindustrie nahm sich der Gold- und Perlenspitze wieder an, welche, einst von den Mauren in Vollendung gearbeitet, von den Kreuzfahrern nach Europa gebracht und da von den Schloßfrauen und den fleißigen Bürgerinnen mit Geschick nachgeahmt wurde. Die köstlichen Spitzen aus Goldfäden und kleinen orientalischen Perlen bleiben wohl Jedem in Erinnerung, der aus der Truhe der Urgroßmutter ein Stückchen ererbt hat. Diesen Spitzen zunächst steht die schwere orientalische und spanische Stickerei, welche gerade in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte machte und die nur darauf zu warten schien, zur Ausschmückung der Gewänder herangezogen zu werden, welche von dem Luxusbedürfniß und dem Schönheitssinn der guten alten Zeit reden.

Die Kleidung hat jedem Jahrhundert ihren Stempel aufgedrückt. Wir sehen das am besten, wenn wir Bilder, und zwar Frauenportraits von einst und jetzt, vergleichen. Die Portraits in historischer Tracht bleiben immer anziehend, originell und bedeutend, die von heute sind häufig Werke großer Künstler, und dennoch insipide, leer, charakterlos. Die Tracht der französischen Revolution war die letzte, welche auf bleibenden Werth Anspruch machen durfte. Seither erfand die Mode mit rasender Schnelligkeit ewige Abwechslung, ohne sich um die Linien der Gestalt, um die Gesetze der Schönheit zu kümmern. Gedankenlos, wenn es nur etwas Neues war, nahm man es hin und gedankenlos legte man es wieder ab. Nun, mit einem Schlage, gebietet die Erinnerung an die historische Tracht Halt. Wir haben dieser Erinnerung schon eine gewisse Stabilität der Kleidung zu verdanken, die zum Aerger aller Modepuppen von Tag zu Tag wächst. Mit einem Schlage interessiren sich die Damen für die Geschichte ihrer Kleider, und so beginnen sie praktisch einen Cursus der Aesthetik, der tief ins Leben greift. Wir haben schon erwähnt, daß die Bestrebungen der Industrie, schöne Stoffe zu schaffen, von Erfolg gekrönt waren, und dennoch geben wir uns über den dauernden Einfluß dieser Richtung keiner Täuschung hin. Die historische Tracht wird als Mode verschwinden, wie sie kam, wenn nicht ein mächtiges Agens geschaffen wird, das sich ihrer Motive bedient und aus den Bedürfnissen der Jetztzeit entspringt. Die historischen Costume sind außerordentlich kostbar, und da unsere Damen heute nicht, wie ihre Urmütter, ein Kleid für Lebenszeit anschaffen, sind nur wenige im Stande die Ausgabe für eine stilisirte Toilette zu machen. Mit diesem Grunde ist die Dauer der Mode für die obersten Schichten der Gesellschaft für eine kurze Zeit gesichert, aber in unserem Jahrhundert erhält sich nichts, was der Excentrität entstammt und nicht aus dem Volksleben herauswächst.

Die historische Toilette für die höheren Stände ging jederzeit Hand in Hand mit der Volkstracht.

Die Volkstracht ist vernichtet und somit auch das historische Costum für die Dauer unmöglich gemacht. Damit, daß die Anregung, historische Trachten wieder einzuführen, von Frankreich ausging, fehlen uns alle deutschen Charaktertrachten, unter denen manche, wie z.B. das schöne Gretchenkleid, geeignet wären, sich dauernde Bedeutung zu erringen.

Unter den historischen Trachten ist die Wahl mit äußerster Vorsicht zu treffen. So wie nicht alles Neue schön ist, so ist auch nicht alles Alte brauchbar. Unter den altfranzösischen Costumen können wir nur aus der Zeit Charles' V. (1364) das erste Jäckchen, aus der Zeit Charles' VII. (1423) das erste lange Kleid als Leitmotiv annehmen. Die Periode Louis' XII. bietet uns nur die an einer goldenen Schnur hängende Gürteltasche, alles Andere ist geschmacklos oder unbrauchbar. Franz I. führt uns den ersten Spitzleib vor und auch einen brauchbaren Faltenwurf, dagegen ganz verwerfliche Aermel. Unter Heinrich II. finden wir Kleider, die sich auf das Heute vererben lassen, wenn man die Aermel ändert, die jede freie Action des Körpers unmöglich machen.

Mit Franz II. bricht eine Morgenröthe der Kleidung an. Wir könnten uns keine reizvolleren Kleidungen für unsere Damenwelt denken als die stilvollen Gewänder der Hofdamen dieses ritterlichen Königs. Wir möchten vom Standpunkte einfacher Eleganz auch nur für jene Zeit lebhaft eintreten und vor der steifen Pracht Heinrichs III. und Charles IX. die Augen schließen. Jede der folgenden Perioden hat noch ihren sonderbaren Zauber. Louis XIII., XIV., XV. mit den prunkenden Damasten in Sammetgeweben und Louis XVI. mit den reizvollen, von der unglücklichen Marie Antoinette so geliebten Mousselines de l'Indes. Hier bleibt die Gegenwart stehen, sie schreitet nicht bis zur rothen Revolution vor und will mit Recht nichts vom Empire wissen.

Es läßt sich nicht leugnen, daß auf diesem Wege in das Einst die Damen mit den Gesetzen der Schönheit und des guten Geschmacks vertraut werden, und es entsteht in Jedem, der die Toilette nicht mit frivolem Auge betrachtet, der Wunsch, daß diese Ausflüge in die Vergangenheit dazu helfen mögen, einen modernen schönheitsgerechten Stil des Anzugs zu schaffen. Unsere Zeit hat ihre Eigenthümlichkeiten, denen das Gewand Rechnung tragen muß, und mit dem Erwecken der Vergangenheit ist es nicht abgethan. Es gilt eben, eine dauernde, stabile, schönheitsgerechte Kleidung ins Leben zu rufen, die dem Zeitalter und seinen Bedürfnissen entspringt, die den Frauen von heute ihr eigenthümliches Cachet verleiht, ohne sie zu Spiegelbildern des Einst zu machen und ohne aus ihnen Puppen des Augenblicks zu formen. Für Künstler und Aesthetiker ist die Aufgabe, dem herannahenden zwanzigsten Jahrhundert eine eigene Tracht zu schaffen, wahrlich lohnend genug. Nur mögen alle Nationen zusammenwirken. Wenn alle das Ehemals prüfen, das Beste behalten, es mit dem Heute verschmelzen, so wird es zweifellos gelingen, das Aeußere der Menschen in Harmonie mit der Gegenwart zu bringen und danach die Lehren der Schönheit in der Kleidung festzustellen. Die Bewegung nach der historischen Tracht fassen wir als einen Anfang auf, als einen chemischen Proceß, aus dem sich die Zukunft hell und klar krystallisiren wird, und von diesem Standpunkte aus ist der Werth dieser Bewegung keinesfalls zu unterschätzen. Von diesem Standpunkte aus verdient sie die aufmerksame Beachtung aller Fachleute, aller Jener, die sich für die Bedeutung ihrer Zeit interessiren, deren Schönheitsbedürfniß auch in der äußeren Hülle zum Ausdruck gelangt.

Eine schöne Mode und nicht eine neue Mode lautet das Motto eines vernünftigen ästhetisch fühlenden Volkes.


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