Hermann Harry Schmitz
Grotesken
Hermann Harry Schmitz

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Onkel Willibald will baden

Aus: Düsseldorfer General-Anzeiger vom 25.6.1911;
Der Säugling und andere Komödien, Leipzig 1911

Dem Onkel Willibald hatte ein uralter Schäfer in der Lüneburger Heide gesagt, das Geheimnis des Langlebens sei, sich nie zu waschen. Er selbst sei seines Wissens so ungefähr hundertdreißig Jahre alt, und seit hundert Jahren wäre kein Wasser an seinen Körper gekommen. Bei einigen alten Bauern in der Eifel fand Onkel Willibald die gleiche Gepflogenheit. Ihr hohes Alter und ihre Rüstigkeit bewiesen, daß sie mit ihrer Theorie nicht so ganz unrecht hatten. Onkel Willibald hatte weiter von einem alten Landstreicher aus dem Thüringischen erzählen hören, der sich auch seit Jahren nicht gewaschen hatte, dann aufgegriffen wurde und polizeilicherseits ein Bad verabreicht bekam und, obwohl kerngesund, darnach sofort in Siechtum verfiel und starb. Das gab zu denken.

Onkel Willibald war praktischer Philosoph. Er hatte das Prinzip, sein Leben auf der Grundlage persönlicher Erfahrungen einzurichten. Er war stolz, wenn er im Volke so eine schlichte Lebensweisheit fand, einen nützlichen Brauch; gleich war diese neue Erkenntnis auch für ihn maßgebend und bestimmend. Indessen war die letzte Entdeckung nur so lange sein Evangelium, bis er wieder auf etwas Neues stieß.

»Ich bin ein verflixt heller Kopf. Ich halte die Augen offen!« sagte er und warf sich selbstgefällig in die Brust.

Er galt allenthalben für einen Sonderling. Seine Verwandten sagten, er sei verrückt. Mit Benders, seinen nächsten Verwandten, wohnte er im gleichen Hause, Benders auf der ersten, er auf der zweiten Etage; im Unterhaus war das Kolonialwarengeschäft von Wiehbendülle. Benders sprachen hinter dem Rücken Onkel Willibalds sehr respektlos über ihn. Ihm ins Gesicht waren sie dagegen widerlich devot und hofierten ihn in schmachvoller Weise. Sie gaben seinen fixen Ideen recht, soweit sie kein Geld kosteten. Onkel Willibald war begütert, und Benders die nächsten Erben.

Der Onkel hatte eine eigene Haushaltung, der seine Köchin Amöne Schmalspurbahn vorstand. Amöne Schmalspurbahn war eine Eskimo, die versehentlich nach Deutschland geraten war. Geld zur Rückreise fehlte ihr, sie nahm kurz entschlossen die in der Zeitung ausgeschriebene Stellung bei Onkel Willibald an.

Als er von der Reise zurückkam, auf welcher er den alten Schäfer und die Eifelbauern getroffen hatte, und als er das mit dem Landstreicher erfuhr, beschloß er, sich von Stund an nicht mehr zu waschen und dem Beispiel dieser Leute zu folgen. Seine Köchin, die er seit Jahren hatte, verließ ihn darauf Knall auf Fall. Andere folgten, aber schon nach wenigen Tagen gingen auch sie wieder. Keine war zu halten. Onkel Willibald war verzweifelt. Da erschien eines Tages Amöne Schmalspurbahn, und die blieb.

Der Onkel begann, nach einiger Zeit sich selbst nicht mehr zu mögen. Es war schon schlimm.

Er reiste eines Tages in die Bretagne und fand dort in dem am Meere gelegenen Dorfe Oeuf à la Coque unter den Einwohnern einen außergewöhnlichen Wasserfanatismus. Von früh bis spät lagen diese Leute im Meer. Und zu Hause wurden die Seebäder noch durch Duschen und Abwaschungen ergänzt. In Oeuf à la Coque gab es vierzig Einwohner über hundertundachtzig Jahre, die alle noch Rad fuhren und Rollschuh liefen. Eine hundertfünfundsiebzigjährige Frau leistete Erhebliches auf dem Drahtseil. Das gab zu denken.

Onkel Willibalds Grauen vor sich selbst wuchs von Tag zu Tag. Er merkte zu seinem Schrecken, wie er mählich körperlich und auch geistig verkam. Die Lebensweise des uralten Schäfers war nichts für ihn.

Die Leute in Oeuf à la Coque wiesen ihm den richtigen Weg. Die kannten das Geheimnis des langen Lebens. Wasser, Wasser war die Parole!

Im Zuge zurück in die Heimat, lernte er den berühmten Wasserheilmenschen Unglimpf Knobbe kennen, der ihm sein Buch »Hupf mein Mädle« schenkte, in dem er sein Wasserheilverfahren überzeugend darlegte und unzählige verblüffende Resultate aufführte.

Sofort schrieb Onkel Willibald an die größten Geschäfte für Badeeinrichtungen und bat um Prospekte.

An Amöne Schmalspurbahn, die auch eine Anhängerin der Theorie des uralten Schäfers war, nicht aus Überzeugung, sondern aus heimatlicher Überlieferung und Faulheit, wuchs Moos, und auf dem verfilzten Kopf nisteten Rotkehlchen.

Onkel Willibald entließ sie. Er bekam einen Abscheu vor ihr, außerdem fehlten ihm zwei Teelöffel.

Die Kataloge kamen zu Stößen ins Haus. Natürlich galt es erst zu probieren, ehe man sich zur Anlage einer kostspieligen Einrichtung entschloß. Auch Benders rieten ihm an, es vorläufig mal mit einer billigen Sache zu versuchen.

Da gab es die Reisewanne »Plitsche-Platsche« aus Segeltuch. »In fünf Minuten ein erquickendes Bad«, »Das Ostende des kleinen Mannes«, so wurde diese herrliche Wanne zum Preise von dreißig Mark angepriesen. Mit Dusche zwanzig Mark mehr. Als Dampfbad eingerichtet fünfzig Mark mehr. Mit prima Aluminiumgestell. Eine Kaffeetasse Wasser genügt zum erfrischenden Vollbad!

Onkel Willibald ließ sich eine »Plitsche-Platsche«-Reisewanne, das Ostende des kleinen Mannes mit Dusche und Dampfbadeeinrichtung kommen. Als die Kiste glücklich ausgepackt war, lag vor ihm ein Stück Segeltuch, ein Bündel Stangen, ein kleines Öfchen, eine Schachtel mit Schrauben, Muttern und komischen Dingen und ein Gießkannenausguß. Eine Gebrauchsanweisung war beigefügt.

Zwei Wochen quälte sich Onkel Willibald Tag und Nacht mit dem Tuch und den Stangen und dem Öfchen ab, ohne seine Badeeinrichtung zusammenzubekommen. Die Schrauben hatte er bereits verloren. Die Muttern waren unter die Möbel gerollt. Immer wieder vertiefte er sich in die Gebrauchsanweisung, er bekam es nicht zusammen.

Bis er eines Abends endlich glaubte, das Problem gelöst zu haben. In dem, was er aufgebaut hatte, konnte man schon baden.

Schnell Wasser herbei. Das Öfchen angesteckt. Den Krahnen aufgemacht: das war ein köstliches Bad. Onkel Willibald dehnte und streckte sich, grunzend vor Behagen. Er merkte dabei nicht, wie sich die mit Gummi verklebten Nähte der Segeltuchwanne lösten. Jetzt eine Dusche! Er zog an der Schnur. Die Dusche funktionierte nicht. Er zog stärker. Räng, päng! Das Gestell brach zusammen. Die Nähte des Segeltuchs waren jetzt völlig aufgeweicht. Aus der Wanne war ein flaches Tuch geworden. Onkel Willibald rang mit dem Stangengewirr, glitschte auf dem nassen Segeltuch aus, kam zu Fall und wälzte sich hilflos am Boden. Mit dem linken Bein geriet der Unglückliche in den brennenden Ofen und schwenkte diesen wie einen Klumpfuß strampelnd in der Luft. Das ausgelaufene Wasser stand im Zimmer, wurde aber von den Dielenritzen eingezogen.

Bums, bums! Schauerlich klang es durchs Haus. Benders, die unter Onkel Willibalds Baderaum ihr Schlafzimmer hatten, war ein großes Stück Zimmerdecke ins Bett gefallen, gefolgt von einem Guß Wasser.

Das war ein Spektakel im Hause! Mit einem Gipskranz von der Deckenverkleidung um den Hals stürzte Vater Bender im Nachthemd, gefolgt von Weib und Kind, nach oben.

Das undefinierbare Gewirr am Boden, vom Mond beleuchtet, machte Bender graulen. Mit Schwierigkeit erkannte man erst nach einer Weile als den Kern des Gewirrs den Onkel. Er schrie plötzlich jäh nach einem Ofen auch für das rechte Bein, da er daran friere.

Trotz dieses Ungemachs ließ der Onkel seine Bademanie nicht fallen. Mit »Plitsche-Platsche« war es nichts. Man sollte in so was nicht sparen. Er verschenkte die Bruchstücke des transportablen Bades an einen blinden Indianer.

Jetzt wollte er eine ordentliche Badeeinrichtung haben, die was kosten durfte. Für Unsummen legte er sich die patentierte, häufig preisgekrönte Badeeinrichtung »Schleiermacher« mit Emaillewanne, Gasofen und allen Schikanen der modernen Installation zu.

Auch die so ungemein hygienische Wellenbadschaukel »Meeresersatz« und die patentierte Sitzwanne »Karl der Große« war mitgeliefert worden.

Fränze Kaldaunentrost, die neue Köchin, hatte in dem Baderaum die eingemachten Gurken in Gläsern stehen. Sie war sehr sittenstreng. Sie deckte über die Gurkengläser aus Vorsicht Tücher, damit sich die unschuldigen Gurken an Onkel Willibald im Bade nicht versahen.

Onkel Willibald hatte nicht gern Handwerker im Hause. Er bat seinen Freund Philipp Motternich, der früher bei der Eisenbahn war und für alles eine geschickte Hand hatte, ihm beim Aufbau der Badeeinrichtung zu helfen.

Acht Tage lang quälten sich die beiden von früh bis spät an der Montierung des Bades. Sie gerieten schon gleich im Anfang, da jeder alles besser wissen wollte als der andere, in Streit. Dann sengte aus Versehen Onkel Willibald beim Anschluß des Wasserleitungsrohres mit der Lötlampe Philipps Bart halb ab. Es kostete Willibald Mühe, seinen wütenden Freund, der behauptete, Willibald habe das absichtlich getan, zu beruhigen. Als Willibald nun noch beim Einschlagen eines Hakens mit dem Hammer Philipps Daumen traf, wurde es Philipp zu viel, und er verließ in der feindlichsten Stimmung den Onkel.

Onkel Willibald besah sich, was sie bisher installiert hatten, und kam zur Überzeugung, daß alles wohl gerichtet und sein Bad nun gebrauchsfertig sei.

Eine genaue Anweisung über die Inbetriebsetzung war am Ofen angebracht.

So, hier war der Gashahn  a. Der mußte geöffnet werden. Da war der Gashahn  b, und dann gab es noch den Hauptgasabsperrhahn  c. Von diesen beiden Hähnen stand nichts auf der Gebrauchsvorschrift, ob sie zu schließen oder zu öffnen seien. Der Hahn  d sollte nach der Anweisung unbedingt offen bleiben, während der Hahn  f unter allen Umständen geschlossen werden mußte. Die Ventile  g und  m mußten im Auge gehalten werden. Das war sehr wichtig. Der Brenner  k, ein schreckliches Röhrenwirrwarr mit vielen kleinen Löchern, sollte in der Pfeilrichtung gedreht werden. Das alles und noch mehr stand auf der Instruktion, die Onkel Willibald immer und immer wieder las. Er wurde durch die Unmenge von Hähnen und Ventilen völlig verwirrt. Er hantierte hin und her hupfend, an dem Badeofen. Er erinnerte an einen Musikalclown, der sich an einem Gestell mit Glocken produziert.

An welchen Hahn und welches Ventil er auch rührte, immer wurde die Dusche in Tätigkeit gesetzt und er meuchlings von einem kalten Guß getroffen. Die Dusche reagierte auf alle Hähne. Es gelang ihm endlich, die Dusche abzustellen. Er zog den Brenner heraus, öffnete die Gashähne und hielt ein brennendes Streichholz so lange an die kleinen Löcher, bis das verglimmende Streichholz ihm die Fingerspitzen verbrannte. Der Brenner trug seinen Namen mit Unrecht, er brannte nicht.

Hätte er doch Philipp nicht auf den Daumen geschlagen! – Der hätte die Sache in Ordnung gebracht! ärgerte sich jetzt Onkel Willibald.

Plötzlich kam ihm die schreckliche Erkenntnis, daß der Ofen überhaupt nicht an eine Gasleitung angeschlossen war. Eine derartige Leitung lag nicht im Hause.

Dieser Philipp, dieser Nichtswisser! Das hätte er doch wissen müssen! schnaubte Onkel Willibald.

Was war zu machen? Gebadet mußte jetzt werden. Gut, badete er kalt. Das war noch viel gesünder als ein warmes Bad. Gewiß, viel abhärtender. Knobbe schrieb auch kalte Bäder vor. Die Gasleitung konnte man gelegentlich für alle Fälle anlegen lassen.

Er öffnete den Hauptwasserhahn der Wanne. »Plätscher, plätscher«, ging es munter in die Wanne. Es konnte eine Weile dauern, bis die Wanne gefüllt war.

Vielleicht vor dem Vollbad noch ein Wellenbad in »Meeresersatz!« Gesagt, getan. Das Wellenbad war schnell gefüllt. »Plätscher, plätscher« – lustig sprudelte es aus dem Haupthahnen in die Wanne.

Der Onkel nahm ein Wellenbad. Hei, war das fein und köstlich. Feste, feste, dachte der Onkel, je stärker der Wellenschlag, je heilsamer.

»Plätscher, plätscher« – die Wanne war mittlerweile fast voll gelaufen. Im Sicherheitsablauf steckte ein Zigarrenstummel.

Die Wellenschaukel stand schon einige Male auf der Kippe. Den Onkel packte ein wilder Taumel.

Dann war es geschehen. Die Wanne kippte um, und Willibald lag darunter, eingeklemmt von den Seitenwänden. Wie eine Schildkröte kroch er ächzend durchs Zimmer. Alles Abmühen und Strampeln hatte keinen Erfolg. Er kam nicht los.

»Plätscher, plätscher« – die Badewanne lief jetzt über; das Wasser stand fußhoch im Zimmer.

Der Onkel stieß die Tür ein. Er mußte zu Menschen, die ihm helfen konnten. Allein konnte er sich nicht befreien.

Er kroch die Treppe hinunter mit großen Schwierigkeiten. Grauen und Entsetzen packte die Leute bei seinem Anblick.

»Ein Untier naht, eine Riesenschildkröte! Flieht, rettet euch!« Alles floh in wilder Panik.

»Plätscher, plätscher«, die zweite und erste Etage stürzten ein.

Der bekannte Löwenjäger Fürchtegott Pöhzlapp selbst wagte nicht, dem Untier entgegenzutreten.

»Plätscher, plätscher« – das Haus fiel zusammen.

»Plätscher, plätscher« – die ganze Stadt ertrank.

Onkel Willibald strandete auf einem hohen Berge. Er war mittlerweile abgemagert und fand sich eines Tages von der Wanne befreit.

Er tat einen heiligen Schwur, nie wieder zu baden.

 


 


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