Hermann Harry Schmitz
Grotesken
Hermann Harry Schmitz

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Der Hutnadelkrieg

Eine Enquête und ein Erlebnis

Aus: Düsseldorfer General-Anzeiger vom 20.10.1912

Ich habe hundertsiebenundvierzig Straßenbahnschaffner in verschiedenen Städten gefragt, wie die Damen, die wegen ihrer ungeschützten, hervorstehenden Hutnadeln nach einer vernünftigen Verordnung von der Mitfahrt ausgeschlossen werden, den liebenswürdigen Hinweis auf diese Vorschrift beantworten.

Die meisten der Nadelsünderinnen fühlen sich sofort bis in die tiefste Seele gekränkt und betrachten diese Vorschrift als die gemeinste Schmach, die man einer Frau zufügen kann. Mit harten Gesichtern zeigen sie nicht die geringste Absicht, auf die Forderung des Schaffners, sei sie noch so höflich und schonend vorgebracht, überhaupt einzugehen. Manche hüllen sich in unheimliches starres Schweigen und stoßen einen Basiliskenblick gegen ihren Feind. Ein teufelisches Hohnlächeln werfen sie dem pflichteifrigen Schaffner ins Gesicht. Sonst sanfte Wesen verkehren sich ins Gegenteil, und viele glauben mit bösen Worten, die im Munde einer Frau doppelt schlimm wirken, ihre Stellung und ihre ungeschützte Hutnadelspitze zu behaupten. Der Schaffner hat die Energie eines Dompteurs nötig, um gegen diese entfesselten Gewalten, gegen diesen rocher de bronze von Eigensinn anzukommen und, wie in seiner Instruktion steht, höflich, aber bestimmt zu bleiben. Manche suchen mit Blicken Unterstützung bei ihren männlichen Mitpassagieren, haben aber in den seltensten Fällen Glück damit. Der Mann ist in solchen Streitfällen immer gegen die Frau und für die Verordnung, die schließlich zum Schutze auch seiner Augen erlassen worden ist. Die Mitleid oder ritterliche Hilfe erwartende Unglückliche wird nicht auf die geringste Unterstützung hoffen dürfen.

Diese unkaschierte, stichsüchtige, blutgierige, gleißende Nadelspitze erscheint mir fast wie das Symbol aller feindlichen Instinkte, die sich zwischen den beiden Geschlechtern aus Urzeiten erhalten haben. Zyniker werden faule Witze reißen und sich an der schiefen Situation der Getroffenen weiden.

Es gibt dann noch eine bestimmte Kategorie von Frauen, die bewußt unterstrichen ihre hervorragende gesellschaftliche Position zur Schau tragen und auf die himmelschreiende Unverschämtheit des subalternen Beamten mit dem Gatten, der in einflußreicher Stellung bei der Verwaltung oder bei der Behörde sitzt oder gar Stadträte und Autoritäten zu Duzfreunden hat, als Gott der Rache drohen und die Andeutung dem armen Mann entgegenschleudern, daß man ihn um Brot und Stellung bringen könnte. Und das in einem Vehikel, das der allgemeinen Benutzung von arm und reich dient.

Dann gibt es Kompromißnaturen, die den Schaffner zu überzeugen versuchen, daß, wenn sie die Nadeln an der einen Seite ein wenig herausziehen, die Spitze an der anderen Seite doch verschwindet und ungefährlich wird. Friedfertige Schaffner geben sich zufrieden.

Heroische Vertreterinnen mit männlicher Vernunft lesen beim Eintritt in den Wagen die gedruckte Verordnung, ziehen ihre Nadeln aus dem Hut, setzen ihn ab und legen ihn auf den Schoß. Die tödlichen Nadeln bergen sie im Hut oder in der Tasche. Ich glaube aber, auf diese willige Vernunft stößt man selten.

Die Schaffner befinden sich unter allen Umständen in einem peinlichen Dilemma, und selbst die rhetorische Geschicklichkeit eines französischen Hofmanns mit aller Grazie vermöchte nicht immer die Aufforderung, sofort den Wagen zu verlassen, zu einem launigen bon mot zu formen.

Mir klagte ein alter Schaffner, der noch auf der Pferdebahn tätig war, diese Nadelschutzvorschrift werde der Nagel zu seinem Sarge. Tag für Tag das Geschimpfe. Eine alte unbeholfene Frau müßte man ebenso wie einen unverschämten Backfisch, der über die Verordnung feixt und seinen Hut einem Igel gleich mit langen Nadeln gespickt hat, schweren Herzens aus dem Wagen weisen. Das wäre seine Pflicht.

Ein anderer Schaffner mit einem cholerischen Habitus sagte mir, und seine Adern schwollen auf der Stirn: »Sehen Sie, ich war, bis diese Nadelvorschrift kam, ein ruhiger, stiller Mann, der seiner Wege ging und keinen Zorn kannte. Ich war freundlich in meinem Dienst. Da begann eines Tages der Kampf. In den ersten Tagen versuchte ich mit gewohnter Güte der Vorschrift Geltung zu verschaffen, aber täglich verlor ich mehr und mehr die Geduld und Selbstbeherrschung und tobte und fluchte innerlich auf die trotzigen Verletzerinnen einer amtlichen Vorschrift. Mein Heim aber machte ich zu einer Hölle. Ich zerschlug Teller, warf meiner Frau Gegenstände nach und schimpfte mit den Kindern, die nichts Unartiges getan hatten. An Schlaf war nicht zu denken. Die Wut fraß in mir. Ich weiß nicht mehr ein noch aus, ich nehme ein unglückliches Ende.« –

Das war ein Fall von fixer Idee, einer gesteigerten, krankhaften Autosuggestion.

Ein Schaffner, scheinbar ein wenig belastet, forderte beharrlich auch von Damen, die überhaupt keine Nadeln im Hut hatten und zum Halten des Hutes einen Schleier benutzten, sie möchten ihm ihre Nadelschutzvorrichtung zeigen, sonst müsse man aussteigen. Das sei seine Pflicht, darauf zu dringen.

Es sei, wie es sei. Diese Nadelschutzvorrichtung ist absolut nötig und begründet. Mit einigem Entgegenkommen und Verständnis der Damen wird die Verordnung ihre Schärfe verlieren und sich Schaffner und Publikum auf einen vernünftigen Kompromiß einigen.

In München, wo der Kampf gegen die Hutnadel schon seit Jahren tobt, sah ich einmal auf der Elektrischen eine Dame, die am Hut, von der Nadel aufgespießt, einen zappelnden Foxterrier trug.

Ich muß also der Verfügung wohl zustimmen. Ich muß es, obgleich ich selbst durch ihre strenge Durchführung, wie in Nachstehendem ersichtlich, indirekt tief betroffen wurde.

Ich verabredete mich mit einer ohnehin nervösen Freundin für einen Sonntagnachmittag. Um das vorgenommene Programm zu erfüllen, waren wir zum größten Teil auf die Straßenbahn angewiesen. Diese unglückliche, nervöse Freundin kam natürlich mit zwei riesenlangen Nadeln, ohne Schutzkapsel weit aus dem Hut ragend, an. Es war keine Möglichkeit, sich diese Kapseln am Sonntag zu beschaffen. In unzählige Straßenbahnwagen versuchten wir vergeblich den Einstieg, die Nadeln waren so lang, daß sie sich im Eingang quer stellten, zweimal war es uns gelungen, bis in den Wagen vorzudringen, aber schon erreichte uns unser Schicksal, und wir mußten unter dem Gespött der anderen wieder aussteigen. Es war uns zur fixen Idee geworden: wir mußten mit der Straßenbahn fahren. Daß wir uns durch die mit sonntäglichen Spaziergängern gefüllten Straßen durchzudrängen vermochten, das war völlig ausgeschlossen.

Unsere verzweifelte Hatz, unser grausames Schicksal erinnerte an die entsetzliche ewige Wanderung Ahasvers. Und es wuchs ein Haß gegen alles um uns herum, und die Aura dieses Sonntagspublikums lag wie ein Alb auf uns. Dann wandte sich, wie die Qual sich Stunde um Stunde mehrte, unser Haß gegen uns selbst. Aus den bitteren fortgesetzten Vorwürfen, daß jeder die Schuld habe an diesem furchtbaren Fluch der Unstäte, wuchs eine unversöhnliche Feindschaft. Wir trennten uns im Zorn noch vor Dunkelwerden. Und jeder hatte am Montag seinen Abschiedsbrief.

 


 


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